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Innocent

Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 34 - Andy

Für einige Augenblicke war ich versucht gewesen, mich wieder von ihm zu lösen, als ich plötzlich spürte, wie er zaghaft seine Hände in meinen Nacken legte. Ich hätte nicht beschreiben können, was ich in diesem Moment fühlte, mir fiel nur ein einziges Wort ein für diesen Zustand – Schweben. Ich wusste gar nicht richtig, was mich eigentlich geritten hatte, ihn einfach so zu küssen, vielleicht war es dieser Stich in meinem Brustkorb, als er zu weinen begann, obwohl er sichtlich dagegen angekämpft hatte. Doch es fühlte sich einfach nur wundervoll an ihn zu küssen, diese sanfte, zärtliche Berührung mit seinen Lippen spüren zu dürfen.

Ein zischendes Geräusch ließ uns beide auseinander fahren und ich bedauerte das zutiefst, hatte ich doch gerade den Mut fassen wollen, unseren Kuss ein wenig zu intensivieren.

„Oh Mist!“, rief David, zog den Topf mit den Nudeln von der Platte und verzog dabei sein Gesicht. „Verdammt!“

Ich schaltete schnell die komplette Herdplatte ab und wandte mich dann wieder zu ihm.

„Hast du dich verbrannt?“, fragte ich leise und griff vorsichtig nach seiner Hand. Seine Finger waren ein kleines bisschen gerötet.

„Nein, das geht schon“, entgegnete er fast flüsternd und blickte in meine Augen. Ich hob meinen Blick von seiner Hand, strich sanft noch etwas über seine Finger und sah in sein Gesicht. Seine Wangen waren auch ein wenig rot, seine Augen ebenfalls, doch seine Lippen verzogen sich zu einem verhaltenen, aber glücklichen Lächeln.

„Bist du sicher?“, flüsterte ich und näherte mich ihm wieder etwas. David nickte und sein Lächeln wurde sogar noch etwas breiter.

„Sicher“, hauchte er kaum hörbar und verringerte den letzten Abstand zwischen uns, drückte sanft seine Lippen auf meine. Wieder fuhr dieses Gefühl von Schwäche durch meinen Körper, als er mich zum zweiten Mal küsste, doch diesmal riss ich mich zusammen und ließ zaghaft meine Hände zu seiner Taille wandern. Vorsichtig drückte ich seinen Körper etwas an meinen heran und kommentierte es mit einem leisen Seufzen, als er wieder seine Hände in meinen Nacken legte und zaghaft über meine Haut streichelte. Es fühlte sich schrecklich irreal an, dass das hier gerade passierte, aber es war traumhaft schön, das zu erleben, mit ihm, David, zu erleben.

Langsam ließ ich meine Hände auf seinen Rücken gleiten und fasste diesmal tatsächlich den Mut dazu und öffnete meine Lippen ein wenig. Ich streichelte weiterhin über seinen Rücken und begann sanft mit der Zunge über seine Lippen zu fahren. Jetzt war es David, der leise seufzte und zaghaft seine Lippen öffnete. Es war regelrecht elektrisierend, als sich unsere Zungen vorsichtig berührten und ich drückte David ein wenig fester an meinen Körper, was dieses Gefühl noch intensivierte.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir uns küssten, aber es begann mir völlig egal zu werden, solange ich ihn so festhalten durfte, ihn so nah bei mir spüren durfte, wie wohl niemand zuvor. Davids Finger, die anfangs nur fast bewegungslos in meinem Nacken gelegen hatten, strichen mittlerweile regelmäßig über meine Haut und durch meine Haare, während sich unsere Zungen noch etwas zaghaft immer wieder berührten. Ich wollte nie, nie wieder damit aufhören.

„Das... das Essen wird kalt“, flüsterte David ein wenig schwerer atmend, nachdem wir uns einige Zeit später doch voneinander gelöst hatten. Ich lächelte nur leicht benebelt und nickte etwas. Die Nudeln klebten ein wenig sehr aneinander und waren auch ein wenig sehr weich, aber das nahm ich gerne in Kauf dafür, dass wir diese Momente gerade hatten erleben dürfen. Die Soße sah perfekt aus und roch phantastisch, David schien tatsächlich begabt auf dieser Schiene zu sein. Ich verteilte das Essen auf zwei Teller, während er seine Finger wenige Augenblicke lang unter kaltes Wasser hielt, anscheinend tat diese leichte Verbrennung doch mehr weh, als er es sagen wollte.

„Komm, lass uns essen“, meinte ich dann lächelnd, nahm die beiden Teller und bedeutete ihm, in welcher Schublade das Besteck war. Zusammen setzten wir uns im Wohnzimmer aufs Sofa und begannen zu essen.

„Wow, das schmeckt echt klasse!“, lobte ich das Essen und war mir dabei sogar bewusst, dass es mir in dem Moment wohl nur derart gut schmeckte, weil er es größtenteils gekocht hatte, dieses Phänomen war sehr überzeugend.

„Danke“, lächelte David etwas verlegen und bekam einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen. Ich lächelte dabei noch etwas breiter – er sah wahnsinnig süß aus. Nachdem wir fertig waren mit essen, stellte ich das Geschirr in die Küche und trat mit einer Flasche Cola und zwei Gläsern zurück ins Wohnzimmer.

„Dann lass es uns noch mal mit der Nachhilfe probieren, okay?“, fragte ich und David nickte lächelnd, als ich mich neben ihn setzte.

„Immerhin hast du ja jetzt einige Tage gefehlt, da ist es ja klar, dass dir ein Teil des Stoffs fehlt und du bei der ganzen Sache noch nicht so recht durchblickst“, beruhigte ich ihn ein wenig, griff nach dem Englischbuch und lehnte mich zurück.

„Du hast die Lektüre also gelesen?“, fragte ich dann noch einmal nach und erntete ein Nicken von David, der sich neben mir ebenfalls gegen die Rückenlehne des Sofas sinken ließ.

„Ja, das Buch hat mir gefallen.“

„Oh, das freut mich, ich finde es auch toll. Also, eins nach dem anderen. Am besten fängst du immer mit einer Gliederung an, die sieht fast immer gleich aus, du gehst beim Beschreiben der Personen einfach immer vom Äußeren zum Inneren, zuerst also Aussehen, Kleidung und so was, dann Beziehungen zu anderen Personen und darüber kannst du dann zum Charakter der Person kommen. Verstanden?“, erklärte ich und blickte ihn fragend und natürlich lächelnd an.

„Ja, das klingt einleuchtend“, erwiderte er und rutschte unmerklich ein Stückchen näher zu mir. Ich blickte ihn einige Momente an, versank in seinen Augen, seinen Gesichtszügen, seinem Lächeln und legte dann zaghaft einen Arm um seine Schultern, spürte, wie er sich ein wenig an meinen Körper schmiegte. Ich lächelte noch einmal etwas breiter, stellte ein Bein auf die Couch und lehnte das Buch dagegen.

„Dann überlegst du dir erst einmal eine Einleitung und am besten noch einen passenden Schluss. Am einfachsten wäre eine Inhaltszusammenfassung, du kannst aber auch über den Autor schreiben oder dir irgendetwas ganz Ausgefallenes ausdenken. Ich persönlich finde es immer etwas langweilig über Inhalt oder Autor zu schreiben, bei George zum Beispiel könntest du darüber schreiben, dass er fast die ganze Zeit recht mysteriös bleibt und erst gegen Ende, als er sich mit Nathan anfreundet, mehr über sich preisgibt. Oder du kannst...“


„Das rote T-Shirt, das er sich von Nathan leiht vielleicht? Immerhin hat er vorher ja immer schwarz oder grau getragen, da symbolisiert die Farbe doch, dass die Freundschaft zu Nathan ihn und sein ganzes Leben verändert“, meinte David und deutete auf die angesprochene Stelle im Buch.

„Ja! Genau das meinte ich. Von wegen, du würdest schlechte Noten schreiben, die Formalitäten kannst du jetzt und den Rest scheinst du von Haus aus zu können“, lächelte ich und klappte dabei das Lehrbuch zu. Er grinste und schlug die Lektüre ebenfalls zu, er sah sogar ein klein wenig stolz aus.

„Aber ohne diese Nachhilfe hätte ich das nicht hingekriegt“, meinte er und legte das Buch auf den Tisch. „Danke!“ Ich schüttelte nur wegwerfend den Kopf und reichte ihm das Lehrbuch, was er ebenfalls auf den Tisch legte. Danach rutschte er wieder zurück und lehnte sich leicht gegen meinen Körper. Ich hatte ihm wieder einen Arm um die Schultern gelegt und lehnte nun vorsichtig meinen Kopf gegen seinen, berührte seine Haare mit meinen Lippen. Zaghaft griffen Davids Finger nach meiner Hand, die ich auf meinen Oberschenkel gelegt hatte und streichelten über meinen Handrücken. Dann setzte er sich etwas auf und wandte mir sein Gesicht zu.

„Danke“, wiederholte er noch einmal, lächelte und rutschte noch näher zu mir. Ich erwiderte sein Lächeln nur und drückte seinen Oberkörper vorsichtig etwas zu mir, spürte dieses atemberaubende Gefühl, als seine Lippen meine berührten und legte behutsam auch meinen zweiten Arm um seinen Körper.

Kapitel 35 - David

Bitte, bitte, bitte, lass das alles keinen Traum sein! Es war zu schön! Ich wollte nicht, dass das jemals enden würde. Ich wollte nie wieder von seinen Lippen getrennt werden. Nie wieder!

Mein Wunsch, alles, was ich mir so sehr wünschte, war in Erfüllung gegangen. Das war doch nicht möglich. Wie konnte das nur sein?

Ich lag hier in den Armen von Mr. Courten und er küsste mich! Er küsste mich so liebevoll, so zärtlich, so gefühlvoll. Es war einfach unbeschreiblich.

„Ich mag es, wenn du so lächelst“, flüsterte er, als wir uns wieder voneinander gelöst hatten.

Und schon wieder musste ich grinsen. Meine Mundwinkel waren einfach nicht mehr nach unten zu bewegen. „J…ja, ich…ich bin auch glücklich!“

„Ich hatte Angst, dich zu verunsichern“, gab er ein wenig zerknirscht zu. „Ich meine, du bist noch so jung und…“

„Unerfahren?“, beendete ich seinen Satz.

