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E-Mail für Will - Vom Geburtstag zum Weihnachtsfest

Weihnachtschallenge 2019

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Informationen

 

Ob ich nicht doch auf diese ominöse Email antworten sollte? Vielleicht würde sonst der richtige Bill diese Einladung gar nicht bekommen. Das wäre doch schade.

Also entschied ich mich, zu antworten.

Lieber Klaus,

sorry, ich bin Will und nicht Bill. Danke für die Einladung, aber ich bin sicher nicht gemeint :). Damit ihr aber noch den richtigen Bill einladen könnt, schicke ich euch diese Antwort. Viel Spaß bei eurer Geburtstagsfeier und hoffentlich erreicht ihr noch den richtigen Bill.

Liebe Grüße

Will

Ich hatte die Mail abgeschickt und diese Sache bereits nach wenigen Minuten abgehakt.

Mit Elan ging ich wieder in meine große Garage und setzte mein Projekt fort. Dort stand ein altes Karman Ghia Cabrio, dass ich restaurieren wollte.

Seit meiner frühzeitigen Pensionierung als Offizier der US Army hatte ich mehr Zeit für mein Hobby. Der Karman war mein Traum und jetzt war ich dabei, ihn zu vollenden. Das war im Prinzip von der Basis her ein VW Käfer. Allerdings hatte ich nicht vor, diese simple Technik zu verwenden. Es sollte ein besonderes Fahrzeug werden. Eigentlich würde nur die Karosserie vom Karman übernommen werden. Die Bodengruppe und die Technik sollte von einem Porsche 911 Carrera Modell 964 kommen. Das Chassis hatte ich bereits vorbereitet und den Kabelbaum neu verlegt. Die Karman Karosserie musste als nächstes für die Lackierung vorbereitet werden.

Justus und ich hatten also jeder eine Schleifmaschine in der Hand und bearbeiteten den alten Lack. Der musste überall dort komplett entfernt werden wo sich Rost zeigte. Da der Karman in den siebziger Jahren gebaut wurde, als Rostvorsorge noch ein Fremdwort war, gab es entsprechend viel zu schleifen und auch einiges zu schweißen.

Justus war mein Sohn. Er wurde in Deutschland geboren und daher hatte ich auch einen deutschen Namen für ihn gewählt. Zumindest als Rufnahmen hier in Deutschland. Sollten wir wieder zurück in die Staaten gehen, könnte er dort seinen zweiten Vornamen Josh benutzen. Er hatte wie ich beide Staatsangehörigkeiten. Da meine Frau leider vor einigen Jahren einer tückischen Erkrankung zum Opfer gefallen war, lebten wir beide nun allein in unserem Bungalow.

Justus hatte die gleiche Leidenschaft für alte Autos wie ich und gerade seine Fahrerlaubnis für begleitetes Fahren gemacht. Also siebzehn Jahre jung. Wir verstanden uns richtig gut in unserem Männerhaushalt.

„Du Dad, ich weiß grade nicht so genau, wie weit ich hier schleifen muss. Kannst du dir das mal anschauen?“

Ich legte meinen Schwingschleifer an die Seite und schaute mir die Stelle genau an.

„Ja, das ist wirklich schwierig zu sehen. Ich glaube es ist besser, den ganzen Türholmen freizulegen. Erst dann kann man wirklich erkennen, was genau ersetzt werden muss.“

Justus nickte nur kurz und schon war er wieder mit Schleifen beschäftigt. Innerhalb kürzester Zeit sahen wir aus wie Menschen von einem anderen Planeten. Komplett zugestaubt und seine Haare hatten die gleiche graue Farbe angenommen wie meine.

„Justus, lass uns eine Pause machen. Was hältst du von einem Othello und einem frisch gebackenen Stück Bienenstich?“

„Uiii. Dafür lasse ich sofort alles stehen und liegen. Dein Bienenstich ist eine absolute Wucht. Den kann kein Bäcker der Welt besser als du, Dad.“

Ein Kompliment vom fast erwachsenen Sohn zu bekommen erfreute mich. Das kam auch nicht alle Tage vor und umso tiefer drangen seine Worte in mein Herz. Solche Momente konnte ich sehr bewusst genießen, denn Justus war häufig mit seinen Freunden unterwegs.

Das Backen war auch eine Leidenschaft von mir und damit hatte ich bei Justus in der Klasse immer großen Erfolg. Bei Schulveranstaltungen wurde ich immer gebeten, ein Blech mit meinem Bienenstich zu machen. Gerade in dieser Jahreszeit, es waren nur noch sechs Wochen bis Heiligabend, war Kuchen immer gern gesehen.

Wir hatten uns etwas gesäubert und saßen im Wintergarten. Jeder hatte bereits ein Stück Kuchen vertilgt und sich einen weiteren Othello gemacht.

„Denkst du, dass der Karman zum Frühjahr fertig ist?“

„Schwierig zu sagen, Justus. Da steckt noch ganz viel Arbeit drin. Allein für die Karosserie werden wir bestimmt noch zwei Wochen brauchen. Dann muss sie lackiert werden und alle Chromteile wieder angebaut werden. Von der Motorentechnik ganz zu schweigen. Ich denke, wir müssen den Motor komplett zerlegen und neu aufbauen.“

„Lohnt sich dieser Aufwand überhaupt? Du wirst sicher eine Stange Geld in das Auto stecken müssen, oder?“

„Ja, es wird sicher viel Geld kosten, aber es ist mein Traum. Und es wird dann ein ganz besonderes Fahrzeug sein. Da spielt für mich das Geld keine so große Rolle. Ich fahre nicht in Urlaub und es macht mir viel Freude mit dir daran zu schrauben. Wer weiß, wie lange ich noch die Möglichkeit habe, mit dir zusammen daran zu arbeiten.“

Justus schaute mich überrascht und fast ängstlich an.

„Hey, keine Panik. Aber vielleicht bist du nach deiner Schule weit weg und studierst irgendwo. Dann wird es kaum noch möglich sein, gemeinsam daran zu arbeiten.“

„Ach so meinst du das. Ich hatte schon Sorge, dass du vielleicht krank wärst.“

Wir arbeiteten noch weitere drei Stunden in der Garage bis wir genug hatten. Justus und ich machten uns gemeinsam ein paar Bratkartoffeln zum Abendessen. Anschließend fragte ich ihn:

„Was hast du heute Abend noch vor? Muss ich dich irgendwohin bringen?“

„Ich fahre zu Marcel. Wir wollen einen Film gucken.“

„Gut, dann nehme ich an, du nimmst das Rad. Wann wirst du zurück sein? Morgen ist ja wieder Schule.“

„Gegen elf, denke ich. Ist das okay?“

„Ja, das ist in Ordnung. Viel Spaß und grüß bitte Marcels Eltern von mir.“

Etwas später arbeitete ich allein noch ein bisschen an der Karmankarosserie und schaute mir insbesondere die rechte B-Säule des Autos an. Dort gab es recht viel Rost und mir wurde klar, da müsste ein Blech angefertigt und eingeschweißt werden. Das Schweißen war zwar überhaupt nicht meine Sache, aber ich hatte einen ehemaligen Kollegen, der konnte sehr gut schweißen. Nachdem ich den ganzen Bereich bis aufs blanke Blech freigelegt hatte, machte ich eine Reihe von Fotos und wollte ihm die später per Email schicken. Mir war klar, dass dies aufwendig werden würde, aber es musste gemacht werden.

Ich entschied, für heute in der Garage Schluss zu machen und eine heiße Dusche zu nehmen.

Etwas später saß ich auf der Couch und hörte Musik als mir einfiel, dass ich noch Teile im Internet bestellen wollte. Um dies zu erledigen, startete ich meinen Laptop. Doch bevor ich auf der Seite war, konnte ich im Browser erkennen, dass zwei neue Emails eingegangen waren. Eine kam von einem guten Freund und die andere war erneut von besagtem Klaus, der mir die verirrte Mail geschickt hatte.

Verwundert, aber auch neugierig öffnete ich die Mail. Was ich dort las, ließ mich schmunzeln. Klaus schien ein Mensch mit gutem Humor zu sein. Er bedankte sich für meine Antwort und lud mich kurzerhand ebenfalls zu diesem 50. Geburtstag ein. Er schrieb:

Lieber Will,

vielen Dank für deine Antwort. Dadurch habe ich meinen Fehler mit der Email Adresse erst bemerkt. Ich würde mich aber sehr freuen, dich als meinen Gast auf dieser Geburtstagsfeier persönlich kennenzulernen. Das Datum kennst du ja schon. Falls du eine weite Anreise haben solltest, werden wir dich hier bei uns unterbringen können. Platz haben wir genug. Bitte melde dich bei mir, damit wir das Organisatorische klären können..

Ganz liebe Grüße

Klaus.

Im ersten Augenblick war ich irritiert und wollte auf keinen Fall einfach so dort hinfahren. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto neugieriger wurde ich. Allerdings entschied ich mich, am nächsten Tag Justus nach seiner Meinung dazu zu befragen bevor ich antworten würde.

Am nächsten Mittag stand ich bei uns in der Küche und bereitete für Justus und mich das Mittagessen vor. Mein Sohn hatte heute bereits um 13 Uhr Schulschluss und wir würden gemeinsam essen können.

Meine Gedanken wanderten immer wieder zu der Mail von Klaus. Eigentlich war ich überhaupt kein spontaner Typ. Andererseits beeindruckte mich diese Einladung maßlos und ich war sehr gespannt, was Justus zu dieser Geschichte sagen würde.

Die Terrassentür ging auf und ich konnte hören, dass Justus genervt nach Hause kam. Sein Rucksack landete unsanft auf dem Flur. Als er in die offene Wohnküche schaute, musste ich lachen.

„Na, welche Laus ist dir denn heute in der Schule begegnet?“

„Hi Dad, ach der Schneider ist doch ein Arschloch. Er hat heute einfach so mal einen Test schreiben lassen. Ohne Ankündigung.“

„Und? Wo ist das Problem? Wer regelmäßig seine Hausaufgaben macht und im Unterricht aufpasst, sollte bei so einem Test doch kein Problem damit haben.“

Justus war Gott sei Dank an genau dieser Stelle bereits selbständig. Er hatte seine Lektionen bereits in der achten Klasse gelernt und seit dieser Zeit regelmäßig etwas für die Schule getan.

„Ja, ich hab ja auch kein Problem damit, aber Marcel hat ordentlich verkackt und dürfte jetzt zu Hause Stress bekommen. Du kennst doch seine nervige Mutter. Sobald er mal eine Vier mitbringt, geht da gleich die Welt unter.“

„Hahaha, ja. da hast du leider recht. Sylvia ist da etwas schwierig. Hattet ihr denn etwas am Wochenende geplant?“

„Ja, allerdings. Wir wollten Fußball gucken und anschließend mit Sascha noch ins Kino. Der ist zwar erst fünfzehn, aber darf abends nicht allein unterwegs sein.“

„Er könnte wohl verloren gehen, oder wie?“

„So ungefähr, Dad. Aber Sascha ist voll in Ordnung, wir nehmen ihn gern mit. Allerdings dürfte das jetzt geplatzt sein.“

„Na, wartet es doch erst einmal ab. Noch sind ja keine Noten da. Komm, lass uns jetzt gemeinsam zu Mittag essen. Schau mal, was es Leckeres gibt.“

„Oh wie geil, du hast Pizza gemacht. Mjam, da geht die Laune gleich wieder nach oben.“

Als Dank bekam ich sogar eine kleine Umarmung. Das kam nur noch selten vor. Umso mehr genoss ich diese Geste. Die Stimmung war sofort deutlich besser und ich konnte jetzt auch das Thema mit Klaus ansprechen.

Als ich ihm die Geschichte erzählt hatte, fing er an zu grinsen.

„Also ich kenne dich lange genug um zu wissen, dass du ohne Ende neugierig bist und diese Geschichte klingt cool. Frag ihn doch einfach mal wo genau das ist und ob ich mitkommen kann. Das verspricht spannend zu werden. Hihihi.“

„Du würdest mitfahren wollen? Das ist ja was ganz Neues. Mit deinem alten Herrn zu einem fünfzigsten Geburtstag?“

„Ja, ich finde diese Antwort von dem Klaus so cool, dass ich den gerne kennenlernen möchte. Und der Termin liegt in den Weihnachtsferien, also auch kein Problem mit der Schule.“

„Also gut. Dann frage ich einmal nach, wo das ist und dass du mitkommen möchtest. Mal sehen, was wir darauf als Antwort bekommen.“

Mein Sohn konnte mich noch überraschen. Vielleicht hatte er doch ein paar mehr Gene von mir und meiner Neugier, Menschen kennenzulernen, mitbekommen.

Am Abend hatte ich Klaus eine Email geschrieben und ihm die Situation erklärt. Jetzt war ich natürlich richtig neugierig, was wir als Antwort bekommen würden.

Die Antwort ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten. Am nächsten Morgen konnte ich beim Frühstück lesen:

Hallo Will,

ich freue mich sehr über euer Interesse. Wir leben in der Nähe von Limburg, in einem kleinen Ort mit Namen Hahnstätten. Das ist in Rheinland-Pfalz, Limburg liegt aber schon in Hessen.

Mit der Bahn fahrt ihr am besten bis Limburg-Süd. Das ist der Fernbahnhof.

Dass dein Sohn Justus mitkommen möchte ist eine tolle Idee. Denn da wird sich mein Sohn Leo freuen. Er ist noch fünfzehn, aber wird auf dem Geburtstag sicher nicht viele Altersgenossen haben. Die meisten Kinder in unserer Verwandtschaft sind deutlich älter und bleiben lieber zu Hause und unternehmen mit ihren Freunden etwas.

Du brauchst dich um eine Übernachtungsmöglichkeit nicht zu kümmern. Ich habe genug Platz im Haus.

Vielleicht kommt ihr auch schon am Freitag zu uns, da ist hier noch nicht so viel los und wir können uns noch ungestört besser kennenlernen. Für dich zur Info, uns ist es gelungen, den Bill auch einzuladen. Er hat bereits zugesagt. Also könnt ihr euch auch kennenlernen.

Unsere Adresse lautet:

Klaus Homburg

Sonnenweg 10

65623 Hahnstätten

Falls ihr mit dem Auto anreist, könnt ihr das in das Navi eingeben.

Wir freuen uns jedenfalls auf euren Besuch

Liebe Grüße

Klaus.

Das hörte sich freundlich und auch recht unkompliziert an. Ich trug mir diesen Termin in den Kalender ein und bestätigte Klaus unser gemeinsames Kommen an dem Freitag.

In den kommenden Wochen schickten wir uns noch einige Mails und je näher der Tag rückte, desto mehr stieg meine Freude auf dieses kleine Abenteuer.

Unsere Anfahrt würde auch nicht zu lang dauern. Wir lebten in der Nähe von Kaiserslautern. Ich hatte mich dort niedergelassen, da der Weg zu meinem ehemaligen Arbeitsplatz in der amerikanischen Airbase Rammstein von hier nicht allzu weit war.

Unser Projekt Karman Ghia nahm auch immer mehr Form an. Die Karosserie war bereits beim Lackierer. Heute waren die letzten beiden Tage vor unserer Abreise zu Klaus und ich hatte mir vorgenommen, den revidierten Motor mit dem Getriebe zu verbinden. Damit würde es einfacher sein, den Motor wieder in die Karosserie zu setzen.

Wir hatten uns eine Bodengruppe von einem 911er aufgebaut und die Karosserie des Karman drauf gesetzt.

Justus hatte bereits bei seinem Trainer Bescheid gesagt, dass er am Wochenende seiner Mannschaft nicht zur Verfügung stehen würde. Also brauchte er heute auch nicht zum Training zu gehen. Von daher konnten wir noch einmal einige Stunden gemeinsam an der Technik arbeiten.

