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E-Mail für Will - Vom Geburtstag zum Weihnachtsfest

Teil 2

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Will: Silvesterbesuch

Heute war Silvester und ich in den letzten Vorbereitungen für den Jahreswechsel. Ich war die letzten Tage allein im Haus gewesen. Mein Sohn hatte sich bei seinem Freund Leo eingenistet und fühlte sich dort sehr wohl.

Etwas erstaunlich für mich, es war ihm wichtig, jeden Abend mit mir zu telefonieren und zu berichten, was sie den Tag über erlebt hatten. Auch, dass Leo dabei manchmal zu Wort kam, erstaunte mich doch. Auch Leo schien es wichtig zu sein, mit mir den Kontakt zu halten.

Klaus und Nadine hatten sich für den Jahreswechsel mit den beiden Jungs angekündigt. Danach würde Justus wieder hier bei mir sein. Natürlich hatte Justus den Plan, dass sein Freund dann bis zum Schulanfang bei ihm zu Gast sein würde. Ich hatte ganz bewusst das noch nicht zugesagt. Nicht, weil ich Leo nicht traute oder gar ein Problem mit dieser Beziehung hatte, sondern weil ich sehen wollte, wie sich diese Freundschaft entwickelte.

Die Einkäufe für die kommenden drei Tage hatte ich bereits erledigt und war gerade damit beschäftigt, das Blech mit dem Bienenstich in den Ofen zu schieben. Ich wusste, Justus liebte meinen Bienenstich und da wir ja auch Gäste im Haus hatten, bot sich das natürlich an.

Traditionell würde es heute Abend eher etwas Kleines zu essen geben. Ich hatte ein paar Steaks und Würstchen für den Grill gekauft und zwei Salate dazu gemacht. Der Wintergarten war bereits gut temperiert und das Gästezimmer für Klaus und Nadine vorbereitet.

In der Woche ohne Justus hatte ich Zeit gehabt, fleißig an dem Karmann Ghia zu arbeiten. Er war mittlerweile vom Lackierer zurück und musste jetzt zusammengebaut werden. Als Farbe hatte ich mich für einen Zweifarbenlack entschieden. Aber mit fließenden Übergängen. Nach unten ging das dunkle Silber in ein Anthrazit über. Das neue Verdeck war schwarz. Die Innenausstattung hatte ich bei einem Sattler neu beziehen lassen. Inklusive des Armaturenbrettes. Hier war die Farbe auch eher dunkel gehalten mit hellen Ziernähten. Mir gefiel das richtig gut und ich war gespannt, was Justus zu meiner Entscheidung sagen würde.

Technisch gesehen war der Karmann jetzt ein Porsche 964 mit einem luftgekühlten Sechszylinder im Heck. Da ich mir mit diesem Fahrzeug einen Kindheitstraum erfüllen wollte, hatte ich den Motor und das Getriebe bei der Manufaktur 9ff überholen und neu aufbauen lassen. Dadurch kamen auch ein paar Pferdestärken mehr ans Tageslicht. Ich war natürlich sehr gespannt, wie sich dieses Kunstwerk fahren lassen würde.

Bislang hatte mir Justus fleißig bei den Arbeiten geholfen. Ob das jetzt mit der neuen Situation auch weiterhin so sein würde, musste ich abwarten.

Plötzlich klingelte mein Handy. Justus rief mich an und das wunderte mich etwas, denn eigentlich sollten sie bereits unterwegs sein.

„Hallo Justus. Was liegt an“, meldete ich mich.

„Hi Papa, ich wollte nur Bescheid geben, dass wir erst jetzt losfahren können. Klaus musste länger arbeiten. Nicht, dass du dir Sorgen machst.“

„Das finde ich sehr aufmerksam von dir, danke. Dann wünsche ich euch eine gute Fahrt und bis gleich. Hier ist soweit alles vorbereitet.“

„Sehr schön, dann bis gleich.“

An dieser Stelle bemerkte ich eine Entwicklung bei Justus. Er fing an, auch an die anderen zu denken und sich mehr in ihre Lage zu versetzen. Vor einem Jahr hätte er mich in dieser Situation nicht angerufen.

Ich schaute nach dem Bienenstich im Ofen und konnte beruhigt ins Wohnzimmer gehen und mir noch etwas Musik anmachen.

Als ich dann etwas zur Ruhe kam, musste ich doch einmal über die Entwicklung der letzten Wochen nachdenken. Justus hatte mit Leo seinen ersten Freund bekommen und sie verstanden sich auf den ersten Blick ganz hervorragend. Für mich war nun aber auch ein Thema im Kopf, bei dem ich mir noch nicht sicher war, wie ich das klären könnte. Es ging um das Thema Safer Sex und vielleicht auch einen HIV-Test für beide Jungs. Darüber würde ich aber auch sicherlich zuerst mit Klaus und Nadine sprechen. Das Thema Sexualität war bislang nie ein großes Geheimnis zwischen Justus und mir gewesen. Aber jetzt war doch eine richtige Beziehung im Spiel. Zumal Leo ja wohl auch schon bei einer anderen Beziehung schwer enttäuscht worden war.

Ich wollte nicht weiter über diese Dinge nachdenken und entschied mich, schon einmal den Grill vorzubereiten und mich dann nur noch auf den schönen Abend zu freuen.

Eine knappe Stunde später konnte ich hören, wie ein Auto in die Einfahrt fuhr. Das mussten sie wohl sein. Ich ging nach vorn an die Haustür und konnte noch sehen, wie Leo und Justus als Letzte ausstiegen. Klaus und Nadine waren schon am Kofferraum und holten zwei Taschen heraus. Ich ging ihnen entgegen und dann hatte mich Justus bemerkt.

„Hallo Dad, wir sind da.“

Dabei kam er mir freudestrahlend entgegen und begrüßte mich mit einer Umarmung. Das kam doch etwas überraschend für mich.

„Jetzt sag nicht, dass du mich vermisst hast“, lachte ich.

Er löste sich von mir und machte ein ganz ernstes Gesicht:

„Doch, das habe ich. Vor allem das Arbeiten mit dir am Karmann habe ich vermisst. Du hast doch bestimmt ohne mich schon weitergemacht. Aber auch sonst freue ich mich, wieder zu Hause zu sein und dass Leo bei mir sein darf. Dieses Jahr wird mit Sicherheit auch ein besonderes Silvester werden, nicht nur ein außergewöhnliches Weihnachten.“

Mittlerweile waren auch Klaus und Nadine zur Begrüßung heran. Leo hatte sich noch etwas im Hintergrund gehalten, kam aber seinen Eltern hinterher.

„Hallo ihr beiden, seid willkommen in unserem Zuhause. Ich hoffe, es geht euch gut und ihr habt gute Laune mitgebracht.“

„Hallo Will, ja, bei uns ist alles bestens und gute Laune haben wir auch im Gepäck.“

Leo hielt sich immer einen Meter hinter seinen Eltern auf, aber Justus war nicht bei mir geblieben, sondern hatte sich zu seinem Freund gestellt.

„Los, komm ran hier, Leo. Ich will dich auch richtig begrüßen.“

Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen und mit einer festen Umarmung und gut gelaunt begrüßte er mich.

„Hallo Will, ich freue mich sehr, hier zu sein. Und ich bin auch schon gespannt, wie ihr hier so lebt. Und auf den Karmann, von dem Justus mir schon so viel erzählt hat.“

„Na, dann kommt erst einmal herein. Hier draußen ist es doch schon ganz schön frisch.“

Die Jacken wurden alle gut in der Garderobe verstaut und dann bat ich Justus, Klaus und Nadine unser Gästezimmer zu zeigen.

„Wenn du möchtest, kannst du Leo auch gleich zeigen, wo dein Reich ist. Damit er sich im Haus zurecht findet. Ich muss jetzt mal in die Küche und noch ein paar Kleinigkeiten machen.“

Der Duft vom Teig des Bienenstichs war bereits deutlich zu riechen. Justus kannte diesen Geruch natürlich und freute sich.

„Hast du frischen Bienenstich gemacht? Wie geil, das fehlte mir bei Leo.“

Ich musste lachen und ging in die Küche, schnitt das Blech mit dem Kuchenteig in der Hälfte horizontal auf, um die Füllung einzustreichen. Und in dem Augenblick, in dem ich den letzten Strich gemacht hatte, betraten Leo und Justus die Küche. „Was habe ich gesagt, genau zum richtigen Zeitpunkt. Der beste Bienenstich der Welt ist fertig und wir können probieren. Hihihi.“ Justus freute sich wie ein kleiner Junge und Leo schien das ein wenig unangenehm zu sein. Er blieb in der Tür stehen und schaute seinem Freund fragend hinterher.

„Denk dir nichts dabei, Leo“, lachte ich, „Justus mag den Bienenstich einfach sehr gern und ich muss zugeben, mir schmeckt er auch. Aber damit ich ihn nicht zu sehr ärgern muss, solltet ihr mal schnell im Wintergarten für den Kaffee decken. Hier ist soweit alles fertig und wir können das herübertragen. Sagst du deinen Eltern bitte Bescheid, sie mögen zum Kaffee kommen.“

Justus und ich trugen die Sachen in den Wintergarten und deckten gemeinsam schnell den Tisch. Leo war zu seinen Eltern ins Gästezimmer gegangen und es dauerte auch nicht lange, bis die drei zurückkamen.

„Oh, das schaut aber gut aus“, freute sich Nadine über die gedeckte Tafel, „dein Sohn hat uns viel von deinem Bienenstich vorgeschwärmt. Wir sind schon ganz gespannt.“

„Na dann, einfach Platz nehmen und genießen. Es ist alles vorbereitet“, lachte ich.

Interessant für mich: Justus hatte sich mit Leo neben mich gesetzt und Klaus und Nadine saßen auf der anderen Tischseite. Ohne dass ich etwas zu sagen brauchte, hatte Justus begonnen, den Bienenstich zu schneiden und zu verteilen. Leo schaute seinem Freund zu und ich wollte gerade die Kaffeekanne nehmen, als Justus meinte:

„Leo, kannst du die Kanne nehmen und den Kaffee verteilen?“

Leo wirkte unsicherer, als es auf den ersten Blick schien. Aber er nahm nach einer kleinen Gedenksekunde die Kanne und ging zuerst zu seinen Eltern und schenkte ein. Ich bekam nach Klaus meinen Kaffee. Als alle ein Stück Kuchen und Kaffee hatten, bat ich darum anzufangen.

„Lasst es euch schmecken und ich freue mich, dass ihr unsere Gäste seid. Lasst uns einen schönen Jahreswechsel genießen.“

Justus schien es kaum abwarten zu können, denn er hatte als erster sein Stück aufgegessen und fragte sofort:

„Dad, dein Kuchen ist wieder so geil, darf ich noch ein Stück nehmen?“

Sonst hatte er nie gefragt, ob er noch ein Stück nehmen dürfe. Aber ich spielte mit und erwiderte:

„Natürlich, Justus. Nimm dir. Und vergiss deinen Leo nicht. Er sieht auch so aus, als ob er noch ein Stück vertragen könnte.“

Leo blickte zu mir und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er nickte.

Justus nahm noch ein weiteres Stück und legte es seinem Freund auf den Teller.

„Dein Sohn hat wirklich nicht übertrieben. Dieser Bienenstich ist einfach super lecker“, freute sich Klaus.

Dieses Lob tat mir gut und ich freute mich, dass es wieder gut gelungen war.

„Danke, das ist natürlich schön, wenn ich von euch gelobt werde. Vielleicht habt ihr ja Interesse an der Zubereitung. Dann zeige ich euch gern, wie ich das mache.“

„Du würdest uns deine Geheimnisse über deinen Bienenstich verraten?“, fragte Leo erstaunt.

„Klar, gerade euch würde ich das sehr gern zeigen. Schließlich seid ihr diejenigen, die es der nächsten Generation dann übermitteln müsst. Hihihi.“

Justus hatte meinen kleinen Scherz sofort verstanden, Leo hingegen wirkte nachdenklich. Allerdings nach wenigen Augenblicken fragte er:

„Dann möchte ich das mit dir ausprobieren. Vielleicht haben wir ja auch gar kein Talent für das Backen.“

„Sehr gerne“, lachte ich und fragte: „Hast du schon Erfahrungen mit Kuchen backen oder Plätzchen machen?“

Leo schaute jetzt zu seiner Mutter, die sofort anfing zu schmunzeln. Nadine erwiderte lachend:

„Ganz großes Talent hat Leo immer beim Probieren des Plätzchenteiges. Aber wir hatten immer viel Spaß. Allerdings ist das jetzt doch schon Jahre her.“

Leo fand das lustig und konterte:

„Ja, das stimmt schon, aber da war ich noch sehr klein. Mit Will und Justus möchte ich das ausprobieren. Es hat doch Vorteile, wenn ich diesen Bienenstich machen könnte. Damit kann ich schließlich Justus immer gut bestechen, hahaha.“

Erstaunlicherweise regte sich Justus jetzt nicht auf, sondern legte seinem Freund den Arm und die Schulter und gab ihm einen Kuss. In unserem Beisein. Das freute mich sehr und auch Nadine schien das zu freuen. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht.

„Also gut“, lachte ich, „dann werden wir die Zeit hier nutzen und ich werde mit euch beiden gemeinsam Bienenstich machen. Mal schauen, ob wir das nicht auch so gut hinbekommen oder vielleicht sogar noch verbessern können.“

Das gefiel Justus überhaupt nicht.

„Auf gar keinen Fall verändern wir etwas. Der muss genau so bleiben, wie er ist. Aber es hätte schon Vorteile, wenn wir das zumindest fast so gut könnten. Ich könnte auch in der Schule mal selbst backen. Und ich bräuchte nicht immer Dad zu fragen oder zu bitten.“ Dabei lachte er befreit auf und dieses Lachen allein war schon meine Belohnung. Justus war glücklich.

Leo schien etwas irritiert über die Reaktion seines Freundes. Ich konnte mir vorstellen, dass mein Sohn bei ihnen zu Hause sicherlich nicht so lebendig war.

„Wie sind deine Planungen für heute Abend?“, fragte mich Nadine. „Können wir noch bei den Vorbereitungen helfen?“

„Eigentlich ist alles vorbereitet. Nur ein paar Dips und Fleischsaucen könnten wir machen, wenn die noch gewünscht werden. Es gibt verschiedene Steaks auf dem Grill, dazu kalte Salate und Brot. Also ein fast typisches kleines Barbecue.“

Justus schaute zu mir und er konnte sein Grinsen kaum noch verbergen. Klaus hatte es bemerkt und fragte ihn:

„Na, was hast du dir denn für einen Spaß erzählt, Justus?“

„Ähm, naja. Wenn Dad von einem kleinen, typischen Barbecue spricht, liegt die Betonung auf „kleines“. Hier ist noch nie jemand hungrig nach Hause gegangen. Hihihi.“

Nach einem kurzen Lacher erstaunte mich Justus erneut.

„Damit die Dips auch nicht so langweilig werden, möchte ich das mit Leo übernehmen.“

Er ging einfach mit Leo in die Küche. Erstaunt blickte ich den beiden Jungs hinterher und auch Nadine schien sich zu wundern.

„Ich habe das Gefühl“, lachte Nadine, „Justus hat einen guten Einfluss auf Leo. Dass er freiwillig in die Küche geht und dort etwas Essbares ausprobiert, habe ich noch nicht oft erlebt. Aber das darf gerne so bleiben.“

„Und wir werden jetzt nicht den Fehler machen und uns da einmischen. Wir lassen uns mal überraschen, was für spannende Dips und Saucen entstehen werden. Justus kennt ungefähr mein Repertoire an Fleisch zum Barbecue.“

Mittlerweile hatte ich mich mit Klaus und Nadine an die Grillstation gestellt und die ersten Stücke Fleisch aufgelegt. Von den Jungs hatten wir seit ihrem Gang in die Küche nichts mehr gesehen und gehört.

Als ich gerade einige Stücke gewendet hatte, meinte Nadine zu Klaus:

„Hattest du von Justus eigentlich schon etwas von ihrem ersten Abend beim Tanzen gehört?“

„Nur, dass sie da hingehen wollten. Sonst hat mir Justus noch gar nichts erzählt. Aber wir haben auch noch nicht richtig dafür Zeit gehabt. Doch vermute ich mal, dass es den Jungs gefallen hatte.“

„Allerdings. Und sie waren sogar einmal bei der normalen Trainingsgruppe. Also mit regulären Paaren. Und dort haben sie wohl mächtig Eindruck hinterlassen. Jedenfalls war unser Leo schwer beeindruckt von Justus und seinem Auftreten.“

Was Nadine damit wohl gemeint hatte? Eigentlich war Justus eher immer der zurückhaltende Typ. Bloß nicht auffallen und eher im Hintergrund bleiben.

Leider kamen wir nicht mehr dazu, im Detail darüber zu sprechen, denn die Jungs tauchten bei uns auf. Sie hatten fünf kleine Schälchen dabei. Sie stellten diese auf dem Beistelltisch neben dem Grill ab und Leo reichte jedem von uns ein Stück Weißbrot.

„Probiert ihr bitte mal. Wir finden diese Dips und Saucen schon lecker. Aber euch sollten sie ja auch schmecken.“

Leo legte noch schnell das Weißbrot auf den Grill und reichte dann jedem ein Stück frisch geröstet. Ich probierte alle fünf Dips und musste erfreut feststellen, dass die Jungs wohl Talent haben mussten. Alle Dips haben mir sehr gut geschmeckt und sind von mir durchgewunken worden.

Klaus konnte mir sofort zustimmen und freute sich genauso wie ich. Lediglich Nadine hatte mit zwei der Dips ein wenig Probleme, weil sie ihr zu süß für einen Fleisch-Dip waren.

„Ich glaube, du kannst dir das nicht so gut vorstellen. Hier, probier den Dip mal mit einem kleinen Stück Lamm.“

Ich reichte ihr einen Teller mit dem Stück Lamm und den Dip dazu. Sie probierte und meinte direkt:

„Boah, Will. Du hast wirklich recht. Zusammen schmeckt das richtig gut. Jungs, ihr seid echt gut mit den Saucen und Dips. Das werden wir uns für den nächsten Grillabend zu Hause merken und Leo bitten, die Saucen zu machen.“

An Leos Reaktion konnte ich erahnen, dass so ein Lob bei Nadine nicht allzu häufig vorkam. Das speicherte ich bei mir ab.

Plötzlich klingelte ein Handy. Meins war es nicht, aber Justus griff in die Tasche und nahm sein Telefon heraus.

Er ging ein paar Schritte von uns weg und telefonierte. Ich kümmerte mich um das Fleisch auf dem Grill und hatte nicht mitbekommen, dass Justus zu mir an den Grill gekommen war.

„Dad, das war Micha. Er fragt, ob ich Lust habe, zu ihm zu kommen. Seine Silvesterparty ist wegen Krankheit seines Onkels ausgefallen. Jetzt ist sein Cousin auch bei ihm und sie langweilen sich. Ich habe gesagt, dass sie einfach zu uns kommen sollen. Das ist doch okay, oder nicht?“

Micha war Justus’ bester Freund gewesen, bevor wir Leo kennengelernt hatten, und ich kannte den Jungen recht gut. Wir hatten nie Probleme und von daher hatte ich damit keine Schwierigkeiten. Aber ob sich Justus bewusst war, dass er jetzt mit Leo seinen Freund bei sich hatte und er damit vielleicht seine Homosexualität Micha gegenüber offenlegen könnte?