Mr. Courten seufzte. „Nun, du weißt sicherlich, dass das nicht richtig ist, was wir hier machen. Ich bin dein Lehrer.“

Dass dieser Satz kommen musste, war mir klar. Natürlich, wir durften es nicht! Lehrer und Schüler; unbestritten, dass sie sich nicht lieben durften. Es war so ungerecht. Würde ich dieses wunderschöne Gefühl jetzt dadurch verlieren, weil es diese beschissene Regelung gab? Das konnte doch nicht wahr sein!

Gerade jetzt war ich so glücklich wie noch nie in meinem Leben zuvor. Ich durfte etwas erfahren, was mir vollkommen fremd war. Ich wollte das nicht schon wieder aufgeben.

„David“, meinte er. Seine Hand umfasste wieder meine.

„Versprich mir etwas, ja? Sag zu keinem, was wir da getan haben, okay?“

„Natürlich nicht“, erwiderte ich sofort, jedoch bei weitem weniger euphorisch klingend, als noch gerade eben. Was wir getan haben... Wieso sprach er schon jetzt in der Vergangenheitsform? Vielleicht war es ja doch nur ein Traum. Ein realer Traum, der jedoch genauso wie jeder andere sein Ende fand, wenn er am schönsten wurde.

„Dein Lächeln…“ Mr. Courten sah mich traurig an. „Was ist los?“

„N…nichts.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe nur gerade das Wort ‚vergänglich’ neu entdecken können.“

Es schien zuerst so, als würde er nicht verstehen, was ich meinte, doch dann nickte er stumm. „Ich glaube, du denkst gerade falsch von mir“, sagte er.

„Ich denke gar nichts“, log ich und meine Stimme war kaum mehr als ein leiser Hauch. „Ich wollte nur…ich meine…ich…es war schön. Es war so schön.“

Ich konnte nicht verhindern, dass ich schon wieder sehnsüchtig klang und verbittert auf unsere Hände starrte, die noch immer aufeinander lagen.

„Wahrscheinlich bin ich zu naiv, um zu erkennen, dass ich das nicht darf. Aber Sie haben Recht, ich bin eben noch sehr jung.“

Was ich da für Schwachsinn redete, war mir kaum bewusst, ich ließ meiner Traurigkeit einfach freien Lauf, doch dann besann ich mich plötzlich wieder, als Mr. Courten wortlos seine Arme um mich schloss und mich an sich drückte.

Und wieder fühlte ich diese Schmetterlinge im Bauch. Ich konnte es einfach nicht abstellen. Niemals würde ich das können.

„Du bist nicht naiv, David“, murmelte er leise. „Weißt du, gegen manche Gefühle ist man einfach machtlos und da ist es vollkommen egal, wie alt oder jung man ist.“

Ein wenig verwunderten mich seine Worte. Es hörte sich beinahe so an, als würde er aus Erfahrung sprechen.

„W…wie wird es jetzt weitergehen?“, fragte ich leise und war über mich selbst verwundert, dass mich traute, so eine Frage zu stellen.

Mr. Courten seufzte und sah mich wieder an. „Ich weiß, das klingt unvernünftig, aber lass uns noch nicht an morgen oder übermorgen oder an die nächsten Tage denken. Das war jetzt alles ein wenig viel auf einmal.“

Ich nickte ein wenig verwundert. Hieß das nun, dass es ihm doch ernst war mit mir? War auch er hin- und hergerissen und wollte damit nicht aufhören? Es schien mir fast unmöglich.

„Ich…ich will damit nicht aufhören“, hauchte ich leise. „Es ist so schön.“

Mr. Courten lächelte. „Ja, das ist es.“

Langsam kamen sich unsere Gesichter wieder näher, und unsere Lippen waren erneut vereint. Dieses Gefühl! Ich war bestimmt schon tausend Mal gestorben, weil es so schön war. In diesen Momenten, in denen er mich küsste, vergaß ich einfach alles um mich herum. Alle meine Ängste, Sorgen und Probleme. Alles schien wunderbar leicht. Alles war in Ordnung.

Und in jeder einzelnen Sekunde, in der ich seine Lippen genießen durfte, wurde mir eine Sache klarer und klarer.

Ich liebte ihn! Mehr als alles andere auf dieser Welt liebte ich ihn.

Liebe war für mich immer ein Gefühl gewesen, unter dem ich mir nichts vorzustellen wusste. Aber jetzt war mir klar, was es bedeutete. All diese Empfindungen, die man hatte, wenn man einer geliebten Person nahe sein durfte; all das erlebte ich plötzlich selbst. Ich war mir sicher, dass es keine Worte ausdrücken konnten. Kein einziges.

„Ich habe noch nie zuvor jemanden geküsst“, gestand ich nach einer Weile, in der wir schweigend nebeneinander saßen. Ich hatte meinen Kopf auf seine Schulter gelehnt und genoss die zärtlichen Berührungen, als seine Finger über meinen Nacken strichen.

„Soll mich das ehren?“, fragte er leise lachend.

Ich grinste. „Ich kann es mir mit keinem anderen schöner vorstellen als mit dir.“

Viel zu spät bemerkte ich meinen Fehler und hielt mir vor Schreck eine Hand vor den Mund. Ich hatte ihn geduzt! Wie peinlich!

„Ent…Entschuldigen Sie“, fügte ich rasch hinzu. „Das ist mir rausgerutscht!“

Mr. Courten musterte mich und schüttelte dann den Kopf. „Weißt du, mir gefällt das ‚Du’ eigentlich recht gut. Du darfst mich gerne duzen, solange wir unter uns sind.“

Ich staunte nicht schlecht, als er mir ein Küsschen auf die Wange gab und mir ein weiteres Lächeln schenkte. „Natürlich nur, wenn du willst!“

„W…wenn es Ihnen…ich meine…dir...“ Ich atmete tief durch und räusperte mich. „Wenn es dir recht ist?“

Er nickte. „Ich heiße Andrew. Aber nenn mich doch Andy.“

„Andy“, flüsterte ich und erwiderte sein Lächeln zaghaft. „O…okay. Gerne.“

Wir sahen uns kurz an und ich fühlte mich sehr behaglich. Sicherlich würde es eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hatte, ihn zu duzen, wenn wir alleine waren, aber mir gefiel die Vorstellung zunehmend. Vielleicht würde mich das davon abbringen, ständig daran zu denken, dass er mein Lehrer war.

Vielleicht könnte ich ihn in den Stunden, in denen wir alleine waren als so etwas wie meinen richtigen Freund ansehen… Nun gut, diese Vorstellung war ein wenig sehr gewagt, aber in meinen Träumen war das erlaubt.

„Es ist schon spät.“ Er warf einen Blick nach draußen, und auch ich bemerkte die bereits eingekehrte Dunkelheit. „Wir sollten schlafen gehen.“

Ich nickte. „Natürlich. Ich wünsche Ihnen…äh, dir eine gute Nacht“, murmelte ich ein wenig durcheinander und fuhr mir unsicher durch die Haare.

„Du willst auf der Couch schlafen?“, fragte er mich plötzlich.

Ich biss mir nervös auf die Unterlippe. Von wollen konnte doch gar keine Rede sein. Natürlich wollte ich das nicht. Natürlich wollte ich bei Mr. Courten oder besser gesagt mit Andy in einem Bett schlafen, so wie letzte Nacht auch. Natürlich!

Aber ich war so sehr verunsichert. Was durfte ich tun und was nicht? Durfte ich denn darauf bestehen, wieder bei ihm schlafen zu können? Oder war das unhöflich? Ich wusste überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf stand.

Mein Herz klopfte schneller als er mir dann die Hand hinstreckte. „Komm, David!“

Wie benommen vor Glückseligkeit legte ich wortlos meine Hand in seine und stand ebenfalls auf. Meine Beine zitterten ein wenig, als ich hinter ihm her ins Schlafzimmer lief.

Kapitel 36 - Andy

Es war ein seltsames Gefühl gewesen mit David darüber zu sprechen, dass wir das eigentlich gar nicht tun durften. Es war merkwürdig, davon zu sprechen, dass ich ihn nicht in meinen Armen halten durfte und es währenddessen zu tun, dass ich ihn nicht küssen durfte und es trotzdem tat und dass ich nicht so für ihn fühlen durfte und es dennoch tat. Ich hatte ihn nicht verunsichern wollen damit, das lag mir wirklich fern, aber ich hatte es einfach sagen müssen um mein schlechtes Gewissen loszuwerden. David wusste auf was er sich da einließ, er wusste, dass wir das nicht durften, und dass er es trotzdem wollte, das fühlte sich einfach unbeschreiblich schön an.

Ein wenig hatte er mich erst vor den Kopf gestoßen, als er anscheinend beabsichtigt hatte, auf der Couch zu schlafen, allerdings hatte ich bemerkt, dass er einfach nur total unsicher war – natürlich, all diese Dinge, die heute geschehen waren, mussten ihn überfordern. Gerade deshalb wollte ich, dass er wieder bei mir schlief, damit ich ihn in den Arm nehmen konnte und ihm damit zeigen konnte, dass er mit dieser ganzen Verwirrung über uns beide nicht alleine war.

„Möchtest du vielleicht ein anderes T-Shirt zum Schlafen haben?“, fragte ich ihn lächelnd und streichelte sanft über seine Finger, diese Berührungen schienen ihn nämlich ein wenig zu beruhigen.

„Das wäre nett“, erwiderte er schon weniger nervös lächelnd und ich löste meine Hand von seiner um ein frisches Shirt aus meinem Schrank zu suchen. Ich drückte ihm ein schwarzes T-Shirt mit einem kleinen roten Schriftzug auf der Brust in die Hand – eines meiner Lieblingsshirts.

„Danke“, meinte er und verschwand durch die noch offen stehende Tür in Richtung Badezimmer. Ich zog währenddessen ebenfalls meine Klamotten aus, warf sie über einen Stuhl und zögerte dann, als mein Blick zum Schrank fiel. Einige Momente überlegte ich, ob es David nicht vielleicht angenehmer sein würde, wenn ich nicht nur in Boxershorts schlief, aber immerhin hatte ihm das in der letzten Nacht auch nichts ausgemacht, da würde es das doch jetzt erst recht nicht tun.

