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Alex und der goldene Ring

Weihnachtschallenge 2020

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Inhaltsverzeichnis

 

Die Tatsache, dass ihn jemand beschattete, wäre Alex niemals in den Sinn gekommen. Schon gar nicht an diesem Samstag, an dem sich die Menschen dicht gedrängt durch die Innenstadt schoben. Alex ließ sich in diesem Strom mittreiben und fühlte sich sicherer als an den meisten Tagen. Einen Tag vor dem dritten Advent war die Welt in der Innenstadt hektisch. Jeder war auf sich selbst konzentriert und auf die letzten Geschenke, die man für seine Liebsten und nicht ganz so Lieben noch besorgen musste. Wer achtete da schon auf einen 16jährigen Jungen im zerschlissenen kackbraunen Parka und in Sportschuhen, die einmal weiß gewesen waren, deren für den Winter viel zu dünnen Sohlen sich auch schon zu lösen begannen.

Ihm war das vorweihnachtliche Chaos ganz recht. Übersehen zu werden, war der beste Schutz für einen jugendlichen Ausreißer. Das war eines der ersten Dinge, die er auf der Straße gelernt hatte. Ziellos ließ Alex sich treiben und studierte Menschen aus purer Langeweile: Das Pärchen, wo die Frau eine rote Schnupfennase hatte und ihr Freund oder ihr Ehemann ihr trotzdem immer wieder Küsse auf die Lippen drückte; die Mutter, die ihr quengelndes Kind wie einen störrischen Köter hinter sich herzog; der UPS-Bote mit geschultertem Paket, den Alex nicht unsexy fand; der alte Mann, der in dem Vorweihnachtstrubel mit seinen langsamen Schritten verloren wirkte. Alles Gesichter, die kamen und gingen. Nur die Dezemberkälte blieb, die auf seinen Wangen brannte.

Voller Unbehagen dachte er an die kommende Nacht. Wo sollte er da denn wieder schlafen? In der Obdachlosenmission hatten sie angefangen, blöde Fragen zu stellen. Dort wollte er erst mal nicht wieder hingehen. Blieben noch einige der U-Bahn-Stationen, in denen sich der Sicherheitsdienst in der Regel nicht blicken ließ. Dort herrschten zumindest keine Minus-Temperaturen. Aber dafür waren sie brandgefährlich. Gerade im Winter, wo sich auch andere zwielichtige Gestalten dort vor der Kälte schützten. Manche waren ja ganz angenehme Zeitgenossen. Aber es gab auch Andere. Alkis. Süchtige und deren Dealer. Oder einfach gelangweilte Halbstarke, die an einem wehrlosen Penner ihren Gewaltfantasien freien Lauf lassen konnten. Alex versuchte sich mit dem Gedanken anzufreunden, auch in dieser Nacht wieder im Freien hinter der Deckung eines Gebüschs zu schlafen. Er war schließlich jung. Und eine Erkältung konnte er im Zweifel besser wegstecken als ein Messer im Bauch.

Ein Geruchscocktail aus gebrannten Mandeln, Waffeln und Zimt kitzelte in seiner Nase und riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Blick fiel auf den kleinen Weihnachtsmarkt am Bismarckplatz. Für einen Augenblick musste Alex gegen die Tränen ankämpfen. Denn wohl in jedem Menschen riefen diese Düfte ganz besondere Erinnerungen hoch und Alex war da keine Ausnahme. Er und seine Mutter. Wie sie mit kandierten Bratäpfeln und eingehakten Armen über einen solchen Weihnachtsmarkt schlenderten, scherzten und den jähzornigen Mann daheim einfach einen bösen Menschen sein ließen. Nur dass seine Mutter nun nicht mehr am Leben war. Und, dass Alex lieber erfrieren würde, als noch einmal zu seinem Vater zurückzukehren.

Alex verfluchte sich selbst dafür, dass er in die Nähe des Weihnachtsmarktes gegangen war. Mit dem Appetit kam auch der Hunger, und weil er heute noch gar nichts und gestern viel zu wenig gegessen hatte, kam dieser mit Schmackes. Aus Erfahrung wusste er, dass Ankämpfen in dieser Situation nicht mehr helfen würde. Er brauchte nun etwas zu Essen. Ganz dringend. In den Mülleimern gab es rund um den Weihnachtsmarkt bestimmt auch noch den einen oder anderen weggeworfenen Rest abzustauben. Doch die Vorstellung, aus dem Abfalleimer zu essen, widerte ihn selbst heute noch an. Gerade vor all den Leuten, die hier herumliefen. Aber zur Not …

Fast schon routiniert ließ Alex den Blick kreisen, musterte Passanten, ließ wieder von ihnen ab und beobachtete die nächsten. Seine Augen blieben an einer Frau hängen, die sich an einem der Stände gerade eine Bratwurst gekauft hatte. Mit dem Wurstbrötchen in einer Hand stopfte sie mit der anderen Hand ungeschickt ihr Portmonee zurück in die Anoraktasche. Zwar hatte diese auch einen Reißverschluss, aber den zuzumachen war der Dame wohl zu umständlich. Scheißkerl, schimpfte Alex sich selbst, als er seine Gelegenheit witterte. Ihm gefiel nicht, dass das Klauen schon lange zur Gewohnheit geworden war, aber was bedeutete Moral schon, wenn der Magen vor Hunger schmerzte. Wie ein Gespenst schlich er sich durch die dicht gedrängten Menschenmassen, kam der Frau näher und näher, und dann …

Ein Griff und er hielt das Portmonee in seinen Händen, während die Frau seligen Schrittes weiter ging. Es wäre verlockend gewesen, es einfach einzustecken. Wie viel Kohle hatte eine Dame wie diese beim Weihnachtseinkauf wohl bei sich? 200 Euro vielleicht? Damit würde er eine Weile über die Runden kommen. Doch ein bisschen Würde hatte sich Alex auch nach über einem halben Jahr auf der Straße noch erhalten. Schnell zog er sich einen Fünfziger heraus und stopfte ihn in seine Hosentasche, dann nahm er die Verfolgung wieder auf. Er rempelte die Dame ganz dezent an, als er das Portmonee wieder zurücksteckte.

„Oh. Entschuldigung“, murmelte er.

Die Frau betrachtete ihn feindselig – den zerlumpten Jungen mit den strähnigen Haaren. Ihre Hand tastete schnell die Jackentasche ab und der Blick entspannte sich erst, als sie ihre Geldbörse fühlte. Sie nickte. Und ihre Wege trennten sich ein für alle Male.

Einige Minuten später hatte Alex sich entspannt. Er hatte sich in eine Nische zurückgezogen, aß Schmalzkuchen und trank warmen Milchkaffee auf das Wohl der unbekannten Frau. Mit dem Restgeld würde er locker noch ein paar Tage satt werden. Er kam gerade zu dem Schluss, dass das Leben vielleicht doch nicht ganz so schlimm war, da legte sich eine Hand auf seine Schulter.

„Na? Kleiner Dieb?“

Der Fluchtreflex war zwar sofort da, doch trotzdem war der Fremde schneller. Wie eine Schraubzwinge griff seine Hand an Alex' Oberarm zu. Alex ließ sowohl den Kaffee als auch den Kuchen fallen, um sich Bewegungsfreiheit zu verschaffen und trotzdem war es schon zu spät.

„Mach keine Dummheiten. Oder ich lege dir Handschellen an. Klar?“

„Klar“, brummte Alex und gab nach. Ein Zivilpolizist also. Es war kein Geheimnis, dass es hier ein paar von der Sorte gab, die gerade zur Adventszeit auf das Aufspüren von Taschendieben spezialisiert waren. Er wehrte sich nicht, als ihn der vermeintliche Polizist am Handgelenk packte und ihn abführte.

Dass hier etwas nicht stimmte, schwante Alex nach und nach. Der Polizist … Der Typ machte es Alex schwer, ihn zu betrachten, so, wie er ihn durch die Fußgängerzone zog. Aber er schaffte es trotzdem, immer mal wieder einen Blick auf ihn zu erhaschen. Sah so ein Polizist aus? Der Mann war groß, breitschultrig und trug eine schwarze Lederjacke, die ihn noch bulliger machte, als er es ohnehin schon war. Sein schulterlanges Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Gut und schön. Aber was Alex sauer aufstieß war das Tattoo, das aus dem Jackenkragen herausragte und sich am seitlichen Hals entlang bis hinter das Ohr zog. Durften Polizisten solche Tätowierungen tragen? Er wusste es nicht. Und er wollte es auch nicht auf die Probe stellen. Es war nur ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Zwei Frauen, die sich hitzig unterhielten und sich mit dem gleichen Temperament ihren Weg bahnten, schnitten Alex und seinen Häscher. Eine der beiden rempelte den Langhaarmann an. Ein kurzes Naserümpfen; ein Wimpernschlag, in dem sich der Schraubstockgriff lockerte und Alex sprang zur Seite.

Er würde es schaffen! Das waren der Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, als er sich daran machte, zwischen den Massen unterzutauchen. Doch plötzlich wurde ihm ein Bein weggerissen und er landete der Länge nach auf dem Boden. Neben sich hörte er jemanden erschrocken aufschreien.

„Ein Taschendieb“, erklärte die Stimme des Häschers, dann packte die starke Hand ihn im Nacken und zog ihn hoch. Alex stöhnte und eine Frauenstimme sagte: „Bravo. Ziehen Sie dem Taugenichts ruhig die Ohren lang.“

Der Mann lachte tief, zog Alex weiter und drohte: „Mach so'n Scheiß bloß nicht noch mal.“

Alex schwieg. Zumindest die Sorge, wo er heute Nacht schlafen sollte, hatte sich wohl erledigt. Vielleicht in der Arrestzelle eines Polizeireviers. Oder sie würden ihn gleich heute noch nach Hause bringen. Zu seinem Vater. Wenn er Glück hatte, war sein alter Herr dann schon zu besoffen, um ihm eine Tracht Prügel zu verpassen. Leider hatte Glück nie zu den Dingen gehört, mit denen Alex gesegnet war.

Der Langhaar-Häscher schob ihn heraus aus der Fußgängerzone in eine Seitenstraße. „Ich will Ihren Dienstausweis sehen“, forderte Alex, nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

„Jaja.“ Der Nackengriff wurde fester und Alex verzog das Gesicht. Er sollte wohl lieber die Klappe halten. Ohne weitere Gegenwehr ließ er sich abführen; in eine ruhigere Seitenstraße und dort in eine Hofeinfahrt, wohinter sich ein Privatparkplatz befand. Erst im letzten Moment wurde ihm bewusst, wie falsch er seine Lage eingeschätzt hatte. Kein Polizeifahrzeug war zu sehen und ein Revier war hier schon gar nicht. Der Fremde schob Alex direkt auf einen dunkelblauen Lieferwagen zu, der dort zwischen anderen Fahrzeugen geparkt war – direkt auf die Hecktür dieses dunkelblauen Lieferwagens zu.

Die Beifahrertür öffnete sich und ein zweiter Mann kam heraus, der zwar kurze Haare hatte, aber eine ähnlich wuchtige Statur und augenscheinlich dieselbe Lederjacke wie Alex' Häscher. „Auf dich ist Verlass“, sagte er zu dem Langhaar-Typen, der zustimmend grunzte, und öffnete vor ihm und Alex die Hecktür.

Alex blieb gerade noch die Zeit um Scheiße zu denken, dann wurde er hineingestoßen. Mit Händen und Füßen wollte er sich wehren. Aber es dauerte nur Sekunden, bis die Tür geschlossen und von außen verriegelt war. Und Alex war von einer vollkommenen Dunkelheit umgeben.

Er hämmerte und trat von innen gegen die Hecktür, schrie um Hilfe, aber es nutzte alles nichts. Eine Fahrzeugtür wurde zugeschlagen und noch eine und dann setzte sich der Lieferwagen in Bewegung. Alex gab auf. Er kauerte sich auf den kalten Boden, lehnte den Rücken gegen die Seitenwand und ergab sich seinem Schicksal. Eine Entführung am helllichten Tag. Mitten auf dem Weihnachtsmarkt. Es graute ihn bei der Vorstellung, wie oft das vorher wohl schon passiert war und wie viele Straßenkinder dann einfach nicht mehr aufgetaucht waren. Niemand würde ihn vermissen. Alex war ja schon seit einem halben Jahr ausgebüxt und auch in dieser Zeit hatte niemand nach ihm gesucht. Sein Vater war wahrscheinlich froh, dass der Störfaktor endlich aus dem Haus war, um in Ruhe saufen zu können. Und sonst? Der eine oder andere Lehrer machte sich vielleicht seine Gedanken. Alex war gut in der Schule gewesen, als er noch hinging. Doch dort dachte man wohl auch, dass alles seine Richtigkeit hatte. Er versuchte sich die Kurven zu merken, die der Wagen fuhr. Wer wusste es schon? Vielleicht würde er das Wissen noch gebrauchen. Aber schon bald gab er auf. Es kam ihm vor, als ob der Wagen immer um den Kreis fuhr. Scheiß drauf. Er schlang seine Arme um die Knie, ließ den Kopf hängen und wartete.

Nicht einmal die Zeit, wie lange sie unterwegs waren, konnte er auch nur annähernd einschätzen. In Todesangst und Dunkelheit war das so eine Sache. Vielleicht waren es zwei Stunden, vielleicht auch nur zwanzig Minuten. Dann spürte er, dass der Wagen eine enge Kurve fuhr und sein Magen grummelte, als es langsam eine steile … Rampe … hinunterging. Noch eine enge, langsame Linkskurve. Dann nicht einmal mehr in Schrittgeschwindigkeit rechts und der Wagen blieb stehen. Türen schlugen. Einmal mehr tastete Alex nach etwas, das er als Waffe benutzen konnte, fand aber nichts. Statt in Angriffsstellung zu gehen, zwang ihn ein Reflex, sich geduckt in die hinterste Ecke zu verkriechen, als der Schlüssel im Schloss gedreht wurde und sich die Hecktür öffnete.

„Komm.“ Es war die zweite Person – der mit den kurzen Haaren -, dessen Gestalt sich vor einem halbdunklen Hintergrund abzeichnete.

Alex regte sich nicht.

„Oder soll ich wieder meinen Kumpel holen?“ Etwas humorvolles, freundschaftliches lag in der Stimme, was Alex dazu bewegte, sich langsam aufzuraffen und mit aller Vorsicht auf den Fremden zuzugehen.

„Na siehst du?“, sagte er und zeigte tatsächlich ein Lächeln, das menschlich war.

Es war eine Tiefgarage, in der sie sich befanden, aber sie war klein und der Lieferwagen war das einzige Fahrzeug. Alex versuchte einen Blick auf das Nummernschild zu erhaschen, aber der Mann legte einen Arm um seine Schulter und drehte ihn weg zu einer Tür, noch bevor es Alex gelingen konnte.

„Wo...“, er schluckte. Denn seine Stimme funktionierte nicht richtig. „Wo bin ich hier?“

„Alles zu seiner Zeit. Ich heiße Jan. Und wie heißt du?“

„Alex“, antwortete er, noch bevor ihm einfiel, dass die Wahrheit vielleicht keine so gute Idee war.

„Dann komm mal mit mir, Alex. Und ich muss mich für Arthur entschuldigen. Er ist manchmal ein bisschen grob. Aber eigentlich ist er ein netter Kerl.“

Der Langhaar-Typ hieß also Arthur. Hinter der Tür führte eine Treppe hoch und mündete in einen minzgrün gestrichenen Flur mit Türen auf beiden Seiten. „Nimmst du irgendwelche Drogen, Alex?“

„Nein.“

„Das ist gut. Du brauchst nämlich bald einen klaren Verstand.“

„Wieso?“, hakte Alex nach und schaffte es dabei kaum, seine Stimme so gelassen klingen zu lassen, wie er es gerne gemocht hätte.

Jan machte eine wegwerfende Handbewegung. „Erfährst du alles später.“ Er öffnete eine Tür auf der linken Seite des Flurs und führte ihn in einen Raum. Alex staunte. Es war wie ein Hotelzimmer, wenn auch spartanisch eingerichtet. Ein frisch gemachtes Bett mit Nachttisch, ein Wandschrank und ein unbequem wirkender Holzstuhl. Und links davon ging eine Tür ab, von der er hoffte, dass sich dahinter ein Badezimmer befand. Sein Blick ging zum Fenster. Milchglas. Am Rahmen entdeckte er keine Mechanik, mit der man es hätte öffnen können.

Jan folgte seinem Blick. „Mach dir nicht die Mühe es einzuschlagen. Es wird dir nicht gelingen.“

Alex senkte ertappt den Kopf und Jan kniff ihm aufmunternd in die Schulter. „Du nimmst jetzt erst einmal eine Dusche und ziehst dir etwas Frisches an. Im Schrank wirst du fündig werden. Danach bring ich dich zum Chef. Er ist schon ganz versessen darauf, dich kennenzulernen. Und anschließend kannst du dir immer noch Gedanken machen, ob du wirklich in einer so schlechten Situation bist. Gut?“

Alex nickte. Das überforderte ihn alles.

„Bis später.“ Mit angedeutetem Gruß verließ Jan das Zimmer, zog die Tür hinter sich zu und Alex erschauderte, als er hörte, wie er eingeschlossen wurde.

Der Chef wollte ihn kennenlernen? Wo war er denn da nur hineingeraten? Hier stimmte etwas nicht. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht. All seine Sinne schrieen Alex an, dass es ihm an den Kragen ginge, wenn er hier nicht schnellstens wegkam. Nur – was sollte er tun? Zum Test klopfte er gegen die Scheiben. Das dumpfe Pochen, das er dabei erzeugte, vermittelte den Eindruck dass sie wirklich nicht leicht zu zerstören waren. Auch die Tür erwies sich bei seinem Klopftest als massiver, als sie aussah. Er setzte sich auf die Bettkante und ganz instinktiv ging seine Hand in die linke Innentasche seines Parkas.

Er zog das Foto heraus, das er seit einem halben Jahr immer in der Nähe seines Herzens trug und betrachtete es. Von Tag zu Tag war es zerknitterter, versiffter und abgegriffener geworden. Aber das machte nichts. Es zeigte ihn und seine Mutter. Alex war darauf vielleicht fünf oder sechs Jahre alt und sie eine junge, attraktive Frau die von ihrem bevorstehenden Krebsleiden noch nichts ahnte. Die blonden Haare beider wirbelten im Wind, denn es war an diesem Frühherbsttag stürmisch gewesen in den Weinbergen über den Vorstädten. Das Foto war Alex' Talisman. Es war das einzige Erinnerungsstück, das er bei seiner Flucht vor einem der Wutausbrüche seines Vaters eingesteckt hatte, bevor er türmte. In seinen wenigen guten Momenten hatte er es immer gerne betrachtet, um sie mit seiner Mutter zu teilen. Doch vor allem in den schlimmen und furchtbaren Zeiten war es das Lachen seiner Mutter, das ihm die Kraft gab, weiterzuleben.

Behutsam steckte er das Foto wieder ein, nachdem es ihm wieder etwas besser ging. Dann tat er das, was Jan ihm aufgetragen hatte. Er legte seine vor Dreck starrende Kleidung ab und ging ins Badezimmer. Es war ein Traum im Alptraum, als das warme Wasser über seinen ausgekühlten Körper regnete und an seiner Haut hinabperlte, ehe es schmutzig-braun in den Abfluss gurgelte. Wie ein Kokon hüllte ihn eine wohlige Müdigkeit ein, die sich sanft in seinen Verstand schleichen wollte. Doch Alex ermahnte sich selbst, sich zusammenzureißen. Mit einem Duschbalsam, der nach Lavendel roch, rieb er sich den Dreck von der Haut und wusch sich die Haare aus. Für einen Moment fühlte Alex sich glücklich. Konnte er nicht ewig unter der warmen Dusche stehen?

Natürlich nicht. Natürlich wusste er, dass sein gutes Gefühl trügerisch war. Nicht ohne Wehmut verließ er die Duschkabine, rubbelte sich mit einem blütenweißen Handtuch ab und betrachtete sich dann im Spiegel. Es war ein richtiger Mensch, den er da betrachtete, und nicht der Gammler, der er schon seit Monaten war. Sein Körper wirkte zwar dünn nach dem ewigen Hunger, aber auf die drahtige Weise von jemandem, der Tag für Tag ums Überleben kämpfte. Die Haare, die ihm mittlerweile bis über die Ohren gewachsen waren, standen federleicht in alle Richtungen von seinem Kopf ab. Alex schenkte sich selbst ein Lächeln. Egal, was jetzt mit ihm geschah. Er würde dabei zumindest sauber sein.

