zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Disappointment

Teil 2

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Auf in Runde Zwei von »Disappointment«. Danke für alle Kommentare und ich hoffe ihr seid mit der Fortsetzung zufrieden! Viel Spaß nun beim Lesen und natürlich interessiert es mich brennend, wie ihr den Teil fandet, also schön Feedback schreiben ;)

Kapitel 4

Schon wieder oder noch immer: heulend verkroch ich mich wieder mit Boxershorts und T-Shirt in meinem Bett. In mir kam eine unheimliche Angst hoch, dass er wiederkommen könnte, wenn ihm danach war. Aber ich wollte das nicht noch einmal durchmachen, ich wollte diese Hölle nicht noch einmal durchmachen! Als hätte ich mich gegen Adam wehren können, selbst wenn ich ihn nicht so unendlich geliebt hätte. Adam war stärker als ich, auch wenn man es anhand seiner Statur nicht vermutete. Ich hoffte inständig, dass er nicht mehr konnte, oder dass Jason endlich wiederkommen würde. Mein Gott, ich lag hier zusammengekauert und heulte vor lauter Angst vor meinem besten Freund! Wie passte das nur zusammen?

Mein Adam... Er war nicht so! Er war sonst nie gewalttätig zu mir, er war immer nett und liebevoll mir gegenüber, aber weshalb hatte er das jetzt getan? War das vielleicht wirklich nur der Alkohol? Wusste Adam wirklich gar nicht mehr, was er da tat und hatte niemanden außer mir gefunden, an dem er sich vergehen konnte? Aber konnte der Alkohol sein Gehirn tatsächlich so außer Gefecht setzen, dass er mir, seinem besten Freund, so weh tat? Es musste so sein, Adam selbst würde mir so etwas niemals antun! Das musste alles an seinem beschissenen Alkohol liegen, der ihn so stark beeinflusste, dass er seinen besten Freund so quälte.

Plötzlich schreckte mich ein Klopfen auf und ich drückte mich tiefer unter meine Decke. Bitte lass das nicht Adam sein, bitte nicht noch einmal. »Pat? Wir sind, wieder d...«, hörte ich Jasons Stimme, doch er brach mitten im Satz ab. »Pat? Mein Gott, Pat! Was ist denn mit dir passiert...?« fragte er und sah mich mit großen Augen an. Langsam kam er auf mich zu und kniete sich vor das Bett. »Wa-Warum weinst du denn?« flüsterte er und zog meine Decke etwas hinunter, die ich mir fast bis zu den Augen hochgezogen hatte. Er erschrak plötzlich und streckte dann vorsichtig eine Hand aus, fuhr mir mit seinen Fingern leicht über's Kinn, was mich zusammenzucken ließ.

»Wer war das?« fragte er leise und blickte noch immer total erschrocken. Ich konnte es nicht. Ich konnte nicht sagen, dass das Adam gewesen war. Es war nicht Adam, es war der Alkohol, nicht Adam. »Ich... Ich war vorhin noch einmal draußen, weil... weil ich etwas frische Luft schnappen wollte und da... da bin ich irgendwie an einen Kerl gestoßen und der... der hat eben... zu-zugeschlagen«, erzählte ich schluchzend und versuchte mir die Tränen aus dem Gesicht zu streichen. Jason konnte mir das gar nicht glauben, so wie ich hier flennte, war es ziemlich unrealistisch, dass ein einfacher Schlag von jemandem daran schuld war.

»Und dann? Du heulst doch nicht nur wegen einem Schlag!« meinte Jason auch leider kurz später schon und sah mich auffordernd an. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich vergewaltigt worden war. Auch wenn das meine Tränen erklärt hätte, ich konnte ihm das einfach nicht sagen. »Er und seine... seine Freunde haben... haben weiter drauflos geschlagen und so... und das war so unheimlich, ich hatte echt... echt Angst, die würden mich totschlagen«, erzählte ich leise weiter und hoffte inständig, ihm würde das nun endlich genügen. Ich war nun einmal kein guter Lügner und als mir beim Erzählen wieder die Gedanken an Adam in den Kopf kamen, liefen meine Tränen nur noch stärker. Jason schwieg endlich und strich mir über die Wange.

»Wir fahren morgen bevor es weitergeht zu einem Arzt, okay?« meinte er leise und ich nickte leicht. Vielleicht war es wirklich besser zum Arzt zu gehen, aber nicht wegen dem, was Jason dachte. Diese Schmerzen, vor allem in meinem Schritt, schienen gar nicht mehr aufhören zu wollen. »Ich geh' kurz duschen«, sagte Jason noch und stand auf. Er verharrte noch einen Moment, bis er ins Bad ging und sah mich besorgt an. Ich wusste nicht, ob er mir glaubte, aber ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Was würde denn aus unserer Band werden? Und es war doch nur der Alkohol, das war nicht Adam, der mir das angetan hatte, verdammt!

Ich verkroch mich wieder in meiner Decke und schloss die Augen. Wenigstens konnte er mir jetzt nichts mehr tun, wenn Adam jetzt noch einmal kommen würde, könnte ich nach Jason rufen und er würde mir helfen. Aber dann käme alles raus, weil er sicher dabei irgendetwas gesagt hätte, was alles verraten hätte. Er sollte einfach gar nicht herkommen, er sollte einfach wegbleiben. Jason kam wenig später wieder zurück ins Zimmer, suchte sich schnell frische Boxershorts und ein T-Shirt heraus und verschwand noch einmal kurz im Bad. Als er wiederkam schloss er leise die Badezimmertür, machte seine Nachttischlampe an und löschte das Deckenlicht. Stumm ging er zu seiner Seite des Bettes, setzte sich und rutschte etwas in meine Richtung. »Ist alles okay, Pat? Brauchst du irgendwas?« fragte er leise und strich mir wieder über die Wange. Es tat gut keine Angst mehr haben zu müssen.

»Nein, danke, ist schon in Ordnung«, antwortete ich genauso leise und er nickte leicht. Kurz später lag er neben mir in seinem Bett und löschte das Licht. Ich verkroch mich wieder in meiner Decke und gab mir alle Mühe, endlich aufzuhören zu heulen. Ich wollte Jason damit nicht wach halten. »Schlaf gut, Pat. Kann ich wirklich nichts für dich tun?« flüsterte Jason und drehte sich in meine Richtung. »N-nein... Nur... nimmst du mich in den Arm, Jason?« fragte ich flüsternd und merkte, dass er sich etwas aufrichtete. Mir war es so egal, was er jetzt von mir denken würde. »Klar«, hörte ich nur noch leise von ihm und er legte sich vorsichtig direkt neben mich, legte beide Arme um mich. »Schlaf Pat, ich pass schon auf dich auf«, flüsterte Jason und drückte meinen Kopf vorsichtig etwas gegen seine Brust.

Ich schluchzte noch einmal leise auf und legte einen meiner Arme um ihn, drückte ihn etwas näher an mich heran, woraufhin auf Jason mich noch mehr an sich drückte. In dem Moment brauchte ich einfach nur das Gefühl von Sicherheit, nicht mehr, ich wollte einfach nur Schutz, weil ich Angst hatte. Ich wusste zwar, dass Adam mir nichts tun konnte, wenn Jason in der Nähe war, aber das Gefühl wirklich beschützt zu sein, war so viel größer. Und ich fühlte mich nicht so allein. Ich wusste ehrlich nicht weiter. Was würde am nächsten Tag passieren? Was würde passieren, wenn Jason wirklich mit mir zum Arzt ging? Wie würde Adam mir gegenüber sein? Würde Adam vielleicht irgendwann auf den Gedanken kommen, das zu wiederholen?

»Paty! Aufstehen, es gibt gleich Frühstück! Komm schon, wach auf«, hörte ich eine noch relativ leise Stimme und öffnete blinzelnd meine Augen. Schon beim ersten Blick in sein Gesicht kam mir alles wieder in Erinnerung. »Morgen, Paty«, lächelte er mich an und ich schluckte. Wie er »Paty« sagte, er... klang wie am Abend zuvor. Ich begann unweigerlich zu zittern. »Hey, was ist denn los, Paty?« fragte er und zog seine Augenbrauen zusammen. Ich brachte kein Wort heraus, ich hatte so unheimliche Angst davor, dass er gleich wieder von vorne anfangen würde. Und Jason? Der lag nicht mehr neben mir und die Badtür war verschlossen. »Pat? Was hast du?« fragte Adam ein weiteres Mal und setzte sich plötzlich auf meine Bettkante. Als er seine Hand nach mir ausstreckte, rutschte ich unweigerlich von ihm weg.

Was wollte er? Wollte er mir schon wieder wehtun? Ich zog ängstlich an meiner Decke und merkte, wie mir schon wieder Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte solche Angst vor ihm, aber er war doch Adam! Mein Adam! Nur diese Angst ging nicht weg, sie wollte einfach nicht weggehen und ich versuchte so gut ich konnte von ihm weg zu rutschen. Er sollte weggehen! Er sollte aufhören zu versuchen mich anzufassen! »Hey Adam, na? Schönen Abend gehabt gestern?« hörte ich Jasons Stimme plötzlich und atmete auf. Jetzt würde er mir nichts mehr tun, ganz bestimmt nicht. »Morgen Jason, ja, den hatte ich. Bin in der Bar unten geblieben und hab ein bisschen was getrunken. Gut, mehr als ein bisschen und ich weiß nur noch, dass ich mit irgendjemandem Sex hatte und dass es verdammt gut war, aber ich weiß nicht mehr mit wem«, grinste Adam ihn an und mir stiegen noch mehr Tränen in die Augen.

Er wusste das von gestern nicht mehr? Er konnte sich nicht dran erinnern? Und was hatte er da gesagt? Er hatte Sex mit jemand und er fand es... gut? Adam hatte mich vergewaltigt und er sagte jetzt, dass es gut gewesen war? Es hatte ihm Spaß gemacht, mich so zu quälen? Aber halt, er konnte sich nicht mehr dran erinnern, wer es war. Wahrscheinlich kannte er die ganzen Umstände dazu nicht mal. Aber es tat so weh zu hören, dass es ihm Spaß gemacht hatte. »Aber sag mal, was ist denn mit Pat los?« fragte Adam und ich zog instinktiv meine Decke noch höher, vergrub mein Gesicht von neuem im Kissen und heulte hemmungslos.