Allerdings wollte ich mich da ganz heraushalten und es meinem Sohn überlassen, wie er damit umgehen wollte. Deshalb gab ich ihm zur Antwort:

„Wenn Leo auch einverstanden ist, kann Micha mit seinem Cousin gern kommen. Sollen sie über Nacht bleiben? Dann müsstet ihr noch einen Schlafplatz für die beiden vorbereiten.“

„Sie können für eine Nacht doch bei mir und Leo schlafen. Leo schläft dann bei mir im Bett und die beiden können für eine Nacht auf der Couch schlafen. Oder was meinst du?“

„Meinetwegen gern. Das musst du dann mit den beiden klären. Und sie sollen sich dann mal auf den Weg machen, damit sie mit uns noch zu Abend essen können.“

„Danke, Dad. Das finde ich klasse, dass du das erlaubst. Auch wenn wir Besuch haben. Aber Micha war für mich auch immer da, wenn ich mal Hilfe brauchte.“

„Ich finde das gut, dass du spontan für deinen Freund da bist. Allein Silvester feiern ist echt blöd, gerade wenn man etwas anderes geplant hat.“

Justus lächelte, als ich das gesagt hatte, und ich bekam eine innige Umarmung. Das kam in der letzten Zeit eher selten vor. Umso positiver empfand ich das heute.

„Leo, kommst du mit? Wir müssen jetzt für Micha und seinen Cousin die Couch vorbereiten. Dad wird hier am Grill die Stellung halten und wenn die beiden gleich hier sind, können wir gemeinsam essen.“

Ich erklärte Klaus und Nadine den Sachverhalt und sie unterstützten unseren Plan. Klaus meinte zu mir am Grill:

„Ich finde das klasse, dass Justus sofort für seinen Freund da ist. Leo hat das früher auch für seinen besten Freund gemacht, aber irgendwie ist das in letzter Zeit eingeschlafen. Das finde ich auch etwas schade.“

„Das kenne ich von Justus ähnlich. Aber vielleicht wird sich da jetzt auch wieder etwas verändern. Sie haben für sich ja eine Entscheidung getroffen und ich glaube, langsam kommt mein alter Justus wieder hervor. Vielleicht geht es Leo ja ähnlich. Ich werde es jedenfalls unterstützen, wo ich gefragt bin.“

„Das ist sicherlich ein guter Gedanke und wir werden das mit Sicherheit ganz genauso machen. Schauen wir mal, was sich entwickelt. Bislang sind wir auch sehr zufrieden mit der neuen Situation und Leos Verhalten.“

Ich legte jetzt die Lammfilets auf den Grill, da die am längsten Garzeit benötigten. Nur wenige Minuten später tauchten Justus und Leo wieder bei uns auf.

„Dad, Micha und Sven sind unterwegs. Sie sollten also in fünf Minuten hier eintreffen. Ist das noch rechtzeitig oder ist das Fleisch dann schon durch?“

„Nein, nein, das passt schon. Könnt ihr vielleicht noch zwei Teller und Besteck hinzulegen?“

„Schon passiert“, erwiderte Justus lachend.

Das war auch so eine Situation, die für mich neu war. Justus dachte mit und traf eigene Entscheidungen, die für alle von Vorteil waren und nicht nur für ihn.

„Sehr gut mitgedacht, Justus. Dann kann es ja gleich losgehen“, lachte ich.

Mein Sohn freute sich über das Lob. Und was ich besonders schön fand, als Micha mit seinem Cousin auf dem Rad ankam, begrüßte er beide herzlich mit einer Umarmung. Im Anschluss kamen die vier direkt zu mir an den Grill.

„Dad, Micha kennst du ja schon und darf ich dir Sven vorstellen. Das ist Michas Cousin.“

Sven wirkte unsicher und er war auch deutlich jünger als Justus und Micha. Aber er streckte mir zur Begrüßung die Hand aus.

„Hallo Sven, herzlich willkommen bei uns. Justus wird dich sicherlich nach dem Essen einmal durch das Haus führen. Damit du weißt, wo was ist und wo ihr übernachtet. Aber wenn du Fragen hast, kannst du mich natürlich auch immer ansprechen. Viel Spaß wünsche ich dir.“

„Danke, ich finde es richtig klasse, dass Sie uns so kurzfristig erlaubt haben, herzukommen.“

Nadine kam hinzu und stellte sich den Jungs auch vor und als alle Formalitäten geklärt waren, fragte mich Justus:

„Sollen wir noch etwas machen oder können wir uns schon an den Tisch setzen?“

„Nein, hier läuft alles. Ihr könnt euch schon setzen. Wir sind gleich soweit.“

Wenige Minuten später saßen wir gemeinsam im Wintergarten an dem langen Tisch und ich hatte das Fleisch auf zwei Platten verteilt. Jeder konnte sich das nehmen, worauf er Lust hatte. Ein wenig erstaunt war ich, als sich Justus ein Stück Lamm nahm. Bislang war ihm das immer zu streng im Geschmack gewesen.

Nach einer ausgiebigen Völlerei, während der wenig gesprochen wurde, fragte Justus:

„Hast du eigentlich etwas geplant für den Abend? Oder dürfen wir in mein Zimmer gehen und dort etwas zocken?“

Diese Frage hatte ich eigentlich schon ganz zu Beginn erwartet und auch Nadine schien dieses Thema bereits zu kennen, denn sie lächelte.

„Geplant habe ich nichts. Nur dass wir um Mitternacht gemeinsam auf das neue Jahr anstoßen sollten. Wenn ihr möchtet, könnt ihr natürlich nach oben gehen. Aber vielleicht habt ihr ja auch Lust, mit uns hier etwas zusammen zu sein. Macht das, wie ihr möchtet.“

Natürlich wollten die vier erst einmal nach oben verschwinden. Ich war gespannt, wie sich das entwickeln würde. Immerhin war Sven mit seinen dreizehn Jahren doch deutlich jünger als die anderen.

Spannend wurde es für uns noch einmal, als Justus Getränke mit nach oben nahm. Ich konnte sehen, dass er Cola, Fanta und Schweppes nahm. Und eine Flasche von meinem Gin. Ich war gespannt, wie sich das entwickeln würde.

Einige Minuten später hatten wir noch die Sachen in die Spülmaschine geräumt und uns gemütlich den Kamin angemacht. Klaus und Nadine wirkten entspannt und ich war jetzt doch etwas neugierig, was die beiden mir über die Woche seit Weihnachten berichten würden.

Bevor wir in ein Gespräch kamen, tauchte Justus bei mir auf. Er hatte die Flasche Gin in der Hand und stellte sie zurück in den Schrank.

„Dad, Leo wollte unbedingt einmal probieren. Er hatte von seinen Klassenkameraden viel von Gin Tonic gehört. Aber es schmeckt ihm gar nicht. Sven bekommt noch keinen Alkohol und ich möchte dann heute auch nichts trinken. Dann kann ich die Flasche wieder zurückstellen.“

„Das finde ich eine gute Entscheidung. Was wollt ihr oben machen?“

„Sven hat keine eigene Playstation zu Hause. Er möchte etwas damit zocken. Aber ich möchte eigentlich zusammen etwas machen. Wie wäre es denn, wenn wir nachher alle zusammen mal „Die Siedler“ oder „Trivial Pursuit“ spielen würden?“

„Meinetwegen sehr gern. Kommt doch einfach zu uns und dann besprechen wir, was gespielt wird.“

Justus war einverstanden und ging wieder nach oben zu den anderen. Nadine schaute ihm nach und meinte zu mir:

„Ich staune immer wieder über die Reife und Vernunft von Justus. Er hat auch bei uns immer den Eindruck gemacht, dass er schon lange erwachsen ist. Macht er eigentlich gar keine Dummheiten? Unser Leo hat immer wieder mal so richtig Flausen im Kopf.“

„Du meinst, so wie mit dem Gin gerade? Ich gehe davon aus, dass er bei euch das nicht ausprobieren dürfte, oder?“

„Ganz ehrlich, bislang war Alkohol kein echtes Thema. Aber wir sind ja auch nicht von gestern und wissen, dass auf den Partys der Jungs auch schon was getrunken wird. Leo ist aber in den letzten Monaten kaum noch irgendwo hingegangen. Ich habe das als schade empfunden, aber heute wissen wir, warum er wohl kaum noch unterwegs war. Er hatte für sich erkannt, dass er Jungs mag, und die Gefahr entdeckt zu werden war ihm zu groß. Ich glaube, Klaus und ich haben allgemein zu lange zu wenig mit unserem Leo gesprochen. Er muss sich oft allein gefühlt haben. Aber wir hatten gedacht, es sei richtig, ihn in Ruhe zu lassen.“

„Das ist mir nicht unbekannt“, erwiderte ich, „aber ich habe durch unsere gemeinsame Arbeit am Karmann mit Justus gute Gespräche gehabt. Dadurch ist es ihm vielleicht etwas leichter gefallen, zu sich und seiner Homosexualität zu finden. Ich habe immer wieder zu verstehen gegeben, dass ich schwule Jungs respektiere und sie nur an ihrem Verhalten messe. Als er Leo dann traf, muss das für ihn eine Erlösung gewesen sein. In dieser Woche bei euch hat er sich toll entwickelt. Vieles ist wieder zurückgekommen, wie es früher war. Das macht mich sehr glücklich.“

Nadine blickte mich lächelnd an und auch Klaus nickte zustimmend.

Nadine antwortete:

„Das trifft es gut. Und ich bin so erfreut über die Freundschaft zu Justus. Das hat Leo viel von seiner Angst genommen. Manchmal staune ich einfach über das Selbstbewusstsein, das Leo plötzlich hat. Nur in ganz bestimmten Situationen spüre ich seine Angst, Fehler zu machen. Aber Justus hilft ihm dann und lässt Leo einfach etwas probieren. Einmal haben die beiden eine Tour mit den Rädern gemacht und Leo kam komplett nass und dreckig zurück. Justus ist zuerst mit Leo ins Bad und hat sich um ihn gekümmert, bevor er uns dann berichtet hat, was genau passiert war. Dabei hat er uns gebeten, nicht mit Leo zu schimpfen. Leo hatte Angst vor unserer Reaktion. Das hat mich wirklich fast geschockt. Ich habe gedacht, dass Leo wissen würde, wir ständen immer hinter ihm, auch wenn mal etwas schiefgehen würde.“

„Das habe ich mit Justus auch bereits erfahren müssen. Wir Eltern können noch so oft davon sprechen, dass wir hinter ihnen stehen und dass sie Fehler machen dürfen, aber wenn es dann soweit ist, muss ich als Vater auch genau das dann tun. Nicht meckern, sondern einfach da sein, helfen und das Problem gemeinsam beseitigen. Erst danach darf ich vielleicht mal fragen, was eigentlich schiefgegangen ist. Wenn uns das gelungen ist, erst dann können unsere Kinder unsere Versprechen auch wirklich ernst nehmen. Das ist ganz wichtig. Auch wenn es mir manchmal nicht leicht gefallen ist, mich so zu verhalten. Aber Justus hat es mir mit Vertrauen zurückgezahlt. Das ist ein unfassbar schönes Gefühl.“

Nadine blickte mich mit großen Augen schweigend an. Ich wechselte das Thema, indem ich sie fragte:

„Könnt ihr euch vorstellen, dass die beiden großen Jungs gleich noch mit uns etwas spielen werden? So richtig am Tisch und oldschool ein Brettspiel? Ich sage euch, dass wir ganz viel Spaß haben werden, wenn wir ihnen genug Luft lassen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie glücklich ich in diesem Moment bin. Justus hat wieder seine Position im Leben gefunden und auch Leo ist jetzt wieder ein glücklicher Junge. Was können wir denn mehr erreichen?“

„Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen“, lachte Klaus, „und wir sind auch gerade sehr glücklich mit der neuen Situation. Es gab da nämlich noch eine besondere Situation in der vergangenen Woche. Sie waren ja gemeinsam beim Tanzen und ihr Trainer hatte sie eingeladen, bei den „normalen“ Paaren mitzumachen. Als die beiden Jungs mit dieser Einladung nach ihrem Training nach Hause gekommen sind, war Leo verunsichert. Er hatte Bedenken. Aber Justus wollte das unbedingt machen.“

Nadine unterbrach in diesem Augenblick:

„Bist du dir sicher, wir sollten diese Begebenheit ohne die Jungs erzählen? Nicht, dass Leo das unangenehm ist.“

„Es ist doch überhaupt nichts Unangenehmes dabei. Justus hat Leo erklärt, warum das so wichtig für ihn sei und Leo hat dann zugestimmt. Aber Leo ist mit einem unguten Gefühl mitgegangen. Das hat er mir noch gesagt, als ich sie hingefahren habe.“

„Justus hat Leo dabei übergangen? Er hat Leo überredet?“, fragte ich nach.

„Nein, das sicherlich nicht, aber es war Justus sehr wichtig, das zu machen. Und Leo ist mitgekommen. Und was ich ganz toll gefunden habe, Justus hatte Leo versprochen, sofort wegzugehen, wenn Leo sich nicht wohlfühlen würde. Ich habe ihnen natürlich auch versprochen, dass ich sie sofort abhole, sollte das sich nicht so toll entwickeln.“

„Und was ist dann passiert?“, wollte ich neugierig wissen.

„Nichts“, lachte Klaus, „ich bin wie vereinbart am Treffpunkt gewesen und habe zwei bestens gelaunte Jungs abgeholt. Was dann beim Tanzen passiert war, das sollen die Jungs aber gleich selbst erzählen. Ich kann nur sagen, es war eine amüsante Rückfahrt.“

Klaus konnte sein Grinsen kaum verbergen, als er das gesagt hatte.

Ich musste mich also noch etwas gedulden. Allerdings erzählten Klaus und Nadine noch einige andere Ereignisse aus der Woche, die mir zeigten, dass sich Justus dort wohlgefühlt haben musste. Nadine hatte noch eine Frage an mich:

„Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen, ob Leo überhaupt die letzte Woche der Ferien bei dir bleiben kann. Die Jungs gehen zwar davon aus, aber für uns ist das überhaupt noch nicht sicher. Wie siehst du das?“

„Eine gute Frage. Ich habe ganz bewusst noch keine klare Aussage dazu gemacht. Ich wollte einfach abwarten, wie sich die beiden bei euch so gemacht haben. Wenn Justus das möchte und Leo auch, dann habe ich aber keinerlei Probleme damit. Vielleicht kann ich ja Leo sogar mal mit an den Karmann nehmen. Justus wird nämlich mit Sicherheit mit mir daran arbeiten wollen. Schließlich möchte er im Frühjahr damit zur Schule gefahren werden.“

„Dürfte er mit deiner Begleitung nicht schon selbst fahren? Oder würdest du ihm das mit dem Gerät dann eher nicht erlauben?“

„Ich bin ehrlich, ich weiß es nicht. Bislang habe ich mich auch noch nicht getraut, ihn mit der Corvette fahren zu lassen. Allerdings habe ich in der vergangenen Woche eine Entscheidung getroffen. Und das ohne Justus. Er weiß davon noch gar nichts. Wir haben ja schließlich jetzt ein klares Problem mit dem Transport. Meine ZR1 ist ein reiner Zweisitzer und wenn Leo jetzt häufiger bei uns ist, dann bräuchten wir mindestens einen Dreisitzer, hihi.“

„Wie sich das anhört, hast du bereits eine Problemlösung gefunden“, lachte Klaus.

„Ja, ich war in der Woche unterwegs und habe mich mal etwas mit dem Thema E-Auto auseinandergesetzt und da ich Tesla nicht so prall finde, allein schon wegen der Verarbeitung, habe ich mich mit anderen Herstellern beschäftigt. Und ich bin fündig geworden. Und besonders schön, das Fahrzeug stand hier im Ort bei dem Skoda-Vertragshändler. In der passenden Farbe und Ausstattung. Nach einer kleinen Preisverhandlung habe ich zugestimmt und das Gerät gekauft.“

„Oh, einen Skoda? Elektrisch? Da würde eigentlich nur ein Enyak in Frage kommen. Der ist schick und futuristisch und rein elektrisch. Ein grandioses Auto. Mir gefällt der gut. Ich habe sogar schon überlegt, den als nächstes Auto zu kaufen.“

„Genau das Modell. Er hatte zwei Vorführmodelle und einen davon habe ich gekauft. Er steht noch dort, aber ich möchte übermorgen mit Justus und Leo den Wagen dort abholen. Er ist dann noch aufbereitet worden und hat die Winterräder montiert bekommen. So kann Justus direkt damit fahren. Und ich kann meine ZR1 schonen.“

„Wow, das hört sich cool an“, meinte Nadine, „da wird sich aber jemand richtig freuen. Welche Farbe hast du ausgewählt?“

„Ein Tornadorot. Wie ich finde, eine ganz tolle Skoda-Farbe. Ich wollte, dass er gut zu sehen ist und dennoch schick ist.“

„Weißt du was, Will“, fragte Nadine, „Justus hat uns natürlich erzählt, dass er bereits den Führerschein hat und du mit ihm auch schon gefahren bist, aber er beschäftigt sich mit der Situation, dass Leo dann nicht mehr mitfahren kann. Das Problem ist damit vom Tisch, denn er hätte es sich niemals getraut, dir zu sagen, dass deine ZR1 jetzt nicht mehr das richtige Fahrzeug wäre.“

„Naja, ich bin ja auch nicht auf den Kopf gefallen. Die ZR1 ist eine Waffe und gehört nicht in Anfängerhände. Der Skoda hat mit Sicherheit genug Leistung und ist sehr flott unterwegs. Außerdem ist er umweltfreundlicher als die ZR 1. Ich bin dennoch gespannt, wie Justus darauf reagieren wird. Damit wird er vermutlich nicht rechnen.“

„Ganz bestimmt nicht“, grinste Klaus und zeigte mir den Daumen hoch.

Justus: Entscheidung?

Nachdem wir doch einige Zeit an der Playstation verbracht hatten, wollte ich unbedingt mit meinen Freunden noch ein richtiges Spiel spielen. Ich hatte dafür Cluedo im Kopf. Das war ein Strategiespiel, bei dem man einen Mörder, einen Tatort und eine Tatwaffe herausfinden musste. Ich hatte nur etwas Bedenken bei Sven. Ob er mit dreizehn diesem Spiel bereits gewachsen war?

Aber zuerst hatte ich die Aufgabe, ihn von der Playstation wegzuholen. Allerdings löste das Micha für mich. Er gab Sven eine freundliche Aufforderung, mit dem Zocken aufzuhören, und als Sven nicht reagierte, zog er einfach den Stecker der Playstation. Das hätte ich mich nicht getraut. Entsprechend erwartete ich jetzt auch lauten Protest und Stress. Allerdings legte Sven nur den Controller weg und meinte:

„Okay, okay, dann lasst uns was anderes spielen. Auch wenn das sicher viel langweiliger ist.“

Jetzt passierte allerdings etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Leo wurde richtig grantig. Er blaffte Sven richtig an:

„Du hast doch gar keine Ahnung, wie Cluedo geht. Bevor du das nicht ausprobiert hast, solltest du einfach mal deine Klappe halten. Du bist doch der Computerfreak, dann sollte dir das gefallen. Also erst ausprobieren und dann urteilen.“

Ich schaute Leo an und musste innerlich lachen. Sven hatte keinen Mut mehr, noch etwas zu sagen und fügte sich einfach wortlos. Micha schien es sehr unangenehm zu sein, denn er ging direkt aufs Klo und entzog sich der Situation. Aber es gab keine weiteren Schwierigkeiten, denn als Leo mit den Erklärungen der Spielregeln fertig war, stutzte Sven und meinte:

„Boah, das klingt richtig kompliziert. Aber spannend, lasst uns das probieren.“

Ich nickte ihm zu und auch Leo war wieder freundlich zu ihm und teilte die Karten aus. Ich fragte in die Runde:

„Möchte jemand etwas zu knabbern?“

„Oh, ja, gerne. Vielleicht ein paar Chips oder Salzstangen wären auch cool“, erwiderte Sven.

Bei Leo brauchte ich nicht zu fragen. Ich wusste, dass er Paprikachips sehr gern mochte. Also griff ich in mein kleines Depot unter meinem Schreibtisch und holte eine große Tüte Chips und Salzstangen hervor. In diesem Moment kam Micha zurück.