Plötzlich fragte mich Justus:

„Sag mal, was bringen wir Klaus eigentlich als Geschenk mit? Wir sind ja schließlich auf einen fünfzigsten Geburtstag eingeladen.“

„Na, das fällt dir aber früh ein. Wenn ich mich nicht schon darum gekümmert hätte, gäbe es jetzt ein Problem.“

„Jajaja, ich bin noch nicht so oft zu einem fünfzigsten Geburtstag eingeladen gewesen.“

Das kam so trocken, dass ich einen Moment stutze und dann laut lachen musste. Sogar mein Werkzeug musste ich aus der Hand legen. Auch Justus lachte mit mir. Diese Momente waren es, die mir so viel Freude bereiteten, mit meinem Sohn gemeinsam etwas zu machen.

„Guter Spruch, Dad. Aber was hast du nun für ein Geschenk besorgt?“

„Ich habe meine Beziehungen genutzt und einen fünfzig Jahre alten Whisky besorgt. Natürlich stilecht in einer schönen, kunstvoll gestalteten Flasche.“

„Wow, das ist cool. So etwas hat er bestimmt noch nicht gesehen.“

„Möchtest du von dem edlen Saft mal etwas probieren? Ich habe mir natürlich auch ein Fläschen mitbringen lassen. Hihi.“

„Echt jetzt? Du würdest mir davon etwas zum Probieren geben?“

„Ja, wenn wir das zusammen machen, habe ich damit kein Problem. Komm, lass uns das Getriebe montieren und dann machen wir für heute Feierabend. Und zur Belohnung gönnen wir uns dann ein Glas von diesem edlen Getränk.“

Damit hatte ich Justus noch einmal motiviert und es lief bestens. Das Getriebe flutschte direkt auf die Hauptwelle und wir konnten es mit dem Motorblock verschrauben.

Eine Stunde später saßen wir geduscht gemeinsam im Wintergarten und ich hatte gerade jedem von uns einen Finger breit von dem Whisky eingeschenkt.

„Machst du da keine Eiswürfel rein?“, fragte Justus.

„Um Gottes Willen, nein. Ein so guter Whisky wird bei Zimmertemperatur pur getrunken. Nur so kann er sein ganzes Aroma entfalten.“

Justus schaute mich an und nickte erstaunt. Ich erhob mein Glas und prostete ihm zu.

„Prost, auf unsere weitere gute Zusammenarbeit. Mir macht es große Freude, mit dir gemeinsam an diesem Auto zu arbeiten. Vielen Dank für deine Hilfe.“

Justus lächelte als ich das gesagt hatte und dann probierten wir den Whisky. Justus war sehr vorsichtig mit dem ersten Schluck. Es war eher ein Nippen. Aber der zweite Schluck war schon deutlich größer. Ich empfand diesen Whisky als exzellent. Wunderbar mild und leicht rauchig im Geschmack.

„Also, das haut aber ganz schön rein. Ich merke schon die Wirkung vom Alkohol. Der hat ganz schön Umdrehungen.“

„Hihi, naja. Er hat 43 Prozent, das merkt man schon. Aber man soll ja auch nur ganz wenig davon auf einmal trinken. Es ist ein Genuss, diesen Whisky an so einem Abend zu trinken.“

„Aber Autofahren sollte man danach nicht mehr.“

„Ja, da hast etwas Wahres gesagt.“

„Bist du eigentlich nicht aufgeregt? Ich habe keine Ahnung, was uns dort bei Klaus erwartet. Hoffentlich wird das so wie wir uns das denken.“

„Ach, ein wenig aufgeregt bin ich schon. So etwas habe ich auch schon ganz lange nicht mehr gemacht. Allerdings habe ich ein gutes Gefühl. Ich glaube, wir werden dort nette Leute kennenlernen. Vielleicht ergibt sich daraus ja eine Freundschaft. Außerdem ist es nicht so weit zu fahren. Im schlimmsten Fall setzen wir uns einfach ins Auto und fahren wieder heim.“

Damit war Justus beruhigt und ging in sein Zimmer. Er hatte morgen noch einen Tag Schule und dann würden wir aufbrechen. Für den Freitag hatte ich ihn in der Schule beurlaubt, damit wir bereits am späten Vormittag von hier aufbrechen konnten.

Der Abreisetag begann etwas unglücklich. Justus hatte einen Augenblick nicht aufgepasst und ihm war die Kaffeekanne heruntergefallen. Das hatte eine ordentliche Sauerei zur Folge. Viel schlimmer aber war, dass ich nun länger auf den morgendlichen Kaffee warten musste, denn Justus musste eine neue Kanne aufsetzen.

„Boah, das geht ja gut los. Du weißt doch wie meine Stimmung ohne Kaffee am Morgen ist.“

„Jaja, Dad. Du wirst es überleben. Mir ist schon lange nichts mehr kaputtgegangen. Es tut mir ja auch leid, aber ich kann das jetzt nicht mehr ändern.“

„Ist doch wirklich nicht so schlimm. Lass dich von deinem Vater nicht immer so leicht auf den Arm nehmen. Im Schrank steht noch eine Glaskanne. Setz einfach einen neuen Kaffee auf und in der Zwischenzeit hole ich für uns frische Brötchen.“

Der große Andrang beim Bäcker war bereits weg und so hatte ich schnell die Brötchen geholt und legte die Tüte auf die Arbeitsplatte. Justus hatte bereits alles gründlich gereinigt und frischen Kaffee gemacht. Er war allerdings gerade nicht in der Küche. Vermutlich stand er schon unter der Dusche.

Mittlerweile hatte ich mit Klaus auch die Handynummern ausgetauscht und ich gab ihm per Whatsapp die Information, dass wir in einer guten Stunde aufbrechen würden.

Justus kam mit nassen Haaren zurück und jetzt konnte das Frühstück beginnen.

„Du solltest gleich noch deine Haare föhnen. Es ist draußen zwar trocken, aber recht frisch. Nicht, dass du dort krank wirst.“

„Ja, mach ich gleich noch. Ich muss eh meine Tasche zu Ende packen. Dann mach ich das noch. Aber ich wollte dich nicht länger warten lassen.“

„Ach was, du hast einfach nur Hunger gehabt.“

Justus schwieg. Das war immer ein Zeichen dafür, dass ich genau ins Schwarze getroffen hatte.

Diese Frotzeleien waren harmlos und entsprechend gut gelaunt verlief das Frühstück.

Einige Zeit später glitten wir in meiner ZR1 Corvette über die Autobahn. Das Auto war ein Geschenk meines Arbeitgebers zu meiner Pensionierung. Ich war zum Ende meiner Laufbahn stellvertretender Garnisonschef der Air Base in Rammstein im militärischen Rang eines Generals. Ich hatte immer schon einen Faible für dieses amerikanische Monster. Entsprechend begeistert war ich, als ich dieses Prachtstück überreicht bekam. Allerdings war mir absolut klar, dass Justus diese Rakete, zumindest zu Beginn, nicht fahren durfte. Das war ganz sicher kein Anfängerauto.

Das Ziel kam näher und ich spürte doch eine gewisse Nervosität. Was würde uns dort tatsächlich erwarten? Auch Justus hatte sich ganz in seinen Sitz gedrückt und wirkte ebenso etwas nervös.

Als wir die Autobahn verließen, zeigte uns das Navi noch etwa fünfzehn Minuten Fahrzeit an.

„Was hat Klaus eigentlich noch über Leo erzählt? Macht der auch Sport?“

„Nein, ich habe keine Ahnung. Überhaupt habe ich keine Ahnung, was für Leute dort sein werden. Das wird also eine komplette Überraschung werden. Allerdings habe ich nach wie vor ein gutes Gefühl. Klaus macht einen lustigen und unkomplizierten Eindruck.“

Justus wirkte verunsichert.

„Hast du Zweifel an deiner Entscheidung mitzukommen?“

„Hmm.“ Er zögerte mit seiner Antwort. „Ja, ein bisschen schon. Was ist, wenn die sich alle nur volllaufen lassen? Darauf habe ich irgendwie gar keinen Bock.“

„Also, das sollte auf einem fünfzigsten Geburtstag nicht mehr so vorkommen. Das sind ja nicht so dumme Leute wie deine Klassenkameraden. Ob jemand siebzehn, achtzehn oder fünfzig ist, sollte schon ein gravierender Unterschied sein. Es wird sicher auch getrunken, aber da wird kaum jemand aus dem Rahmen fallen. Vermute ich jedenfalls. Und Klaus machte bislang einen sehr ordentlichen Eindruck auf mich.“

„Und er scheint auch nicht gerade am Hungertuch zu nagen, denn so eine Feier wird sicher auch richtig Geld kosten.“

Bevor das Gespräch noch mehr in die Spekulation abdriftete, bog ich bereits in die Zielstraße ein: Eine sehr gute Wohngegend mit vielen schönen Häusern. Nicht protzig, aber gediegen. Hahnstätten hatte fast einen Dorfcharakter, aber es war eine Kleinstadt. Sie lag in einer hügeligen Landschaft und unser Ziel lag etwas außerhalb des Stadtzentrums. Direkt an einem Hang gelegen.

Vor unserem Ziel standen bereits einige auswärtige Autos und ein großes Schild mit einer blauen fünfzig stand auf dem Rasen im Vorgarten. Hier waren wir also richtig. Jetzt war ich doch aufgeregt als ich mit Justus vor der Haustür stand und geklingelt hatte.

Ich hörte ein Geräusch und die Tür öffnete sich. Vor uns stand ein Junge mit blonden Haaren und tiefblauen Augen, die uns genau musterten.

„Hallo, ich bin Will und das ist mein Sohn Justus. Wir sind zu Klaus fünfzigsten Geburtstag eingeladen worden.“

„Ah, ihr seid das. Herzlich willkommen, ich bin Leo. Kommt rein. Wo ist euer Gepäck?“

Der Junge war freundlich und hatte nun auch ein Lächeln im Gesicht. Ich hätte ihn jünger als fünfzehn geschätzt.

„Das ist noch im Auto, hier war alles voll und wir mussten etwas weiter weg parken.“

„Am besten ist, ihr stellt das Auto hier in die Einfahrt. Papa muss heute nicht mehr wegfahren.“

Ich ging also zurück zum Auto während Justus mit Leo bereits ins Haus gegangen war.

Die Einfahrt war ein wenig eng für meine über zwei Meter breite Flunder. Der Achtzylinder röhrte doch ganz ordentlich als ich den Motor abstellte. Als ich die Tür öffnete stand Leo bereits mit einem Grinsen und dem Handy in der Hand vor der Tür.

„Wow, ihr habt aber ne geile Corvette mitgebracht. Ist das eine echte ZR1?“

„Ja, die ist echt. Macht auch viel Spaß zu fahren.“

Währenddessen hatte ich unsere beiden Sporttaschen aus dem Kofferraum genommen und Leo nahm mir eine davon ab.

„Komm, ich zeige dir wo es hingeht. Folge mir einfach.“

Er duzte mich einfach. Das machte das Ganze hier schon einmal sympathisch.

Wir gingen eine Treppe hinunter und er öffnete mir die Tür. Es war ein richtiges Gästezimmer mit einem Doppelbett und modern eingerichtet. Ich stellte meine Tasche ab und nachdem Leo die andere Tasche auch auf den Boden gestellt hatte, fragte er:

„Sorry, ich habe eben einfach „Du“ gesagt. Das war nicht böse gemeint.“

„Hahaha, das ist schon okay. Ich bin William, aber bitte Will. Das gefällt mir besser. Du bist der Sohn vom Klaus?“

„Genau. Dann bin ich ja beruhigt, weil sonst wäre Papa bestimmt sauer geworden.“

„Passt schon. Wir kommen bestimmt gut miteinander klar. Weißt du wo mein Sohn ist?“

„Ja klar, der ist schon bei den anderen Gästen im Garten. Da gehen wir am besten jetzt auch gleich hin. Darf ich Justus mal mein Zimmer zeigen?“

„Na klar, Klaus hat mir schon gesagt, dass es wohl nicht allzu viele Gäste geben würde, die für dich interessant sein werden. Ich finde das vollkommen in Ordnung, wenn ihr mal bei dir im Zimmer seid.“

Er brachte mich in den Garten und sofort kam jemand auf mich zu und begrüßte mich freundlich.

„Hallo Will. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid. Ich bin Klaus und meinen Leo hast du ja auch schon kennengelernt.“

Es gab eine herzliche Umarmung und dann stellte er mich den anderen in der Runde vor. Ich wurde sehr freundlich empfangen. Vor allem als Klaus die Anekdote mit der falschen Email Adresse erklärt hatte gab es humorvolles Lachen. Erst seine Frau Nadine bremste ihn etwas.

„Besonders interessant wird es morgen. Dann kommt Bill hier an. Da lernt ihr euch auch kennen. Das ist echt eine kuriose Geschichte.“

Klaus hatte ein entspanntes Gemüt und auch Justus wurde von ihm sofort in die Runde einbezogen. Erst, als Leo ihn fragte, ob Justus mit in sein Zimmer dürfe, zwinkerte er seinem Sohn zu und ließ die beiden ziehen.

„Aber seid bitte um sieben zum Abendessen wieder unten.“, rief er seinem Sohn noch hinterher.

„Und wie gefällt es dir bisher? Hast du es schon bereut, hergekommen zu sein?“, fragte mich Nadine.

„Nein, ich glaube es war die richtige Entscheidung. Bislang alles nette Leute und nichts ist kompliziert. Das gefällt mir.“

„Das freut uns. Bis jetzt sind nur zwei Brüder von mir hier. Der Rest der Gäste kommt erst morgen bzw. übermorgen. Also hast du heute noch Gelegenheit unsere Familie besser kennenzulernen.“

Sie fragte mich noch, was ich trinken möchte und ging dann ins Haus. Wenige Augenblicke später kam sie mit einem frischen Latte Macchiato wieder.

Alle wirkten entspannt und leger. Hier würde ich mich sicher wohlfühlen. Vielleicht sogar neue Freunde finden. Seit dem Tod meiner Frau lebte ich doch eher zurückgezogen und kümmerte mich um Justus. Ein richtiger Freundeskreis fehlte mir ein wenig.

„Bevor du dich nachher noch wunderst, wir haben eine Familientradition, dass eine Woche vor Weihnachten und immer an Klaus' Geburtstag gemeinsam ein Weihnachtsbaum ausgesucht werden muss.“

„Cool, ich bin zwar noch so gar nicht in Weihnachtsstimmung, wenn ich mir das Wetter heute so ansehe. Zwölf Grad und Gartenparty im Dezember. Aber mir gefällt das, denn ich bin überhaupt kein Wintermensch.“

„Ha, das ist noch eine weitere Übereinstimmung. Klaus mag es auch lieber hell und warm als grau und dunkel. Sag mal, bist du nicht mit deinem Sohn gekommen? Wo ist der denn hin?“

„Ja, aber dein Sohn Leo hat sich ihn gleich gekrallt und ist mit Genehmigung von Klaus mit ihm in sein Zimmer entschwunden. Hihihi. Die alten Leute sind eben doch nicht so interessant.“

„Na, das finde ich aber toll, wenn die beiden sich gleich so gut verstehen. Leo ist im Moment etwas schwierig. Er ist oft nur noch allein und hat wenig Freunde.“

„Naja, Pubertät halt. Da gibt es solche Phasen. Das habe ich mit Justus bereits durch. Wobei ich sagen muss, der Tod seiner Mutter hat sicher auch noch Spuren bei ihm hinterlassen. Ich bin aber gerade sehr glücklich mit Justus und seinem Verhalten.“

„Oh jeh, das tut mir leid. Allerdings solltest du vielleicht schon eine Information bekommen, die für Justus wichtig sein könnte. Leo hat uns vor drei Wochen anvertraut, dass er schwul ist. Vielleicht hat er sich auch deswegen etwas zurückgezogen. Er spricht mit uns nicht viel darüber.“

„Ah, okay. Das könnte einiges erklären. Ich habe keine Ahnung wie Justus damit umgehen wird. Vielleicht wird es ihm Leo auch gar nicht sagen. Warten wir mal ab. Ich habe kein Problem damit. Im Gegenteil, ich unterstütze Jugendliche, die das für sich annehmen können. Justus soll sich seine Freunde selbst aussuchen und dann entscheiden, wie er damit umgeht.“

„Das ist eine sehr gute Einstellung. Damit wirst du bei Klaus offene Türen einrennen.“

Es ergaben sich noch einige gute Gespräche, gerade mit der Verwandtschaft. Justus und Leo blieben bis zum Abendessen verschwunden. Das war für mich ein Zeichen, dass sich die beiden gut verstanden.