Warum nur musste er so viel trinken? Ohne diesen Alkohol hätte er das nie getan!

»Irgendwelche Kerle haben ihn gestern verprügelt, ich weiß nicht was los ist. Er heult seit wir gestern wieder gekommen sind die ganze Zeit«, erklärte Jason leise und ich merkte, dass sich jemand auf die Bettkante setzte und mir durch die Haare strich. »Ich werde nach dem Frühstück mit ihm zu irgendeinem Arzt gehen, vielleicht hat er irgendwelche Verletzungen«, fügte er noch dazu und ich merkte, dass seine Stimme sehr nah war, also musste es Jason sein, der auf meiner Bettkante saß. »Oh Gott, armer Pat. Jetzt wissen wir ja, weshalb Bob nicht will, dass wir alleine rausgehen, wenn wir auf Tour sind”, hörte ich Adams Stimme leise und spürte eine Hand auf meiner Schulter, die eindeutig Adam gehörte. Ich zuckte zusammen.

Er nahm seine Hand wieder weg und ich versuchte, meine Decke, die Jason von meinem Kopf gezogen hatte, wieder etwas höher zu ziehen. Er sollte gehen, er sollte bitte gehen. »Ich glaube, es ist besser, wenn du erst einmal gehst. Wir sehen uns gleich beim Frühstück, okay? Ich kümmere mich schon um Pat«, sprach Jason und ich war ihm mehr als dankbar dafür. Ich hätte es nie geschafft, unter Adams Augen aufzustehen. Ich hatte noch immer solche Angst, er könnte wieder über mich herfallen, selbst obwohl Jason neben mir saß. »Pat? Du solltest aufstehen, wir sollten schnell noch frühstücken und dann gehen wir zum Arzt«, meinte Jason, nachdem die Tür geschlossen worden war und zog meine Decke etwas herab.

Kommentarlos ließ ich mir von ihm aufhelfen und als ich neben ihm auf dem Bett saß, legte er plötzlich wieder seine Arme um mich. »Ich weiß nicht, was los ist, aber ich mach mir Sorgen um dich«, flüsterte er und strich mir über den Rücken. Zögernd legte ich meine Hände auf seinen Rücken und versuchte mit dem Heulen aufzuhören. Irgendwann löste er sich wieder von mir und ich stand auf. Okay, das Stehen ging schon wieder und das Laufen klappte auch ganz gut. Ich stolperte halb unter die Dusche und seifte mich mindestens fünf Mal mit Duschgel ein. Es fühlte sich schon besser an, wenn auch nicht allzu sehr. Wieder angezogen stellte ich mich vor den Spiegel und sah hinein. Mein Kinn war rot, blau angelaufen.

Meine Augen waren auch noch rot und blutunterlaufen, und alles in allem sah ich ziemlich mies aus. Ich ließ meine Haare wie sie waren, auch wenn ich normal nie mit ungestylten Haaren vor die Tür ging. »Können wir runter?« fragte Jason, als ich wieder ins Zimmer kam und ich nickte leicht. Gut, das hieß, dass jetzt die nächste Konfrontation mit Adam kam. Ruhig Blut, Pat, dort unten waren so viele Leute und deine ganze Band, er konnte dir nichts tun. Ich redete mir die ganze Zeit ein, dass es keinen Grund gab, Angst zu haben, aber ich konnte nichts dagegen tun, dass meine Finger mit jedem Stockwerk, das wir im Fahrstuhl passierten, mehr zitterten. »Hey, keine Angst, die Kerle werden sicher nicht hier sein«, meinte Jason und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. Ich nickte leicht.

Leider hatte er so Unrecht, sie, oder besser, er würde dort unten sein. Er, der mir das angetan hatte. Ich musste mich zusammenreißen, ich musste einfach. Als die Fahrstuhltüren aufgingen wäre ich am liebsten einfach stehen geblieben und wieder nach oben gefahren, ich brachte doch eh keinen Bissen runter, wenn Adam in meiner Nähe sitzen würde. Aber ich folgte Jason in das Restaurant im Erdgeschoss und schluckte noch einmal, als ich sah, dass die anderen alle schon da waren. »Hey ihr«, sagte Jason relativ leise, während wir uns setzten »Wie... wie geht's dir, Pat?« fragte Ben vorsichtig und ich zuckte nur mit den Achseln.

Scheinbar hatte Adam ihnen erzählt, was ich Jason vorgelogen hatte. »Kommt, gehen wir uns was zu Essen holen«, meinte Brain dann nach kurzem, sehr unangenehmen Schweigen, doch ich blieb sitzen, auch als die anderen Jungs alle aufgestanden waren. »Ich hab keinen Hunger«, murmelte ich nur leise, als Marc fragte, wo ich blieb. Ohne noch etwas zu sagen folgte er den anderen und ich blieb allein am Tisch zurück. Adam war so normal, er war wie immer und es tat so weh, dass er tat, als wäre nichts gewesen. Aber er tat ja nicht einmal so, für ihn war ja wirklich nichts geschehen, er wusste ja schließlich von alledem nichts mehr.

»Hier«, hörte ich Marc kurz später sagen und er stellte mir einen Teller mit Toast hin. »Ich... ich hab doch gesagt, ich mag nichts essen«, entgegnete ich leise und sah ihn verständnislos an. »Pat, wir haben gesehen, wo ‚Ich habe keinen Hunger' bei Adam hingeführt hat und du wirst jetzt etwas essen«, erklärte er mit gesenkter Stimme und strich mir kurz über die Schulter, bevor er zurück zum Buffet ging und sich selbst Frühstück holte. Adam. Immer wieder Adam. Wenn das so weiter ging, würde ich irgendwann noch zusammenbrechen, wenn ich diesen Namen noch öfter hörte. Und ich würde ihn noch viel, viel öfter hören.

Und ausgerechnet Adam setzte sich als Erster wieder an den Tisch. Ich ließ meinen Blick starr auf den Tisch vor mir gerichtet, doch ich sah ihn noch immer im Augenwinkel. Warum nur war er so gewesen? Warum nur hatte er diesen Alkohol trinken müssen? Wusste er nicht, dass er die Kontrolle über sich verlor, wenn er so viel trank? Wusste er denn wirklich gar nichts mehr von dem, was er am Vorabend getan hatte? Hatte er diese ganzen Qualen einfach so vergessen? Hatte er einfach so vergessen, wie ich ihn angefleht hatte, wie ich geheult hatte, wie ich versucht hatte mich notdürftig gegen ihn zu wehren? Oder wusste er etwa doch noch alles, war am Ende gar nicht so betrunken gewesen? Nein! So etwas konnte Adam nicht tun, es war der Alkohol, der ihn all das hatte tun und wieder vergessen lassen.

»Pat? Alles Okay?« fragte er und ich hob widerwillig meinen Blick. Ich versuchte mit aller Kraft ihn anzusehen, doch es ging nicht. Ich konnte ihm für kaum zwei Sekunden in die Augen sehen. »J-ja... Ich... Ich geh mir Kaffee holen«, stotterte ich leise und griff nach der Tasse. Adam musste sehen, dass meine Hand zitterte wie noch was und als ich aufstand sah ich seinen erschrockenen Blick. Ich hatte solche Angst davor, dass er es noch mal tun könnte. Allein seine Stimme zu hören, bewirkte, dass mein Kinn und der Rest meines Körpers noch mehr schmerzten, als sie es so schon taten. Es war so grausam, seine Stimme zu hören.

Mit noch immer stark zitternden Händen ging ich zum Buffet und versuchte mir wirklich Kaffee einzugießen, doch es ging nicht, ich konnte meine Tasse kaum festhalten. Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und atmete tief durch. Ich brauchte keine Angst zu haben, er konnte mir hier nichts tun, und außerdem war er nicht mehr so betrunken wie am Vorabend und er würde mir nicht wehtun, wenn er nichts getrunken hatte. »Pat? Was ist denn?« hörte ich Jasons Stimme plötzlich neben mir und öffnete meine Augen wieder. Er sah auf meine Hände und dachte sich scheinbar, was ich vorhatte. Er goss Kaffee in meine Tasse, nahm sie und zog mich wieder zurück zum Tisch. Ich nuschelte nur ein ‚Danke' und setzte mich.

Ich senkte meinen Blick augenblicklich wieder. Ich konnte ihn nicht ansehen, es tat so unglaublich weh, ihn anzusehen, nach alledem, nachdem er mir diese unendlichen Schmerzen zugefügt hatte. »Pat, willst du... nichts essen?« fragte Ben etwas zögernd und sah mich vorsichtig an. Ich hob meinen Blick etwas und schüttelte den Kopf. »Ich hab keinen Hunger, mir ist irgendwie etwas schlecht«, log ich und sah wieder auf meine Hände unter dem Tisch. »Pat, bitte, iss etwas, du tust dir keinen Gefallen, wenn du nichts isst. Du weißt, wohin das führt«, meinte Jason und ich sah, dass er mich bittend ansah, als ich meinen Kopf hob.

Nach etwa fünf Mal beteuern, dass mir schlecht war und dem Versprechen, dass ich später was essen würde, ließen mich die Jungs in Ruhe und Jason meinte sogar, ich solle hoch auf unser Zimmer gehen. Ich nickte nur und war innerhalb kürzester Zeit aus dem Raum verschwunden. Erst als ich im Fahrstuhl stand und die Türen sich schlossen, atmete ich wieder etwas auf und ließ mich langsam an der Wand herunterrutschen. Sollte das jetzt immer so weitergehen? Adam aus dem Weg zu gehen war nicht möglich, also musste ich einen anderen Weg finden. Diese verdammte Angst vor ihm sollte endlich wieder weggehen!