„Boah, das Versteck ist cool. Das muss ich mir zuhause auch einrichten. Dann greifen meine Freunde nicht mehr einfach zu den Tüten.“

Ich fing an zu lachen und auch Leo musste grinsen, als er ergänzte:

„Hahaha, was meinst du, was ich bei mir gemacht habe? Ich finde diese Idee auch richtig klasse. Somit habe ich immer die Kontrolle über die Leckereien.“

Und dann nahm er mir eine Tüte Chips ab und gab mir einen Kuss. Anschließend füllte er die Chips in eine Schale.

Ich fand das natürlich schön, aber auch sehr mutig. Schließlich war es noch gar nicht offen, das Leo nicht nur mein Freund, sondern auch Partner, war. Entsprechend große Augen hatte Micha. Während Sven nur lächelte.

Micha fragte: „Was war das denn grade? Seid ihr schwul?“

Und was jetzt folgte, war ganz großes Kino. Bevor ich reagieren konnte, schoss Sven seinen Cousin an.

„Warum fragst du? Das war doch offensichtlich. Oder würde Leo sonst Justus einen Kuss geben? Und was ist das Problem? Ich finde das mega cool, dass sie das offen zeigen. Ich würde mich das nicht trauen, obwohl ich schon gern mit Nico kuschel und wir auch in einem Bett schlafen. Aber das würde ich niemals offen zeigen.“

Jetzt war Micha sprachlos. Mein Freund zeigte Sven den Daumen hoch und meinte:

„Ich kann dich gut verstehen. Bevor ich Justus kannte, wollte ich das auch niemandem zeigen, dass ich Jungs viel geiler als Mädchen finde. Ich habe mich geschämt und immer heimlich beim Wichsen an einen gleichgearteten Jungen gedacht. Aber Justus war dann die Fügung des Schicksals. Das war mein schönstes Weihnachtsgeschenk überhaupt. Und ich weiß heute, dass meine Eltern voll hinter mir, nein, hinter uns stehen. Und auch Will unterstützt uns. Das ist so toll, einen Freund zu haben und sich nicht mehr verstecken zu müssen. Zumindest wenn wir zu Hause sind. Und wenn du ein Problem damit hast, Micha, dann wirst du das halt aushalten müssen.“

Michas Augen wechselten schnell zwischen uns hin und her. Aber dann fing er an zu lachen.

„Hey, alles cool. Ich bin nur vollkommen überrascht. Ganz ehrlich, bei dir, Justus, hatte ich mir das schon öfter mal überlegt. Warum hatte ein so netter und intelligenter Junge noch nie eine Freundin, aber dass mein kleiner Cousin auch schon Erfahrungen hat, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Und ich finde das genauso klasse, dass ihr den Mut habt, es offen zu zeigen. Für Sven ist mir ganz wichtig: Du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken und ich werde es auch niemandem sagen, dass du mit Nico einen gleichgesinnten Freund gefunden hast. Das sollst du selbst bestimmen, wem du und was du erzählen möchtest.“

Sven atmete jetzt doch tief aus und wirkte erleichtert. Allerdings war er noch nicht bereit, mehr darüber zu sprechen und ich entschied mich daher, einfach wieder zum Spiel zurückzukommen. Die Stimmung war jetzt viel gelöster und mein Freund nutzte immer wieder die Gelegenheit, mir kleine Zärtlichkeiten zukommen zu lassen. Er war jetzt einfach mein Partner und damit war das sofort normal geworden. Wenn das doch immer so einfach sein könnte.

Und es gab noch eine besondere Sache, denn Sven hatte unseren Cluedo-Durchgang gewonnen. Damit hatte er mich überrascht. Und mit einem Blick auf die Uhr wurde mir bewusst, dass es schon fast halb elf geworden war.

„Lasst uns doch mal nach unten gehen und schauen, was die älteren Herrschaften machen. Hihihi. Vielleicht machen wir auch noch eine Spielrunde gemeinsam. Allerdings: Cluedo spielen wir nicht mehr, da ist Sven zu stark für uns.“

Sofort fing Leo an zu lachen und auch Micha grinste und zeigte den Daumen hoch. Sven wirkte verunsichert. Ich nahm ihn kurz in den Arm und dann lachte er auch mit uns.

Wir räumten das Spiel wieder ein und legten es zurück in den Schrank.

„Bevor wir hinunter gehen“, fragte Micha, „wissen eure Eltern schon Bescheid, dass ihr zusammen seid, oder müssen wir aufpassen mit dem, was wir sagen?“

„Gute Frage“, lachte ich, „aber es wissen hier bereits alle Bescheid. Und Sven kann auch entspannt zu sich stehen, hier wird dich niemand verpetzen oder sich über dich lustig machen. Ich bin mir sogar sehr sicher, wenn du gleich dazu etwas sagen möchtest, wird dir mein Dad sofort seine Unterstützung anbieten. Du wirst also mit dieser Sache ganz sicher nicht mehr allein sein.“

„Danke, das ist wirklich sehr nett von euch“, antwortete Sven leise, „es ist nicht einfach, wenn man sogar bei den Eltern Schiss hat zu sagen, dass man Jungs mehr mag als Mädchen.“

Leo legte ihm seinen Arm auf die Schulter und meinte:

„Aber umso schöner ist es, wenn du den Mut hattest und es ihnen gesagt hast und danach die volle Zustimmung bekommst. Das tut richtig gut.“

Danach gingen wir aus meinem Zimmer und waren wenige Augenblicke später wieder im Wintergarten bei Dad und Leos Eltern.

„Ah, da sind ja unsere Helden wieder“, lachte Dad. „Wollt ihr euch zu uns an das Feuer setzen? Getränke stehen auf dem Tisch und kalte Sachen sind noch im Kühlschrank.“

Sofort hatte ich ein gutes Gefühl und spürte die positive Stimmung. Auch Nadine und Klaus hatten gute Laune. Allerdings beobachtete Leos Mutter genau, was er wie machte.

Ich staunte etwas über Sven. Er blieb bei Leo und flüsterte mit ihm. Ich ging kurz in die Küche, um Getränke für uns zu holen.

Als ich zurück war, saßen die drei bereits bei den anderen am Tisch und unterhielten sich. Ich verteilte die Gläser und schenkte meinen Freunden ein, als mich Nadine ansprach.

„Justus, würdest du deinem Vater noch einmal die Geschichte vom Tanzen erzählen? Was habt ihr bei den Hetero-Paaren erlebt?“

Ich blickte zu Leo und als er mir zunickte, setzte ich mich auch an den Tisch und meinte:

„Okay, kann ich machen. Aber bevor ich etwas dazu erzähle, möchte ich erwähnen, dass Micha und Sven jetzt auch wissen, dass Leo und ich zusammen sind. Ihr braucht also keine Rücksicht zu nehmen.“

Dad nickte nur kurz zustimmend, aber Klaus erwiderte darauf:

„Da sie hier noch sitzen, hat es wohl keine Probleme damit gegeben. Ich finde es aber schön, dass es so ist und ihr das respektiert und nicht ablehnt. Aber jetzt erzähl mal, Justus. Ich glaube, dein Vater ist schon sehr gespannt.“

„Ja, also das war so: Leo und ich waren zuerst am Montag ganz normal zum Training der queer Paare und unser Trainer hatte das beste Paar des Vereines als Gast eingeladen. Also das beste Hetero-Paar. Immerhin sind die deutsche Vizemeister im Lateintanz. Und Leo und ich haben uns ihre Bewegungen genau angeschaut. Dabei haben wir festgestellt, dass wir einiges anders machen. Aber Leo wollte unseren Stil nicht ändern. Ich war mir unsicher. Daher hatten wir mit Enrique, das ist einer unserer Trainer, gesprochen. Er war der Meinung, dass wir alles genauso weiter machen sollten. Es sei halt unser Stil.“

Was ich nicht bedacht hatte, weder Micha noch Sven wussten eigentlich über unser Hobby Bescheid. Das war auch deutlich an ihren fragenden Blicken zu erkennen.

„Bevor noch größere Unruhe entsteht“, meldete sich jetzt Klaus zu Wort, „Leo und Justus tanzen beide sehr gern. Aber als schwules Paar ist das nicht so einfach, auch an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Verband hat da Regeln, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht mit den Hetero-Paaren gemeinsam an Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Daher gehen Leo und Justus in eine Gruppe der gleichgeschlechtlichen Tänzer. Diese führen auch eigene Wettkämpfe durch.“

„Wie bescheuert ist das denn bitte?“, protestierte Sven jetzt.

Ich war überrascht, dass er sich jetzt so klar positionierte. Er meinte sogar:

„Die Hetero-Paare sind doch oft nur beim Tanzen ein Paar. Da ist doch überhaupt nicht gesagt, ob sie wirklich hetero sind. Das ist wieder so typisch für die Welt. Aber sorry, ich habe Justus unterbrochen.“

„Haha, sehr guter Einwand“, lachte Dad jetzt. Anschließend nickte er mir zu, dass ich fortfahren sollte.

„Jedenfalls scheinen Leo und ich einen guten Eindruck gemacht zu haben und am Ende des Trainings fragten uns unsere Gäste, ob wir Lust hätten, zum Leistungstraining der Lateingruppe zu kommen.“

Mein Dad schaute mich fragend an und ich konnte sofort spüren, dass er das nicht wirklich verstehen konnte. Ich fragte daher:

„Hast du eine Frage, Dad?“

„Allerdings, warum war das jetzt so problemlos möglich, dass ihr zu dieser Trainingsgruppe kommen durftet?“

Leo war schneller in der Antwort:

„Weil es ja nur Training ist. Wettbewerbe sind wieder etwas anderes. Und ich habe dort viel Spaß gehabt und auch Anerkennung von den anderen Paaren erfahren. Justus und ich waren sofort akzeptiert und was das Tollste ist, wir dürfen weiterhin mit dieser Gruppe zusätzlich trainieren.“

„Jap, das ist korrekt“, ergänzte ich, „aber es gibt da ein Problem für uns. Wir müssten jetzt noch einen Tag mehr zum Training fahren. Wie sollen wir dahin kommen. Noch darf ich nicht allein fahren. Und ich glaube, Dad würde mich niemals mit der Corvette allein losschicken.“

„Das stimmt allerdings. Das würde ich nicht erlauben. Zumindest noch nicht. Aber ich sehe da überhaupt kein Problem. Wir hatten gesagt, wir werden euch das ermöglichen. Also fahren wir euch da hin. Gar keine Frage. Oder was meint ihr beide dazu?“

Dabei blickte er zu Klaus und Nadine.

„Richtig. Das werden wir auch unterstützen. Wir werden uns abwechseln mit dem Fahren. Also geht ihr zu diesem Training, wenn ihr das möchtet. Was mich interessiert, wie haben denn die anderen Paare reagiert? Ihr seid ja mit Sicherheit die jüngsten und dann auch noch schwul.“

Dabei lachte sie und zeigte uns den Daumen hoch.

„Eigentlich war das richtig cool“, lachte Leo, „zuerst waren sie schon verwundert, aber als der Trainer uns kurz vorgestellt hatte und wir beim ersten Probetanz gezeigt hatten, dass wir auch etwas können, war die Stimmung sehr entspannt.“

„Nicht nur entspannt“, meldete ich mich, „es gab viele neugierige Gespräche und Anerkennung. Es gibt nicht viele so junge Tänzer auf diesem Niveau. Die meisten hören dann recht früh auf, weil es auch ein zeitintensives Hobby ist. Aber es macht mir unheimlich viel Spaß. Vor allem mit Leo.“

Den letzten Satz hätte ich vielleicht nicht sagen sollen, denn Dad fing plötzlich laut an zu lachen und auch Klaus lachte. Ich war etwas irritiert. Aber Leo lächelte und küsste mich einfach. Das führte zu spontanem Applaus unserer Eltern. Mein Puls beruhigte sich und dafür regte ich aber etwas anderes an anderer Stelle. Der Kuss war wunderschön.

Dad hatte es wohl gespürt, dass das gerade etwas unangenehm für mich war, und meinte:

„Mit einem Blick auf die Uhr sollten wir uns auf den Jahreswechsel vorbereiten. Ich habe die Idee, jeder nimmt sich sein Getränk, mit dem er anstoßen möchte, mit nach draußen und wir schauen uns mal gemeinsam das Schauspiel am Himmel an.“

Damit hatte er geschickt das Thema gewechselt und wenige Minuten später standen wir in unserem Vorgarten und warteten auf das beginnende Feuerwerk. Dad und ich hatten schon ein paar Jahre kein Feuerwerk mehr gekauft. Allerdings wunderte ich mich jetzt etwas, denn Dad fehlte in unserer Runde.

Aber eine Minute vor Mitternacht tauchte er wieder auf und hatte ein kleines Gerät in der Hand. Das sah aus wie eine Fernbedienung. Klaus meinte dann:

„Liebe Familie, liebe Freunde, ich wünsche uns ein frohes, gesundes und schönes Neues Jahr. Dieses Jahr werden wir vermutlich als ein ganz besonderes Jahr in Erinnerung behalten. Bleibt alle gesund und dann lasst uns anstoßen. Prost!“

Er hielt sein Glas in die Mitte und wir stießen alle miteinander an und Klaus und Nadine gaben sich einen Kuss. Das nutzte Leo für sich aus und umarmte mich mit einem Kuss. Es fühlte sich großartig an.

Als wir uns wieder lösten, standen Sven, Micha und Dad etwas weiter weg und dann begann von der Garage ein Raketenfeuerwerk, das sich sehen lassen konnte.

Ich stutzte, aber Dad fing an zu lachen und kam auf mich zu. Er umarmte mich und meinte:

„Ich war der Meinung, nach diesem besonderen Ende des Jahres wollte ich uns auch einen besonderen Jahreswechsel gönnen. Ich wünsche euch beiden noch eine lange und schöne gemeinsame Zeit.“

Dabei ließ er Leo nicht außen vor und umarmte ihn genauso herzlich. Das war ein wunderbares Gefühl.

Die Raketen waren sehr schön und auch laut. Das machte Eindruck bei mir. Ich wusste auch, dass das mit Sicherheit kein Schnäppchen gewesen war. Umso schöner war das Wissen, dass Leo und ich der Grund für dieses besondere Feuerwerk waren.

Als es vorbei war, kam Dad erneut zu Leo und mir und umarmte uns mit den Worten:

„Ich wünsche uns ein spannendes neues Jahr. Lasst uns das gemeinsam genießen.“

Sven und Micha standen etwas abseits, aber Dad hatte sie schnell hinzugeholt und er gab Sven etwas mit auf den Weg für das neue Jahr:

„Solltest du Unterstützung bei deinen Eltern benötigen, wenn du dich ihnen anvertraust, dann sag Bescheid. Leo, Justus und auch ich werden dir dafür sofort bereitstehen.“ Danach umarmte er Sven und ich konnte spüren, dass das für ihn ein sehr bewegender Augenblick war.

Wir hatten im Anschluss noch zwei Stunden zusammen gesessen und Papa sehr gespannt zugehört. Sven hatte ihn gefragt, ob er uns eigentlich auch etwas aus seiner Militärzeit erzählen dürfte. Und da kamen doch noch ein paar Dinge heraus, die selbst mir noch neu waren. Jedenfalls war das sehr spannend und auch meist amüsant.

Erst als es dann zur Nachtruhe ging, wurde ich doch noch einmal etwas nervös. Micha und Sven schliefen bei mir im Zimmer auf der Couch, die wir umklappen konnten. Leo bei mir im Bett. Das war eine neue Situation für mich. Allerdings stellte sich das als völlig unbegründet heraus. Wir waren alle einfach zu müde und schliefen durch bis in den späten Vormittag des Neujahrstages hinein.

An diesem Tage mussten Leos Eltern wieder heimfahren, da sie morgen wieder arbeiten mussten.

Jetzt saßen Leo und ich allein bei mir im Zimmer, Sven und Micha waren duschen, als mich Leo fragte:

„Hat sich dein Vater schon geäußert, ob ich die Woche noch bei dir bleiben darf, oder soll ich heute mit nach Hause fahren?“

Für mich hatte sich diese Frage eigentlich noch gar nicht gestellt, denn ich war davon ausgegangen, dass Leo bei mir bleiben würde. Allerdings hatte mein Schatz vollkommen recht. Dad hatte sich noch gar nicht dazu geäußert.

„Gesagt hat er noch nichts, aber auch nichts Negatives, was ja auch positiv ist. Hihihi.“ „Blödmann“, erwiderte Leo folgerichtig, aber leicht genervt. „Nein, keine Ahnung. Ich denke, das sollten wir gleich beim Frühstück besprechen. Ich glaube, dass er einverstanden ist. Aber so wie ich Dad kenne, möchte er von mir gefragt werden. Und das werde ich gleich machen.“ Leo bekam wieder ein Lächeln ins Gesicht, umarmte mich und ein heftiger Kuss folgte unmittelbar. Leider betraten in diesem Moment Micha und Sven mein Zimmer und hatten unseren Kuss prompt mitgekriegt.

„Na, so kann das neue Jahr aber gut anfangen“, lachte Micha. Auch Sven grinst und ergänzte: „Und das noch vor dem Frühstück. Micha, ich glaube, wir lassen die beiden mal noch etwas allein.“ Sofort konnte ich spüren, dass mir das Blut ins Gesicht schoss. Es war mir einfach peinlich. Aber Leo blieb vollkommen cool. „Nein, braucht ihr nicht. Wir sind zu hungrig und da ich ein tolles Frühstück erwarte, gehen wir jetzt hinunter und beginnen den Tag mit Nahrungsaufnahme.“

Ein starker Text, wir mussten alle lachen. Entsprechend gut gelaunt erschienen wir in der Küche. Dad hatte schon fast alles vorbereitet. Das war mir jetzt allerdings etwas unangenehm, denn ich war ja genauso Gastgeber. Aber Dad lachte, als er uns begrüßte.

„Na, ihr vier Helden der Nacht. Habt ihr gut geschlafen? Es erwartet uns ein großartiges Frühstück.“

Dabei zeigte er auf den Esstisch, der bereits mehr als reichhaltig gedeckt war. Das sah einfach toll aus.

„Aber wenn du schon alles vorbereitet hast, dürfen wir dann das Abräumen übernehmen?“, fragte ich. „Sicher doch, dann kann ich mit Klaus und Nadine noch einmal eine Runde ums Haus machen. Und bevor unsere Gäste wieder aufbrechen, gehen wir dann gemeinsam noch in den Keller, um uns den Karmann anzuschauen.“

Wir nahmen alle am Tisch Platz und es folgte ein wunderbares Frühstück. Allerdings stieg meine Unruhe. Mein Wunsch war es natürlich, dass Leo die zweite Ferienwoche bei mir bleiben konnte.