Lächelnd stellte ich den Wecker für den nächsten Morgen und setzte mich aufs Bett. Noch immer fiel es mir schwer zu realisieren, was hier passiert war. Vor wenigen Tagen hatte ich mir noch eingeredet, dass ich mich nur um ihn sorgte, und nun waren wir plötzlich hier an diesem Punkt angelangt. Ich durfte ihn küssen, durfte ihn berühren, und ich wollte es für heute, morgen und vielleicht auch übermorgen einfach vergessen, dass er mein Schüler war und ich das nicht durfte.

„Sie... Du siehst so... nachdenklich aus“, hörte ich plötzlich eine leise Stimme neben mir und hob meinen Blick. David stand direkt vor mir und strich etwas zaghaft durch meine Haare. Ich lächelte nur wegwerfend, legte beide Hände an seine Hüften und zog ihn auf meinen Schoß. Er wirkte im ersten Moment etwas erschrocken, doch ich zog ihn einfach noch näher zu mir, lehnte meinen Kopf an seine Brust und drückte seinen Körper fest an mich. Erst nach einigen Augenblicken legte er seine Arme um meinen Hals, streichelte dann wieder sanft mit den Fingern durch meine Haare. Wir verharrten einige Zeit in dieser Position und ich fühlte mich in diesem Augenblick unbeschreiblich glücklich, dass ich ihn festhalten durfte, dass er mir diese Nähe gewährte.

„Wir sollten schlafen, denke ich“, murmelte ich dann nach einiger Zeit und David erhob sich wieder. Ich rutschte weiter aufs Bett, während er das Licht ausschaltete und sich dann vorsichtig neben mich legte. Wie schon am Vortag legte ich mich auf die Seite und betrachtete ihn ruhig, während ich sanft mit den Fingerspitzen seine Gesichtskonturen nachfuhr.

„Weißt du, dass du wunderschön bist?“, flüsterte ich nach einiger Zeit und streichelte über seine Wangen.

„S... Du... Du siehst… Ich... ich meine...“, stotterte er etwas und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Einerseits sagte er mir damit nämlich, dass ich nicht zu weit gegangen war, ihm so etwas zu sagen, andererseits war es einfach wundervoll süß, dass er das nicht richtig über seine Lippen brachte.

„Shhh...“, flüsterte ich nur und legte ihm meinen Zeigefinger auf die Lippen. „Du musst nichts sagen, ich weiß doch, dass das alles momentan noch schrecklich neu ist. Aber ich darf dich küssen, ja?“

David lächelte und sah dabei so unglaublich glücklich aus. Er ließ eine Hand über meinen Arm in meinen Nacken gleiten und zog mich vorsichtig zu ihm hinunter. Unsere Lippen berührten sich und wir begannen beide sie gegeneinander zu bewegen. Seine Finger streichelten meinen Nacken und fuhren ein wenig weiter nach unten, während ich mich etwas über ihn beugte und mit einer Hand von seiner Schulter bis hinunter zu seinem Bauch wanderte. Ich ließ sie noch auf dem T-Shirt und streichelte ihn sanft, doch David ließ seine Hand von meinem Rücken wieder über meinen Arm hinab zu meiner Hand gleiten. Zärtlich nahm er sie in seine und fuhr mit ihr unter sein T-Shirt. Beide seufzten wir leise, als meine Hand seine erhitzte Haut berührte.

Es fühlte sich so wundervoll an seine Haut zu berühren, und ich wurde mit Sinneseindrücken überladen, als Davids Hand nicht zurück auf meinen Rücken, sondern meine Brust wanderte und er wie zufällig eine meiner Brustwarzen streifte. Ich keuche ungewollt in unseren Kuss und glaubte für einen Moment, mein Arm, mit dem ich mich neben seinem Kopf abstürzte, würde nachgeben. Erschrocken hatte er seine Augen geöffnet und unseren Kuss augenblicklich gelöst.

„Es tut mir Leid, Entschuldigung, ich...“, stotterte er und löste fast panisch seine Hände von meinem Körper. Ich musste mich erst einige Augenblicke von dieser Berührung erholen, wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, was er damit gerade ausgelöst hatte, er sah aus, als hätte er Angst mir wehgetan zu haben.

„Hey, ist in Ordnung, du hast nichts falsch gemacht“, flüsterte ich und küsste ihn sanft auf Stirn, Wangen und Mund. Meine Hand ruhte noch immer auf seinem Bauch, also küsste ich ihn noch einmal auf seine Lippen und fuhr währenddessen langsam unter seinem T-Shirt zu seiner Brust. Vorsichtig berührte ich eine seiner Brustwarzen und nun entwich auch ihm eine Mischung aus Keuchen und Seufzen, fast schon ein leises Stöhnen

„Siehst du, das fühlt sich gut an, mh?“, meinte ich, lächelte und küsste ihn wieder. Er schluckte schwer und nickte dann. Behutsam legte ich mich wieder neben ihn, zog meine Hand unter seinem T-Shirt hervor und streichelte wieder langsam, beruhigend über seinen Bauch. Zaghaft legte ich meine Lippen auf seine, drückte seinen Körper mit beiden Armen an meinen heran und küsste ihn so gefühlvoll wie ich nur konnte. Er entspannte sich in meinen Armen und erwiderte meinen Kuss wieder etwas gelöster.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich wenig später flüsternd und erntete ein leichtes Nicken von David.

„Ja, ich denke schon. Ich kann nur nicht glauben, dass... dass du so... so zärtlich bist, das war bisher nie jemand zu mir“, erklärte er leise und schmiegte seinen Kopf an meinen, als ich ihm einen Arm unter den Hals legte.

„Das kann ich mir vorstellen. Aber weißt du was? Ich verspreche dir noch etwas, David. Ich werde immer zärtlich zu dir sein, ja? Ich werde dir niemals wehtun“, flüsterte ich und merkte, dass er sich bei meinen Worten noch mehr an mich kuschelte.

„Aber jetzt sollten wir langsam wirklich schlafen, sonst verschlafen wir morgen noch“, fügte ich noch hinzu und hob meinen Kopf. David drehte mir sein Gesicht zu und ich war sehr erleichtert, als ich dieses glückliche Lächeln wieder auf seinen Lippen sah. Sanft küsste ich ihn ein letztes Mal für diesen Tag.

„Schlaf gut“, flüsterte er dann und schmiegte sich wieder fest an mich. Ich legte beide Arme um seinen Körper, lehnte meinen Kopf an seinen und hauchte nur noch ein leises „Gute Nacht“.

Kapitel 37 - David

„Guten Morgen, David.“ Eine sanfte Stimme holte mich aus meinen Träumen und weiche Lippen lagen auf meinen.

Ich musste unweigerlich lächeln und erwiderte den leichten Kuss, legte mit noch immer geschlossenen Augen meine Arme um seinen Körper und fühlte mich ein weiteres Mal wie im Himmel.

„Wie geht es dir?“, fragte mich Andy, als wir uns wieder voneinander gelöst hatten.

Ich lächelte glücklich. „Wunderbar!“

Seine Hand legte sich auf meine Stirn. „Kein Fieber mehr. Meinst du, du kannst heute wieder zur Schule gehen?“

„Ich kann nicht nur, ich will sogar!“ Voller Tatendrang richtete ich mich auf und strahlte Andy an. „Ich freue mich so sehr darauf, wie schon lange nicht mehr!“

Er erwiderte mein Lächeln und strich mir sanft durch die Haare. „Das freut mich sehr. Wir sollten jetzt aufstehen, wenn wir rechtzeitig kommen wollen.“

Ich nickte, jedoch ein wenig unsicher geworden. „Welche Busse fahren denn hier zur Schule?“

Andy sah mich überrascht an, lachte dann jedoch. „Ach David, ich fahre dich natürlich mit dem Auto zur Schule! Gar kein Problem.“

Mein Bauchkribbeln verstärkte sich wieder und ich blickte grinsend auf meine Hände. „Sieht…sieht das nicht ein wenig seltsam aus? Ich meine…wenn ich aus deinem Auto steige?“

Andy seufzte kurz auf. „Naja, vielleicht hast du Recht. Ich werde dich kurz vor der Schule rauslassen, ist das okay?“

Bildete ich mir das ein, oder hörte ich kurzzeitig ein wenig Unsicherheit in seiner Stimme? Ich sah wieder zu ihm auf. „Natürlich ist das okay!“

Auf sein Gesicht zauberte sich wieder ein Lächeln, er beugte sich zu mir vor und küsste mich sanft, bevor er aufstand und mit einem „Ich mach uns schnell Frühstück, geh schon mal ins Bad, ja?“ den Raum verließ.

Fröhlich grinsend stand ich auf und tat, was er gesagt hatte.

Es war unglaublich, wie ich mich fühlte. So wunderbar war es mir schon ewige Zeit nicht mehr ergangen. Andy hatte wieder den glücklichen David aus mir gemacht, der ich früher immer gewesen war. Zumindest kurzzeitig schaffte er es, all meine Sorgen und Ängste aufgrund meines Vaters beiseite zu schieben, und so konnte ich einfach nur genießen, was er mir an Aufmerksamkeit und Liebe schenkte.

Ich hätte im Moment die ganze Welt umarmen können. Ich war noch nie verliebt gewesen, das Gefühl war mir gänzlich neu. Zeitweise hatte ich sogar ein wenig Angst davor gehabt, mich einem Menschen völlig hinzugeben und Gefahr zu laufen, eventuell enttäuscht zu werden. Aber all diese Ängste entpuppten sich als harmlos, wenn ich dagegen betrachtete, wie wunderbar es mir nun ging. Um keinen Preis der Welt wollte ich diese Gefühle wieder hergeben, die ich hatte, wenn ich Andy nur in die Augen blickte.

„Na? Träumst du?“, holte mich eine belustigt klingende Stimme aus meinen Gedanken zurück.

Ich wandte mich um, schon komplett fertig angezogen und zurecht gemacht. Eigentlich stand ich nur noch grinsend vor dem Spiegel und dachte an Andy. Also hatte er in gewisser Weise Recht, dass ich träumte. Aber war die Realität nicht sogar noch viel schöner?