Ich erfuhr, dass wir heute Abend essen gehen würden. Am Geburtstag gab es dann eine andere Location, wo die große Feier stattfinden sollte.

Klaus holte um kurz vor sieben alle zusammen. Natürlich fehlten Leo und Justus noch.

Klaus stand vor der Gruppe und fragte:

„Wer möchte fahren? Wir sind neun Personen.“

Ich meldete mich, denn mein Auto stand ja eh in der Einfahrt. Allerdings war die Corvette nicht als Familienauto tauglich.

„Gut, Will fährt mit Justus. Wir brauchen noch einen Fahrer. Nadine fährt auch. Danke. Dirk fährt ebenfalls. Dann können wir uns auf die Autos verteilen. Jetzt fehlen nur noch die beiden Jungs.“

Genau in diesem Augenblick kamen Leo und Justus die Treppe herunter. Beide lachten und strahlten. Das war ein schöner Anblick. Da hatten sich wohl zwei gesucht und gefunden. Das freute mich für Justus. Er hatte keinerlei Berührungsängste mit Leo. Mal schauen wie sich das entwickeln würde.

Justus kam zu mir und fragte:

„Dad, kann ich bei Leos Eltern mitfahren? Wir haben gerade viel Spaß zusammen.“

„Meinetwegen gern, frag aber Nadine. Ich weiß nicht, wie sie die Plätze verteilt haben.“

Justus nickte und ging direkt zu Nadine. Er fragte und ich konnte an ihrem Gesicht die gleiche Verwunderung sehen, die es bei mir ausgelöst hatte. Anscheinend schien aber kein Platz mehr zu sein. Plötzlich kam Klaus zu mir.

„Hättest du für mich einen Platz in deinem Auto. Dein Sohn möchte gern mit Leo gemeinsam fahren. Nadine hatte das allerdings schon anders geplant, aber ich würde auch Platz machen, wenn das für dich in Ordnung wäre.“

„Klar, kein Problem. Da scheint sich ja eine neue Freundschaft anzubahnen.“

„Danke. Ja, das sieht stark danach aus. Ich wundere mich auch, denn eigentlich hat Leo seit einiger Zeit so seine Macken. Er ist viel allein unterwegs und möchte seine Ruhe haben. Daher würde ich es gut finden, wenn die beiden so viel Zeit zusammen sind wie möglich.“

„Würden die Herren ihre Unterhaltung auf später verschieben. Wir möchten los.“

Nadine schien etwas in Eile zu sein. Klaus blieb ruhig:

„Nun mach mal langsam. Ihr könnt doch schon fahren. Ich fahre bei Will mit und ich kenne ja auch den Weg.“

„Würden wir gern machen, Schatz. Allerdings steht da so eine flache Flunder in der Einfahrt und verhindert, dass ich aus der Garage komme.“

Dabei zeigte sie auf mich und lachte. Klaus war irritiert, er hatte das wohl nicht gesehen bzw. mitbekommen, dass ich dort geparkt hatte.

„Ja, da hat sie wohl recht. Ich musste unsere Taschen noch holen und da hat Leo gemeint, ich solle in der Einfahrt parken. Du müsstest heute nicht mehr wegfahren.“

„Ach so, na dann lass uns aufbrechen.“

Klaus ließ mich vorangehen und als er aus der Haustür in die Einfahrt schaute, staunte er über mein Fahrzeug.

„Wow, jetzt verstehe ich auch, warum Leo unbedingt wollte, dass das Teil in der Einfahrt steht. Das macht ordentlich was her. Was für ein Geschoss ist das denn? Sieht jedenfalls schnell und stark aus.“

„Ist auch schnell und stark. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat mir das Teil zur Pensionierung geschenkt. Das ist ein Traumwagen für mich. Eine Corvette ZR1.“

„Wow, so einen Arbeitgeber würde ich mir auch wünschen. Wo hast du gearbeitet?“

„Bei den amerikanischen Streitkräften in Ramstein auf der Airbase.“

Mittlerweile hatte ich den Achtzylinder gestartet und war aus der Einfahrt gefahren.

„Aber sicher nicht als einfacher Soldat. Bei so einem Geschenk musst du schon ein hohes Tier gewesen sein.“

Mir war das immer etwas unangenehm über meinen Rang zu sprechen. Ich antwortete daher:

„Ich war der stellvertretende Garnisonskommandant. Und das über zehn Jahre.“

Klaus schaute mich staunend an.

„Wow, damit habe ich nicht gerechnet. Du machst einen lockeren Eindruck. Jedenfalls nicht nach einem führenden Militäroffizier. Warst du auch im Ausland tätig? Wobei die Frage ja schon überholt ist. Du bist vermutlich Amerikaner und hast dementsprechend hier im Ausland gearbeitet.“

„Ja, und nein. Mittlerweile habe ich auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Das vereinfacht mir hier viele Dinge. Und Justus ist hier geboren. Ich habe auch nicht vor, hier aus Deutschland wieder wegzugehen.“

„Cool, großen Respekt vor deiner Haltung. Eigentlich sind die Amerikaner ja sehr patriotisch.“

„Das stimmt schon, aber mit dem verrückten Trump als Präsident wird mich dort gar nichts mehr hinziehen. Ich habe in Deutschland meine neue Heimat gefunden.“

„Dann wird dein Aufeinandertreffen mit Bill sicher spannend werden. Er ist nämlich auch Amerikaner und kommt aus Seattle. Ihr lernt euch ja morgen kennen.“

Die Fahrt zum Essen war kurz und als ich eingeparkt hatte, standen Justus und Leo schon wieder ganz dicht beieinander und hatten ihren Spaß.

Klaus schaute genauso irritiert zu ihnen wie ich.

„Also über Leo muss ich jetzt schon etwas staunen. So oft habe ich ihn in den letzten Wochen nicht lachen sehen, wie allein heute schon. Dein Sohn hat anscheinend eine sehr positive Wirkung auf ihn. Mir gefällt das sehr.“

„Ja, ich bin auch stolz auf Justus. Er ist für sein Alter außerordentlich vernünftig und hilft mir bei meinem Projekt zu Hause. Er hat auch die Leidenschaft für alte Autos und geht nicht mehr jedes Wochenende mit den Klassenkameraden auf Partys. Er hat seine Lektionen, insbesondere den Umgang mit Alkohol, gelernt und ist dabei wirklich sehr zurückhaltend.“

Klaus nickte anerkennend und berichtete mir auf dem Weg in das Restaurant, dass sie mit Leo auch ihre Erlebnisse mit Alkohol bereits hatten. Also im Grunde alles nichts Neues für mich.

Allerdings wunderte mich mittlerweile Justus Fröhlichkeit und die Vertrautheit mit Leo. Es schien so, als ob er mit Leo einen Freund gefunden hatte, den er zu Hause zurzeit nicht mehr hatte.

Auch beim Essen lachten die beiden immer wieder über banale Dinge wie die kleinen Kinder. So langsam kam mir das komisch vor. Wusste Justus bereits, dass Leo schwul war und hatte er damit überhaupt keine Probleme oder wusste er noch gar nichts davon oder hatte er vielleicht sogar jetzt einen Gleichgesinnten gefunden?

Bei dem letzten Gedanken zuckte ich zusammen. Wäre das möglich, dass Justus auch schwul ist? Und ich hätte es bis heute übersehen oder noch schlimmer, er hätte nicht das Vertrauen gehabt, es mir zu sagen?

Nadine schien etwas bemerkt zu haben. Sie hatte mich schon eine ganze Weile beobachtet.

„Will, über welchen schlimmen Gedanken hast du denn gerade nachgedacht? Du siehst so aus als ob du ein Gespenst gesehen hättest.“

„Nein, nein, das sicher nicht. Aber es stimmt schon. Mir ist gerade ein Gedanke durch den Kopf geschwirrt, den ich bislang vollkommen außer Acht gelassen bzw. übersehen hatte.“

„Möchtest du mit mir darüber sprechen? Ich habe das Gefühl, dass Leo daran beteiligt ist. Stimmt das?“

Ich hatte meinen Nachtisch gerade gegessen und danach einen Latte Macchiato bekommen. Nachdenklich schaute ich mir die beiden Jungs an.

„Ich bin gerade verwirrt. Lass uns vielleicht später darüber sprechen. Jetzt ist es gerade nicht der passende Moment.“

Das war eine Notlüge, aber ich war noch nicht bereit, meine Gedanken nach außen zu tragen. Was mich verunsicherte war der Gedanke, dass Justus mir vielleicht nicht vertraute. Er hätte doch wissen müssen, dass ich für alle Themen offen bin. Ein verrückter Moment. Ich wusste ja nicht einmal, ob das überhaupt stimmen würde. Dennoch kamen diese Gedanken. Nur weil er jetzt einen schwulen Jungen kennengelernt hatte und sich mit ihm bestens verstand. Je mehr ich darüber nachdenken musste, desto unglücklicher und unsicherer wurde ich.

Als das Essen beendet war und wir noch in lockerer Atmosphäre ein wenig an der Theke standen, nahm ich die Gelegenheit wahr und ging zu Nadine.

Sie schien auf mich gewartet zu haben, denn sofort nahm sie mich an die Seite und führte mich in einen ruhigeren Bereich.

„Ich bin gerade total verunsichert und zweifele auch an mir.“

Nadine schaute mich an und lächelte.

„Lass mich raten, du hast Schwierigkeiten mit dem Verhalten deines Sohnes.“

„Nein, so direkt nicht. Ich frage mich, ob ich etwas übersehen habe oder warum mir Justus vielleicht etwas nicht erzählt hat. Obwohl ich ja noch gar nichts weiß. Nur weil ich weiß, dass Leo schwul ist und die beiden außergewöhnlich gut miteinander klarkommen. Ich hätte nie gedacht, dass sich meine Gedanken so verselbständigen.“

„Ja, das kann ich gut verstehen. Es ging uns ähnlich bis zu dem Moment, als uns Leo anvertraut hat, dass er schwul ist. Seitdem sehen wir diese Dinge gelassen. Er soll sich ausprobieren und wir freuen uns einfach nur, dass er sich mit Justus so schnell angefreundet hat. Die letzten Wochen waren nicht einfach für Leo. Er hat sich oft in seinem Zimmer versteckt und ist nur noch selten mit Freunden unterwegs gewesen. Von daher sehe ich das als ein tolles Kompliment an Justus. Warum lässt du sie nicht einfach sich so entwickeln wie sie das möchten?“

„Das tue ich ganz sicher. Es sind meine Gedanken, die mir einen Streich spielen. Ich weiß doch noch gar nichts und dennoch mache ich mir Sorgen oder überlege, ob Justus mir nicht vertraut. Das ist doch verrückt.“

„Da bist du aber schon sehr selbstkritisch. Vielleicht lässt du das einfach auf dich zukommen und ich bin mir sicher, Justus wird dich ins Vertrauen ziehen, sollte es etwas zu sagen geben. Er macht auf mich einen sehr selbstbewussten Eindruck und er hat einen tollen Charakter. Du kannst stolz auf ihn sein. Beurteile die Situation so wie sie ist und nicht wie sie sein könnte. Dann wirst du offen bleiben und er wird auf dich zukommen.“

Dieser Hinweis half mir sehr. Ich war ungerecht und vielleicht auch unbegründet besorgt. Ich musste meine Ungeduld bezähmen und Justus auch weiterhin vertrauen. Die Situation würde sich nur mit Vertrauen Justus gegenüber klären lassen.

Wir gingen gemeinsam zu den anderen zurück und der Abend verlief noch sehr harmonisch. Auch bei Klaus zu Hause hatten wir noch einige schöne Stunden. Dennoch fühlte ich die Müdigkeit, als wir gegen halb zwei am Morgen ins Bett gehen wollten. Erst da fiel mir auf, dass Justus und Leo schon einige Zeit nicht mehr bei uns waren.

Klaus erklärte mir mit einem Lächeln:

„Leo hat uns gefragt, ob Justus vielleicht bei ihm schlafen sollte. Schließlich wollten sie noch etwas zocken. Das könnte spät oder noch früher werden, da hätte dich Justus vielleicht gestört. Deshalb habe ich vorhin zugestimmt und ich hoffe du bist nicht sauer darüber.“

„Nein, nein, sauer sicher nicht. Justus hätte mich aber auch fragen können. Aber egal.“

„Geh doch einfach mal bei ihnen vorbei und rede mit ihm. Sie werden sicher noch vor dem PC sitzen.“

Das tat ich auch und ging nach oben zu Leos Zimmer. Ich konnte den Sound des PC schon hören bevor ich das Zimmer betrat. Ich klopfte an und hörte ein „Herein“.

„Hallo Dad, immer noch wach? So spät bist du doch sonst nicht mehr auf. Wir wollten dich nicht mehr stören.“

„Ist schon gut.“

„Sorry Dad, ich hatte gedacht, du würdest nichts dagegen haben. Leos Mutter hatte auch keine Einwände, dass ich hier schlafe.“

Ich war einfach enttäuscht über dieses Verhalten. Sicher hätte ich das genauso erlaubt, aber ich wollte von Justus gefragt werden. Die Verantwortung für ihn obliegt immer noch mir. Aber jetzt vor Leo zu meckern wäre völlig unangebracht gewesen und würde unser Vertrauensverhältnis eher belasten. Also verkniff ich mir jeglichen Kommentar.

„Was zockt ihr da eigentlich?“

„Snooker, ein cooles Spiel. Leider habe ich das noch nie real gespielt. Aber auf Eurosport wird das oft gezeigt. Da schaue ich immer zu. Ich finde das total faszinierend.“

Leo war sehr euphorisch. Für mich eine positive Überraschung, dass sie das spielten und keinen Egoshooter. Ich hatte für mich sofort im Hinterkopf abgelegt, mit den beiden ein Billardcafé aufzusuchen und das mit ihnen richtig am Tisch spielen zu wollen.

„Ja, das ist ein spannendes Spiel. Also gut, dann macht aber nicht die Nacht durch. Hast du schon alles hier, Justus?“

„Klar, ich wollte dich ja nicht mehr stören. Wann ist morgen eigentlich Frühstück?“

„Soweit ich weiß um halb zehn und da möchte ich dich auch gern sehen. Ansonsten wünsche ich euch noch viel Spaß und eine gute Nacht.“

Als ich endlich in meinem Bett lag, konnte ich nicht einschlafen. Es gingen mir ständig einige Gedanken durch den Kopf. Warum konnte ich mich nicht einfach nur freuen, dass Justus einen neuen und netten Freund kennengelernt hatte? Ich konnte es mir nicht beantworten. Daher beschloss ich, dass ich ab jetzt keine negativen Gedanken mehr zulassen wollte. Die Jungs sollten die gemeinsame Zeit genießen. Mit viel Spaß zusammen etwas erleben. Damit konnte ich dann doch einschlafen und wachte sogar erholt am nächsten Morgen auf.

Schon beim Frühstück versuchte ich meine negativen Gedanken gar nicht mehr zuzulassen und begrüßte alle mit einem gut gelaunten:

„Guten Morgen zusammen. Alle gut geschlafen?“

Klaus fing an zu lachen und Justus antwortete frech grinsend:

„Ja, nur zu kurz.“

„Hihi, das kann ich mir vorstellen. Also lasst uns den heutigen Tag genießen und entsprechend gut mit dem Frühstück beginnen.“

Nadine schaute mich überrascht an, nickte mir aber lachend zu. Auch Klaus musste lachen und erwiderte:

„Na, das ist ja eine Begrüßung für den Tag. Da kann ich nur zustimmen. Lasst uns viel Spaß haben.“

Justus und Leo grinsten und griffen beherzt zu den Brötchen. Heute hatte uns Klaus eingeladen, mal nach Limburg zu fahren. Eine sehr schöne und alte Stadt. Erstaunlicherweise wollten uns Leo und Justus sogar begleiten. Wir mussten nur am späten Nachmittag am Bahnhof von Limburg-Süd sein. Das war der Fernbahnhof. Dort würde Bill ankommen. Und darauf war ich auch gespannt. Klaus hatte noch nicht viel über Bill gesagt.