„Dad, wir sind ja fast fertig mit essen und ich habe noch eine Sache, über die wir noch nicht gesprochen haben. Wie wird bei uns die zweite Woche Ferien aussehen? Kann Leo noch bei mir bleiben? Und wie würde er dann wieder nach Hause kommen?“

Klaus fing sofort an zu schmunzeln, während Dad mich nur anblickte und erwiderte:

„Ich hatte mich schon gefragt, ob du gar nicht möchtest, dass Leo bleibt. Aber ich muss auch sagen, dass ich sehr erfreut bin über diese Frage. Es ist schön, dass du es nicht als selbstverständlich ansiehst. Und dass du dir auch Gedanken machst, wie er dann wieder nach Hause kommt, ist schön. Ich möchte aber auch wissen, ob ihr euch Gedanken gemacht habt, wie das mit euren Trainingszeiten dann wird. Ich müsste dann in der Woche wohl allein den Fahrdienst übernehmen. Was mit der Corvette noch schwierig sein könnte.“

Verdammt! Das Problem Fahrzeug hatte ich komplett vergessen. Dads Corvette hatte nur zwei Sitzplätze. Und die ZR1 war eine absolute Rarität. Die durfte er nicht meinetwegen weggeben. „Wenn es in dieser Woche mit dem Fahren nicht geht, dann sage ich unserem Trainer Bescheid, dass wir eine Woche nicht kommen können. Aber ich würde es natürlich schön finden, wenn Leo bleiben dürfte.“

Dad nickte, als er antwortete: „Zuerst für dich das Wichtigste, Leo darf gerne die Woche Ferien noch hier bleiben. Das Thema Tanzen besprechen wir morgen noch einmal in Ruhe. Warte bitte bis dahin und sage noch nicht ab. Ich habe da eine Idee im Kopf, aber das kann ich erst morgen abklären.“

„Cool, danke, Dad. Und wie kommt Leo wieder nach Hause? Besprechen wir das auch erst morgen, wenn du deine Idee geklärt hast?“

„Sehr gut kombiniert mein, Sohn. Genau das ist mein Plan.“

„Okay, also räumen wir jetzt mal auf und dann gehen wir alle gemeinsam zum Karmann, bevor Sven und Micha auch wieder nach Hause fahren.“

Schnell hatten wir den Tisch abgeräumt und ich stand jetzt mit Leo in der Küche, um die Sachen in die Spülmaschine zu räumen und die Lebensmittel in den Kühlschrank.

„Ich finde es toll von deinem Vater, dass er mir erlaubt zu bleiben. Das ist ja schließlich auch für ihn mit Aufwand verbunden. Ich bin mal gespannt, was er uns morgen dann präsentieen wird. Ich habe das Gefühl, er hat eine Überraschung im Köcher.“ Dabei gab mir Leo einen intensiven und damit wunderschönen Kuss.

„Du hast vermutlich recht. Ich bin auch gespannt, aber zuerst einmal glücklich, dass du noch bei mir bleibst. Hast du eigentlich schon einmal mit Werkzeug an einem Auto geschraubt?“

Leo schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nur an meinem Fahrrad ein paar Dinge gemacht.“ „Cool, also ein wenig Spaß hattest du schon am Schrauben. Hihihi.“

Wir verließen die Küche und trafen im Garten auf die anderen. Es war für den ersten Januar recht mild und Sven und Micha wollten aufbrechen. Dad meinte aber: „Ihr könnt doch nicht aufbrechen, bevor Justus euch den Karmann gezeigt hat. Oder interessiert euch das gar nicht?“

Sofort kam von Sven: „Doch, natürlich. Ich würde es gerne sehen, wie ihr das neu aufbaut. Justus hat uns noch nicht viel darüber erzählt.“

Mein Dad ging vorweg und Klaus und Nadine folgten als erste. Wir hintendran. Als Dad die Tür zur Garage öffnete, staunte ich nicht schlecht. Der Karmann war bereits lackiert und sah umwerfend gut aus.

„Wow“

„Boah, wie geil“

Meine Freunde staunten mit offenem Mund und auch Leo hatte große Augen.

Dad hatte das Licht in unserer Arbeitsgarage eingeschaltet und danach das Tor geöffnet. Ich war begeistert von dem Anblick mit der fertigen Lackierung.

„Na, mein Sohn, bist du zufrieden mit dem Fortschritt? Ich wollte dich mit der Lackierung überraschen.“

Ich strich mit der Hand über den grandiosen Lack und konnte sofort erkennen, dass es sich um eine Mehrschichtlackierung handelte.

„Das ist doch eigentlich ein VW auf Käferbasis, oder nicht?“, fragte Sven.

Jetzt war ich doch etwas erstaunt, dass ausgerechnet Sven das wusste. Auch Dad wirkte irritiert, aber er erwiderte freundlich:

„Ja, eigentlich hast du recht. Aber dieser hier ist etwas anders. Vielleicht weißt du das ja auch. Ich zeige euch mal etwas.“

Dann ging Dad an die Motorhaube im Heck und öffnete sie. Dort kam der wunderbar aussehende Motor zum Vorschein. Sven machte einen Schritt neben meinen Dad, blickte hinein und sofort kam von ihm: „Das ist kein VW-Motor. So ein Lüfterrad hatten nur die Porsche 911. Das ist krass. Von 50 Ps auf 231 ist nicht schlecht.“

„Nicht ganz richtig“, grinste ich, „es sind sogar 250 PS, weil es ein 964er-Modell ist. Also richtig Kraft im Heck. Ich freue mich schon auf die erste Fahrt mit Dad durch die Sonne.“

„Cool, das glaube ich dir sofort. Darfst du den auch selbst mal fahren?“, fragte Leo mit einem Blick zu meinem Dad.

Dad fing sofort an zu lachen und meinte:

„Na hör mal, er hat ja schließlich mit mir daran geschraubt und stundenlang gearbeitet. Es wird unser gemeinsamer Oldtimer werden. Wenn er richtig fertig ist, hat Justus genug Erfahrungen gemacht und darf ihn dann auch selbst fahren. Aber ich muss noch etwas zu dem Motor sagen. Es ist korrekt, dass der Serienmotor des 964er 250 PS hatte, aber dieses Exemplar wurde bei 9ff komplett revidiert und etwas überarbeitet. Auch das Getriebe wurde modernisiert und ist jetzt ein Sechsganggetriebe. Die Leistung dürfte bei deutlich über dreihundert PS liegen.“

Jetzt bekam ich sogar etwas Herzrasen, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Bisher war Dad da immer zurückhaltend gewesen. Er kam zu mir, legte mir seinen Arm um die Schulter und meinte: „Es gibt aber noch einiges zu tun, bis er zugelassen werden kann. Ich freue mich aber jetzt schon auf unsere gemeinsamen Ausfahrten. Es macht mir ganz viel Freude, mit dir daran zu arbeiten.“

„Und darf Leo jetzt auch mithelfen? Er ist ja die ganze Woche noch hier.“ „Ich hoffe ja, er wird nicht nur in dieser Woche bei uns sein. Wenn er möchte, darf er uns natürlich dabei helfen.“

Mein Freund wirkte eingeschüchtert und seine Antwort war typisch: „Ich habe noch nie an einem Auto geschraubt, ich wüsste gar nicht, was ich da machen sollte. Nicht, dass ich etwas kaputt mache.“

„Glaubst du etwa, ich habe davon Ahnung gehabt, als wir damit begonnen haben? Das hat mir mein Dad alles beigebracht. Und wenn ich das lernen konnte, dann kannst du das auch. Hast du denn überhaupt Lust dazu?“

Jetzt strahlte Leo und nickte.

Das gefiel meinem Dad, denn er zeigte Leo nur noch den Daumen hoch.

Es gab noch ein Highlight für mich, denn Dad griff in seine Tasche und holte ein Schlüsselbund hervor. Er reichte es mir und meinte: „Möchtest du mal den Motor starten? Auch wenn wir noch nicht fahren können, aber er läuft schon richtig gut.“

Mit zittrigen Händen stieg ich in den noch fast leeren Innenraum und steckte den Schlüssel ins Zündschloss, trat die Kupplung und drehte anschließend den Schlüssel. Sofort drehte der Anlasser und der Motor sprang direkt an. Was für ein Sound und ich freute mich riesig über diesen Fortschritt.

Das war dann der Moment, an dem wir uns von unseren Gästen verabschieden mussten. Micha und Sven machten sich auch den Weg. Klaus und Nadine holten noch ihre Taschen und stellten sie in ihr Auto. Dad, Leo und ich standen bei ihnen als Klaus meinte:

„Will, wir bedanken uns für diesen wunderschönen Jahreswechsel und wir freuen uns jetzt schon auf das kommende Wochenende, wenn du uns Leo zurückbringst. Es war wirklich ein Wink des Schicksals, dass wir uns kennenlernen durften.“

Dann folgte eine feste Umarmung und Klaus sagte noch zu Leo: „Ich wünsche dir eine schöne Woche und pass auf dich auf.“

Dann stieg Klaus einfach ins Auto und startete den Motor. Nadine wollte eigentlich Leo noch ein paar mahnende Worte mitgeben, aber sie verzichtete darauf und stieg einfach ein. Ich konnte anhand Leos Reaktion erkennen, dass ihm das sehr recht war. Wir winkten ihnen noch zu, bis sie aus der Straße abgebogen waren, und dann ging es zurück ins Haus.

„Was wollt ihr jetzt machen? Ich würde gleich direkt wieder an den Karmann gehen. Heute wollte ich die Bremse fertig machen. Dann ist das Fahrwerk komplett montiert und wir können sogar mal die Straße rauf und runter rollen.“

Für mich war das ganz klar. Hoffentlich würde Leo auch mitmachen.

„Ich würde gerne mithelfen. Und ich hoffe, Leo wird auch mitmachen.“

Dabei schaute ich zu meinem Freund. Er war sich unsicher als er erwiderte:

„Ich werde es versuchen, ob ich euch überhaupt helfen kann. Aber ich habe keine Arbeitssachen mit.“

„Wir gehen mal in mein Zimmer und dann schauen wir mal, ob du von mir ein paar alte Sachen anziehen kannst. Ich habe da ein paar Sachen, die mir eigentlich schon zu klein geworden sind. Vielleicht passen die für dich.“

Dad ging sich auch umziehen und wir wollten uns dann wieder in der Garage treffen.

Wir standen in meinem Zimmer und Leo hatte sich bereits bis auf die Unterwäsche ausgezogen, als ich ihm eine alte Jogginghose und ein Sweatshirt gab. Ich hatte natürlich auch noch richtige Arbeitssachen, aber die würden ihm zu groß sein.

Er probierte das an und ich konnte sofort spüren, dass es für ihn komisch war. Also legte ich noch eine von meinen Werkstatthosen heraus und eine Arbeitsjacke.

„Du kannst das auch gern anprobieren. Allerdings glaube ich, dass dir das zu groß sein wird.“

Während Leo sich erneut auszog, hatte ich meine Arbeitssachen herausgenommen und zog sie mir an. Als ich fertig war, schaute ich mir meinen Freund an.

„Wow, du siehst jetzt wie ein richtiger Schrauber aus. Hihihi. Und die Hose ist nur etwas lang, das andere geht sogar einigermaßen. Für diese Woche wird es reichen. Wenn wir in Zukunft häufiger hier schrauben wollen, bestelle ich für dich ein passendes Set.“

„Cool, danke. Ich glaube, das wird gleich richtig lustig. Aber du musst mir bitte alles genau erklären, was ich machen soll. Ich habe keine Ahnung.“

„Mach dir keinen Stress. Dad wird mit Sicherheit auch Aufgaben haben, die du sicher bewältigen kannst. Gerade wenn wir Kabel verlegen müssen. Da wirst du ganz bestimmt gut unterstützen können. Wart's ab. Wir werden viel Spaß haben. Und wir müssen ja auch nicht in einer bestimmten Zeit etwas fertig haben. Hauptsache, es ist gut gemacht. Wie lange es dauert, ist egal. Ich habe am Anfang auch wenig gewusst und Dad musste mir ganz viel erklären. Also keine Panik, du bist ja nicht auf den Kopf gefallen. Das wird schon.“

Dann gab ich ihm einen Kuss und wir umarmten uns fest. Es war immer wieder ein schönes Gefühl für mich, mit Leo zu kuscheln und Körperkontakt zu haben.

Will: Die ersten Tage sind spannend

Nachdem ich in der Garage alles sortiert und überlegt hatte, was heute zuerst anstand, hatte ich mir den Akkuschrauber genommen und die vorderen Bremsen abgebaut. Ich wollte alle Bremsleitungen erneuern und auf Stahlflex umrüsten. Damit würde auf jeden Fall immer eine stabile Bremsleistung möglich sein. Auch bei harter Beanspruchung auf der Rennstrecke. Allerdings hatte ich das eigentlich nicht vor mit dem Karmann, aber wer weiß.

Die neuen Stahlflexleitungen lagen schon sortiert bereit, als Justus mit Leo zu mir stieß.

„Hallo ihr beiden. Justus, du kannst direkt mal mit Leo auf der Beifahrerseite anfangen, die alten Bremsleitungen abzubauen. Die Leitungen sind bereits leergelaufen. Also braucht ihr nicht mehr aufzupassen. Und jedes alte Stück Leitung dann direkt durch das neue Stahlflexstück ersetzen. Erst wenn alle Leitungen getauscht sind, werden wir das System neu auffüllen. Wenn ihr Fragen habt, fragt einfach. Ansonsten können wir anfangen.“

„Okay, Dad. Wir fangen da mal an.“

Und tatsächlich hatte Justus von mir schon so viel gelernt, dass er seinem Freund jetzt die Schritte gut erklären konnte und sie die Beifahrerseite schneller fertig hatten als ich die Fahrerseite.

Justus kam zu mir herüber und schaute mir über die Schulter, als ich gerade die letzte Leitung verschraubte.

„Sollen die Bremsscheiben auch schon montiert werden?“, fragte Justus.

„Ja, sicher. Willst du schon anfangen? Oder sollen wir das gleich gemeinsam machen?“

„Ich würde es lieber mit dir gemeinsam machen. Da fehlt mir doch etwas die Sicherheit. Nicht, dass ich schuld habe, wenn das schief geht.“

„Das ist doch okay. Würdest du vielleicht mit Leo für uns einen Kaffee machen. Ich finde, wir haben uns eine kleine Pause verdient. Ich mache hier noch die letzte Schraube fest und bereite dann die Teile für die Bremse vor. Ich komme dann gleich auch hoch in die Küche.“

Justus tippte mir auf die Schulter und verschwand mit seinem Freund aus der Garage. Die Kartons mit den neuen Bremsscheiben lagen auf der Werkbank. Ich legte jeweils einen davon unter das passende Rad und ging dann auch die Treppe hoch.

Als ich die Küche betrat, hatte Justin schon den Rest vom Bienenstich hervorgeholt und auf einem großen Teller bereitgelegt.

„Ich sehe schon, ihr habt auch Lust auf ein Stück Kuchen. Das kommt mir sehr gelegen, denn ich habe auch Appetit auf etwas Süßes.“

Justus grinste und schnitt drei große Stücke von dem Kuchen auf dem Blech ab, legte jedem von uns ein Stück auf den Teller und lachend erwiderte er:

„Wenn wir hart arbeiten, dürfen wir uns auch mit den leckeren Sachen verwöhnen. Außerdem will unser Gehirn auch mit Nahrung versorgt werden. Da ist etwas Süßes genau richtig.“

Ich lachte und zeigte meinem Sohn den Daumen hoch. Für Leo war unser Umgang noch etwas ungewohnt. Seine Eltern hatten wohl einen anderen Umgang mit ihm.

Eine Stunde später standen wir vor der vorderen rechten Radaufhängung und schauten uns die neuen Federbeine und die Radaufhängungen an. Ich hatte gerade erklärt, wie die Ankerbleche und dann die Radnabe zu montieren seien. Erst dann konnten die neuen, viel größeren Bremsscheiben und Bremssättel montiert werden. Justus hatte verstanden, was zu tun sei, bei Leo spürte ich die Unsicherheit. Er fragte:

„Bist du sicher, dass wir schon an diesen Teilen arbeiten sollen? Immerhin sind die Bremsen und die Radaufhängungen ganz wichtig für die Sicherheit.“

„Weißt du, Leo“, antwortete ich, „wenn ich Zweifel daran hätte, würde ich euch das nicht machen lassen. Mir ist vollkommen bewusst, dass ich ganz allein die Verantwortung dafür trage. Und falls es dich beruhigt, ich werde alle Bremsen genauestens überprüfen, bevor wir damit losfahren werden. Also macht einfach und wir schauen uns das am Ende gemeinsam an.“

Das führte dann zu echtem Feuereifer bei den Jungs und am Ende des Tages waren alle Bremsleitungen, alle Bremsen und das Fahrwerk fertig zusammengebaut. Theoretisch könnte das Fahrzeug bereits auf der Straße aus eigener Kraft rollen und auch bremsen. Ein wichtiger Abschnitt war vollendet.

Am nächsten Tag stand ein ebenso wichtiger und neuer Abschnitt an. Ich wollte mit den Jungs gemeinsam zum Skodahändler fahren und dort den Enyak für Justus abholen. Natürlich würde dieses Fahrzeug nicht nur für Justus sein, aber sobald er auch allein fahren können würde, wäre das sicherlich sein Alltagsauto. Ich würde wieder meine Corvette für mich haben und damit Spaß haben können. Und die Jungs waren völlig ahnungslos.

Als ich mit dem Frühstück bereits fertig war, kamen die beiden hinzu.

„Guten Morgen, Dad. Sind wir so spät oder du so früh?“, fragte Justus lachend.

„Moin, ihr beiden. Wie war eure erste alleinige Nacht bei uns? Ihr seht ausgeschlafen aus.“

„Ja“, antwortete Leo lachend, „ es war wirklich eine schöne Nacht. Ich habe exzellent geschlafen und bin bereit für neue Dinge. Gehen wir heute wieder an den Karmann?“

„Na, da hat wohl einer Freude am Schrauben gefunden. Zuerst solltet ihr ein gutes Frühstück einnehmen und danach haben wir einen gemeinsamen Termin im Ort. Ob wir dann heute Nachmittag wieder an den Karmann gehen, sehen wir dann. Er wird uns nicht weglaufen.“

Justus wurde sofort aufmerksam, denn er kannte mich gut. Allerdings verhielt er sich heute clever und nahm einfach am Tisch Platz und begann mit Leo zu frühstücken. Früher hätte er sich mit mir auf eine Diskussion eingelassen und erzwingen wollen, was ich genau geplant hatte.

Leo hingegen begann einfach in Ruhe zu frühstücken, während ich noch die Zeitung las. Erst als beide zu Ende gegessen hatten, fragte Justus mich: „Was genau hast du geplant, Dad? Ich weiß, dass du etwas vorhast.“

„Stimmt, ich habe etwas vorbereitet für uns drei. Aber was speziell, erzähle ich euch noch nicht. Wir werden jedenfalls zu Fuß gehen. Also zieht euch bitte passend an.“

Damit hatte ich beide natürlich verwirrt und gleichzeitig auch neugierig gemacht. Es machte mir Spaß, meinen Sohn ein wenig im Dunkeln zu belassen. Allerdings hatte sich Justus weiterentwickelt und ließ sich auf mein Spiel ein. Es kam weder Protest noch eine Nachfrage.

Eine halbe Stunde später spazierten wir gut eingepackt in warme Jacken durch die kalte Winterluft. Ich vorweg und die beiden Jungs albernd ein wenig hinter mir. Aber als ich das Gelände des Autohauses betrat, war Leo hellwach.

„Hey Justus, ich glaube, dein Papa hat vor, dir ein Auto zu kaufen. Hihihi. Das wäre doch echt ‘ne coole Aktion.“

Mein Sohn schaute seinen Freund verständnislos an und erwiderte trocken: „Du hast doch ´ne Meise. Mal eben ein Auto kaufen. Na klar. Vielleicht schauen wir uns mal um, ob und was es hier so gibt, aber alles andere ist Traumtänzerei.“

Und dann gab er Leo vor der Eingangstür einen Kuss. Quasi zur „Versöhnung“. Leo war überrascht, denn bislang hielten sich beide in der Öffentlichkeit sehr zurück.

Ich hatte bereits die Tür geöffnet und betrat den großen Raum, in dem der Empfang und einige Fahrzeuge standen. Frau Stiller, die Verkaufsleiterin, hatte uns bereits gesehen und kam uns entgegen. Sie begrüßte mich lachend.

„Herzlich willkommen bei uns. Auch an euch beide, herzlich willkommen.“

Sie gab beiden Jungs freundlich die Hand und dann fragte sie uns: „Möchten Sie einen Kaffee? Oder lieber etwas Kaltes zu trinken?“

„Sehr gern einen Kaffee. Was ist mit euch Jungs?“

„Kaffee ist okay“, erwiderte Leo.

Frau Stiller bat die Empfangsdame, drei Kaffee vorzubereiten, und widmete sich dann wieder mir.