„Ich liebe es, wenn du so strahlst!“, meinte er, als er sich hinter mich stellte und mich umarmte.

Zufrieden schloss ich die Augen und genoss die kurze Zärtlichkeit, die er mir schenkte. Andy war da für mich. Ich war ihm nicht egal, sondern sehr wichtig. Ich war nicht mehr alleine. Das alles war so ein verdammt gutes Gefühl!

„Frühstück ist fertig“, hauchte er in mein Ohr und küsste mich auf die Wange. „Geh schon mal vor, ja? Ich mach mich auch schnell fertig.“

Ich nickte, er küsste mich noch einmal und dann lief ich ins Wohnzimmer. Wieder war das Zimmer von einem angenehmen Kaffeegeruch erfüllt. Auf dem Tisch lagen ein paar Scheiben Brot und Toast. Ich nahm mir eine Scheibe Toast und schenkte mir dazu ein Glas Orangensaft ein und verfiel schon wieder meiner Träumerei.


„Hast du alles?“ Andy sah mich fragend an, als ich neben ihm im Auto Platz nahm.

Ich bejahte seine Frage mit einem Lächeln und befestigte den Sicherheitsgurt. „Alles da!“

„Dann können wir ja los.“ Er fuhr aus der Einfahrt heraus und schlängelte sich mühelos in den Berufsverkehr ein.

„Du brauchst einige Sachen von zu Hause, David“, meinte Andy plötzlich.

Ich sah ihn verwirrt an. „Was meinst du?“

„Naja, frische Klamotten und vor allem dein Schulzeug! Lehrer sehen es nicht gerne, wenn ihre Schüler Tafelanschriften auf Blöcke schreiben und nicht in ihre Hefte.“

Ich grinste. „Da bin ich aber froh, dass du heute bei mir eine Ausnahme machst.“

„Aber nur heute!“, erwiderte Andy mit einer gespielt tadelnden Stimme.

Trotz der Glückseligkeit, die ich verspürte, machte sich bei dem Gedanken, kurz nach Hause zu müssen, ein wenig Unwohlsein in mir breit. Wie sollte ich das anstellen? Ich wollte keinesfalls meinem Vater begegnen, was wohl unweigerlich passieren würde.

Andy schien meine Zweifel zu spüren, denn er legte eine Hand auf meine, als wir an einer roten Ampel standen. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe dir gestern versprochen, dass ich immer auf dich aufpassen werde und für dich da bin. Und ich werde heute Nachmittag mitkommen, wenn wir zu dir gehen, okay?“

Er schaffte es tatsächlich, mich sich besser fühlen zu lassen. Unglaublich. „Vielen Dank, Andy… ich weiß gar nicht, wie ich mich für all das jemals revanchieren kann.“

Er grinste und schüttelte den Kopf. „Du musst dich doch nicht revanchieren! Mir reicht es, wenn ich dich glücklich sehen kann, wie gerade eben. Und die Tatsache, dass ich ein bisschen an deinem strahlenden Lächeln schuld bin, ist schöner, als jede Gegenleistung, verstehst du?“

Mein Herz klopfte unnatürlich schnell, als Andy einige Straßen von der Schule entfernt anhielt und mich anblickte. „Wir sehen uns ja gleich wieder in der ersten Stunde.“

Erfreut darüber nickte ich. „Ich glaube, Englisch wird mein Lieblingsfach!“

Andy lachte. „Hey, du solltest das Fach mögen wegen der wunderbaren Sprache und nicht wegen mir!“

„Es fällt mir aber sehr schwer, neben dir noch etwas anderes Tolles wahrzunehmen“, erwiderte ich lächelnd.

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde Andy ein wenig rot werden. Er sah so süß aus, wenn er verlegen war. Und anstatt etwas zu antworten, blickte er kurz hinter sich und beugte sich dann zu mir vor, um mich noch einmal zu küssen.

Ich hätte ewig so sitzen bleiben können, neben ihm in seinem Auto und seine wunderbar weichen Lippen auf meinen… das war besser, als jeder Traum.

„Bis gleich“, flüsterte er und drückte kurz seine Stirn gegen meine.

Ich nickte, noch immer mit einem ziemlich breiten Grinsen im Gesicht und öffnete die Autotüre.

Ein letztes Mal berührte ich Andys Lippen und winkte ihm zu, als ich ausgestiegen war und meinen Weg zu Fuß fortsetzte.

Bei den Gedanken an die erste Stunde musste ich aufpassen, dass ich nicht zu hüpfen begann vor Freude.

Das Leben war wunderbar! Es war einfach wunderbar!

Kapitel 38 - Andy

Mit einem nicht zu beschreibend glücklichen Ausdruck im Gesicht startete ich den Motor meines Wagens wieder und steuerte auf die Schule und den davor befindlichen Lehrerparkplatz zu. Ich konnte selbst kaum fassen, wie sehr mich das alles, was geschehen war, beflügelte. Mein Gott, es klang einfach unfassbar schön, dass ich allen Ernstes nicht mehr alleine war, ich musste einfach derart glücklich aussehen!

„Wow, was für ein Grinsen“, riss eine dunkle Stimme mich aus meinen Gedanken, während ich meinen Wagen abschloss, und ich hob sofort meinen Kopf. Kevin.

„Tja“, grinste ich nur und ließ meine Autoschlüssel in meiner Hosentasche verschwinden.

„Ein Wunder, dich mal wieder fröhlich zu sehen, hast du irgendwo Geld gewonnen?“, lachte er und gab mir wie üblich kurz die Hand.

„Geld nicht, was viel Besseres“, meinte ich noch immer breit grinsend und betrat neben Kevin den Schulhof. Ich wusste nicht recht, ob mein Grinsen verschwinden oder noch größer werden sollte, als ich die Betonsitzbank auf dem Hof sah, auf der David und ich gesessen hatten, als er das erste Mal über seinen Vater gesprochen hatte. Es war scheußlich, was er erzählt hatte, aber er hatte mir zu diesem Zeitpunkt das erste Mal vertraut und sich sogar bei mir entschuldigt!

„Oh, na das freut mich“, lächelte Kevin und hielt mir die Tür zum Schulgebäude auf, trat hinter mir in den Gang. Mittlerweile nicht mehr grinsend, sondern mit einem leicht benebelten Lächeln auf den Lippen folgte ich ihm Richtung Lehrerzimmer. Mit meinen Gedanken war ich dem Hier und Jetzt schon wieder völlig entschwebt und befand mich wieder am frühen Morgen dieses Tages.

Es war so wundervoll gewesen neben David aufzuwachen, ihn ganz fest in meinen Armen zu halten und seine warme Haut zu spüren. Wir hatten uns nämlich anscheinend in der Nacht relativ viel bewegt. David war auf der anderen Seite des Bettes gelegen, als der, auf der er eingeschlafen war, und außerdem halb auf mir, mit bis zur Brust hochgerutschten T-Shirt, sodass meine Arme, die um seinen Körper geschlungen waren, seinen nackten Bauch und Rücken berührt hatten. Schon da war dieses Lächeln auf meinen Lippen erschienen und ich hatte sanft mit meinen Händen über seine Haut gestreichelt.

Ich verfluchte die Tatsache, dass wir beide in die Schule mussten, auch jetzt noch, ich hätte so gerne noch viel, viel länger einfach nur neben – oder eher unter – David gelegen, ihn festgehalten und einfach nur gewusst, dass er ganz nah bei mir gewesen wäre. Innerlich machte ich mir eine Notiz, dass ich Samstag und Sonntag Morgen unbedingt nutzen müsste, um sehr lange mit David im Bett zu bleiben. Es fühlte sich unbeschreiblich schön an, solche Dinge denken zu können.

„Hey! Bist du noch hier?“, riss mich dieselbe Stimme wie vor einigen Minuten aus meinen Gedanken und ich blickte mit einem jetzt sehr benebeltem Lächeln auf. Kevin und ich hatten uns – was meinem Bewusstsein völlig entgangen war – im Lehrerzimmer auf unseren Plätzen niedergelassen und ich hielt noch immer meine Tasche auf meinem Schoß. Ich schüttelte leicht meinen Kopf.

„Klar, nur etwas... unkonzentriert“, meinte ich und ließ meine Tasche auf den Boden gleiten.

„Etwas sehr unkonzentriert, mh?“, lachte Kevin nur, schlug mir kurz freundschaftlich auf die Schulter und holte einige Unterlagen aus seiner Aktentasche. Ich machte mich ebenfalls daran und sah noch einmal kurz nach, ob ich die Aufsätze meiner 10b eingepackt hatte. Alleine schon bei dem Gedanken daran, wie gespannt David gewesen war, wie mir seine Meinungen gefallen würden, während wir wenigstens einen Teil seines Aufsatzes geschrieben hatten, musste ich wieder breiter lächeln. Ich war mir sehr wohl bewusst, dass es nicht in Ordnung war ihm zu erlauben, dass er den Aufsatz noch nicht komplett haben musste, aber ich konnte ganz einfach nicht anders.

Als es klingelte, sprang ich regelrecht auf und bekam dafür nun einen wirklich verwunderten Blick von Kevin. Ich spürte, wie meine Wangen heiß und sicherlich sehr rot wurden. Mein Grinsen war zu erklären und sicher hatte Kevin gemerkt, dass ich verliebt war und deshalb derart neben mir stand, aber nun so scharf darauf zu sein in das nächste Klassenzimmer zu rennen wirkte sicher sehr verwunderlich.

„Wir sehen uns nachher“, grinste er wenige Augenblicke später allerdings nur noch, und ich verließ mit einem Nicken und wohl rotem Gesicht das Zimmer. Sobald ich durch die Tür getreten war und die ersten Schüler sah fuhr ein sehr angenehm kribbelndes Gefühl durch meinen Bauch und augenblicklich erschien dieses Lächeln wieder auf meinen Lippen. Obwohl wir uns nun wirklich nur vielleicht zehn Minuten nicht gesehen hatten, war ich regelrecht aufgeregt, David zu sehen.

