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Es gibt Erfahrungen im Leben, für die man nur eine Chance bekommt.

"Once in a lifetime experiences"

So schnell eine solche Möglichkeit auftauchen kann, so schnell kann sie auch wieder im Nichts verschwinden und sich niemals wieder zurückholen lassen.


Nick hatte gedacht, dass ihm diese eine Möglichkeit einfach so durch die Finger gegangen war, als er seinen allerletzten offiziellen Schultag beendet und das Schulgelände verlassen hatte. Es war ein Donnerstag Abend gewesen und die hohe Luftfeuchtigkeit, die drückende Schwüle hatte das allgemein schon negative Gefühl verstärkt, das er den gesamten Tag über gespürt hatte.

Das war das Ende gewesen, das Ende vieler Jahre Anstrengung und Druck, aber auch Spaß und Freude. Er hatte nicht gehen wollen, sich nicht verabschieden wollen, all das nicht einfach loslassen wollen, doch war ihm nichts anderes übrig geblieben.

Seine Freunde hatte er umarmt, Bekannte mit einem Handschlag verabschiedet, Lehrern entweder verächtliche Blicke oder ein dankendes Nicken zugeworfen. Nur bei Coach Adams hatte er gezögert. Er hatte sogar ziemlich lange gezögert. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er keine Ahnung gehabt hatte, wie er ihm bei ihrem letzten Aufeinandertreffen entgegentreten hätte sollen.

So hatte er geschwiegen, ihn angesehen, geradezu angestarrt und nur einen einzigen Satz gedanklich formulieren können: "Das ist das letzte Mal."

Er hatte daran denken müssen, wie sehr er ihn vermissen würde, wie unheimlich es sein würde, ihn nicht mehr zu treffen, kein aufmunterndes Lächeln auf dem Gang zu ernten, keine ermutigende, große, warme Hand mehr auf seiner Schulter spüren zu dürfen. All das war ihm so schrecklich irreal vorgekommen, nachdem er sich in den letzten Jahren diesem Mann so unendlich nahe gefühlt hatte. Es hatte für ihn einfach nicht real genug geklungen, dass das nun alles der Vergangenheit angehören sollte und so hatte er nach seinem Zögern einfach den Blick gesenkt und war gegangen.

Nick hatte sich nicht verabschiedet, er hatte ihm nicht noch einmal ein Lächeln, einen vielsagenden Blick oder sonst etwas geschenkt. Sein eigener Unwillen, zu akzeptieren, dass seine Zeit in Coach Adams' Anwesenheit vorbeigegangen war, hatte ihn die letzte Möglichkeit gekostet, diesem Mann zu sagen, wie viel er ihm nach den vergangenen vier Jahren bedeutete.

Doch jetzt kniete er neben der Tür seines Einzelzimmers, schnürte seine Laufschuhe und betete innerlich, dass Coach Adams in den letzten acht Wochen seine Gewohnheit, früh morgens die erste Trainingseinheit allein zu absolvieren, nicht abgelegt hatte.

Es war fast genau vier Jahre her, seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Nick war als Freshman auf die Highschool gekommen, Coach Adams hatte, nachdem der vorherige Coach aufgrund von Lungenkrebs in Rente hatte gehen müssen, den Posten als Footballcoach der Agoura High übernommen. Nur ein Jahr hatte er als Assistenzcoach gearbeitet, bis man ihn befördert hatte und ihn vor die Herausforderung gestellt hatte, das Footballteam durch eine Saison zu führen.

Beide recht neu in ihrer Profession als Footballspieler und –coach, hatten sie sich von Anfang an problemlos verstanden und Nick hatte bereits als Sophomore seine ersten Spielauftritte gehabt, obwohl vor Coach Adams' Zeit fast noch nie ein Schüler gespielt hatte, der nicht mindestens bereits Junior gewesen war. Der Coach hatte Nick oft als talentiert bezeichnet und die anderen, älteren Spieler hatten sowohl Adams als auch Nick früh akzeptiert.

Im Footballteam aufgenommen, hatte sich Nick, der auf der Junior High unter ständiger Einsamkeit und einem Außenseiterdasein gelitten hatte, augenblicklich wohl gefühlt an seiner neuen Schule und bis heute war er überzeugt, dass er es Coach Adams verdankte. Und es war bei weitem nicht das einzige, was er diesem Mann verdankte.