Nadine konnte leider nicht mitkommen. Sie wollte sich mit den Geschwistern um die Vorbereitungen für die Party am nächsten Abend kümmern.

Eine Stunde später saßen wir bei Klaus im Auto und waren auf dem Weg in die Limburger Innenstadt.

„Warst du schon einmal in Limburg oder kennst du bereits etwas über die Stadt?“

„Hihi, das bekannteste ist für mich das Bischofsgebäude von dem verrückten Tebartz van Elst. Aber ich war auch schon mal im Dom.“

„Der van Elst muss doch echt einen an der Waffel gehabt haben. So krank kann man doch gar nicht im Kopf sein. Und das alles auch noch im Namen der katholischen Kirche.“

Ich drehte mich um und schaute in das Gesicht von Justus.

„Dass du das weißt, wow. Ich hätte jetzt nicht erwartet, dass du davon schon mal etwas mitbekommen hast. Doch ist dem aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. Aber Limburg hat mit Sicherheit noch viel mehr schöne Dinge zu bieten.“

„Allerdings Will, Papa wird uns bestimmt durch die Altstadt schleifen. Aber ich finde die coolen Freizeitmöglichkeiten besser.“

Leo hatte anscheinend bereits den ein oder anderen Besuch durch Limburg begleitet. Von daher wunderte ich mich, dass sie uns unbedingt begleiten wollten.

Der Spaziergang durch die Stadt war wunderschön und auch Leo gab einige Dinge zur Erklärung. Es wurde ein toller Vormittag und besonders gut gefiel mir ein Laden mit Süßigkeiten. Dort gab es die verschiedensten Formen von Salzlakritz. Da konnte ich einfach nicht widerstehen und griff reichlich zu. Allerdings wurde schnell deutlich, dass auch Justus plötzlich wieder Kind wurde. Er hatte natürlich Lunte gerochen und mich bequatscht. Also bekam auch er einige Tüten dieser Leckereien. Aber, und das gefiel mir wiederum sehr gut, er begann sofort mit Leo zu teilen.

Klaus und ich schauten uns die alten Häuser an und nebenbei beobachteten wir unsere Söhne. Immer wieder trafen sich unsere Blicke und irgendwann wurde es Klaus zu bunt:

„Hey Jungs, könnt ihr eigentlich auch noch ernst sein, oder seid ihr jetzt wieder im Kindergarten gelandet?“

Schlagartig zuckte Justus zusammen, Leo schaute für einen Moment erschrocken zu seinem Vater, um dann laut zu lachen. Justus war das allerdings jetzt peinlich. Er stieß Leo in die Seite und raunte ihm zu:

„Ey, reiß dich zusammen. Sonst wird es noch peinlich.“

Augenblicklich erstarb das Lachen und Leo schaute seinen Vater ernst an. Ich empfand es auch langsam etwas peinlich.

„Ja, wir benehmen uns. Aber es ist so lustig mit Justus und euch durch die Straßen zu pilgern.“

„Was ist bei uns so lustig daran?“, fragte Klaus prompt und schaute mich fragend an.

Ich zuckte nur mit den Schultern, aber bei den Jungs führte das gleich wieder zu einem Grinsen. Nun, ich konnte akzeptieren, dass das eigentlich alles harmlose Dinge waren, allerdings etwas nervig.

„Dad ist, so lange ich denken kann, noch nie einfach mal so irgendwohin gefahren. Ich finde es mega cool und freue mich riesig, dass ich Leo und euch kennengelernt habe.“

„Genau, Papa. Justus ist cool und ich freu mich auch einfach nur.“

„Na, dann ist ja alles im grünen Bereich. Vielleicht geht es ja doch etwas unauffälliger in der Stadt.“

Wir spazierten noch einige Zeit durch die alten Gassen und Straßen. Zwischendurch gönnten wir uns ein Eis bis Justus mich fragte:

„Wie sieht das bei dir mit Mittagessen aus? Ich spüre ein leichtes Hungergefühl.“

„Ja, einen kleinen Imbiss könnte ich jetzt auch vertragen. Ich frage mal Klaus, was er dazu meint.“

Klaus fand die Idee gut und hatte natürlich auch gleich das Passende im Kopf. Es ging in Richtung Einkaufszentrum in der Nähe des alten Stadtbahnhofs von Limburg.

Flammkuchen war das Stichwort.

Das war eine regionale Spezialität. Eigentlich kam der Flammkuchen aus dem Elsass oder eben aus dem benachbarten Rheinland-Pfalz. In diesem Lokal gab es ein besonderes Mittagsangebot. Für einen Pauschalpreis durfte man so viele Flammkuchen essen wie man mochte bzw. verdrücken konnte. Für die beiden Jungs war das natürlich besonders schön. Justus konnte momentan für zwei essen und bei Leo schien das nicht anders zu sein.

Auch die Atmosphäre war angenehm und Klaus und ich hatten uns bereits einen Cappuccino bestellt, während die Jungs immer noch dabei waren, Flammkuchen zu vernichten.

Klaus erzählte mir von seinem Werdegang und dass er jetzt als leitender Ingenieur in einer Firma für Computersteuerungen für die Automobilindustrie arbeitete. Ein interessanter Bereich. Allerdings war er auch häufiger zu anderen Standorten unterwegs und daher immer wieder für gewisse Zeit auch von zu Hause weg.

Irgendwann waren auch unsere Jungs gesättigt und wir konnten uns auf den Weg machen. Mir kam der Gedanke mit dem Snookerspielen wieder in den Sinn.

„Wie viel Zeit haben wir noch, bis wir Bill vom Zug abholen müssen? Ich hätte die Idee, mit den beiden Jungs mal eine echte Partie Snooker zu spielen.“

Leo hatte das mitbekommen und war sofort Feuer und Flamme. Klaus hingegen bremste die Euphorie.

„Ich habe zwar schon seit längerem mitbekommen, dass Leo das Billardspielen interessiert. Aber hier gibt es meines Wissens keine Möglichkeit, wo auch Jugendliche spielen dürfen. Leo ist erst fünfzehn und darf dementsprechend noch nicht in eine der Spielhöllen oder in eine Kneipe.“

Sofort ließ sich Leo zu dem Thema hören: „Das stimmt, aber ich werde bald sechzehn und hier in der Nähe ist ein großes Freizeitcenter, wo man auch Billard spielen kann. Und dort soll es Snookertische geben.“

„Aha, sollen wir da jetzt mal hin und eine Runde spielen? Was meinen die Jungs?“

„Geil. Das wäre jetzt echt der Hammer.“

„Na, das ist doch mal eine Aussage. Justus? Was ist mit dir?“

„Da bin ich auf jeden Fall dabei. Cool.“

Der Weg zum Auto hatte länger gedauert als die Anfahrt zum Sportcenter.

Entsprechend aufgeregt waren die Jungs als wir den großen Saal mit den Billard- und Snookertischen betraten.

„Bevor ihr auf komische Ideen kommt, ich möchte euch zuerst das Spiel auf dem Tisch erklären. Die Regeln kennt ihr zwar, aber es gibt auf dem echten Tisch ein paar Dinge zu beachten.“

Als wir dann am Tisch standen, staunten die Jungs ganz schön. So groß hatten sie die Spielfläche nicht erwartet. Auch, wie schnell die Kugeln über das Filztuch flitzten, hatten sie nicht geahnt.

Entsprechend wüst waren dann auch die ersten Stöße. Aber nach etwa zehn Minuten hatten sich die beiden bereits entsprechend angepasst und unsere erste richtige Spielrunde konnte beginnen.

Sehr schnell zeigte Leo dann tatsächlich großes Talent mit dem Queue umzugehen. Die Jungs waren mutig und forderten Klaus und mich zu einem Duell.

„In Ordnung, wir spielen alt gegen jung. Aber nicht beleidigt sein, wenn ihr verloren habt, hihi.“

Klaus lehnte sich weit aus dem Fenster. Aber ich konnte ganz ordentlich spielen. Von daher war Abwarten angesagt.

Die beiden Jungs hatten wohl gedacht, dass das richtige Spiel ähnlich einfach wäre wie am Computer. Dem war offensichtlich nicht so, denn wir lagen schnell deutlich in Front. Aber beim Snooker ging es um Punkte und nicht nur um das Lochen der Bälle.

Natürlich dauerte ein Spiel auch viel länger als beim Pool Billard. Aber man konnte sich zwischendurch gut unterhalten und ich schaute immer wieder zu Justus und Leo. Das Verhältnis der beiden war schon sehr eng geworden. Sie vertrauten sich und das spürte ich. Vielleicht hätte Justus mit Leo wieder einen besten Freund, dem er alles anvertrauen konnte. Seine letzte so enge Freundschaft wurde leider böse enttäuscht. Seitdem war Justus sehr vorsichtig geworden.

Umso erfreuter war ich, diese Situation beobachten zu können. Leo hingegen schien gern ein wenig mehr auf Kontakt gehen zu wollen, traute sich aber nicht so wirklich.

Auch Klaus beobachtete die Situation genau, aber wir spielten einfach weiter. Etwa eine Stunde später hatten wir unser erstes Spiel gewonnen und das zweite dann verloren. Also handelten die Jungs mit uns ein Unentschieden aus. So hatten sie sich den Wetteinsatz gespart und waren nicht in der Pflicht, zuhause in der Küche helfen zu müssen.

Als ich bezahlt hatte, bedankte sich Leo für die Einladung und es ging zum Bahnhof. Bill würde mit dem ICE ankommen und ich war doch ein wenig angespannt. Da kommt jemand extra aus den Staaten für einen fünfzigsten Geburtstag nach Deutschland. Das musste eine besondere Beziehung sein.

Klaus und ich standen am Bahnsteig, während Justus und Leo etwas abseits standen. Sie wollten sich den Wagenstandanzeiger anschauen, um gleich passend zu stehen.

„Du beobachtest die beiden aber genau. Warum lässt du es nicht einfach laufen?“

Klaus schien etwas amüsiert zu sein über mein Verhalten.

„Ja, beobachten ist korrekt. Aber ich lasse es laufen, ganz sicher. Ich freue mich einfach für Justus, dass er vielleicht wieder einen besten Freund bekommt. Er hatte mit seinem letzten besten Freund eine herbe Enttäuschung zu verkraften. Und wenn es so sein sollte, dass die beiden in einer Beziehung zusammenkommen, dann wäre ich auch sehr glücklich. Leo wäre ein toller Freund. Ich befürchte nur, dass Justus sich vielleicht selbst im Wege stehen könnte.“

„Das tun Kinder beizeiten schon mal. Aber manchmal müssen sie auch solche Hindernisse zu umschiffen lernen, bevor sie reif genug sind zu begreifen was sie wollen. Justus hat bislang auf mich einen tollen Eindruck gemacht. Da hätte sich Leo sicher einen ganz besonderen Partner geangelt. Aber warten wir mal ab. Ich habe ein gutes Gefühl.“

Dann kam die Lautsprecheransage, dass der ICE jeden Augenblick einfahren würde. Justus und Leo gaben uns Zeichen wo der Wagen stehen sollte. Also schlenderten wir zu den Jungs. Leo wirkte sogar ziemlich aufgeregt. Er schien Bill zu kennen, ihn aber wohl lange nicht mehr gesehen zu haben. Bislang hatte Klaus mir gegenüber ein Geheimnis aus der Person Bill gemacht.

Der Zug fuhr mit quietschenden Bremsen am Gleis ein und die Türen öffneten sich. Leo schaute unruhig hin und her und plötzlich lief er zu dem nächsten Waggon. Dort stieg gerade ein kräftiger Mann mit dunkler Sonnenbrille aus und Leo begrüßte ihn stürmisch mit einer innigen Umarmung. Justus hielt sich dezent im Hintergrund.

Klaus führte mich heran und begrüßte seinen Freund ebenso freudig wie innig. Klaus stellte mich vor und in diesem Moment machte es bei mir „Klick“. Das Gesicht hatte ich schon einmal gesehen. Noch kurioser wurde es, als mich Bill mit meinem Titel als General ansprach.

„Ihr kennt euch?“, fragte Klaus irritiert.

„Ich weiß nicht, aber irgendwie kommt mir Bill bekannt vor. Er scheint mich jedenfalls zu kennen.“

„Oh ja, ich kenne dich sogar sehr gut. Schließlich bist du vier Jahre lang mein Chef auf der Ramstein Air Base gewesen.“

Das überraschte mich jetzt total, doch plötzlich kam mir ein Gedanke, woher ich Bill kennen könnte.

„Äh, ich bin mir ein wenig unsicher, aber bist du vielleicht der Sicherheitschef gewesen? Nein, du warst der Kommandant der Militär Polizei. Jetzt habe ich es. Das ist ja eine Überraschung.“

Wir umarmten uns und Leo freute sich riesig, dass ich Bill bereits kannte. Leo erzählte uns dann, dass Bill sein Patenonkel war. Wie klein doch die Welt war.

„Bist du noch immer in Ramstein?“, fragte Bill.

„Nein, ich darf mittlerweile meinen Ruhestand genießen.“

„Wirklich? So viel älter als ich bist du doch gar nicht, oder täuscht das?“

„Na ja, immerhin zehn Jahre.“

„Oh, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Du lebst aber noch in Deutschland?“

„Ja, gar nicht so weit weg von hier. Ich bin ja auch mittlerweile Deutscher und möchte auch nicht zurück in die Staaten. Deutschland ist meine Heimat geworden.“

„Und meine ist es auch. Ich will hier auch auf keinen Fall weg.“

Justus schoss dazwischen, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Bill fing sofort an zu lachen und ich freute mich, dass ich Bill wiedergetroffen hatte. Ein weiterer Grund, weshalb es bislang richtig war, hergekommen zu sein.

Mittlerweile saßen wir wieder bei Klaus im Auto und es wurde doch ein wenig eng mit fünf Personen. Aber es war auch nur eine kurze Strecke bis zu Klaus nach Hause.

„Was machst du jetzt? Bist du noch bei der Army?“

„Nein, Will. Ich habe den Job gewechselt. Ich bin jetzt in Seattle und dort Sichereheitschef bei Boeing. Das ist weniger gefährlich und wird besser bezahlt. Hihi.“

„Das ist klasse. Das freut mich für dich. Und ich weiß nun, wen ich fragen kann, sollte Justus mal irgendwo ein Praktikum machen müssen.“

„Hahaha“, kam von hinten.

Justus schien nicht begeistert zu sein. Allerdings war das wohl nicht so ernst gemeint, denn sogleich folgte:

„Aber bei Boeing wäre das bestimmt cool. Da hätte ich sicher ein paar Fragen an dich.“

„Klar, kein Problem. Dafür werden wir bestimmt Zeit finden. Leo muss ja auch mal ein Praktikum machen. Da finden wir schon was Passendes, solltet ihr dafür in die USA kommen wollen.“

„Vielleicht nicht unbedingt für ein Praktikum, aber für ein Auslandssemester vielleicht.“

Oha, Justus beschäftigte sich bereits mit seinem Studium. Das waren ja ganz neue Töne.

Als wir bei Klaus ankamen, wurde Bill mit viel Herzlichkeit empfangen. Alle freuten sich über das Wiedersehen. Schnell hatte ich herausgefunden, dass Bill ein langjähriger Freund der Familie und gerade für Leo eine besondere Bezugsperson war.

Nadine war gerade erst von der Partylocation zurückgekommen und sah noch etwas geschafft aus. Das würde eine spannende Feier werden, soviel war jetzt schon für mich klar.