Im Klassenzimmer angekommen begrüßten mich die anwesenden Schüler mit einem trägen „Morgen“ und zu meiner Enttäuschung war David noch nicht anwesend. Allerdings brauchte es nur, bis ich meine Tasche auf den Tisch gestellt und geöffnet hatte, und er erschien auch schon in der Tür. Glücklich lächelnd und mit ein klein wenig roten Wangen trat er ins Zimmer und senkte seinen Blick etwas verlegen, als ich ihn für einen kurzen Moment anlächelte, während in mir scheinbar ein Schwarm Schmetterlinge seine Runden drehte und drehte und drehte...

„Guten Morgen“, rief ich laut – und lächelnd – nachdem es das zweite Mal geklingelt hatte und die Klasse versammelt und an ihren Plätzen war

„Guten Morgen“, kam weniger enthusiastisch von den meisten, sehr enthusiastisch allerdings von einigen, natürlich inklusive David, zurück. Ich lächelte noch etwas glücklicher und blieb mit meinem Blick für einige Momente an der zierlichen Gestalt und dem Lächeln in dem wunderschönen Gesicht des Jungens in der letzten Reihe haften. Für einige Augenblicke konnte ich mir selbst und meinen Gedanken kaum glauben, dass es mir erlaubt war diesen Jungen festzuhalten, abends neben ihm einschlafen und morgens neben ihm aufwachen zu dürfen. Das alles war so wunderschön.

„Also, ich hab eure Aufsätze fertig und ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt von einigen Arbeiten, fast alle haben das meiste mittlerweile sehr gut drauf und nur noch einigen wenigen steht noch Arbeit in dem Gebiet bevor“, erklärte ich und trat dabei zurück hinter das Pult und holte die Hefte aus meiner Tasche. Lächelnd verteilte ich die Hefte in der Klasse und hielt als letztes nur noch eines in der Hand, dessen Name auf der Vorderseite einen leisen Schauer über meinen Rücken laufen ließ. Ich musste mich mit aller Kraft zusammenreißen ihn nicht von seinem Stuhl zu reißen und ihn zu küssen, als ich vor seinem Tisch stand, das Heft hinlegte und er zu mir herauf lächelte.

Er sah unglaublich süß aus, wie er mich glücklich anlächelte und zaghaft nach dem Heft griff. Ich blinzelte ihm zu und strich wie zufällig über seinen Handrücken, als ich mich wieder nach vorne drehte. Für einen kurzen Moment biss ich mir auf die Unterlippe und schloss meine Augen, als ich an den Tischreihen vorbeigegangen war und noch immer Richtung Tafel sah. Es war ein seltsames Gefühl wieder so für jemanden zu empfinden, der bei mir im Unterricht saß, und um ehrlich zu sein machte mir das ein wenig Angst. Aber wie ich es David gesagt hatte, ich wollte die Zukunft, wie es weitergehen sollte und auch die Vergangenheit für einige Tage vergessen, ich wollte so sehr wieder glücklich sein, wenigstens für ein paar wenige Tage so unbeschwert glücklich sein.

„Meine Kommentare und die wahrscheinlichen Noten stehen unter euren Aufsätzen, wenn ihr Fragen habt oder etwas nicht lesen könnt, dann meldet euch“, meinte ich dann und blickte durch die Klasse, wurde kurz später schon zu einem Mädchentisch in der zweiten Reihe gerufen um etwas zu erklären. Wenig später meldeten sich noch einige andere und zu meiner Überraschung auch David, also ging ich, nachdem ich noch zwei andere Fragen beantwortete hatte, zu ihm nach hinten.

„Können Sie diese Bemerkung vielleicht erklären?“, fragte er relativ leise und für die anderen wohl nicht hörbar, die lautstark mit ihren eigenen Aufsätzen beschäftigt waren. Ich spürte ein unsagbar angenehmes Gefühl, als ich seine Stimme hörte. Ich trat hinter ihn und blickte über seine Schulter hinweg in das Heft, entschloss mich, mich vorsichtshalber auf seiner Rückenlehne und neben seinem Arm abzustützen und streichelte dabei zärtlich und ungesehen von den anderen mit ein paar Fingern über seinen Rücken.

Kapitel 39 - David

Eine sanfte Gänsehaut bildete sich an meinem gesamten Körper, als Andy hinter mir stand und mit seiner Hand kurz und zärtlich meinen Rücken berührte. Ich hätte am liebsten leise geseufzt vor Zufriedenheit, doch ich verkniff es mir und genoss es stattdessen, Andy gerade eben überhaupt so nahe bei mir zu haben.

Er deutete auf meinen Aufsatz und erklärte die Frage, die ich beantwortet haben wollte, aber offenbar merkte er, dass mir diese Bemerkung am Rand klar war und ich mich einfach nur glücklich schätzte, ihn einen Augenblick für mich alleine zu haben.

Mein Blick fuhr kurz zu meinen Mitschülern, die nicht sonderlich auf uns beide achteten, und ich lächelte. Kein Mensch ahnte, was Andy mir bedeutete, und ebenso wenig wussten sie, was ich ihm bedeutete. Sie hatten keine Ahnung, was das zwischen uns war, was wir füreinander fühlten und wie glücklich er mich machte.

Für einen kleinen Moment war es so, als befänden wir uns meilenweit außerhalb dieses Klassenzimmers und ich war glücklich, mit ihm alleine zu sein. Zumindest in meinen Gedanken. Kurz schloss ich die Augen und spürte so nur den leichten Druck seiner Hand, die mir bei genauerem Überlegen, wie nah er mir an so einem „verbotenen“ Ort eigentlich war, ein richtiges Kribbeln verursachte.

Langsam blickte ich wieder zu ihm auf und bemerkte, dass er mich anlächelte, was mich sofort ebenfalls grinsen ließ.

„Hast du verstanden?“, flüsterte er und ich nickte zaghaft.

Etwas enttäuscht darüber, dass er mich nun doch wieder losließ und mit einem letzten Blick weiter durch die Reihen lief, seufzte ich stumm auf und starrte zurück auf meinen Aufsatz, in der Hoffnung, ich würde vielleicht noch eine Unklarheit finden, für die ich ihn holen könnte.

Leider wurde mir bewusst, dass alles andere wohl mehr als auffällig sein würde, wahrscheinlich wäre es Andy sogar etwas unangenehm, wenn er Angst haben müsste, zu auffällig zu werden und aus diesem Grund beließ ich es und versank wieder in meine Träumereien.

Das Ende der Stunde kam viel zu bald, und ab dem Moment, an dem Andy mit einem Abschiedsgruß an alle – und einem letzten Lächeln zu mir – den Raum verließ, wünschte ich mir sehnlich den Unterrichtsschluss herbei. Ebenso schleppend strich die restliche Zeit dahin, in der ich einerseits zwar alles wahrnahm, was um mich herum passierte, andererseits konnte ich die Ereignisse nicht wirklich greifen, geschweige denn erinnerte ich mich an die jeweils vorhergegangene Stunde.


Als jedoch das Ende der letzten Stunde erreicht war und ich mein Zeug zusammenpackte, kam mir ein fieser Gedanke auf. Ich hatte mit Andy doch überhaupt keinen Treffpunkt ausgemacht!

Etwas hilflos sah ich auf die Uhr und eine weitere Frage kam in mir auf. Hatte Andy noch Unterricht oder ebenfalls aus? Diese Unsicherheiten ärgerten mich selbst ein wenig, schließlich hätte ich doch genug Zeit gehabt, Andy diese wirklich wichtige Frage stellen zu können. Aber nein, ich hatte das Wesentliche während meiner Träumereien natürlich mal wieder vergessen. Das war ja so typisch!

Ich nahm meine gepackte Tasche, und etwas unsicher verließ ich das Klassenzimmer, immer darauf bedacht nach Andy Ausschau zu halten. Glücklicherweise waren die Gänge schon einigermaßen frei von Schülern, und so musste ich mir keine Gedanken darüber machen, dass mein Verhalten etwas sehr seltsam rüber kam.

Seufzend lief ich schließlich aus dem Schulgebäude und machte mir bereits Gedanken darüber, was ich jetzt tun sollte, als ich plötzlich auf ein leichtes Räuspern aufmerksam wurde. Verwundert hob ich meinen Blick und das vertraute Bauchkribbeln kam in mir auf, als ich unerwartet Andy in knapper Entfernung stehen sah.

Bemüht, mir meine Freude nicht zu sehr anmerken zu lassen, schritt ich näher zu ihm und sah ihn fragend an, in der Hoffnung er würde verstehen, was ich von ihm wissen wollte.

„Ich hab jetzt auch aus“, meinte Andy auch sofort. „Treffen wir uns da, wo ich dich heute Morgen raus gelassen habe, ja?“

Sofort nickte ich erfreut, und mit einem Male wurde mir bewusst, dass es sich gelohnt hatte, den ganzen Vormittag über diesen Zeitpunkt herbeizusehnen. Immerhin konnten wir bald wieder das tun, was wir wollten, ohne uns Gedanken darüber machen zu müssen, ob andere uns erwischen könnten. In gewisser Weise fand ich langsam richtigen Gefallen an diesem Versteckspiel. Es machte mir deutlich, dass das zwischen uns wirklich etwas Besonderes war und die Erkenntnis, etwas eigentlich nicht ganz rechtlich Korrektes zu machen, gab dem Ganzen einen gewissen Kick.

Unauffällig sah ich Andy nach, wie er scheinbar unabhängig von mir auf den Weg zu den Lehrerparkplätzen war. Für Außenstehende sah es sicherlich so aus, als würden wir nun getrennte Wege gehen, aber umso mehr freute ich mich darüber, dass dies ganz und gar nicht der Fall war. Ja, ich würde den heutigen Tag bei ihm sein, und morgen auch.

Nach ungefähr fünf Minuten begann ich also voller Vorfreude Andy zu folgen, und als ich das Schulgelände verlassen hatte, beschleunigte ich mein Schritttempo um einiges und sah schon von weitem Andys Auto in einer Seitengasse stehen. Eilig öffnete ich die Beifahrertüre, als ich bei ihm angekommen war, und sofort wurde mir wieder warm ums Herz, als er mich anlächelte.

„Hey“, meinte ich leise, was er ebenfalls mit einem flüsterndem „Hallo“ beantwortete.