Er war wieder so normal, er war wieder so lieb und nett... Er würde das mit Sicherheit nicht noch einmal tun! Nicht, ohne etwas getrunken zu haben, warum hatte ich also solche Angst vor ihm? Ich wusste doch, dass er mir momentan nicht wehtun würde! »Sir? Möchten Sie nicht aussteigen?«, hörte ich plötzlich eine Stimme und zuckte leicht zusammen. Ich blickte nach oben und rappelte mich schnell wieder auf. »Danke«, nuschelte ich nur, ohne den Mann, der gerade auf einen der Knöpfe Richtung Erdgeschoss drückte, anzusehen. Langsam ging ich zu Jasons und meinem Zimmer und schloss die Tür auf. Noch immer zur Tür gedreht, zog ich sie von innen wieder zu und drehte mich langsam um.

Mein Blick fiel auf das Bett und mir wurde augenblicklich wirklich schlecht. Warum nur? Warum hatte er so viel getrunken? Warum hatte er sich nicht besser unter Kontrolle? Warum musste ausgerechnet ich hinhalten, damit er sich abreagieren konnte? Ich war so froh, dass wir bald wieder von hier wegfahren würden, ich wollte dieses Bett nicht mehr sehen, wollte nicht mehr in diesem Zimmer sein, nicht mehr in diesem Hotel, nicht mehr in dieser Stadt. Nur Adam würde immer noch da sein, er würde für immer da sein. Ich ging langsam zum Balkon des Zimmers und ließ mich draußen auf den Boden sinken. Mir kam ein schrecklicher Gedanke und ich musste mit großer Mühe meine Tränen unterdrücken. Was war nach der Tour?

Adam und ich wohnten zusammen, gemeinsam in einer Wohnung, allein. Wie sollte das gut gehen? Wie sollte ich jemals wieder allein mit ihm sein? Und was, wenn er irgendwann wieder trinken würde? Wenn er danach nach hause kommen würde? Ich würde ihm völlig ausgeliefert sein, er hätte niemanden, der ihn davon abhalten würde, mir das noch einmal anzutun. Wie sollte mein Leben denn nun weitergehen? Ich konnte doch nicht mein ganzes restliches Leben lang Angst haben! Vielleicht würde diese Angst vor Adam ja bald wieder weggehen? Vielleicht, wenn es ein paar Tage her sein würde, wenn es nicht mehr so sehr wehtun würde...

»Pat? Pat?! Man Pat, wo steckst du?« hörte ich nach einiger Zeit Jasons Stimme und kehrte zurück in die Wirklichkeit. Ich rappelte mich wieder auf, öffnete die Balkontür und schloss sie wieder hinter mir, während Jason gerade aufatmend aus dem Bad zurückkehrte und mich ansah. »Da bist du ja...«, meinte er und lächelte. Ich nahm alle Kraft zusammen und zwang mich zu einem Lächeln, was sicher unheimlich gekünstelt und gezwungen ausgesehen haben musste, denn Jasons Gesichtsausdruck veränderte sich sofort wieder und er senkte den Blick. »Bob schaut gleich vorbei, er will wegen gestern kurz mit dir reden«, erklärte Jason leise.

Ich schluckte. Das gab jetzt höchstwahrscheinlich eine ziemliche Abreibung und Bob wollte sicher auch noch eine genaue Beschreibung, was passiert war. Sollte ich ihm vielleicht alles sagen? Er war unser Manager, er kümmerte sich immer um uns und außerdem würde es schwer werden, sich eine komplette Geschichte dazu auszudenken. Aber wie würde er Adam gegenüber sein? Würde er wollen, dass das in der Band herauskam und wir das klären würden? Nein, das konnte ich nicht, ich konnte Bob nicht sagen, was wirklich passiert war. Wenn die Jungs herausbekamen, dass ich sie angelogen hatte, dann waren sie bestimmt wütend auf mich und auf Adam wären sie sicher auch wütend.

»Keine Angst, ich habe ihm gesagt, er soll nicht so viele Fragen stellen, weil es dir nicht gut geht. Er will nur wegen dem Arzt mit dir sprechen«, sagte Jason, als er scheinbar merkte, dass mir die Sache ziemlich unangenehm war. Ich hob meinen Blick. Mein Gott, Jason war so unheimlich fürsorglich, hatte ich diese ganze Fürsorge von ihm denn überhaupt verdient? Er machte sich Sorgen um mich, nur weil ich mich nicht traute, die Wahrheit zu sagen. Ich nutzte ihn und seine Freundschaft doch momentan total aus, aber er kümmerte sich trotzdem so sehr um mich. »Danke«, brachte ich nur flüsternd heraus und Jason hob auch seinen Blick wieder. »Ist doch... selbstverständlich«, flüsterte er nur und nahm mich plötzlich in seine Arme.

»Ich mach mir solche Sorgen um dich, Pat. Ich will dich nicht so kaputt sehen, ich will nicht, dass du weinst«, flüsterte er und drückte mich fest an sich. Mir war schon wieder nach heulen zumute, aber ich konnte doch nicht schon wieder anfangen zu flennen. Außerdem wollte Bob gleich vorbeischauen und wenn er mich heulen sehen würde, würde er höchstwahrscheinlich doch die ganze Geschichte hören wollen. Wenig später klopfte es auch schon und Jason ließ mich wieder los. Bob stand in der Tür und fragte, ob er hereinkommen könnte. Ich nickte, Jason meinte, er würde kurz zu Brain sehen und mit ihm den weiteren Tagesablauf planen und war auch schon verschwunden. Ich ließ mich auf dem Sofa nieder und Bob lehnte sich gegen die Wand.

»Jason hat mir erklärt, was los war. Eigentlich würde ich jetzt wirklich nur zu gerne ausflippen und dich fragen, ob es denn so schwer ist, sich an die paar Regeln zu halten, aber er hat gesagt, ich soll Rücksicht auf dich nehmen. Und er hat recht, du siehst wirklich beschissen aus«, sprach Bob und ich blickte auf den Boden. »Danke«, nuschelte ich nur leise und seufzte tonlos. »Ich will dir keinen Vortrag halten, das mache ich irgendwann anders. Jason meinte, er begleitet dich gleich zum Arzt. Ich denke, da solltest du auch wirklich hin. Wir lassen die Sache nicht publik machen, mit etwas Make up sieht man beim nächsten Interview nichts mehr und wir können problemlos arrangieren, dass es beim nächsten Auftritt keine Kameraaufnahmen gibt. Pass auf, dass dich so keine Kamera sieht und sag mir, was du für Verletzungen hast, wenn ihr wieder hier seid, in Ordnung?« erklärte Bob und ich nickte leicht.

»Ruh dich aus, ihr habt bis morgen Abend nichts mehr vor. Komm ein bisschen runter, das wird schon alles wieder«, riet er mir, klopfte mir kurz auf die Schulter und ging auch schon wieder zur Tür. »Ach ja, wir haben einen Wagen arrangiert, damit Jason und du ungesehen zum Krankenhaus kommt und Ärzte haben ja bekanntlich Schweigepflicht«, meinte er noch und ich nickte ihm noch einmal zu. Stimmt, zu diesem Arzt sollte ich wohl ehrlich sein, er konnte ja eh niemandem von dem erzählen, was ich ihm sagen würde. Und vielleicht konnte er ja etwas gegen die Schmerzen tun.

Kapitel 5

»Pat? Können wir?«, rief Jason wenig später ins Zimmer und ich zuckte natürlich erst einmal ordentlich zusammen, als er klopfte. Warum machte es mir denn nun schon Angst, wenn jemand an die Tür klopfte? Warum hatte ich noch immer Angst vor ihm? Er würde mir verdammt noch mal nicht mehr wehtun! Stumm gingen wir nebeneinander her zum Hinterausgang des Hotels, wo ein Wagen auf uns wartete. Jason und ich stiegen hinten ein und ich merkte, dass ich mit jedem Meter, den wir uns vom Hotel entfernten ruhiger wurde. Als wir am Krankenhaus angekommen waren, war es das mit meiner Ruhe aber auch schon wieder.

»Keine Panik«, lächelte Jason mich kurz an, als wir aus dem Auto stiegen und begleitet von zwei Kerlen, die mir völlig fremd waren, ins Krankenhaus marschierten. Vor der Tür von dem Arzt, bei dem Bob mich angemeldet hatte, fragte Jason, ob er mich allein lassen könnte und ich nickte natürlich. Schließlich würde ich die Geschichte mit Adam kaum in Jasons Beisein erzählen können. Ich ging mit einem der beiden Kerle in die Praxis des Arztes und wurde auch schon gleich in ein Behandlungszimmer geführt, der Pseudo-Bodyguard setzte sich ins Wartezimmer und nickte der Schwester zu. »Dr. Beech kommt jeden Moment, nehmen Sie Platz«, lächelte die Schwester mich an, deutete auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch und verließ das Zimmer.

Mir war ziemlich flau im Magen, ich war nervös, weil ich vorhatte nun alles zu erzählen. Aber wenigstens war momentan die Angst vor Adam weg, schließlich war er gerade weit, weit weg. »Hallo Mr. Sway”, ertönte wenig später eine extrem tiefe Stimme und ich erhob mich kurz, um Dr. Beech die Hand zu geben. Er ließ sich mir gegenüber auf der anderen Seite des Schreibtisches nieder und legte ein Klemmbrett vor sich auf den Schreibtisch. »Ihr Manager hat mich informiert, dass Sie am gestrigen Abend in eine Schlägerei geraten sind, ist das richtig?« fragte er, legte beide Arme auf den Tisch und blickte mich erwartungsvoll an. Ich nickte nur und versuchte mit aller Kraft seinem Blick nicht auszuweichen.

Ich würde ihm sicher nicht sagen, dass das Adam gewesen war, ich würde bei der Story mit der Prügelei bleiben und dann einfach den Rest irgendeinem Kerl in die Schuhe schieben. Mir war so unwohl dabei, diesem Mann mir gegenüber alles zu erzählen. Ich hatte Panik davor, dass ich wieder anfangen würde zu heulen, loszuflennen vor einem wildfremden Mann. »Könnten Sie bitte kurz den Hergang schildern, dann weiß ich in etwa, welche Untersuchungen nötig sind«, forderte er mich auf, öffnete das Klemmbrett vor ihm und zückte einen Kugelschreiber. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Was genau wollte er wissen? »Okay, immer mit der Ruhe. Machen wir es anders, wie viele Männer waren es?«, fragte er und ich senkte endgültig meinen Blick. »Einer«, murmelte ich nur leise.

