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Erdkinder

Teil 1 - Der Anfang einer Reise

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Informationen

Vorwort

Zuerst möchte ich mich bei Billy bedanken, die ihre ganzen Nerven beim Korrekturlesen für mich geopfert hat. Dann detom und jR, welche mir ständig neuen Mut gegeben haben, die Geschichte weiterzuschreiben und auch wirklich am Ende abzuschicken. Und zum Schluss GDK, dessen Musik es war, die meiner Fantasie immer größere Flügel wachsen lassen hat.

Die Vier sind dran Schuld, dass die Story so geworden ist, wie sie jetzt hier steht. Also schlechte Kritiken bitte an diese Schnuffis schicken ;-)

Als Zweites möchte ich auf das berühmte Copyright hinweisen. Von mir aus könnt ihr die Story ausdrucken und rumreichen, aber sagt dann auch bitte dazu, dass sie von mir ist und gebt sie nicht als die eure aus! Wenn euch ein paar Ideen aus meiner Geschichte gefallen und ihr sie mit in eure Story einbauen wollt, hab ich auch nichts dagegen, solange ihr nicht einfach plump abschreibt bzw. mir meine Charaktere klaut. ;-)

Zuletzt wollte ich nur noch sagen, dass ich mich über jede Kritik (ob nun positiv oder auch nicht) freue.

So, genug der Vorreden. Viel Spaß beim Lesen!

Der Anfang einer Reise

Langsam ging die lila Sonne wieder auf in Wydahlija, der Hauptstadt von Symalin, und Dunkelheit wurde in Licht verwandelt. Nur ein kleiner Bursche mit kastanienbraunem Haar durchbrach die morgendliche Stille. Alex hastete die Straße hinunter, dicht gefolgt von seinen Jägern.

Alles hatte angefangen, als er die leckeren Düfte von frisch gebackenem Brot vor einem Gasthof gerochen hatte. Magisch zogen diese ihn an. Kein Wunder, schließlich hatte er seit Tagen nichts mehr gegessen. Eigentlich war Alex an einen knurrenden Magen gewöhnt, da er kein richtiges Zuhause hatte und auch nie wirklich Geld.

Durch ein offenes Fenster konnte er sehen, wie ein reich aussehender Kaufmann sein Frühstück beendet hatte und zum Tresen ging. Der Mann war mit prachtvollen Gewändern bekleidet, die über und über mit Juwelen bestickt waren. Er hatte ein rundes, mit Rouge gepudertes Gesicht, und die Fülle seines Bauches zeugte davon, dass er anscheinend noch nie Hunger hatte leiden müssen. 'Die schönen Gewänder und Juwelen wirken bei dem Kaufmann einfach fehl am Platz', dachte Alex. Er sah aus wie ein großes, dickes, rosa Ferkel mit Diamanten.

Der Raum war ein wenig abgeschottet von dem Rest der Gaststube, sodass die reicheren Bürger von dem »normalen« Volk getrennt saßen und sich somit nicht mit ihnen abgeben mussten. Kein Mensch war sonst weit und breit zu sehen. Der Wirt und die Wirtin unterhielten sich angeregt mit dem Kaufmann. Wachen oder Zimmermädchen waren glücklicherweise keine in Sicht.

Auf dem Tisch, an dem der Kaufmann gesessen hatte, lagen noch jede Menge Reste. Brot, Fleisch, Käse, verschiedene Sorten von Früchten, und bestimmt war in dem Krug, der daneben stand, noch ein wenig Wein. 'Das braucht der dicke Kaufmann doch eh nicht mehr', dachte Alex mit einem verschmitzten Lächeln und stahl sich zielsicher durchs Fenster, seinem Glück entgegen.

Problemlos gelangte er an den Tisch und biss, ohne zu zögern, gierig von ein paar Früchten ab. Alex war so sehr mit Essen beschäftigt, dass er die kommenden Schritte gar nicht wahrnahm. Erst als jemand schrie: »Ein Dieb!!! Packt ihn!«, bemerkte er die kräftige Frau des Wirts, die nun drohend auf ihn zukam.

Erschrocken sah Alex auf. Fast hätte er sich an einem Stück Apfel verschluckt und fing an zu husten. Röchelnd und mit Tränen in den Augen versuchte der Junge sich wieder zu besinnen und ließ den Apfel fallen. Die Wirtin war nur noch wenige Meter von ihm entfernt, als er sich zusammenriss und geschwind umdrehte. Alex schnappte sich vorher noch einen ganzen Brotleib vom Tisch und sprang aus dem Fenster, durch das er hinein gekommen war.

Kaum auf der Straße angelangt, stieß er zu allem Übel noch mit dem reichen Kaufmann aus dem Gasthof zusammen. Beide blickten sich verwundert an, bis sich der junge Bursche schnell wieder aufrappelte und weiter die Straße hinunter lief.

Verstört schaute der Kaufmann dem Jungen hinterher. Als er realisierte, was gerade geschehen war, fing er heftig an zu toben. Seine Gefolgsleute wollten ihm wieder auf die Beine helfen, doch er trat und schlug so sehr um sich, dass seine Diener gar nicht an ihn heran kamen, ohne sich einen deftigen Schlag einzufangen. Der Kaufmann sah aus wie ein großer, dicker Käfer, der auf dem Rücken lag, mit seinen Beinen zappelte und sich aus eigener Kraft nicht mehr herumdrehen konnte.

Einige Schaulustige, die durch den Lärm angezogen wurden, fingen hinter vorgehaltener Hand an zu kichern und schauten belustigt der Szene zu, die ihnen dargeboten wurde.

Der reiche Kaufmann wurde immer zorniger, da nicht mehr nur seine Gewänder verschmutzt worden waren, sondern nun auch sein Stolz angegriffen wurde. Wieder auf den Beinen, schickte er schäumend vor Wut und mit fuchtelnden Armen seine Männer hinter dem Burschen her, und brüllte ihnen mit hochrotem Kopf nach, dass sie es nicht wagen sollten, ohne den Übeltäter zurückzukehren.

So rannte Alex nun, im Zwiespalt, ob er sich über sein Erfolg freuen, oder vor dem Geschnappt werden Angst haben sollte, der Sonne entgegen.

Seine Verfolger waren sehr schnell und holten rasch auf. Hektisch schaute er sich immer wieder mitten im Lauf um und überlegte, wie er denn aus dieser Zwickmühle raus kommen könnte. Die einzige Lösung zu entweichen, dachte Alex bei sich, war, sich zu verstecken. Also bog er in die nächste Gasse ein, in der Hoffnung, etwas Geeignetes zu finden. Zu seinem Pech war es eine Sackgasse.

Erschrocken drehte er sich um, denn jeden Augenblick mussten seine Jäger um die Ecke geschossen kommen. Diese ließen sich einen Atemzug Zeit, ehe zwei Männer erschienen. Gierig grinsend gingen die Diener des reichen Kaufmanns langsam auf Alex zu, wohl wissend, dass ihre Beute in der Falle saß.

»Tja, das hättest du einfach nicht machen dürfen, Drecksbengel.«

Einer der Männer ging auf den jungen Burschen zu, ballte seine rechte Hand zur Faust, schlug diese in die offene Linke und rieb sie genüsslich aneinander, während der Zweite ein wenig zurückblieb und mit einem hässlichen Schmunzeln seinem Kumpanen zusah.