Einen kurzen Moment saßen wir schweigend und uns in die Augen sehend nebeneinander, bis ich glaubte, mich in seinem Blick vollkommen zu verlieren. Dann konnte ich nicht mehr anders. Es war wie eine leichte Qual, ihn nur auf so eine „Entfernung“ anschauen zu können. Und aus diesem Grund fiel ich ihm wenig später um den Hals. Andy schien zuerst etwas überrascht, drückte mich jedoch dann ebenfalls fest an sich, was mich erneut zufrieden lächeln ließ. Ich schloss genießerisch die Augen und wusste, dass für einen ganz kleinen Augenblick die Zeit wirklich stillstehen musste.

„Ich…ich hab dich…vermisst“, hauchte ich.

Andy strich mir behutsam über den Rücken und ich spürte, dass er ebenfalls wieder grinste. „Ich dich auch“, erwiderte er.

Ich löste mich nur schwerlich von ihm, wusste jedoch, dass ich es nicht länger aushalten würde, seine Lippen nicht zu berühren. Doch auch ihm schien es nicht anders zu ergehen, denn er hob vorsichtig mein Kinn an und kam meinem Gesicht näher.

Ich fing an, diesen Kuss mehr zu genießen, als jemals zuvor und wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, wie fürchterlich es die ganze Zeit über gewesen sein musste, von ihm getrennt zu sein.

Es war ein langer, zärtlicher Moment, der meines Erachtens trotz allem viel zu schnell verging. Wieder waren wir für einige Sekunden in den Blicken des Anderen vertieft, bevor Andy schließlich den Schlüssel umdrehte und der Motor ansprang.

„Wegen deinen Schulsachen…“, fing er plötzlich an.

Ich sah verwirrt zu ihm, bevor mir klar wurde, was er meinte. Stimmt, wir wollten ja zu mir nach Hause fahren, um ein paar Sachen zu holen.

Ein zwiespältiges Gefühl machte sich sogleich in mir breit. Ich wollte nicht unbedingt mit meinem Vater konfrontiert werden, und schon gar nicht wollte ich, dass Andy und er aufeinander trafen, allerdings war ich andererseits sehr, sehr froh, dass ich das nicht alleine tun musste. Und so nickte ich.

„Ja, fahren wir erst zu mir.“ Meine Stimme klang sicherlich unsicherer als beabsichtigt, und Andy wandte sich kurz zu mir, um mir mit einem weiteren aufbauenden Lächeln klar zu machen, dass ich nicht alleine war.

Und ja, das half mir unglaublich.

Ich lehnte mich zurück und blickte gedankenverloren aus dem Fenster, während mir die Gegend, in die Andy fuhr, immer vertrauter wurde.

Kapitel 40 - Andy

Als ich während der sechsten Stunde meine Fünftklässler in Gruppenarbeit Wortfamilien auf Plakate malen ließ, fiel mir auf, dass David und ich nicht ausgemacht hatten, wo wir uns treffen wollten, um nach Hause, oder vielmehr erst einmal zu ihm, zu fahren. Ich wusste wenigstens, dass er ebenfalls nach der sechsten Stunde aus hatte, also nahm ich mir vor, dass ich einfach so unauffällig wie möglich auf dem Schulhof warten würde. Immerhin gab es tausend Gründe, warum ich auf ihn warten würde, ich war sein Englischlehrer, vielleicht wollte ich ihm noch etwas zu seinem Aufsatz sagen?

Obwohl ich mich eigentlich extra damit beruhigt hatte, war ich erleichtert, als David nach einiger Zeit auftauchte, ich hatte trotzdem Angst gehabt, dass jemand mich ansprach. Sofort als ich ihn sah verflog jeder Gedanke an diese Dinge und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Es war schön, ihn zu sehen, es war schön zu wissen, dass ich nicht wie jeden Tag alleine nach Hause fahren würde.

Als er ein wenig näher trat, räusperte ich mich dezent und beobachtete, wie er seinen Blick vom Boden hob. Sein vorher scheinbar unbewegter Gesichtsausdruck hellte sich auf und ein Lächeln schlich sich auch auf seine Lippen. Leise sagte ich ihm, wo wir uns treffen würden und wir trennten uns wieder voneinander, nur um wenig später in meinem Wagen wieder vereint zu sein.

Es fühlte sich so gut an, ihm nach diesen unendlich vielen, uns voneinander trennenden Schulstunden wieder in meine Arme schließen zu können. Allerdings fiel es mir ein wenig schwer, ihn darauf anzusprechen, dass wir geplant hatten, zu ihm nach Hause zu fahren. David sah so glücklich aus, dieses Lächeln in seinem Gesicht war einfach zu niedlich, als dass ich es problemlos hätte übers Herz bringen können, es wieder zu verscheuchen. Da mir nun aber nichts anderes übrig blieb, rief ich es ihm wieder ins Gedächtnis und machte mich dann, nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte, auf den Weg zu Davids nun ehemaligem Zuhause.

Auch wenn ich das niemals zugegeben hätte, ich hatte ein wenig Angst vor dem, was uns da bevorstand. Was war, wenn Davids Vater zu Hause war? Was, wenn er betrunken war? Ich machte mir Sorgen um David, ich wollte ihn nicht mit diesem Mann konfrontieren und ich wollte nicht, dass er ihm irgendetwas tun konnte. Natürlich würde ich ihn selbst dann beschützen, aber der Mann, den ich als seinen Vater kennen gelernt hatte, war mir physisch weitaus überlegen.

Wir waren wohl beide ziemlich beunruhigt, als ich in seine Straße einbog, jedoch riss mich ein quietschähnliches Geräusch des Jungen neben mir, aus meinen Sorgen und ich blickte verwundert in sein nun nahezu strahlendes Gesicht. Er erwiderte meinen Blick und deutete dann in Richtung Straßenrand.

„Sein Auto ist nicht da! Er ist viel zu faul um sich zu Fuß zu bewegen, also ist er nicht zu Hause“, erklärte er und mir fiel bei seinen Worten ein mit Grönland vergleichbarer Stein vom Herzen.

Ohne seinen Vater im Haus würde die ganze Angelegenheit sehr viel angenehmer verlaufen und ich war sehr froh, dass weder mir noch vor allem David etwas geschehen würde. Ich parkte meinen Wagen vor seinem Haus und wir stiegen wortlos aus, allerdings merkte ich, dass wir beide von neuem begonnen hatten zu lächeln. Ich umrundete den Wagen und griff mutig nach Davids Hand, der seinen Blick von seinem Haus abwandte und überrascht zu mir sah. Ich drückte seine Hand ein klein wenig und machte mich mit ihm auf den Weg zu seiner Haustür.

David schloss sie auf und ließ mich eintreten, folgte mir dann nach drinnen und drückte die Tür hinter sich wieder zu.

„Wir müssen hoch“, meinte er leise und nickte in Richtung der Treppe, sichtbar nervös ob der Tatsache, dass er wieder in seiner ehemals gewohnten Umgebung war. Ich legte ihm sanft eine Hand zwischen seine Schulterblätter und schob ihn vor mir nach oben, denn in gewisser Weise war es mir nicht ganz geheuer, ihn in diesem Haus aus den Augen zu lassen. Oben angekommen öffnete David eine der Türen und führte mich in sein Zimmer. Sobald die Tür geschlossen war, sah ich ihn aufatmen und zog ihn für einen ganz kleinen Moment fest in meine Arme.

„Pack deine Klamotten zusammen, okay? Kann ich schon mal was anderes machen?“, sprach ich leise und fuhr ihm dabei mit den Fingern durch die Haare an seinem Hinterkopf.

„Du kannst meine Schulsachen zusammensuchen, liegt alles auf meinem Schreibtisch“, nickte er.

Unwillig entließ ich ihn wieder aus meinen Armen und drückte ihm noch einen Kuss auf die Stirn. David machte sich daran, seine Kleidung einzupacken, während ich zu seinem Schreibtisch trat. Ich stapelte die Hefte und Bücher übereinander, die verstreut und geschlossen auf dem Tisch lagen und wollte gerade das Heft schließen, das noch geöffnet auf der Oberfläche lag, als ich bemerkte, dass als Überschrift auf der Seite eine meiner letzten Hausaufgaben stand.

Ich lächelte und überflog seinen Text, stutzte einen Moment, als ich in der letzten Zeile angekommen war. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde zu einem sehr breiten Grinsen, als ich ein einziges Wort in verschiedenen Schriftarten mehrmals auf die letzte Zeile geschrieben sah. Andrew.

„…zudem gibt George als er das erste Mal mit Nathan redet Andrew, Andrew, Andrew, Andrew“, las ich vor und musste mir stark ein leises Auflachen verkneifen. Oh Himmel, war das süß! David hatte meinen Namen wahrscheinlich vollkommen gedankenverloren mitten in seine Englischhausaufgabe geschrieben! Und zwar noch bevor wir uns näher gekommen waren!

„Was hast du gesagt?“, hörte ich seine Stimme leise neben mir und grinste ihn an, während Davids Blick auf das Heft fiel und ich genau beobachten konnte, wie seine Augen sich vergrößerten und er knallrot anlief.

„Das… Ich wollte…“, stotterte er und biss sich verlegen auf seine Unterlippe. Ich konnte diesem Anblick einfach nicht widerstehen, lachte leise auf und zog ihn wieder in meine Arme. Es war noch viel, viel niedlicher, dass ihm das auch noch so wahnsinnig peinlich war, als die Tatsache allein, dass er das getan hatte.

„Süß!“, lachte ich und merkte, wie er leise in mein Lachen einstimmte und mich ein wenig von sich weg und etwas nach hinten drückte, sodass ich auf seinem Bett landete. Weiterhin mit einem breiten Grinsen beobachtete ich ihn dabei, wie er sich auf meine Hüften setzte und die Arme beleidigt vor der Brust verschränkte.

„Gar nicht süß“, jammerte er und schob seine Unterlippe ein wenig nach vorne und es kostete mich all meine Selbstbeherrschung unsere Positionen nicht zu tauschen, ihn auf sein unschuldiges, kleines Kinderbett zu drücken und mit diesem zierlichen Körper noch einen Schritt intimer zu werden. Selbst wenn ich mich bei solchen Gedanken in Hinsicht auf ihn ein wenig merkwürdig fühlte, konnte ich nicht bestreiten, dass ich diesen Jungen verdammt noch mal wunderschön fand und ich mir nicht viel schöneres vorstellen konnte, als David auf eine nicht ganz so unschuldige Art zu berühren.