Als zurück ins Hauptzimmer kam, erlebte er den nächsten Schock. Seine Kleidung war weg. Jemand musste hereingekommen sein und sie mitgenommen haben, während er geduscht hatte. Er stieß einen Fluch aus und tappte splitternackt auf den Schrank zu. Die Kälte kitzelte sofort wieder an seinem Körper und überzog seine Brust und seine Waden mit einer Gänsehaut. Am liebsten hätte er sich wieder unter die Dusche verkrochen. Aber das war natürlich Blödsinn. Stattdessen inspizierte er den Schrank und staunte. Erwartet hatte er etwas Einfaches. Gut – er fand auch einen Jogginganzug und ein paar Unterhosen und Socken. Doch hinter der rechten Schranktür fand er Kleidungsstücke, die in Kombination zu einem Herrenanzug werden würden: Eine Bügelfaltenhose, zwei weiße Hemden, eine Anzugweste und ein Jackett. Auf dem Boden des Schrankes entdeckte er schwarze Slipper und ein Paar Pantoffeln.

Nur kurz musste Alex überlegen, bis er sich dafür entschied, dass es für ihn bestimmt besser wäre, dem Chef in einem förmlichen Aufzug gegenüberzutreten als im Jogginganzug, und bediente sich an der Auswahl der rechten Seite. Wenig später war er beim Blick in den Spiegel nicht ganz sicher, ob er lachen oder sich wundern sollte. Der Junge, der ihn aus dem Spiegelbild anblickte, war ein Fremder. Ein nachtblauer, sportlich geschnittener Anzug schmiegte sich elegant an seinen Körper. Und das Seltsamste: Er passte wie angegossen. Alex richtete sich mit den Händen die Haare, warf sich selbst ein Grinsen zu und säuselte: „Schnösel“, zu sich selbst. Dann setzte er sich auf die Bettkante und wartete. Seine Finger sehnten sich nach dem alten Foto mit seiner Mutter, aber das war ihm gemeinsam mit seiner Jacke weggenommen worden.

Es dauerte nicht lange, bis es an die Tür klopfte.

„Ja?“, sagte Alex gerade noch laut genug, dass man ihn auf der anderen Seite hören konnte. Ein Schlüssel wurde gedreht, die Tür ging auf, und Jan musterte ihn von Kopf bis Fuß. Ein Schmunzeln lag auf seinen Lippen.

„Kleider machen tatsächlich Leute“, bescheinigte er Alex, dem es nicht ganz gelang, ein Lächeln zu unterdrücken.

„Bringst du mich jetzt zu deinem Chef?“, fragte er und Jan nickte.

„Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Okay“, sagte Alex und räusperte sich. „Ähm, Jan. Wo habt ihr meine Klamotten hingebracht?“

„Der Chef will, dass sie durchsucht werden. Waffen, Drogen und solche Dinge. Und dann wird sie die Haushälterin waschen.“

„Da ist ein Foto drin. Kann ich das haben?“

„Keine Bange. Du bekommst es bald zurück.“ Können wir jetzt?, sagte seine Körperhaltung.

„Sagst du der Haushälterin, dass sie es vor dem Waschen aus der Jacke nehmen soll?“

„Jaaa.“

Alex presste die Lippen aufeinander und gab nach. Er ließ sich wieder den altbekannten Gang entlang und dieses Mal die Treppe hoch führen. Das leichte Drücken der Schuhe an seinen Füßen erinnerte ihn bei jedem Schritt daran, wie falsch das hier alles war. Einen Stock höher bot sich dasselbe Bild. Ein anonymer Flur, wie er überall in der Welt in jedem Gebäude hätte sein können, mit Türen auf beiden Seiten. Jan führte Alex vor eine Tür, die wie alle anderen auch aussah. „So. Ab hier bist du auf dich alleine gestellt. Viel Glück.“

Alex schaute Jan fragend an und Jan nickte auf die hellbraune Holztür. Alex atmete durch und klopfte zögerlich an.

„Herein!“, erklang eine befehlsgewohnte Stimme von innen. Wie ferngesteuert ging seine Hand zum Türgriff, dann öffnete Alex die Tür.

Der Raum, den er betrat, hatte dieselben Ausmaße des Zimmers, in dem er sich geduscht und umgezogen hatte, und doch wirkte er ganz anders. Düster. Er war in ein warmes Halblicht gehüllt, was wohl an den schweren roten Vorhängen lag, der die Sicht durch die Fenster nach draußen verbargen. Der Raum war edel eingerichtet, mit einem hängenden Teppich an der Wand, der wohl zur Dekoration diente, einem bequemen Sofa und sogar noch einem Sessel; und in der Mitte eine gedeckte Tafel, die einen Duft nach gebratenem Fleisch verströmte. Alex schluckte den Speichel herunter, der sich augenblicklich in seinem Mund sammelte und schaute schüchtern zu dem Mann, der auf einem der beiden Stühle an der Tafel saß.

Was er von dem Herrn halten sollte, der nun eine einladende Geste zum freien Platz machte, wusste Alex nicht so recht. Es war ein kleiner, dicklicher Mann, wohl in den Fünfzigern, dessen übriggebliebenes Haar einen grauschwarzen Kranz um die Glatze bildeten. Der Anzug, den er trug, war bestimmt um ein Vielfaches teurer als der, den Alex anhatte, trotzdem saß er nicht annähernd so gut. All das gab dem fremden Herrn etwas liebenswert-kauziges, doch die überdimensionierte goldene Uhr am Handgelenk ließ ihn auch schmierig wirken.

„Nimm nur Platz, Alex“, rief ihm sein Entführer auf eine herrische Art freundlich zu, als Alex zögerte. Mit jedem Schritt wurde die Verlockung des Essens, das sich auf dem Tisch befand, unerträglicher. Er lächelte schmal, als er sich setzte und sein Gegenüber keine Anstalten machte, ihm die Hand zu reichen.

„Was soll das alles?“, murmelte er. Er versuchte stark zu wirken, scheiterte dabei aber kläglich, und der Fremde schien die Unsicherheit in sich aufzusaugen, wie ein Vampir Blut.

„Um das zu klären sind wir doch hier, mein Freund. Nicht wahr?“ Er wies auf die Schale mit überbackenem Bratenfleisch in der Mitte. „Greif ruhig zu. Du wirst hungrig sein.“

Einen Herzschlag lang konnte Alex noch seine Selbstbeherrschung aufrechterhalten, aber wenn es etwas gab, das schon immer, seit er auf der Straße lebte, seine Achillesferse gewesen war, so war das der Hunger. Er bediente sich und erst, nachdem er die ersten Happen genommen hatte und sein Schlingen dem Entführer ein selbstgefälliges Grinsen ins Gesicht ritzte, befahl er sich Einhalt.

Er versuchte es ein weiteres Mal, selbstbewusst zu wirken. „Also? Warum bin ich hier, Herr... ähm...“

Er hielt dem – zugegebenermaßen freundlichen - Blickkontakt seines Gegenübers stand, als er nicht weiterredete und stattdessen darauf wartete, dass sich der Andere vorstellte. Aber dieser winkte nur ab: „Glaub mir, es ist gesünder für dich, wenn du nicht weißt, wie ich wirklich heiße. Nenne mich einfach Herr Iblis. Das ist doch ein schöner Name. Oder?“

Eher komisch als schön, dachte sich Alex, aber natürlich sprach er das nicht aus. Er nickte, schnitt sich ein Stück Fleisch ab und achtete peinlichst darauf, nicht gierig zu wirken. Die Neugier, mit der Herr Iblis ihn beim Essen betrachtete, verunsicherte ihn. Doch er tat so, als bekäme er es nicht mit. Schließlich war es der Entführer, der das Schweigen beendete. „Du siehst elegant aus, Alex. Passen dir deine neuen Kleider?“

„Die Schuhe sind eine Nummer zu klein“, sagte Alex, der sich mit jedem Stück Essen, das in seinem Magen landete, etwas stärker fühlte.

„Meine Leute beobachten dich schon seit Tagen“, sagte Herr Iblis, nicht ohne Humor in der Stimme. „Wir mussten deine Größe schätzen; und wenn ich dich so sehe, ist uns das ganz gut gelungen. Solch einen kleinen Fauxpas bitte ich zu entschuldigen.“

Bei dieser Information lief es Alex eiskalt den Rücken herunter. Seine beherrschte Fassade brach in sich zusammen, als ihm mit vollem Mund die Kinnlade herunterklappte und Herrn Iblis anstarrte. „Sie haben mich bespitzelt?“

„Ja. Du bist interessant, Alex. Du bist wirklich interessant. Wir beide könnten einander helfen.“

„Sie … Sie spionieren mir hinterher, entführen mich … und dann soll ich Ihnen helfen?“

Falls Herrn Iblis Alex' jämmerliche Version eines Temperamentausbruchs beeindruckte, ließ er sich das nicht anmerken. Im Gegenteil. Es schien ihn zu amüsieren. „Entführen? Du hast keinen festen Wohnsitz, übernachtest bei Minusgraden im Freien und hast nicht einmal genug zum Essen. Wenn das hier eine Entführung sein soll, dann möchte wohl jeder entführt werden.“ Mit dem Kopf wies er auf das Essen, das Alex in sich hineinschaufelte. „Wir können einander helfen, Meisterdieb“, knüpfte er an.

„Ich...“, wollte Alex sich rechtfertigen, aber Herr Iblis machte eine abschneidende Geste.

„Du brauchtest etwas zum Überleben. Ich weiß das. Betteln ist nicht ergiebig und deine Ausflüge in den Schlosspark? Braucht man auch nicht jeden Abend. Oder?“

Alex wurde heiß und kalt, während Herr Iblis feist griente. Ihm wurde schlecht. Sein dunkelstes Geheimnis; dass er sich manchmal, wenn es gar nicht mehr anders ging, nachts im Schlosspark von notgeilen Säcken für ein paar Euro missbrauchen ließ. Ausgerechnet dieser Mistkerl und seine Spitzel wussten davon.

Gemeinsam mit dem Zorn wollten sich nun auch die Tränen ihren Weg nach draußen bahnen. Herr Iblis konnte das genau in Alex' Gesicht lesen. Und er genoss es. Seine Stimme wurde väterlich. „Bald können all diese Zeiten vorbei sein, Alex. Du musst mir nur zuhören.“

„Gut“, hauchte Alex.

„Es gibt da etwas, das ich will. Etwas, das ich unbedingt brauche.“ Es entstand eine Pause, in der Herr Iblis Alex genauestens im Auge behielt. „Und du – genau du - bist der richtige Mann dafür.“

„Wieso ausgerechnet ich?“, fragte Alex und Herr Iblis faltete die Hände vor seiner Brust.

„Es gibt da vielerlei Gründe. Du bist klug und gewitzt, haben mir meine Mitarbeiter berichtet. Du hast nichts zu verlieren und es gibt etwas, das ich dir bieten kann. Neben Geld natürlich – ich biete dir nicht zuletzt 5000 Euro für einen kleinen Dienst. Aber das ist nicht alles.“

Alex schwieg, was Herr Iblis als Neugierde auffasste. „Rache“, sagte der Mann schließlich.

„Mir ist nicht der Sinn nach Rache“, entgegnete Alex.

„Hör mich doch erst einmal an und entscheide dann.“ Herr Iblis nahm Alex' Teller und machte in aller Seelenruhe einen Nachschlag darauf.

Alex gab sein Bestes, um sich seine Freude darüber nicht anmerken zu lassen. „Ich höre.“

„Also. Es gibt da einen Gegenstand, den ich haben möchte.“ So weit waren wir schon, dachte Alex, schwieg aber und hörte weiter zu. „Es ist ein Ring. Nicht besonders wertvoll, aber er hat einen hohen – sagen wir ideellen Stellenwert für mich.“ Ruhig hob Herr Iblis eine Aktenmappe vom Boden auf und holte ein paar Fotos heraus. Das erste zeigte etwas verpixelt einen goldenen Ring an einem Finger in Großaufnahme – anscheinend heimlich aus einiger Entfernung herangezoomt. Im Siegel war etwas eingraviert, das wie ein Drache aus dem asiatischen Kulturkreis anmutete: Ein gewundener, schlangenartiger Körper, angeknickte Flügel und der langgezogenen Kopf eines Raubtiers. „Präge ihn dir gut ein. Dieser Ring ist es, den ich von dir will. Und nur dieser.“

„Soll ich irgendwo einbrechen?“, fragte Alex mit belegter Stimme und Herr Iblis hob beruhigend die Hand.

„Nein. Das würde ich doch niemals von dir verlangen.“ Er zeigte Alex das nächste Bild, das einen Mann zeigte, den er auf etwas über 60 schätzte. Im schmalen Gesicht trug er einen grauen, gepflegten Bart, auf der Nase eine Designerbrille, und alles in allem konnte man erahnen, dass dieser Herr wohlhabend war. „Das ist Francis Lefevre, der im Besitz des Ringes ist. Ein viel hinterhältigerer Dieb als du, Alex.“

„Und...“

„Und du sollst ihm diesen Ring abknöpfen. Wir haben einen Vorteil. Francis Lefavre hat eine Vorliebe für junge Männer. Für sehr junge Männer. Und er gehört zu der Sorte Menschen, die glauben, für ein paar Groschen können sie sich alles erlauben.“ Er zwinkerte. „Vielleicht seid ihr euch ja schon im Schlosspark begegnet. Er ist öfter in der Stadt.“

Alex konnte sich zwar nicht erinnern, aber dafür schlug dieses widerwärtige Gefühl der Ohnmacht voll zu, das sich jedes Mal wie Scheiße an seinen Körper klebte, wenn er im Gebüsch des Schlossparks seine Würde verhökerte.

„Er ist mir noch nicht begegnet“, murmelte er nur. Mehr fiel ihm nicht ein und Herr Iblis tat so, als ob er die Antwort gar nicht gehört hätte.

„Ab morgen ist Francis Lefavre im Residenz-Hotel. Er erwartet, dass er zur nächtlichen Unterhaltung einen reizenden Jungen bekommt. Und den Gefallen wollen wir ihm tun.“

„Ich weiß nicht“, zauderte Alex.

Herr Iblis griff wieder in die Aktenmappe, kramte dieses Mal länger und holte schließlich eine durchsichtiges ZIP-Beutelchen heraus. Darin waren ein oder zwei Gramm eines weißen Pulvers. „Das ist ein Schlafmittel. Misch ihm das unter und er wacht während der nächsten Stunden garantiert nicht mehr auf. Dann kannst du ihm den Ring abnehmen; denn er trägt ihn immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit, am Finger, und dich danach ohne Gefahr aus dem Staub machen.“

Alex studierte nachdenklich seine eigenen Fingerkuppen. „Und wenn ich das nicht will?“

„Wir sind schon im Geschäft, Alex“, sagte Herr Iblis. „Lass dich nicht täuschen. Ich bin zwar ein großzügiger, aber auch ein mächtiger Mensch. Und ich kann dich jagen lassen. Es gibt Leute, die sind ganz froh darum, wenn ein diebischer Gossenjunge weniger am Leben ist. Möchtest du noch etwas zu trinken?“

Alex schüttelte den Kopf.

„Und?“

Er ließ die Morddrohung wie ein Kloß durch den Hals in den Magen sacken. „Was bleibt mir anderes übrig?“ Er sammelte all seinen Mut für den nächsten Satz. „Aber ich will 10.000.“

Mit seiner leisen, belegten Stimme war der Verhandlungsversuch mehr als kläglich ausgefallen, das musste Alex sich eingestehen. Doch Herr Iblis lachte und reichte ihm über den Tisch die Hand. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Du bringst mir den Ring und ich gebe dir 10.000 Euro. Und ich kann dann auch einige Rädchen für dich in Bewegung setzen. Versprochen.“ Lange schauten sie sich in die Augen. Dann meinte Herr Iblis: „Noch Fragen?“

Tausend Fragen hätte Alex gehabt. Aber keine einzige fiel ihm ein. Daraufhin nickte der kleine Mann. „Gut. Dann lasse ich dich auf dein Zimmer bringen.“

Sekunden später betrat Jan den Raum, um Alex zurückzubringen. Die meiste Zeit des kurzen Weges redete Alex nicht. Sein Schädel brummte nach dem, was alles passiert war. Erst, als die Tür zu seinem Zimmer schon offen stand und er den ersten Schritt hineingetan hatte, fragte er: „Jan? Ist Herr Iblis eigentlich gefährlich?“

„Nicht, wenn man ihn zum Freund hat. Und jetzt ruh' dich aus.“

Die Tür schloss sich hinter Alex und der Schlüssel klackte im Schloss.

Ausruhen. Wie sollte er das nur können? Er wäre lieber wieder draußen gewesen. Zwar hungrig und in der Kälte, aber immer noch besser, als hier eingesperrt zu sein bei diesen Typen. Rastlos tigerte er im Jogginganzug in dem kleinen Raum umher wie ein Fluchttier im Käfig. Was vermisste er in diesen Augenblicken das Bild von sich und seiner Mutter. Er wollte sie anschauen und das Lachen sehen, das immer dasselbe war, und ihr sagen, in was er da hineingeraten war. Doch damit musste er wohl leben. Er schaute unter das Bett, ob er dort vielleicht etwas finden würde – was auch immer - , hob sogar die Matratze hoch, inspizierte die Schubladen im Badezimmer und widmete sich schließlich dem Fund, den er in einer der Nachttischschubladen gemacht hatte. Drei Bücher waren darin. Er entschied sich für 'Wem die Stunde schlägt' von Ernest Hemingway. Das klang ihm passend. Wie lange er schon kein Buch mehr in der Hand gehalten hatte, überlegte er sich, als er sich aufs Bett legte und zu lesen begann.


Es war beinahe lächerlich, wie Alex gerade einmal etwas mehr als 24 Stunden in der Isolation verrückt machten. Zwischendurch ließ sich Jan blicken, um ihn mit Mahlzeiten zu versorgen, aber die meiste Zeit war er mit seinen Ängsten alleine. Und mit seinen Grübeleien. Natürlich war die Aussicht auf 10.000 Euro verführerisch. Aber je länger er darüber nachdachte, umso mehr stutzte er, wie gleichgültig Herr Iblis auf seine Forderung eingegangen war. Dass er das Geld wirklich bekäme, würde Alex erst glauben, wenn er es in der Hand hielt. Wichtiger war ihm erst einmal, gesund aus seiner Lage herauszukommen. Und dann war da noch eine andere große Unbekannte: Francis Lefavre. Würde der sich so einfach einschläfern und bestehlen lassen? Gut. Eine Anzeige hatte Alex wohl eher nicht zu befürchten, wenn der Plan so aufging, wie Herr Iblis sich das vorstellte. Nicht mehr und nicht weniger als Prostitution mit einem Minderjährigen war das. Aber wie mächtig und wie skrupellos war wohl dieser Herr Lefavre?

Alex braucht lange, um einzuschlafen. Bis nach vier Uhr lag er wach, dafür schlief er bis nach elf Uhr am Morgen. Doch er verpasste auch nichts. Um zwölf Uhr bekam er sein Mittagessen, fragte zum tausendsten Mal nach dem entwendeten Foto und bekam zum tausendsten Mal dieselbe Antwort, und dann ging der Müßiggang weiter. Erst um 18 Uhr ließ sich Jan wieder blicken, um das Abendessen zu bringen.

„In einer Stunde beginnt dein Einsatz. Schau, dass du bis dahin fertig bist. Okay?“

„Okay.“

Jan schmunzelte und klopfte Alex auf die Schulter. „Und mach dir keinen Kopf. Du wirst das schon schaffen. Und danach bekommst du auch wieder deine frisch gewaschenen Kleider. Und dein Foto, mit dem du immer so nervst.“

Alex rang sich ein verzweifeltes Lächeln auf die Lippen.


Als sich um 19 Uhr der Schlüssel drehte, stand Alex im Anzug parat. Einerseits hatte er die Hosen gestrichen voll, aber andererseits war es auch eine Erleichterung, aus der Gefangenschaft herauszukommen. Jan und Arthur waren gemeinsam gekommen, um ihn abzuholen. „Nobel, nobel“, sagte Jan, während Alex der ironische Blick in Arthurs Gesicht nicht entging. Wortlos folgte er. Natürlich wieder hinunter in den Lieferwagen. Alex war ganz froh darum, dass Arthur zum Fahrersitz ging, während Jan mit ihm hinten einstieg. Und dieses Mal gab es sogar Licht, wenn auch nur eine dunkle Funzel.

Alex zog es vor zu schweigen und zuzuhören, während Jan ihn einschwor. „Wenn du im Hotel bist und an der Rezeption vorbeigehst, dann tu so, als ob du zu den Gästen gehören würdest. So wirst du nicht auffallen. Geh zum Fahrstuhl, zwölfter Stock, und dort Zimmer 1216. Anklopfen. Klopfzeichen:“ Er hämmerte ein Tak – TakTak – Tak – Tak an die Seitenwand. „Mach's nach.“

Tak – TakTak – Tak – Tak, klopfte Alex, und Jan brummte zufrieden.