„Es ist alles vorbereitet und wir können uns hier vorn in Ruhe an den Tisch setzen. Dort habe ich alles bereitgelegt.“

Ich nickte ihr zu und zog meine Jacke aus. Justus blickte auf den Tisch und bekam große Augen. Er wurde tatsächlich etwas nervös. Leo hingegen hatte seine Jacke ganz leger ausgezogen und sie über die Lehne des Stuhls gehängt. Dann nahm er dort Platz. Justus zögerte einen Moment, aber er setzte sich neben seinen Freund.

„Wir freuen uns, Sie hier als neue Kunden begrüßen zu können, und hoffen auf eine störungsfreie Zukunft. Hier liegen die Papiere und ich übergebe Ihnen schon einmal die drei Fahrzeugschlüssel. Haben Sie noch Fragen oder kann ich Sie an unseren Fahrzeugexperten übergeben, der Ihnen dann alles genau erklären wird?“

„Bevor mich mein Sohn gleich steinigt, weil er überhaupt keine Ahnung hat, was hier passiert, lasst uns zum Fahrzeug gehen. Für mich sind alle Fragen geklärt.“

Wir tranken noch den Kaffee aus und dann ging es in die Nebenhalle. Dort stand ein roter Enyak in einem tollen Finish. Mit Sicherheit wurde das Auto einmal komplett aufbereitet. Es sah aus wie ein Neuwagen.

Ich hatte Justus selten so still und wortlos erlebt, während uns ein freundlicher Mechaniker das Fahrzeug und insbesondere das Laden an der Ladesäule erklärte.

Als es dann zur finalen Schlüsselübergabe kam, erhielt Justus auch einen Schlüssel überreicht und seine Hand zitterte leicht. Dabei blickten seine Augen fragend zu mir. Jetzt wusste ich, meine Überraschung war vollkommen gelungen. Er hatte vorher überhaupt keine Ahnung von dieser Aktion gehabt. Mein Herz schlug schneller und ich freute mich sehr, dass ich damit voll ins Schwarze getroffen hatte.

Als uns der Wagen aus dem Showroom gefahren wurde, stand Justus neben mir und fragte: „Wirst du jetzt die Corvette noch behalten können oder gibst du sie meinetwegen weg?“

Ich staunte über diese Frage. Er konnte sich noch gar nicht richtig freuen, weil ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging und ganz offensichtlich ziemlich zu schaffen machte. Ich nahm meinen Sohn liebevoll in den Arm.

„Selbst wenn ich für dich die Corvette gegen ein normales Auto eintauschen müsste, wäre das gar kein Problem. Aber ich kann dich beruhigen. Die Corvette wird bei uns bleiben. Aber es ist doch vernünftig, auch ein normales Auto zu haben. Und für dich ist die Corvette einfach noch zu heftig. Ich möchte dich damit nicht allein fahren lassen. Zumindest noch nicht. Und ich denke, für die Fahrten zum Tanzen und zu Leo nach Hause macht das so viel mehr Sinn. Der Enyak soll dein Auto sein, das ich mir dann aber auch mal ausleihen möchte. Allein zum Einkaufen ist das viel praktischer.“

Jetzt fing Leo an zu lachen.

„Hihihi, wie geil. Weil man einen Einkaufswagen braucht, bekommt Justus gleich einen großen, roten Wagen. Ich glaube, Justus, du musst deinem Vater dafür ein ganz dickes Dankeschön präsentieren.“

Das kam so cool rüber, dass ich Leo einfach in den Arm nehmen musste und erst danach öffnete ich die Fahrertür.

„So, alle Mann einsteigen. Wir machen eine Probefahrt und Justus fährt. Leo, steigst du bitte hinten ein. Ich möchte Justus beim Fahren unterstützen.“

Justus begann sich den Sitz und die Spiegel einzustellen und seine Hand war immer noch etwas zittrig. Als alles soweit war, fragte ich:

„Ist alles in Ordnung? Du kennst ja schon das elektrische Fahren viel besser als ich. Ich bin ja ein alter Petrolhead mit dem vorsintflutlichen Ami Big Block. Du kennst das ja schon aus der Fahrschule.“

„Boah, Dad. Ganz ehrlich, ich bin gerade komplett überfordert. Ist das wirklich unser Auto? Du hast meinetwegen extra dieses Auto gekauft?“

„Ja, ich habe es gekauft, aber nicht nur deinetwegen. Leo profitiert ja auch davon. Schließlich können wir mit der ZR1 nicht zusammen unterwegs sein. Und du sollst mit einem normalen Auto Erfahrungen sammeln, bevor ich dich in die Corvette setze. Und jetzt fährst du uns etwas spazieren. Ich möchte das Auto kennenlernen und du sollst Praxis hinter dem Lenkrad bekommen. Was meinst du, Leo? Zeigen wir deinen Eltern das Gerät und gehen heute Mittag gemeinsam essen? Oder sind deine Eltern gar nicht zu Hause?“

„Doch, Papa arbeitet in dieser Woche noch im Homeoffice. Mama wollte einkaufen. Soll ich sie anrufen oder willst du sie einfach überraschen?“

„Wir überraschen sie einfach. Und wenn sie keine Zeit haben, fahren wir wieder und suchen uns ein schönes Restaurant für das Mittagessen. Heute machen wir uns einen schönen Familientag.“

Justus fuhr mit dem neuen Auto sehr gut. Er wirkte konzentriert und hatte alles gut unter Kontrolle. Die Bedienung klappte auch schon sehr ordentlich. Er hatte bei den Erklärungen gut zugehört.

„Dad“, fragte er plötzlich, „weißt du, wie viele Kilometer wir fahren zu Leo und wieder zurück? Müssen wir eventuell den Akku aufladen?“

Ich schaute auf die Reichweite im Display. Das sollte bei normaler Fahrweise ohne Probleme reichen.

„Wenn du nicht anfängst zu rasen, reicht das locker. Wir können also zu Hause über Nacht aufladen.“

„Jetzt verstehe ich auch, warum du zu unserer PV-Anlage auf dem Dach jetzt noch eine Wallbox in der Garage eingebaut hast. Wir können den Enyak mit eigenem Strom aufladen. Sehr günstig.“

Ich schmunzelte und zeigte meinem Sohn den Daumen hoch. Der Enyak rollte nahezu geräuschlos mit 110 km/h über die Autobahn. Lediglich Abrollgeräusche der Reifen waren zu hören. Und beim Bremsen oder selbst beim Gaswegnehmen konnte man das Rekuperieren der Motoren hören und spüren.

Woran ich mich ganz besonders gewöhnen musste, die Unterhaltung viel leiser zu führen. In meiner Corvette war es immer recht laut. Gerade auf der Autobahn.

Justus stellte sich gut an. Dafür, dass es seine erste längere Fahrt war, machte er keine nennenswerten Fehler und je länger die Reise dauerte, desto selbstverständlicher agierte er hinter dem Lenkrad. Spannend wurde es noch einmal, als wir bei Klaus vor dem Haus angekommen waren. Justus wollte den Enyak auf der Straße parken, aber Leo meinte:

„Fahr einfach in die Einfahrt. Papas Auto steht hier an der Straße. Also stehen wir nicht im Weg.“

Die Einfahrt war recht schmal und hatte rechts und links zwei sehr schöne Einfassungen aus Stein. Justus war deutlich nervöser geworden.

Jetzt griff ich ein, indem ich meinen Sohn unterstützen wollte.

„Fahr möglichst weit außen an. Ja, genau so. Sehr gut und jetzt richtig einschlagen.“

Justus rollte langsam in die enge Einfahrt und dann traute er sich nicht weiter.

„Ich habe Angst, dass etwas kaputt geht. Meinst du, das klappt so?“

Ich schaute rechts aus dem Fenster. Da war genug Platz.

„Du hast hier reichlich Platz. Schau bei dir und wenn du dort vorbeikommst, dann ist alles bestens. Das schaut gut aus. Langsam reinrollen.“

Und dann stand das Auto vor der Garage und wir stiegen aus. Allerdings musste ich meinen Sohn für diese hervorragende Fahrt zuerst noch loben und das zeigte auch Wirkung. Er freute sich sehr darüber.

Leo stand bereits an der Fahrertür und wollte seinen Freund auch mit einem Kuss belohnen. Da hielt ich mich etwas zurück und war bereits zur Haustür gegangen, um zu klingeln.

Wenige Augenblicke später hörte ich bereits jemanden an die Tür kommen und dann stand mit großen Augen Klaus vor mir.

„Will? Was macht ihr denn hier? Ist etwas passiert?“

„Hallo Klaus. Nein, keine Panik. Aber wir hatten heute den Termin für den Enyak und ich war der Meinung, Justus sollte gleich eine größere Runde drehen. Jetzt sind wir hier und wollten euch fragen, ob ihr Lust habt, mit uns gemeinsam zu essen?“

Mittlerweile waren auch die Jungs zu mir herangekommen und Klaus fragte Leo sofort:

„Und wie ist Justus gefahren? War das gut?“

„Total klasse, Papa. Und das ist ein tolles Auto. Du kannst dir das ja auch mal anschauen. Du wolltest dir vielleicht auch so ein Exemplar zulegen. Justus lässt dich bestimmt mal zur Probe fahren.“

Dabei grinste Leo frech. Das war, als wir uns kennengelernt hatten, unvorstellbar gewesen.

Nadine hatte mittlerweile wohl gehört, dass an der Haustür außergewöhnliche Dinge passierten, und war auch gekommen. Sie begrüßte uns genauso herzlich und ihr gefiel das Rot ganz besonders gut.

„Schatz“, fragte Klaus, „Will will mit uns essen gehen. Justus erste längere Fahrt mit dem neuen Auto soll gebührend belohnt werden. Was meinst du dazu? Sind wir dabei?“

„Das ist ja eine Überraschung. Haben die Jungs heute nicht noch Tanzen? Wird das zeitlich nicht zu eng? Aber natürlich gern. Habt ihr schon eine Idee, wo es hingehen soll? Wenn nicht, ich wüsste sofort ein schönes Lokal.“

Ich schaute zu Justus und fragte: „Was meinst du? Wollen wir uns von Nadine mal führen lassen?“

Und bevor er antworten konnte, hatte Leo reagiert.

„Ich weiß, wohin Mama möchte. Das ist total cool dort. Ich bin sofort dafür.”

Jetzt würde sich Justus natürlich nicht mehr dagegen wehren. Und entsprechend schnell stimmte er zu.

„Jetzt kommt aber erst einmal herein. Wir sollten uns einen Kaffee gönnen. Schließlich ist es immer noch Winter draußen“, lachte Nadine.

Wir standen in der Küche, als Klaus mich fragte: „Und wie fährt sich das Auto? Bist du zufrieden?“

„Nach der Probefahrt zu urteilen, bin ich sehr zufrieden. Wenn du jetzt genauere Details möchtest, musst du Justus fragen. Er hat uns hierher gefahren. Mein Eindruck ist aber sehr gut. Sowohl vom Fahrer als auch vom Auto.“

Justus blickte immer wieder zwischen uns hin und her, aber als ich den letzten Satz gesagt hatte, musste er doch lachen. Auch Leo schien das zu gefallen, denn er gab Justus als Bestätigung einen lieben Kuss.

„Okay, ich habe verstanden. Also bist du auch zufrieden, Justus?“

„Aber hallo! Ein geiles Auto und ich kann es eigentlich noch gar nicht richtig begreifen, dass Dad das einfach gemacht hat. Aber damit sind wir alle Probleme mit dem Fahren zum Tanzen auf einmal los. Ich freue mich tierisch. Ein sehr schönes Auto ist es obendrein noch. Vor allem finde ich die Farbe mega geil.“

„Na, Will, ich würde sagen, alles richtig gemacht. Dann lasst uns mal zur Feier des Tages zum Mittagessen fahren. Ich bekomme langsam Hunger.“

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Nur Klaus fragte dann, ob wir nicht alle mit dem Enyak fahren könnten.

Es war ein Fünfsitzer, also sollte das klappen. Und so wurde es auch gemacht und Klaus staunte über den Platz und den Komfort des Autos. Ich wurde immer sicherer, das würde Klaus’ nächstes Fahrzeug werden.

Beim Aussteigen vor dem Lokal fragte Nadine Justus: „Und das war heute deine erste richtige Fahrt seit dem Führerschein und dann auch noch mit dem neuen Auto? Ein großes Kompliment für die Fahrt. Man kann nicht wirklich erkennen, dass du ein Fahranfänger bist.“

„Stimmt“, ergänzte ich, „er hat viel Gefühl für das Fahrzeug und die enorme Beschleunigung. Eben ein Tänzer, hihihi.“

Justus schien das etwas unangenehm zu sein. Er wurde leicht rot, aber Leo reagierte schlagfertig:

„Dann habe ich ja auch Chancen, das Autofahren gut zu lernen. Ich bin schließlich auch Tänzer.“

Das hatte zur Folge, dass wir alle laut lachen mussten und ich Leo „high five“ gab. „Was ich schon lange mal die Jungs fragen wollte, habt ihr eigentlich einen Tanz, den ihr besonders gern mögt?“

Nach dieser Frage schaute mich Justus überrascht an. Leo überlegte keine Sekunde und wie aus der Pistole geschossen kam:

„Natürlich die Samba. Das ist mein Favorit.“

Das überraschte mich doch. Die Samba war für mich einer der ausdrucksstärksten Tänze überhaupt. Und Leo wirkte immer ein wenig gehemmt und fast ängstlich. Bei der Samba war eine lebendige, fast mutige Bewegung des ganzen Körpers gefordert. Ich sollte mir einfach mal die Jungs beim Training anschauen.

Justus ergänzte seinen Freund:

„Ich finde die Samba auch sehr schön, aber den Jive mag ich noch lieber. Da kann ich mich mal so richtig auslassen.“

„Und ich muss immer aufpassen, dass ich hinterherkomme. Du bist immer viel zu dynamisch für mich. Das sieht dann richtig komisch aus.“

Das konnte ich mir allerdings gut vorstellen. Justus konnte sehr vorangehen und die treibende Kraft sein, wenn er etwas unbedingt erreichen wollte.

„Wann habt ihr das nächste Training, heute oder morgen? Und wäre es für mich erlaubt, mir einmal ein Training von euch anzuschauen? Oder fühlt ihr euch dann gestört? Und gebt bitte eine ehrliche Antwort. Ich akzeptiere das, sollte euch das noch nicht so angenehm sein.“

Die beiden Jungs blickten sich an und bei Leo konnte ich sofort die Unsicherheit erkennen. Ihm war das gar nicht recht. Und Justus reagiert großartig.

„Ich glaube, Dad, es ist besser, das noch etwas zu verschieben. Noch ist das alles sehr neu für uns und uns wäre es etwas peinlich, wenn das dann noch nicht so funktioniert.“

Leo war seinem Freund sichtlich dankbar für diese Antwort. Nadine musste schmunzeln und auch Klaus schien schon seine Erfahrungen gemacht zu haben. Damit war das für mich auch vom Tisch und ich würde sie weiterhin nur dorthin fahren. Zumindest vorerst.

Justus: Zum Tanzen fahren

Heute ging es zum ersten Mal mit dem neuen Auto zum Tanzen. Natürlich hatte Dad darauf bestanden, dass ich fahren sollte. Also machten wir uns auf den Weg und ich musste aber feststellen, dass in unserem Tanzoutfit das Autofahren schwieriger war.

Aber wir trugen es auch nur heute, denn wir sollten für das Wochenende schon in unseren schönen Sachen trainieren. Sozusagen die Gewöhnung an das Outfit. Entsprechend froh war ich, als wir vor der Trainingshalle standen und ich aus dem Enyak steigen konnte. Dad meinte noch zum Abschied:

„Du wirst immer sicherer beim Fahren. Das gefällt mir gut. Und jetzt wünsche ich euch einen schönen Trainingsabend. Ich hole euch später wieder ab. Wenn etwas sein sollte, ruft mich einfach an.“

Danach umarmte er zuerst Leo und dann mich zum Abschied, stieg einfach ein und fuhr wieder nach Hause.

„Dein Vater ist echt cool“, meinte Leo und legte seinen Arm um mich.

„Ja, das stimmt“, erwiderte ich, „aber jetzt sollten wir zügig zum Training gehen. Sonst sind wir zu spät und das ist blöd.“

Leo und ich betraten die Halle und stellten unsere Rucksäcke mit den Getränken auf die Tribünen.

Stefan, unser anderer Trainer, begrüßte uns.

„Moin, ihr beiden. Schön, dass ihr pünktlich seid. Wie geht es euch? Natürlich noch ein frohes Neues Jahr und seid ihr gut ins Neue Jahr gekommen?“

„Ja, wir haben ein tolles Silvester gehabt und Justus’ Vater hat auch für eine große Überraschung gesorgt. Eine rote Überraschung mit vier Rädern“, antworte Leo.

Stefan schaute mit großen Augen zu mir.

Ich empfand es etwas übertrieben, dass Leo das zuerst berichtet hatte. Aber ich wollte cool bleiben und mich nicht aufregen.

„Jetzt sag nicht, du hast ein Auto bekommen?“, fragte mich Stefan.

„Doch, einen Skoda Enyak. Ein elektrisches Auto mit viel Platz. Dad war der Meinung, dass seine ZR1 für mich noch zu gefährlich sei und außerdem ist das auch nur ein Zweisitzer.“

Mittlerweile waren auch schon einige andere Paare zum Training in der Halle. Einige wärmten sich bereits auf und das tat ich jetzt mit Leo ebenfalls. Eine Verletzung wäre jetzt sehr unpassend gewesen.

Leo und ich waren gerade dabei, eine Figur für den Jive zu probieren, als plötzlich jemand durch die Halle rief:

„Leo und Justus, könnt ihr bitte einmal kommen?“

Wir schauten uns um und sahen Stefan uns zuwinken. Wir unterbrachen unser Aufwärmen und gingen bereits leicht verschwitzt zu unserem Trainer.

„Sorry, dass ich euch unterbreche, aber ich habe gerade einen Anruf von Mathias und Steffi erhalten. Ihr kennt die beiden ja auch bereits.“

„Ah, das sind die Trainer der Turniertanzgruppe. Die bereits in der Bundesliga tanzen.“

„Genau“, meinte Stefan, „sie fragen ob ihr vielleicht am Wochenende bei ihnen aushelfen könntet. Ihr seid gerade im Jive mega gut und bei ihnen ist ein Paar ausgefallen. Und bevor ihr fragt, ob ihr überhaupt dort starten dürft, ja, als Aushilfspaar ist es bereits erlaubt. Und bevor ihr euch aufregt: Ich gehe davon aus, dass sich bereits im nächsten Jahr die Regularien ändern werden und dort auch gleichgeschlechtliche Paare teilnehmen dürfen. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Das überraschte mich komplett. Auch Leo wirkte ratlos. Ich war mir unsicher. Leo meinte dann:

„Können wir vielleicht erst einmal mit unseren Eltern telefonieren, ob wir da Zeit haben?“

Ein kluger Schachzug. Wir würden vor allem auch Zeit haben, in Ruhe miteinander darüber zu sprechen. Nicht nur mit unseren Eltern. Denn ich war mir sicher, sollten wir das machen wollen, würde uns Dad auf jeden Fall unterstützen. Ich ging also mit Leo aus der Halle, um uns in Ruhe zu beraten.

„Was meinst du zu dieser Sache? Wollen wir das wirklich machen oder hast du Bedenken?“

Leo wirkte angespannt. Ich sah das als große Chance, den Funktionären zu zeigen, dass wir genauso tanzen würden wie ein heterosexuelles Paar. Unabhängig vom Können. Aber es würde nicht groß anders aussehen. Leo hatte einige Augenblicke gezögert, aber dann hatte er für sich eine Entscheidung gefunden.