»Unser Herr ist sehr wütend über deine Taten. Du weißt doch genauso gut wie wir, auf welche Art und Weise hier elendige, verlauste Diebe wie du bestraft werden!«

Er krempelte die Ärmel von seinem Hemd bis zu den Ellenbogen hoch und ging näher auf den Jungen zu.

Alex brauchte sein Gegenüber gar nicht groß zu mustern, um zu wissen, dass er mehr als nur unterlegen war. Aber flüchten konnte er nun auch nicht mehr. Aufrecht stellte er sich vor seinen Verfolger hin und funkelte ihn mutig an. Alex war auf der Straße aufgewachsen, da gibt man Niemandem klein bei, egal wie überlegen er auch sein mochte.

Der Mann fing laut an zu lachen.

»Du schmierige, kleine Wanze willst also wirklich Widerstand leisten, ja? Mumm hast du, dass muss ich dir lassen, aber es wird dir auch nicht mehr nützen!«

Er stand nur noch ein paar Zentimeter von ihm entfernt und ehe Alex sich versah, schlug der Mann auf ihn ein. Keuchend ging der Junge zu Boden. Benommen kniete er vor seinem Verfolger und hielt sich den Magen. Alex wollte sich gerade wieder trotzig aufrichten, als ein zweiter Schlag ihn mitten ins Gesicht traf. Er kippte nach hinten und lag nun auf den Rücken, schaute aber noch immer seinen Tyrannen widerspenstig an. In den Augen des Mannes glomm langsam Wut auf, schließlich wollte er sein Opfer jammernd am Boden wiederfinden.

Nun kam auch der zweite Diener des Kaufmannes dazu und beide fingen an, auf Alex einzutreten. Der Junge rollte sich auf der Seite zusammen, legte die Arme schützend über den Kopf und ließ die Schandtaten über sich ergehen. Wehren wäre eh nutzlos gewesen und hätte ihm nur noch mehr blaue Flecken eingebracht.

Auf einmal aber hörte er, zwischen den Grunzen seiner Verfolger und den Geräuschen der Schläge, ein leises Sirren, darauf einen dumpfen Schrei. Als Alex bemerkte, dass die Tyrannen von ihm abgelassen hatten, hob er sein mit Tränen übersätes Gesicht und sah verdutzt, wie ein kleiner Bolzen aus der Schulter seines ersten Angreifers ragte. Der zweite Mann machte einige unsichere Schritte nach hinten und schaute sich erschrocken um. Dann sah er eine Gestalt durch die Luft fliegen, welche behände vor seinem Opfer landete.

»Erzieht man denn so heutzutage junge Burschen, meine Herren?«, erklang eine melodische Stimme, die nur so vor Hohn sprühte, als ob man lediglich ein liebliches Geplänkel mit einer Dame führen würde. Drohend, mit einer Armbrust in der Hand, ging diese auf den zweiten Mann zu und spannte gemächlich einen zweiten Pfeil.

»Nimm deinen Freund hier und verschwinde! Wir wollen ja nicht, dass dir das gleiche Schicksal widerfährt wie ihm, oder?«

Die Gestalt zeugte zwar nicht von körperlicher Größe, sah aber in ihrem dunkelgrünen Umhang mit der tief sitzenden Kapuze doch sehr bedrohlich aus, da man weder ihr Gesicht, noch ihre Mimik genau erkennen konnte. Ein regelrechtes Glühen ging von ihr aus, welches ihren Worten einen Nachdruck verlieh, sodass man einfach nicht widersprechen durfte.

Der Angesprochene sah verwirrt zu seinem Kumpanen, der durch die Wucht des Pfeils nach hinten gestolpert war, nun auf dem Boden saß und ein wenig anfing, nach hinten zu kriechen. Dann sah er zu der Gestalt, die ihn angesprochen hatte. Je näher diese ihm kam, umso mehr Angst machte sich in ihm breit.

Eigentlich wollte er ihr was entgegnen, ihr den Mund verbieten und sie für ihre dumme Tat, dass sie sie angegriffen hatte, büßen lassen aber es ging einfach nicht. Er brachte nicht ein Wort zustande. Irgendetwas schien ihn zu lähmen. Gegen seinen Willen half er seinem verletzten Kameraden auf und rannte mit ihm aus der Gasse.

Noch ein wenig benommen schaute Alex zu seinem Retter auf. Dieser beugte sich zu ihm runter und packte den Burschen mit seinen kräftigen, aber sanften Händen an den Schultern, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Die Gestalt stand nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, war mit Ihrem Gesicht ganz nah an das seine heran gekommen und blickte tief in seine Augen. Verlegen schaute der Junge seinen Retter an und versuchte, dem Blick standzuhalten. Plötzlich jedoch drehte sich Alex mit einem Ruck weg.

Hatten die Augen seines Retters wirklich gerade lila gefunkelt? Nein, das konnte nicht sein. Das war unmöglich... Er hatte sich bestimmt nur wieder einmal getäuscht, musste wohl von den Schlägen gegen seinen Kopf kommen. Verstört blickte Alex in die Augen seines Retters, der ihn noch immer mit einem verführerischen Grinsen ansah. Er hatte sich getäuscht, denn diese Augen strahlten in einem wunderschönen tiefen Grün...

»Du solltest besser aufpassen, mit wem du dich anlegst! Das waren die Gefolgsleute des einflussreichsten Kaufmanns in ganz Symalin. Hier, nimm das und du wirst für einen Monat keinen Hunger leiden und somit auch erstmal nicht mehr stehlen müssen!«

Die Gestalt drückte Alex ein Goldstück in die Hand, drehte sich um und ging. Aus seinen Gedanken gerissen, schaute der Junge ihr mit großen Augen hinterher, dann auf das Goldstück.

»He, wartet auf mich!«

Schreiend wollte Alex der Gestalt nachlaufen, aber eine unbekannte Kraft hielt ihn an Ort und Stelle. Selbst die Worte waren nur ein leises Winseln. So stand er da, seine Glieder zu Blei geworden, seine Stimme erstickt, und musste mit ansehen, wie sein Retter sich mit jedem Atemzug mehr und mehr von ihm entfernte und verschwand.

Wenige Sekunden später konnte sich Alex plötzlich wieder bewegen. Der Junge war so überrascht darüber, dass er fast nach vorn gefallen wäre, da er sich die ganze Zeit gegen diese Blockade versucht hatte zu wehren. Ein wenig holprig und mit rudernden Armen, fand er wieder sein Gleichgewicht und rannte nun dem Ende der Gasse entgegen. Doch als der Junge dort angelangte, war sein Retter verschwunden.

»Ich wollte Euch doch noch danken...!«

Mit hängendem Kopf und den Arm auf seine schmerzenden Rippen gepresst, ging er grüblerisch in die Gasse zurück, nahm sein eroberten Brotleib und spazierte die Straße weiter hinunter, der aufgehenden Sonne entgegen, mit dem Versuch, in Gedanken das gerade Geschehene zu entwirren.


Es war ein schöner und warmer Morgen, bemerkte Alex, als er durch die Straßen von Wydahlija ging. Drei Wochen waren seither vergangen, als der Bursche von der Gestalt im dunkelgrünen Wams gerettet worden war, und noch immer zog es ihn zu der gewissen Gasse. Mit schmerzendem Herzen sah der Junge im Geist noch ganz deutlich diese Augen, die von Innen zu glühen schienen.