„Und hier ist deine Geheimwaffe.“ Jan holte das Beutelchen mit dem weißen Pulver heraus, das Alex schon bei Herrn Iblis gesehen hatte und übergab es ihm. „Misch ihm das unter. Je früher, desto besser.“ Er grinste. „Außer natürlich, du hast mit dem alten Herrn noch was anderes vor.“ Am liebsten hätte Alex ihm ins Gesicht geschlagen. Aber er blieb ruhig und steckte das Tütchen ein. „Und wenn du alles erledigt hast, lässt du den Sack schlafen und kommst heraus. Und du weißt ja. Unauffällig benehmen. Treffpunkt ist dein Absetzpunkt. Aber denk dran. Arthur und ich werden das Hotel im Auge behalten.“

„Okay.“

„Und ich hab noch einen guten Ratschlag für dich, Alex.“ Alex schaute Jan fragend an. „Wage es nicht, den Chef zu verarschen. Das würde für uns alle unangenehm werden.“ Jan schob seine offene Jacke ein Stück zurück, und im Schattenlicht konnte Alex den Griff einer Pistole erkennen. Er erschauderte und Jan murrte: „Sind wir uns da einig?“

„Ja.“

Alex verließ zwei Blocks vom Ziel entfernt den Lieferwagen. Langsamen Schrittes ging er auf das Hochhaus mit dem überdimensionierten Schriftzug „Residenz“ durch die Nacht zu. Sein Instinkt warnte ihn vor Verfolgern und seine Panik drängte ihn zu rennen. Aber er durfte nicht auffällig sein. Er senkte den Kopf, um sich unsichtbarer zu fühlen, und beschleunigte seinen Schritt nur marginal. Er wollte dort nicht hin. Er wollte wieder durch die Stadt lungern mit der größten Sorge, wo er das nächste Mal etwas zu Essen aufgabeln sollte.

Aber es half alles nichts. Schon drei Minuten später ging er die Stufen zum Eingangsportal hoch, das ihn gleich darauf wie ein warm erleuchtetes Maul verschluckte. Jetzt hieß es, ein guter Schauspieler zu sein. Er lächelte der jungen Dame an der Rezeption zu und er tat es wohl gut. Denn sie lächelte zurück, ehe sie sich wieder einem Gast mit Rollkoffer zuwandte. Zügig, aber nicht hektisch steuerte er auf die Fahrstühle zu. Viel zu schnell öffnete sich eine Kabinentür, nachdem er den Knopf gedrückt hatte. Zumindest hatte Alex das Glück, die Kabine für sich alleine zu haben. Während der Aufzug ihn gnadenlos hoch führte, betrachtete er sich in der Spiegelwand. Alles ganz okay. Ein adretter Junge in mondäner Kleidung, die dem Hotel angemessen war. Er übte zu lächeln. Schüchtern. Einnehmend. Seine Hand tastete in die Hosentasche und erfühlte das beruhigende Plastik des Beutels mit dem Schlafpulver.

„Keine große Sache“, flüsterte er zu sich selbst. Aber als sich die Fahrstuhltür im zwölften Stock öffnete, raste sein Puls. Er betrat den Flur und ging ihn immer weiter entlang, um ein Verbrechen zu begehen. 1210 … 1212 … 1214 … 1216. Er holte Luft, strich sich die Haare glatt, hob die Hand und atmete durch. Klopfzeichen. Tak – TakTak – Tak – Tak.

„Ja, Bitte?“, rief es von innen und schon das brachte Alex beinahe aus der Fassung. Der Kerl musste doch wissen, wer das war bei dem Klopfzeichen - wenn alles so war, wie Herr Iblis und Jan es ihm gesagt hatten. Er wollte losrennen. In den Fahrstuhl, runter, durch die Lobby und hinaus auf die Straße. In die Verstecke der Stadt. Aber er besann sich.

„Zimmerservice“, säuselte er mokant und von innen waren Schritte zu hören. Die Tür öffnete sich. Und obwohl er darauf vorbereitet war, war das trotzdem ein kleiner Schockmoment, als er sich dem Mann, den er schon vom Foto kannte, gegenübersah. In seidenem Morgenmantel, als ob er es gar nicht erwarten könnte. „Schickt ... dich …?“, sagte Francis Lefavre zögerlich. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte in seinen Augen eine verräterische Begierde auf.

„Ja. Ich bin Alex.“ Mit einer vorgegaukelten Ruhe, die er ganz und gar nicht empfand, trat Alex ein. Er zuckte zusammen, als er die Hand auf seinem Hintern fühlte.

„Und ich bin Francis. Keine Angst, Süßer. Du bist hier willkommen.“

Daran habe ich keine Zweifel, dachte Alex bitter. Scheu ließ er sich zur Bettkante geleiten, und Herr Lefavre schien die Unsicherheit seines jungen Gastes zu genießen. Er zog sich einen gepolsterten Stuhl heran und setzte sich Alex gegenüber. Ein Moment des gegenseitigen Abschätzens. Francis Lefavre tat das mit Genugtuung, während Alex sich mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr unwohl fühlte. Lefavre war dünn und groß; fast einen Kopf größer als Alex. Er fragte sich, ob es ihm gelänge, den Mann im Notfall zu überwältigen und wusste es nicht. Gewalt kannte er bisher nur von seinem Vater – und da war er immer das Opfer gewesen.

Der Moment zog sich in eine Ewigkeit, dann beugte sich Francis nach vorne und streichelte Alex über seinen Oberschenkel. „Darf ich dich auf etwas zu Trinken einladen?“ Fast wäre Alex die Antwort im Halse stecken geblieben. Denn am Ringfinger der Hand auf seinem Bein sah er das Objekt der Begierde. Den Ring mit dem Drachen. So nah. Und doch so unerreichbar.

„Ja. Ähm. Gerne.“

Francis lachte leise. „Du darfst dich gerne etwas entspannen.“

Leichter gesagt als getan. Alex war sich zwar darüber bewusst, dass ihn Männer mehr reizten als Frauen; aber doch nicht auf diese Art und Weise. Er hörte seinen Herzschlag im Ohr hämmern, während sein Gastgeber mit geschmeidigen Schritten zu einem holzverkleideten Schränkchen ging, das sich als Minibar erwies, eine Flasche Sekt herausholte und in zwei Sektgläser eingoss. Dann setzte er sich neben Alex auf die Bettkante, nah genug, dass Alex ein fruchtig-herbes Aftershave riechen konnte, dessen Aroma er unter anderen Umständen als angenehm empfunden hätte. Sie stießen an. Alex nahm einen Schluck, der gemessen an der Situation wohl zu tief war, aber den er zur Beruhigung auch brauchte. Francis nippte nur. Seine freie Hand tastete sich an Alex' Schritt. Alex war danach zu schreien. Doch stattdessen tat er dasselbe bei Francis und fühlte, wie sich unter dem Stoff des Morgenmantels etwas regte.

Das einzige Glück, das Alex vergönnt war, war, dass der Sekt schnell in seinen Kopf stieg. Alex war Alkohol nicht gewöhnt. Der Zugang als mittelloser Minderjähriger war schwer genug und er wusste auch, dass ihm die Trinkerei – so verlockend sie manchmal auch war – die letzte Aussicht auf ein geordnetes Leben verbauen würde. Nun wurde sein Verstand schon nach dem ersten Glas leicht benebelt und er redete sich zumindest ein, dass damit alles erträglicher war, als Francis ihm an die Wäsche ging, um sich an Alex zu vergehen.

Wahrscheinlich hielt Francis sich sogar für behutsam. Aus seiner Sicht ging er rücksichtsvoll mit Alex um. Trotzdem wusste Alex jetzt schon, dass diese Nacht Narben auf seiner Seele hinterlassen würde, die ihn ein Leben lang begleiteten. Wie zum Hohn streichelte und kratzte der Ring an Francis' Finger dabei unentwegt über seine Haut. Alex ließ alles über sich ergehen. Er wartete auf eine Möglichkeit, in der er das Schlafpulver zum Einsatz bringen konnte, aber so einfach, wie Herr Iblis und Jan ihm das schmackhaft gemacht hatten, war es dann doch nicht. Lichtjahre weit weg hing die Hose mit dem Pülverchen über einem der Stühle, während Francis unentwegt mit seinem sehnigen Körper an Alex zugange war.

Er fühlte sich einem Zusammenbruch nah, als Francis vorerst mit ihm fertig war. Doch durfte er sich das nicht anmerken lassen. „Hat es dir gefallen?“, fragte Francis und streichelte Alex über die Brust.

„Ja.“

Francis lachte. „Ich brauche jetzt einen Scotch. Du auch?“

„Lieber nicht“, antwortete Alex und lächelte vorsichtig.

„Wie du willst.“

Unter Alex' wachsamen Augen schenkte sich Francis einen Whisky ein, den er wohl selbst mitgebracht hatte und hielt ihm dann das Glas, das nach Alex' Ermessen viel zu voll war, entgegen. „Wirklich nicht?“

Ich bin minderjährig, verdammt, hätte Alex dem nackten, erigierten Mann am liebsten ins Gesicht geschrien. Doch er schüttelte nur brav mit dem Kopf.

„Sag nicht, ich hätte dir nichts angeboten, Süßer.“

Als Francis wieder zu Alex auf die Matratze kam, tat dieser so, als wolle er ihm Platz machen. In Wirklichkeit wollte Alex den Abstand zwischen ihnen vergrößern, aber er scheiterte. Francis rückte auf und Alex verbarg so gut er konnte, wie ihn der Körperkontakt anekelte. Halb saßen, halb lagen sie nebeneinander auf dem Bett und berührten sich an den Armen und den Beinen. Der Whiskygeruch, der Alex in der Nase kitzelte, vermischte sich mit Francis' Aftershave und dem Geschmack von frischem Schweiß. Francis strich mit den Zehen über Alex' Fußrücken. „Ich habe dich noch nie gesehen. Machst du den Job schon länger?“

„Nur in Ausnahmefällen“, sagte Alex. „Aber lass uns nicht über mich reden. Du scheinst ein erfolgreicher Mann zu sein.“

Volltreffer. Francis räkelte sich geschmeichelt wie ein kleines Kind. „Erfolg ist natürlich eine Auslegungssache, Süßer. Aber ich kann schon von mir behaupten, dass ich es weit im Leben gebracht habe.“

„Oh. Ehrlich?“ Alex schaute Francis mit großen Kulleraugen an, um ihn am Reden zu halten. Zwar auch aus Interesse, aber hauptsächlich, um ihn vom Grapschen und Schlimmerem abzuhalten.

Und es wirkte. Zufrieden nahm Francis einen weiteren Schluck. „Ja. Du kannst mir glauben – als ich mich in jungen Jahren dafür entschied, Archäologie zu studieren, hätte mir mein Vater beinahe den Kopf abgemacht. Aber nicht mehr heute.“ Er schaute melancholisch in sein Glas. „Heute werde ich geachtet. Ich bin reich und weit gereist.“

Als ob er die bösen Erinnerungen an seine eigenen jungen Jahre herunterspülen wollte, trank Francis noch einen Schluck. Alex staunte nicht schlecht, als er sah, dass Francis das gut gefüllte Glas mit nur drei Schlucken geleert hatte.

„Darauf wette ich“, sagte er und versuchte, seine Augen zum leuchten zu bringen. „Als Archäologe kommt man bestimmt viel herum. Ach. Ich möchte auch gerne Archäologe werden.“

War das zu viel Pathos? Zumindest ließ sich Francis anstecken. „Einen Schatz wie dich würde ich überallhin mitnehmen. Ich kenne die Welt sehr gut. Ägypten. Die Anden mit ihren Inka-Schätzen. Sogar Australien. Aber am meisten begeistert mich der Orient.“

„Samarkand“, murmelte Alex und spielte den Ergriffenen. „Tausendundeine Nacht.“

„Da könnte ich dir mehr erzählen, als du dir erträumst.“

Hatte Alex da bei Francis eine vom Scotch schwere Zunge gehört? Er glaubte schon. Und hatte eine Idee. „Wir haben die ganze Nacht Zeit, Francis. Ich glaube, ich möchte nun doch einen Scotch mit dir trinken.“

„Gerne, gerne.“ Er warf Alex einen schelmischen Blick zu, als er sich vom Bett erhob. „Lauf mir nicht weg.“

„Wie könnte ich.“

Es war eine Doppelstrategie, die Alex nun fuhr. Irgendwann würde dieser schmierige Typ bestimmt auf die Toilette müssen, wenn er weiter trank. Und dann böte sich vielleicht eine Chance für das Schlafpulver. Oder – wenn das nicht ginge, würde Francis hoffentlich schlapp machen, wenn Alex ihn abgefüllt hatte. Es gab da nur ein Problem. Alex vertrug wahrscheinlich noch weniger Alkohol als Francis. Und so fühlte er sich, nachdem die ersten Schlucke vom Magen in den Geist gegangen waren, beschwingt. Er lauschte den Geschichten über Ausgrabungen in Kasachstan, China und Arabien und fühlte sich von Francis' Stimme tatsächlich in diese ferne Welt mitgenommen, die er bestimmt niemals zu Gesicht bekommen würde; und er stellte Fragen, deren Antworten ihn sogar interessierten. Nach und nach zog der Ring an Francis' Finger Alex wieder in seinen Bann. Und nicht alleine wegen des Auftrags. Er hatte etwas Magisches.

Alex streichelte über Francis' Hand – eine Geste, die er nüchtern niemals von sich aus gemacht hätte, und strich mit einer Fingerkuppe über den Ring. Francis erschrak und zog die Hand zurück.

„Der ist schön“, sagte Alex. „Hast du den auch bei einer der Ausgrabungen gefunden?“

Francis brauchte einen Augenblick, um die Fassung wiederzufinden. Dann spiegelten seine Augen den Beschluss aus, dass er Alex vertraute.

„Ja. Das ist ein bemerkenswertes Fundstück, kann ich dir sagen.“

Inwiefern?, drückte Alex' Augenaufschlag aus, dem Francis immer mehr verfiel, je mehr er trank.

„Wir haben ihn im heutigen China gefunden. Nicht weit entfernt von Kashgar. Tief in einer Höhle der östlichen Pamir-Ausläufer.“

„Das klingt ja spannend.“

„Ja.“ Francis räusperte sich. „Glaubst du an Wunder, Alex?“

Alex glaubte nicht an Wunder. Nicht mehr. Trotzdem zuckte er mit den Schultern.

„Es gibt Menschen...“, Francis lachte verlegen. „Es gibt Menschen, die glauben, dass das ein Zauberring ist.“

Alex runzelte die Stirn. „Ein Zauberring?“

„Ja. Einer, der seinem Besitzer Glück bringen soll.“

„Anscheinend hat er dir Glück gebracht, Francis.“

„Ja. Aber das ist nicht alles. Er soll einen Geist beherbergen“, flüsterte der Archäologe verschwörerisch. Das zweite Glas hatte er schon lange leer, während Alex noch mit dem Ersten kämpfte.

„Oha“, sagte Alex, und es gelang ihm nicht mehr, ernst zu bleiben.

„Lach du nur, du süßes Früchtchen“, raunte Francis, den sich Alex nun vollkommen um den Finger gewickelt hatte. „Du wirst noch mehr lachen, wenn ich dir sage, dass ich es auch schon versucht habe, den Geist zu beschwören.“

„Und?“

Francis schüttelte mit dem Kopf und konnte dabei seine Verbitterung nicht verbergen. „Aber es gibt Menschen, die daran fest glauben. Soll ich dir etwas verraten, Süßer?“ Alex musste gar nicht antworten. Die Worte sprudelten aus Francis nur so heraus. „Man hat sogar schon versucht, mich umzubringen wegen des Rings. Es gibt Menschen, die alles dafür tun würden, um an seinen Besitz zu gelangen. In der Legende ist der Siegelring der Schlüssel zur sagenhaften Öllampe. Und wenn du sie mit dem Ring erweckst, verspricht sie unendlichen Reichtum und beinahe göttliche Macht.“

„Das klingt mir alles sehr nach Aladin und die Wunderlampe“, scherzte Alex und biss sich auf die Zunge. Um nichts in der Welt wollte er Francis verärgern. Aber Francis war zu aufgekratzt, um die Ironie überhaupt zu registrieren.

„Das ist wirklich wie bei Aladin. Und weißt du was, Süßer? Es gibt diese Lampe. Und ich werde sie finden.“ Verklärt schaute er hinauf zur Zimmerdecke und sagte leiser: „Ich werde sie finden.“

„Du glaubst wirklich daran. Oder?“, fragte Alex eher verwundert als neckisch.

„Ich bin nicht der Einzige“, blaffte Francis wie um sich zu rechtfertigen. „Warum sonst hätte man versuchen sollen, mich dafür zu ermorden?“ Er betrachtete mit einer Mischung aus Gier und Missgunst seinen Ring. „Aber sie werden ihn nicht bekommen.“

„Weil der Ring dir Glück bringt“, schlussfolgerte Alex in einem Ton, der Francis wieder beruhigen sollte, was ihm auch gelang.

„Lass uns nicht weiter darüber reden.“

Etwas dämmerte Alex. Was wäre, wenn … Nein, das konnte nicht sein … Aber doch. Was wäre, wenn das weiße Pulver in seiner Tasche Francis nicht nur schlafen ließe. Er wollte es nicht glauben. Nur besaß Herr Iblis die Skrupellosigkeit dafür. Er hatte auch Alex offen mit Mord gedroht. Also noch einmal: Was wäre, wenn Herr Iblis Alex hierher geschickt hatte, um den Ring zu stehlen und Francis zu vergiften? Er ...

„Träumst du, Süßer?“

„Nein. Ich bin nur von der Geschichte fasziniert.“

Francis streichelte über Alex' Schulter. „Du darfst gerne träumen. Dafür sind Fantasien doch da. Ich hoffe nur, ich war nicht zu aufbrausend. So. Ich muss mich mal kurz verabschieden.“

Schwerfällig erhob sich Francis vom Bett und ging mit dem unrunden Schritten eines Angetrunkenen in den Nebenraum. Beide Whiskygläser waren leer, und Alex kam der Gedanke, jetzt gleich die nächste Runden nachzuschenken, und dann das Pulver …

Er tat es nicht. Er ertrug Francis weiterhin, quetschte ihn mit Fragen aus und schwatzte ihm noch ein Glas Scotch auf. Zum Glück war Francis schon zu beschwipst, um zu bemerken, dass Alex' Glas kaum leerer wurde, während er kippte. Trotzdem kam Alex nicht umhin, sich noch einmal benutzen zu lassen. Von einem Besoffenen war das noch ekelhafter als zuvor. Aber immerhin machte Francis frühzeitig schlapp. Der alte Lustmolch brabbelte irgendwelche Entschuldigungen vor sich hin. Alex redete sanftmütig auf ihn ein und bemerkte, wie Francis' Augenlider schwerer wurde. Es musste irgendwann nach Mitternacht gewesen sein, als Francis in Alex' Armen im Licht der Nachttischlampe eingeschlafen war.

Alex betrachtete den Schlafenden mit einem Gefühlschaos aus Wut und Bewunderung, Verachtung, Ekel und Mitleid. Francis begann leise zu röcheln. Vorsichtig nahm Alex seine Hand, wiegte sie in seiner Handfläche und machte sich dann am Ring zu schaffen. Doch der Ring saß fest am Finger. Als er ein bisschen fester zog, seufzte Francis auf und begann sich zu bewegen. Mucksmäuschenstill hielt Alex inne und wartete, bis Francis' Atmen wieder regelmäßig wurde.

So wird das nichts, dachte er sich frustriert. Aber er musste den Ring bekommen. Es ging um sein Überleben. Dann fasste er einen Plan. Er würde sich jetzt anziehen – ganz in Ruhe, denn vielleicht gab ihm das die Zeit für eine bessere Idee – und dann würde er alles auf eine Karte setzten. Francis im Schlaf überwältigen, ihm den Ring vom Finger reißen und dann die Beine in die Hand nehmen und verschwinden.

Aus Diebstahl wird Raub, sagte ihm die Stimme der Vernunft in seinem Kopf.

Und wenn schon. Dann steht Raub gegen sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen. Das würde Francis sich gut überlegen.

Unendlich langsam und genauso leise zog Alex sich an. Sein Blick immer auf Francis gerichtet, der leicht zusammengerollt auf der Seite lag und dabei nackt, wie er war, eine traurige Figur abgab. Alex zog die Schuhe an und sammelte sich.

Mist. Er konnte das nicht. Jede einzelne Faser seines Körpers strebte sich gegen den bevorstehende Angriff. Eine Träne prickelte in seinem Auge. Verzweifelt presste Alex die Augenlider zu und schlug die Hände vors Gesicht. Immer das Ein- und Ausatmen des schlafenden Mannes im Ohr.

Ich zähle bis Drei, dann bring ich es hinter mich, sagte er sich in Gedanken. Eins. Zwei. Er nahm die Hände weg und öffnete die Augen. Dr...