»Er hat sie geschlagen?«, fragte er weiter und ich holte tief Luft. »Ja, zwei Mal mit der Hand und einmal mit der Faust, immer ins Gesicht«, sprach ich leise und biss mir auf meine Lippe. Nicht heulen Pat, nicht heulen. »Was hat er noch getan?« fragte Dr. Beech und zögerte selbst etwas vor dieser Frage. Hatte er irgendeine Vorahnung? »Er... er hat mir... in den Schritt gegriffen und... und... zugedrückt«, brachte ich nur stotternd hervor und war mir sicher, dass ich knallrot im Gesicht sein musste. Es war so peinlich, das zu sagen, und allein die Erinnerung daran verursachte schon wieder Schmerzen. Dr. Beech schwieg. Ich wollte schon alles über den Haufen werfen und den Rest der Geschichte weglassen, aber Dr. Beech fragte weiter, was »er« getan hätte. Ich biss mir noch fester auf meine Lippen.

Ich merkte, wie mein Blick verschwamm und presste meine Fingernägel fest in meine Hand. Hör auf zu flennen, Pat, noch ein Satz und du hast es hinter dir! »Er hat mich vergewaltigt«, nuschelte ich und bohrte meine Fingernägel noch fester in meine Haut. Und schon war es draußen und ich fühlte mich so verdammt schlecht dabei. Dr. Beech schwieg noch einen Moment und ich starrte weiterhin auf den Boden. Ich wollte das alles sofort rückgängig machen, ich wollte ihm das nicht gesagt haben. Ich fühlte mich so beschissen und es war so verdammt peinlich. Ein erwachsener Mann, der sich von einem anderen vergewaltigen ließ? Was war ich nur für ein erbärmlicher Kerl, ich schämte mich in dem Moment in Grund und Boden.

Dr. Beech kommentierte nicht, was ich gerade gesagt hatte. Er seufzte nur kurz, bevor er mir zu erklären begann, was mir für Untersuchungen bevorstanden. Zuerst einmal musste ich eine CT über mich ergehen lassen, er würde die anderen Termine etwas nach hinten verschieben, damit wir unseren Tourplan nicht durcheinander bringen müssten. Danach kamen noch ein paar andere Untersuchungen. Er meinte, es würde nicht mehr als zwei Stunden dauern und ich hätte alles hinter mir. Ich nickte daraufhin nur leicht und erhob mich. Jason stand draußen auf dem Gang und telefonierte, er lächelte mich kurz aufmunternd an und wandte sich dem Telefon zu.

Mein »Aufpasser« begleitete mich zur Computer-Tomographie und kurz später steckte man mich in diese Röhre hinein. Danach ging es wieder nach oben in das Behandlungszimmer und ich musste eine unheimlich demütigende Untersuchung wegen der Vergewaltigung und der Attacke auf meine Männlichkeit über mich ergehen lassen. Ich hätte am liebsten geheult, als Dr. Beech mich aufforderte meine Hosen herunterzulassen und mich auf den Bauch zu legen. Ich vergrub meinen Kopf in meinen Armen und biss heimlich auf meinen Zeigefinger, während Dr. Beech mich untersuchte. Es war so unglaublich erniedrigend und ich wollte einfach nur noch heulen, wegrennen, mich verstecken und heulen.

Etwa zwei Stunden nachdem ich das Behandlungszimmer erstmals betreten hatte, trat ich mit geröteten Augen und einem neutralen, braunen Beutel in der Hand auf den Gang. Dr. Beech hatte gemeint, dass die Untersuchung notwendig war, wenn ich wissen wollte ob »seine« Tat Folgen gehabt hatte, aber ich konnte nichts dagegen tun, dass ich heulte wie ein Schlosshund, während ich diese weitere Demütigung über mich ergehen lassen musste. Jason sah mich mit einem Blick voller Mitleid an und nahm mich kurz in den Arm, bevor wir mit unseren zwei Aufpassern das Krankenhaus wieder verließen. »Sie sollten psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen, wenn es Ihnen nicht sehr schnell wieder besser geht«, hatte Dr. Beech gesagt, als ich mich bei ihm verabschiedete. Niemals, ich würde diese Geschichte nie, nie wieder erzählen.

Ich fühlte mich schwach, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen und in einen ohnmachtartigen Schlaf fallen. Jason hatte mir einen Arm um die Schultern gelegt und so fühlte ich mich wenigstens nicht auch noch allein. Ich merkte nicht einmal, dass meine Angst sich langsam wieder aufbaute, als wir zurück zum Hotel fuhren, so sehr war ich geschwächt. Im Hotel folgte ich Jason nach oben in unser Zimmer, er meinte, ich solle meine Sachen schnell packen, er würde Bob und den anderen sagen, dass wir wieder da waren. Den anderen; Adam. Ich nickte kurz und senkte meinen Blick so schnell wie möglich wieder. Er verließ das Zimmer und ich befolgte seine Anweisung und packte meine Sachen zusammen.

Als ich fertig war öffnete sich auch schon kurz später wieder die Zimmertür und Jason trat ins Zimmer. »Bist du fertig? Gut. Bob... Er will noch mal kurz mit dir sprechen, in Ordnung?« meinte er und ich nickte. Er winkte Bob scheinbar zu sich und er trat ein. »Also, dann lass mal hören, was der Doc gesagt hat«, rief er und lehnte sich, wie es so seine Art war, mit verschränkten Armen gegen die Wand. »Ja... Das an meinem Kinn ist nur eine Prellung, gebrochen ist nichts. Ansonsten nur ein paar blaue Flecke, nichts so Dramatisches«, erklärte ich relativ leise und Bob nickte. »Wann in etwa ist dein Gesicht nicht mehr so geschwollen?« fragte er und ich zuckte nur mit den Achseln. Danach hatte ich nicht gefragt.

»Okay, seid ihr alle fertig? Dann können wir fahren«, meinte Bob noch und wir nickten beide. Jason und ich griffen beide nach unseren Taschen und machten uns auf den Weg zum Bus, der mal wieder auf dem Hinterhof stand und so durch den Hintereingang ohne kreischende Fans zu erreichen war. Ich fühlte mich noch immer so unheimlich schwach und wollte am liebsten sofort in meine Kabine fallen und schlafen. Und zum Heulen war mir auch schon wieder zumute, vor allem als ich Adam mit Marc vor dem Bus stehen sah, ihn sah wie er an seiner Zigarette zog und mir einen mitleidigen Blick zuwarf. Ich senkte reflexartig meinen Blick und ging schnurstracks auf die Treppe zu, um meine Tasche in den Bus zu bringen.

»Pat? Was ist denn nun beim Arzt herausgekommen?«, fragte Ben mich, als ich gerade meine Tasche absetzte und mich erschöpft gegen die Wand neben den Kabinen lehnte. »Das im Gesicht ist eine Prellung und ansonsten sind es nur ein paar blaue Flecke«, erklärte ich und seufzte leicht. Ich hasste es zu lügen, aber die Wahrheit? Niemals, nie, nie, nie würde ich das je wieder aussprechen. »Du siehst geschafft aus, willst du dich gleich hinlegen?« fragte er relativ leise und strich mir kurz über die Schulter. Ich nickte nur und stolperte auch schon zu meiner Kabine. Wenn ich mich sofort hinlegte und so tat, als würde ich schlafen, dann musste ich Adam wenigstens erst einmal nicht mehr begegnen. Ich kam mir irgendwie schäbig vor, weil ich Adam so aus dem Weg ging. Er war doch noch immer mein bester Freund, aber diese scheiß Angst, er könnte mir jeden Moment wieder wehtun, verschwand einfach nicht.

Ich zog den Vorhang Richtung Bus zu und schob den am Fenster zurück. Draußen sah ich nur den Hinterhof des Hotels, einige Mülltonnen, Dreck auf dem Boden. »Können wir fahren? Wo ist Pat?« hörte ich von draußen Harrys Stimme und drückte mein Kissen etwas fester an mich. »Der ist schon im Bus und hat sich hingelegt, wir können also«, erahnte ich Bens Stimme und hörte, dass sie allesamt in den Bus kletterten. Ich zog schnell den Vorhang am Fenster zu und legte mich hin. Vielleicht würde einer von den Jungs noch einmal nach mir sehen und ich wollte jetzt nichts sagen, ich wollte einfach nur meine Ruhe haben.

»Pat schläft?« hörte ich Adams Stimme und mein Magen und irgendetwas in meiner Brust verkrampften sich. »Ja, ich denke schon, er sah ziemlich kaputt aus gerade«, antwortete Ben und ich hörte, dass jemand meinen Vorhang nach hinten zog. Plötzlich spürte ich, wie eine Hand mir durch die Haare fuhr, mir zärtlich über die Wange streichelte. Es war Adam und mein ganzer Körper verkrampfte sich noch stärker. »Was ist nur mit ihm los? Ich habe Pat noch nie so gesehen«, hörte ich ihn leise sagen und spürte, wie seine Hand noch immer über meine Wange strich. Obwohl ich es so sehr verhindern wollte, merkte ich, dass mir trotz geschlossener Augen Tränen kamen. Ich wollte nicht mehr heulen.

»Ach du scheiße, der heult ja schon im Schlaf«, flüsterte Adam plötzlich erschrocken und strich mir eine Träne von der Wange, doch durch diese ganzen Berührungen kamen nur noch mehr Tränen. »Lassen wir ihn besser, er braucht Ruhe«, flüsterte Ben wenig später und ich hätte ihm die Füße küssen können dafür, dass er das sagte. »Ja, ich hoffe, es geht ihm bald besser«, flüsterte Adam noch und ich hörte, wie der Vorhang zugezogen wurde. Als sich die Tür zum hinteren Bereich geschlossen hatte fiel meine Anspannung wie automatisch wieder etwas ab und ich ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich heulte hemmungslos und drückte mein Kissen gegen mein Gesicht, damit mich die Jungs nicht hören konnten.