Natürlich hatte er versucht, seinen Retter wiederzufinden, aber angeblich kannte ihn keiner. Geschweige denn hatte einer die Gestalt zu Gesicht bekommen. Alexs Suche war ins Lehre gelaufen. Mit rechten Dingen konnte dies nicht zugehen, denn die Kleidung seines Retters war doch sehr auffällig gewesen. Irgendjemand musste nach dem Dilemma vor drei Wochen bemerkt haben, wie er durch die Straßen gelaufen, oder über die Dächer gesprungen war. Eigentlich blieb nie etwas in Wydahlija lange geheim, denn dass der dicke Kaufmann von einem Bettelknaben »belästigt« worden war, wusste ja schließlich auch jeder.

Traurig ging er aus der Gasse hinaus, dem Marktplatz entgegen. Dort sollte heute ein großes Fest stattfinden, zu Ehren des hohen adligen Besuchs aus den Nachbarländern. Alle 15 Jahre wurde solch eine Feier in Wydahlija veranstaltet, um neue Bande zu den verbündeten Ländern zu knüpfen, oder Alte zu festigen. Als Alex den Markt erreichte, herrschte dort schon ein reges Treiben.

Alles wurde geschmückt und hergerichtet. Girlanden wurden überall aufgehangen, wo es nur ging. Die Straßen wurden eilends gefegt, die Häuser, welche an den Platz und an die Straßen grenzten, wo am Abend der Adel entlang spazieren würde, wurden mit bunten Farben bestrichen, Risse wurden ausgebessert.

Jeder war für sein Haus selbst verantwortlich. Manche veranstalteten einen richtigen kleinen Wettbewerb, wer das schönste und farbigste Haus der Stadt hatte. Ein großes Podest wurde gebaut, wo der Hohekönig zu dem Fest mit seiner Gemahlin thronen würde. Dieses wurde mit besonders viel Liebe und Aufmerksamkeit hergerichtet, da die Königsfamilie sehr beliebt bei dem Volk war.

Die Adligen würden dieses Mal dem einfachen Volk sehr nahe sein, näher als sonst ein einfacher Bauer oder Händler einem von adliger Geburt je kommen würde, da diese mit dem »Arbeitervolk« eher selten in Berührung kamen. Zu solch einer Feier zeigte sich der Hohekönig sehr spendabel, denn die Speisen sowie der Trank werden von ihm an das Volk, ohne dass dieses etwas dafür bezahlen musste, ausgeben. An diesem Tag sollte es also an Nichts und Niemanden fehlen. Deswegen war jedermann sehr aufgeregt, besonders Alex, schließlich war er erst 16 Jahre alt und hatte noch nie so ein Fest miterlebt.

'So ein adliges Leben muss herrlich sein', dachte er so bei sich. Man hatte immer die edelsten Kleider, das schönste Geschmeide und man hatte immer genügend zu Essen. Ja sogar Diener, die einem jeden Wunsch erfüllten, egal wann, was oder wo. Man hatte ein großes Anwesen mit vielen Zimmern, federweichen Betten und vielleicht... Vielleicht würde er ja als Adliger auch ihn wieder sehen...

Diese Augen brachten Alex einfach um den Verstand. Konnte es denn wirklich sein, dass man schon auf den ersten Blick jemandem verfallen ist? Er konnte nicht aufhören, an seinen Retter zu denken, an die kräftigen Hände, die er auf seinen Schultern gespürt hatte, die er am liebsten auf seiner Haut fühlen wollte... an seine melodische Stimme, die seine Sinne liebkoste... Alex wollte ihm nur noch einmal nahe sein, aber das schien unmöglich. Das »niedere« Volk kam selten in Kontakt mit dem Adel, und so wie die Robe seines Retters aussah, und wie er mit den Gefolgsleuten des Kaufmannes umgesprungen war, konnte er nur von höherer Geburt sein.

Um sich abzulenken, ging Alex zu den verschiedenen Häusern und fragte die Leute, ob er beim Ausbessern und Schmücken mithelfen dürfe. Ein paar Kupferlinge könnte er schon gebrauchen, denn das Goldstück von seinem Helden besaß er noch immer - der Junge würde es nie weggeben.

Schließlich fand Alex ein älteres Ehepaar, das dankend seine Hilfe annahm. Es gab sehr viel zu tun und so war er bis zum späten Nachmittag mit der Reparatur und dem Dekorieren des Hauses beschäftigt. Zum Schluss wurde der Junge ziemlich gut entlohnt, mit einem kräftigen Essen und einem Silberstück. Zufrieden und erschöpft ließ er sich auf einem der Dächer der Stadt nieder und blickte auf den Marktplatz hinab.

'Eine recht gute Aussicht hab ich von hier oben', dachte Alex so bei sich, und beobachtete die umher huschenden Leute, die die letzten Griffe an ihrem Festtagsschmuck erledigten. Er sah Kinder freudig umher laufen, die kreischend versuchten, sich gegenseitig mit Farbe zu beschmieren. Sah Menschen, die noch immer um das schönste Haus der Stadt stritten, sah wehmütig verliebte Pärchen, die Arm in Arm über den Markt schritten. Sah ein wenig neidisch Familien zu, die entspannt, aber doch mit Vorfreude auf das kommende Fest, auf dem Platz spazieren gingen.


An seine leiblichen Eltern konnte Alex sich nicht mehr erinnern, da seine Mutter bei seiner Geburt starb und sein Vater, als Alex 5 Jahre alt war, auf See ertrunken ist. Den Jungen bekümmerte es wenig, da sein Erzeuger eh nur ein elendiger Säufer gewesen war. So wuchs der junge Bursche auf den Straßen von Wydahlija auf, allein und verlassen.

Deswegen hatte er schon früh seine kindliche Unschuld verloren. Alex musste viel zu zeitig lernen, allein über die Runden zu kommen, Gefühle waren da nur im Weg gewesen. Er hatte sich einen dicken Panzer zugelegt, den bisher keiner zu durchdringen vermochte. Liebe... was war schon Liebe? Für ihn war es nur ein Wort gewesen, nicht mehr.

Aber der Junge meinte, gut zurechtzukommen. Wenn es irgendwo ging, nahm er irgendwelche Arbeit an, um an ein paar Kupferlinge zu gelangen. Manchmal bettelte Alex auch. Nur wenn das alles nicht mehr möglich war, und sein Hunger die Überhand gewann, stahl er. Aber auch nur soviel, dass es für eine Mahlzeit reichte. Schließlich wollte er damit nur seinen Hunger stillen und nicht sich daran bereichern.

So hing Alex seinen Gedanken nach und beobachtete nebenbei die Bürger der Stadt, bis der erlösende Schlaf ihn dann doch noch einholte.


Ein ohrenbetäubender lauter Knall durchbrach die Stille und bunte Lichter erhellten den nachtschwarzen Himmel. Mit einem Ruck setzte Alex sich erschrocken auf. Er musste lange und fest geschlafen haben, so dass er nicht mitbekommen hatte, dass das Fest schon angefangen hatte. Mit noch klopfendem Herzen rieb der Junge sich schlaftrunken die Augen, schaute auf die Massen herab, die nun den ganzen Markt bedeckten, und dann hinauf zum Himmel. Auf einmal war Alex hell wach.