Der Ring lag neben Francis' zur lockeren Faust entspannten Hand auf der Matratze und glitzerte im Licht der Nachttischlampe. Es gruselte Alex. Denn es schien, als schauten ihn die nadelstichkleinen Augen des Drachen auf dem Siegel direkt an. Nur für einen Moment war er erstarrt. Dann beugte er sich über den Schlafenden und nahm dieses Geschenk des Schicksals in seine Obhut.

„Vielen Dank und Entschuldigung“, flüsterte Alex unhörbar, als er schon am Türrahmen stand und einen letzten Blick auf den tief und fest schlafenden Francis warf. „Du Hurensohn.“


Es war nach ein Uhr, als er das Hotel verließ. Noch ein beiläufiger Gruß an den Nachtportier, und dann fühlte sich die kalte Luft an seinem erhitzten und geschändeten Körper nach Freiheit an. Das Gewicht des Rings in seiner Hosentasche fühlte er beruhigend am Oberschenkel. Jetzt musste er ihn nur noch abgeben und dann war diese schreckliche Episode seines Lebens hoffentlich abgeschlossen. Scheiß auf die 10.000 Euro. Alex wollte einfach in sein trauriges Penner-Leben zurück und Herrn Iblis und seine Machenschaften hinter sich lassen. Er holte den Ring noch einmal aus der Tasche um den Quell allen Übels noch ein letztes Mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Scheinbar tat der Drache dasselbe mit ihm - der Drache, für den Menschen, wenn man Francis' Worten Glauben schenken durfte, über Leichen gingen. Alex streichelte über die Seite des Siegels.

„Mal sehen, ob du deinem Ruf gerecht wirst, du hässliches Ding. Bring mir Glück.“ Mit dem guten Gefühl, dem Mistkerl die Meinung gegeigt zu haben, ließ er den Ring mitsamt Siegeldrachen wieder in seine Hosentasche gleiten.

Die Stadt war nun wie ausgestorben. Nur vom Güterbahnhof war das Hin und Her einer Rangierlok zu hören. Doch auf einmal glaubte Alex, einen Schatten huschen zu sehen. Vielleicht nur eine Sinnestäuschung, vielleicht auch Arthur oder Jan, von denen bestimmt einer vor dem Hotel postiert war. Die Frage, ob tatsächlich alles so glatt gehen würde, wie er sich das vorstellte, nagte an ihm bei jedem Schritt. Aber er wollte es darauf anlegen. In fünf Minuten würde er es wissen. Nur noch die Treppen hinunter zur Eisenbahnunterführung, wo die Dunkelheit beinahe stofflich werden würde. Wieder eine flinke Bewegung im Augenwinkel – scheinbar zu geschmeidig für Jan oder gar Arthur. Panik strömte durch Alex' Adern. Sollte er nicht besser über den Zaun klettern und dann über die Gleise gehen? Er verwarf den Gedanken. Bei seinem Glück würde er kurz vor dem Ziel noch von einem Güterzug überrollt werden. Deshalb tippelte er nun doch die Stufen hinunter zur Unterführung. Sein Blick ging hektisch in alle Richtungen und erkannte mit jedem Schritt weniger. Unten angekommen wollte er gerade zum vorsichtigen Laufschritt ansetzen – da prallte etwas – oder jemand - gegen ihn.

Alex wurde unter dem Gewicht des Angreifers mit dem Rücken gegen die Betonwand gedrückt. Sein gewollter Schrei verkümmerte zu einem dumpfen Keuchen, denn im selben Moment wurde eine Hand auf seinen Mund gepresst. Der Angreifer brachte sein Gesicht so nahe an das von Alex, dass Alex dessen Atem am Nasenrücken fühlte. Und trotzdem sah er nicht viel mehr als einen schwarzen Schatten vor einem nicht ganz so schwarzen Hintergrund, aus dem nur das Weiß der Augen heraustrat.

„Bleibst du ruhig?“, flüsterte der Fremde und Alex nuschelte eine Zustimmung in dessen Handfläche.

„Gut.“

Doch sobald er die Hand von Alex' Lippen genommen hatte, krächzte Alex: „Was...“

„Pscht.“ Nun schwand auch das Gewicht, mit dem Alex an die Wand fixiert wurde und Alex sah, wie sich der Schatten vor ihm eilig umsah. „Wir müssen hier weg. Sofort.“

„Gar nichts muss ich“, zischte Alex zurück. „Also, hau ab. Lass mich in Ruhe.“

Der Andere lachte leise. „Hast etwas Wichtiges zu erledigen. Hm?“ Im selben Moment fühlte Alex, wie sich eine Hand in seine Hosentasche schlich, sich um den Ring schloss und ehe er danach greifen konnte, war sie schon wieder unerreichbar.

„Hey! Der gehört mir!“, konnte er nur fauchen.

„Leise! Du bekommst ihn wieder. Ich nehme ihn nur in Verwahrung. Also, los jetzt.“ Er legte Alex seinen Arm um die Schulter und schob ihn auf diese Weise aus der Unterführung heraus und sofort wieder in den nächsten tiefen Schatten der Nacht.

Alex zog es gar nicht in Erwägung, sich zu wehren. Der andere war sowieso etwas größer als er und auch ansonsten hatte er keine Zweifel, dass er körperlich unterlegen war. Und den Ring wollte er schon gar nicht zurücklassen. Also ließ er es über sich ergehen. Die Sträßlein und Gassen, in die Alex verschleppt wurde, wurden immer schmäler und schließlich endete der Weg in einer schäbigen Sackgasse. Sie war zwar unbeleuchtet, aber immerhin tauchte der Halbmond sie in eisiges Schattenlicht.

„Hier“, wisperte der Fremde und wies auf die Motorhaube eines abgestellten Autos, das wirkte, als ob es hier eher zur illegalen Verschrottung als zum Parken hingebracht worden war. Alex setzte sich und der Stoßdämpfer quittierte das mit einem beleidigten Ächzen. Der andere ging vor Alex in die Hocke und betrachtete ihn nachdenklich. Und Alex staunte nicht schlecht, als er zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, seinen neuerlichen Entführer zu studieren.

Wenn er überhaupt älter war als Alex, dann nicht viel. Es war eher ein jugendliches als ein erwachsenes Gesicht, das er da vor sich hatte. Der Junge war zwar schlank, strahlte aber eine Dynamik aus, als ob jede Sehne und jeder Muskel unter Spannung stünde. Nicht nur wegen des Mondlichts tat Alex sich schwer, das feingeschnittene Gesicht seines Gegenübers einzuordnen. Es hatte etwas – Orientalisches – aber das war's dann auch. Nicht richtig arabisch, nicht richtig asiatisch – aber von allem ein bisschen. Und er war aufregend. Alex hätte sich selbst ohrfeigen können für einen solchen Gedanken zu einer solch unpassenden Zeit. Aber es war nun einmal so.

„Schickt dich Herr Iblis?“, fragte er und versuchte so viel Verdruss, wie er konnte in die Worte zu legen. Sein Gegenüber antwortete nicht. Er musterte Alex schweigend weiter, aber ein weiches Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, das Alex genauso fesselte wie frustrierte. Nur eine Antwort bekam er nicht. Deshalb schimpfte Alex: „Diese Aktion hättet ihr euch sparen können. Ich hätte euch den Ring schon von alleine gebracht.“

Der seltsame Junge holte den verfluchten Ring heraus und schaukelte ihn zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger. „Herr Iblis nennt er sich also? Bisschen dreist. Nicht?“, sagte er mit amüsiertem Unterton eher zu dem Ring als zu Alex.

Aber Alex fühlte sich trotzdem angesprochen. „Weißt du, was auch dreist ist?“

Was denn?, fragten die Augen des anderen.

„Dass du mich bestiehlst, verschleppst und dann noch über deine eigenen dummen Sprüche grinst wie ein Idiot! Mir ist es egal, ob es dreist ist, dass sich der alte Sack Herr Iblis nennt oder Herr Schweinchen Schlau oder Herr Leckmichdochamarsch. Ich will jetzt meinen Ring. Ich habe etwas zu tun und da brauche ich so einen Witzbold wie dich nicht dabei. Kapiert?“

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Mit jedem Wort, das Alex gescholten hatte, war das Grinsen im Gesicht des Orientalen breiter geworden und jetzt zeigte es sogar weiße Zähne zwischen den geöffneten Lippen. Dann geschah das, womit Alex zu allerletzt gerechnet hatte. Er gab ihm den Ring zurück. „Krieg dich mal ein. Ist doch sowieso nur Messing.“

Alex brummelte und der andere Junge sagte. „So. Jetzt lass uns gehen.“

Hast du mir denn überhaupt nicht zugehört?, dachte Alex und fragte genervt: „Geht's noch? Du sagst mir nicht einmal wie du heißt und ich soll dir hinterherdackeln und … und am besten noch mit dem Schwanz wedeln?“

„Du hast mich doch noch gar nicht gefragt, wie ich heiße“, stellte der andere fest und Alex pustete durch.

„Also gut. Wie … heißt … du?“

„Dzengis.“

„Okay. Dzengis. Freut mich, dich kennenlernen; oder auch nicht. Ich bin Jochen.“

„Nein, du bist Alex.“

Alex fluchte vor sich hin, während Dzengis sich aufrichtete und ihm mit der Zehenspitze gegen das Schienbein tippte. „Können wir jetzt endlich gehen?“

„Wohin?“

„Dich verstecken.“

„Ich … ich will mich nicht verstecken. Ich will meinen Job erledigen, mir meine Belohnung abholen und dann...“

„Sie werden dich töten“, sagte Dzengis.

„Aha? Und woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es. Und jetzt komm.“ Er zupfte Alex am Ärmel, aber Alex schüttelte ihn ab. Ein Augenkontakt. Dzengis strahlte dabei eine Vertrautheit aus, die es Alex schwer machte, zu widerstehen. Also beschloss er, nachzugeben. Vorerst.

„Na gut“, gab er sich geschlagen.

„Soll ich den Ring wieder an mich nehmen?“

„Nein!!!“

Dzengis lachte.

Am Liebsten hätte Alex Dzengis mit Fragen gelöchert, als sie durch die Straßen schlichen. Aber er tat es nicht. Sie wurden gesucht, davon musste er ausgehen. Und jedes leiseste Wispern konnte der entscheidende Fehler sein. Dabei zerbrach er sich den Kopf, auf welcher Seite Dzengis stand. Auf der von Herrn Iblis? Oder sogar auf der von Francis Lefavre? Unwahrscheinlich, aber auszuschließen war das nicht. Bestimmt hatte der Archäologe einen Draht zu gutaussehenden Teenagern, die für Geld so ziemlich alles taten. Oder gehörte Dzengis zu einer ganz anderen Organisation, von der Alex noch gar nichts wusste? Möglich, so begehrt, wie der Ring allem Anschein nach war. Das gute Stück in seiner Hosentasche wurde ihm immer unheimlicher, je länger er darüber nachdachte. Nur eines wurde ihm mehr und mehr bewusst. Er musste Dzengis loswerden.

Und er nutzte die erstbeste Gelegenheit, die sich ihm bot. Über Dzengis konnte man sagen, was man wollte, aber er war zu vertrauensselig. Nachdem Alex ein paar Minuten keine Anstalten gemacht hatte, die Flucht zu ergreifen, hatte sich der Abstand zwischen ihnen vergrößert. Zwar eher in Zentimetern als in Metern zu messen, doch das reichte. Als sie einen niederen Zaun passierten, warf sich Alex über das Hindernis und rannte los. Mitten durch einen Garten und ohne mögliche Stolperfallen zu beachten. Er musste das einfach riskieren. Dzengis meinte es nicht gut mit ihm, das war doch klar. Niemand hatte es jemals gut mit ihm gemeint, seit seine Mutter gestorben war.

Es gelang ihm. Nachdem er das Grundstück durchquert und ein Haus halb umrundet hatte, kletterte er auf der anderen Seite über einen mannshohen Verschlag und kam wieder auf eine kleine Straße. Nun rannte er langsamer weiter, mehr darauf bedacht, leise zu sein als schnell, und spitzte die Ohren. Folgte Dzendis ihm? War er ihm überhaupt gefolgt, nachdem er über den Zaun gesprungen war? Alex hätte es nicht beschwören können. Und wieder stellte sich die Frage, wie es jetzt weitergehen sollte. Und wieder konnte er über seinen eigenen Entschluss nur den Kopf schütteln.

Er würde zurück zum Lieferwagen gehen und den Ring abgeben. Und dann endlich diesen ganzen Wahnsinn – diese Fronten, zwischen die er da geraten war – hinter sich lassen. Und wieder Morgen für Morgen in den Tag hineinleben. Wie sich das für einen Ausreißer gehörte.

Sie werden dich töten, schwang bei jedem Schritt in seinem Kopf mit, als er den Weg dorthin einschlug, wo der Lieferwagen stehen musste. Natürlich würden sie ihn nicht töten. Warum denn auch? Dzengis hatte ihm nur Angst machen wollen, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Basta.


Der blaue Lieferwagen, der nun aber rabenschwarz wirkte, stand noch genau da, wo er stehen sollte, als Alex sich näherte. Eine Gestalt – Jans Gestalt – vertrat sich davor unruhig die Beine, mit dem Smartphone am Ohr, in das er ab und zu etwas sagte, was Alex nicht verstand.

Die letzten Worte konnte er jedoch hören, als Jan ihn gesehen hatte. „Da ist er.“ Dann steckte er das Handy weg und ging ihm entgegen. „Mensch, Alex. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Ist dir das klar?“

Es tat gut, sich von Jans Herzlichkeit einlullen zu lassen. Alex lächelte schief. „Wieso? Ich bin doch direkt hier her gekommen.“

„Jaja. Mehr oder weniger direkt. Ich hab dich gesehen, wie du aus dem Hotel gekommen bist, dann bist du runter in die Unterführung und auf einmal warst du weg. Wie vom Erdboden verschluckt.“

„Da war doch dieser andere Junge“, erwiderte Alex.

„Welcher andere Junge? Da war niemand außer dir.“

„Doch. Ist auch egal. Zumindest habe ich den Ring. Können wir das jetzt gleich alles hinter uns bringen?“

„Natürlich.“ Er führte Alex zur Hecktür des Lieferwagens. „Steig ein. Arthur müsste auch gleich hier sein.“

„Können wir nicht...“

„Du glaubst doch nicht, dass wir so viel Geld dabei haben. Wir bringen dich jetzt zurück zu Herrn Iblis, du schläfst dich aus und dann wird er dich verabschieden und auszahlen. Wie sich das für gute Freunde gehört. Und ich dachte, du willst unbedingt wieder deine normalen Klamotten - und dein Foto zurück.“

Schon alleine der Gedanke an das Foto von seiner Mutter und ihm weckte Emotionen in Alex. Galant, aber auch mit Nachdruck schob Jan ihn hinein, folgte ihm und schlug von innen die Tür zu, nachdem er das Funzellicht angeschaltet hatte. Es dauerte nur Sekunden, bis draußen Schritte zu hören waren, dann wie zum Gruß zweimal gegen die Seitenwand geboxt wurde und im nächsten Augenblick die Fahrertür zuschlug.

„Also? Du hast ihn, sagtest du?“, fragte Jan. Gleichzeitig wurde der Wagen gestartet und setzte sich gemächlich in Bewegung.

„Ja.“

„Dann gib her.“

Alex schwieg unruhig. Falls das wirklich eine Falle war, war das vielleicht sein letzter Strohhalm.

Jan zog eine Augenbraue hoch und hielt ihm die Hand entgegen. „Alex?“

„Ich … ich möchte den Ring lieber Herrn Iblis persönlich übergeben.“ Das sollte fest klingen, klang aber in Wirklichkeit eher flehend.

Und in Jans Augen mischte sich etwas Drohendes, was Alex darin bisher noch nicht darin gesehen hatte. „Ich habe meine Aufträge, Alex. Entweder du gibst mir den Ring oder ich hole ihn mir. Also?“

Kurz wollte Alex auf stur stellen. Aber wenn er seine Situation bedachte, war er chancenlos. Zitternd gingen seine Finger in die Hosentasche; griffen ins Leere. Scheiße, dachte er voller Panik. Dann berührten seine Fingerspitze das Metall. Sein Überlebensinstinkt brüllte: Nein!, als er den Ring übergab. Jan ließ ihn in seiner Jacke verschwinden. „War das denn jetzt so schwierig?“, murmelte er dabei.

Es kehrte ein kurzes, benommenes Schweigen ein. Dann fragte Jan: „Hat alles geklappt?“

„Ja“, sagte Alex und studierte Jan genau. Etwas stimmte nicht. Jans Nervosität irritierte ihn. Wie er unruhig mit seinen eigenen Fingern spielte; seine Augen die Alex' Blicken auswichen.

„Und das Pulver?“

„Hat er geschluckt“, log Alex aus einem Impuls heraus.

„Gut. Sehr gut.“

Wieder dieses angespannte Schweigen, das jeden Muskel in Alex' Körper in Alarmbereitschaft versetzte. Jan schaute nach rechts oben in den Winkel, wo nichts war, dann ruckartig nach links, dann schien er einen Entschluss gefasst zu haben, als er Alex anstarrte. „Hör zu, Alex. Was ich jetzt tun werde, mache ich nicht gerne.“

„Was denn?“, keuchte Alex und hatte gerade noch die Zeit, schützend die Beine anzuziehen, da hatte Jan ihn schon überwältigt. Alex versuchte sich zu wehren, aber für Jan war er viel zu schwach. Als ob Arthur auf dem Fahrersitz mitbekommen hätte (und wahrscheinlich hatte er das auch), dass es losging, wurde der Wagen langsamer, während Jan Alex auf den Bauch rollte und ihm das Knie in den Rücken drückte. „Hör auf dich zu wehren“, fluchte er. Alex hätte sich gerne mehr gewehrt, aber in dieser Lage konnte er sich kaum bewegen. Ratsch. Gaffa-Tape wurde von einer Rolle gerissen und Alex hinter dessen Rücken um die Handgelenke gewickelt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Jan atmete durch und der Druck des Knies in Alex' Rücken ließ nach. Dann klopfte er gegen das Blech zur Fahrerkabine – fertig, bedeutete das wohl – und Arthur gab wieder Gas.

„Was soll das?“, winselte Alex. Tränen füllten seine Augen und tippten eine handbreit unter seinen Wimpern auf den Boden. Jede Unebenheit der Straße wurde nun, wo er auf dem Bauch lag, direkt an seine Rippen und seine Eingeweide weitergegeben.

„Nimm's nicht persönlich“, murmelte Jan. „Der Chef ist der Ansicht, du kannst ihm gefährlich werden. Du bist ein Mitwisser, Alex. Und der Chef mag keine Mitwisser.“

Alex brachte nicht mehr als ein Wimmern heraus. Und es schien, als redete Jan genauso zu sich selbst, um sich vor seinem Gewissen zu rechtfertigen, wie zu Alex. „Du wirst schon bald als Mörder gesucht werden. Als Giftmörder von Francis Lefavre. Dieses Elend wird dir jetzt auch erspart. Ich mach dir ein Angebot: Wenn du dich nicht sträubst, geht alles ganz schnell.“

„Ich habe nicht...“, wollte Alex sich rechtfertigen und sagen, dass er Francis gar nicht vergiftet hatte, aber Jan winkte ab.

„Du kannst sagen, was du willst. Auftrag ist Auftrag.“

Alex wollte erwidern. Doch Jan hatte sich die Rolle mit dem Gaffa genommen, zog ein Stück ab und hob es ihm drohend vor die Lippen. Und Alex zog es vor zu schweigen.

Dass Arthur den Lieferwagen nicht zu Herrn Iblis' Domizil brachte, wurde für Alex spätestens zur Gewissheit, als der Weg immer unebener und der Wagen immer langsamer wurde. Lose Steine knirschten unter den Rädern und manchmal schlug einer gegen den Unterboden. Die Kurven wurden enger. Arthur rangierte ein Stück weit rückwärts und dann erstarb der Motor. Alex wusste, dass nun sein Ende gekommen war. Von außen wurde die Tür geöffnet. Wie ein menschlicher Kleiderschrank stand ein Schatten, der Arthurs Form hatte, vor dem Sternenhimmel. Die Pistole in seiner Hand zeigte auf den Boden.

„Komm. Ich helfe dir auf“, sagte Jan, immer noch in diesem freundschaftlichen Ton, der wie Hohn in Alex' Ohren klang, und er half ihm tatsächlich. Auf Knien ruckelte er der Tür – und seinem Mörder - entgegen. „Ganz ruhig“, flüsterte Jan. Vorsichtig streckte Alex seine Beine über die Kante und seine Füße trafen auf grobsteinigen Boden. Es war eine Kiesgrube oder etwas in der Art, wo sie ihn hingebracht hatten. Links und rechts waren haushohe Berge des Kieses aufgeschüttet. Und schräg vor ihm war eine marode Bretterbude. Alex konnte das alles gut erkennen. Denn der Mond, der nun hoch über ihnen stand, tauchte die ganze Welt in ein silbrig-kaltes Licht.