„Wenn wir diese Chance nicht nutzen, wird man uns das immer wieder vorhalten. Wir müssen das machen, allein um anderen schwulen Paaren eine Chance zu geben. Egal, ob wir dafür schon gut genug sind oder nicht. Das werden eh die Kampfrichter entscheiden. Hoffentlich machen sie es fair.“

„Danke, Leo. Ich sehe es genauso und wir machen das. Ich bin mir auch ganz sicher, unsere Eltern werden uns komplett unterstützen. Egal, wie das ausgehen wird.“

Und dann wollte ich wieder zurück in die Halle, aber Leo meinte:

„Willst du nicht zumindest deinen Vater fragen, ob er das gut findet und uns unterstützt? Wir müssen ja auch irgendwie dahin kommen und am Montag geht die Schule wieder los. Das sollten wir geklärt haben.“

„Wir fragen erst einmal, wann und wie das genau am Wochenende ablaufen soll. Danach klären wir die Details.“

Leo war einverstanden und somit betraten wir wieder die Halle. Stefan wartete bereits auf uns und unsere Entscheidung. Er kam uns entgegen.

„Da seid ihr ja wieder. Was haben eure Eltern gesagt? Dürft ihr mitmachen?“

„Wir dürfen“, antwortete ich, „aber wie lange wird das am Sonntag dauern? Wir müssen ja am Montag wieder in die Schule und wenn wir erst sehr spät zurück sind, wäre das nicht so gut.“

„Kein Problem“, erwiderte Stefan, „der Wettkampf beginnt um zehn Uhr morgens und sollte am Nachmittag gegen fünf beendet sein. Da wir einen Heimwettkampf haben, solltet ihr um acht wieder zu Hause sein können.“

Das würde ein langer Sonntag werden und mit Sicherheit auch sehr anstrengend, aber diese Chance mussten wir wahrnehmen. So schnell zu einer Akzeptanz kommen zu können, das mussten wir nutzen.

Ich schaute Leo an und erkannte Zustimmung in seinem Gesicht. Also sagten wir unserem Team zu und erst danach fiel mir eigentlich eine wichtige Frage ein. Ich stellte sie, nachdem Stefan unserem Mannschaftskapitän zugesagt hatte.

„Warum eigentlich Leo und ich? Wir sind die Jüngsten und die Neuesten. Sind die anderen nicht viel besser dafür geeignet?“

Stefan fing an zu lächeln.

„Warum habe ich diese Frage noch erwartet? Hihihi“, lachte er, „Ganz einfach, ihr habt eine Art zu tanzen, die ist einzigartig. Anders als die meisten anderen Paare. Genau deshalb wollen wir euch der Öffentlichkeit vorstellen. Wir sind uns vollkommen bewusst, dass es für euch das erste große Turnier sein wird. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Kampfrichter von euch total überrascht sein werden. Es ist vollkommen egal, was für ein Ergebnis ihr erzielen werdet. Ihr sollt bitte nur genau so tanzen, wie ihr das immer macht. Dann wird das gut sein. Vertraut uns. Und um euch zu beruhigen, ich werde euch begleiten. Ich werde am Sonntag mit dabei sein.“

Das löste bei mir ein gutes Gefühl aus. Stefan kannte uns am besten von allen Trainern und auch menschlich verstanden wir uns sehr gut. Selbst Leo hatte mittlerweile sein Misstrauen abgelegt und konnte Stefans Hilfen auch annehmen und umsetzen.

„Das hört sich gut an“, lachte Leo, „aber ich möchte jetzt endlich mit dir tanzen. Ich werde wieder kalt.“

Das war die Ansage und dann ging es auch los. Heute wollten wir eigentlich alle Lateintänze einmal durchtanzen, aber Stefan hatte vorgeschlagen, nur den Jive und die Samba zu perfektionieren.

Nach dem dritten Durchgang Samba war Leo begeistert, ich weniger. Ich war unzufrieden. Ich hatte das Gefühl, bei einer bestimmten Drehung zu steif zu sein. Leo bemerkte das natürlich und anders als sonst, kam er nicht zu mir und redete mit mir. Nein, er ging zu Stefan und schien ihm etwas zu erklären. Stefan schaute ihm direkt ins Gesicht und fing plötzlich an zu lachen. Richtig heftig zu lachen. Dabei kamen die beiden auf mich zu. Ich war genervt, aber auch irritiert.

„Leo meint, du bist unzufrieden mit dir? Warum? Leo ist total begeistert.“

Stefan hatte schlagartig aufgehört zu lachen und stand jetzt ruhig vor mir.

„Ich fühle mich in der dritten Schrittfolge mit der Drehung unfassbar steif. Leo schwebt immer und ich fühle mich wie ein alter Sack. Das nervt“.

Mein Puls raste. Bisher war ich noch nie so unzufrieden gewesen. Aber vielleicht wollte ich auch zuviel. Ich war jetzt total verunsichert. Stefan nahm mich in den Arm und führte mich von der Tanzfläche. Leo folgte schweigend hinter uns.

„Schau mal, Justus“, begann Stefan ruhig und freundlich, „Du bist momentan etwa einen Kopf größer als Leo. Da ist das Sich-Drehen für dich anders als für Leo. Er muss sich etwas schneller drehen und auch bewegen, um mit dir synchron zu bleiben. Sei nicht so selbstkritisch. Von außen sieht das richtig gut aus. Ich mache dir einen Vorschlag. Ich werde eure Samba jetzt einmal aufnehmen und wir schauen uns das gleich einmal zusammen an. Wenn du möchtest, können auch die anderen mal etwas dazu sagen. Aber deine Bewegungen sind sehr gut und harmonisch. Das ist verdammt nicht einfach, mit diesem Größenunterschied so synchron zu bleiben. Entspannt euch und dann möchte ich eure Samba einmal komplett sehen. Sagt Bescheid, wenn ihr soweit seid.“

Stefan gab mir einen Schubser auf die Schulter, zwinkerte Leo freundlich zu und ging einfach zu den anderen Paaren und gab seine Korrekturen.

Und erneut überraschte mich Leo. Er kam auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen zärtlichen Kuss. Dann flüsterte er:

„Komm, lass uns die Samba komplett tanzen. Und zum Abschluss möchte ich mit dir noch den Jive grooven.“

So mutig hatte ich Leo in der Öffentlichkeit noch nicht häufig erlebt. Aber mir gefiel das gut und schnell war mein schlechtes Gefühl verflogen. Leo gab Stefan ein Handzeichen und führte mich auf unsere Startposition. Wenige Augenblicke später begann unsere Musik und ich hatte keine Sekunde mehr zum Nachdenken. Leo legte direkt los und bei der Samba führte er, während ich beim Jive das übernahm. Auch das war etwas außergewöhnlich. Wechselnde Führungen waren beim Tanzen selten.

Immer wieder hörte ich von Leo ein paar leise Kommandos oder Anfeuerungen für mich. Nicht aufdringlich oder gar laut. Aber ich hörte sie deutlich. Und es machte richtig Freude, mit Leo über das Parkett zu fegen. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass wir allein auf der Fläche herumtobten. Und als wir unsere Endposition auflösten, hörten wir sogar Applaus.

„Sag mal, was hast du für ein Problem, Justus. Das war ganz großes Kino. Und dann noch in eurem mega Outfit, das wird am Sonntag den Gegner komplett überraschen. Erholt euch etwas und dann möchten wir noch euren Jive sehen“, rief uns Stefan zu.

Selbst Leo lief der Schweiß von der Stirn. Das hatte ich noch nicht oft bei ihm gesehen. Bei mir war das anders, ich brauchte mich nur ein wenig zu bewegen und stand direkt im Schweiß.

Ich holte uns etwas zu trinken aus der Tasche und setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die Wand.

„Weißt du, Justus, das war gerade mega gut. Das war unser bester Tanz überhaupt. Das hat so viel Spaß gemacht. Ich bin schon total gespannt, wie der Jive sein wird. Da bist du ja noch viel besser als ich.“

Dann legte Leo seinen Arm um mich und gab mir erneut einen zärtlichen Kuss. Ein wundervolles Gefühl.

Ich fühlte mich schon ziemlich erschöpft, aber verspürte auch eine große Vorfreude auf den Jive mit Leo. Ich atmete noch einige Male tief durch und dann stellten wir uns zum Jive auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wie sollte das bloß am Sonntag werden?

Stefan startete unsere Musik und los ging es. Energie floss zwischen uns beiden hin und her und wir hatten beide wieder ganz großen Spaß. Obwohl ich völlig außer Atem war, staunte ich, wie schnell der Tanz vorüber war. Und es herrschte totale Stille in der Halle. Was hatte das zu bedeuten? Erst einige Sekunden, nachdem wir geendet hatten, hörten wir Applaus und Stefan kam kopfschüttelnd auf uns zu:

„Das war großartig. Es ist völlig richtig, euch beide als Verstärkung mitzuschicken. So tanzt niemand sonst. Das ist absolut einzigartig.“

Mehr ließ sich Stefan nicht entlocken. Außer der Aufforderung:

„Geht bitte direkt duschen. Das müsst ihr genau so abspeichern und für das letzte Training mit der Mannschaft abrufen. Es ist einfach toll.“

Wir schauten uns an und ich zuckte nur mit den Schultern. Leo fragte nach:

„Sollen wir wirklich schon Schluss für heute machen? Du meinst, dass das gut genug ist?“

„Ja, absolut. Es kann kaum noch besser werden. Euer Stil ist faszinierend.“

Wir nahmen unsere Taschen und gingen uns umziehen. Ich war komplett durchgeschwitzt und auch unsere Oberhemden waren klitschnass.

„Ich glaube, wir sollten Dad fragen, wo wir unsere Turniergarnitur reinigen lassen können. Damit wir Sonntag wirklich optimal vorbereitet sind. Das Abschlusstraining machen wir in Trainingssachen.“

„Das ist eine gute Idee und jetzt lass uns duschen gehen. Oder warte, wir sollten deinen Vater vielleicht anrufen, damit er uns früher abholen kommt. Sonst müssen wir länger warten.“

„Nein, ich möchte bei den anderen zuschauen. Vielleicht können wir uns noch etwas abschauen. Diese dreißig Minuten sind kein Problem für mich. Oder bestehst du darauf, sofort nach Hause zu fahren?“

Leo war einverstanden und so saßen wir wenig später frisch geduscht auf der Tribüne in der Halle. Und die anderen Paare tanzten ihre Kür und Stefan machte sich Notizen. Als er uns auf der Tribüne gesehen hatte, setzte er sich zu uns.

„Na, habt ihr euch etwas erfrischt und erholt? Wie geht es euch jetzt? Seid ihr immer noch so aufgeregt?“

„Jetzt gerade bin ich nur erschöpft“, schmunzelte Leo, „Aber ich bin mir sicher, spätestens am Samstagabend werde ich wieder sehr aufgeregt sein. Nicht falsch verstehen, ich freue mich unheimlich, diese Chance zu bekommen. Mein Freund zweifelt manchmal noch, aber bis dahin bekomme ich das schon hin. Vielleicht hilft es ja, dass bald schwule Paare genauso mit den Hetero-Paaren in einem Wettbewerb sein werden.“

Stefan klopfte Leo lachend auf die Schulter.

„Gut gebrüllt, Löwe. Genau das sehe ich auch so. Und Justus möchte ich mit nach Hause geben, zweifele nicht so an dir. Du bist ein wunderbarer Mensch und ob die Mannschaft am Sonntag gewinnt oder verliert, ist nicht so wichtig. Du musst dir den Spaß am Tanzen erhalten. Dann wirst du extrem gut sein. Ich freue mich, euch kennenlernen und euer Talent fördern zu dürfen. Und denkt nicht so viel über den Sonntag nach.“

Ich hatte seine Worte vernommen und auch aufgenommen. Aber sie verwirrten mich noch. Mit einem Ablenkungsmanöver wollte ich vom Thema ablenken.

„Bist du am Freitag beim Training der Mannschaft auch dabei oder sollen wir da allein hingehen?“

„Netter Versuch von dir, abzulenken, aber ja, ich werde auch anwesend sein und euch zum Mannschaftstraining begleiten. Es sei denn, ihr wollt das nicht.“

„Sehr witzig, du Blödmann“, kam von Leo und damit war das vom Tisch.

Ich schaute auf die Uhr und musste feststellen, dass Dad vermutlich bereits vor der Halle warten würde. Wir verabschiedeten uns von allen und verließen die Halle.

Will: Action und Spannung

Also, eines konnte mein Sohn wieder richtig gut. Mich überraschen. Am Wochenende wollten die beiden Jungs in der Bundesliga aushelfen. Sie sind dazu eingeladen worden und wollten das auch machen. Für mich eine klare Sache, da würde ich unterstützen. Mit Nadine und Klaus hatte ich vereinbart, dass wir die Jungs erst vor Ort treffen würden. Sie sollten mit dem Team anreisen und im Anschluss würde Leo mit seinen Eltern wieder nach Hause fahren. Das würde für Justus sicherlich nicht so einfach sein, aber es würde viel Zeit und Aufwand sparen.

In der letzten Ferienwoche hatten wir schon fleißig am Karmann gewerkelt und genau dort befanden wir uns gerade. Heute war Freitag und ich verlegte einige Kabel im Innenraum und wollte die Instrumente anschließen. Justus und Leo sollten die neuen Reifen und Felgen montieren und säubern. Es war halt alles recht staubig durch das Arbeiten am Auto. Außerdem sollte das Fahrwerk auf die richtige Höhe eingestellt werden. Ich hatte Justus die Höhe gesagt und wie er die Dämpfer entsprechend auf die Höhe einstellen sollte. Damit hatten sie jetzt auch zu tun. Ich war gespannt, wie das am Ende aussehen und vor allem auch fahren würde.

„Dad“, hörte ich Justus vom Heck des Autos, „kannst du bitte einmal kommen? Wir sind uns nicht sicher, ob das so richtig ist.“

Ich legte meine Zange aus der Hand und verließ den Innenraum. Ich stand bei den Jungs an der rechten Hinterradaufhängung.

„Schau mal hier, Dad. Dieser Anschluss am Bremssattel sieht anders aus als die anderen. Soll das so sein?“

Ich schaute mir das an und musste feststellen, dass dort eine falsche Manschette montiert war. Diese Bremsleitung hätte undicht werden können. Das musste auf jeden Fall getauscht werden.

„Sehr gut aufgepasst, Justus. Das ist nicht richtig. Das muss ersetzt werden. Schaust du bitte einmal, ob wir noch eine richtige Leitungsmanschette haben? Sonst müssen wir davon welche bestellen. Aber ich meine, da müssten noch einige sein.“

Die Bremsleitungen hatten wir selbst verlegt und ich konnte mir nicht erklären, warum ich diese eine falsche Verbindung eingebaut hatte. Aber Justus hatte es bemerkt und somit konnten wir das ohne Probleme korrigiert.

Kurze Zeit später stand Leo an der Fahrertür und fragte:

„Kannst du bitte einmal schauen, ob das eine passende Verbindung ist?“

Ich nahm die kleine Tüte mit dem Teil in die Hand und erkannte die Richtigkeit.

„Das ist genau richtig. Setzt am besten eine neue Leitung mit dieser Verbindung ein. Dann muss nicht noch an der Leitung getauscht werden.“

Leo nickte und ich konnte hören, wie sie mit dem richtigen Werkzeug diese neue Leitung erstellten. Kurze Zeit später hatten sie alles wieder montiert und auch die Reifen aufgesetzt. Ich hatte während dieser Zeit das komplette Armaturenbrett fertig angeschlossen und wollte die Funktionen überprüfen. Dafür musste der Motor gestartet werden.

Ich hatte den Innenraum des Karmann verlassen und ging zu den Jungs, warf einen Blick auf die neue Leitung und konnte beruhigt feststellen, dass die beiden hervorragend und sehr sorgfältig gearbeitet hatten.

„Ich möchte die neu angeschlossenen Anzeigen überprüfen. Dafür muss der Motor gestartet werden. Und ich möchte auch prüfen, ob die Beleuchtung jetzt korrekt funktioniert. Also kann bitte einer von euch den Motor starten?“

Dabei hielt ich den Schlüssel hin und war gespannt, wer von den beiden Jungs das machen würde. Justus zeigte sofort auf Leo und forderte ihn auf:

„Los, du machst das. Ich durfte ja schon einmal starten. Heute machst du das.“

Leo schaute mich fragend an. Ich gab ihm umgehend den Schlüssel in die Hand und dann setzte sich Leo in den noch leeren Innenraum. Alle Leitungen lagen offen in Kabelsträngen im Innenraum. Vorsichtig, ohne ein Kabel zu beschädigen, hatte er sich hingesetzt. Ich hatte dafür eine leere Sprudelkiste als „Sitz“ hineingestellt.

Leo steckte den Schlüssel in das Zündschloss und drehte. Alle Kontrollen leuchteten korrekt auf.

„Das sieht gut aus, du kannst starten“, sagte ich.

Der Anlasser surrte und dann startete der Boxermotor. Ein wunderbares Geräusch füllte die Garage. Justus hatte schon das Tor geöffnet, damit die Abgase sofort heraus konnten. Ich überprüfte alle Instrumente. Das schaute gut aus. Nur die Temperaturanzeige für Öl stand natürlich noch bei null.

„Lass ihn noch etwas laufen. Bis das Öl auch Temperatur hat und ich sehen kann, ob diese Anzeige auch funktioniert.“

Leo nickte und schaute fasziniert auf alle Rundinstrumente. Ich gab den Jungs ein Zeichen, noch draußen auf die Einfahrt zu kommen. Leo wirkte unsicher.

„Kann denn der Motor ohne Aufsicht schon laufen?“, fragte er mich.

„Ja, kein Problem. Ich habe ja nur die elektrischen Leitungen neu angeschlossen. Die eigentliche Versorgung des Motors war ja schon geprüft und in Ordnung. Da kann nichts passieren.“

Justus freute sich über den ruhigen Motorlauf und meinte:

„Wenn das alles so gut weiterläuft, können wir vielleicht schon im Sommer damit fahren. Oder wie siehst du das?“

„Ich bin sehr vorsichtig. Es ist ein altes Auto und da kommen praktisch zwei Fahrzeuge zu einem zusammen. Da kann immer etwas passieren. Aber du hast recht, momentan läuft es dank eurer Unterstützung richtig gut. Das darf gern so bleiben.“

„Was hast du heute noch an Arbeiten geplant?“, fragte mich mein Sohn.

„Eigentlich sind wir für heute fertig. Wenn das Ölthermometer auch richtig funktioniert, können wir alles einpacken und duschen gehen. Dann ist ein gemütlicher Abend angesagt. Was habt ihr geplant? Macht ihr eigentlich morgen noch Mannschaftstraining für Sonntag? Oder ist bereits alles perfekt?“

„Leo möchte einmal mit mir ins Billard-Café. Ist das dann ok? Oder hast du etwas geplant?“

„Ich wollte mit euch essen gehen und danach würde ich euch dorthin bringen und später dann auch abholen. Habt ihr morgen noch ein Training?“

„Nein“, antwortete Leo, „Stefan und auch die anderen Trainer meinten, wir seien gut drauf und es würde völlig reichen, wenn wir uns erst am Sonntag früh zur Abfahrt treffen würden.“

„Also ist morgen das letzte Mal richtig ausschlafen angesagt, denn am Sonntag müssen wir ja wieder früh aufstehen und am Montag geht die Schule für euch wieder los.“

Das wollten die Jungs natürlich überhaupt nicht hören. In den Ferien schon an Schule denken. Entsprechend zeigte mir Justus seinen Mittelfinger und die Zunge raus. Ich musste laut lachen und hatte auch etwas Verständnis dafür. Aber ich musste ja auch die Rückkehr von Leo im Kopf behalten. Aber das war auch mit Klaus und Nadine schon besprochen. Ich durfte es den Jungs nur noch nicht verraten. Es sollte ja eine Überraschung werden, dass wir uns diesen Wettkampf komplett ansehen würden.