Irgendwann hatte ich mich scheinbar in den Schlaf geweint, als ich meine Augen öffnete war es kurz nach vier Uhr nachmittags und meine Augen brannten höllisch. Meine Wangen waren noch immer feucht, also war das, was Adam vorhin gesagt hatte, wirklich geschehen, ich hatte sogar noch im Schlaf geheult. Mein Kissen war mittlerweile wenigstens nicht mehr durchnässt und ich hatte langsam keine Tränen mehr. Ich wollte nicht zu den anderen, ich war froh, Adam momentan nicht sehen zu müssen. Es war wirklich wie verhext, ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an ihn. Früher dachte ich schon, es wäre extrem, wie viel ich mit Adam verband, nur jetzt konnte ich an gar nichts anderes mehr denken.

Wären doch nur meine Gedanken nicht so unglaublich negativ gewesen, wäre nur nicht dieses verdammte »Warum?« die ganze Zeit durch meine Gedanken gesprungen. Plötzlich hörte ich, dass die Tür hinten geöffnet wurde und erstarrte. Bitte, lass das jetzt nicht Adam sein, bitte nicht. Ich zog reflexartig meine Beine näher an meinen Körper und drückte mein Kissen an meine Brust. Bitte nicht er, bitte nicht er. Ich flehte gedanklich, dass ich mir nur einbildete, dass mein Vorhang vorsichtig zurückgezogen wurde, doch ich irrte mich nicht. Und schon blickte er mich an, lächelte kurz und zog den Vorhang noch etwas weiter auf.

»Darf ich?« fragte er leise und deutete auf die andere Seite meiner Kabine. Ich zuckte nur mit den Schultern, weil ich kein Wort herausbrachte. Ich traute mich kaum zu atmen. Adam setzte sich und zog den Vorhang wieder zu, was mir noch viel mehr den Atem raubte. Warum zog er den Vorhang zu? Wollte er mir wieder wehtun? Nein, ganz sicher nicht, er hatte nicht getrunken, Adam würde mir nicht wehtun – ganz, ganz sicher nicht. Wir schwiegen uns an und ich drückte mein Kissen noch fester an meine Brust. Warum kam er hierher? Warum ließ er mich nicht in Ruhe? Warum musste er meine Angst schon wieder größer werden lassen? Er sah mich stumm an – fragend, aber stumm. Dachte er, ich würde etwas sagen?

»Was ist mit dir, Pat?« fragte er plötzlich leise, fast schon flüsternd. Ich drückte mein Kissen noch fester an mich, wenn das überhaupt noch ging und war einen kleinen Moment lang glücklich, dass ich mittlerweile schon nicht mehr heulen konnte, weil ich sonst wahrscheinlich sofort angefangen hätte. Vor Angst, vor Verzweiflung. Warum fragte er mich das? Ausgerechnet er? Sollte ich ihm wohl jetzt etwa sagen, dass ich so verzweifelt war, weil er sich an mir vergangen hatte? Weil er mir diese scheiß Schmerzen zugefügt hatte? Weil er, den ich noch immer so liebte, mich so benutzt hatte und nun von nichts mehr wusste?

»Ich... Ich weiß nicht...«, stotterte ich kaum hörbar, mit einer Stimme die mir unheimlich fremd vorkam. Adam sah mich noch immer an, aber mein Blick haftete auf der Matratze. Ich konnte ihn einfach nicht ansehen, es tat so verdammt weh, dass ich immer wieder wenn ich ihn sah diese Bilder vor mir hatte, ihn, der mir doch so verdammt viel bedeutete. »Was ist passiert, Pat? Du heulst nicht stundenlang, nur weil dich ein paar Kerle verprügelt haben«, flüsterte er und ich zuckte leicht zusammen. Dann hatten sie also doch gemerkt, dass ich die ganze Zeit geheult hatte. »Sag es endlich, Pat, wir machen uns Sorgen«, flüsterte Adam, rutschte ein Stück näher zu mir und strich mir über die Wange. Ich rammte meine Fingernägel in die Hände.

»Was zur Hölle ist vorgefallen, dass du hier sitzt und heulst?« fragte er nun schon lauter und heftiger. Ich zuckte von neuem zusammen und presste meine Beine noch fester an meinen Körper. »Gott, Pat, was hat man mit dir gemacht?« flüsterte Adam nun wieder und legte plötzlich seine Arme um mich. Das war's. Ich konnte nicht mehr. Er wollte mir wieder wehtun, er wollte alles noch schlimmer machen, als es eh schon war. Er wollte mir noch mehr wehtun. Ich nahm all meinen Mut zusammen und drückte ihn so gut es ging von mir. Als er das merkte, löste er sich freiwillig wieder von mir, ich vergrub mein Gesicht in meinem Kissen und begann wieder zu heulen.

»Ach du Scheiße, Pat! Wa-warum weinst... du? Und... und... warum zitterst... du so?« hörte ich Adams Stimme leise zu mir durchdringen doch ich nahm ihn kaum war. Er sollte weggehen, es tat doch so schon weh, er sollte weggehen und mich in Ruhe lassen. Ich hatte so unglaubliche Angst vor ihm, aber ich war wie gelähmt. Ich bekam mein Wort heraus, konnte mich keinen Millimeter bewegen, schluchzte die ganze Zeit nur hemmungslos in mein Kissen. Aber er wollte einfach nicht gehen, er blieb auf der anderen Seite der Kabine sitzen und als ich kurz zu ihm sah, um herauszufinden, ob er mir wirklich wieder weh tun wollte, sah ich, dass er aus dem Fenster blickte, dessen Vorhang er zurück gezogen hatte.

Es dauerte nicht lang, bis ich mich etwas beruhigte, ich konnte einfach nicht mehr heulen und ich hatte keine Kraft mehr. Er sollte es doch einfach tun und wieder gehen, er sollte doch nur wieder gehen und mich nicht weiter mit seiner Anwesenheit quälen. »Was ist los, Pat?« flüsterte Adam einige Zeit später, ohne mich anzusehen. Er klang so... traurig. Verdammt, er wollte mir nichts tun! Warum hatte ich schon wieder geglaubt, er würde das wieder tun? Er hatte das verdammt noch mal nur wegen dem Alkohol getan und jetzt hatte er keinerlei Alkohol mehr im Blut! »Warum... bist du so... zu mir?« fragte er leise und klang dabei so unheimlich zerbrechlich, dass ich einen Stich im Herz spürte. Ich wollte ihn nicht unglücklich machen... Egal wie sehr es wehtat, das war Adam, der Mann, den ich liebte!

»Ich... Ich weiß nicht«, flüsterte ich wieder und schluchzte kurz. Ich musste mich zusammenreißen. Ich musste das endlich wieder in den Griff bekommen. Ich konnte nicht weiter so zu Adam sein, er würde mich noch irgendwann hassen, wenn ich hin weiter so behandelte. Egal, wie schlimm diese Angst auch jetzt war, er war doch Adam. »Warum lässt du dich von Jason in den Arm nehmen und... mich stößt du weg...?« fragte noch weiter nach und sah mich an. Ich wollte nicht, dass er mich so ansah, er sah so verzweifelt aus und ich war schuld! Ich war daran schuld, dass es Adam schlecht ging, ganz allein ich! »Es... es tut mir leid«, flüsterte ich und mein Magen verkrampfte sich augenblicklich. Ich entschuldigte mich bei ihm, warum zur Hölle tat ich das? Er hatte mir das angetan, nicht ich ihm!

»Darf ich?« fragte er leise und streckte seine Arme etwas aus. Es tat so weh, doch ich nickte. Ich konnte ihn einfach nicht traurig sehen, es ging einfach nicht, auch wenn es sich so mies anfühlte, dass er mich in den Arm nahm. Und ich hatte Angst, doch ich konnte ihn nicht wieder wegstoßen. Ich schloss die Augen und merkte, dass das mit dem Nicht-mehr-Heulen-Können in Notsituationen anders war. Und mir liefen schon wieder Tränen in regelrechten Sturzbächen über die Wangen. Adam griff nach meinen Armen, legte sie auf seinen Rücken und legte dann wieder seine um meinen, drückte meinen Kopf mit einer Hand fester an seine Schulter. Ich konnte nicht aufhören zu heulen und je länger er mich im Arm hielt, desto schlimmer schien es zu werden. Ich fühlte mich so verdammt schlecht und glaubte die ganze Zeit, er würde mir jeden Moment meine Sachen vom Körper reißen.

In meinem Kopf duellierten sich die Gedanken, dass er mich gleich wieder so verletzen würde, mit denen, dass er das nur unter Alkoholeinfluss tun würde. Ich wusste nicht, wann das endlich aufhören würde. Meine Augen brannten, mein Hals tat unheimlich weh und mir war schlecht, von den Schmerzen in meinem Schritt ganz zu schweigen. Adam schien mich gar nicht mehr loslassen zu wollen, dabei wünschte ich mir so sehr, dass er es endlich tat, weil es so verdammt weh tat und ich ihm nicht wehtun wollte, indem ich ihn wegstieß. Irgendwann ließ er mich endlich wieder los und ich brachte nur stotternd und schluchzend hervor, dass ich müde wäre und noch etwas schlafen wollte, damit er wieder ging.

Adam nickte, lächelte mich an und strich mir noch einmal durch die Haare. »Dann ruh dich aus, Paty«, lächelte er und stand auf. Wenige Augenblicke später hörte ich, dass die Tür zum hinteren Bereich geschlossen wurde und schob meinen Vorhang wieder weg. Als ich stand wurde plötzlich alles um mich herum schwarz, ich hielt mich so gut ich konnte an der Wand fest und wartete, dass es wieder aufhören würde. Irgendwann konnte ich wenigstens wieder Umrisse erkennen, richtig sehen konnte ich dank der Tatsache, dass ich noch immer heulte, eh nicht. Ich stolperte in Richtung des kleinen Bads und hielt mich immer wieder an irgendetwas fest um nicht umzukippen. Um mich herum schien sich alles zu drehen und zu wackeln.