Natürlich versuchte Alex sich zu wehren, als Jan und Arthur ihn fortschafften. Jan links von ihm, Arthur rechts, und jeder hatte seine Hand auf Alex' Schulter gelegt. Aber mehr als ein Ruckeln mit dem Oberkörper brachte er nicht zustande. Und auch, als er sich störrisch auf den Boden fallen ließ, rissen ihn die beiden starken Männer einfach wieder hoch und zogen ihn weiter. „Lass das“, raunzte Jan in an, als ob er ein kleines Kind tadeln wollte.

Als sie einen der Kiesberge umgangen hatten, erkannte Alex, dass sie angekommen waren. Eine kleine Grube war hier ausgehoben. Gerade lang und breit genug, dass ein Mensch hineinpassen würde. Über die Grube hinweg konnte er das Glitzern eines Flusses sehen, der nur der Rhein sein konnte, und dahinter die verheißungsvollen Lichter der Stadt.

„Knie dich hin“, sagte Jan, als sie am Rand der Grube ankamen.

Alex regte sich nicht. In Arthurs Augen spiegelte sich Gleichgültigkeit und Jan sagte: „Versau' dir nicht auf den letzten Metern alles.“

Alex kniete sich auf den Boden. Direkt vor sich gähnte ihn sein Grab an wie ein bodenloses schwarzes Loch. Daneben hatte sich nun Arthur gestellt. In aller Ruhe drehte er einen Schalldämpfer auf seine Pistole. Jan knurrte: „Hättest du das nicht schon vorher machen können?“

„Wir haben alle Zeit der Welt“, antwortete Arthur. Er genoss seine Machtposition. Er suhlte sich geradezu darin und wollte, dass Alex sich das alles mit ansehen musste. Alex wollte wegschauen, aber die Hand, die mit einer provozierenden Langsamkeit das dicke Rohr auf die Pistole schraubte, hielt seinen Blick gefangen.

Wupp. Wupp. Wupp. Es war eher eine Ahnung in der Magengegend, als dass Alex es mit den Ohren gehört hätte. Das Gefühl von pulsierender Luft. Wupp. Wupp. Wupp.

„Was ...“, stammelte Arthur. Seine arbeitende Hand hielt inne und er schaute mit himmelweit aufgerissenen Augen ins Firmament. Nun sah Alex es auch. Ein diffuser Schatten, der sich im Sternenhimmel abzeichnete. Ein Schatten, der sich rasend schnell näherte. Wupp. Wupp. Wupp. Schon einen Herzschlag später nahm das fliegende Etwas Gestalt an. Schuppen funkelten wie Kristalle im Mondlicht. Es war wie eine riesige Schlange mit transparenten Fledermausflügeln und echsenartigem Kopf, was auf sie zusauste, zum Sturzflug ansetzte und wie ein Düsenjäger auf Alex zurauschte. Er warf sich flach auf den Boden, aber das half nichts. Etwas glitt über seinen Rücken. Zwar sanft, aber doch so messerscharf, dass das Tape um seine Handgelenke durchtrennt wurde. Liegend betastete er seinen Rücken und konnte es kaum glauben, dass er nicht verletzt worden war. Aber es war so. Das dumpfe Patschen eines schweren Körpers, der auf der Erde aufsetzte, drang in seine Ohren, dann war es still. Gespenstisch still.

Alex wagte es kaum, den Kopf anzuheben, aber er tat es doch. Was er sah, konnte er nicht fassen. Eine Gestalt – eine sich wandelnde Gestalt – ging auf die beiden am Boden kauernden Männer zu. In einem Moment noch reptilienhaft, änderte sie sich in wenigen Augenblicken; wurde kleiner und menschlich. Ohne Mühe schaffte es die drahtige, hochgewachsene Person mit flinken Bewegungen, die im Schock erstarrten Mörder zu entwaffnen. Alex presste sich auf den Boden, als wolle er mit ihm verschmelzen. Bloß jetzt keine Aufmerksamkeit erregen. Doch der Unerklärliche drehte das Gesicht in seine Richtung. Oh Gott. Er hatte ihn entdeckt. Und ging einen Schritt auf Alex zu. Mit einem Klacken landete etwas Hartes direkt vor ihm im Kies. Ein Stein, dachte Alex zuerst. Aber als er genauer hinsah, erkannte er den Umriss einer Pistole.

„Komm“, rief der andere in seine Richtung. Alex war sich zwar nicht sicher, aber er glaubte, dass er die Stimme des Wesens, das nun mit der schallgedämpften Pistole die Verbrecher in Schach hielt, schon gehört hatte.

Zaghaft stand Alex auf. Mit jedem zittrigen Schritt, den er sich näherte, wurde sein Verdacht mehr zur Gewissheit.

„Dzengis?“

Ein kaum sichtbares Lächeln auf seinen zarten Lippen. „Du machst es einem nicht leicht. Weißt du das?“

Alex schwieg. Ihm fiel keine Antwort ein. Er starrte Dzengis nur an. Sekunden, die sich wie Ewigkeiten anfühlten. Zu seinen Füßen knirschte Kies, als Arthur sich regte. Die Pistole in Alex' Hand zitterte furchtbar, als er damit auf die Beiden zeigte. „Was wird jetzt aus denen?“

„Deine Entscheidung“, sagte Dzengis. Alex nickte langsam. Der erste Impuls war, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Idee war sogar reizvoll, die Mörder hier zu erschießen und im Grab, das sie für Alex ausgehoben hatten, zu verscharren. Und doch widerstrebte es ihm.

„Pass auf sie auf“, stammelte er.

„Hmh.“ Die beiden Männer schauten gebannt auf die Mündung von Dzengis' mit Schalldämpfer verlängerter Pistole. Alex schaffte es nicht gleich, sich von dem Anblick loszureißen, und dann sah er es kommen. Wie eine Sprungfeder zog sich Arthurs Körper zusammen, um zum Überraschungsangriff anzusetzen. Dzengis' gedämpfte Pistole gab ein dumpfes Poff von sich und direkt neben Arthur zerbarst ein Kieselstein. Arthur kreischte und Dzengis sagte mit unfassbarer Ruhe: „Letzte Warnung.“

Arthur hatte die letzte Warnung wohl verstanden. Denn er legte sich brav zurück auf den Boden und verschlang die Hände hinter dem Nacken. Geh schon, ich hab alles im Griff, deutete Dzengis' Mimik an Alex an und Alex hastete zum Lieferwagen, um das Gaffa-Tape zu holen. Keiner wehrte sich, als er ihnen die Hände hinter die Rücken fesselte, so wie sie es bei ihm getan hatten. Und als Alex und Dzengis ihre Taschen durchsuchten, kam auch nicht mehr als halbherziges Murren als Protest.

Sie wurden fündig. Smartphones, Portmonees mit allerhand Schmierzettel, wo Alex in der Dunkelheit nicht den Nerv hatte, sie jetzt schon zu studieren und einen einzelnen Autoschlüssel, der anscheinend zum Lieferwagen gehörte. Und – der Ring, der ihm das alles eingebrockt hatte. Alles steckte Alex sich in die Taschen. „Los jetzt. Hoch mit euch“, motzte er zu Arthur und Jan und richtete die Waffe auf sie. In ihrer gefesselten Lage gaben sie ihr bestes, um sich aufzurichten. Sie gingen wohl nicht davon aus, dass Alex nach den letzten Geschehnissen noch viel Spaß verstand.

Sie brachten Jan und Arthur zum Lieferwagen, legten sie hinten rein in den Laderaum und etwas wie Genugtuung empfand Alex dann doch, als er feststellte, dass der gefundene Schlüssel passte und dann damit die Hecktür verschloss.

„Zufrieden?“, fragte Dzengis.

Noch nicht ganz, dachte Alex. Dzengis folgte ihm, als er zur Beifahrertür ging, dort einstieg und das Handschuhfach und die Seitenfächer durchwühlte. Alles, was ihm irgendwie wichtig erschien, sackte er ein. Von hinten hörte er gedämpft, wie sich Jan und Arthur gegenseitig Vorwürfe machten. Aber das machte nichts.

Dzengis hatte sich neben ihn an die offene Tür gelehnt und versicherte sich, das Alex nichts übersah, was ihnen helfen konnte. Dann fragte er: „Kannst du das Ding fahren?“

Alex schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Du?“ Oder kannst du uns irgendwo hinfliegen?, fügte er in Gedanken hinzu, aber er glaubte selbst nicht mehr an das, was er noch vor wenigen Minuten mit eigenen Augen gesehen hatte.

„Nein. Aber ich weiß, wo wir uns ausruhen können. Das wird dir guttun.“

Das hörte sich verlockend an. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ließen sie die Mörder hinter sich. Alex hoffte, dass Dzengis und er erst einmal sicher vor ihnen waren. Den Kopf, sich um die Gefahr Gedanken zu machen, die noch von den beiden ausgehen könnte, hatte er in diesen Augenblicken nicht. Er folgte seinem unheimlichen Gefährten durch die Nacht, ohne sich jedoch wirklich der Stadt zu nähern. Schweigend versuchte er das, was er während der letzten Stunden erlebt hatte, zu verarbeiten. Vergeblich. Etwas in seinem Gehirn weigerte sich, sich damit auseinanderzusetzen. Es würde ihn verrückt werden lassen.

Mit jedem Schritt, den er tat und in dem sein Adrenalinspiegel sank, fraß sich die Kälte mehr durch seinen dünnen Anzug. Und alle paar Minuten fühlte er das eine oder das andere gestohlene Smartphone an seinem Körper vibrieren. Bestimmt weil der Chef - Herr Iblis – herausfinden wollte, ob seine Vasallen ihren abscheulichen Auftrag zu einem Ende gebracht hätten; was Alex noch mehr frösteln ließ.

„Es ist nicht mehr weit“, beruhigte ihn Dzengis, als er sah, wie Alex bibberte. Und er hatte recht. Schon bald tauchte vor ihnen – im Nirgendwo der vergessenen und abgewirtschafteten Industriegebiete jenseits des Rheins - der Schatten eines Giebelhauses auf. Je näher sie kamen, um so besser erkannte Alex die Baufälligkeit des Hauses. Doch nach den Ansprüchen, die er nach den vergangenen Monaten noch an sein Leben zu stellen wagte, erschien ihm das als eine wahre Villa. Nacheinander stiegen sie durch ein Fenster, das vielleicht schon seit Jahrzehnten keine Scheibe mehr hatte, ins Erdgeschoss ein. Es roch nach Staub, Moder und Verfall. Doch all das störte Alex nicht. Hauptsache, er hatte nun Schutz vor dem kalten Wind.

Für einen kurzen Augenblick war Alex in der Dunkelheit vollkommen blind. Aber dann flackerte ein Licht auf und er sah, wie Dzengis eine Petroleumlampe in der Hand hielt, die genauso alt erschien wie das Haus selbst.

„Du hast dich hier ja richtig heimisch eingerichtet“, wunderte sich Alex.

„Kann man so sagen. Aber es wird noch besser.“ Dzengis ging durch einen Durchgang, an dessen Scharnieren man erahnen konnte, dass es einmal eine Tür gegeben hatte. Alex folgte ihm in geringem Abstand und staunte. Im Flackerlicht sah er einen Ofen, dessen Rohr ein Stück senkrecht nach oben ging und dann in der Wand versank. Daneben waren Kartonagen, Zeitungen und sogar ein paar Holzscheite gestapelt. Dzengis machte sich sofort daran zu schaffen und füllte den Ofen. Alex schaute verblüfft zu. Wenn er doch nur schon früher diesen Ort gekannt hätte.

Schon bald saßen sie nebeneinander mit den Rücken an der Wand und Alex' Körper sog die Wärme, die der Ofen nun mit tröstlichem Knistern ausstrahlte, begierig in sich auf. „Sag jetzt bitte, hier gibt es auch noch ein brauchbares Bett“, nuschelte er. Zu mehr war seine Stimme nämlich nicht mehr imstande.

Dzengis lachte leise. „Nein. Aber du kannst dich an mich lehnen.“

In jeder anderen Lebenslage hätte Alex wohl abgelehnt, weil er zu stolz gewesen wäre. Aber jetzt gab er nach. Er kuschelte sich seitlich an Dzengis und lehnte den Kopf an dessen Schulter. Fast schon automatisch glitt seine Hand in die Tasche und tastete nach dem Ring, nur um sich zu vergewissern, dass er noch da war.

Er war noch da. Alex holte ihn heraus und betrachtete ihn nachdenklich. Im Licht der Lampe schien der Drache auf dem Siegel zu glühen. Derselbe Drache, von dem ihm sein Verstand vorhin vorgespielt hatte, dass er ihm das Leben gerettet hatte. „Komisches Ding“, murmelte er.

„Darf ich mal sehen?“

Er gab den Ring an Dzengis weiter. Ganz ohne dass sein Unterbewusstsein Alarm schlug. Dzengis drehte ihn zwischen den Fingern hin und her, während sein Blick auf dem Siegel lag. Dann nahm er sich sanft Alex' Hand. „Du solltest ihn hier tragen.“ Er steckte Alex den Ring auf den Ringfinger. Ein kaum greifbares Gefühl der Behaglichkeit durchströmte ihn. Er drehte den Kopf, um Dzengis in die Augen zu sehen. Das Feuer der Öllampe brachte sie zum Lodern. Ohne, dass Alex den Blick abwandte, zeichnete sein Fingernagel die Linien des Drachen auf dem Siegelring nach. Das Bild, wie sich in der Kiesgrube der Drache in einen Menschen verwandelt hatte, drängte sich seinem Verstand auf. „Das bist du. Oder? Der Drache, meine ich.“

Dzengis strich Alex durchs Haar. „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Ich bin jetzt hier. Nur das ist wichtig.“

„Ich habe es gesehen.“

„Schlaf jetzt“, flüsterte Dzengis. Die sanft geschwungenen Lippen, die sich bei den Worten kaum bewegten, wollten Alex betören. Seine Augen wollten ihre Linien nachzeichnen, aber schon einen Herzschlag später hatte er sie weich und samtig an der Stirn liegen. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte er Zärtlichkeit, so wie sie sein sollte. Vertraut und behaglich. In engem Körperkontakt und mit einem fast schon vergessenen Gefühl der Geborgenheit schlief Alex ein.

Er fiel in einen überwältigend lebendigen Traum. Von einem Drachen, der aus einem Ring stieg und zum Menschen wurde. Von einem Jungen in einem Jahrhunderte zurückliegende Zeitalter an einem fernen Ort, der mit demselben Ring am Finger wie Alex vom Waisen zum Krieger wurde. Und immer wieder Dzengis, der diesen Jungen lotste und ihn schließlich zur sagenumwobenen Zauberlampe führte, die den Jungen zum mächtigsten Herrscher seiner Zeit erhob. Die Zauberlampe, deren Legende sich noch bis zum heutigen Tag in Erzählungen und Märchen niederschlug.


Als Alex die Augen wieder öffnete, war der Traum noch wie eine zweite Realität in seinem Hirn verankert. Es war schon hell in ihrer Bruchbude. Das Erste, was er sah, war Dzengis, der ihn wohl beim Schlafen betrachtet hatte. „Guten Morgen“, raunte Alex heiser und zauberte Dzengis ein schönes Lächeln auf die Lippen, das ansteckend war.

„Hast du gut geschlafen?“

„Ich weiß nicht. Ich habe so verrücktes Zeugs geträumt.“ Dzengis schmunzelte wissend, was Alex verunsicherte. Er räusperte sich, um hoffentlich bei der nächsten Frage seine Stimme stark klingen zu lassen. „Was ... bist ... du, Dzengis?“

„Was denkst du?“

Es war zum verrückt werden. Musste das mit der Gegenfrage jetzt sein? Konnte Alex nicht einfach mal eine richtige, normale Antwort bekommen?

„Du warst der Drache, der mir das Leben gerettet hat, als Jan und Arthur mich umbringen wollten. Du hast dich zurückverwandelt. Das habe ich gesehen.“ Und wag es nicht, mir zu widersprechen, drückte der Nachdruck aus, mit dem Alex den letzte Satz ausgesprochen hatte. Dzengis widersprach nicht, sondern schaute Alex nur geduldig und, wenn Alex sich nicht täuschte, mit einem Hauch von Belustigung an. „Also denke ich, du bist kein Mensch. Du bist so etwas wie ein Geist. Ein Dämon. Oder Ringgeist oder wie immer ihr euch nennt. Ich kenne mich da nicht so aus.“

„Dschinn“, sagte Dzengis, während Alex mit seinem eigenen dummen Geschwätz haderte. Er stutzte.

„Dschinn? So ähnlich wie bei Aladin?“

Genau wie bei Aladin“, berichtigte Dzengis. Und Alex atmete durch.

„Na gut. Warum auch nicht?“

Die nächste halbe Stunde ging Alex in dem kleinen Raum mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab, ohne ein Wort zu sagen. Dzengis saß noch immer gegen die Wand gelehnt und schaute Alex dabei zu. Er hatte sichtlich seinen Spaß.

Irgendwann blieb Alex stehen und schaute auf Dzengis herab. „Ähm, Dzengis. Ich hab nachgedacht.“ Dzengis zog fragend die Augenbrauen hoch. Flimmerte da etwa Ironie in den Augen, die auch im Tageslicht so schwarz waren, wie sie in der Nacht gewirkt hatten?

„Wie ist das eigentlich?“, fuhr Alex stockend fort. „Wenn du so ein … Dschinn … bist. Hat man bei dir auch Wünsche frei?“

Alex erkannte, dass sich Dzengis von innen in die Wangen biss, um sich das Lachen zu verkneifen. Dann versuchte er wieder ernst zu wirken. „Meine Aufgabe ist es eigentlich, dich zu beraten und zu beschützen; und auf den richtigen Weg zu leiten. Aber los. Nehmen wir mal an, es wäre so. Was würdest du dir wünschen?“

„Na … dass ich eine Zukunft habe und nicht mehr auf der Straße leben muss. Und ich will das Foto von meiner Mutter und mir zurück, das Herr Iblis mir gestohlen hat.“ Er seufzte und fühlte wieder den Schmerz, dass er sich das Lächeln seiner verstorbenen Mutter nicht mehr ansehen konnte. „Aber für den Anfang würde es auch ein Frühstück tun. Mit Kaffee. Und gebratenem Schinken mit Rührei.“

„Ein Frühstück also. Dein Wunsch sei mir Befehl“, sagte Dzengis. Er kramte in seiner Tasche und holte einen sehr ramponiert wirkenden eingeschweißten Schokoriegel heraus, den er Alex hinhielt. „Und jetzt lass uns mal das Zeug, das wir bei deinen Freunden im Lieferwagen mitgenommen haben, durchforsten. Dann können wir an deinen anderen Wünschen beginnen zu arbeiten.“

„In den Märchenbüchern klingt das immer einfacher“, stöhnte Alex und packte den Schokoriegel aus.

„Wünsch dir doch zehn Euro und kauf dir dafür ein Märchenbuch.“

„War ja nicht so gemeint“, brummte Alex. Ein kurzer Augenkontakt, und wie auf Kommando brach das Lachen aus beiden heraus.


Schon bald saßen Alex und Dzengis auf dem Boden und durchforschten die Beute, die sie bei Jan und Arthur gemacht hatten. So richtig fündig wurden sie dabei nicht. In den gestohlenen Portmonees war zwar Bargeld, aber keine Dokumente, die Hinweise auf die Identität der Auftragsmörder lieferten. Genauso wenig wie das Scheckheft des Lieferwagens, das Alex eingesackt hatte. Doch nun hatte er immerhin die Autonummer schwarz auf weiß, was sich vielleicht noch als interessant herausstellen konnte, und wusste auch, dass die nächste Inspektion überfällig war. Eine Einkaufsliste gab es da noch, die darauf schließen ließ, dass zumindest einer der beiden Killer ein Vegetarier war und Schmierzettel mit Wortfetzen und Zahlen, mit denen Alex aber nichts anzufangen wusste. Und dann noch die Smartphones. Als er die Sperrbildschirme zum leuchten brachte, sah er auf jedem der Telefone dutzende entgangener Anrufe angezeigt.

Neugierig hatte Dzengis sich über Alex gebeugt, der eines der Handys hielt. „Hast du etwas gefunden?“

„Nein. Da komm ich nicht über die Sperre hinaus.“ Ein Blick auf Dzengis genügte Alex, um festzustellen, dass sein Dschinn so ganz und gar nicht technikaffin war. Deshalb erklärte er: „Das geht nur mit Zahlencode. Oder über den Fingerabdrucksensor. Siehst du?“ Er hielt seinen Finger auf die Fläche und bekam prompt die Quittung: Fingerabdruck nicht erkannt.