Mit offenem Mund und großen Augen betrachtete der Bursche das Feuerwerk. Es war einfach atemberaubend. Violette Chrysanthemen bedeckten den Himmel, gefolgt von etlichen blauen Schweifsternen, gelb-roten Schmetterlingen und weiß-grünen Palmenherzen. Auf verschiedenen Häusern züngelten kleine Fontänen, die laut pfiffen. Die ganze Luft war geschwängert von dem eindringlichen Geruch des Schwarzpulvers.

Das Meer von Lichtern hatte die Ankunft eines weiteren Adligen angekündigt. Dieser ging, unter dem Gejubel des Volkes, auf das erhöhte Podest zu, welches am Rande des Marktes stand. Dort saß der Hohekönig von Symalin mit seiner Königin auf einem prächtigen Thron, geschützt von etlichen Rittern und ihrer Leibgarde.

Die Ritter sahen zwar ein wenig angespannt aus, genossen aber trotzdem das wunderbare Fest. Einigen konnte man es regelrecht an der Nasenspitze ablesen, da sie genau wie die Kinder mit glitzernden Augen das Feuerwerk bestaunten.

Sie waren weniger gerüstet als üblich. Auf dem Kopf trugen sie einen kleinen, hinten und an den Seiten bis zum Hals und vorn bis zu den Augenbrauen reichenden, Helm. Bekleidet waren die Soldaten mit einem leichten Kettenhemd, dessen Armlänge bis zu den Ellenbogen reichte. Drunter war ein langärmliges, hellblaues Hemd. Über Beides wurde eine dunkelblaue, ärmellose Weste gezogen, welche aus Leder bestand und an den Seiten mit Schnüren versehen war. Die aus Baumwolle bestehende Hose war, genau wie die Weste, dunkelblau und hing sehr locker um die Hüften. Die Erscheinung wurde von kurzen, schwarzen Wildlederstiefeln abgeschlossen.

Der ganze Gegensatz dazu war die Leibwache des Hohekönigs. Sie standen alle wie in Stein gemeißelt da und verzogen keine Miene. Die Kleidung bestand aus dunkelblauem, fast schwarzem Wildleder. Langärmlige Hemden, eng anliegende Hosen, bis zum Knie reichende braune Stiefel, ein Umhang, der den Boden berührte, braune, aus einem derben Leder bestehende, Handschuhe, deren Ende bis zu den Ellenbogen reichte, eine braune Schärpe, die um die Hüfte gebunden war, um den Übergang von Hemd und Hose zu bedecken.

Jeder dieser Männer hatte sichtbar eine Hand auf den Knauf seines Schwertes gelegt, um mögliche Störenfriede abzuschrecken. Finster schaute die Leibgarde des Königs auf das Volk hinab und durchbohrte jeden Einzelnen mit einen bis ins Mark dringenden Blick.

Das Königspaar sah noch viel strahlender aus, als es sich Alex je vorgestellt hatte. Der König war von kräftiger Natur und hatte schlohweißes Haar, sodass die silberne Krone von Weitem niemandem auf dem ersten Blick auffiel. Sein Gesicht war übersäht mit kleinen Falten, die von Großherzigkeit zeugten und einem kurzen Bart, welcher sich über die Wangen bis zu den Haaren fortsetzte. Bekleidet war er mit einem hellblauen, fast weißen, mantelähnlichen Gewand, in welches mit silbernen Fäden aufwendige Muster gestickt worden waren. Der Mantel war eng anliegend und reichte bis zum Boden. Vorn war dieser offen und gab die Sicht auf eine gleichfarbige Hose frei, welche locker seine Beine umspielte.

Die Königin hatte hellbraunes glattes Haar, welches mit vielen kleinen geflochtenen Zöpfen hoch gesteckt worden war. Ihre Krone aus geflochtenem Silber schien direkt in ihr Haar eingebettet zu sein. Sie trug ein Kleid, welches die gleichen Farben hatte, wie die Gewänder ihres Gemahls. Die hellen Töne hoben die natürliche Blässe der Königin noch mehr hervor. Sonst war ihr Kleid recht einfach geschnitten. Ihr Lächeln strahlte eine Wärme und Schönheit aus, dass jedes Herz weich wurde.

Der König und die Königin begrüßten ihre Gäste auf dem Marktplatz und stellten sie dem Volke vor, anschließend feierten sie mit ihnen auf der große Festwiese hinter dem Schloss weiter. Dort waren alle Adligen viel sicherer und man konnte in Ruhe über die Gegebenheiten diskutieren.

Auf dem Platz gingen die Leute auf keinen Fall vor Sonnenaufgang nach Hause, da einige Spielmänner Musik spielten, die neusten Geschichten aus den Ländern unter die Leute brachten und jeder etwas von den kostenfreien Köstlichkeiten des Königs abhaben wollte. Eine lange Feier stand also jedermann bevor und alle freuten sich darauf.

Fasziniert blickte Alex zu dem Adligen, der gerade in einem ruhigen Tempo mit seiner Leibgarde durch die Menge und auf das Podest zu ritt. Er hatte dunkelbraunes, mittellanges Haar, das durch ein geflochtenes Band um seine Stirn gebändigt wurde. Der Adlige trug ein waldfarbenes Gewand, welches aus verschiedenen Blickrichtungen unterschiedlich grün schimmerte. Sein schmales Gesicht zeugte von einer gewissen Härte, so dass man zu dem Schluss kam, dass er mindestens 30 Sommer schon mitgemacht haben musste. Trotzdem sah er eigentümlich jung und schön aus. Er lächelte freundlich und winkte dem Volk den ganzen Weg entlang zu.

Alex ließ seinen Blick über die Leute, bis hin zum Thron des Hohekönigs, schweifen. Neben dem König und der Königin stand noch der Prinz von Symalin mit seiner Verlobten und seiner Schwester. Die Prinzessin schien sich angeregt mit jemandem zu unterhalten, der im Schatten stand. Ihren wilden Gestiken zu Folge, musste es sich um ein sehr bedeutendes Thema handeln.

Doch auf einmal ging die Prinzessin zwei unsichere Schritte zurück. Sie war kalkig weiß im Gesicht geworden und hatte aufgehört zu reden. Ihre Augen fixierten starr den Schatten. Gespannt schaute der junge Bursche dem Treiben zu. Für einen kurzen Augenblick aber dachte Alex, ein lila Glühen im Schatten wahrgenommen zu haben.


Erschrocken zuckte er zusammen. Wieder war ein neuer Gast angekommen und wurde mit einem besonders großen Feuerwerk begrüßt. Die grellen Lichter am dunklen Himmel wurden immer größer, spektakulärer und farbiger, desto weiter der Abend voranschritt. Die Menge fing noch lauter an zu jubeln und zu klatschen, sie schien regelrecht in Ekstase zu geraten.

Alex rieb sich die Augen, zwinkerte kurz und versuchte die Stelle im Schatten zu fixieren, wo er gerade noch etwas gesehen zu haben glaubte. Nichts. Die Prinzessin stand wieder, dem Volk und dem Adel zugewandt, hinter ihrer Mutter und lächelte den Menschen entgegen.

Nervös suchte der Junge die Umgebung mit den Augen ab, aber nirgends war etwas Auffälliges zu sehen. Kein grünes Gewand, welches geschwind umherhuschte, keine große, schlanke Gestalt, welche Alex sich so sehr wünschte, noch einmal wiederzusehen. Wieder und wieder streiften seine ungeduldigen Blicke das Podest der Königsfamilie, aber außer, dass die Prinzessin immer noch sehr blass aussah und ihr Lächeln eher von künstlicher Natur zu sein schien, hatte sich nichts verändert.