Zwei starke Arme, ein trainierter, aber spürbar nicht übertrainierter Oberkörper und eine generell fehlende Scheue vor Körperkontakt hatten in Nick schon in seinem Freshmanyear etwas bis dato völlig Unbekanntes erweckt. Sicher, geborgen, aufgeregt, erregt und überwältigt waren nur wenige Beispiele all der Adjektive, die er benutzt hätte, um zu beschreiben, wie er sich in Anwesenheit des Coachs gefühlt hatte. Es war einfach nur umwerfend gewesen.

Seitdem hatte er Coach Adams verehrt. Er war der Auslöser erster begründeter, nicht völlig zusammenhangslos auftretender feuchter Träume gewesen, er hatte Nick gelehrt, was verliebt zu sein und Schmetterlinge im Bauch zu haben, bedeutete. Vier Jahre lang hatte er sich auf jedes Footballtraining gefreut, war innerlich vor Freude zerplatzt, wenn der Coach ihn nach der regulären Trainingszeit noch länger dabehalten hatte. Natürlich hatte es seine Wurftechnik und vieles anderes verbessert, aber vor allen Dingen hatte es ihn dem Coach mit jedem Male ein wenig näher gebracht.

Nick war manchmal regelrecht wütend gewesen, dass er Coach Adams nicht nur körperlich anziehend gefunden hatte, sondern tatsächlich Gefühle für ihn entwickelt hatte. Er hatte sich ihm niemals offensichtlich, absichtlich nähern können, zu groß war seine Angst davor gewesen, dass der Coach wegen ihm seinen Job verlieren könnte. Oft hatte er davon geträumt, wie er nach seinem Abschluss mit ihm zusammen sein würde, offen, vor Augen aller neidischen Mitschülerinnen.

Leider hatte er sich nie getraut, dem Coach die Natur seiner Gefühle für ihn zu offenbaren, und so war er alleine auf dem Abschlussball aufgetaucht, hatte seinen Coach weit, scheinbar Kilometer von sich entfernt gesehen und hatte sich ihm nicht nähern können.

Es war eine unheimliche Überraschung gewesen, die Stimme des Coach sechs Wochen später wieder zu hören. Er hatte bei Nick zuhause angerufen, mit ihm gesprochen, ihn gefragt, ob er Zeit hätte, mit den neuen Mitgliedern des Footballteams eine Woche in ein Trainingslager zu fahren. Coach Adams hatte gemeint, dass er mehrere ehemalige Mitglieder des Teams gefragt hatte, doch all jene, die mit ihm gemeinsam den Abschluss gemacht hatten, hatten ihm beteuert, dass sie seit der Abschlussfeier überhaupt nichts mehr von ihrem Coach gehört hatten.

Nicks Bauch hatte gekribbelt, wie beim ersten Mal, als der Coach ihn zum Vorführen einer Wurftechnik an seine Brust gedrückt hatte, als ihm bewusst geworden war, dass Adams offenbar gewollt hatte, dass gerade er als zweiter Betreuer der Jugendlichen mitkam. Selbstverständlich hatte er sofort und ohne darüber nachzudenken zugesagt, augenblicklich in Fantasien versunken, wie er auf Trainingslagern oder Jugendfreizeiten erlebt hatte, wie die Betreuer miteinander umgingen, stundenlang abends und nachts zusammensaßen und sich unterhielten. All das würde er erleben! Mit Coach Adams!

Mit einem Lachen hatte eben dieser auf Nicks gedankliche Abwesenheit reagiert und ihm alle Daten gegeben, die ein rot angelaufener Nick auf den Block neben dem Telefon gekritzelt hatte. Die zwei Wochen bis zum Abfahrtstermin waren natürlich zu langsam vergangen.

Nun jedoch war es endlich soweit und er konnte mit ruhigem Atem die Treppen hinunterjoggen, das Haus verlassen und den Weg einschlagen, den die Eigentümer des Youth Hostels ihnen zum Laufen empfohlen hatten. Er hoffte inständig, dass er den Coach bald finden und ihm dann bei seinem Aufwärmtraining Gesellschaft leisten konnte.