Mit Müh' und Not schaffte ich es ins Bad, schloss die Tür und fiel auf die Knie. Mir war so unheimlich schlecht. Mit letzter Kraft zog ich mich an der Kloschüssel hoch und übergab mich. Noch immer schluchzend wischte ich mir den Mund ab und zog mich vorsichtig am Waschbecken hoch. Beim Blick in den Spiegel wurde mir fast schon wieder schlecht, ich war kreidebleich, mein Gesicht schweißnass, tränenüberströmt und meine Augen waren knallrot. Ich schaffte es noch mein Gesicht etwas abzuwaschen und meinen Mund auszuspülen, doch schon als ich das Wasser abstellte gaben meine Beine nach und ich sackte wieder auf dem Boden zusammen.

Als ich meine Augen wieder öffnete lag ich nicht mehr auf dem Boden, sondern in meiner Kabine. Mir war endlich nicht mehr schlecht und weder meine Augen, noch mein Hals taten weh, scheinbar hatte diese Heulerei endlich ein Ende. Ich richtete mich etwas auf und sah, dass Jason neben meiner Kabine am Boden saß, die Arme auf meiner Matratze und den Kopf auf seinen Armen liegen hatte. Er schien zu schlafen und meine Uhr zeigte mir an, dass es kurz vor elf Uhr abends war. Ich setzte mich aufrecht hin und stützte meine Arme auf meine Knie. Was war passiert? Ich wusste bis auf, dass ich ins Bad gegangen war nichts mehr. Wie kam ich wieder hierher und warum lag Jason am Boden und schlief?

»Hey Pat«, hörte ich leise Bens Stimme und sah, dass er gerade aus der »Küche« kam. »Hey«, brachte ich nur kaum hörbar raus und Ben setzte sich kurz auf die Kante von Adams Matratze, mir gegenüber. »Du bist im Bad zusammengebrochen, nachdem Adam mit dir geredet hat. Marc hat dich später gefunden und wir haben dich in deine Kabine gebracht, Jason hat dich vorsichtshalber nicht allein lassen wollen und scheint wohl dabei eingeschlafen zu sein«, erklärte er leise und sah kurz auf Jason, der sich nun langsam zu regen schien. »Pat... Wie geht's dir?«, fragte er sofort und gähnte mit vorgehaltener Hand. »Ich... ja, schon in Ordnung«, antwortete ich und zog meine Beine etwas näher.

Ich fühlte mich irgendwie mies dabei, dass sich die Jungs so um mich kümmerten. Alle machten sie sich Sorgen um mich, weil ich nicht sagen wollte, was wirklich passiert war. Aber verdammt, wie sollte ich auch? Nach dem Gespräch mit Adam konnte ich das erst recht nicht mehr tun. Die einzige Lösung für all das war, dass ich mich wieder beruhigen würde und wieder normal sein würde. Dann brauchten sich die Jungs keine Sorgen mehr machen, Adam müsste nicht mehr traurig sein, weil ich ihn so mies behandelte und ich... ich würde mich sicher auch bald besser fühlen, wenn alles wieder wie immer wäre.

»Mir geht es schon wieder gut, ihr könnt ruhig auch schlafen gehen, oder wieder zu den anderen«, meinte ich leise und versuchte dabei wieder relativ normal zu klingen, meine Stimme hörte sich nur etwas dünn an. »Bist du sicher? Du siehst noch immer so blass aus«, sprach Ben und sah mich ziemlich zweifelnd an. »Nein, nein, mir geht's schon wieder gut«, beteuerte ich und lächelte, worauf Jason und Ben beide wegsahen.

Kapitel 6

Sie waren beide wieder nach hinten gegangen, meinten aber sie würden alle nicht allzu lang wach bleiben. Ich hatte beide Vorhänge zugezogen und die kleine Lampe an der Seite angemacht. Ich kam mir zwar kindisch dabei vor, aber ich wollte alles tun, damit ich mich wieder normaler verhalten würde und Adam, ja Adam, hatte mal gesagt, dass es half wenn man Tagebuch schrieb. Also probierte ich das aus, auch wenn ich schon seit ich etwa 19 war nicht mehr Tagebuch geschrieben hatte. Damals stand in eigentlich jedem Eintrag, was Adam gesagt oder getan hatte.

Zu allem Überfluss klebte ein Bild von uns beiden auf der Innenseite des Umschlags. Es war an unserer Abschlussfahrt entstanden, wir hatten allesamt über den Durst getrunken und letztendlich zu Acht in einem Drei-Bett-Zimmer geschlafen. Adam und ich lagen in den Armen des anderen auf einem der Betten. Bisher hatte ich jedes mal Grinsen müssen, wenn ich das Bild gesehen hatte, aber die Erinnerung, dass Adam auch damals so betrunken war und mir so nah gewesen ist, ließ mich diesmal nur erschaudern. Ich war so froh, dass er nur selten trank.

Den letzten Eintrag hatte ich wahrhaftig gemacht, als ich 19 war. Damals hatten Jason und Adam mir zum Geburtstag aus irgendeinem Schwulenclub einen Jungen besorgt, der kein Problem damit hatte, sich etwas an mich ran zu machen. Ich konnte mich noch leibhaftig an diese Zwickmühle erinnern, einerseits war das ein Geschenk und die konnte man nicht ablehnen, aber andererseits war Adam ja noch da und irgendwie konnte ich das nicht. Es war so komisch daran zu denken, was uns eigentlich alles verband, wie gut wir eigentlich miteinander befreundet waren und vor allem wie viel er mir doch eigentlich bedeutete.

Ich ließ Zwei Seiten hinter dem letzten Eintrag frei und begann zu schreiben. Ich schrieb alles auf, alles. Die Tour, das letzte Konzert, der gestrige Tag... und ich schrieb was er getan hatte. Ich fühlte mich mies dabei noch »jemandem« dieses Geheimnis zu verraten, aber auf der anderen Seite hoffte ich, dass Geschehene mit diesem Buch irgendwie wegzusperren. Das hatte Adam auch mal gesagt, er würde seine Probleme damit einfach wegsperren, wenn er nicht mehr daran denken wollte. Als ich bis zum Gespräch mit Ben und Jason alles aufgeschrieben hatte, schlug ich das Buch zu und warf es regelrecht auf die andere Seite meiner Kabine. Ich wollte das nicht noch einmal lesen, wie ich früher jeden Eintrag durchgelesen hatte.

Ich wusste nicht so recht, ob ich mich danach wirklich besser fühlte. Angst hatte ich noch immer, auch wenn ich mir das langsam nicht mehr erklären konnte, weil ich doch nun wirklich wusste, dass er mir kaum etwas tun konnte, wenn die Jungs hier waren. Aber trotzdem hatte ich Angst, vor allem davor, was passieren würde, wenn wir das nächste mal wieder allein miteinander waren. Es kam so oft vor und spätestens wenn die Tour in einigen Wochen wieder vorbei war, konnte ich es nicht mehr verhindern. Würde bis dahin vielleicht alles schon wieder in Ordnung sein? Würde diese Angst vielleicht von ganz allein wieder weggehen?

Als die anderen Jungs scheinbar in ihre Kabinen wollten, schaltete ich mein Licht aus und stellte mich wieder schlafend. So recht wusste ich auch nicht, warum. Ich hörte, dass mein Vorhang aufgezogen wurde und versuchte ganz ruhig zu atmen. »Er schläft«, sprach Jason leise und wie mir schien beruhigt. »Weint er?«, hörte ich noch etwas leiser Adams Stimme, jedoch keine Antwort darauf. »Gut, wenigstens das, vielleicht geht es ihm ja wirklich wieder besser«, flüsterte er weiter und irgendjemand, wahrscheinlich Jason, strich mir durch die Haare. »Vielleicht ist er aber auch einfach nur geschafft, so wie der den ganzen Tag über geheult hat, ist das nie im Leben so plötzlich wieder gut«, flüsterte Jason und seufzte.

Ich hörte, dass mein Vorhang wieder zugezogen wurde und entspannte mich wieder etwas. Eigentlich wollte ich Jason und Adam, die scheinbar alleine vorgekommen waren, nicht belauschen, aber was sollte ich tun? »Es ist so komisch, gestern war er den ganzen Tag noch so normal und jetzt ist er plötzlich so fertig. Warum will er uns nicht sagen, was wirklich passiert ist?«, fragte Adam leise und klang so verzweifelt, dass sich wieder alles in mir verkrampfte. Er sollte nicht so verzweifelt klingen, nur wegen mir. Sie sollten sich alle keine Sorgen mehr machen! »Es muss ziemlich hart sein, vielleicht irgendein Kerl?«, fragte Jason zurück und mir wurde augenblicklich wieder schlecht. Hoffentlich kamen sie nicht auf die Idee, Adams Erlebnis während seines kurzzeitigen Gedächtnisschwunds mit mir in Verbindung zu bringen. Was sollte ich denn machen, wenn sie das taten? Sie würden mich höchstwahrscheinlich hassen, weil ich sie so angelogen hatte und Adam auch.

»Nein, das hätte er mir erzählt. Außerdem woher kämen dann seine Verletzungen?«, meinte Adam und ich vermutete, dass die beiden mittlerweile in ihren Kabinen lagen. »Ich weiß es nicht... Aber Pat wird es uns nicht sagen und ich weiß nicht, was wir machen sollen, wenn es ihm weiterhin so schlecht geht. Ich kann das nicht mit ansehen«, seufze Jason und ich vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Sie sollten sich doch bitte keine Sorgen mehr um mich machen! »Notfalls rede ich noch mal mit ihm, wir kriegen das schon wieder hin«, hörte ich Adam sagen und schwor mir, mich nun wirklich zusammen zu reißen. Ich wollte nicht, dass Adam mich noch einmal ausfragte, was los sei. Das heute war schon schrecklich genug gewesen.