Umso ruhiger, aber keineswegs langweilig verlief der Abend. Bill erzählte einige Geschichten aus Seattle und das war spannend, was er so aus der Boeing Company zu erzählen hatte. Bis zu dem Augenblick als Leo eine Frage stellte:

„Aber Bill, wie war Will denn so als dein Chef? Irgendwie kann ich mir das gar nicht vorstellen, dass Will ein hoher Militäroffizier war. Er ist hier immer nett, lustig, locker und freundlich.“

Bill fing an zu lachen.

„Das hättest du wohl gerne, dass ich da aus dem Nähkästchen plaudere, aber alles was dort passiert war, fällt unter das Militärgeheimnis. Ich darf und will auch nichts davon erzählen. Nur so viel, Will war ein ganz hervorragender, gerechter Chef. Ich hatte nie Probleme mit ihm.“

„Naja, so ganz stimmt das ja nicht. Ich erinnere mich an eine kleine etwas problematische Situation, die schon etliche Jahre her ist. Das war ganz zu Beginn deiner Zeit in Ramstein. Da hast du einen kleinen Fehler gebracht, den ich dir ganz schnell ausreden musste. Was mir allerdings auch gelungen ist. Danach kamen wir bestens miteinander aus.“

Natürlich hatte ich damit Leos Aufmerksamkeit geweckt. Wie ein hechelnder Hund versuchte er von mir Informationen zu bekommen.

Den einzigen Satz, den er von mir zu hören bekam:

„Tut mir leid, Militärgeheimnis.“

Bill und ich hatten damit unseren Spaß, denn auch Bill wusste sofort, um welche Sache es sich damals gehandelt hatte.

„An dieser Stelle bin ich sehr froh, dass wir dieses Dienstgeheimnis immer noch haben, hihihi.“

Leo musste sich damit zufriedengeben und zog ein wenig enttäuscht von dannen. Allerdings dauerte seine Enttäuschung nicht lange, denn schon bald war er wieder mit Justus unzertrennlich. Es dauerte auch nicht mehr lange bis Justus bei mir vorstellig wurde.

„Dad, bist du einverstanden, wenn ich heute auch wieder bei Leo schlafe? Wir wollen noch etwas zocken und quatschen. Hier ist es uns doch etwas langweilig.“

„Ja, zisch ab und macht euch einen netten Abend. Wenn etwas sein sollte, dann komm vorbei.“

Glücklich zog mein Sohn mit Leo nach oben.

Mein Abend verlief auch weiterhin sehr lustig und erkenntnisreich. Bill und ich hatten viel zu erzählen. Auch unsere Gastgeber hörten interessiert zu. Um Mitternacht wurde Klaus standesgemäß gratuliert und angestoßen. Ich hatte erwartet, dass die Jungs zumindest dafür herunter kommen würden. Aber dem war nicht so und es schien Klaus weder zu überraschen noch zu stören. Gegen zwei in der Frühe ging ich ins Bett und konnte sogar schnell einschlafen.

Heute war also Klaus Geburtstag und entsprechend sollte er auch im Mittelpunkt stehen.

Beim Frühstück waren Justus und Leo auch wieder unter uns und Nadine hatte alle gebeten, ihre Geschenke gleich nach dem Frühstück zu überreichen, denn am Abend würden die Gäste ihre Sachen mitbringen und entsprechende Aufmerksamkeit erwarten. Die Familie sollte deshalb ihre Geschenke schon vorher übergeben können und da wäre der Vormittag einfach besser geeignet.

Also ging ich in mein Zimmer, holte die kunstvoll verpackte Flasche und stellte mich in die Reihe der Gratulanten.

„Was hast du denn da tolles mitgebracht?“, fragte mich Nadine als sie das aufwendig verpackte Geschenk erblickte.

„Na, das muss Klaus gleich mal auspacken. Wenn ich es vorher verrate, ist die Überraschung verdorben.“

Es dauerte nicht mehr lange und ich stand vor Klaus, der bereits reichlich beschenkt worden war.

„Was hast du denn da mitgebracht? Das sieht sehr schön aus.“

„Am besten du machst es auf und dann sehen wir was drin ist. Hihihi.“

Als die Verpackung entfernt war, schaute Klaus etwas ratlos auf die Flasche.

„Was ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Das ist ein richtig seltener und edler Whisky. Etwas ganz besonderes unter den pure Malt. Den gibt es im normalen Handel gar nicht mehr zu kaufen.“

Klaus betrachtete die Flasche und las das Label ganz genau. Als er das Alter las, zog er eine Augenbraue hoch.

„Wow, der ist so alt wie ich. Ganz schön alt. Aber ich freue mich sehr über dieses Präsent. Vielen Dank.“

Danach stellte er die Flasche vorsichtig auf dem Tisch ab und umarmte mich. Eine herzliche Umarmung.

„Es ist eine wunderbare Fügung des Schicksals gewesen, die es ermöglichte, dass wir uns kennenlernen konnten. Heute ist ein schöner Tag zum Feiern.“

Alle anderen klatschten Beifall. Obwohl alle Gäste tolle Geschenke mitgebracht hatten, war mein Eindruck, dass der Whisky für Klaus etwas Besonderes darstellte.

Es dauerte daher noch einige Minuten bis alle zum traditionellen Aussuchen des Weihnachtsbaumes aufbrachen. Allerdings wurde diese Tradition zu einem lustigen und auch sehr informativen Event. Justus und ich erfuhren einige nette Details über Klaus und seine Familie.

Als alle Erwachsenen dann um zwei große Blaufichten standen und darüber stritten, welcher Baum denn nun der schönere sei, waren Justus und Leo in Richtung Nordmanntannen geschlichen und anscheinend dort fündig geworden. Justus winkte mich heran und erklärte:

„Schau mal, Dad. Ist das nicht ein toller Baum? Ich weiß gar nicht, warum alle um diese beiden Bäume da hinten so viel Gedöns machen. Wir finden diesen Baum viel schöner.“

Ich schaute mir den Baum genau an und empfand dann genauso: ein wunderschöner Baum und auch perfekt für den Aufstellort. Es musste nichts mehr daran geändert oder gekürzt werden. Einfach klasse. Also traf ich eine Entscheidung. Der Baum sollte es sein und so forderte ich die Jungs auf, den Baum einfach mitzunehmen und schon mal zur Kasse zu gehen. Den anderen das beizubringen, sollte meine Aufgabe sein.

Sie diskutierten immer noch über diese beiden Fichten als ich zu ihnen kam.

„Ähm, darf ich mal kurz stören?“

Alle Augen richteten sich auf mich und die Stimmen schwiegen.

„Ja, Will. Was gibt es denn?“, fragte Klaus.

„Ihr könnt die Diskussionen beenden. Die Entscheidung ist bereits gefallen und Leo und Justus sind bereits bezahlen gegangen. Sie haben den perfekten Baum für euren Wintergarten gefunden.“

Stille.

Plötzlich begann Nadine zu lachen und bald lachten alle mit. Klaus schaute etwas erstaunt, aber kommentierte fröhlich:

„Mensch, das ist ja was. Warum haben wir das nicht schon viel früher gemacht? Ich hatte immer den Eindruck, Leo wäre der Baum nicht wichtig.“

„Vielleicht weil er jetzt nicht mehr alleine entscheiden musste? Er hat mit Justus offenbar eine willkommene Ergänzung gefunden und dann ist es einfacher, eine Entscheidung gegen die blöden Eltern zu fällen.“

Nadine grinste ihren Mann an, nachdem sie das gesagt hatte. Die anderen schüttelten lachend ihren Kopf und plötzlich meinte Bill:

„Dann lasst uns doch mal zur Kasse gehen. Wir wollen doch wenigstens schauen, was die Jungs ausgesucht haben. Wenn das wirklich so perfekt ist, sollten sie das in Zukunft immer so machen. Dann können wir eine Menge Zeit sparen und gleich auf den Weihnachtsmarkt gehen.“

Der Tross setzte sich in Richtung Kasse in Bewegung. Ich war sehr froh, dass sie das so locker akzeptiert hatten. Immerhin hatten die Jungs wohl eine Familientradition durchbrochen und ich hatte sie darin auch noch bestärkt.

Leo und Justus standen gerade an der Kasse und wollten sich den Baum in ein Netz packen lassen als wir dazu stießen.

Nadine hatte die Tanne als Erste begutachtet:

„Wow, was für ein Baum. Wirklich der perfekte Baum für uns.“

Alle anderen schienen ebenfalls äußerst zufrieden zu sein und somit wurde die Tanne eingepackt und ins Auto verladen. Klaus lobte die Jungs für ihre Entscheidungsfreudigkeit und erteilte Leo für das nächste Jahr das Aussuchrecht.

„Aber nur wenn Justus mich wieder unterstützt.“

Dabei schaute Leo mich fragend an.

„Aus meiner Sicht kein Problem. Hast du Justus denn schon gefragt?“

Eigentlich eine rhetorische Frage, denn mit einem deutlichen Kopfnicken stimmte mein Sohn zu.

„Also Will, damit ist wohl klar, dass du das nächste Weihnachten auch hier feiern wirst.“

„Ähm, kleine Zwischenfrage“, meldete sich Justus, „werden wir überhaupt zu Weihnachten noch hier sein?“

„Aber sicher doch. Ihr müsst ja jetzt auch den Baum schmücken. Also da gibt es keine Alternative dazu. Wer aussucht muss auch schmücken.“

Oh, damit war das wohl geklärt. Nadine schien auch nicht gewillt zu sein, darüber noch einmal diskutieren zu wollen. Lachend erwiderte ich:

„In Ordnung, ich werde zwar gar nicht gefragt, aber ich bin einverstanden. Allein schon deshalb, weil Justus mir vermutlich in den Hintern treten würde, sollte ich nicht bleiben wollen.“

Jetzt brachen alle in lautes Gelächter aus und Justus wurde sogar etwas rot im Gesicht. Die Stimmung war bestens und auch den Nachmittag über blieb es sehr lustig und interessant. Nadine hatte sich zeitig mit den anderen Frauen zur Partylocation abgesetzt. Also waren die Männer unter sich. Plötzlich kam Leo zu mir und fragte:

„Kannst du mir bitte nicht einmal deine Corvette etwas näher zeigen. Ich habe noch nie die Gelegenheit gehabt, so einen Supersportwagen aus der Nähe zu betrachten. Justus hatte ich auch schon gefragt, aber er hat sich geweigert. Er meinte, dass es nicht klug wäre, das ohne deine Zustimmung zu machen.“

„Allerdings. Da hat Justus eine weise Entscheidung getroffen. Das hätte richtig Ärger gegeben. Zumal es ja kein Problem darstellt, mich zu fragen. Wir können uns gleich das Auto anschauen, aber erst trinke ich noch meinen Tee aus.“

Leo wollte Justus Bescheid sagen und ging wieder nach oben. Klaus hatte uns beobachtet und kam zu mir.

„Na, hat Leo endlich gefragt? Er ist eigentlich seit Beginn darauf scharf, sich deine Corvette anschauen zu dürfen. Er wollte, dass ich für ihn frage.“

„Und das hast du anscheinend abgelehnt, hihihi. Komisch, sonst wirkt er so selbstbewusst, aber hier ist er extrem zurückhaltend?“

„Er ist eigentlich überhaupt nicht selbstbewusst. Das ist ja gerade der Punkt, der uns so staunen lässt. Seit Justus hier ist, geht Leo nach vorne und macht den Anführer. Keine Ahnung was passiert ist, aber Justus Anwesenheit gibt Leo viel Sicherheit. Dass er das manchmal etwas übertreibt, ist auszuhalten. Meinetwegen kann das gerne so bleiben.“

„Ja, ich verstehe. Justus ist schon sehr selbständig, das stimmt. Allerdings erlebe ich ihn hier auch viel lockerer und fröhlicher. Es gefällt mir gut. Dann sollte ich vielleicht einfach bis Weihnachten noch bleiben. Wer weiß, welche Überraschungen wir noch erleben oder zu sehen bekommen.“

Klaus zwinkerte mir zu und lachte. Aber gedacht haben wir beide vermutlich das Gleiche. Mal abwarten.

In diesem Moment kamen Justus und Leo die Treppe wieder herunter. Ich gab Justus meinen Autoschlüssel und ließ sie schon vorgehen. Klaus wollte mitkommen und sich meine Corvette ebenfalls anschauen.

Als wir in der Einfahrt standen, hatte Justus schon alle Hauben und Türen geöffnet und Leo machte fleißig mit seinem Handy Fotos. Insbesondere vom Innen- und Motorraum.

Leo lag förmlich im Motorraum und schaute sich alles sehr genau an. Justus versuchte ihm so gut es ging seine Fragen zu beantworten. Erst als ich mit Klaus am Auto ankam, gab er Leos Fragen an mich weiter.

„Das ist aber kein normaler „Small Block“ von Chevrolet, oder?“

„Nein, das ist ein high performance Achtzylinder mit 6,2 Liter Hubraum und Kompressoraufladung.“

„Damit dürften wohl so um die 600 PS Leistung möglich sein und reichlich Drehmoment.“

„Naja, ein bisschen mehr ist es schon. Sie hat 755 PS und knapp 1000 Nm Drehmoment. Also das geht schon ordentlich vorwärts.“

Leo schaute mich mit großen Augen an und schüttelte dann seinen Kopf.

„Dafür braucht man eigentlich einen Waffenschein. Klingt bestimmt geil das Gerät.“

Ich gab Justus ein Zeichen, dass er den Motor mal starten sollte. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Nach einmaligem Schlüsselumdrehen brüllte der Achtzylinder los. Schnell beruhigte sich dann der Leerlauf und ein typisches Brabbeln machte sich breit. Leo schien sogar das Motorengeräusch aufzunehmen. Klaus war auch sichtlich beeindruckt.

Damit wir die Nachbarn nicht unnötig belästigten, beendete ich die Vorführung aber schnell. Leo fragte mir Löcher über das Auto in den Bauch. Erst nach einigen Minuten gab er sich zufrieden und Klaus und ich gingen zurück ins Haus.

„Was meinst du, wollen wir nicht mal deinen tollen Whisky testen? Ich bin einfach neugierig.“

„Dann machen wir das mal. Wollen wir die Jungs auch fragen oder ist Leo noch zu jung dafür?“

„Ach, einmal probieren darf er schon. Wenn er denn möchte und ich glaube, so bekommen wir beide ihn schnell wieder vom Auto weg. Hihihi.“

Dieser Plan ging voll auf und entsprechend neugierig stand Leo neben Klaus. Justus kannte ja den Geschmack schon. Nadine kam auch hinzu und so wurde es doch eine größere Probierrunde. Aber alle waren begeistert, nur Leo meinte respektvoll:

„Der schmeckt total mild und sanft. Aber ich merke sofort den Alkohol. Puh.“

„Ja, das beschreibst du ganz gut. Ein unverschnittener Malt mit dem Alter ist eine Rarität und sicher etwas ganz Besonderes.“

Nadine tat dieser Entspannungsdrink sichtlich gut. Sie hatte mit den Vorbereitungen für die abendliche Party doch recht viel um die Ohren.

Am Abend wurde dann ersichtlich, wie genial Nadine diese Feier vorbereitet hatte. Es gab eine große Tanzfläche und drumherum standen wunderschön eingedeckte Tische. Sogar eine kleine Bühne gab es, auf der der DJ sein Equipment aufgebaut hatte.

Das Dinner war hervorragend und es herrschte nach dem Dessert bereits eine lebendige Gesprächsatmosphäre. Leo und Justus wurden natürlich schnell ungeduldig. Das einfache Herumsitzen und sich mit Erwachsenen zu unterhalten entsprach so gar nicht ihren Interessen. Justus übernahm irgendwann die Initiative und schlich sich mit Leo Richtung DJ. Schnell hatten sie ein Gespräch begonnen und plötzlich wechselte der DJ von leiser Hintergrundmusik zu lauten Diskotönen.

Ich zuckte sogar ein wenig zusammen als der Bass loswummerte. Allerdings hatten anscheinend viele der Gäste nur darauf gewartet, denn schnell füllte sich die Tanzfläche und die Party startete richtig durch.