Die Anfahrt war enttäuschend gewesen, da der Coach sich ununterbrochen mit dem Busfahrer unterhalten hatte. Zur Begrüßung hatte er Nick nur eine Hand auf die Schulter gelegt und sie mit seiner gewöhnlichen Sanftheit gedrückt. Danach war Funkstille gewesen und erst an der Jugendherberge angekommen, hatte er sich wieder mit ihm beschäftigt. Der Coach hatte ihn vorgestellt und während die Jungs ihre Sachen auf die Zimmer gebracht hatten, hatten sie sich zu zweit auf den Weg zu ihren eigenen Zimmern gemacht und bei dem dabei entstandenen Gespräch hatte Adams ihm angeboten, ihn Jake zu nennen.

"Immerhin bin ich mittlerweile nicht mehr dein Coach, wir sind ja jetzt so etwas wie Partner, da brauchst du mich nicht mehr so formal anzusprechen", hatte er erklärt und Nick war unheimlich rot angelaufen, hatte ein leises "Okay" gemeinsam mit dem ihm angebotenen Namen gemurmelt und war wenig später in seinem Zimmer verschwunden.

Nachts hatte er natürlich in seinem Bett gelegen und mit einem Grinsen und geschlossenen Augen den Vornamen seines Angebeteten vor sich hin geflüstert.

Der Weg führte Nick durch ein kleines Waldstück, vorbei an einer recht großen, vom Morgentau noch sichtbar feuchten Wiese, einige hundert Meter entlang einer Landstraße und schließlich an einem unheimlich idyllischen kleinen Fluss vorbei. Dort spürte er wieder das Gefühl, das er am Vortag bemerkt hatte, als er dem Coach nach all den Wochen wieder begegnet war. Vertrautheit und das unbeschreiblich angenehme Gefühl, jemanden wie Adams wiedererkennen zu können.

"Nick! Ich hätte nicht erwartet, dass du dich derart von unseren Schützlingen abgrenzt und dich sogar an meinen Weckzeiten orientierst!", begrüßte der Coach ihn, der mit ruhigem Atem, aber sichtbar leicht verschwitztem Shirt nicht weit vom Ufer entfernt saß.

"Ich bin immerhin vom Alter her nicht allzu viel näher an den Jungs als an dir, Jake", entgegnete er atemlos und ließ sich nahe seinem neuen Kollegen auf das Gras nieder. Es war merkwürdig, den Coach so persönlich anzusprechen, aber es war ihm nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil, es fühlte sich schön an, offenbar diese Schüler-Lehrer Barriere überwunden zu haben. Bei diesem Gedanken lief Nick unwillkürlich ein kitzelnder Schauer über den Rücken. Wenn sie diese Barriere überwunden hatten, dann gab es keine äußeren Faktoren mehr, die sie von mehr abhalten konnten.

"Ehrlich gesagt ist das auch einer der Gründe, weshalb ich ganz froh war, dass du derjenige warst, der Zeit für das hier hat. Bei dir weiß ich wenigstens, dass du nicht am Ende noch mehr selbst anstellst als die Jungs, auf die du aufpassen sollst", meinte der Coach mit einem Lächeln und warf Nick noch während er sprach eine kleine Flasche mit Mineralwasser zu.

Nick lächelte zurück und war froh, dass sein Gesicht durch die Anstrengung bereits rot gefärbt war. Es fühlte sich schön an, dass der Coach auch heute noch bereit war, ihn dazu zu zwingen, während des Sports zu trinken, anstatt zu warten, bis er fertig und fast vertrocknet war.

"Ein anderer Grund könnte sein, dass du gar niemand anderen gefragt hast, richtig?", entgegnete er in einem Anflug von Courage und beschäftige sich schnell damit, einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, da Adams' Blick sich recht ruckartig gehoben hatte und er ihn nun eindringlich und sicherlich auch ziemlich überrascht musterte.

"Naja", begann der Coach und räusperte sich. "Ich sagte ja, ich weiß bei dir wenigstens, woran ich bin, warum solltest du da nicht meine erste Wahl sein?"