Am nächsten Morgen wurde ich ziemlich früh wieder wach, wahrscheinlich weil ich schon am Vortag so viel geschlafen hatte. Etwas wacklig kam ich auf die Beine und ging nach vorne um Kaffee zu machen. Außerdem hatte ich Hunger, was sich irgendwie ziemlich gut anfühlte. Scheinbar war ich doch nicht krank, sondern es hatte nur an meinen Nerven gelegen, dass es mir am Vortag so schlecht gegangen war. Ich war ziemlich erleichtert deshalb, Bob hätte sicher einen Aufstand gemacht, wenn ich krank geworden wäre und sich der Tourplan verschoben hätte. Es schien doch irgendwie alles wieder etwas besser zu werden, mir war zwar noch etwas mulmig zumute und bei dem Gedanken daran, in ein paar Stunden wieder mit Adam zu tun zu haben, wurden meine Knie etwas weich, aber das ließ sich ignorieren.

»Hey... Morgen Pat«, hörte ich Bens noch etwas verschlafen klingende Stimme und drehte mich zur Tür. Er sah mich an und lächelte unsicher. »Guten Morgen«, antwortete ich ihm und versuchte endlich einmal nicht mehr so gequält zu lächeln, worauf sich Ben etwas entspannte, jedoch nicht sehr. Ich goss mir etwas Kaffee in eine Tasse und sah im Augenwinkel, dass Ben sich auf eine der Bänke setzte. »Auch Kaffee?«, fragte ich, drehte mich kurz um und er nickte mir lächelnd zu, noch immer etwas unsicher. Mit den zwei Tassen in den Händen setzte ich mich ihm gegenüber und schob ihm seine zu. »Danke«, murmelte er nur und ich lächelte kurz, diesmal sogar aus Reflex und nicht gezwungen. Scheinbar ging es eben doch wieder bergauf mit mir, so schlimm war das wohl also doch nicht.

»Wie... wie geht's dir?« fragte Ben nachdem wir einige Zeit geschwiegen hatten und wirkte mit einem mal wieder genauso unsicher, wie vorhin, als er hereingekommen war. Vielleicht würde er sich ja wieder beruhigen, wenn er erfuhr, dass es mir gut ging? Und das war diesmal sogar ausnahmsweise nicht unbedingt gelogen. »Sehr viel besser als gestern, wird wohl doch keine richtige Krankheit, zum Glück«, meinte ich und Bens Gesicht hellte sich etwas auf. Na, es ging doch. »Bob wäre sicher ziemlich sauer gewesen, wenn du krank geworden wärst«, sprach er und ich nickte energisch. Wir plauderten noch etwas über die Tour, sprachen etwas über die letzten Konzerte, machten uns über die neusten Fan-Schild-Sprüche lustig und ich vergaß über unserem Gespräch für ein paar Augenblicke all meine Sorgen. Gut, vielleicht nicht völlig, aber all das entfernte sich deutlich von mir.

Wir merkten gar nicht, wie die Zeit verging, erst als Marc in der Tür stand sahen wir beide gleichzeitig zur Uhr, es war kurz nach Zehn, um dreiviertel Acht war ich aufgestanden. »Morgen«, gähnte Marc und steuerte sofort auf die Kaffeemaschine zu, um sich Kaffee einzugießen. Er stellte seine Tasse ab und setzte sich neben Ben. Auch Marc schien irgendwie etwas unsicher zu sein. Lag das nur an meiner Verfassung am Vortag? Okay, es war vielleicht wirklich verständlich, dass sie nicht wussten, wie ich mich verhielt, nachdem ich den ganzen letzten Tag durchgeheult hatte. Marc stellte dieselbe Frage wie Ben und wirkte genauso erleichtert, als ich auch ihm sagte, dass es mir schon wieder viel besser ging. So völlig ehrlich war ich damit nicht, denn ich merkte, dass mein nächstes Aufeinandertreffen mit Adam unweigerlich näher rückte und bei dem Gedanken daran bekam ich doch wieder etwas Angst.

»Glaubst du, dass das mit dem Konzert heute Abend ein Problem für dich wird? Ich meine, so völlig oben auf bist du sicher noch nicht«, meinte Marc und ich hob nur die Schultern. »Irgendwie werde ich das schon hinkriegen, unsere Fans haben es nicht verdient, dass sie kein 100%iges Konzert bekommen«, lächelte ich und meinte es auch genauso. Ich fühlte mich zwar wirklich noch nicht unbedingt voll einsatzfähig, aber irgendwie würde sich das schon managen lassen. »Naja, du kannst es ja ein bisschen ruhiger angehen und das ständige Herumgespringe weglassen«, rief Ben lachend, worauf Marc und ich nur grinsten. Als ob es möglich wäre die ganze Zeit nur ruhig dazustehen, während Hunderte von Fans einen animierten. »Guten Morgen«, hörte ich plötzlich eine weitere Stimme und mein Magen zog sich fast schmerzhaft zusammen. Nun würde sich ja herausstellen, ob alles wieder okay war, aber dieses Gefühl, als er hereingekommen war, verhieß schon einmal nichts Gutes.

»Morgen«, kam es von Marc, Ben und mir im Chor zurück, von Ben etwas lauter, von mir etwas leiser. »Noch Kaffee da?« fragte Adam und Marc nickte nur in Richtung der Kaffeemaschine. Wir begannen unser Gespräch nicht von neuem, sondern schwiegen. Ich wusste nicht, warum die Jungs nicht einfach weitersprachen. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand deutete Adam fragend auf den Platz neben mir und setzte sich, als ich nickte. Sollte ich ihm sagen, dass ich das nicht wollte? Ich wollte normal sein, ganz normal, wie immer! »Wie geht's dir heute?« fragte Adam und ich hob nur die Schultern. »Eigentlich wieder gut, noch nicht topfit, aber auf jeden Fall besser als gestern«, antwortete ich dann doch noch.

»Das ist schön«, meinte Adam und nickte. Ich wusste darauf nichts mehr zu sagen und auch die anderen schlürften nur stumm ihren Kaffee. Ich fühlte mich dermaßen unwohl, weil niemand sprach. Noch dazu saß ja Adam neben mir, und es war ein äußerst unangenehmes Gefühl, ihm so nah zu sein. Richtige Angst spürte ich nicht, ich fühlte mich einfach nur verdammt unwohl. Doch ich war etwas beruhigt, dass das Gefühl, er könnte jeden Moment wieder über mich herfallen, endlich wieder weg war und ich auch nicht wieder zu zittern und zu heulen anfing, weil er in meiner Nähe war. Eigentlich war das alles Grund genug, um sich zu freuen, aber dass ich mich jedes Mal so mies fühlen würde in seiner Nähe, wollte ich genauso wenig.

»Kannst du mich mal bitte rauslassen?« fragte ich Adam nach einem schier unendlich langen Schweigen, und er hob seinen Blick. »Ich... äh, ich muss diese Salbe drauftun, die... die der Arzt mir gegeben hat«, meinte ich und schluckte. Das fühlte sich nun noch schlimmer an. Adam nickte verständnisvoll und ließ mich aufstehen. Ich ging langsam nach hinten und setzte mich in meine Kabine. Ich hielt dieses Schweigen nicht mehr aus und die Salbe von Dr. Beech musste ich wirklich benutzen. Die Tüte mit den Medikamenten steckte in meinem Rucksack, den ich unter meine Kabine geschoben hatte, also holte ich den erst einmal hervor und durchsuchte ihn. Ich hatte das ganze Zeug eigentlich nicht haben wollen, aber Dr. Beech hatte mir versichert, ich würde ihm noch dankbar sein. Salbe wegen der Schmerzen in meinem Schritt, Schlaftabletten, Beruhigungsmittel, Schmerzmittel.

Es fehlten wirklich nur noch Antidepressiva. Ich nahm frische Klamotten und die Salbe und verschwand im Bad. Ich fand es so unheimlich peinlich, dass ich das Zeug wirklich benutzen musste. Aber wenigstens half es und zurück in meiner Kabine nahm ich zwei der Schmerztabletten, von denen Dr. Beech gesagt hatte, ich könne auch mehrmals am Tag welche nehmen. Außerdem hatte er gemeint, dass ich sie in zwei bis drei Tagen eh nicht mehr brauchen würde. Ich verstaute die ganzen Medikamente in einem Fach in meiner Kabine, in das ich auch mein Tagebuch gelegt hatte. An die Fächer der anderen ging bei uns niemand, also brauchte ich mir keine Sorgen machen, dass einer der Jungs das Zeug fand. »Pat?« hörte ich währenddessen einen noch relativ verschlafenen Jason und kroch aus der Kabine.

»Yep«, meinte ich nur und er blickte mich etwas verwundert an. »Wie geht's dir?«, fragte auch er und ich wurde es langsam Leid, dass man mich das fragte. »Es ist okay, ich bin zwar noch nicht ganz auf der Höhe, aber es geht mir besser als gestern«, erklärte ich auch diesmal und setzte von neuem ein Lächeln auf, was mittlerweile ganz sicher nicht mehr gequält aussah. »Das freut mich, Pat, ehrlich«, meinte Jason leise und lächelnd. Es fühlte sich so gut an, dass die anderen sich keine Sorgen mehr um mich machten. »Sind die anderen schon wach?« fragte er noch und ich nickte. »Ja, alle außer Brain«, sagte ich noch, während ich meinen Vorhang zuzog und wieder nach vorne ging. Ich wollte unbedingt wieder zu den Jungs, ich wollte mir irgendwie beweisen, dass alles wieder okay war, aber was war das für eine Illusion?

Meine Knie wurden schon wieder weich, als ich die Tür öffnete, genauso wie dieses flaue Gefühl im Magen wiederkehrte. Aber mir war nicht zum Heulen zumute und das war das Wichtigste, denn ob ich ein mieses Gefühl hatte oder nicht, konnte man mir kaum ansehen. Wenn das mit dem Heulen und Zittern weitergegangen wäre, hätten sich die Jungs nur weiter Sorgen gemacht und damit schienen sie ja gerade aufgehört zu haben. Ich nahm mir eine Flasche Wasser aus dem Schrank und setzte mich wieder neben Adam, über dessen Gesicht dabei ein kleines, erleichtertes Lächeln huschte. Vielleicht weil ich ihn nicht mehr so offensichtlich mied?