Rasch kletterte Alex vom Dach hinab und versuchte, durch die feiernden Massen zum Podest zu gelangen. Immer wieder handelte er sich tadelnde Blicke und böse Beschimpfungen ein, als er versuchte, an den tanzenden Leuten vorbeizukommen. Als ein Ellenbogen seine noch nicht ganz verheilten Rippen traf, drohte der Junge fast in Ohnmacht zu fallen. Er versuchte sich aber schnell wieder zu fassen und drängte weiter dem Podest entgegen. Die pure Hoffnung IHN wiederzusehen, trieb den jungen Burschen stetig voran. Mit einigen blauen Flecken erreichte Alex endlich die Königin.

Bis ganz zu ihr hin kam er allerdings nicht, da die Ritter eine lebende Mauer darstellten. So sehr er sich auch bemühte, er gelangte einfach nicht an ihnen vorbei. Selbst seine Rufe gingen in dem Getöse des Volks unter. Verzweifelt blickte Alex um sich. Selbst als er sich panikartig gegen die Ritter mit seinem ganzen Körper warf, reagierte nicht einer der königlichen Familie. Der Junge handelte sich damit nur die Missgunst der Wachen, einige böse Blicke der Leibgarde und noch mehr blaue Flecken ein.

Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, dort hinauf zu kommen – irgendeine! Mit klopfendem Herzen und zitternd am ganzen Körper stand Alex mitten im Gelage, jeder feierte, tanzte und war einfach nur glücklich. Keiner bemerkte den jungen Burschen, dem einzelne Tränen übers Gesicht hinab liefen.


Um Alex herum begann alles zu verschwimmen, seine Knie wurden weich und nur mit letzter Kraft quetschte er sich durch die Menge zum Rand, wo er sich stützend an eine Mauer lehnte. Langsam sank Alex mit dem Rücken an der Wand herab, zog seine Beine fest an seine Brust und legte den Kopf auf die Knie. Wieso brachte er ihn nur so durcheinander...? Wieder kullerten einzelne Tränen an seinem Gesicht herab – stumm ließ Alex sie fließen.

Plötzlich schien ein seltsames Gefühl in ihm aufzusteigen. Es war ein leichter eiskalter Schauer, welcher sich von der Wirbelsäule bis zum Hals zog. Alex Nackenhaare begannen sich aufzustellen und seine Haut fing an zu prickeln. Es kam dem Jungen so vor, als ob ihn jemand beobachten würde. Mit einem Ruck schnellte Alex Kopf hoch. Er schaute gerade noch rechtzeitig zur Seite, um das Ende eines dunkelgrünen Umhangs um die nächstgelegene Ecke verschwinden zu sehen.

Ungläubig sah Alex zur Straßenecke. Sollte er es nochmals wagen und ihm folgen? Und was wäre, wenn es sich wieder nur um eine Einbildung handelte? Er wollte seinen Retter nicht schon wieder verlieren – nie wieder! Alexs Herz pochte so heftig, dass seine Brust zu schmerzen begann. Vor seinen Augen fing erneut an, sich alles zu drehen, und ihm wurde plötzlich eiskalt.

Unsicher rappelte Alex sich zitternd auf und ging zu der Straße, in welcher sein Held verschwunden war. Diese war sehr breit und reichte bis zu den Stadttoren hinunter, außerdem kreuzten sich zahlreiche Gassen. Die Straße schien leer zu sein. Also schritt Alex langsam aber zielstrebig diese hinab und spähte von einer Seite zur Anderen in die Dunkelheit.

Nachdem er eine gute Stunde durch die Straße und deren Gassen gelaufen war, kam Alex erfolglos an den Stadttoren an. Dort wartete er ein paar Minuten, lief einige Mal unruhig hin und her, drehte sich dann aber wütend um und fing an, ziellos durch Wydahlija zu laufen.

Alex wollte ihm doch einfach nur nahe sein, wollte das Gesicht seines Retters mit den Fingerspitzen berühren, mit den Händen über seinen Körper streicheln, in seinen Armen liegen und die ganze Welt vergessen... Wie konnte er auch nur so dämlich sein? Wie konnte er nur eine Sekunde lang daran glauben, dass er seinen Retter noch einmal wieder sehen würde?

Sich selber scheltend trat Alex blind vor Wut ein Holzfass um, das nun scheppernd die Straße hinunter rollte, bis es langsam vor einer Gasse zum Stillstand kam. Er ging auf das Fass zu, um seinen ganzen Frust daran auszulassen. Seine tiefsitzende Angst, Enttäuschung und die Tatsache, dass sein Begehren und die Liebe, die er spürte, nie erwidert werden würden, brachten ihn um den Verstand.

Als Alex gerade am Fass angelangt war, traf ein helles Licht darauf und ließ es, mit einem lauten Knall, in tausend Stücke zerbersten. Von der Wucht der Zerstörung getroffen, fiel der Junge zwei Meter weiter nach hinten auf den Rücken und blieb dort benommen liegen. Als er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, stand Alex langsam auf. Sein ganzer Körper brannte, da sich viele kleine und große Splitter tief in seine Haut gegraben hatten. Sein Gesicht und seine Hände wiesen etliche Kratzer und Schrammen auf, aus denen vereinzelt etwas Blut floss.

Neugierig ging der junge Bursche vorsichtig auf die Gasse zu. Der Lichtstrahl, der das Fass zerschmettert hatte, musste von dort gekommen sein. Zögerlich spähte er in die Gasse und erstarrte augenblicklich zu Eis.

Sein Retter... dort kniete wirklich sein Retter! Er sah so wunderschön aus wie eh und je. Zum ersten Mal erblickte Alex das komplette Gesicht seines Helden. Lange schwarze Haare umrahmten ein blasses, schmales Gesicht. Seine Züge waren ebenmäßig und elegant, die schmalen, aber nicht dünnen Lippen genauso perfekt, wie die kleine Stupsnase. Und wieder diese Augen. Ein wenig ängstlich, aber doch mit Neugier, betrachtete Alex die Augen des Schönlings, welche sich langsam von einem tiefen Grün in ein glitzerndes Lila verwandelten. Also war es damals nicht nur Einbildung gewesen...!

Ein Hochgefühl machte sich in Alex breit, durchfloss jede Faser seines Körpers und ließ ihn glauben, dass er schwebte. Erleichtert, ihn endlich wiedergefunden zu haben, wollte der Junge seinem Helden entgegenspringen, doch mit einem Male hielt er inne. Sein Magen begann zu rebellieren, als der Bursche sah, dass sein Retter verletzt sein musste, denn er hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Brust.

Durch ein grausames Lachen wurde der Junge aus seinen Gedanken gerissen. Ein Mann stand seinem Retter gegenüber und somit mit dem Rücken zu Alex. Ein Schauer durchzuckte ihn, als der Mann anfing, mit kalter Stimme zu sprechen.

»Dachtest Du wirklich, du könntest mir entkommen, geschweige denn mir gewachsen sein?«

Der Angesprochene erhob sich langsam, und als seine melodische, vollkommen ruhige Stimme erklang, durchfuhr Alex ein warmes Prickeln.