Sie teilten ein stilles Lächeln und Nick bemerkte in den folgenden Minuten des Schweigens, dass Adams auf seinen Atem achtete, sich erst dann erhob, als er wieder auf normaler Frequenz angekommen war.

"Joggen bis zum Ende der Straße und dann Sprint bis zum Anfang des Waldes?", schlug Coach Adams vor und Nick nickte zustimmend, trat auf den Weg und begann im bekannten Tempo zu joggen, an das er bereits seit Jahren gewöhnt war.

Sein Coach lief dicht neben ihm, immerhin war der Weg nur für zwei Personen ausgelegt und beim Laufen brauchte man nun einmal mehr Platz als beim Gehen. Gezwungener Maßen streiften sie einander hin und wieder und Nick musste jedes Mal ein zufriedenes Schmunzeln unterdrücken, bemerkte aber, dass auch Coach Adams weniger angespannt aussah, als er es von ihm gewohnt war.

Als der Weg sich merklich von der Straße trennte, wechselten sie gleichzeitig in schnellen Laufschritt, da sie sich bewusst waren, dass ein 200 Meter Sprint nach dem Joggen nicht sehr nützlich war. Nick wechselte vor seinem ehemaligen Trainer in den Sprint, entfernte sich langsam von ihm, spürte ihn aber wenig später wieder näher hinter sich und schloss seine Augen, spannte seinen gesamten Körper, inklusive Gesichtsmuskulatur an. An der Waldgrenze angekommen liefen sie beide einige Meter aus. Nick hatte ihren kleinen Wettkampf mit nicht viel, aber eindeutigem Vorsprung gewonnen.

"Du scheinst weitertrainiert zu haben, du bist gut in Form", lobte Adams und Nick nickte mit einem erschöpften Lächeln. Natürlich hatte er weiterhin trainiert, immerhin wollte er einerseits seinen gesunden Körper nicht verkommen lassen und andererseits machte es ihm Spaß, selbst wenn er nur jeden Tag eine halbe Stunde joggte anstelle des ausgewogenen Trainings, das er früher genossen hatte.

"Was hältst du davon, wenn du die letzten 150 Meter zur Jugendherberge läufst und uns einen Football besorgst? Wir könnten uns ein wenig mit Passrouten laufen beschäftigen und mal wieder an deiner Wurftechnik feilen. Es dauert sicher noch, bis die Jungs fertig sind mit Frühstücken und fertig machen und du hast doch sicher Lust, mir zu beweisen, dass du nicht wieder alles verlernt hast, was ich dir beigebracht habe?", meinte der Coach dann und selbstverständlich nickte Nick, euphorisch, wieder mit seinem geliebten Lehrmeister üben zu können. Er bemerkte jetzt, wo er wieder Zeit mit ihm verbrachte, erst richtig, wie sehr das Training und auch sein Coach ihm gefehlt hatten.

Die Jungs in der Herberge waren größtenteils noch in den Bädern beschäftigt, es waren mehrere laufende Duschen zu hören, als Nick durch die Eingangstür trat, nur wenige waren bereits unten im Speisesaal. Treffpunkt für die erste offizielle Trainingseinheit war erst in etwa einer Stunde, also hatten sie alle noch genug Zeit. Nick nahm einen Football aus dem Netz, das Coach Adams aus der Schule mitgebracht und im Flur der Jugendherberge deponiert hatte.

Es dauerte nicht lang, bis er zur Wiese zurückgekehrt war, an der sie zuvor ihr kleines Wettrennen beendet hatten. Adams saß auf einem Baumstamm am Waldrand, ging ihm jedoch sofort entgegen, als er an der Lichtung auftauchte.

"Wollen wir uns erst einmal einwerfen?", schlug Nick vor, ganz im Stile seines Trainers, der schon immer gepredigt hatte, dass Warmlaufen den Wurfarm etwa genauso erwärmte wie Eiswasser einen Eiswürfel. Sie entfernten sich wieder etwas voneinander und begannen dann, sich den Ball zuzupassen, vergrößerten bei jedem gefangenen Wurf den Abstand um einen Schritt nach hinten.