„Zeig mal.“ Ohne Alex' Reaktion abzuwarten, nahm ihm Dzengis das Smartphone aus der Hand, legte seinen Daumen auf die Fläche und siehe da – er bekam Zugriff. „Und jetzt?“

„Gib her.“ Etwas angesäuert nahm ihm Alex das Telefon wieder ab und dachte: So was kannst du. Aber für einen Kaffee hat's nicht gereicht, du Supergeist. Dzengis schmunzelte, als ob er den Gedanken gelesen hätte.

Viel gab es darauf zwar auch nicht zu finden – beide Smartphones schienen erst seit ein paar Tagen eingerichtet zu sein – aber das Wenige war ganz ergiebig. Auf jedem Apparat waren auf der Anrufliste jeweils nur zwei verschiedene Nummern im Ein- und Ausgang, die aber dafür häufig auftauchten. Alex und Dzengis konnten schnell erraten, dass eine der beiden Nummern, die auf jedem Handy anders war, die Nummer des jeweils anderen war, weil Jan und Arthur oft miteinander telefoniert hatten. Und dann war da noch die andere Nummer. „Garantiert ist das die von Herrn Iblis.“ Es gefiel Alex nicht, dass auf beiden Smartphone von dieser Nummer bis kurz vor halb Fünf beinahe minütlich erfolglos angerufen worden war und danach auf einmal gar nicht mehr.

Er tippte und wischte auf einem der Handys herum und Dzengis fragte: „Rufst du ihn jetzt an?“

„Nein. Was soll ich dem denn sagen?“ Er suchte weiter. Kopierte die Nummer, um in der elektronischen Auskunft vielleicht einen richtigen Namen zu erfahren, aber wie erwartet war sie nicht hinterlegt. Dann kam ihm eine Idee. Er öffnete Google Maps und kam ins Staunen. Die letzte Route, die berechnet worden war, war von einer Stelle zwei Blocks entfernt vom Residenz-Hotel bis zu einer brachen Fläche am Rhein jenseits der Stadt. Alex' Herz begann wild zu hämmern. „Siehst du? Da ist die Kiesgrube, wo sie mich umbringen wollten. Und … jetzt …“ Sein Finger tippte auf Neue Route von 'Mein Standort'. Der Bildschirm zoomte an eine Stelle irgendwo jenseits von Gut und Böse. Und als er auf die Zielauswahl ging, war der erste Vorschlag tatsächlich Homebase. Alex wählte und Maps berechnete eine Route zu einem Punkt im Stadtteil Neuerlenheim. „Ich wette, da sitzt unser Herr Iblis und wartet auf seinen Ring“, sagte Alex und strahlte Dzengis an.

„Dann lass uns hingehen.“

Alex sprang auf. „Spinnst du?“

Was hast du denn?, fragten Dzengis' Augen und Alex motzte: „Der macht aus uns doch Hackfleisch.“

„Du hast keine Ahnung, wie stark wir zusammen sind“, entgegnete Dzengis und wies auf den Ring. „Du musst nur lernen, zu vertrauen.“

Lern du erst mal, ein ordentliches Frühstück zu zaubern, dachte Alex. Dzengis nahm das Geld aus den von Jan und Arthur erbeuteten Portmonees und wedelte Alex mit den Scheinen entgegen. „Wer weiß? Vielleicht finden wir unterwegs ja auch ein Frühstück.“

Alex seufzte, aber Dzengis ließ nicht locker. „Los jetzt. Du willst dir doch das Bild deiner Mutter zurückholen. Dafür musst du deinen Arsch schon hoch bekommen.“

„Wir gehen hin, schauen es uns an und sehen dann weiter“, beschloss Alex unwillig, grübelte und fügte an: „Aber lass uns die Pistolen mitnehmen.“

„Du bist so goldig“, säuselte Dzengis neckisch und wie aus dem Nichts drückte er Alex einen Schmatzer auf die Wange. Alex spürte an der Hitze, die ihm ins Gesicht schoss, wie er errötete. Musste er sich denn unbedingt in seinen Dschinn verschossen sein? Er musste Dzengis nur in die verschmitzten Augen sehen, um zu ahnen, dass der Sack sehr wohl seine Gedanken lesen konnte; und Alex mit seinen Reizen ausspielte.

„Ich bin nicht goldig“, murrte er und Dzengis zwinkerte.


Es war wie eine Schnitzeljagd, die Alex und Dzengis einmal quer durch die Stadt trieb. Und weil Rache ja bekanntlich süß ist, schmeckte Alex der Apfelstrudel besonders gut, als sie auf ihrem Weg in einer Konditorei pausierten und sich auf Jans und Arthurs Kosten die Bäuche vollschlugen. Dass sie dabei Blicke auf sich zogen, lag in dieser recht multikulturell geprägten Stadt weniger am exotischen Dzengis als vielmehr an Alex in seinem schmutzigen und an manchen Stellen schon aufgeschürften Herrenanzug.

„Hast du schon einen Plan?“, fragte Alex, als sie sich mehr als eine Stunde nach ihrem Aufbruch ihrem Ziel näherten.

„Ich muss mir erst einmal ein Bild machen“, sagte Dzengis. Als Alex unmutig dreinblickte, rempelte er ihn spaßhaft an. „Ich werde schon auf dich aufpassen, Kleiner. Und wenn du mir dieses Mal nicht davonrennst, machst du es mir sogar noch leichter.“

Alex brummte.

Das könnte es sein, war der erste Gedanke, der Alex kam, als sie in der Deckung eines geparkten Kleinlasters das Haus inspizierten, zu dem Maps sie geführt hatte. Es war ein zweistöckiges Haus hinter einem verwilderten Garten in einem unauffälligen Beige-Ton. Von der Straße aus führte eine schmale Einfahrt in einer engen Kurve hinunter in eine Tiefgarage unter das Haus. Doch die volle Erkenntnis kam, als Alex die intransparenten Milchglasscheiben an drei benachbarten Fenstern des Erdgeschosses sah.

„Ich glaube, wir sind richtig“, flüsterte er zu Dzengis. „Hier wurde ich festgehalten.“

Dzengis kniff die Augenlider zusammen – so konzentriert beobachtete er die Fassade und den Garten, wo nichts zu sehen war. Dann entspannte er sich und wies auf die Zufahrt. „Wir gehen am Besten untenrum.“

Alex presste die Lippen aufeinander. Was machen wir hier eigentlich?, dachte er in sich hinein, als Dzengis leichten Schrittes über die Straße huschte und er auf den Schritt hinterher. Der Reiz, aufzugeben, Herrn Iblis einen bösen Mann sein zu lassen und einfach seinen eigenen Weg zu gehen, war gigantisch. Es war der Verlust des Bildes, das Alex so sehr schmerzte, dass es ihn vorantrieb. Und würde das Aufgeben nicht auch bedeuten, das Alex als Träger dieses begehrten Ringes weiter gejagt werden würde? Welche schrecklichen Taten Herr Iblis anderen Menschen noch antun würde, die ihm in die Quere kamen, konnte Alex sich auch ausmalen. Es hatte zumindest nicht den Eindruck gemacht, als ob seine beiden Handlanger Jan und Arthur beim Morden blutige Anfänger gewesen wären. Ich kann Dzengis vertrauen. Gemeinsam sind wir stärker, sagte er zu sich selbst und ein Grinsen schlich sich in sein Gesicht bei der Vorstellung, wie sein Gefährte sich in einem der engen Flure in einen Drachen verwandelte und dann feststeckte wie ein Sektkorken im Flaschenhals.

Sie waren nun an der Kurve der Einfahrt zur Tiefgarage angekommen. Alex zog die Pistole, die einmal Jan gehört hatte, aus der Jacke und drückte den Sicherungshebel nach vorne, um im Ernstfall keine Zeit zu verlieren.

„Gib sie mir“, forderte ihn Dzengis im Flüsterton auf und hielt Alex die Hand entgegen.

„Nein.“

„Du wirst sie nicht brauchen. Glaub mir, damit machst du mehr kaputt, als du erreichen kannst.“

Es gab nichts, was Alex weniger tun wollte. Und trotzdem überreichte er Dzengis die Pistole; seine letzte Lebensversicherung. Er musste wohl komplett verrückt geworden sein. Dzengis nickte ihm anerkennend zu und wies mit einer Handbewegung an, weiterzugehen. Bis in die Haarspitzen angespannt folgte Alex ihm um die letzte Kurve in die Tiefgarage. Und dann durchfuhr es ihn.

„Siehst du das?“, flüsterte er zu Dzengis. Aber natürlich sah der das auch. Da stand er. Der blaue Lieferwagen, in dem Alex zweimal entführt worden war und den sie in der Kiesgrube zurückgelassen hatten. Die aufgebrochene Hecktür war provisorisch mit einem Draht verschlossen.

„Ich pack das nicht“, murrte Alex.

„Natürlich packst du das.“ Dzengis schaute ihm in die Augen; mit einer Aufrichtigkeit, dass es Alex im den Pobacken kribbelte. „Geh du voraus.“

„Hm.“

Alex tat es. Er ging voraus. Mit höchster Vorsicht legte er die Hand auf die Klinke der Tür, die in den Kellerflur führte und drückte sie Zentimeter für Zentimeter nach unten. Die Tür war nicht verschlossen. Er drückte sie knapp auf und lugte durch den Spalt. „Die Luft ist ...“

rein, wollte er zu Dzengis flüstern. Aber Dzengis war nicht mehr da. Panisch raste sein Blick durch die Tiefgarage. Nichts. Er war allein. Im selben Moment geschah auch noch etwas anderes. Der Ring an seinem Finger ... Anfangs war es nur ein diffuses Gefühl. Als ob er schwerer werden würde. Dann strömte Wärme aus dem Siegelring in seinen Ringfinger und breitete sich wie eine Welle durch seinen Körper aus.

Nur weiter, hauchte eine Stimme in seinem Kopf, die die von Dzengis sein konnte. Und Alex verstand. Das hier war sein Weg. Der Ring fühlte sich schwer und lebendig an seinem Finger an und verströmte ein unwiderstehliches Gefühl der Sicherheit. Trotzdem hätte er nun lieber die Pistole bei sich gehabt, als er durch den Gang schlich und dann die Treppe nach oben ging. Jeder kleinste Fehler; jede Unachtsamkeit konnte nun seinen sicheren Tod bedeuten. Das wusste er.

Mach dir nicht ins Hemd und vertraue. Ich glaube, du weißt, was du zu tun hast, antwortete die Stimme in seinem Unterbewusstsein und Alex verzog das Gesicht. Er wusste es, auch wenn er es sich nicht gerne eingestand. Er hatte nun den Zauberring. Wer, wenn nicht er sollte Herrn Iblis sein blutiges Handwerk legen?

Die Erkenntnis war schön und gut. Aber die Angst nahm sie Alex nicht. Der Drang, in den Erdgeschoss-Flur einzubiegen und in dem Zimmer, wo er eingesperrt gewesen war, nach seiner Kleidung und dem Foto zu suchen, war zwar groß, aber er glaubte selbst nicht daran, dort etwas zu finden. Und es bedurfte auch gar nicht Dzengis' mahnende Stimme in seinem Kopf, um zu wissen, dass das feige war. Er hatte sich schließlich selbst eine Mission auferlegt, die über das Finden des Bildes hinaus ging. Deshalb ging er die Treppen weiter nach oben.

Bisher hatte er Glück gehabt. Alle Flure waren menschenleer. Er konnte nur hoffen und beten, dass der Ring wirklich so stark war, wie Dzengis ihn glauben lassen wollte. Ansonsten würde es schlecht um ihn stehen. Soviel stand fest. Er näherte sich der Tür, durch die er schon einmal gegangen war, um mit Herrn Iblis zu sprechen. Seine Knie wurden mit jedem Schritt weicher; Ring hin oder her. Doch er blieb mutig. Dieses Mal klopfte Alex nicht an. Dieses Mal öffnete er energisch die Tür. Und dann blieb sein Herz für einen Moment stehen.

Es war Herr Iblis. Als ob er seit ihrer letzten Begegnung nicht ein einziges Mal diesen Raum verlassen hätte, saß er auf demselben Platz an der Tafel und schaute Alex an. Nur mit dem Unterschied, dass nun keine Mahlzeit auf dem Tisch stand, sondern ein Notebook. Nicht der Hauch einer Überraschung stand ihm im Gesicht. Im Gegenteil. Er lächelte sogar zufrieden. Alex dagegen verließ all seine Zuversicht. Er war wieder der hilflose Gossenjunge, der dem großen, allmächtigen Chef gegenüberstand.

„Alex! Das ist aber eine schöne Überraschung!“, rief Herr Iblis mit einer unglaubwürdigen Warmherzigkeit und seine Augen schielten eine Sekunde lang auf den Ring am Finger, ehe sie wieder in sein Gesicht schauten.

„Sie haben noch mein Foto. Ich will es zurück“, sagte Alex.

„Natürlich willst du es zurück. Du willst das Foto und ich will den Ring. Wir können einander helfen. Das habe ich dir schon vor zwei Tagen gesagt.“

„Ja. Und dann wollten Sie mich ermorden lassen. Der Ring gehört mir. Ich bin nicht hier, um ihre Spielchen zu spielen.“ Eine kleine Woge der Wärme strömte aus dem Ring in Alex, die ihm guttat.

„Darf ich das als Drohung auffassen?“, fragte Herr Iblis schmunzelnd.

„Wenn Sie es so verstehen wollen, dürfen Sie das“, erwiderte Alex ein Quäntchen selbstbewusster als zuvor.

„Mutig. Das muss man dir lassen, Alex. Dumm, aber mutig.“ Herr Iblis drückte auf eine Taste seines Notebooks. „Komm mal näher. Ich möchte dir etwas zeigen.“

Alex zögerte, doch als Herr Iblis das Notebook halb in seine Richtung drehte, kam er zumindest zwei Schritte auf den Tisch zu. Der Bildschirm zeigte parallel die Sichtfelder zweier Überwachungskameras. Die erste überwachte die Zufahrt zur Tiefgarage und die zweite die Tiefgarage selbst. Es mussten Aufzeichnungen sein, die Herr Iblis ihm da vorführte. Denn nun kam Leben in die Sache. Auf der linken Sequenz kam eine Gestalt ins Bild. Eine, die einen dreckigen Herrenanzug trug und hinunter schlich. Das Bild war scharf genug, dass Alex sich selbst erkannte. Aber von Dzengis keine Spur. In dem Moment, als der schleichende Alex dem Bereich der ersten Kamera entfloh, tauchte er im Bereich der Tiefgaragenkamera auf; noch immer alleine. Kurz erstarrte der aufgezeichnete Alex, als er auf den geparkten blauen Lieferwagen blickte, dann drehte er seinen Kopf zu einer imaginären Person, sagte etwas, das man nicht hören konnte, zauderte, ging dann doch weiter zur Tür und verließ nach einem weiteren Zögern und panischen Blicken die Tiefgarage und damit auch den Sichtbereich der Kamera.

„Du siehst, dein Überfallangriff ist ins Leere gegangen, Alex. Jetzt gib mir den Ring und wir sind quitt.“ Alex stand stocksteif da. Ohne zu wissen, wie es jetzt weitergehen sollte. Dzengis!!!, schrie er in Gedanken. Aber eine Antwort bekam er nicht. Herr Iblis legte Alex' Sprachlosigkeit als Trotz aus, und seine Stimme wurde härter. „Es wird dich nicht überraschen, wenn ich dir sage, dass hinter der Tür Arthur und Jan stehen. Sie brennen darauf, eine Rechnung mit dir zu begleichen. Ich weiß zwar nicht, wie, aber du hast ihnen ganz schön zugesetzt. Also? Drei. Zwei. Eins.“ Alex wartete verzweifelt auf ein Zeichen seines ach so tollen Dschinn. Aber das Einzige, was passierte, war, dass die Tür aufgerissen wurde und Jan und Arthur eintraten. Einen solch geballten Hass wie der, der in ihren Augen loderte, hatte Alex in seinem Leben noch nie gesehen. Aber er glaubte auch noch etwas anderes zu erkennen. Unsicherheit? Zögern? Aber dieser Eindruck hielt nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Schnell waren sie bei ihm und Arthur schlang seinen Arm um Alex Hals, während Jan ihn nach Waffen abtastete.

„Nichts“, knurrte er und klang etwas überrascht, nachdem er Alex fertig gefilzt hatte.

„Gut“, sagte Herr Iblis und musterte Alex mit der Genugtuung eines Getriebenen, der sich am Ziel wähnte. Haltet ihn fest.“

Zu zweit hielten Jan und Arthur Alex nun fest. Und Alex blieb nichts mehr, als sich seine Niederlage, die wohl auch seinen Tod bedeutete, einzugestehen. Wie leicht er es ihnen gemacht hatte. Wie naiv er sich von Dzengis hatte verleiten lassen, unbewaffnet und dumm ins Quartier eines Mörder-Syndikats hineinzuspazieren und darauf zu vertrauen, dass schon alles gutginge. Herr Iblis nahm sich nun seine Hand und während er gegen Alex' allerletzte Widerstandsmöglichkeit, den Finger zu krümmen, ankämpfte, durchfuhr Alex die Erkenntnis. Dzengis gab es nicht. Er war ein Gespinst seines Verstandes, um das alles, was ihm passiert war und was ihm angetan wurde, zu verarbeiten. Und Alex hatte es für bare Münze genommen. Ich habe es nicht anders verdient, dachte er trübsinnig, als seine Kraft nachgab und Herr Iblis seinen Finger geradebog.

Quatsch. Ganz eindeutig Dzengis' Stimme, tief Alex' Unterbewusstsein.

Es hätte ein Leichtes sein müssen, ihm den Ring vom Finger zu streifen. Doch Herr Iblis begann zwar vorsichtig – bestimmt eher aus Rücksicht auf das Schmuckstück als auf Alex –, wurde jedoch immer aggressiver. Aber der Ring saß bombenfest. Immer fester zog und riss er. Alex trieb der Schmerz Tränen in die Augen, doch Jan und Arthur gaben ihm nicht die winzigste Möglichkeit sich zu wehren.

„Hören Sie auf“, schrie er panisch. Es fühlte sich an, als wolle Herr Iblis ihm den Ring mitsamt der Haut darunter entreißen, wenn es nicht anders ginge. Und Gott! Weit war er nicht davon entfernt. Alex presste die Zähne aufeinander, um sich von den Schmerzen abzulenken. Ein Kribbeln ging durch seinen Körper – aus dem Arm in die Hand und dort in den Ringfinger; und Herr Iblis kreischte auf. Als ob er einen Stromschlag verpasst bekommen hätte, sprang er zurück. Erst schüttelte er wild seine Hand in der Luft, dann – als der Schock etwas nachgelassen hatte - schaute er zuerst auf seine Hand und dann – aus blutunterlaufenen Augen - zu Alex.

Nun sah Alex es auch. Furchtbare Verbrennungen, die bis ins Fleisch zu gehen schienen, verunstalteten seinen Zeige – und Mittelfinger. Im Fingerballen hatte sich ein Zeichen eingebrannt, das mit etwas Fantasie als Drache des Siegels zu erkennen war. Er rang schwerfällig nach Luft. An einer Ader am Hals konnte Alex seinen Puls rasen sehen. Dann brüllte er zu seinen Kumpanen: „Bringt mir den Ring!“ Keuchendes Atmen. „Schneidet der Ratte den Finger ab und macht ihn alle.“ Pusten. „Raus jetzt!!!“

Nichts passierte. Als ob die Zeit stillstände. Dann wurde Alex grob zur Tür geschliffen. Von dem, was eben geschehen war, stand Alex selbst so unter Schock, dass er es sich widerstandslos über sich ergehen ließ. Hilf mir doch, Dzengiz!!!, brüllte er tief in seinen Verstand hinein.

Keine Angst.

Der hatte gut reden. Verkrümelte sich in seinen Ring, wenn es ernst wurde und überließ Alex seinem Schicksal. Wieder so eine Woge aus Energie, die aus dem Ring in Alex überging und eine Beruhigung ausstrahlte, als ob doch noch alles gut werden konnte. Arthur und Jan bekamen davon nichts mit. Unerbittlich schoben sie Alex weiter, auf den Treppenrand zu.

Ein Stoß in den Rücken und Alex stürzte hilflos die Stufen hinab, dicht gefolgt von trampelnden Füßen. Seine Schienbeine, Knie und die Hüfte wurde bei dem Fall lädiert und zu allem Überfluss schlug er sich an der untersten Stufe auch noch den Kopf an. Alex ächzte vor Schmerzen, als er von vier starken Händen sofort wieder hochgerissen und weitergezerrt wurde.

„Bring ihn schon mal vor“, sagte Arthur zu Jan hinter Alex' Rücken. „Ich hole die … Ausrüstung.“

Jan grummelte eine Zustimmung. Bei der Frage, um was es sich bei der Ausrüstung wohl handelte, drehte sich Alex der Magen um.