» 'Entkommen' wollte ich dir nie, weglocken passt da schon eher. In deiner unendlichen Bosheit hättest du nie Rücksicht auf die anderen Menschen um dich herum genommen. Vermutlich hättest du noch die gesamte Königsfamilie in Gefahr gebracht!«

»Schweig!«, schrie der andere Mann. »Du bist derjenige, der die königliche Familie fast entzweit hätte, du und deine 'Vorliebe'. Du hast den Prinzen verhext und die Prinzessin auf deine Seite gezogen. Seitdem du dich in die Familie eingeschlichen hast, überkam uns nur Unglück. Obwohl ich dem König versucht habe klar zu machen, dass du der Schlüssel zu dieser Ungunst der Götter bist, da ja alles darauf hindeutete, glaubte er mir nicht. Keiner glaubte mir. Stattdessen wurde ich verspottet und zurückgewiesen. Alle schenkten dir ihr Vertrauen, nur ich erkannte was du wirklich warst: Ein Kind der Erde – eine Missgeburt!«

Der Mann spie das letzte Wort heraus, als wäre ein ekliger Klumpen in seinem Mund gewesen.

Dem Jungen wurde es immer übler zu Mute. Er bäumte sich gegen jedes Wort dieses bösen Mannes auf. Hass begann in ihm zu züngeln. Hass auf den schmierigen dunklen Widersacher seines Helden und Hass auf die Menschen, die noch immer nicht die Botschaft der Götter begriffen hatten.

Alex war nicht besonders weltlich bewandert, geschweige denn in den Schriften der Götter belesen. Aber es gab genug Barden, die dies in ihren Liedern auf den Straßen besangen. Es gab genug Leute, die in den Tavernen darüber diskutierten und doch wollten es einige einfach nicht begreifen.


Die Götter wachen über diese Welt. Wenn zwei Götter unterschiedlicher Natur aufeinander treffen, sich lieben und akzeptieren, trotz ihrer Gegensätze, geht aus dieser Verbindung ein Erdkind hervor. Erdkinder wachsen bei ganz normalen Menschen auf, sie sind selbst ganz normale Menschen, welche nur mit besonderen Fähigkeiten gesegnet sind. Ihre Wunden heilen schneller, sie altern langsamer, sie haben eine innige Verbundenheit mit der Erde, den Wesen, die auf ihr leben und einen natürlichen Hang zur Magie.

Erdkinder werden nicht wie normale Kinder gezeugt und geboren. Sie sind pure Energie zu Fleisch geworden, mit einem kleinen Teil ihrer Eltern. Sprösslinge der Erde gehen nur aus einer Verbindung zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Göttern hervor. Wenn zwei Männer sich vereinen, wird ein männliches Erdkind hervorgehen und wenn zwei Frauen sich vereinen, halt ein weibliches Erdkind. Wenn ein Gott und eine Göttin aufeinander treffen, erscheint daraus ein weiterer Gott. Erdkinder sind aber trotzdem fähig, »normale« Kinder mit »normalen« Menschen zu zeugen bzw. zu gebären.

Kinder der Erde haben schon so vielen Menschen geholfen, haben sogar Königen in schwierigen Zeiten Beistand geleistet und trotzdem werden sie noch immer nicht von der Gesellschaft akzeptiert. Sei 's drum, weil sie eine unheimliche Aura umgibt, durch ihre Verbundenheit mit den Göttern und der Natur oder weil, jedesmal wo Erdkinder in der Nähe sind, Unheil geschieht. Keiner scheint zu bemerken, dass diese Kinder der Erde immer zur Stelle sind, wenn jemanden Unrecht zustößt, dass sie an diesen Orten der Unruhe sind, weil sie helfen wollen und nicht, weil sie das Böse dort ausgelöst haben.

Die Tatsache, dass einige Frauen Frauen lieben und manche Männer halt lieber Männer begehren, war eigentlich normal. Nur den Menschen in einigen, von der Zivilisation weit entfernten, Dörfern und vereinzelten Leuten auch aus den Städten, schien dies noch immer ein Dorn im Auge zu sein.


An den Lippen des Mannes klebte Speichel, und als er weitersprach, zogen diese dünne Fäden.

»Doch als du anfingst den Prinzen zu verführen, ihn zu benutzten und zu verseuchen, merkten die Anderen langsam ihren Fehler. Der König persönlich gab mir den Auftrag, dich zu beseitigen. Auch der Prinz wird nach deinem Tode wieder normal werden. Er wird erleichtert sein, dass du nicht mehr am Leben bist, da er endlich von deinem Fluch befreit wäre – und von DIR!«

»Du lügst!« schrie Alex Retter dem Mann entgegen.

Sein ganzer Leib hatte angefangen zu beben, beide Hände waren zu Fäusten geballt.

»Er liebt mich genauso, wie ich ihn! Nur seinem Vater zuliebe stimmte er der Verlobung mit der Prinzessin von Tahlija zu. Mein Prinz weiß, dass sein Land Nachfahren von königlichem Geschlecht braucht, und dass das Volk einen Erdgeborenen nie als ihren Herrscher annehmen würde. Nur deswegen willigte er ein. Er wollte sein Land nicht in den Krieg stürzen, in dem er die Prinzessin abwies. Du... Du Feigling hast hinter unser aller Rücken Zwietracht zwischen den Ländern gestiftet, sodass eine neue Bindung geschmiedet werden musste! Nur deswegen war die Vermählung erst nötig geworden. Du hast mir meine Liebe genommen, und nun trachtest du auch noch nach meinem Leben. Dafür wirst du büßen, Dilarus!«

Alex beobachtete aufmerksam seinen Helden. Einige Male schossen seine Arme in wilden Gesten hoch, sonst hatte er sich nicht bewegt, seine innere Anspannung war aber die ganze Zeit zum Greifen nah. Sein schönes Gesicht verzog sich abwechselnd in eine zornige Grimasse und ein betrübtes Antlitz. In dem Gesagten seines Retters schwang Wut, endlose Trauer und Bitterkeit mit.

Aus dem letzten Satz aber war jegliches Gefühl gewichen, nur blinde Rache schien aus seinem Munde gezischt zu sein. Urplötzlich wurde Alex Held vollkommen ruhig, sein Gesicht glättete sich und er schien sich zu sammeln. Kurz darauf schwang Alex Ritter die Arme über den Kopf und presste die Hände aneinander. Dazwischen begann ein lila Licht zu flimmern und schwoll zu einer Kugel an, die er Dilarus entgegenschleuderte. Dieser wich gerade noch rechtzeitig aus, um dem tödlichen Schlag zu entgehen.

Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden, sodass Alex Schwierigkeiten bekam, dem Geschehen zu folgen. Noch nie hatte er Magie so nahe miterlebt. Er kannte zwar die Gaukler vom Markt, aber das war etwas vollkommen anderes.

Mit großen Augen und offenem Mund schaute er zu seinem Retter und wartete ab, was als nächstes geschehen würde. Am liebsten wollte Alex sofort zu seinem Helden rennen, ihm Beistand leisten, aber der Junge spürte, dass dies noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Schließlich wollte er auch nicht, dass sein Retter durch eine Unachtsamkeit von ihm verletzt wurde.

»War das etwa schon alles, was du drauf hast, Lymias? Ich werde dich lehren, wer hier der Meister der Magie ist!«

Daraufhin entbrannte ein Kampf, wie Alex ihn noch nie gesehen hatte. Lila Energiebälle schossen aus Lymias Hand, welche der böse Zauberer mit dunklen Blitzen zu kontern versuchte. Alex bemerkte, dass zwar Dilarus mehr zerstörerische Kraft an den Tag legte, aber sein Retter viel wendiger war und jedes Mal geschwind den Angriffen des dunklen Magiers auswich. Wieder und wieder griffen sie sich gegenseitig an, entkamen ihren Übergriffen und starteten Gegenattacken.