Es gefiel Nick ungemein, wieder in diese Routine aus dem Training zurückzufallen und er erinnerte sich schmunzelnd an die vielen Male bei denen er bei ungerader Anzahl von Spielern diese Aufwärmübung bereits mit seinem Coach gemacht hatte.,

"Fit genug für ein wenig Action?", rief dieser nach einigen Minuten, während denen Nick sich natürlich Mühe gemacht hatte, all seine Pässe perfekt auszuführen, doch er selbst hatte einige Ungenauigkeiten bemerkt, er war einfach aus der Übung.

"Aber immer doch", forderte er Coach Adams heraus und rannte weiter in die Wiese hinein, als Adams in diese Richtung zeigte. Sie verständigten sich kurz, immerhin kannte Nick die Abläufe noch und konnte also mit den für Sportfremde recht kryptischen Anweisungen problemlos umgehen und ausführen, was man von ihm verlangte. Als der erste Pass flog verfolgte er denn Ball während des Rennens, musste sich dabei schon wieder denken, dass er aus der Übung gekommen sein musste, immerhin hatten Adams und er diese Übung noch vor wenigen Monaten blind ausführen können.

Jedoch konnte er wenigstens den Wurf fangen und mit einer weniger perfekten, aber zumindest zielsicheren Bewegung flog der Ball kurz später schon zurück zum Coach, der sich der Übung entsprechend kaum bewegen musste, um ihn zu erreichen.

Es dauerte nicht lange, bis Adams seine bisherige Gnade vergaß und Nick quer über die Wiese rennen ließ. Wie immer fühlte dieser sich dadurch unheimlich motiviert, dem Coach gefallen zu wollen und ihn nicht zu enttäuschen. Also rannte er wie verrückt, warf sich auf den Boden, sprang notfalls einige Meter, um einen Ball vor dem Boden zu schützen.

"Nick! Wenn dir nicht jeder zweite Ball kurz vor den Händen entwischen soll, weil du zu langsam zugreifst, solltest du dieses Zelt, was du da als T-Shirt trägst, ausziehen!", rief Coach Adams ihm nach einiger Zeit zu und der Angesprochene stoppte langsam seinen Laufschritt. Für einige Momente hielten sie Blickkontakt, es schien als waren sie einer wie der andere überrascht von Adams' Worten. Nick sollte sein T-Shirt ausziehen? Er blickte an sich herab und musterte das Schulshirt, das tatsächlich sehr großzügige Maße hatte. Es wunderte ihn, dass der Coach das zu ihm gesagt hatte.

Irgendetwas musste faul sein an der Sache, es hatte im Training noch nie einen Dress Code gegeben, er hatte gerade bei ihm noch nie etwas dazu gesagt und er hatte zu fast allen Trainingseinheiten eins dieser übergroßen Schul T-Shirts getragen. Während Nick weiterhin verwundert überlegte, ob er geschrumpft war und das Oberteil nun größer als gewöhnlich war, kam Adams näher zu seinem ehemaligen Schüler und blieb einige wenige Meter von ihm entfernt stehen.

"Außerdem bist du nicht mehr an der Schule, nicht wahr?", fügte er dann hinzu, leiser als zuvor und mit einer merkwürdigen Stimme, als wollte er nicht unbedingt mit seinen Worten, aber seiner Tonlage etwas Wichtiges zu ihm sagen.

Hätte Nick nicht eben diesen Gedanken vor etwa einer halben Stunde bereits selbst im Kopf gehabt, wäre er wahrscheinlich nicht darauf gekommen, was Adams ihm damit sagen wollte, aber unter den gegebenen Umständen verstand er. Er verstand, nickte überzeugt, lächelte jedoch unsicher, als er den Bund des T-Shirts ergriff und über seinen Kopf zog. Coach Adams streckte eine Hand in seine Richtung aus und ergeben warf Nick ihm sein recht verschwitztes Shirt zu. Er schämte sich ein bisschen dafür, verdrängte dieses Gefühl aber sofort ärgerlich, denn immerhin wusste der Coach ja am besten, dass man bei solchen Übungen nun einmal in Schweiß ausbrechen musste.