Es wurde viel aus den siebziger und achtziger Jahren gespielt. Vor allem kaum Neue Deutsche Welle der Achtziger. Das gefiel mir recht gut. Allerdings war ich nicht so sehr der Tänzer. Dies änderte Nadine. Plötzlich stand sie vor mir und zog mich einfach mit auf die Tanzfläche. Soft Cells „Tainted love“ verführte auch mich zu einer flotten Sohle. Nach einigen weiteren guten Songs brauchte ich eine Pause. Also verließen wir die Tanzfläche.

Nadine, Klaus und ich standen an der Theke und hatten uns etwas zu trinken geben lassen. Ich schaute mich um und entdeckte plötzlich Leo und Justus gemeinsam auf der Tanzfläche. Sie tobten förmlich über das Parkett und bekamen gar nicht genug. Was die beiden dort zeigten sah richtig dynamisch aus. Ich war völlig überrascht und fasziniert von Justus seinem Rhythmustalent. Leo hatte ein perfektes Taktgefühl und bewegte sich außerordentlich elegant zur Musik. Mit großer Freude schaute ich den beiden zu.

Richtig ins Staunen kam ich gegen Mitternacht. Obwohl beide so gut wie keinen Alkohol getrunken hatten, wurden sie immer mutiger und als der DJ von Tina Turner „Nutbush“ auflegte, rockten sie richtig ab. Aber nun nicht mehr jeder für sich, sondern als Paartanz.

Klaus und ich saßen am Tisch und beobachteten die beiden. Klaus lachte immer mehr und auch mir gefiel das richtig gut von den beiden. Sogar eine Hebefigur zauberte Leo mit Justus aufs Parkett.

„Sag mal, Will, was geht denn hier ab? Die beiden sind ja richtig gut. Vor allem haben sie keinerlei Berührungsängste. Welche Jungs in dem Alter würden so eine Show gemeinsam abziehen?“

Klaus hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da endete das Lied und mitten auf der Tanzfläche gab Leo meinem Justus einen zaghaften Kuss. Für einen klitzekleinen Augenblick war ich zwar geschockt, aber sofort wechselte das in Freude pur. Justus und Leo hatten für sich wohl eine Entscheidung gefällt. Jetzt war es also auch für mich klar. Da hatten sich zwei gesucht und gefunden.

Nadine hatte das natürlich auch registriert. Bei den anderen Gästen war keinerlei Reaktion festzustellen. Vermutlich hatten sie es nicht einmal bemerkt.

Für mich stand jetzt eine Entscheidung an. Sollte ich Justus darauf ansprechen oder nicht? Nadine riet mir dringend davon ab, es zu tun. Also stellte ich meine Neugier hinten an und machte es nicht zum Thema.

Bis zwei Uhr am Morgen wurde die Tanzfläche noch richtig gut frequentiert. Leo und Justus zeigten immer wieder ihr Talent im Paartanz, aber es gab keinen weiteren offenen Kuss. Vielleicht war das vorhin doch nur ein Versehen aus überschäumender Freude über eine gelungende Aktion oder sie wollten es noch gar nicht offenlegen.

Da auch ich einige Biere getrunken hatte, nahmen wir für den Rückweg ein Großraumtaxi. Leo und Justus waren immer noch sehr aufgekratzt und hätten gerne noch weiter gefeiert. Aber uns hatte es genügt und auch Klaus als Gastgeber hatte die Party dann beendet.

Am nächsten Morgen schliefen wir aus und erst gegen halb elf gab es ein spätes Frühstück. Klaus, Bill, Nadine und ich saßen bereits bei einer Tasse Kaffee und warteten auf die anderen.

„Wie hast du denn diese Situation mit den beiden Jungs gesehen?“

Klaus schaute mich fragend an und Nadine war es sichtlich unangenehm, dass er mich so direkt darauf ansprach.

„Es war wunderschön zu sehen, wie die beiden über die Tanzfläche getobt sind. Das hatte ich von Justus überhaupt nicht erwartet. Ich finde, die beiden haben Talent zum Tanzen. Ich sollte Justus vielleicht mal fragen, ob er das nicht als Sport betreiben möchte.“

„Ja, das stimmt. Das sah toll aus, aber ich meinte eher den Kuss von Leo. Justus wirkte auf mich ziemlich geschockt. Danach hat Leo ja auch keinen weiteren Versuch mehr in dieser Hinsicht unternommen, sich Justus zu nähern.“

„Also ich weiß nicht, wenn diese Tanzshow keine Annäherung gewesen ist, was soll dann eine Annäherung sein. Kein Junge würde mit einem anderen Jungen so eine Show zeigen, wenn sie sich nicht im Vorfeld genauestens darüber abgesprochen hätten. Ich habe jedenfalls große Freude bei beiden gesehen und empfunden. Vielleicht sollte es ja auch ein Antesten unserer Reaktionen sein. Warten wir doch einfach mal ab, ob sie mit uns sprechen wollen. Ich habe Zeit und werde Justus zu nichts drängen.“

„Danke, Will. Ich bin froh, dass du mich verstanden hast. Klaus ist manchmal sehr ungeduldig. Ich bin mir sicher, dass Justus mit dir bald ein Gespräch suchen wird. Leo hat mir das gestern noch signalisiert. Es gab nur noch keine passende Situation dafür.“

„Ich werde geduldig warten, wobei ich nicht so einfach warten wollte. Aber ich glaube, es wäre falsch, jetzt auf Justus loszustürmen und von ihm eine Erklärung zu erwarten.“

Nadines Augen leuchteten und ich spürte ihren Respekt mir gegenüber. Ich goss Klaus und mir noch einen frischen Kaffee ein.

„Es wäre für dich wirklich kein Problem, wenn die beiden jetzt zusammengekommen wären?“

Klaus war diese ungeklärte Situation sichtlich unangenehm.

„Hey, was sollte ich denn machen? Wenn es so ist, dann ist es so. Justus hat es sich ganz sicher nicht ausgesucht. Mir würde es einige Dinge im Nachhinein erklären und je mehr ich darüber nachdenke, desto besser komme ich mit der Situation klar. Ich wünsche mir nur, dass Justus den Mut findet, mit mir darüber zu sprechen. Ich werde weiterhin bedingungslos hinter ihm stehen. Erst recht mit so einem netten und tollen Freund an seiner Seite.“

„Das ist eine tolle Einstellung und ich freue mich, dass Leo mit dir einen so verständnisvollen „Schwiegerpapa“ bekommt. Hihihi.“

„Oha, das ist vielleicht ein wenig früh, aber ja, ich mag Leo schon sehr und finde, dass die beiden sich sehr gut ergänzen. Schauen wir mal, was hier noch so passiert.“

In diesem Moment betrat Leo allein das Esszimmer.

„Guten Morgen, seid ihr schon lange wach?“

„Guten Morgen, mein Schatz. Nein, so lange nicht. Wo hast du Justus gelassen? Hat er noch Probleme aufzustehen?“

„Nein, Mama. Er ist aber noch unter der Dusche. Müsste aber gleich kommen. Ihr müsst keine Sorgen haben, wir haben nicht viel Alkohol getrunken.“

Dabei schaute Leo insbesondere zu mir. Er beobachtete meine Reaktionen genau. Aber ich ließ mir nichts anmerken und führte meine Unterhaltung mit Klaus fort. Allerdings nicht mehr über die beiden Jungs, sondern über den heutigen Tag.

Das Programm sah nichts Außergewöhnliches vor. Klaus hatte einen Zahnarzttermin und Nadine wollte mit ihrer Verwandtschaft eine Shoppingtour machen. Die letzten Einkäufe sozusagen vor den Feiertagen tätigen.

Daher schlug ich vor, für das Abendessen verantwortlich zu zeichnen. Was die beiden Jungs vorhatten, wussten wir noch nicht. Justus war ja noch nicht bei uns.

Klaus und Nadine wollten ursprünglich mit uns abends essen gehen. Ich hingegen wollte eine meiner Spezialitäten machen. Da das Mittagessen wegen des späten Frühstücks ausfallen sollte, hatte ich ausreichend Zeit für die Vorbereitungen. Ich wollte einen Truthahn herrichten. Aufgrund meiner Verbindungen hatte ich natürlich noch einen amerikanischen Lieferanten an der Hand.

„Wie viele Personen werden wir heute Abend denn sein?“

„Ach so, das habe ich noch gar nicht gesagt. Wir werden ab heute Nachmittag wieder allein sein. Also zu sechst. Unsere Verwandtschaft fährt heute wieder nach Hause, damit sie Weihnachten zuhause verbringen können. Lediglich Bill bleibt auch bis Weihnachten zu Besuch.“

Ein großer Truthahn würde also reichen. Jetzt musste ich nur überlegen, wo würde ich einen richtigen, amerikanischen Truthahn bekommen. Eine Idee hatte ich schon.

„Gut, dann werde ich den Tag nutzen, heute für das Abendessen zu sorgen. Ihr geht einkaufen und ich werde mal etwas in der Küche zaubern.“

„In Ordnung, dann gebe ich den reservierten Tisch wieder frei und wir lassen uns heute von unseren Gästen bekochen. Ich bin sehr gespannt, was du uns zaubern wirst.“

Den letzten Satz hatte Justus noch mitbekommen, denn er war soeben zum Frühstück erschienen.

„Das wird bestimmt cool. Dad kocht richtig gut. Ich glaube, da mache ich mit. Wir könnten dann ja für euch mal etwas machen. Bislang sind wir hier richtig verwöhnt worden.“

Leo schien von diesem Gedanken gar nicht begeistert zu sein. Er hatte anscheinend etwas anderes geplant gehabt, traute sich aber nicht, jetzt etwas dagegen zu sagen.

„Das würde mich sehr freuen, Justus. Wir haben schon lange nicht mehr gemeinsam gekocht. Du kannst Leo gern fragen ob er uns helfen möchte. Momentan sieht er aber eher nicht so glücklich mit deiner Idee aus.“

„Wir wollten doch zusammen zu Ralf fahren. Das war so besprochen.“

„Das können wir doch immer noch machen. Aber wenn Dad kocht, dann ist das für mich immer ein Highlight. Das möchte ich auf jeden Fall machen.“

Es entwickelte sich jetzt ein kleiner Disput zwischen den beiden Jungs. Allerdings ebbte das nach wenigen Augenblicken wieder ab. Justus hatte sich etwas zu essen genommen und das hatte ich in den letzten Jahren gelernt, wenn er beim Essen war, wollte er nicht mehr diskutieren. Diesen Fehler beging Leo jedoch nun und wollte diese Diskussion beim Frühstück fortführen. Justus wirkte sofort genervt, wollte seinen Freund jetzt aber nicht bloßstellen. Er verdrehte nur kurz einmal seine Augen.

„Leo, ich gebe dir einen gutgemeinten Rat. Justus mag es überhaupt nicht, beim Essen über solche Dinge diskutieren zu müssen. Es wäre klüger, wenn ihr das auf später verschieben würdet. Allerdings sehe ich kein Problem, beides unter einen Hut zu bekommen. Ihr fahrt gleich zu Ralf, macht mit ihm etwas und kommt gegen halb vier heute Nachmittag wieder zurück. Bis dahin habe ich eingekauft und wir können in Ruhe gemeinsam das Essen vorbereiten.“

Justus schaute mich dankbar an und nickte bereits. Leo schien noch zu überlegen, aber setzte die Diskussion nicht mehr fort. Schnell beruhigte sich die Situation wieder.

Wir frühstückten ausgiebig und als wir Erwachsenen bereits bei der dritten oder vierten Tasse Kaffee waren, fragte Justus:

„Wann sollen wir denn wieder zurück sein?“

„Ich denke gegen halb vier sollte locker reichen. Was habt ihr denn bei Ralf vor? Leo scheint das ja sehr wichtig zu sein.“

„Wir wollen uns mit ein paar anderen aus Leos Klasse treffen und gemeinsam ins Schwimmbad gehen.“

„Du hast doch gar keine Schwimmsachen dabei.“, erwiderte ich.

„Er bekommt von mir eine Badehose und ein Badetuch. Das ist kein Problem.“

Ich war natürlich einverstanden und so wurde es vereinbart. Die beiden Jungs machten sich bald auf den Weg und dann dauerte es auch nicht mehr lange und ich war mit Bill allein im Haus.

Nach einem Telefonat mit der Airbase in Ramstein, hatte mir der Küchenchef zugesagt, dass ich heute noch einen Truthahn abholen könnte. Also machte ich noch eine Einkaufsliste und lud ein paar leere Kisten von Nadine in mein Auto, damit ich meine Einkäufe unterbringen konnte.

Nachdem ich Bill erklärt hatte, wie mein Plan aussah, zog er es vor mich zu begleiten. Die alte Wirkungsstätte zu besuchen hatte doch große Anziehungskraft.

Etwa eine gute Stunde später fuhren Bill und ich über die Autobahn Richtung Ramstein Air Base. Allerdings machten wir vor dem Besuch der Base unsere anderen Einkäufe. So konnten wir zeitlich besser planen, sollte es in Ramstein doch etwas länger dauern.

„Wie ist das für dich eigentlich mit der Freundschaft von Leo und Justus? Die Show auf der Party war schon außergewöhnlich. Ich habe ja fast die Vermutung, dass Justus vom gleichen Ufer sein könnte wie Leo und sich da doch mehr anbahnt.“

„Ja, die Show war echt krass. Allerdings hat mir die Tanzvorführung richtig gut gefallen. Ich habe gar nicht gewusst, dass Justus da so ein Talent hat. Und ganz ehrlich, was die Freundschaft der beiden Jungs betrifft, mache ich mir keinen Stress. Wenn Justus tatsächlich auch schwul ist, dann ist das so. Ich würde genauso hinter ihm stehen wie zuvor. Außerdem finde ich Leo einen sehr netten Jungen. Er hat tolle Talente, ist klug und sympathisch. Da könnte ich über den Geschmack von Justus nur stolz sein. Aber du kennst Leo schon viel länger. Wie siehst du denn die Situation?“

„Das wäre für Leo wie ein Sechser im Lotto. Er hat in den letzten beiden Jahren viel durchgemacht. Die Selbstfindung und zu akzeptieren, dass er schwul ist, ist ihm sehr schwer gefallen. In der Schule hatten seine Leistungen deutlich nachgelassen und es war sogar einmal die Versetzung gefährdet. Jetzt, wo er sich bei Nadine und Klaus geoutet hat, geht es wieder besser. Ich wusste ja schon einige Zeit, dass Leo schwul ist. Er hatte sich mir recht früh anvertraut. Er hatte ja auch nichts zu befürchten, denn ich war in den USA. Außerdem hatte ich ihm Verschwiegenheit zugesichert. Er sollte es selbst bestimmen, wann er sich seinen Eltern gegenüber offenbart. Justus scheint für ihn so etwas wie eine Lebensversicherung zu sein. Leo ist nicht mehr allein und hat zudem noch einen Freund gefunden, der schon etwas älter und außerdem sehr selbstbewusst ist. Ich freue mich jedenfalls, dass sich Justus und Leo so gut verstehen. Egal ob sie wirklich zusammenkommen oder eine ganz enge Freundschaft pflegen werden.“

Bill sprach mit aus der Seele. Leo machte auf mich einen hervorragenden Eindruck und er hatte bereits bei Justus Positives bewirkt.

Es dauerte nicht mehr lange und ich bog in die Einfahrt der Ramstein Air Base ein. Natürlich wurde das Gelände hermetisch abgeriegelt und gesichert. Ich hatte bereits meinen Ausweis bereitgelegt und als der wachhabende Soldat an das Auto herantrat, reichte ich ihm meinen Ausweis. Er schaute genau hin, bekam plötzlich große Augen und erwiderte:

„Guten Tag, wenn Sie bitte Ihren Wagen dort drüben parken würden. Anschließend warten Sie bitte dort. Ich werde Ihnen jemanden schicken, der Sie in Empfang nimmt.“

Anschließend öffnete er die Schranke. Ich startete den Motor und rollte auf den bezeichneten Platz. Wir stiegen aus und Bill wirkte beeindruckt.