Mittlerweile war der Motor einige Minuten gelaufen und die Anzeige funktionierte. Ich konnte das Aggregat abstellen und sofort fing der Auspuff an zu knistern. Ein typisches Geräusch für einen Porsche-Boxermotor. Leo war das nicht ganz geheuer. Er kniete sich vor das Heck und schaute unter den Wagen.

„Ist das normal, dass der Motor solche Geräusche nach dem Abstellen macht?“

„Ja, das ist vollkommen normal. Du musst dir keine Sorgen machen. Das ist der Edelstahl der Auspuffanlage. Sie kühlt jetzt ab und dabei gibt es diese Knistergeräusche. Ich würde es eher beunruhigend finden, wenn er keine Geräusche machen würde.“

Das genügte Leo und somit beendeten wir unser Tagewerk. Wir räumten unser Werkzeug weg und ich saugte einmal durch die Garage. Damit der gröbste Staub verschwinden würde. Danach deckten wir den Karmann wieder mit einer großen Decke ab.

Justus schaute im Carport nach dem Ladezustand des Enyaks. Auch hier zeigte er große Sorgfalt in der Vorbereitung.

„Wir können ohne Bedenken mit dem Enyak heute Abend fahren. Er ist schon fast vollständig geladen. Du solltest uns damit auch wieder abholen können. Der Akku kann dann wieder über Nacht geladen werden.“

Ich nickte nur und zeigte ihm den Daumen hoch. Für mich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein, falls der Akku voll ist.

Etwa eine Stunde später saßen wir zu dritt in unserem roten Elektrobomber und Justus fuhr uns zu unserem Lieblingsitaliener. Obwohl er ja erst seit kurzer Zeit selbst fahren durfte, hatte ich ein sicheres Gefühl und konnte entspannt auf dem Beifahrersitz den Verkehr beobachten. Leo saß hinten und fragte mich:

„Ist das für dich als erfahrenen Fahrer manchmal schwierig, wenn Justus fährt und nicht so agiert wie du?“

„Hahaha, was ist das denn für eine Frage. Nein, es ist überhaupt nicht schwierig. Er fährt nämlich sehr gut und mit viel Übersicht. Ich sitze hier entspannt und habe ein gutes Gefühl, wenn er bald ohne mich fahren darf. Ich finde es klasse, dass ich nicht mehr immer selbst fahren muss. Und ihn bald ohne Angst mit dir losziehen lassen kann. Wann wirst du mit deinem Führerschein beginnen? Du hast noch etwas mehr Zeit, oder?“

„Ja, ursprünglich hatte ich vorgehabt, mir eine 125er zuzulegen. Papa wäre damit auch einverstanden gewesen, aber Mama hat einen Riesenaufstand gemacht. Und jetzt benötige ich einen großen Roller auch nicht mehr. Zur Schule fahre ich mit dem Rad oder dem Bus. Das sind nur wenige Minuten und wenn ich mit Justus unterwegs bin, wird er ja bald allein hinter dem Steuer sitzen.“

Wir sprachen noch über den morgigen Tag und ich konnte schon etwas Anspannung bei Leo spüren. So cool wie er sein wollte, war er dann doch nicht. Justus hatte mittlerweile das Auto geparkt und wir konnten aussteigen.

Auf dem Weg zum Eingang fiel mir auf, dass die Jungs zwar eng nebeneinander gingen, aber hier in der Stadt ihre Beziehung nicht offen zeigen wollten. Aber als wir das Lokal betraten und wir unseren Tisch zugewiesen bekamen, setzten sich die Jungs zusammen auf die eine Seite und ich saß gegenüber.

Wir hatten unsere Bestellung aufgegeben und ich war zur Toilette gegangen. Als ich nun zurück an den Tisch kam, waren die Jungs in einer regen Unterhaltung. Ich nahm wieder Platz und Leo fragte mich:

„Darf mich Justus auch in der Schulzeit mal besuchen?“

Völlig irritiert schaute ich ihn an.

„Was ist das für eine Frage? Natürlich dürft ihr euch jederzeit verabreden und treffen. Es muss aber auch zeitlich passen und vernünftig sein. Aber an den Wochenenden sollte das kein Problem sein. Wenn deine Eltern damit auch einverstanden sind. Du bist jedenfalls bei uns jederzeit willkommen. Also keine Sorge, dass eure Freundschaft zu kurz kommen wird.“

„Das hört sich gut an. Ich möchte dir aber auch etwas sagen. Ich finde es toll, wie du mich bei euch aufgenommen hast. Das habe ich bei anderen Freunden schon anders erlebt. Ich habe mich in dieser Woche sehr wohl bei euch gefühlt und finde, dass Justus mit dir einen tollen Vater hat. Danke für diese schöne Zeit.“

Was für ein lieber Junge. Und das war ehrlich gemeint. Niedlich war die Situation jetzt mit Justus. Leo war doch sehr aufgeregt und Justus hatte unter dem Tisch seine Hand genommen. Ich empfand das als ganz toll.

Ich nickte ihm zu und ließ das damit auf sich beruhen. Es sollte nicht unangenehm für Leo werden. Dieses gemeinsame Essen hatte für mich etwas Eigenartiges. Zum ersten Mal seit dem Tod meiner Frau hatte ich wieder das Gefühl, eine richtige Familie zu haben. Leo hatte meine Situation genauso verändert, wie sich Justus verändert hatte.

Das Essen schmeckte vorzüglich und auch der Service war wieder hervorragend. Interessant wurde es nur noch einmal, als Gian Piero, der Inhaber und Koch, zu uns an den Tisch kam. Er fragte:

„Will, möchtest du zum Start in das neue Jahr vielleicht einen Grappa? Und dürfen die Jungs auch einen?“

Ich schaute zu Justus, aber seine Reaktion kam umgehend.

„Danke, aber ich muss noch fahren und Dad ist mein Begleiter. Der darf also auch keinen Alkohol.“

Gian Piero lächelte, als er antwortete:

„Sehr vorbildlich, Justus. Das würde ich mir bei meinem Sohn später auch wünschen. Momentan ist er leider viel auf Partys unterwegs. Darf ich euch dafür ein Eis als Nachtisch bringen?“

„Eis ist immer gut“, lachte Justus.

Leo hingegen blieb verdächtig still. Gian Piero hatte aber bereits vor einigen Tagen, als wir zum Essen waren, Leo kennengelernt. Jetzt war Leo erneut mit uns zum Essen hier und Gian Piero schien etwas zu vermuten. Ich war gespannt, was nun passieren würde. Ich kannte ihn schon sehr lange und er kannte natürlich auch Justus schon genauso lange.

Gian Piero stand vom Tisch auf und wollte sich um das Eis kümmern.

Leo wirkte angespannt. Ich verstand es zwar gerade nicht, aber noch wollte ich nicht darauf eingehen. Ich hatte ja eine Vermutung, aber er musste lernen: Mit mir würde er immer in Sicherheit sein.

Leo flüsterte mit Justus, als wir wieder allein am Tisch saßen. Ich mochte das überhaupt nicht. Flüstern innerhalb der Familie war ein „No go“ für mich. Justus wusste das ganz genau. Und bevor ich etwas sagen konnte, antwortete er Leo mit normaler Stimme.

„Du musst dich bei uns nicht zurücknehmen. Du bist ein normales Familienmitglied geworden. Und Flüstern ist bei uns tabu.“

Leo wurde richtig rot.

„Das muss dir nicht unangenehm sein“, sprang ich Justus zur Seite, „Wenn das für dich neu ist, hast du es jetzt mitbekommen. Du bist der Partner von meinem Sohn, also bist du sozusagen mein Schwiegersohn.“

Justus schaute mich mit großen Augen an und fing an zu lachen.

„Hihihi, danke Dad. Aber ich wollte noch nicht heiraten. Aber du hast Recht, Leo gehört trotzdem zu unserer Familie. Und ich möchte mich für deine Unterstützung bedanken. Es ist für uns nicht immer leicht, in der Öffentlichkeit das richtige Verhalten zu finden. Treten wir offen als Paar auf oder eher nur als enge Freunde. Ich habe doch manchmal Angst, offen zu sein.“

Bevor ich dazu etwas erwidern konnte, kam Gian Piero wieder an unseren Tisch. Und er hatte nur zwei Eisbecher auf dem Tablett. Mit drei langen Löffeln.

„So, ich glaube, ich habe es mittlerweile begriffen. Dieser Becher ist für die Jungs und der andere für dich, Will. Ich wünsche euch beiden eine wunderschöne Zukunft und wann immer ihr hier bei uns seid, könnt ihr offen eure Beziehung zeigen.“

Er stellte die Becher auf den Tisch und, was ich großartig fand, er umarmte beide Jungs sehr herzlich. Und für Leo gab es noch ein paar sehr nette Worte. Das tat dem Jungen sehr gut. Er war doch sehr aufgeregt.

Der Samstag verlief für mich sehr entspannt. Die Jungs hatten lange geschlafen, nachdem sie noch recht lange am Freitagabend unterwegs gewesen waren. Erst am Abend wurde es noch einmal interessant. Die Jungs begannen, sich auf den Wettkampf am nächsten Tag vorzubereiten, und dabei spürte ich eine steigende Aufregung. Ob es Nervosität war oder einfach eine Anspannung vor einem Wettkampf, war für mich schwer zu deuten.

Ich entschloss mich, einfach im Wintergarten zu bleiben und in meinem aktuellen Buch über Fahrzeugelektrik zu lesen. Das Feuer im Kamin loderte und ich hatte mir eine schöne Kanne Tee gemacht.

Plötzlich stand Justus vor meinem Sessel.

„Dad, ich habe eine Frage. Irgendwie bekomme ich es nicht richtig hin, mein Hemd zu bügeln. Das war sonst nie ein Problem, aber heute klappt das irgendwie gar nicht und Leo hat das noch gar nicht probiert. Bisher habe ich das immer für ihn gemacht. Könntest du vielleicht mal schauen, was ich heute falsch mache?“

Ich schaute meinen Sohn an und spürte sofort seine Anspannung. Jetzt wäre ein salopper Spruch mit Sicherheit an der falschen Stelle gewesen. Ich legte also mein Buch an die Seite und ging mit Justus in den Wäschekeller. Dort stand auch das Bügelbrett und alles andere notwendige für Kleidung. Leo stand etwas ratlos neben dem Bügelbrett. Er hatte aber anscheinend einige Versuche gestartet, ein paar Shirts von ihm zu bügeln.

„So, dann zeig mir doch mal, wie du das gemacht hast. Vielleicht kann ich dir ja einen Hinweis geben.“

Justus stellte sich an das Bügelbrett und begann sehr hektisch zu bügeln. Dabei kam es immer wieder zum Verrutschen des Kleidungsstückes. Er war schlichtweg zu aufgeregt und ungeduldig. Ich entschied mich, heute einfach das Bügeleisen zu nehmen und es ihm abzunehmen.

Zehn Minuten später lagen seine Sachen und die von Leo gebügelt in der Wanne.

Etwas konsterniert fragte mich Justus:

„Was hast du jetzt anders gemacht? Ich habe es auch genauso gemacht. So wie du es mir gezeigt hast. Es hat doch sonst auch funktioniert. Ich verstehe das nicht.“

Interessant war jetzt Leos Reaktion. Er legte seinen Arm um seinen Freund und meinte lächelnd:

„Vielleicht lag es einfach daran, dass Will es ganz locker und ruhig gemacht hat und du heute etwas ungeduldig und aufgeregt warst.“

Dann gab er Justus einen liebevollen Kuss und ich musste mich sehr zusammennehmen, um nicht laut lachen zu müssen.

„Es könnte einfach so sein“, sagte ich ruhig, „und wenn es so ist, dann ist das doch gar nicht schlimm. Es macht dich einfach nur menschlich.“

Ich nahm meinen Sohn einfach kurz in den Arm und ließ es einfach auf sich beruhen, ging zurück in den Wintergarten und las weiter in meinem Buch.

Der Sonntag versprach auch für mich spannend zu werden. Ich würde auch das erste Mal bei einem Wettkampf meines Sohnes anwesend sein. Und ich war mir nicht mehr so sicher, wie ich mich verhalten sollte. Manchmal hatte ich das Gefühl, Justus würde es gut finden, wenn ich ihn offen unterstützen würde. Aber es gab auch Situationen, bei denen er eher ablehnend war. Daher beschloss ich, mit Klaus und Nadine noch einmal kurz zu telefonieren.

„Hallo Will und einen schönen Sonntagmorgen. Was liegt an? Wir sehen uns doch nachher.“

„Hi Klaus, das wünsche ich euch auch. Ja, aber genau das ist mein Problem. Ich bin mir mittlerweile unsicher, ob es richtig ist, die Jungs nicht offen zu unterstützen. Manchmal erlebe ich gerade Justus sehr angespannt und sogar verunsichert.“

Dann schilderte ich ihm die Begebenheit mit dem Bügeleisen. Klaus hörte gespannt zu und als ich geendet hatte, holte er Luft.

„Puh, das ist echt schwierig. Leo war bisher immer sehr sensibel bei Veranstaltungen z.B. in der Schule. Da habe ich bisher auch eher etwas mehr Abstand gehabt, um nicht noch mehr Druck aufzubauen. Aber Nadine hat die gleichen Beobachtungen gemacht wie du. Sie ist auch unsicher, ob es richtig ist, was wir vorhaben, oder ob es nicht auch ein starkes Zeichen ist, wenn wir sie ganz offen und direkt unterstützen.“

„Was schlägst du vor?“, fragte ich.

„Wir lassen die Jungs mit der Mannschaft zum Ort des Geschehens fahren, nehmen sie aber dort offen in Empfang und bieten ihnen unsere volle Unterstützung an. Sollten sie das nicht wollen, ziehen wir uns wie besprochen in den Hintergrund zurück. Ich glaube, dass das für Leo eine Hilfe ist. Er will alles genauso gut machen wie Justus. Vergisst dabei aber, dass er zwei Jahre jünger ist und eigene Stärken hat.“

„Danke, dass du das so klar sagst. Ich glaube, wir machen es genau so. Ich bringe die Jungs zum Treffpunkt und fahre nur nach Hause und wechsele das Auto. Meine ZR1 braucht mal wieder etwas Auslauf.“

„Genau. Und wir treffen uns dann in der Halle und begrüßen die Jungs. Und nach dem Wettkampf fährt Leo dann mit uns nach Hause und du nimmst Justus mit. Schließlich ist morgen wieder Schule.“

Damit war das geklärt und ich fühlte mich besser mit dieser gemeinsamen Entscheidung.

Leo: Was für ein Tag

Es war eine unruhige Nacht. Immer wieder wachte ich auf und hatte Gedanken zum heutigen Wettkampf im Kopf. Auch Justus hatte unruhig geschlafen. Entsprechend wenig Appetit hatte ich beim Frühstück. Allerdings wusste ich ganz genau, dass ich mehr essen musste. Sonst würde ich den Tag nicht gut überstehen und mit einem Hungerast keine Leistung zeigen können.

Will hatte ein tolles Frühstück vorbereitet und er versuchte auch, uns immer wieder abzulenken. Erst als er dann von einem Event mit Oldtimern sprach, war Justus darauf eingestiegen und es wurde doch noch ein gutes Frühstück. Wir hatten unsere Anzüge gut verstaut und Will fuhr uns zum Treffpunkt mit dem Team. Wir waren mit unserem Coach die ersten aus der Mannschaft. Will stieg mit uns aus und er unterhielt sich mit Stefan. Was genau sie besprachen, konnte ich nicht hören, denn Justus und ich standen etwas abseits. Die anderen Tänzer trudelten ein und ich war froh, dass wir uns gegenseitig etwas ablenken konnten.

Will kam bald zu uns und nahm uns beide noch einmal fest in den Arm. Er verabschiedete sich mit den Worten:

„So, ihr beiden Helden. Ich fahre jetzt wieder nach Hause und drücke euch ganz fest die Daumen. Genießt einfach diesen Teamwettkampf. Bleibt so locker, wie es geht. Ihr seid gut, dass wissen alle. Und ihr seid sehr jung, auch das wissen alle. Niemand erwartet von euch eine besondere Leistung. Nur ihr selbst könnt euch den Spaß kaputt machen. Klaus und Nadine werden genauso mit den Gedanken bei euch sein wie ich. Das wird klappen. Ich bin ganz fest davon überzeugt.“

Danach gab er uns noch einmal „high five“ und stieg wieder ins Auto. Irgendwie vermisste ich meine Eltern und auch ihn als Unterstützung. Vielleicht hätten wir uns doch besser wünschen sollen, dass sie uns begleiten. Egal, jetzt musste es so werden, wie es wird.

Je länger die Fahrt dauerte, desto kribbeliger wurde ich. Die anderen Mannschaftskollegen schliefen sogar während der Fahrt. Unglaublich, wie man jetzt schlafen konnte. Justus saß neben mir und versuchte, sich mit einer Geschichte bei Nickstories abzulenken. Dort gab es wirklich tolle Geschichten über das schwule Leben. Ich hatte auch bereits immer heimlich dort Stories gelesen. Vielleicht sollte ich das jetzt auch machen. Ich nahm mein iPad und öffnete die Seite.

Irgendwann kam von Stefan die Ansage:

„In etwa fünfzehn Minuten sind wir am Ziel. Dann gehen wir uns direkt aufwärmen in der Halle. Schauen uns dabei auch die Bedingungen an und klären alle Abläufe. Fragen dazu?“

Ehrlicherweise hatte ich überhaupt keinen Plan, wie das ablaufen würde. Auch Justus schaute mich fragend an. Plötzlich sagte Stefan:

„Für unsere Youngster eine extra Info. Macht euch keinen Stress. Ich werde mit euch einen Hallenrundgang machen und euch alles zeigen. Außerdem werden euch die Mannschaftskollegen immer als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Also schön locker bleiben.“

Etwas beruhigend, aber so wirklich besser fühlte ich mich nicht. Erst als wir wirklich in der Halle standen und Stefan sich mit uns etwas absonderte, fühlte ich mich wieder sicherer. Auch Justus stand nicht mehr ganz so verkrampft neben mir. Stefan fragte uns:

„Wie geht es euch jetzt? Ist die Aufregung etwas verschwunden? Oder ist es immer noch unangenehm?“

„Beides“, kam spontan von meinem Freund und dabei lachte Justus sogar.

Das half mir, mit ihm zu lachen, und auch Stefan schmunzelte, als er erwiderte:

„Sehr schön. Das beruhigt mich. Es ist vollkommen normal, dass ihr gerade nicht wisst, was hier passieren wird.“

Dabei zeigte er auch auf die aufgebauten Tribünen. Hier würden einige Hundert Zuschauer Platz finden. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

„Wenn hier das Ganze beginnt, wird die Halle voller Menschen sein und euch zusehen. Das darf euch nicht stören. Schaut am besten gar nicht auf die Tribünen. Schaut euch gegenseitig an oder schaut zu mir. Ich werde dort vorn am Rande sitzen und euch helfen, falls das nötig wird. Ich glaube aber, das wird überhaupt nicht erforderlich werden. Ihr seid so gut, dass ihr allen anderen zumindest im Jive und der Samba ebenbürtig seid. Es kann natürlich sein, dass ihr beim Paso Doble und dem Cha Cha Cha etwas weniger gut aussehen werdet. Das ist aber gar kein Problem, denn es gibt immer ein Streichresultat im Team. Aber ich glaube, dass ihr beim Jive, Samba und der Rumba richtig gut performen könnt. Eure einzige Aufgabe ist jetzt: Versucht, so locker wie möglich zu bleiben, und tanzt wie beim Training.“

„Also sind wir bei allen Tänzen gefragt?“, fragte Justus.