„Oh doch, wahnsinnig süß“, entgegnete ich ihm und zog ihn mit beiden Händen an seinen Schultern zu mir herab. David stützte seine Arme neben meinem Kopf ab und blickte mich einerseits sehr angetan, andererseits ein wenig unsicher an. Lächelnd fuhr ich ihm mit einer Hand über seine Wange und zog sein Gesicht noch ein wenig näher zu mir, begann ihn mit einer sogar für mich bisher unbekannten Sanftheit zu küssen. Er erwiderte meinen Kuss selbstverständlich postwendend und ließ sich dabei ein wenig zögernd ganz auf meinem Körper nieder.

Ich legte meine Hände auf seinen Rücken und streichelte langsam seine Wirbelsäule auf und ab, merkte, wie er dabei ein klein wenig erschauderte. Davon ermutigt ließ ich meine rechte Hand etwas tiefer fahren und schob zaghaft sein T-Shirt ein bisschen hinauf. Diesmal unter dem Stoff wiederholte ich meine vorige Handlung und entlockte David damit unerwartet ein leises Keuchen.

Jedoch wurde mir in dem Moment bewusst, dass das hier, selbst wenn er sich auf diese Berührungen einließ, sicher nicht der richtige Ort war. Auch wenn wir uns wohl gerade in diesem Zimmer ziemlich sicher fühlten, konnte sein Vater jederzeit zurückkommen und uns erwischen. Also löste ich mich von ihm.

„Wir sollten erstmal deine Sachen fertig packen“, flüsterte ich und wir blickten uns einen kleinen Moment lang in die Augen, bevor er zaghaft nickte.

Kapitel 41 - David

Meine Beine zitterten ein wenig, als Andy und ich wenig später mein Zimmer verließen und mit ein paar Reisetaschen von mir aus dem Haus zu seinem Auto liefen. Der Gedanke an das gerade eben Passierte auf meinem Bett ließ mich einerseits sehr breit grinsen, andererseits hatte ich auch ein seltsames Gefühl dabei. Egal wie oft Andy mich schon berührt hatte, diesmal hatte es sich in gewisser Weise etwas anders angefühlt und ich wurde den Verdacht nicht los, dass es vielleicht sogar zu mehr gekommen wäre, wären wir nicht an einem komplett falschen Ort dafür gewesen.

Je mehr ich mich in dieser Vorstellung verlor, desto nervöser schien ich zu werden. Mein Herz klopfte in einem unregelmäßigen Takt vor sich hin, während ich immer noch an Andys Hände dachte, wie zärtlich und doch in gewisser Weise verlangend sie über meine Haut gestrichen waren.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie oder besser gesagt was noch passiert wäre, wenn Andy nicht unterbrochen hätte, und diesen Gedanken ließ ich ganz zaghaft meinen Kopf erfüllen, etwas erschrocken darüber aber auch extrem neugierig. Intimitäten waren bisher nie ein wirkliches Thema für mich gewesen, jedoch müsste ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich noch nie darüber nachgedacht hatte. Der Unterschied zwischen sonst und jetzt bestand jedoch darin, dass ich mir jetzt einen konkreten Menschen vorstellte, mit dem ich so etwas tun würde, und nicht einfach nur eine imaginäre Person.

Erst als Andy den Wagen startete, fiel mir auf, dass wir bis jetzt nichts mehr geredet hatten, und mit dieser Erkenntnis blickte ich zu ihm.

Er schien sehr auf den Verkehr konzentriert zu sein, jedoch waren seine Augen etwas zu sehr ins Leere gerichtet, sodass ich sicher sein konnte, dass auch ihm Gedanken im Kopf herumschwirrten. Nach einer kurzen Zeit schien er mein Gestarre zu bemerken und an einer roten Ampel erwiderte er meinen Blick. Er wirkte etwas verunsichert, was ich extrem süß fand. Besonders, dass er seine Stirn etwas runzelte und dabei wirkte wie ein übergroßer Teddybär. Ich musste grinsen bei diesem Gedanken, was ihn zu verwundern schien.

„Es ist doch alles in Ordnung, oder?“, fragte er schließlich sichtlich irritiert.

Langsam nickte ich, wohl wissend, worauf er anspielte. „Natürlich. Es ist ja…nichts passiert.“

Noch während ich diese Worte aussprach, wurde mir klar, dass sie irgendwie zweideutig klangen und sicherlich nicht die passende Antwort gewesen waren, und so spürte ich, wie ich etwas rot anlief. „Also, ich meine, nichts passiert…aber dennoch…“

Nun war es Andy, der grinste. Die Ampel schaltete sich auf Grün und er fuhr weiter.

„Schon gut, ich weiß doch, was du meinst“, erwiderte er verständnisvoll. „David…“

Ich sah ihn erwartungsvoll an, nachdem er sich selbst stoppte. „Ja?“

Andy seufzte kurz auf und räusperte sich leise. „Nun, ich wollte dir sagen, du musst dich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Ich…du…du hast alle Zeit der Welt, das weißt du doch, oder?“

Seine Worte zauberten ein Lächeln auf mein Gesicht. Es war so toll, wie er dachte und redete. Alleine dafür liebte ich ihn gleich noch viel mehr, falls das überhaupt noch möglich war. „Ja, ich weiß“, antwortete ich also und sah ihn dankbar an.

Und ab diesem Moment wurde mir noch viel bewusster, dass das zwischen Andy und mir wirklich etwas Ernstes war. Wir redeten über Dinge oder darüber, was in baldiger Zukunft passieren würde und machten uns dadurch bewusst, dass wir etwas teilten, was man weder mit leichter Verliebtheit oder sogar nur mit Freundschaft erklären konnte.

Das, was wir hatten, war sehr viel mehr, und bei dem Gedanken wurde mir richtig schwindelig.

Wir schwiegen kurz und wieder sah ich Haus für Haus an uns vorbeiziehen, bevor ich Andy ein weiteres Mal leise seufzen hörte. „David? Hast du schon mal…nun…an Sex mit mir…gedacht?“

Ich hatte das Gefühl mich an etwas zu verschlucken, als seine Frage zu mir vordrang. Mein Herzklopfen beschleunigte sich sofort wieder und neben diesem „heiß und kalt“-Gefühl versuchte ich irgendwie wieder meine Sprache zu finden. Es hörte sich seltsam an, Andy so etwas fragen zu hören, eben weil wir noch nie darüber gesprochen hatten, außerdem war mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, dass er überhaupt darüber nachdachte.

Ein paar fiese Gedanken schlichen sich mit einem Male in meinen Kopf, ob Andy das schon so viel länger von mir gewollt hatte oder ob er sich darüber ärgerte, dass ich noch so jung für ihn war.

Doch als ich vorsichtig zu ihm sah und merkte, wie sehr er mit einem Male seine direkte Frage zu bereuen schien, wurde mir klar, dass er fast genauso unsicher war wie ich.

„Ich…“

„Entschuldige, das war eine blöde Frage!“, unterbrach mich Andy hastig und hielt sein Lenkrad äußerst verkrampft. „Vergiss es einfach, okay?“

Wieder hatte er so eine Art an sich, die mich lächeln ließ, weil ich es einfach wahnsinnig süß fand. „Hey, lass mich doch mal ausreden“, neckte ich ihn grinsend. Zu meiner Freude bemerkte ich, wie der Mut in mir zurückkam, jedoch schüttelte Andy recht heftig den Kopf. „Nein, ich will die Antwort gar nicht wissen, David. Es war unverschämt von mir, so etwas zu fragen. Ich wollte nur…mich hat es nur interessiert, wie du dazu generell stehst…ich meine…“ Andy fing plötzlich doch zaghaft an zu lächeln. „…ich bin ja nicht sonderlich weiblich.“

Einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen uns, doch dann konnte ich mich nicht länger zurückhalten und prustete plötzlich los. Ich hielt mir den Bauch vor Lachen und schaffte es kaum mehr, wieder ernst zu werden, was Andy mit einem teils unsicheren, teils ebenfalls belustigtem Gesichtsausdruck erwiderte.

Ich atmete tief durch und versuchte mich wieder zu beruhigen, was sich als echte Herausforderung darstellte, denn es war einfach nur zum Kreischen, wie Andy das Wort „weiblich“ in Bezug auf sich ausgesprochen hatte.

Doch neben all dem Witz, der diese Frage beinhaltete, kam die Antwort in mir auf. Ich dachte mehr darüber nach, denn eigentlich hatte Andy Recht. Wie stand ich denn eigentlich dazu, mit einem Mann zusammen zu sein? Zugegeben, darüber nachgedacht hatte ich noch nie wirklich, zumindest nicht wissentlich.

„Ich weiß nicht so recht“, meinte ich also ehrlich und blickte ihn zögerlich grinsend an. „Mädchen waren mir bisher eigentlich immer…egal. Ich dachte immer, das hat doch noch Zeit, aber ich glaube…ja, ich glaube, ich weiß langsam den Grund dafür.“

Wieder warf mir Andy einen kurzen Blick zu und lächelte. „Ach ja? Heißt das also, du warst vorher noch nie verliebt?“

Die Frage klang verständnisvoll, und die Tatsache, dass Andy das Wort „verliebt“ im Zusammenhang mit uns verwendete, machte mich schrecklich glücklich. Ich wusste, dass es so war. Mir war klar, dass ich ihn liebte, aber gleichzeitig hätte ich sicherlich nie den Mut gefunden, ihm das zu sagen.

Aber jetzt fiel es mir einfach zu nicken. „Ja, ich war vorher noch nie verliebt… und du?“

Andy schmunzelte bei der Frage, und erst viel zu spät fiel mir auf, dass diese Gegenfrage wirklich idiotisch war. Ich meine, wie alt war er? 25? 26? 27? Vielleicht sogar 30? Ich hatte keine genaue Vorstellung. Jedoch schien er mir alt genug, um den Begriff Liebe selbst erfahren zu haben.