„Wow, du scheinst immer noch richtig Eindruck bei den Jungs zu machen. Ich dachte, du bist nicht mehr im Dienst?“

„Bin ich auch nicht mehr, aber als ehemaliger stellvertretender Garnisonskommandant habe ich auf Lebenszeit einen Dienstausweis erhalten. Ich darf hier jederzeit herkommen und die Einheiten besuchen.“

„Ich will gar nicht wissen, wen sie uns als Empfangskomitee schicken werden.“

„Vermutlich meinen Nachfolger. Das wäre die übliche Vorgehensweise. Aber warten wir es ab. Sieh mal, dort kommen die Kameraden schon.“

Ich zeigte auf zwei Soldaten der Militärpolizei, die auf uns zu marschierten.

Als sie etwa zwei Meter von uns entfernt waren, blieben sie stehen und wir wurden mit einem militärischen Salut begrüßt.

Das war doch etwas ungewöhnlich.

„Herzlich willkommen, Sir. Sie werden im Offizierscasino erwartet und wir dürfen Sie dorthin begleiten.“

„Vielen Dank und wir folgen Ihnen gerne.“

Die beiden jungen Soldaten schritten voraus und blieben vor der Tür des Casinos stehen. Einer der beiden öffnete uns die Tür und wir betraten den großen Raum. Sofort erkannte ich meinen Nachfolger. Er saß mit einem anderen Mann in Zivil an einem Tisch. Sofort unterbrach er das Gespräch und kam uns entgegen.

„Hallo Will, das ist eine nette Überraschung, dass du uns besuchst.“

Wir gaben uns die Hand und ich stellte Bill als meinen Begleiter vor. Sofort ahnte General Miller, dass auch Bill hier einmal gedient hatte. So wurde Bill ebenfalls sehr freundlich begrüßt und wir setzten uns mit an den Tisch. Dort erfuhr ich, dass der zivile Mitarbeiter der Chef aller Küchen und Versorger in der Air Base war. Also genau mein Ansprechpartner für den Truthahn.

Ich merkte, wie ordentlich hier weiterhin alles organisiert war. Natürlich wurden wir bestens bewirtet und es entwickelte sich auch ein gutes Gespräch. Dadurch geriet unser Zeitplan ein wenig in Verzug, aber diese Gelegenheit wollte ich unbedingt nutzen, um über alte und aktuelle Dinge zu sprechen. Es war für mich natürlich auch eine interessante Zeitreise in die Vergangenheit.

Den Truthahn zu bekommen war dann nur noch eine Formsache. Ich bekam ein recht großes Tier, welches bereits komplett vorbereitet war. Ich musste den Braten nur noch füllen und mit Gewürzen bearbeiten. Es hatte den Anschein, dass es dem Küchenchef eine Ehre gewesen war, für mich diesen Braten vorzubereiten. Entsprechend dankbar verabschiedeten wir uns wieder von der Base. Ich musste allerdings versprechen, beim Tag der offenen Tür im Frühjahr mich als Ehrengast sehen zu lassen.

Zuhause machten Bill und ich uns direkt an die Arbeit. Schließlich musste der Vogel noch einige Zeit im Ofen garen. Außerdem hatte ich vor, ein Dreigängemenü zu machen. Bill stellte sich ebenfalls als exzellenter Koch heraus. Somit hatten wir viel Spaß und alberten auch das ein oder andere Mal in der Küche herum.

Plötzlich tauchte Justus mit Leo bei uns auf und wir staunten, dass es schon so spät war.

„Hallo ihr beiden. Wie war es beim Schwimmen?“

„Hi Dad, es war toll. Ich wusste gar nicht wie schön dieses Schwimmbad hier ist. Es gibt auch eine große Rutsche und eine Sauna, die im Preis inbegriffen ist.“

„Du bist in der Sauna gewesen? Hab ich was verpasst? Aber ich finde es gut, wenn du eine Sauna jetzt doch interessant findest.“

„Ja, Dad. Leo hat mich gefragt und irgendwie bin ich doch neugierig geworden. Wie sieht das hier aus? Kann ich euch etwas helfen?“

Diese Frage erstaunte mich noch mehr, denn Leo war bereits nach oben gegangen. Und Bill war sein Patenonkel. Ich war davon ausgegangen, dass Leo zumindest ebenfalls helfen würde.

Justus meinte dazu nur, dass Leo noch etwas lernen wollte und er uns dann schon noch etwas helfen könne. Leo würde später hinzukommen.

Das kam mir zwar seltsam vor, aber ich freute mich über Justus Idee uns zu helfen. Schnell hatten wir die Aufgaben verteilt und begannen mit den Vorbereitungen. Justus hatte sich mit einem großen Gemüsemesser ausgerüstet und schnitt alles was ich ihm bereitgelegt hatte in kleine Würfel oder Streifen.

Ich beschäftigte mich mit der Vorbereitung des Truthahns, als Justus den Moment nutzte, als Bill gerade auf die Toilette gegangen war.

„Dad, kann ich mit dir etwas besprechen?“

„Klar, immer doch.“

„Es betrifft Leo und mich und ich möchte, dass unser Versteckspiel aufhört. Dass Leo schwul ist, weißt du ja bereits.“

Bis dahin sprach mein Sohn noch sehr flüssig, aber jetzt wurde seine Stimme immer dünner und zerbrechlicher. Mittlerweile hatte ich mein Messer auf den Tisch gelegt. Es machte bei mir „Klick“ im Kopf. Ich war unsicher ob ich ihm entgegenkommen sollte. Aber er sollte es mit eigenen Worten sagen können.

„Ich…, ich habe hier endgültig gemerkt, dass …“

An dieser Stelle liefen bereits Tränen über sein Gesicht. Mein Herz raste und ich ging zu meinem Sohn und nahm ihn fest in den Arm.

„Hey, Großer. Alles ist gut. Beruhige dich. Dass Leo für dich etwas ganz Besonderes ist, habe ich schon längst gespürt. Dein Dad ist zwar schon etwas älter, aber blöd bin ich noch nicht.“

Justus musste sogar etwas lächeln als ich das gesagt hatte. Aber beruhigt hatte er sich noch nicht.

„Meinst du nicht, dass du dir Leo als Unterstützung holen solltest. Ich nehme ja an, dass es dir darum geht, oder?“

Justus nickte. Aber seine Stimme versagte noch immer.

In diesem Moment kam Bill mit Leo in die Küche. Leo sah genauso angeschlagen aus wie Justus.

„Ich glaube, es ist besser wenn wir das Gespräch zu viert fortführen. Leo geht es auch nicht so besonders. Und vielleicht können Will und ich ja die Situation für euch etwas einfacher machen.“

„Du hast es schon gewusst?“, fragte ich Bill.

„Naja, so schwer war das ja nicht zu erkennen. Aber Leo hat mich nach der Party um ein Gespräch gebeten und mir gebeichtet, dass er sich wohl in Justus verliebt hat.“

Dabei lächelte Bill und knuffte Justus leicht in die Seite.

„Und was hast du ihm geantwortet?“, erwiderte ich bereits lächelnd.

„Naja, dass er sich da wohl einen tollen Jungen ausgeguckt hat und er sich anstrengen sollte, damit Justus ihm nicht mehr von der Fahne geht. Hihihi.“

Das half auch Justus, seine Tränen versiegten und ein Lachen zeigte sich auf seinem Gesicht. Leo ging zu Justus und umarmte ihn liebevoll. Ein erster, zaghafter Kuss folgte.

„Hey, wenn du meinen Sohn trösten und dich als zukünftigen Schwiegersohn bewerben willst, muss der Kuss aber überzeugender werden. Das war ein wenig dünn.“

Das hatte Leos Ehrgeiz angestachelt. Er war längst nicht mehr so schüchtern und ängstlich wie Justus. Er legte mit einem sehr überzeugenden Kuss nach. Von mir gab es danach spontanen Applaus. Auch Bill musste lachen.

„In Ordnung, das ist akzeptiert. Also ich freue mich, dass mein Sohn sich einen so netten Freund ausgesucht hat. Willkommen in unserer Familie, Leo. Ich wünsche mir, dass wir dich auch einmal bei uns begrüßen dürfen.“

Danach nahm ich beide Jungs ganz fest in die Arme und drückte sie an mich.

Justus wirkte sehr erleichtert und auch Leo blieb nun bei uns in der Küche.

Jetzt wirbelten wir zu viert in der Küche und Leo hatte schnell seine Scheu abgelegt, Justus auch mit Gemüsestückchen zu füttern. Ein niedliches Bild. Justus hatte eindeutig noch mehr Schwierigkeiten, sich der neuen Situation anzupassen. Aber das würde bestimmt noch kommen.

„Dad, hast du es eigentlich schon gewusst? Oder weshalb gehst du so entspannt damit um? Ich habe immer Angst gehabt, es dir zu sagen.“

„Nein, Justus. Gewusst habe ich es natürlich nicht, ja nicht einmal bemerkt, dass dich das Thema offenbar schon länger beschäftigt. Du hast es auch nie angesprochen, wobei du doch eigentlich weißt, dass ich für alles, was dich angeht, offen bin. Bis zu dem Moment, wo du Leo kennengelernt hast, hatte ich also nicht die geringste Ahnung. Aber so, wie ihr euch hier angefreundet hattet, musste ich mich schon etwas wundern. Vor allem als Nadine und Klaus mir die Information gaben, dass sich Leo bei ihnen vor einigen Wochen geoutet hatte, da kamen mir zum ersten Mal ein paar Gedanken dazu.“

„Du hast es dir aber nicht anmerken lassen. Leo hatte immer große Angst vor dir. Er sagte, dass du als Militäroffizier bestimmt etwas gegen Schwule hast.“

Jetzt zuckte Leo zusammen. Das war sicherlich nicht mit ihm abgestimmt, dass Justus das so deutlich äußerte.

„Keine Sorge, Leo. Es gibt auch normale amerikanische Armeeangehörige. Nur weil wir einen total bekloppten Präsidenten haben, heißt das nicht, dass alle so sind. Außerdem bin ich ja nicht umsonst deutscher Staatsangehöriger geworden.“

Leo entspannte sich wieder und seine Augen wurden noch größer als Bill nachlegte:

„Will hat ja schon früh gewusst, dass Leo schwul ist. Hat er sich dir gegenüber in irgendeiner Weise ablehnend verhalten? Ich glaube nicht, oder?“

Leo schüttelte betroffen den Kopf.

„Hey, das muss dir nicht unangenehm sein. Du kanntest uns doch noch gar nicht richtig. Ich kann dich gut verstehen. Vermutlich hast du bislang nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Aber eines kann ich euch beiden versprechen, ich werde immer hinter euch stehen. Ihr müsst mir nur die Chance geben, auch an eurem Leben teilzuhaben. Redet mit mir über alles was euch bewegt. Nur dann kann ich euch beraten und/oder unterstützen.“

Ein leises „Danke“ von Leo war zu vernehmen.

Von dem sonst so flotten und selbstbewussten Auftreten war in diesem Moment nicht mehr viel zu spüren. Ich ging einen Schritt auf Leo zu und nahm ihn ganz fest in den Arm.

„Wissen eigentlich Klaus und Nadine schon Bescheid? Oder steht da nachher auch noch eine Information an?“

„Naja“, erwiderte Leo, „ich glaube, dass sie sich das bereits denken. Schließlich wissen sie ja schon, dass ich schwul bin.“

„Na, schauen wir doch mal. Ich glaube allerdings, dass es für deine Eltern eine tolle Nachricht ist. Also empfehle ich euch, macht reinen Tisch und klärt innerhalb der Familie die Situation.“

Danach widmeten wir uns wieder der Zubereitung des Truthahns. Die beiden Jungs stellten sich recht geschickt an. Von daher waren wir schnell fertig und der Braten konnte rechtzeitig in den Ofen geschoben werden.

Da wir ganz schön ins Schwitzen gekommen waren, hatte Bill eine rettende Idee. Er griff in den Kühlschrank und reichte jedem ein kaltes Bier. Genau das richtige nach so einer Kochschlacht.

„Dad, wie machen wir das eigentlich mit unseren Geschenken? Ich habe jetzt gar keine Geschenke hier. Die liegen alle zu Hause.“

„Ach, meinst du denn ich hätte gedacht, dass wir hier so lange bleiben? Aber auch dafür werden wir eine Lösung finden. Vermutlich müssen wir eh noch einmal nach Hause fahren um Anziehsachen zu holen. Ich habe jedenfalls nicht genug Sachen dabei.“

„Cool, da kann ich dann ja auch noch meinen Konfi-Anzug mitnehmen.“

„Was willst du denn damit? Den hast du doch seit deiner Konfirmation nicht mehr getragen.“

„Leo will mit mir zum Tanzen gehen. Also richtig tanzen, nicht in der Disko. Es gibt hier einen Verein, der auch Formationstanz macht. Aber Leo und ich würden gern eher in die lateinamerikanische Richtung gehen.“

„Bitte? Ihr wollt gleich als Paar loslegen? Wow, das ist mutig. Ob die Tanzwelt dafür schon bereit ist? Aber wenn ihr das machen wollt, werde ich das unterstützen. Talent habt ihr jedenfalls beide dafür.“

Leo hatte unsere Unterhaltung still verfolgt. Jetzt war er aber erwacht.

„Danke, aber Justus ist richtig gut auf dem Parkett. Ich habe ja schon einige Kurse gemacht, aber ich wollte nie mit einem Mädchen in den Turniertanz gehen. Unser Trainer im Verein weiß bereits, dass ich nach einem passenden Jungen suche. Jetzt habe ich ihn gefunden und er wird jetzt sein Wort halten müssen, denn er hat mir versprochen, mich dabei zu unterstützen. Also werden Justus und ich dort noch vor Weihnachten das erste Mal zusammen hingehen.“

„Du machst aber auch gar keine Gefangenen, oder? Immer gleich frontal ran an den Feind. Ich könnte mir vorstellen, dass der Verband überhaupt nicht auf so etwas vorbereitet ist. Aber ich unterstütze diesen Plan.“

„Ich denke, wir sollten unsere Verbindungen dafür nutzen. Kennst du noch den Mike Stiller? Der war doch bei uns in der Garnison eine ganz große Nummer beim Tanzen.“, warf Bill ein.

„Stimmt. Soweit ich weiß, ist der jetzt sogar Wettkampfrichter beim Tanzen. Den werden wir mal fragen, ob es da eine Regel gibt, die das unterbinden würde oder ob das gar nicht genau reglementiert ist, dass immer nur ein Mann mit einer Frau tanzen muss.“

„Also tut euch und uns den Gefallen und geht erst einmal dort hin und tanzt einfach zusammen. Dann schauen wir, wie ihre Reaktion ausfällt und wir werden uns mal beim Tanzverband erkundigen, wie eigentlich die Regularien sind.“

Leo schien unzufrieden zu sein. Justus hingegen hatte mich und Bill verstanden.

„Ja, das macht Sinn. Wenn es von den Regeln her nicht zulässig ist, dann dürfte es schwer werden, aber wenn es theoretisch erlaubt ist, möchte ich dich bitten uns zu unterstützen.“

„Das ist versprochen und darauf hast du mein Wort. Ich würde es im Übrigen richtig toll finden, wenn ihr beide beim Tanzen euer Talent zeigen könnt.“

Justus umarmte mich danach und auch Leo kam zu mir und ich drückte ihn genauso herzlich an mich. Mein Gefühl sagte mir, Leo war verletzlicher als er nach außen hin wirkte.

Unser gemeinsames Kochen wurde ein totaler Erfolg und Klaus und Nadine kamen aus dem Staunen nicht heraus, als ich ihnen erklärte, dass auch Leo mitgeholfen hatte.

Beim Essen war es unübersehbar, dass es uns gelungen war, ein opulentes Mahl zu erstellen. Es blieben nur geringfüge Reste übrig.