„Richtig, aber das ist vollkommen ok. Ihr könnt das. Sonst würde Mathias euch nicht als Verstärkung angefordert haben. Betonung liegt auf Verstärkung, nicht Ersatz.“

In diesem Moment tauchte Steffi bei uns auf. Sie erkundigte sich nach unserem Befinden und meinte dann:

„Wenn ihr euch etwas akklimatisiert habt, kommt doch bitte zu uns herüber. Wir wollen uns gemeinsam aufwärmen und eintanzen. Und ihr müsst wirklich keine Angst haben. Die anderen sind alle schon gespannt auf euch. Jeder von uns weiß, wie schwierig das heute für euch sein wird. Versucht es zu genießen.“

Wir gingen alle gemeinsam zur Mannschaft zurück und jetzt wurden wir von allen abgeklatscht und bekamen ehrliche Aufmunterungen. Danach begann das Aufwärmen und Eintanzen. Innerhalb weniger Minuten hatte ich komplett vergessen, wo ich mich befand. Justus und ich hatten schnell die Bewegungen gefunden und wir waren überrascht, als uns Mathias bat, die Fläche für die anderen zwei Teams freizumachen.

Jetzt ging es ans Umziehen und dabei passierte mir ein Missgeschick. Ich riss mir einen Hemdknopf am Hals ab. Das fing ja gut an. Stefan kam zu mir und blieb ganz ruhig.

„Komm mit. Steffi hat dafür alles dabei. Das ist auch schon anderen passiert.“

Er lachte sogar dabei. Mir war das vollkommen unangenehm und mein Puls raste.

Steffi schaute uns an, als wir zu ihr kamen. Sofort hatte sie erkannt, was das Problem war.

„Na, warst du etwas zu schnell beim Anziehen? Das kenne ich schon. Kommt mit. Das reparieren wir gerade.“

Nach fünf Minuten war wieder alles gerichtet und es gab kein böses Wort. Trotzdem schlug mein Herz bis zum Hals. Plötzlich hörte ich eine mir sehr bekannte Stimme und ich drehte mich um. Auch Justus hatte es gehört. Er war genauso verwundert.

„Da sind ja unsere neuen Cracks am Tanzhorizont“, und ein lautes Lachen folgte.

Vor uns standen meine Eltern und begrüßten uns mit einer tollen Umarmung. Ein großartiges Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. Justus wurde genauso herzlich begrüßt. Außerdem hatte Mama für uns noch eine Information.

„Damit ihr euch nicht wundert, Will kommt auch jeden Moment. Er ist etwas aufgehalten worden auf der Autobahn. Aber er wird pünktlich hier sein. Wir haben gedacht, dass es vielleicht doch ganz gut wäre, wenn wir euch etwas ablenken und unterstützen.“

Wow, dachte ich. Meine Eltern waren doch noch für Überraschungen zu haben. Und tatsächlich tauchte wenige Minuten später Will bei uns auf. Das war für meinen Freund doch sehr positiv. Schlagartig entspannte sich sein Körper. Will hatte natürlich mit seiner ruhigen Art auch großen Einfluss auf Justus.

„Kommt, lasst uns etwas trinken gehen“, schlug Will vor. So langsam kamen auch immer mehr Zuschauer in die Halle und da war es echt gut, dass wir jetzt mit unseren Eltern einfach nach draußen in den Flur gehen konnten. Wir hatten uns bekannte Menschen um uns herum.

Aber die Ruhe währte nicht lange, denn Stefan kam zu uns und bat uns zur Mannschaft zu kommen, der Wettkampf würde beginnen. Ehrlicherweise hatte ich überhaupt keinen Plan, wie das im Detail ablaufen würde. Entsprechend erstaunt war ich, dass wir direkt mit jeweils zwei anderen Paaren der vier Mannschaften beginnen sollten. Und dann auch gleich mit dem Cha Cha Cha. Das war unser schlechtester Tanz der Latein-Tänze. Aber so war nun einmal die Regel.

Justus und ich gingen mit unserem zweiten Paar auf die Tanzfläche und alle Paare wurden vorgestellt. Als unsere Namen genannt wurden, konnte ich sofort die aufkommende Unruhe spüren. Bevor ich länger darüber nachdenken konnte, flüsterte mir Justus ins Ohr:

„Wir werden zeigen, dass wir tanzen können. Los, auf geht es.“

Wenige Augenblicke später war ich mit Justus in unseren Tanz eingetaucht und es kam wieder die Freude der Bewegungen auf. So bemerkte ich gar nicht, wie schnell der erste Tanz vorüber war. Justus gab mir einen Kuss und führte mich auf die Bewertungsposition. Die Kampfrichter bewerteten jedes Paar mit einer Platzierung. Also gab es die Plätze eins bis acht zu vergeben.

Ich rechnete mit einem klaren achten Platz. Ich war zwar nicht unzufrieden mit meiner Leistung, aber es war halt nicht unser Tanz.

Wir wurden als viertes Paar bewertet und erstaunlicherweise erhielten wir von drei der sechs Kampfrichter eine sechs und den anderen drei eine sieben. Das war für mich richtig gut. Entsprechend wurden wir von den Mannschaftskollegen empfangen. So konnte das gern weitergehen.

Wir hatten jetzt eine Pause, bis alle Paare einmal getanzt hatten. Dann wurde der Tanz gewechselt und wir waren erneut an der Reihe.

Ich fühlte mich zwar verschwitzt und außer Atem, aber viel besser. Ich war nicht mehr so nervös. Und als Will zu uns kam, staunte ich. Er hatte eine Cola für uns in der Hand.

„Hier, Jungs, damit ihr nicht unterzuckert. Der Tag wird noch lang und anstrengend. Aber das war doch ein geiler Beginn. Ich bin gespannt, ob die Zuschauer am Ende des Tages gemerkt haben werden, dass auch zwei Jungs hervorragend tanzen können.“

Bevor ich reagieren konnte, reagierte Justus.

„Das war so ätzend, als wir vorgestellt wurden. Dieses Gemurmel macht mich kirre. Auch jetzt werden wir beobachtet, als kämen wir von einem anderen Stern.“

„Leute“, beruhigte uns Will, „was habt ihr erwartet? Die Menschen müssen ihre gewohnten Dinge ändern. Das ist immer schwierig. Erst recht, wenn diese dann auch noch besser sein werden als die alten gewohnten Dinge. Also macht einfach euer Ding und gut ist. Es wird noch dauern, bis ihr als „normal“ akzeptiert werdet. Das haben wir doch vorher schon gewusst.“

Mein Freund pustete durch die dicken Backen und nickte. Aber es war leider nicht ganz so einfach, wie es Will gesagt hatte. Obwohl er recht hatte. Mein Bauchgefühl machte mir da noch Probleme.

Die nächsten Tänze wollte ich aber gar nicht mehr auf die Zuschauer achten. Einfach nur auf uns schauen. Und erneut alles geben.

Und das klappte mit jedem weiteren Tanz besser. Auch Justus wurde lockerer und so kam es, dass wir vor dem Jive und der Samba bereits auf Platz sechs lagen. Das war viel mehr als ich erhofft hatte. Vor allem machten die Wertungsrichter keinen Unterschied zwischen uns und den anderen Paaren.

In der Pause vor dem Jive saß ich mit Justus und Stefan bei unseren Teamkollegen und wir feuerten dezent unser Team an. Insgesamt lagen wir auf Rang drei. Das war richtig gut. Und zu Platz zwei waren es nur geringe Unterschiede. Platz eins war unangefochten und auch berechtigt der Verein aus Bremen. Das waren Legenden. Sie hatten alles gewonnen, was es beim Tanzen zu gewinnen gab. Umso interessierter schaute ich dort zu. Auch einige Ideen für unseren Stil konnte ich sehen. Ich war gespannt, ob sich Justus in den nächsten Wochen darauf einlassen würde.

„Na, du schaust so angespannt zu. Kannst du bei den Bremern etwas Besonderes erkennen?“

Will und Nadine standen plötzlich neben mir. Will legte seine Hand auf meine Schulter und allein diese Berührung gab mir enorm viel Sicherheit zurück.

„Ja, es gibt ein paar Dinge, die ich für uns interessant finde. Aber das muss ich mit Justus beim Training probieren.“

Will schaute mich an und seine Augen leuchteten. Dieses Gefühl von Sicherheit und Schutz war unglaublich für mich. Denn wenige Minuten später standen wir für unsere letzten beiden Tänze auf dem Parkett. Den Jive und die Samba. Ich hatte die Hoffnung, dass wir hier unser bestes Ergebnis für das Team erzielen und damit den dritten Platz halten könnten.

Der Jive wurde grandios. Justus verlor komplett die Angst und wir tobten uns komplett aus. Das war so cool, dass ich vollkommen zufrieden war. Egal, was für ein Ergebnis herauskommen würde. Aber mir ging ein wenig die Luft aus vor unserem letzten Tanz. Davor hatte ich Angst. Allerdings kam jetzt erstmal die Wertung für den Jive.

Will: Die Ferien gingen spektakulär zu Ende

Wir saßen vollkommen gebannt von dem Jive der Jungs auf der Tribüne und als die Wertung erschien, konnte ich es nicht glauben. Dort sah ich durchgehend eine zwei. Nur das Bremer Paar war vor unseren Jungs. Das war unglaublich. Und damit wurde der etwas andere Stil anerkannt. Die Jungs hatten etwas Neues gezeigt, das auf Anerkennung gestoßen ist. Wie geil war das denn bitte?

Aber bevor ich zu den Jungs gehen konnte, erkannte ich bereits die Erschöpfung, insbesondere von Leo. Er war einfach kaputt. Ich hatte eine Idee.

Nach einem kurzen Gespräch mit Steffi, der Trainerin der ersten Mannschaft, ging ich auf meine Jungs zu. Ich nahm beide in den Arm und sparte nicht mit Lob. Allerdings wollte ich Leo jetzt aus dem Trubel haben.

„Los ihr beiden, ihr kommt bitte mit. Wir gehen mal raus.“

Justus schaute mich entsetzt an:

„Wir können jetzt nicht raus gehen. Ich glaube, das ist für uns nicht erlaubt.“

„Das ist mir egal, ihr braucht Ruhe und ihr kommt mit. Steffi hat gesagt, ich soll euch an die frische Luft bringen. Sie schreibt mich an, wenn wir wieder da sein müssen für den letzten Tanz.“

Das überzeugte die beiden und schnell ging ich vor die Halle.

„Wie geht es euch gerade? Seid ihr schon sehr müde?“

Dabei hielt ich beiden je eine Flasche Wasser hin.

„Es geht“, erwiderte Justus, „aber ich merke meine Beine schon ganz schön. Aber einen Tanz werden wir noch schaffen.“

Bei Leo hatte ich Zweifel, ob es richtig sein würde, ihn noch die Samba tanzen zu lassen. Aber mir war auch klar, freiwillig würde er darauf niemals verzichten. Allein schon wegen Justus.

„Ich fühle mich schon echt platt. Das war richtig anstrengend bislang. Ich muss mehr für die Kondition trainieren. Die anderen halten das viel besser durch. Aber es macht irre viel Spaß.“

„Das ist das Wichtigste. Der Spaß an der ganzen Sache. Und mit fünfzehn kannst du doch noch gar nicht so fit wie die anderen Tänzer sein. Die trainieren seit Jahren regelmäßig. Und dieses Niveau ist ja auch noch gar nicht für euch gedacht. Also Ball flach halten und genießen. Und wenn es nicht mehr geht, gehe ich sofort zu Stefan und nehme euch aus dem Wettkampf. Es ist mir egal, was danach passiert. Eure Gesundheit geht sowohl Klaus und Nadine als auch mir über alles. Nadine hat mir schon gesagt, dass sie merkt, wie kaputt du bist. Also keine Panik und kein Stress. Ihr habt jetzt etwa zwanzig Minuten Pause. Die solltet ihr gut nutzen. Entspannt euch etwas. Stefan und Steffi wissen Bescheid, dass ihr euch entspannen wollt.“

Das beruhigte die Stimmung schlagartig. Ich wusste auch, freiwillig würde keiner der beiden jetzt aussteigen. Und wenn die Samba jetzt nicht so gut sein würde, auch egal. Sie hatten bereits viel mehr gezeigt, als jeder gedacht hatte. Das war ganz großes Kino.

Ich ließ die Jungs jetzt etwas allein und ging wieder zurück an den Eingang der Halle. Dort wartete Klaus auf mich.

„Wie geht es den Jungs? Hat Leo große Probleme?“

„Es geht ihnen soweit gut. Allerdings hat Leo große Probleme mit den Beinen. Eigentlich sollten sie jetzt aufhören, aber das können wir uns abschminken. Freiwillig werden sie jetzt nicht aussteigen. Also müssen wir abwarten.“

„Das kenne ich schon. Leo will immer das Maximum geben. Halbe Kraft kennt er bei Wettkämpfen nicht. Hoffentlich verletzt er sich nicht. Hast du mitbekommen, was die anderen Tänzer aus dem Team über die Jungs sagen?“

„Nein, warum? Ärgern sie sich jetzt, dass sie die beiden mitgenommen haben, weil sie die Belastung vielleicht nicht schaffen? Oder was meinen sie?“

Ich spürte direkt meinen Puls steigen und Ärger hochkommen. Aber Klaus fing an zu lachen und meinte:

„Quatsch, sie wollen die Jungs fest zu sich ins Team nehmen. Sie meinen, solche Naturtalente darf man nicht von der Leine lassen. Egal was der Verband dazu sagt. Ich glaube, mit den beiden Jungs wird sich beim Tanzen etwas verändern. Es ist ja schon möglich, sie heute einzusetzen. Ich glaube, unsere Jungs werden viel Spaß haben. Für uns wird das zwar mit viel Fahrerei verbunden sein, aber das mache ich gerne. Ich habe Leo schon ganz lange nicht mehr so glücklich erlebt und wir möchten dir einmal auch danke sagen für deine Hilfe für Leo. Er hat dich sofort als Vertrauensperson angenommen.“

Dann geschah etwas Überraschendes. Klaus kam auf mich zu und wir umarmten uns ganz intensiv. Als ob wir schon viele Jahre Freunde wären. Das war ein großartiges Gefühl. Ich wusste, das waren meine neuen, ganz besonderen Freunde.

„Komm, lass uns etwas trinken gehen. Das haben wir uns verdient. Die Jungs kommen auch einen Augenblick ohne uns klar. Ich denke nämlich, Justus wird sich liebevoll um Leo kümmern.“

Danach musste ich laut lachen und mein Kopfkino machte mir ganz komische Bilder.

In der Tat konnte ich bei der Cola mit Klaus wirklich für ein paar Minuten entspannen. Erst jetzt spürte ich die ständige Aufregung in mir. Das war mir überhaupt nicht bewusst gewesen.

Plötzlich kam Justus bei uns vorbei und meinte äußerlich entspannt:

„Kommt ihr wieder rein? Wir müssen gleich die Samba zeigen. Erst danach ist Schluss für heute und wir können uns ausruhen.“

Das war natürlich ein Weckruf, aber was wir dann im letzten Durchgang erneut zu sehen bekamen, riss mich komplett vom Hocker. Die Jungs schwebten über das Parkett und in einer Harmonie, als ob sie schon Jahre gemeinsam tanzen würden. Allerdings konnte ich auch erkennen, dass Leo deutlich mehr Probleme mit der Kraft bekam. Gerade zum Ende des Tanzes. Das würde mit Sicherheit auch den Kampfrichtern nicht verborgen bleiben. Aber es war mir egal. Niemals hatte ich diese Performance heute erwartet. Und als der letzte Ton verstummt war und die Samba vorbei, nahm Justus auf dem Parkett seinen Leo in den Arm und küsste ihn ganz fest. Was für ein Bild. Nach der Verbeugung für die Zuschauer und Kampfrichter gingen die Paare zu ihren Teams und dort wurde Leo direkt von Stefan in Empfang genommen und auf einen Stuhl gesetzt. Er war komplett fertig. Justus schaute sich um und irgendwie hatte ich das Gefühl, er würde nach jemandem suchen.

Plötzlich tauchte Nadine bei Leo auf und setzte sich neben ihn. Legte ihren Arm auf seine Schultern und dann kam die Wertung. Es wurde richtig spannend, denn theoretisch konnten wir noch Zweiter werden. Bremen war uneinholbar vorn, aber natürlich hätte es auch ein vierter Platz sein können, wenn die Wertung der Samba aufgrund der Erschöpfung schlecht ausfallen würde.

Als der vierte Platz vergeben wurde und wir es nicht waren, war die Freude schon fast nicht mehr auszuhalten, aber auch der dritte Platz ging an ein anderes Team. Bei der Samba wurden unsere Jungs vom gesamten Wertungsgericht auf den zweiten Platz hinter dem Weltmeisterteam gesetzt. Was für eine Sensation!

Jetzt brach es auch bei Leo heraus. Er fing bitterlich an zu weinen und auch Justus war sichtlich angeschlagen. Ihre Teamkollegen hüpften vor Freude umher und bald saßen Justus und Leo bei Stefan und Mathias auf den Schultern und es wurde gejubelt. Was für ein Wettkampf ging hier jetzt zu Ende.

Hoffentlich würden sich die Jungs schnell erholen und vor allem auch wieder beruhigen. Aber eines wurde mir sehr deutlich bewusst. Das würde nicht das letzte Tanzabenteuer mit den beiden gewesen sein.

Nachdem alles vorbei war und die Jungs jetzt unter der Dusche waren, standen Nadine, Klaus und ich draußen am Eingang der Halle. Wir hatten schon den weiteren Ablauf des Abends besprochen und uns war klar, der Abschied würde weder Justus noch Leo leicht fallen. Aber morgen ging es wieder in die Schule und darüber gab es auch keine Diskussionen.

Es dauerte auch nicht mehr so lange und dann standen alle aus unserer Mannschaft an den Autos und es nahte der Aufbruch. Mit Stefan hatte ich bereits geklärt, dass das nächste Training erst am Freitag sein würde. Und zwar mit der Bundesligamannschaft. Bis dahin sollten sie sich ausruhen.

„Was meinst du, Justus, wir sollten uns dann mal auf den Weg nach Hause machen. Morgen ist die Nacht wieder ganz früh zu Ende.“

Justus nickte und ich konnte sofort spüren, dass der Abschied von Leo jetzt nicht schön war, aber erstaunlicherweise ging das ohne große Probleme. Sie verabredeten sich zu skypen, sobald sie zu Hause seien. Dann würde es ja auch nur bis Freitag dauern, bis sie wieder zusammen sein würden. Das Wochenende würde mit Sicherheit entweder bei uns oder bei Klaus verbracht werden. Das musste noch besprochen werden.

Mir war etwas ganz anderes bewusst geworden. Ich hatte durch Justus und einen ganz verrückten Zufall ganz tolle neue Freunde gefunden. Das würde in der Zukunft viele Dinge schöner machen.

Nachwort

Diese Fortsetzung von meiner Challenge E-Mail an Will“ hatte ich schon lange im Kopf und habe das Schreiben immer wieder verschieben müssen. Es fehlte einfach die Ruhe und die Zeit, sich ausschließlich mit der Geschichte zu beschäftigen. Aber als ich dann begonnen hatte zu schreiben, hat es mir wieder ganz viel Freude bereitet.

An dieser Stelle möchte ich mich wieder bei Mo bedanken. Er hat mich wieder bei der Arbeit unterstützt und mit viel Zeitaufwand die Geschichte noch weiter verbessert. Und ich habe mich sehr über die erneute Hilfe gefreut.

Ebenso möchte ich Jörg aus Leipzig danken. Er hat sich die ganze Geschichte von mir vorlesen lassen und dabei sind etliche Kleinigkeiten zu Tage getreten, die ich korrigieren konnte. Das ist übrigens ein Tipp an alle Autoren, lest eure Geschichten einmal laut vor, bevor ihr das in die Redaktion gebt. Dabei werden Kleinigkeiten besser auffallen.

Ich hoffe, diese Geschichte hat euch gefallen, und an dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich noch eine weitere Challenge ergänzen möchte. Es wird also irgendwann noch einen neuen Teil von mir geben.

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