Zudem war es viel wichtiger, dass er sich Gedanken darüber machte, dass Coach Adams offenbar ebenso wie er der Meinung war, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte, dass betont werden musste, dass er nicht mehr an der Schule war, dass er offiziell nicht mehr sein Coach war. Was gab es schon an Auswahlmöglichkeiten, weshalb es bedeutsam sein konnte, dass er jetzt nicht mehr sein Schutzbefohlener war? Für Nick war dieser eigentlich so neutral klingende Satz mit einem Mal mehr und mehr zu einem Liebesgeständnis der anderen Art mutiert und er merkte, wie seine Ohren rot anliefen.

Er hatte sich anscheinend die Spannung, all die Blicke, die Vieldeutigkeiten nicht nur eingebildet! Coach Adams wartete bestimmt auch schon seit einiger Zeit darauf, dass er endlich seinen Abschluss hatte und sie keine Lehrer-Schüler-Verbindung mehr hatten.

"Machen wir weiter?", riss Adams' Stimme ihn mal wieder aus den Gedanken und Nick nickte sofort erschrocken, machte Anstalten den Ball aufzuheben, der nicht weit von ihm gelandet war.

"Natürlich...", entgegnete er und holte schnell tief Luft. "...Jake."

Der Coach lächelte ihn an und ließ sich den Ball von Nick zuwerfen, woraufhin sie beide wieder auf ihre Positionen gingen.

Weitere zehn Minuten Passrouten laufen und einige Sprintübungen später fühlte Nick sich, als würde er jede Sekunde zusammenbrechen. Er war an diese Art von Training nicht mehr gewöhnt – der Coach erwartete, dass man an seine eigenen Limits ging. Immer.

Gemeinsam ließen sie sich im Graß nieder, Adams war selbst inzwischen völlig verschwitzt und außer Atem, immerhin hatte er die Sprintübungen mit Nick gemeinsam gemacht. Es war noch immer relativ feucht, da die Sonne noch auf ihrem Weg nach oben war und noch nicht allzu intensiv auf ihren Flecken der Erde schien. Die zwei jungen Männer ignorierten diese Tatsache jedoch, brauchte doch ihre Kleidung eh schon dringend eine Reinigung.

"Wow, das war wirklich ganz wie früher", keuchte Nick und ließ sich mit schnell klopfendem Herzen ins Graß fallen, lag nun auf dem Rücken neben dem Coach, der sich mit einem Arm abstürzte und seinen ehemaligen Schüler betrachtete.

"Du hast das doch vermisst, gib es zu!", lachte er dann und legte sich ebenfalls zurück, drehte sich auf die Seite, sodass er weiterhin Blickkontakt mit Nick halten konnte. Dieser merkte mit einem Mal wieder, dass er oben-ohne war und der Coach seine entblößte, verschwitzte und nun auch noch vom taunassen Graß feuchte Brust betrachten konnte, wenn er ihn ansah.

"Ja, ich hab das alles vermisst", antwortete er dann ehrlich und sah, wie das Grinsen von Adams' Lippen wich und sich in ein ruhiges, zufriedenes Lächeln verwandelte. Nick war sich bewusst, dass er mit der Betonung, nicht nur das Training vermisst zu haben, offen gelassen hatte, ob er nun auch seinen Trainer vermisst hatte. Aber er war sich sicher, dass Coach Adams ganz genau bemerkt hatte, wie große Freude seine bloße Anwesenheit ihm bereitete.

Es breitete sich Schweigen zwischen ihnen aus, aber es war kein unangenehmes Schweigen, wahrscheinlich weil sie sich in der Natur befanden und keine wirkliche Stille herrschte. Das Zwitschern der Vögel, die Geräusche des Windes im nahen Wald untermalten die Szenerie und Nick konnte nicht aufhören daran zu denken, dass es eigentlich unheimlich romantisch war, dass sie auf einer taufeuchten Wiese lagen, während die Sonne gerade aufging.

"Du...", begann Adams dann zu sprechen, musste sich jedoch räuspern, was der Tatsache nicht half, dass seine Stimme mit einem Mal etwas dunkler klang. "Du wirst dich sicher erkälten."

Nick blickte stumm zu ihm und nickte dann langsam, viel zu verloren in dieser Stimme, deren Vibration scheinbar seine Wirbelsäule entlanggekrochen war, als dass er noch hätte hören können, was genau der Mann neben ihm gesagt hatte.