„Puh, das war echt ein Festmahl und ich bin jetzt pappsatt. Vielen Dank, Will. An dir ist ein Koch verloren gegangen.“

„Diese Lorbeeren nehme ich nur stellvertretend an. Leo, Justus und Bill waren genauso daran beteiligt. Außerdem hat es mir sehr viel Freude bereitet, mit den Jungs zusammen zu kochen.“

„Uns hat es auch Spaß gemacht, Will. Wir haben auch wieder einiges dazugelernt.“

Justus war gerade aufgestanden, um den Nachtisch aus dem Kühlschrank zu holen. Leo saß also allein am Tisch und Nadine nutzte die Situation, ihren Sohn zu fragen:

„Sag mal, was ist jetzt mit dem Tanzen? Du hast gesagt, dass du mit Justus zusammen hingehen möchtest. Hast du ihn überhaupt schon gefragt und weiß er, worauf er sich da einlassen würde?“

„Mama, Justus ist mein Freund und wir wollen das zusammen machen. Will haben wir auch schon gefragt und er ist auch einverstanden.“

Jetzt staunten Klaus und Nadine nicht schlecht. Klaus fragte mich:

„Heißt das, die Jungs haben dir gesagt was Sache ist?“

„Hihi, wenn du meinst, dass mein Justus Leos Partner ist, dann ja.“

„Na, das höre ich gerne. Also hast du mit der Situation keine Probleme? Justus hatte schon etwas Sorge.“

„Nein, das ist vollkommen okay für mich. Er hat sich seine Homosexualität nicht ausgesucht. Es ist einfach so und mit Leo hat er einen tollen Freund bekommen. Ich bin zwar etwas überrascht über diese Entwicklung und vor allem über das Tempo, welches sie vorlegen, aber ich freue mich für beide, dass sie zueinander gefunden haben. Von mir bekommen sie jede Unterstützung, die sie brauchen.“

Dieser Abend wurde noch interessant, denn Leo erzählte uns doch einige Dinge, die er bereits in der Schule erlitten hatte. Justus wirkte betroffen und manchmal auch unsicher, aber letztlich gab er mit einer Geste und einem einzigen Satz eine Stellungnahme ab, der nichts mehr hinzuzufügen war.

„Es ist traurig, dass selbst Jugendliche heute noch über Homosexualität lästern. Aber ab jetzt bist du nicht mehr allein. Und genau das werden sie auch zu spüren bekommen.“

„Das stimmt. Ihr seid nicht allein. Eure Eltern werden euch immer unterstützen. Und jetzt stoßen wir auf die neue Situation an. Es gibt etwas zu feiern.“

Klaus sprach mir aus der Seele und holte eine Flasche Sekt aus dem Keller. Fröhlich stießen wir mit den beiden Jungs an.

Innerlich freute ich mich für Justus, dass er sich mir gegenüber geöffnet hatte. Allerdings sah ich auch die möglichen Probleme, die auf uns zukommen könnten.

Am nächsten Tag veränderte sich die Situation. Beide Jungs waren wieder viel häufiger bei uns und sie zeigten auch deutlich, dass sie ein Paar geworden waren. Mir gefiel das und es tat der Stimmung auch gut. Vieles machten wir gemeinsam mit Klaus, Nadine und Bill.

Am Nachmittag wollte ich eigentlich mit Justus nach Hause fahren, damit er seinen Anzug holen konnte. Aber nachdem ich mit Nadine noch einmal darüber gesprochen hatte, kam ich zu der Entscheidung, dass sie sich beide einen Dress zulegen sollten, der passend sein würde. Eine gute Idee. Also schickten wir beide zum Einkaufen.

Als sie abends zurückkamen, waren wir natürlich neugierig was sie sich ausgesucht hatten. Allerdings waren beide der Meinung, sie wollten es uns erst bei der nächsten passenden Gelegenheit zeigen. Was auch immer sie damit gemeint haben mochten.

Die Tage verliefen sehr entspannt und als es Heiligabend wurde, kam doch so etwas wie Feststimmung auf. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass wir schon ewig zu Klaus Familie dazugehören würden. Ohne dass Justus oder Leo etwas mitbekommen hatten, war ich dennoch einmal schnell nach Hause gefahren. Schließlich sollte Justus sein Weihnachtsgeschenk auch unter dem Weihnachtsbaum bekommen. Für Leo hatte ich natürlich auch noch etwas besorgt. Wir Erwachsenen hatten besprochen, dass wir uns nichts schenken würden. Das war mir sehr recht. Ich benötigte keine Geschenke zu den Festtagen. Wenn mir danach war, etwas verschenken zu wollen, tat ich das einfach unabhängig und losgelöst von Fest- oder Feiertagen.

Entsprechend der Familientradition mussten heute Leo und Justus den Baum schmücken. Sie hatten den Baum ausgesucht, also waren sie auch für das Finish verantwortlich. Natürlich durften wir dabei nicht zuschauen. Also vertauschte Rollen. Sonst mussten die Kinder immer warten und dieses Mal hatten die Erwachsenen das Haus zu verlassen.

Entgegen den Regeln hatte ich allerdings einen Wunsch geäußert. Der Baum sollte nicht zu bunt geschmückt werden. Aber letztlich lag es natürlich in der Entscheidung der Jungs.

Wir machten also einen ausgedehnteren Weihnachtsspaziergang in die Dämmerung hinein. Für mich auch eine neue Situation. Ich war im Kreise von neuen Freunden und nicht mehr allein.

„Gibt es eigentlich schon eine Information was das Tanzen betrifft? Dürfen die Jungs als Paar beim Turniertanz teilnehmen?“

Eine gute und berechtigte Frage von Nadine. Ich hatte mich erkundigt und entgegen meiner Erwartung bekam ich vom deutschen Tanzverband sogar eine Antwort. Seit einigen Jahren gab es den sogenannten Equality Turnier Tanzsport. Dort durften ausschließlich gleichgeschlechtliche Paare auftreten. Auch auf Turniersportebene.

Für den regulären Turniertanz gab es dazu keine klare Regel. Es war bislang zwar nicht erwünscht, aber verboten war es auch nicht.

Nachdem ich das erklärt hatte, fragte mich Klaus:

„Würdest du das denn auch wirklich unterstützen? Ich meine, Justus lebt eine gute Stunde Autofahrt von uns entfernt. Das wäre mit einem enormen Aufwand verbunden.“

„Das wäre es mir absolut wert. Ich bin doch bereits im Ruhestand. Von daher würde es ja auch die Möglichkeit eröffnen, dass ich mich bei euch sehen lassen könnte, sofern ich willkommen bin.“

„Natürlich bist du willkommen. Ich würde mich sogar richtig freuen. Dann sollen sie sich dort anmelden. Leo hat uns das mehrfach gesagt, dass er sich sehr darauf freuen würde.“

„Dann soll es so sein. Ich habe mir auch dazu etwas überlegt. Ich werde beiden zu Weihnachten den Beitrag in diesem Turniertanzverein schenken. Und zwar so lange sie dort tanzen möchten.“

Nadine lächelte glücklich. Ohne ein Wort umarmte sie mich. Ich war überrascht über diese Reaktion.

„Du machst uns mit dieser Entscheidung glücklich. Es ist wunderschön zu wissen, dass du genauso hinter Justus stehst wie wir hinter Leo. Es war ein Wink des Schicksals, der uns zusammengebracht hat. Vielen Dank, Will.“

„Es ist genauso wie ich Will als Chef kennengelernt habe. Beide Jungs haben mit euch eine tolle Familie im Hintergrund. Ich freue mich, dass ich Leos Patenonkel sein darf.“

Und das war einfach ein unglaublich schönes Gefühl, wir hatten Freunde gefunden und würden bald gemeinsam den Heiligen Abend miteinander verbringen. Eigentlich hatte ich überhaupt keinen Bezug zur Kirche, aber dieser Heiligabend würde mir immer im Gedächtnis bleiben.

Als wir von unserem Gang zurückkamen, nahm ich einen besonderen Geruch wahr. Es roch nach frischem Kaffee und noch nach etwas anderem. Ich konnte das aber nicht zuordnen.

Dann hörten wir tatsächlich eine Glocke aus dem Wintergarten. Klaus und Nadine mussten lachen.

„Ich glaube das Christkind ruft uns. Wir sollten es nicht warten lassen. Das bringt Unglück, hihihi.“

Ich ließ Klaus und Nadine den Vortritt. Klaus öffnete die Tür, blieb aber im Türrahmen wie erstarrt stehen.

„Boah, was ist das denn?“, flüsterte er völlig überrascht.

Nadine schob ihn etwas an die Seite, denn so konnte niemand mehr den Raum betreten.

Als ich in den Raum gehen konnte, musste ich tief Luft holen. Einfach umwerfend was meine Augen zu sehen bekamen. Nicht der geschmückte Baum und die toll drapierten Geschenke ließen meinen Herzschlag ansteigen. Nein, das Outfit der beiden Jungs haute mich schlichtweg um.

Leo trug einen dunkel anthrazitfarbenen Sakko und eine etwas hellere Tuchhose mit silberweißen Halbschuhen. Justus war im Prinzip genauso angezogen, nur hatte er das hellere Sakko an und die dunklere Hose, aber die gleichen Schuhe. Damit würden sie überall sofort deutlich zeigen, wie sie zueinander standen. Aber ich war begeistert. Einfach elegant schön. Und sofort begann vor meinem inneren Auge ein Film zu laufen: Wie die beiden elegant über das Parkett schwebten und mit Freude ihrer Leidenschaft nachgingen.

Wir waren jetzt jedenfalls total underdressed. Das war vollkommen klar und Nadine konnte es noch immer nicht fassen. Ungläubig schaute sie immer wieder die Jungs an. Klaus fand als erster seine Sprache wieder:

„Wow, das ist ja mal ein Anblick. Klar, der Baum ist wunderschön hergerichtet und passt exzellent in den Raum, aber ihr seid einfach umwerfend schick. Wer von euch hat das denn ausgesucht?“

Leo lief deutlich rot an als Justus antwortete:

„Das hat Leo verbrochen. Ich wollte das eigentlich nicht, weil es richtig teuer war. Aber Leo hat darauf bestanden und da wollte ich mich dann auch nicht mehr wehren.“

In diesem Moment umarmte ihn Leo und gab ihm einen Kuss.

„Oha, so würde ich mich auch bestechen lassen. Aber Leo hatte recht. Es sieht toll aus. Damit könnt ihr überall auftreten. Jetzt muss nur noch eure Tanzqualität das widerspiegeln. Damit habt ihr die Latte sehr hoch gelegt.“

Ich ging auf die Jungs zu und nahm beide ganz herzlich in den Arm. In diesem Augenblick hatte Klaus sein Handy gezückt und ein paar Bilder gemacht.

„Ich gehe mal zur Feier des Tages eine Flasche Sekt aufmachen.“

Und schon war Klaus kurz verschwunden.

Erstaunlich für mich, die Jungs waren sehr still. Aber ich spürte ihre Erleichterung. Als Klaus mit dem Sekt und Gläsern zurückkam, tauten sie auch wieder etwas auf.

„Dad, Leo hat uns bei diesem Equality Tanzverband angemeldet und es gibt hier auch einen Verein in Limburg, der das anbietet. Dürfen wir uns das einmal anschauen?“

„Natürlich, und nicht nur anschauen. Ich hoffe, ihr probiert es auch gleich aus.“

Jetzt strahlte mein Sohn und Leo hatte viel weniger Hemmungen. Er küsste seinen Freund gleich noch einmal.

Allerdings sollte es jetzt erst einmal um Weihnachten gehen.

Wir setzten uns an den Tisch im Wintergarten. Erstaunlicherweise war es dort überhaupt nicht klamm oder gar kalt. Eine wohlige Wärme strahlte von unten in die Füße.

„Das ist eine Erfindung unseres Heizungsbauers. Er hat hier eine Fußbodenheizung eingebaut, die über einen separaten Thermostat gesteuert wird. Also wenn der Wintergarten im Winter nicht genutzt wird, bleibt die Heizung aus. Aber jetzt ist es von unten angenehm warm.“

Das war korrekt. Es war angenehm warm und gemütlich. Da fiel mir ein, ich musste noch meine Geschenke aus dem Auto holen.

Unter einem Vorwand ging ich zum Auto. Justus sollte noch nichts bemerken. Ich trug unsere Geschenke ins Haus und als ich wieder zu den anderen kam, bekam Justus große Augen.

„Wow, Dad. Du bist doch noch nach Hause gefahren und hast die Sachen geholt.“

„Na klar, Weihnachten ist Weihnachten, egal wo wir feiern. Und da du mir ja neulich schon sagtest, wo du deine Geschenke deponiert hast, konnte ich jetzt alles einsammeln.“

Mit einem Strahlen im Gesicht meines Sohnes wurde ich belohnt. Ich legte die Sachen zu den anderen Geschenken unter den Baum.

Ohne etwas zu sagen, kehrte im Raum Stille ein. Alle kamen für einen Moment zur völligen Ruhe und ich konnte meine Atemzüge spüren. Ich war sogar etwas aufgeregt. Mein Herzschlag war deutlich spürbar.

„Ich würde vorschlagen, wir fangen mit unseren Geschenken an.“

Nadine übernahm damit die Regie.

Sie nahm das erste Geschenk und übergab es Leo. Dann gab Leo seinen Eltern ein Geschenk und erst danach reichte ich Justus sein Geschenk. Er hatte sich ein neues Notebook gewünscht. Insbesondere für die Schule war sein alter Laptop nicht mehr geeignet.

Als alle Geschenke verteilt waren, ich hatte von Justus einen Gutschein für drei Massagen bekommen, wollte ich den beiden Jungs mitteilen, dass ihr Tanzengagement von mir übernommen wird.

Allerdings kam mir Leo zuvor.

„Ähm ja, es ist ja für uns etwas überraschend gekommen, dass Justus und Will am Heiligen Abend bei uns weilen. Aber Justus und ich haben uns spontan noch etwas ausgedacht. Wir möchten dich, Will, einladen, mit uns eine Partie Snooker zu spielen. Und im Anschluss daran gehen wir in Ruhe noch eine große Portion Eis essen.“

„Dann hat euch das also bei der Stadtführung Spaß gemacht. Das freut mich sehr und ich gehe gern mit euch noch einmal eine Partie spielen. Vielen Dank dafür.“

Ich nutzte die Gelegenheit beide Jungs einmal fest zu umarmen. Dabei spürte ich bei Justus ein besonderes Bedürfnis sich anzuschmiegen. Das war sonst nur noch sehr selten der Fall.

„Für euch habe ich mir ebenfalls etwas überlegt. Ich möchte, dass ihr euren Wunsch mit dem Tanzen auch wirklich umsetzt. Deshalb übernehme ich auch die Beiträge für die Zeit, die ihr gemeinsam dort tanzen wollt. Egal ob das ein Jahr oder zehn Jahre sind. Und das gilt für Justus wie für Leo.“

Jetzt staunte Leo mit großen Augen.

„Geil, das bedeutet, dass du wirklich auch hinter mir stehst. Für mich ist das ein nicht zu beschreibendes schönes Gefühl. Weißt du, als ich Justus das erste Mal gesehen hatte, habe ich sofort ein besonderes Empfinden im Bauch gespürt. Und dass Justus ganz genauso gefühlt hat, ist einfach nur unglaublich. Wir hätten uns vermutlich niemals kennengelernt, wenn du nicht auf Papas Email geantwortet hättest.“

Diese letzten Sätze waren emotionale Schwerstarbeit für Leo. Mich berührte das tief.

Dieses Weihnachtsfest werden wir ganz sicher immer im Gedächtnis behalten. Vor allem, weil wir neue Freunde gefunden haben und Justus seinen ersten richtigen Freund. Das war zwar so nicht in meiner Planung vorgesehen gewesen, aber es war jetzt so. Und nun schauen wir einmal, wie sich das Ganze weiterentwickeln wird.

Das kommende Silvester wird jedenfalls auch sehr spannend, denn Klaus und Nadine werden dann mit Leo unsere Gäste sein. Justus sollte bis dahin bei Leo bleiben und dann im neuen Jahr wieder bei mir sein. Ob Leo bis zum Schulbeginn dann bei uns bleiben würde, darüber wollte ich noch nachdenken.

Nachwort

Allen Lesern und denjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, möchte ich ganz herzlich danken. Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Jahr 2020.

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