„Komm mit“, sagte Jan, als Arthur in die andere Richtung davon ging.

Alex gehorchte. Er soll dich gehen lassen, wisperte Dzengis' Stimme in Alex Kopf.

„Lass mich gehen“, sagte Alex.

Jan lachte bitter. „Träum weiter. Mit deinen faulen Tricks ist es bald vorbei.“ Er schüttelte langsam mit dem Kopf. „Erst die Show draußen im Kies und jetzt hast du's dir noch mit deiner Aktion mit dem Chef versaut. In deiner Haut möchte ich nicht stecken.“

Vielleicht war es Ironie des Schicksals, dass die Reise für Alex dort enden sollte, wo im Hause Iblis alles begonnen hatte. Es war nämlich das Zimmer, in dem Alex nach seiner Ankunft festgehalten worden war, in das Jan ihn auch nun brachte. Und warum auch nicht? Zumindest schützten die Milchglasscheiben vor neugierigen Blicken von außen, wenn hier ein Mord begangen wurde. Mit einem Stoß landete er auf dem Bett, in dem er vorletzte Nacht noch geschlafen hatte und drehte sich schnell, um Jan im Augen zu behalten.

„Du weißt, was in der Kiesgrube passiert ist. Oder nicht?“, fragte Alex den Gangster, der auf ihn herabblickte.

Das Flackern des Grauens in Jans Augen sprach Bände. „Still jetzt“, zischte er.

„Verschwinde und ich lasse dich davonkommen“, sagte Alex. Es fühlte sich an, als ob der Ring an seinem Finger wie ein Herz pulsierte. Zweifel in Jans Gesicht. Obwohl das Angebot an Lächerlichkeit nicht zu überbieten war, schien es, als ob er tatsächlich über die Option nachdachte. Doch dann hallten Schritte im Flur. Und Arthur stampfte mit einem blau-metallenen Koffer in der Hand ins Zimmer. „Du hättest es so einfach haben können, Stinker“, brummte er zu Alex und dann zu Jan: „Halt ihn fest.“

Für Alex war es ein Schock, als Jan ohne auch nur einen Wimpernschlag zu zögern ihn packte, hochzog und ihn festhielt, indem er beide Arme um Alex Brust mitsamt der Oberarme schlang. Jans Atem ging stoßweise direkt in sein Ohr. Alex zappelte und trat auch auf Jans Fuß, während er sich mitansehen musste, wie Arthur den Stahlkoffer öffnete. Oder besser gesagt den Werkzeugkasten, der nun mehrere Fächer offenbarte. Doch all seine Gegenwehr führte nur dazu, dass Jan seinen Griff genug verfestigte, dass Alex das Gefühl hatte, ihm würde der Brustkorb eingedrückt.

Dzengis!!!, brüllte er in Gedanken.

Geduld.

Von wegen Geduld. Alex stieß einen heiseren Schrei aus, als Arthur eine Kneifzange herausholte und auf ihn zukam. „Das kann heute ein langer Tag werden“, knarzte er zu Jan. Alex wurde bei den Worten der Magen übel - mit den Bildern der Folterinstrumente vor Augen, die seine Fantasie aus den anderen Werkzeugen machte, die er auf die Schnelle erkannte. Kneifzangen. Schraubenzieher. Kabelbinder. Teppichmesser. Hammer; sogar eine kleine Handsäge. Alex wand sich um sein Leben, als Arthur, dem die Vorfreude auf einen Foltermord ins Gesicht geschrieben stand, gemächlichen Schrittes auf ihn zukam.

„Ihr müsst das nicht tun“, krächzte Alex. Aber das war nicht mehr als ein verzweifeltes Winseln.

Arthur lachte. „Vielleicht wollen wir aber genau das tun, Ratte“, brummte er, während sich die Zange Alex' Ringfinger mit dem Siegelring näherte. Wie zur Zustimmung kitzelte ein warmer Atemstoß Jans in Alex' Ohrmuschel.

Alex spürte nun das kalte – leider sehr stumpfe – Metall der Zange um seinen Fingeransatz. Wie um ihn noch fester zu fixieren, drückte Jan sein Kinn an Alex' Hinterkopf und zog seinen Griff noch enger. Arthur erhöhte den Druck mit der Zange nur leicht, was sofort dumpfe Schmerzen verursachte, und murmelte: „Ich mache dir aber noch ein Angebot. Sag uns, wo unsere Knarren sind und wir beschleunigen den ganzen Spaß ein bisschen.“

Mehr als einen trotzigen Blick aus tränenglänzenden Augen bekam Alex nicht zustande, aber der reichte Arthur als Antwort. „Dann eben nicht.“ Er schaute über Alex' Schulter hinweg zu Jan. „Schieb ihn einen Schritt vor. Hab keinen Bock, den Läufer einzusauen.“ Jan schob Alex weg vom Bett. Die Zangengreifer zogen seinen Finger unbarmherzig nach vorne. Aber gleichzeitig passierte noch etwas anderes. Wie ein Tsunami durchflutete die Energie des Ringes, die Alex bis dahin nur ansatzweise fühlen durfte, seine Adern, seine Muskeln und sein Gehirn.

Sekundenbruchteile, bevor die Kneifzange ihm den Finger abtrennen konnte, warf Alex all sein Körpergewicht nach hinten in Jans Rumpf, sein Bein schnellte nach vorne und sein Fuß traf mit voller Wucht in Arthurs Weichteile. Die Zange schlug klirrend auf dem Boden auf und etwas knackte, als Alex' Kopf aus dem Schwung heraus nach hinten schlug und gegen Jans Nase prallte.

Der Griff lockerte sich und Alex sprang nach vorne. Mit drei großen Schritten war er am Werkzeugkasten angelangt und erkannte mit einem nur streifenden Blick, dass Arthur außer Gefecht gesetzt war. Mit hummerrotem Kopf hatte er sich auf dem Boden zum Fötus zusammengerollt und hielt sich den Schritt. Nicht einmal schreien konnte er.

Doch Jan hatte sich sofort wieder gefangen. Alex hörte seine Schritte direkt hinter sich, als er im Werkzeugkasten nach dem Hammer griff und ihn im selben Atemzug in einer Drehung schwang. Mit einem dumpfen Klatschen prallte der Hammerkopf auf Jans Brustbein. Jan gab ein Seufzen von sich, als hätte man aus einem Schlauchboot die Luft rausgelassen und sackte in sich zusammen.

Zimmerschlüssel, zischte Dzengis' Stimme in Alex' Kopf und ohne zu zögern stürzte er auf den am Boden liegenden Arthur zu; wie ein Urzeitkrieger mit gebrülltem Kampfschrei und weit über dem Kopf nach hinten ausgeholtem Hammer. Arthur blieb nicht viel mehr, als seine Arme schützend vor sein Gesicht zu reißen. Alex nutzte die Finte. Mit der Virtuosität eines Meisterdiebes angelte er sich den Schlüssel aus Arthurs Tasche, krallte sich den Werkzeugkasten mitsamt Zange vom Boden und eilte mit seiner Beute zur Tür, noch bevor Arthur überhaupt verstanden hatte, dass er ungeschoren davongekommen war. Jans Hand griff nach Alex' Knöchel und brachte ihn ins Straucheln. Aber er konnte sich gerade noch fangen und nach dem Brusttreffer mit dem Hammer war Jan zu mehr nicht imstande. Sekunden danach schloss er die Möchtegern-Mörder ein zweites Mal ein und brach den Schlüsselkopf zur Sicherheit noch mit einem Hammerschlag ab.

Wild atmend lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand, während Arthur schon wieder die Luft zum Fluchen fand. Langsam begann nun auch Jan zu jammern.

Danke, dachte er in sich hinein und hörte sofort Dzengis' Stimme in seinem Verstand.

Wofür? Ich musste dich nur ankitzeln. Den Rest hast du alleine geschafft. Ganz ohne Zauberei.

Nur einen kurzen Moment war Alex sauer, aber dann folgte der Stolz auf sich selbst. Und die Erkenntnis, dass die Übervorteilung des Zaubers sich niemals mit dem guten Gefühl, selbst etwas Großes vollbracht zu haben, messen konnte. Eine herzende Wärme erfüllte ihn, als ob Dzengis ihn für den Gedanken umarmen würde.

Los, Kleiner. Jetzt holen wir uns deinen Herrn Iblis.

Alex war optimistisch, als er sich auf den Weg zu Herrn Iblis machte. Er hatte die beiden furchteinflößendsten Schläger und Auftragsmörder besiegt, die man sich vorstellen konnte. Mit so einem Wicht würde er da doch eine Million mal fertig werden. Überschätze dich nicht. Dein Herr Iblis ist schlauer als die Zwei, mahnte ihn Dzengis' Stimme. Jeder ist schlauer als die Zwei, dachte Alex und erhielt keinen Widerspruch. Den Werkzeugkasten ließ er auf dem Flur zurück. Hauptsache, die Werkzeuge, mit denen sie sich vielleicht hätten befreien können, waren außer Reichweite der Ganoven. Nur mit dem Hammer bewaffnet ging Alex den Flur entlang. Als er die Treppen wieder hinaufging, die er vorhin heruntergestoßen worden war, stöhnte er. Jede Stufe war wie ein Tritt gegen sein Knie. Von seiner Hüfte ganz zu schweigen.

Geht's?, fragte die wohlvertraute Stimme in seinem Kopf.

Ja.

Zum Glück waren es nicht viele Stufen und auf dem Flur verblasste der Schmerz zu einem Nachglühen. Jetzt wird es ernst, dachte Alex als er vor der Tür stand, aus der er vorhin geschleppt worden war. Er besann sich für eine Sekunde, dann stürmte er hinein.

Der Raum war leer.

Alex war sich nicht sicher, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Er wäre froh gewesen, wenn er das alles schnell hätte beenden können. Auf welche Art auch immer. Aber die Angst vor dem finalen Aufeinandertreffen war mindestens genauso groß.

Kein Wunder bei dem Lärm, den wir oben veranstaltet haben. Der ist schon längst über alle Berge, dachte er.

Nicht ohne den Ring, antwortete Dzengis in seinen Gedanken. Und Alex musste ihm recht geben, falls Herr Iblis nur einen winzigen Schimmer hatte, welche Macht sich in dem Schmuckstück verbarg. Und wenn man seine kaltblütige Gier danach betrachtete, hatte er den wohl.

Und was machen wir jetzt?, fragte Alex in sich hinein.

Sehen wir uns um.

Alex war alles andere als wohl bei dem Gedanken; immer im Bewusstsein, dass irgendwo dieser zwar kleine und dicke, aber auch skrupellose und hinterhältige Herr Iblis lauern konnte. Und vielleicht auch noch weitere Jan- und Arthur-Verschnitte. Trotzdem folgte er Dzengis' Vorschlag. Er durchstöberte das Zimmer, aber damit war er schnell fertig. Zu finden gab es nämlich nichts. Wieder hinaus auf den Flur, zwar mit dem Hammer gerüstet, aber trotzdem jeden Pulsschlag darauf gefasst, einen Schlag auf den Hinterkopf zu bekommen, der ihm für immer das Licht auslöschen würde.

Nichts passierte. Alex ging in den nächsten Raum. Die gleichen Ausmaße, wie Alex’ Gefängniszimmer und Herr Iblis' Empfangszimmer, aber er war leer. Und zwar richtig leer. Kein Mobiliar, kein Wandbehang und die vorhanglosen Fenster schauten wie tote Augen durch Zweige und Äste eines Baums hindurch auf die Straße und den Lieferwagen, hinter dem sich Alex und Dzengis vor gar nicht langer Zeit versteckt hatten. Und wieder diese schneeweiße Seitentür, die wohl in ein Bad führte.

Das muss einmal ein Hotel gewesen sein. Oder eine Pension, schlussfolgerte Alex gedanklich. Und jetzt wurden also Menschen hier gefangen, gefoltert und ermordet. Ihn grauste.

Lass uns weitergehen, drängte der Dschinn in seinem Kopf.

Sie inspizierten noch alle weiteren Zimmer hier oben, aber auch dort war das Ergebnis ernüchternd. In einem fand Alex ein ähnliches Bett wie das, in dem er in seinem Gefängniszimmer geschlafen hatte. Die Bettwäsche war durcheinander, als ob jemand kürzlich erst darin übernachtet hätte. Aber ansonsten gab es dort auch nichts. Ein Zimmer weiter waren zwei nackte Feldbetten. Die Übeltäter übernachteten also hier manchmal, wenn es sein musste, aber richtig wohnen taten sie hier nicht. So viel war jetzt schon mal klar.

Aber viel bringt uns das auch nicht weiter, nörgelte Dzengis und Alex dachte: Hör auf zu motzen, das war doch deine Idee.

Weiter.

Er seufzte. Der Weg in die Klapse war wohl nicht mehr weit, wenn man sich schon mit der Stimme in seinem Kopf zankte. Und wenn schon. Dort gab es wenigstens regelmäßige Mahlzeiten. Angespannt ging er wieder aus dem Zimmer hinaus. Aber angegriffen wurde er nicht. Die Zimmer in diesem Stockwerk hatte er nun alle durch. Ganz hinten im Eck war nur noch eine unscheinbare grün lackierte Eisentür, die allem Anschein nach in einen Abstellraum oder eine Besenkammer führte. Alex drückte die Klinke – verschlossen.

Mist, dachte er. Wenn es hier etwas zu finden gab, dann doch wohl in einem verschlossenen Raum.

Er verfluchte sich dafür, dass er den Schlüssel, mit dem er Jan und Arthur eingesperrt hatte, zerstört hatte. Vielleicht gab es hier ja so etwas wie ein Generalschlüssel, der überall passte.

Das glaubst du doch selbst nicht, meinte Dzengis.

Alex gab ein entschlossenes Grunzen von sich und prügelte dann mit dem Hammer erst auf die Klinke, dann auf die Tür ein. Das Wummern von Stahl auf Stahl ließ das ganze Stockwerk erzittern. Langsam mischte sich das Lachen von Dzengis' Stimme in seinem Kopf dazu.

Was ist so furchtbar lustig?, dachte Alex und trommelte unbeirrt weiter, während grüner Lack auf den Boden bröselte.

In drei-, vierhundert Jahren bist du durch, wenn du die Schlagkraft halten kannst.

Alex ließ noch drei Hammerschläge auf die Tür einprasseln, dann ließ er genauso erschöpft wie frustriert das Werkzeug sinken.

Und jetzt?

Der Werkzeugkasten, schwang Dzengis Stimme aufmunternd durch seinen Kopf.

Kannst du das Scheißding nicht einfach aufzaubern? Wofür bist du denn ein Dschinn? Er hielt genervt den Ringfinger mit dem Siegel ans Schloss und hoffte auf ein unerwartetes Klacken.

Vielleicht könnte ich, vielleicht auch nicht, säuselte der körperlose Geist unverschämt vergnügt. Aber mit solchen faulen Zaubern fangen wir gar nicht erst an. Bei mir musst du dir deine Sporen verdienen.

Grummelnd stapfte Alex wieder den Flur entlang. Auf den Stufen musste er feststellen, dass sein verletztes Knie die Treppe runter noch mehr schmerzte als hinauf. Und was soll ich mit dem Scheiß Werkzeugkasten machen?, motzte er in sich hinein. Ich kann vielleicht klauen. Aber keine Schlösser knacken. Eine Antwort blieb Dzengis ihm schuldig.

Am Treppenende blieb Alex erst einmal stehen, um sein Bein zu entlasten und zu warten, bis das Schreien seiner Kniescheibe wieder zu einem Winseln geworden war. Ihn graute schon davor, jetzt gleich wieder hier hochgehen zu müssen.

Vielleicht durchchecken wir erst einmal die restlichen Zimmer hier unten, flehte er. Dzengis' Schweigen glich einem Seufzen. Hier unten gab es nicht so einen vielversprechenden Raum wie die Besenkammer. Und trotzdem tat es Alex. Nur, um seinem Knie eine Schonfrist zu geben. Alle restlichen Zimmer waren offen, alle restlichen Zimmer waren leer. An der Stirnseite führte eine Tür zu einem kleinen, ausgeräumten Lobbyraum, der hinaus auf einen Kieselweg und dann zur Straße führte.

Jetzt hör auf, Zeit zu vergeuden, nörgelte Dzengis.

Dann hör du auf zu nerven.

Es half alles nichts. Alex kniete sich neben den Werkzeugkasten, der noch auf dem Flur vor dem verschlossenen Zimmer stand. Er dachte gar nicht daran, den ganzen Rotz die Treppe hochzuschleppen und sich damit das Knie restlich zu ruinieren. Unter dem steten Brüllen, Drohen und Hämmern von Arthur und Jan hinter der verschlossenen Tür legte Alex seinen Hammer neben sich und klappte den Koffer so auf, dass er in alle Fächer schauen konnte. Schraubenzieher konnte man ja immer mal gebrauchen. Inbusschlüssel? Das funktioniert so nicht, zeterte Dzengis' körperlose Stimme genauso real wie das Geifern der eingeschlossenen Ganoven. Und Beides ignorierte Alex gleichermaßen. Ein Flachmeißel, den man vielleicht als Stemmeisen missbrauchen konnte. So ein zweiteiliges …

Achtung!!!

Ein Schrei in Alex' Verstand, als würde es seinen Kopf in Stücke reißen. Mit einem Ruck fuhr er hoch, prallte gegen einen weichen Körper und sah etwas Silbernes – eine Klinge! - direkt an seiner Nase vorbeigleiten. Ohne darüber nachzudenken schnappte Alex sich den Arm, der das Messer hielt und biss zu. Herr Iblis kreischte schrill auf, doch Alex gab nicht nach. Er hielt den feindlichen Arm am Handgelenk und am Ellbogen mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, fest und seine Zähne gruben sich mitsamt des edlen Stoffes des Jacketts ins Fleisch. Ein missglückter Faustschlag traf ihn im Rücken und es kam zu einem ungelenken Rangeln. „Lass fallen“, wollte Alex sagen, aber mit dem Unterarm zwischen den Zähnen kam nur ein dumpfes, unverständliches Quaken heraus.

Nach einer endlos wirkenden Zeit des Überlebenskampfes, der in Wirklichkeit wohl nur wenige Minuten gedauert hatte, landete das Messer mit einem hellen Scheppern auf dem Boden. Alex beendete den Biss und warf sich auf Herrn Iblis. Endlich mal ein Gegner, dem ich gewachsen bin, dachte er erleichtert, als er den Übeltäter mit seinem eigenen Körpergewicht auf den Boden presste. Mit einem Wisch schob er das Messer außer Reichweite, das mehrere Meter über den Boden schlitterte, dann versuchte er, ohne die Kontrolle über Herrn Iblis zu verlieren, zum Werkzeugkasten zu greifen und sich ein oder zwei Kabelbinder zu angeln.

Herr Iblis konnte sich dabei nur so halbwegs befreien und seine kurzen Fingernägel kratzten Alex durchs Gesicht. Es kam wieder zu einem Kampf im Liegen und im Sitzen, bei dem Alex aber die Oberhand behielt. Und dann war es geschafft. Ein Kabelbinder war eng um Herrn Iblis' Handgelenke geschnürt. Aber das war ihm nicht genug. Mit allen Kabelbinder, die der Werkzeugkasten hergab und zur Sicherheit sogar noch mit seinem dreckigen Jackett verschnürte er seinen Widersacher an Armen und Beinen unter verzweifeltem Zappeln zu einem Päckchen.

Am Ende schaute er erschöpft, durchgeschwitzt und zitternd auf den mächtigen Mann herab, der nun nur noch ein armes Würstchen war. „Ich kann dir Geld geben. Richtig viel Geld“, quäkte er. Aber da konnte Alex nur lachen.

Durchsuche ihn.

Natürlich. Es war ein Bild des Jammers, als Alex Herrn Iblis in eine Tasche nach der anderen griff und deren Inhalt herausholte. Dabei wurde er beschimpft, verflucht und sogar bespuckt. Aber egal. Alex hatte schon Schlimmeres erlebt. In der linken Jackett-Tasche fand er schließlich das, was er sich gar nicht gewagt hatte zu erhoffen. Einen Schlüsselbund mit gut einem halben Dutzend Schlüsseln daran.

„Das wagst du nicht!“, brüllte ihn der gefesselte Mann an. Doch Alex wagte es sehr wohl, den Schlüsselbund und das Messer an sich zu nehmen, die Werkzeuge außer Reichweite zu schaffen und dann zur Treppe zu humpeln. Sein Knie war durch den Kampf nämlich nicht besser geworden.