Plötzlich hielt der Coach wieder Nicks T-Shirt in der Hand und dessen Atem stockte hörbar, als er es ihm nicht einfach in die Hand drückte, sondern begann die Feuchtigkeit mit dem Stück Stoff von seinem Oberkörper zu wischen. Sein Herz klopfte mittlerweile noch schneller als nach den gerade absolvierten Sprintübungen und er wusste nicht, ob er seine Augen schließen sollte oder nicht. Er wollte, er wollte einfach nur diese Berührung genießen, doch er wollte sich auch immer weiterhin bestätigen, dass es tatsächlich Coach Adams war, dessen Hand den Stoff führte.

"Du bist tatsächlich in Form geblieben, Nick", flüsterte Adams fast schon und fuhr dabei mit dem T-Shirt sanft über seinen Hals, sodass er freien Blick auf seine Brust hatte. "Nachdem wir schon seit fast vier Monaten nicht mehr richtig trainiert haben, musst du mit dem Self-Training wohl wirklich Erfolg haben."

"Mein Onkel hat mir zum bestandenen Abschluss seine alte Krafttrainingausrüstung überlassen, ich dachte mir, ich arbeite mal etwas daran, meinen Körper nicht gleich verkümmern zu lassen", entgegnete Nick ebenso leise und schloss nun tatsächlich seine Augen, atmete tief ein und wieder aus, spürte dabei, wie Adams' Hand sich dabei mit hob und senkte.

"Du siehst gut aus, du hast trotz des Muskelaufbaus noch immer deine Statur von früher", stellte der Coach fest und Nick wollte gerade die Enttäuschung zulassen, als der sanfte Druck des Gewichts von Adams' Hand verschwand, wurde aber sofort von viel zu vielen anderen Empfindungen überrollt. Der Coach berührte seine Brust. Seine Fingerspitzen strichen federleicht sein Brustbein entlang und schon lag diese angenehm warme, große Hand auf dem nur sehr leicht angedeuteten Sixpack auf Nicks Oberkörper. Dieser spürte, wie sein Atem schwerer wurde, die auf und ab Bewegungen seines Brustkorbs verlangsamte, als belastete ihn das Gewicht von Adams' Hand.

"Vielleicht solltest du nicht so viel auf deine Bauchmuskulatur setzen", wisperte der Coach und ließ seine Finger sanft über die Muskelgruppe an Nicks Bauch streicheln. "Du siehst besser aus so, du siehst wundervoll aus, übertrainierte Muskeln würden dir nicht stehen."

Zaghaft nickte Nick und holte Luft um zu sprechen. "Ich wollte einen Körper wie du. Deshalb das extra Training."

"Dir gefällt mein Körper?", hauchte Coach Adams nur noch und strich mit seinen Fingern bis hinauf zu Nicks Schlüsselbein, bewegte sie von dort an nur noch mit den Fingerspitzen auf Nicks Haut über dessen Schulter und Oberarm.

"Ja, das hat er schon immer", antwortete der ehemalige Schüler und es bildete sich ein Lächeln auf Coach Adams' Gesicht, als Nick sanft unter seinen Berührungen seines Oberarms, der Armbeuge, der Innenseite seines Unterarms erzitterte.

Nick schlug die Augen wieder auf, weil Adams' so zärtliche Fingerspitzen sich nicht mehr von dieser Stelle an seiner Armbeuge wegbewegten und er wissen wollte, wie sein Gesichtsausdruck dabei aussah, doch er konnte aus dem Lächeln nicht viel herauslesen.

"Ich hab diese Narbe beim zweiten Training nach den Weihnachtsferien gesehen, damals im ersten Jahr als wir noch die ganze Zeit Konditionstraining gemacht haben. Du warst unheimlich gut gelaunt und so unbeschreiblich fertig von den Sprintübungen. Wir haben früher aufgehört als sonst und du lagst in der Halle auf dem Boden und wolltest nicht aufstehen und ich hatte Zeit, ich bin bei dir sitzen geblieben und wir haben über die Feiertage geredet. Ich wollte dich fragen, woher du die Narbe hast und ich konnte nicht. Es kam mir nicht vor wie eine normale Lehrerfrage, dabei hätte ich es nur aus Sorge fragen können. Du warst ein fünf Jahre jüngerer Junge, es kam mir nicht vor, als wäre ich dein Trainer gewesen, ich wollte es nur wissen, weil es mich interessiert hat. Aber ich habe mich nie getraut, zu fragen", erklärte Coach Adams, sein Daumen ruhte dabei auf der etwa drei Zentimeter langen, strichförmigen Narbe.