Langsam wurde Dilarus immer wütender, da Lymias seinen Blitzen immerzu entrann. Auf einmal blieb der böse Magier stehen, breitete seine Arme neben sich aus und stellte seine Hände flach auf, sodass seine Handflächen nach außen zeigten. Schwarzer Nebel begann in Streifen um Dilarus zu flimmern und schlängelte sich an seinen Körper hinauf. Lymias schleuderte zwar einige Energiebälle auf ihn ab, aber keiner traf den Zauberer direkt. Alle prallten an dem Nebel ab, der wie ein Schutzschild um hin herum wirkte.

Am ganzen Körper zitternd schaute Alex zu seinen Helden. Er schien erschöpft zu sein, denn kleine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. In Lymias Gesicht spiegelte sich mit einem Mal Angst und dann... Resignation! Der Junge blickte wieder zu Dilarus, der begonnen hatte, leise vor sich her zu brummeln. Es musste sich um irgendeine Beschwörungsformel handeln, denn der dunkle Magier hob langsam ab und schwebte nun knapp einen Meter über dem Boden.

Lymias stand nun kerzengerade vor seinem Gegner, seine Arme ließ er schwach hängen. Seinen Kopf ein wenig in den Himmel richtend, schloss er die Augen und schien sich in das Unabänderliche zu fügen, mit einem leichten, bitteren Lächeln.

Geschockt sah Alex seinen Retter an. 'Er wollte sich doch nicht wirklich ergeben? Aber warum nur? Warum machte er so was? Er konnte jetzt nicht sterben – nicht nachdem ich ihn erst wieder gefunden habe!'

Erneut übermannte den Jungen eine Flutwelle voller Zorn. Wie konnte Dilarus es wagen, seinem Helden auch nur ein Haar zu krümmen! Dieser schmierige kleine Speichellecker hatte Lymias nur Schmerzen bereitet und das nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch. Diese miese Ratte hatte Intrigen über seinen Retter gesponnen und hatte es genossen, ihn leiden zu sehen.

Alex Gedanken begannen zu rasen. Wie konnte er seinem Helden nur helfen? Lymias war bestimmt stark genug, den bösen Magier mit einem Schlag zu vernichten, aber dieses verdammte Schutzschild! Wenn Dilarus nur für einen Moment abgelenkt wäre, und er sich nicht mehr völlig auf das Schild konzentrierte, könnte Lymias es vielleicht mit einem seiner Energiebälle schaffen... Noch bevor Alex sich versah, rannte er schon schreiend Dilarus entgegen.


Lymias reckte seinen Kopf gen Himmel und schloss die Augen. Er wusste, wann er verloren hatte, und nun war es soweit. Die Prinzessin hatte noch versucht ihn davon abzubringen, in den Kampf gegen diesen dunklen Magier zu ziehen, was in jedem Fall sein Ende bedeutet hätte, aber ihm war es egal. Ihm war es völlig egal... Lymias konnte nicht zu demjenigen zurückkehren, den er am Meisten verehrte, brauchte und liebte. Das Leben hatte eh keinen weiteren Sinn mehr. Er hatte seiner Ehre Gerechtigkeit getan, indem er sich nicht von Anfang an ergab, sondern bis zum Schluß kämpfte. Nun aber war es vorbei. Endlich würde er in seinen wohlverdienten Schlaf der Ewigkeit und des Friedens versinken.

Doch was war das? Ein immer lauter werdendes Brüllen holte Lymias aus seiner Trance und ließ ihn die Augen wieder öffnen. Er sah einen jungen Burschen mit kastanienbraunem Haar auf sich zu rennen. Der Junge schwang eine Holzlatte über seinem Kopf und wollte anscheinend damit jemandem Angst einjagen.

'Moment mal', dachte Lymias, 'den kenne ich doch. War das nicht der niedliche Jüngling, der den dicken Kaufmann umgerannt hatte?' Ein kleines Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. 'Doch was wollte bzw. machte der Bursche denn hier?' Sein Schmunzeln erstarb sofort, als Lymias erkannte, was der Junge da vorhatte. 'Der Kleine griff doch tatsächlich Dilarus an! Aber wieso nur? War er denn jetzt schon seines nur kurzen Lebens überdrüssig geworden?'

Verärgert über die Unterbrechung so kurz vor seinem Sieg, drehte sich der dunkle Magier verwundert zu Alex um, als er diesen bemerkte. Als Dilarus sah, wer ihn störte, richtete er fast gelangweilt seine abwertenden Worte an den Jungen:

»Ein abgemagerter, dümmlicher Drecksbengel wie du vereitelt mir nicht meinem Triumph!«

Danach bündelte er seine Kraft und lenkte diese mit einer kurzen Handbewegung in Alex Richtung.

Lymias beobachtet mit weit aufgerissenen Augen die Szene, welche ihm sich gerade darbot. Er konnte es einfach nicht fassen, was der Junge da anstellte, aber begriff was er zu tun hatte. In dem Augenblick, da Dilarus den Energiestoß auf Alex richtete, erstarb für einige wenige Sekunden sein Schutzschild. Lymias presste seine Hände aufeinander und holte aus seinem tiefsten Inneren alle noch vorhandenen Energiereserven. Diese schloß er zu einer einzigen machtvollen Kugel zusammen und ließ sie auf Dilarus niedergehen.


Als Alex los rannte, hatte er sich noch einen provisorischen Holzknüppel geschnappt, welcher einst eine Latte des Holzfasses gewesen war. Schreiend vor Wut lief er nun dem dunklen Magier entgegen. Selbst als dieser sich zu ihm umwandte und ihn zu beschimpfen begann, blieb der Junge nicht stehen.

Er hatte viel zu viel Angst, dass Dilarus seine List durchschauen könnte und dann sein Retter für immer verloren wäre. Alex bemerkte, wie der dunkle Magier anfing, seine Kraft zu sammeln, um ihm diese entgegenzuschleudern und machte sich zum Sprung bereit.

Doch er war zu langsam. Gerade als Alex seitlich auszuweichen versuchte, durchzuckte ihn ein brennender Schmerz, der ihn dem Atem raubte. Hart fiel er zu Boden. Noch war der Junge bei Bewußtsein. Er war durch den Sprung zur Seite auf dem Bauch gelandet und konnte verschwommen erkennen, wie sein Retter eine riesige lila Kugel auf Dilarus niederließ.

Der dunkle Magier war nun umgeben mit lila Licht, welches wie Feuer zu brennen schien. Er schrie wie am Spieß, bis der Zauberer zu Staub zerfiel und nur ein Häufchen Asche noch von seiner Existenz zeugte.


Erschöpft fiel er auf die Knie. Vorbei, endlich war alles vorbei und das hatte er nur diesem wundersamen jungen Burschen zu verdanken. Lymias sah auf und blicke sich nach seinem Retter um. Der Junge lag nicht unweit von dem kleinen Aschehaufen entfernt und sah alles andere als lebendig aus, doch seine Augen waren offen und schauten unentwegt in die eigene Richtung.