„Du mieser kleiner Bastard! Bleib! Hier!“, giftete ihm Herr Iblis grell wie ein kleines Mädchen hinterher und zappelte und wand sich auf dem Boden wie ein Fisch im Trockenen . „Ich bring dich um!!!“

Unbeeindruckt quälte Alex sich wieder die Treppen hoch. Bei dem Schreien und Fluchen seiner Erzfeinde konnte er zumindest erahnen, dass alle dort waren, wo sie sein sollten, dachte er sich, als er kurze Zeit später geduldig Schlüssel für Schlüssel am Schloss der grünen Tür durchprobierte.


Selbstverständlich war es der letzte Schlüssel, der sich in das Schloss hineinschieben ließ. Wie hätte es auch anders sein sollen. Mit einem wohligen Gefühl der Genugtuung drehte Alex den Schlüssel und ein winziger Widerstand wurde mit einem Knacken gebrochen. Und Alex öffnete die geheimnisvolle Tür.

Die Erhabenheit ging schnell wieder verloren, als durch die Tür und an Alex vorbei die ersten Lichtstrahlen in die stockdunkle Kammer fielen und ihm ein modriger Textilgeruch entgegenschlug. Alex' Hand musste sich nur kurz an der Wand entlangtasten, ehe er den Lichtschalter fand, dessen Betätigung seinen ersten Eindruck bestätigte. Es war genau das, was er vorher vermutet hatte. Eine Abstellkammer. Schmal genug, dass er mit ausgestreckten Armen die gegenüberliegenden Wände mit beiden Händen berühren konnte; und dafür musste er sich nicht einmal besonders strecken. An die Wände waren ein Besen und zwei Wischmopps gelehnt, von denen einer in einem Eimer steckte. Und dahinter türmten sich mannshohe Stapel aus Bettwäsche. Wenn man vom Geruch ausging, mussten sie schon lange da drin sein. Eher Monate oder sogar Jahre als Wochen.

Was für ein Scheiß, dachte Alex.

Lass dich nicht täuschen. Ich glaube, wir sind auf einer heißen Spur, meine Dzengis.

Denkst du, ich soll …?

Ja.

In Gedanken sammelte Alex so ziemlich alle Flüche, die ihm einfielen. Mit seinem schmerzenden Knie und seiner pochenden Hüfte gab es Dinge, auf die er in diesem Moment mehr Lust gehabt hätte, als Bettwäschestapel zu verschieben, nur um … ja wofür denn eigentlich? Um seine dreckigen Kleider zu finden, die ihm vor zwei Tagen - angeblich zum Waschen – abgenommen worden waren, und das Bild seiner Mutter nach dem er sich so sehr sehnte?

„Blödsinn“, murmelte er vor sich hin. Als ob er hier fündig werden würde.

Dzengis' Drängen fühlte er als eine Anspannung, die aus dem Ring heraus seinen ganzen Körper erfüllte.

Ist ja gut. Unter Schmerzen trug er die ersten Wäschetürme ab, nur um sich einer weiteren Reihe Wäschetürme gegenüberzustehen. Und als er diese abgetragen und hinter sich auf dem Flur verstreut hatte, sah er sich den nächsten Wäschetürmen gegenüber, die seine eigene Körpergröße um mehr als zehn Zentimeter überragten. Er fing schon langsam an, an einen neuen Zauber zu glauben. Ein zehn Quadratmeter kleiner Raum, in dem sich auf Kilometerlänge diese verdammten Wäschestapel reihten. Doch hinter der dritten Reihe war endlich Schluss. Nur ein kleiner Spalt war noch Luft zwischen den aufgetürmten Textilien und der weiß verputzten Wand. Auf dem Boden stand nichts weiter als ein brauner lederner Pilotenkoffer.

Könnte wichtig sein, sagte eine Stimme in seinem Kopf, von der er sich nicht ganz sicher war, ob es die von Dzengis war oder die seines eigenen Unterbewusstseins.

Ja. Oder so unwichtig, dass sich bei der Aufgabe des Hotels niemand dafür interessiert hatte, ihn hier rauszuholen, bemerkte der frustrierte Teil seines Verstands. Der Teil, der sich die ganze Zeit mit den verletzten Gelenken herumschlagen musste und sich vor den Feinden, die ihn umbringen wollten, fürchtete. Die zwar vorübergehend gut festgesetzten Feinde, die aber mit ihren Schreien und Drohungen, die durch das Haus hallten, in jeder Sekunde daran erinnerten, dass sie noch da waren und brandgefährlich waren.

Dann solltest du es so schnell wie möglich hinter dich bringen. Dieser Gedanke war nun ganz eindeutig Dzengis'. Und wahrscheinlich hatte er auch recht. Alex öffnete zuerst den Reißverschluss des kleinen vorderen Faches des Köfferchens, weil das so schön ausgebeult war und holte dann deren Inhalt heraus. Mehrere Briefumschläge. „Das ist doch mal was“, murmelte er vor sich hin, als er deren Inhalt in den Fingern hielt. Geldscheine. In verschiedenen Währungen. Euro natürlich und auch die Dollar konnte er gleich identifizieren, aber da waren auch andere Währungen, die er auf die Schnelle nicht zuordnen konnte. Gerade deshalb fiel es ihm schwer, den Wert zu dotieren. Aber er schätzte, dass er hier gerade einen Betrag im unteren oder mittleren fünfstelligen Bereich in den Händen hielt.

In anderen Umschlägen waren Dokumente. Personalausweise, Reisepässe, Kreditkarten, irgendwelche Mitgliedsausweise. Alle auf verschiedene Namen ausgestellt. Mal ein Werner Henns, mal ein Montgomery Williams. Einen Mustafa Dündar gab es da noch und einen Leif Andersen. Das Gemeinsame war, dass alle Dokumente mit Lichtbild ein Passfoto von Herrn Iblis beinhalteten. Was für ein Gauner. Und wenn schon. Wir sind reich, dachte Alex begeistert, doch Dzengis bremste ihn. Leg das lieber wieder zurück.

Alex gehorchte. Dzengis hatte wohl recht. Wer wusste schon, ob das vielleicht Falschgeld war. Ganz sicher war das Geld verbrecherisch und konnte ihn vielleicht in Schwierigkeiten bringen.

Such weiter. Das war wieder Dzengis' Stimme. Dieses Mal mit mehr Nachdruck, als Alex es von ihm gewohnt war.

Ist ja gut, ist ja gut.

Er öffnete das Hauptfach und fand darin nichts anderes als etwas, was auf den ersten Blick ein dicker Klumpen Zeitungspapier war. Eine Lage nach der anderen wickelte er ab. Bis er etwas Bronzenes in der Hand hielt.

„Ist das...?“, fragte Alex voller Ehrfurcht in den leeren Raum.

Ja.

Nun verblasste die Welt um ihn herum. Der muffige Geruch der Wäsche; die Schmerzen, die seinen Körper in Beschlag genommen hatten; das Wüten seiner Feinde ein Stockwerk tiefer. Alles blendete sich aus, als ob ein Dimmer herabgedreht würde. Ohne es glauben zu können schaute er auf das Relikt in seinen Händen, das – wenn man es nicht besser wusste – anmutete, wie ein antikes Teekesselchen. Nicht viel größer als eine seiner Handflächen, glanzlos und ohne Schnörkel. Nur ein eingraviertes Signum zierte die glattgewölbte Oberfläche. Ein Drache mit schlangenartigem Körper, angelegten Flügeln und langgezogenem Raubtierkopf. Das Ebenbild des Siegels an Alex' Ring. War das die Zauberlampe, für die Francis Lefavre bereit war, die ganze Welt umzugraben, nur um sie zu finden? Die Zauberlampe, die in Märchenbüchern als Wunderlampe Einzug gehalten hatte? Er konnte es kaum glauben.

„Doch, das ist sie. Deshalb habe ich dich hierher geführt“, sagte Dzengis und es dauerte einige Sekunden, bis Alex bemerkte, dass die Stimme real war und Dzengis körperlich neben ihm stand.

Alex schaute ihn fragend an. Aber nur widerwillig, denn es fiel ihm schwer, den Blick von der Zauberlampe abzuwenden. Worte fand er keine. Und schnell drehte er sein Gesicht wieder zu dem Ding in seinen Händen, was sofort Befriedigung in ihm auslöste. So musste sich wohl ein Junkie fühlen, wenn das Heroin aus der Nadel in die Blutbahn schoss. Dzengis' Stimme drang unbedeutend wie aus einer anderen Zeit und aus einer anderen Welt in sein Ohr und kratzte an seiner Gehirnrinde. „Meine wahre Aufgabe – und meine einzige Aufgabe – war es, einen ehrenhaften Gebieter für die Lampe zu finden und ihren Geist. Und die Macht, die damit verbunden ist.“ Er lachte bitter. „Das ist mein Verhängnis.“

Alex antwortete etwas und er wusste nicht einmal was. Nicht einmal die tiefe Traurigkeit in Dzengis' Stimme bekam er mit. Was er jetzt alles tun konnte. Er musste sich nie wieder fürchten vor einem Herrn Iblis und einem Jan und einem Arthur. Und Francis Lefavre und seinesgleichen würden nie wieder einen hochbekommen, wenn sie sich an Jugendlichen oder vielleicht sogar Kindern vergreifen wollten, wenn Alex es richtig anstellte. Ach was. Die Eier würden ihnen abfaulen. Und er könnte seine Mutter zurückholen, könnte wieder in der Wirklichkeit mit ihr gemeinsam lachen und nicht nur auf dem verdammten Bild. Sie mussten sich dann nicht mehr vor der Weißglut seines Vaters fürchten. Er könnte alles – einfach alles so gestalten, wie er er wollte. Wie es gut sein würde!

„Leb wohl, Alex.“

„Hmh.“ Die Putins, Kims, Maduros und Xi Jinpings und wie sie alle hießen mussten sich jetzt warm anziehen. Bald ging es ihnen an den Kragen. Und am Besten den Orbans, Trumps und Dudas gleich mit.

Dass Dzengis weg war, registrierte Alex nur, weil der Ring an seinem Finger schwerer und … gehaltvoller wurde. Endlich war es soweit. Intuitiv wusste er ganz genau, was zu tun war. Das Siegel an das Signum legen, dann mit den Fingern über die Lampe streichen und dann war er so mächtig, dass er die Welt zu einer besseren machen könnte. Zu einer Alex-Welt, so wie er sie sich vorstellte. Und alle würden ihn lieben.

Etwas sträubte sich in ihm. Ein einziges kleines Nackenhaar. Was passierte hier eigentlich? Was tat die Lampe mit ihm?

„Dzengis?“

Er riss den Kopf zur Seite, um den Blick von der Lampe zu nehmen; so fest, dass es ihm in den Nacken fuhr. Jede Sekunde, die er nicht hinschaute, fühlte sich wie eine verlorene Unendlichkeit an, in der die Welt unter ihrem jetzigen unvollkommenen Zustand leiden musste. Aber stimmte das auch? Zweifel überkamen ihn, wenn er nicht auf die Lampe schaute. „Dzengis?! Wo bist du?!“, jammerte er. Aber er bekam keine Antwort. Nur der Ring an seinem Finger erschien nun tonnenschwer. Er kämpfte gegen die Übermacht seines Eifers an, aber er war so schwach. Nur einmal den Kopf drehen. Nur einmal linsen. Und er hatte verloren. Oder er war befreit.

Alex schrie gegen die Lähmung an. Und es wirkte. In dem kleinen Moment, den er sich verschafft hatte, stürzte er Hals über Kopf aus dem Räumchen, schlug die Tür hinter sich zu, sackte zusammen und kauerte sich dagegen. „Ich will das nicht, ich will das nicht, ich will das nicht“, winselte er unablässig vor sich hin und bemerkte dabei kaum, wie der Ring an seinem Finger immer leichter – und lebloser wurde. Es war wie das Erwachen aus einem bösen Traum, als Alex wieder zu sich selbst fand. „Dzengis“, murmelte er noch einmal. Doch auch diese Erkenntnis war nun zu ihm durchgedrungen: Der Dschinn würde nicht mehr kommen. Er hatte seine traurige Bestimmung erfüllt. Dzengis war ein Gefangener des Rings. Eine Geisel. Wie oft hatte er sich wohl schon mit ansehen müssen, wie unter seiner Führung gute Menschen übermächtig geworden waren; und wie viele davon waren ein Leben lang – über Jahre und Jahrzehnte – ihrer Verantwortung gerecht geblieben? Alex glaubte nicht so recht daran, dass ihm selbst das gelungen wäre. Dzengis' Schicksal, ein Dschinn zu sein, war wohl eher ein Fluch als ein Segen.

Alex kannte das Märchen von Aladin und der Wunderlampe zumindest ansatzweise. Als er ein Kind gewesen war, hatte es ihm seine Mutter oft zum Einschlafen vorgelesen. An die Geschichte selbst konnte er sich kaum noch erinnern. Nur die letzten Sätze waren hängen geblieben, weil ihn die als kleiner Junge so gerührt hatten.

Wenige Tage später starb der Sultan und Aladin bestieg den Thron. Er herrschte gerecht über seine Untertanen, die ihn liebten und verehrten. Mit seiner Gemahlin aber lebte er ferner in Glück und in Freuden. Keine Gefahr bedrohte mehr ihr Leben.

Nun, mit seiner neuen Lebenserfahrung, klangen diese Worte für Alex nicht mehr so fabelhaft. Vielleicht war Aladin ja tatsächlich ein solch übermenschlich-gutherziger Mensch gewesen, dass die Worte wahr waren. Aber wenn in der Geschichte nur ein Körnchen Wahrheit steckte, hätte Alex alles darauf gewettet, dass es sich bei Aladins Herrschaft um ein finsteres Zeitalter gehandelt hatte.

Der Ring an seiner Hand war nun kraftlos geworden und er musste seinen Ringfinger krümmen, damit das gute Stück nicht abrutschte. Er hatte seine Chance ein für alle Male vertan. Das wurmte Alex und es erleichterte ihn zugleich. Schlimmer war, dass er Dzengis so gleichgültig hatte gehen lassen. Er vermisste ihn jetzt schon. Seine Stimme, sein Lächeln, seinen verschrobenen Humor, die warmherzige Sicherheit, die er ausstrahlte. Seine Lippen. Es tut mir leid, Dzengis. Leb du auch wohl, sagte er in Gedanken und hoffte, dass der Dschinn – wo immer er auch war – ihn hören konnte. Am Liebsten wäre er für den Rest seines Lebens hier sitzen geblieben. Aber er hatte noch etwas zu tun. Er hatte ja noch Arthurs Handy bei sich. Jetzt, wo es Dzengis nicht mehr gab, kam er zwar nicht mehr über den Sperrbildschirm hinaus, aber Notrufe gingen ja immer. Und genau den wählte Alex.

Epilog

Erschöpft und überfordert saß Alex in einer Amtsstube auf dem Polizeirevier. Geschlagene zwei Tage war er festgehalten und verhört worden. Er hätte nun erleichtert sein können. Denn im Gegensatz zu Herrn Iblis und seinen Helfern, deren Netzwerk aus Korruption, Erpressung und sogar mehreren Morden binnen Stunden wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war, war Alex bis jetzt unbehelligt davongekommen. Und das mit einer Geschichte, die zwar so nah wie möglich an der Wahrheit gehalten war, die aber trotzdem wie ein Schlüssel an einer Lackschicht an ihr vorbeischrammte. Auch in seiner Version hatte Herr Iblis, der in Wirklichkeit Gerhard Breitenöder hieß, ihn entführt und gezwungen, Francis Lefavre den Ring zu stehlen und ihn dabei einzuschläfern. Das weiße Pulver, das Alex noch bei sich gehabt und den Beamten übergeben hatte, hatte ein Labor inzwischen als tödlich identifiziert.

Alex wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Francis Lefavre in Gerhard Breitenöders Blick geraten war, nachdem er bei den Ausgrabungen in Vorderasien den Siegelring gefunden hatte und sich in Kenntnis der Legende auf die Suche nach dem Gegenstück – der Lampe – gemacht hatte. Große Expeditionen hatte er dafür organisiert und Tage und Nächte lang in alten Unterlagen geforscht, um den Ort ausfindig zu machen, wo sie vergraben war. Ohne zu wissen, dass sich das Relikt schon seit mehreren Generationen im Besitz der Breitenöders befand, die ihrerseits mit einer von Jahr zu Jahr und Generation zu Generation zunehmender Skrupellosigkeit auf der Suche nach dem Ring waren. Durch seine exzessiven Nachforschungen war es gekommen, wie es kommen musste. Francis Lefavre war ins Visier von Gerhard Breitenöder geraten und damit in dessen Kreuzfeuer.

Und in diesem Krieg hätte Alex nun zum Bauernopfer werden sollen. Nach seinem Geschmack war Francis Lefavre noch viel zu gut weggekommen. Um sich selbst nicht des Diebstahls oder gar des Raubes zu bezichtigen, hatte Alex behauptet, Lefavre hätte ihm den Ring geschenkt. Von illegaler Prostitution und sexueller Ausbeutung hatte er nichts erwähnt. Einerseits aus Scham, andererseits auch, um Lefavre eine Brücke zu bauen, die der Schmierlappen tatsächlich angenommen hatte. Er hatte Alex' Version inzwischen bestätigt. Wohl eher aus Angst vor dem Gefängnis, als wegen irgendeines kuriosen Ringzaubers.

Egal. Der Ring gehörte nun offiziell Alex und er wunderte sich selbst darüber, dass ihm dieses Schmuckstück, das das ganze Unheil überhaupt ins Rollen gebracht hatte, niemand streitig machte. Aber gut. Die wahre Bedeutung, die der Ring hatte, erkannten die Ermittler eben nicht. Oder man müsste sagen – die Bedeutung, die der Ring einmal gehabt hatte. Denn seit Alex' Verweigerung war er nichts weiter als ein totes Stück Altmetall an seinem Finger. Die Macht, die manchmal nur unterschwellig dagewesen war und ihn manchmal als Sturzflut überrollt hatte, war verglüht. Und Alex hatte das gute Gefühl, dass es der Lampe nicht anders ergangen war. Er konnte nur dafür beten, dass dies auch ein Segen für die innewohnenden Dschinn war. Ach, wie sehr wünschte er sich, Dzengis noch einmal wiederzusehen oder seine Anwesenheit zu fühlen. Und sei es nur, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ginge. Aber die Sache mit dem Wünschen hatte sich Alex wohl selbst verbaut.

Nun saß er also da und wartete. Die Befragungen waren vorbei, die Akten wurden an den Staatsanwalt und ans Gericht weitergegeben und Alex war wieder nicht mehr als ein Straßenjunge. Jetzt wartete er auf die Dame des Jugendamtes, die ihn in Obhut nehmen sollte, um zu entscheiden, wie es mit ihm weitergehen sollte. Vielleicht war das gar nicht das Schlechteste, was ihm passieren konnte, dachte sich Alex. Er lehnte sich gerade zurück in den brettharten Schreibtischstuhl, auf dem er schon seit über einer Stunde saß, dann ging die Tür auf. Müde hob Alex den Blick; kurz bevor es ihn beinahe vom Stuhl gehauen hätte.

„Dzengis?!“, rief er und konnte es kaum fassen, als der Dschinn eintrat und die Tür hinter sich zumachte.

„Du dummer, dummer Junge“, sagte Dzengis. Aber alles andere als tadelnd. Im Gegenteil. In seinem Gesicht stand dieselbe Freude wie die, die Alex empfand. Und etwas anderes. Ein kaum zu bändigender Tatendrang.

„Ich bin so stolz auf dich“, sagte Dzengis etwas ernster, dann fiel Alex ihm um den Hals. Es tat so gut, ihn an sich zu fühlen.

„Ich habe nicht geglaubt, dich noch einmal zu sehen.“ Alex schaffte es nicht, die Tränen zu unterdrücken, als er sein Gesicht an Dzengis' Wange drückte. Und er wollte es auch nicht. Dzengis ließ es geduldig zu und streichelte Alex über den Rücken. Erst nach einer angemessenen Zeit schälte er sich aus Alex' Umarmung.

„Du hast es doch selbst so entschieden. Jetzt hast du mich an der Backe, ob du willst oder nicht.“

„Dich hab ich gern an der Backe“, lachte Alex mit feuchten Augen und Dzengis lächelte geschmeichelt.

„Dann lass uns gehen.“

Alex runzelte die Stirn. „Und wohin?“

„Zu deinem Vater natürlich. Wir holen uns den Leben zurück.“ Dzengis holte eine zerknitterte Fotografie zweier glücklicher Menschen aus seiner Tasche, die Alex so sehr vermisst hatte und drückte sie ihm in die Hand.

Überwältigt steckte Alex das Foto weg. Und vielleicht schaffe ich es jetzt auch, meinen scharfen Dschinn rumzukriegen, dachte er mit einem Grinsen in sich hinein, als er Dzengis zur Tür folgte. Ohne sich zu Alex umzudrehen, säuselte Dzengis: „Da bin ich aber gespannt, wie du das anstellen willst.“

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