Doch Andy schien es nicht wirklich zu bemerken, dass meine Gegenfrage hirnlos war, denn er zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass ich es jetzt bin.“

Wieder spürte ich, wie in mir die Wärme aufstieg und sicherlich einen roten Schimmer auf meinen Wangen hinterließ. Etwas schüchtern lächelte ich und blickte starr auf meine Hände. Mein Gott! Er war verliebt! Er war in mich verliebt! Wäre diese Vorstellung nicht so unglaublich schön, hätte ich sicherlich nicht an diese Worte geglaubt. Jedoch wusste ich, dass Andy die Wahrheit sagte, und selbst wenn das nur für diesen Moment so war, ich war so unsagbar glücklich.

Und übermütig wie ich war, platzte mir mit einem Male eine Frage heraus, die mich schon eine ganze Weile beschäftigte: „Andy? Wie alt bist du eigentlich?“

War das unhöflich? Wie so oft an diesem Tag bereute ich meine Worte sofort wieder, doch bevor ich ein „Sorry“ stammeln konnte, antwortete er sogleich.

„Ich bin 27.“ Und wieder lächelte er.

Kapitel 42 - Andy

Die Zeit mit David kam mir vor wie ein einziger Traum. Es fühlte sich so irreal an, was sich zwischen uns entwickelt hatte und dass alles so perfekt zu sein schien, auch jetzt, zwei Wochen nachdem er sozusagen richtig bei mir eingezogen war. Wir waren seit fünfzehn Tagen zusammen, und auch wenn ich damals gesagt hatte, dass ich nicht über den nächsten oder übernächsten Tag nachdenken wollte, hatten wir auch nicht über die restlichen 13 Tage nachgedacht.

Wir lebten in unserer eigenen kleinen Welt, und auch wenn wir viel Zeit damit verbringen mussten, uns zu verstecken, lebten wir eigentlich wie ein ganz normales Paar. Wir schliefen nachts nebeneinander ein und wachten morgens genauso wieder auf, verbrachten Abende damit, vor dem Fernseher zu sitzen und, anstatt in irgendwelche Filme, ineinander vertieft zu sein. Ich hatte wahnsinnigen Gefallen daran gefunden David dazu zu bringen jeden Samstag und Sonntag Morgen ewig mit mir im Bett zu bleiben und einfach nichts anderes zu tun, als den anderen festzuhalten und zu reden. Er hingehen war süchtig danach in jeder Sekunde, die wir gemeinsam und gleichzeitig allein verbrachten, von mir berührt zu werden. Ich für meinen Teil fand es einfach unbeschreiblich niedlich, wie er zu strahlen begann, wenn ich ihn während der Schule auf irgendeine komplett unauffällige, unschuldige Art nur ganz leicht berührte.

Das Gespräch, nachdem wir in seiner ehemaligen Wohnung gewesen waren, hatte unserer ganzen Beziehung das Undurchsichtige genommen, und da er nun einerseits wusste, dass ich ihn zu nichts drängen wollte, ich andererseits aber auch erfahren hatte, dass er das mit mir nicht nur als Abenteuer mit dem gleichen Geschlecht sah, konnten wir viel lockerer miteinander umgehen. Sein Vater hatte nichts, gar nichts von sich hören lassen, was mich zwar freute, aber auch verwunderte. Welcher Vater, egal wie wenig fürsorglich, ließ sein Kind einfach verschwinden?

Genau deshalb hatten wir beide ein wenig Angst, dass er irgendwann auftauchen würde, dass er irgendwann plötzlich wieder da sein würde und alles, was wir uns gemeinsam aufgebaut hatten, zerstören würde, indem er ihn mir wieder wegnahm. Natürlich ließ ich mir diese Angst David gegenüber nicht anmerken, denn ihn quälte das Ganze selbstverständlich fast noch mehr als mich. Ich musste ihn oftmals beruhigen oder gar trösten, wenn er aus irgendeinem Grund Panik bekam, dass sein Vater ihn wieder zurückholte, dass seine ganze familiäre Hölle von vorne losging.

In einem dieser Momente hatte mir David vor einigen Tagen einen eigentlich wunderschönen Satz gesagt, der mich mittlerweile allerdings schrecklich quälte.

„Du bist mein gesamtes Leben, Andy, und ich will auch überhaupt niemand anderen als dich mehr haben“, hatte er vollkommen ernst zu mir gesagt, und auch wenn ich ihn im ersten Moment in meine Arme genommen und geküsst hatte, machte dieser Satz mir inzwischen schwer zu schaffen. Mir war anfangs nicht ganz klar gewesen, wieso mich diese Worte nicht losgelassen hatten, bis ich mich an einen anderen Ausspruch von ihm erinnert hatte, der mir einen Schauer über den Rücken hatte laufen lassen.

„Er ist der Einzige.“ Diese vier Worte hatte David, bevor ich ihn das erste Mal geküsst hatte, über seinen Vater gesagt.

Auch wenn ich mir eigentlich vollends bewusst war, dass es merkwürdig war, dass ich so etwas dachte, konnte ich mich nicht mehr davon abhalten. Bevor wir zusammengekommen waren, hatte er seinen Vater als sein gesamtes Leben bezeichnet, und nun war ich das. Die Schlussfolgerung, dass diese beiden Sätze etwas miteinander zu tun haben mussten, lag nicht sehr fern. Was war, wenn all das, was ich offenbar für David war, nur eine Art Ersatz für das war, was er mit seinem Vater verloren hatte? Was, wenn David all die Gefühle, die er für seinen Vater nicht mehr empfinden konnte, plötzlich auf mich bezog? Was, wenn dieser Junge, der selbst gesagt hatte, dass er noch nie zuvor verliebt gewesen war, gar nicht wirklich so für mich fühlte, sondern die Art von väterlicher Liebe in sich missverstand, die er mir entgegenbrachte?

Manchmal war ich mir selbst darüber klar, dass diese Gedanken Unsinn waren, wenn er sich zum Beispiel nachts über mich beugte und begann mich anstatt auf die Lippen, auf Hals oder Schulter zu küssen. Wenn er diese Dinge tat war ich mir fast sicher, dass er mich tatsächlich nicht als Vaterersatz sah, aber wenn ich ihn – so wunderschön ich das auch selbst fand – einfach nur in meinen Armen hielt und er sich an mich kuschelte, war es einfach unmöglich für mich, das nicht zu vermuten.

„Sag mal, warum bist du eigentlich so still? Du hast deinen Kaffee doch schon getrunken, im Grunde genommen solltest du wach sein“, riss David mich aus meinen Gedanken und ich musste ein wenig lächeln. All die Zeit, die wir schon zusammen verbracht hatten, spiegelten sich solch kleinen Bemerkungen wider, wenn ich sah, wie gut wir solche Banalitäten über den anderen schon kannten.

„Ich bin ja wach, nur ein wenig in Gedanken versunken“, antwortete ich ehrlich und war mir dabei auch sehr bewusst, dass er fragen würde, was in meinem Kopf vorging. In gewisser Weise hatte ich auch gar nichts mehr dagegen, denn langsam aber sicher machten mich diese Unsicherheiten wegen dieses Themas wahnsinnig, und das einzige, was mir übrig blieb, war mit ihm darüber zu reden.

„Worüber denkst du denn so angestrengt nach?“, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen und blickte mich an.

„Die letzten Tage, uns beide, unsere Beziehung, mich, dich, deinen Vater…“, erwiderte ich und sah, wie sein Lächeln sich anfangs verbreiterte, aber plötzlich nahezu erstarb, als ich meine Aufzählung beendete.

„Wieso denkst du über meinen Vater nach?“, wollte er nur etwas zögerlich von mir wissen, als wäre er sich gar nicht sicher, ob er die Antwort tatsächlich hören wollte. Ich atmete tief durch.

„Weißt du, David, ich hab in den letzten Tagen öfter mal über dieses Gespräch nachgedacht, nachdem wir deine Sachen geholt hatten, als du mir gesagt hast, dass du noch nie verliebt gewesen bist…“, erklärte ich langsam.

„Bis jetzt“, unterbrach er mich und ließ für einen kurzen Moment wieder ein Lächeln über seine Lippen huschen. Ich senkte meinen Blick für einen Augenblick, hob ihn dann zaghaft wieder und sah ihn an.

„Ich bin mir da nicht sicher, David“, meinte ich. Ich konnte regelrecht sehen, wie sich die Rädchen in seinem Kopf drehten, was ich damit wohl sagen wollte.

„Wir… Du wirst nicht bestreiten können, dass das Ganze zwischen uns ein wenig ungewöhnlich ist, ich bin nahezu doppelt so alt wie du, ich könnte fast dein Vater sein, David“, versuchte ich mich an das Thema heranzutasten, das ich ansprechen wollte.

„Was meinst du damit, dass du mein Vater sein könntest?“, hakte David nach, der anscheinend genau bemerkt hatte, dass der Unterton bei diesen Worten etwas zu bedeuten hatte.

„Um nicht weiter darum herum zu reden“, fing ich an, als ich keine sanften Worte mehr finden konnte. „Du hast deinen Vater mehr oder weniger verloren, und das, nachdem du eh schon kaum jemanden in deinem Leben hattest, an dem du dich festhalten konntest. Das ist schrecklich und ich bin sehr froh darüber, dass ich in dem Moment für dich da sein konnte. Aber denkst du nicht auch, dass es etwas merkwürdig ist, dass ich diesen Platz als einziger wichtiger Mensch in deinem Leben übernommen habe?“

David blickte mich stumm an, Verwirrung und ein gewisser Unwillen, zu verstehen, in sein Gesicht geschrieben. Ich seufzte und entschied mich, einfach direkt zu sagen, was mich bewegte.

„Ich habe die Befürchtung, dass du nicht in mich verliebt bist. Du hast selbst gesagt, dass du es noch niemals zuvor warst, und nun meinst du in mich verliebt zu sein, obwohl du vielleicht einfach nur jemanden suchst, der die Rolle deines Vaters übernimmt. Ich will nicht daran zweifeln, dass du Gefühle für mich hast, aber ich glaube, dass du mich nur so liebst, wie du einen Vater lieben würdest.“

Mit einem tiefen Atemzug beendete ich meinen Monolog und warf gespannt einen Blick in Davids Gesicht, was er auf diese Worte erwidern würde. Aber statt Einsicht oder Schuld in seinen Zügen zu erkennen, sah ich nichts anderes als Enttäuschung und einen kleinen Funken Wut in seinen Augen.

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