Lymias zwang sich aufzustehen, kroch aber dann doch eher auf allen Vieren zu Alex hinüber. Kniend drehte der junge Mann seinen Retter vorsichtig auf den Rücken und nahm ihn zärtlich in die Arme. Aus dem Mund des Jünglings rann Blut und seine Schulter schien verkohlt zu sein.

Alex konnte sich nicht mehr bewegen. Er spürte weder seine Arme, noch seine Beine, oder seinen Körper. Er spürte lediglich die Wärme seines Helden, und das war ihm Lohn genug. Der Junge versuchte zu sprechen, wollte seinem Retter seine Liebe gestehen, seine Gefühle erklären, doch dieser legte einen Finger auf seine Lippen und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Zärtlich streichelte er sein Gesicht und begann, Alex hin und her zu wippen. Lymias erkannte sofort, was dieser Junge für ihn empfand, als er in seine wunderschönen Augen blickte. Er kannte ihn doch kaum, wieso also brachte der Kleine ihm solche Gefühle entgegen, die so stark waren, dass er mit ihm in den Tod gehen würde?

Die eigenen Augen des jungen Mannes begannen sich mit Tränen zu füllen, die langsam hinunter und auf Alex Gesicht fielen. Der Bursche sah seinen Helden verträumt an. Jetzt weinte er auch noch um ihn, dachte er. Als die Tränen auf seine Wange tropften, durchfuhr Alex ein warmer Schauer. Er sah ein helles einladendes Licht und schloss die Augen...


Als Lymias sah, wie der Blick seines Retters leer wurde und sein Kopf auf die Seite fiel, begann er laut drauflos zu schluchzen. Er brachte wirklich nur Unglück mit sich, dachte Lymias. Wo er nur hin kam, starben seine Liebsten. Die Leute um ihn herum wurden verletzt, oder wandten sich von ihm ab. Wieso... Wieso passierte ihm das alles hier? Was hatte er denn Schlimmes getan, dass ihn die Götter so sehr bestraften?

Sein ganzer Körper fing an zu zittern. Lymias packte seinen jungen Retter und drückte ihn fest an sich. Er klammerte sich an hin, wie sich eine Mutter an ihr totes Kind klammern würde, oder ein Geliebter an seinen toten Liebhaber und begann, noch heftiger zu weinen.

Dabei bemerkte der junge Mann nicht, wie sich eine Hand sanft um seine Schulter zu schließen begann. Erst als der Druck zu schmerzen anfing, blickte er verstört auf. Die eisblauen Augen der Prinzessin schauten mitleidig, aber doch nervös auf ihn herab.

»Gib ihn mir!«, sagte sie sanft und streckte ihre Arme Lymias entgegen.

Doch dieser schaute sie nur trotzig an und machte keinerlei Anstalt, dem Gesagten nachzukommen. Die Stirn der Prinzessin legte sich in Falten.

»Wenn auch nur noch ein kleiner Funkten von Leben in den Jungen hier steckt, kann ich ihn vielleicht noch retten, du Narr!«

Lymias schaute verwirrt die Prinzessin an, welche ihm wütend zublinzelte. Dann legte er widerwillig Alex Körper in ihre ausgestreckten Arme, die sie sogleich um den jungen Burschen schloß. Ein leichter Wind kam auf, als die Prinzessin leise begann zu singen. Blaue Schmetterlinge erschienen wie aus dem Nichts und fingen um sie herum an, zu tanzen. Einige setzten sich auf Alex Brust nieder und verschmolzen mit ihm, als hätte Eis Feuer berührt.

Erwartungsvoll blickte Lymias den Beiden entgegen. Sein Herz machte einen kleinen Freudensprung, als er sah, wie der Junge anfing, sich zu regen.

Ein wenig erschöpft, aber doch zufrieden, grinste die Prinzessin den jungen Burschen an, ehe sie sich wieder ernst an Lymias wandte.

»Du musst gehen, sofort!«

Entsetzt schaute er seine Freundin an.

»Aber wieso? Nun, wo alles vorbei ist, kann ich zurückkehren. Jeder wird doch jetzt wissen, wer für die Unruhen verantwortlich war.«

Mitleidig unterbrach die Prinzessin ihn streng.

»Du kannst nicht bleiben. Keiner wird dir mehr glauben, nach Allem, was geschehen ist. Dilarus hat die Menschen nicht nur mit Magie verhext, sondern hat ihren Blick auch mit Neid, Hass und Habgier getrübt. Die Leute wollen deinen Tod, Lymias! Wenn jemand mitbekommt, was hier geschehen ist, dass du überlebt hast, dass dieser Junge hier dich gerettet hat, dass wir dich unterstützt haben, wird es nicht nur dir schlecht ergehen. Geh! Und blicke nie mehr zurück. Ich werde mich schon um den Bursche kümmern, aber wirf nicht das in den Dreck, wofür mein Bruder und er gekämpft haben – für deine Freiheit, dein Leben und deine Liebe. Der Prinz hat dich von Anfang an geliebt, als er dich das erste Mal erblickte, und er tut es noch immer. Seine Entscheidung aber steht fest. Mein Bruder kann nicht mehr zurück, genauso wenig wie du.«

Tränen liefen unaufhaltsam über das Gesicht der Prinzessin. Ihre Stimme brach, denn der Gedanke, ihn, den sie wie ihren eigenen Bruder liebte und verehrte, nie wieder zu sehen, war unerträglich. Lymias spürte den Schmerz seiner Freundin und empfand ebenso. Er wollte nicht fort von hier. Seit Langem hatte er sich an einem Ort wieder glücklich und geborgen gefühlt. Der junge Mann schloss die Augen. Er war zu schwach, um zu weinen, dabei brauchte er noch ein wenig Kraft für die Flucht.

Die Prinzessin sah, dass er ihren Bitten nachgeben und fliehen würde.

»Die Wachen am Tor werden dich nicht aufhalten, dafür habe ich gesorgt. Ein Pferd wird kurz nach dem Tor auch bereit stehen. Ich habe es mit Proviant, Ausrüstung und ein wenig Geld beladen. Und nun spute dich! Ich spüre, wie die Garde des Königs sich nähert. Viel Glück, liebster Lymias!«

Er beugte sich hinunter und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn, dann einen auf Alex Lippen.

»Der Wald von Wydahlija wird der einzige Weg sein, zu entkommen. Wenn die Zeit reif ist, oder ihr meine Hilfe benötigt, kehre ich aber zurück, seid euch dessen immer bewusst.«

Die Prinzessin nickte dankbar und sah ihn ein letztes Mal an. Lymias Gesicht hatte sich verhärtet. Keine Gefühlsregung konnte sie mehr darin erkennen, nur Bitterkeit. Seine einst so wunderschön glänzenden Augen schienen leer, die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander gepresst.

Erschrocken blickte sich die Prinzessin um. Nun vernahm sie deutlich die Schritte der Soldaten, die jeden Augenblick hier sein müssten. Als sie sich zu Lymias drehte, um ihn zu warnen, war er schon verschwunden.


Der Wald von Wydahlija, das Heim von etlichen Dieben, Mördern und seltsamen Geschöpfen. Die Prinzessin grübelte, ob ihr Freund diesen Ritt wirklich überleben, geschweige denn sich aufrecht im Sattel halten könnte. Traurig schaute sie auf ihren neuen Schützling herab und schickte ein Stoßgebet zu den Göttern. Was immer auch geschehen möge, sie sollten Lymias beschützen.

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