Nick schloss seine Augen. Es fühlte sich angenehm an, wie der Coach so über ihre Vergangenheit sprach. Es gefiel ihm zu hören, dass er nicht der einzige war, der schon vor so langer Zeit diese Dinge gespürt hatte, diese Gedanken gehabt hatte.

"Als ich 10 war, sind mein Bruder und ich für zwei Wochen in den Ferien zu meinem Onkel gefahren, er hat eine Farm. Wir haben in der Scheune gespielt und mein Bruder hat mir ein Bein gestellt und ich bin auf eine frisch geschliffene Sense gefallen", erzählte er leise. "Es hat geblutet und geblutet und dann ist mein kleiner Bruder umgekippt und ich musste ihn aus der Scheune ins Haus bringen. Mein Onkel war aber nicht da und es wollte nicht aufhören zu bluten. Ich hab mir die Augen aus dem Kopf geflennt bis endlich jemand nach Hause kam und war dann zum ersten Mal im Krankenhaus. Der Arzt hat gesagt, ich hätte jetzt eine Kriegernarbe und ich fand ihn total bescheuert und habe weitergeweint."

Coach Adams lachte leise und Nick spürte, wie seine Fingerspitzen sich von seinem Arm lösten und kurz später seine Wange berührten, die Rundung seines eigenen Lächelns nachzeichneten.

"Du hast so ein schönes Lächeln", flüsterte der Coach. "Ich wollte es schon immer einmal berühren."

Ein leises, zittriges Seufzen entfuhr Nicks noch immer verzogenen Lippen und die etwas rauen Finger streichelten über sein restliches Gesicht, wanderten bis zu seinem Haaransatz und fuhren vorsichtig durch die völlig durcheinander liegenden Haare.

"Nick?", fragte Adams wenig später leise, strich dabei einige Haarsträhnen aus Nicks Stirn, die er zuvor versehentlich dorthin geschoben hatte.

"Jake?", entgegnete Nick ebenso leise und öffnete wieder seine Augen.

Sein Gegenüber holte sichtbar tief Luft und schloss Nicks Hand in seine. "Meinst du, es ist jetzt in Ordnung, wenn ich dich küsse? Ich wollte dich schon so lange küssen."

Es fiel ihm nicht schwer, zu nicken. Es passierte eigentlich automatisch. Er hatte sich das so lange, so schrecklich lange gewünscht und nun hörte er diese Frage aus seinem Mund. Natürlich durfte er ihn küssen, er durfte tun, was immer er wollte.

Allerdings überraschte es ihn, als der Coach sich nicht seinem Gesicht näherte, sondern sanft Nicks Arm in seiner Hand hielt und seine Lippen auf seine Armbeuge drückte. Die kleine Narbe wurde von seinen Lippen eingeschlossen und es fühlte sich an, als ging sie dabei in Flammen auf. Nur zaghaft löste Adams sich wieder, ließ seine Lippen aber schon wenige Zentimeter weiter oben auf seinem Oberarm erneuten Kontakt herstellen. Das Feuer kroch Nicks Arm hinauf, immer wieder berührte dieses Paar Lippen seine Haut, hinterließ einen brennenden, feuchten, kühlen Hauch.

Das Feuer wanderte seinen Oberarm hinauf, verweilte einige Zeit an seinem Schlüsselbein und näherte sich dann seinem Hals. Adams küsste seinen Kiefer entlang, schloss dabei sanft die Finger seiner Hand um diesen. Sein Atem war an Nicks Lippen angekommen und in seiner Brust staute sich ein merkwürdiger Druck auf.

Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er zerbersten musste, wenn Jake ihn jetzt nicht augenblicklich küsste.

Und da sprang das Feuer auf seine Lippen über.

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