»Morgen Leute«, ertönte Jasons Stimme wenig später ein weiteres Mal und die anderen sahen alle mit einem Grinsen zu ihm auf. Gut, Dank der Tatsache, dass Jason den Preis für den verschlafen aussehendsten Mensch der Welt verdient hatte, begann auch ich zu grinsen und trank meinen letzten Schluck Kaffee aus. »Gehen wir nach hinten? Die Playstation ruft«, lächelte er und das Grinsen auf unseren Gesichtern wurde noch größer. Ich war der festen Überzeugung, dass etwas Ablenkung momentan das Allerbeste war, also stimmte ich ihm sofort zu und folgte ihm nach hinten, wo wir uns auch sofort auf den Boden vor dem Bildschirm niederließen. Und wir verbrachten die ganze restliche Fahrt vor der Playstation, mit Ausnahme von Umziehen und Mittagessen von McDonald's, das Harry uns großzügigerweise besorgt hatte.

In der Stadt angekommen wurden wir erst einmal ins Hotel gebracht, da wir am nächsten Vormittag Termine hier hatten und deshalb die Nacht ganz in Ruhe in einem Hotel verbringen sollten. Mir war es zwar äußerst unangenehm, denn die ganze Sache von wegen »im Hotel schlafen« weckte schon wieder meine Erinnerungen, aber ich versuchte stark alle Gedanken von mir zu schieben. Mein Vorhaben, mich wieder völlig normal zu verhalten, funktionierte fast perfekt. Ich fühlte mich zwar noch immer etwas komisch in Adams Anwesenheit, und die Lockerheit, die ich versuchte an den Tag zu legen, musste sicher etwas überzogen ausgesehen haben. Aber Dank der Tatsache, dass ich ja auch vorher etwas nervös ihm gegenüber reagiert hatte, fiel das den Jungs sicher nicht mehr auf.

Erst als wir im Fahrstuhl standen, kehrte das flaue Gefühl in meinem Magen wieder in seiner früheren Intensität zurück. Normal waren Adam und ich fast immer in einem Zimmer. Dass Jason letztes Mal bei mir geschlafen hatte, war mehr eine Ausnahme. Sollte ich denn etwa jetzt wieder mit Adam in einem Zimmer schlafen? »Adam? Kommst du zu mir ins Zimmer? Ich will nicht wieder zu Jason, der schnarcht neuerdings«, rief Ben plötzlich als wir auf dem Flur vor unseren Zimmernummern standen und mir fiel regelrecht die Kinnlade runter. Warum zur Hölle wollte Ben plötzlich mit Adam in ein Zimmer? Die Ausrede, Jason würde schnarchen, war völliger Blödsinn! Oder wollte er viel mehr, dass ich nicht mit Adam in ein Zimmer kam...? Mein Gott, ahnte Ben irgendetwas?

»Komm Pat, wenn Ben nicht zu mir will, dann nehm' ich dich«, meinte Jason und zog mich ins letzte unserer Zimmer. Ich war noch immer völlig vor den Kopf gestoßen. Ben konnte doch nicht wirklich irgendetwas ahnen, oder? Aber wieso hatte er dann unbedingt verhindern wollten, dass ich mit Adam in einem Zimmer schlief? Oder sah ich etwa Gespenster, und er wollte wirklich nicht mit Jason in ein Zimmer? »Pat? Hallo?! Erde an Pat!« grinste Jason mich plötzlich an und fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Ich lächelte ihn nur etwas dümmlich an und schüttelte meinen Kopf. Ich durfte nicht wieder anfangen, mir Gedanken zu machen, dann ginge es doch schon wieder von vorn los!

»Soundcheck«, rief Brain wenige Minuten später bei uns ins Zimmer und Jason und ich antworteten mit einem Nicken. Ich steckte mir noch schnell zwei Tabletten in den Mund und zusammen ging es wieder nach unten, danach wieder in den Bus und ab zur Halle. Nachdem wir uns erst einmal mit den Gegebenheiten bekannt gemacht hatten, scheuchte Bob uns auch schon nach oben auf die Bühne und wir brachten eine halbe Stunde damit zu, sowohl Technik als auch uns selbst zu prüfen. Danach blieben uns noch fast zwei Stunden Zeit, bis wir wieder auf die Bühne mussten, also versammelten wir uns in der Kabine und genossen noch etwas die altbekannte »Ruhe vor dem Sturm«. Ich hätte mich am liebsten hingelegt und geschlafen, nur die Tatsache, dass ich danach sicher noch viel müder gewesen wäre, hinderte mich daran. Dabei war ich schrecklich müde.

Ich warf mich auf eins der Sofas und schloss wenigstens für ein paar Momente die Augen. Und kaum hatte ich das getan, kehrten meine Gedanken zurück. Ben. Was ahnte er nur? Konnte ich es wagen und ihn fragen, warum er das getan hatte, ohne mich zu verraten? Oder würde ich ihm damit vielleicht irgendetwas bestätigen und er würde noch viel mehr ahnen, dass irgendetwas los war? Aber war es viel sinnvoller, sich die ganze Zeit zu fragen, warum er das getan hatte? Sicher nicht. Es schien das Beste zu sein, ihn einfach in einem ruhigen Moment zu fragen, warum er so reagiert hatte und dieser Moment kam früher als ich gedacht hatte.

»Pat? Kommst du mit, was zu essen holen? Brain, äh... der nervt etwas, wenn er Hunger hat«, fragte Ben mich tatsächlich wenig später und ich nickte, noch bevor ich überhaupt nachgedacht hatte. Ich rappelte mich wieder auf und verließ schon kurz später die Kabine mit Ben. Stumm liefen wir nebeneinander den Gang entlang. Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, damit ich aufhörte, nervös mit meinen Fingern zu spielen. Ich hatte doch von einem ruhigen Moment »gesprochen« und das war doch nun ein äußerst ruhiger Moment? »Du, Ben, ähm, sag mal, das...«, stotterte ich und zog meine Hände aus den Taschen, begann wieder, an meinen Fingern herumzuziehen. Ben hatte seinen Blick gehoben und sah mich fragend an.

»Das... das vorhin, im... im Hotel«, stotterte ich weiter und stockte schon wieder. Ganz ruhig, das ist nur eine Frage, redete ich mir in Gedanken zu und atmete tief durch. »Wa-Warum hast du gesagt, dass du mit Adam in ein Zimmer willst? Sonst... sonst gehen du und Jason doch auch immer zusammen... und er schnarcht doch auch gar nicht, jedenfalls nicht mehr, als er es schon immer getan hat?« fragte ich und blickte ihn nur kurz an, weil es mir neuerdings so unangenehm war, Leuten in die Augen zu sehen. Noch dazu wenn es irgendwo ja um Adam ging. »Ach... Adam stellt immer so viele Fragen. Weißt doch, so neugierig wie der ist und... naja, ich dacht mir eben, dass das genau das ist, was du momentan gar nicht willst und deshalb... ja, deshalb«, antwortete er und lächelte etwas verlegen.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war erstens erschrocken, dass die Jungs das Thema wohl noch nicht ganz unter den Tisch gekehrt hatten, wenn Ben davon sprach, ich würde nicht wollen, dass man Fragen stellt. Zweitens war ich überwältigt davon, dass er sich so verhielt, sie alle. Erst kümmerte sich Jason so unheimlich rührend um mich, dann fassten sie mich alle wahrlich mit Samthandschuhen an und nun »opferte« Ben sich in dieser Weise für mich auf. Ich wusste ehrlich nicht so recht, womit ich das verdient hatte, womit ich solche Freunde verdient hatte, wo ich sie doch die ganze Zeit anlog. »Alles okay, Pat?« holte Ben mich wieder aus meinen Gedanken und ich hob meinen Blick etwas widerwillig. Mit dem Gedanken daran, dass sie sich so um mich sorgten, wo ich sie doch die ganze Zeit anlog, war es noch viel, viel schwerer, Ben in die Augen zu sehen. Ich fühlte mich schrecklich dabei.

»Ja, klar, nur... äh, danke«, meinte ich leise und steckte meine Hände wieder in die Hosentaschen, damit Ben meine Nervosität nicht sah. Ich wusste nicht so recht, warum mir immer noch so komisch zumute war, schließlich hatte sich ja wenigstens aufgeklärt, dass Ben nicht ahnte, was geschehen war, sondern nur Adams Neugier vorbeugen wollte. »Ach, ist doch kein Ding, dafür sind wir Freunde«, lächelte Ben und legte mir einen Arm um die Schulter. Ich lächelte etwas unsicher und wurde von ihm zum Catering geschleift, schließlich wollten wir ja eigentlich etwas zu Essen holen und waren auf halber Strecke stehen geblieben. Im Cateringbereich suchten wir uns einige dieser uns nur zu gut bekannten Plastikschalen, ähnlich wie die Salat-Packungen bei MC Donalds, und machten uns auf den Rückweg.

Brain kam uns wie ein hungriger Wolf entgegen und entriss mir sofort eine Portion, mit der er sich wieder auf sein Sofa verkrümelte. Die Restlichen platzierten wir auf dem Tisch und auch ich griff mir eine. Wie schon beim Mittagessen entspannten sich die Gesichter der anderen Jungs total, als ich zu essen begann. Adams natürlich am allermeisten, aber er war ja auch selbst schon genug in Kontakt mit Essproblemen gekommen. Es war noch exakt eine Stunde Zeit bis zum Konzert, als ich fertig mit Essen war und merkte, dass es mich nur noch müder gemacht hatte. Es wäre wohl besser gewesen, hätte ich den Tag über noch einmal etwas geschlafen, aber jetzt war es eindeutig zu spät dazu. Irgendwie würde ich das sicher überstehen.

Vorsichtshalber ruhte ich mich die letzte halbe Stunde, bevor wir uns vorbereiten mussten, noch etwas aus und verzog mich dann mit frischen Klamotten ins Bad, tat so, als würde ich noch schnell duschen, weil es mir wahnsinnig unangenehm war, mich vor Adam umzuziehen. Wieder zurück in der Kabine waren die Jungs schon fertig und saßen wie immer leicht nervös auf den Sofas. Egal wie oft wir schon auf der Bühne gestanden hatten, besonders war es immer noch. »Ähm, Pat? Bist du sicher, dass es dir gut geht? Du siehst so blass aus?« meinte Ben als wir zur Bühne gingen, worauf ich jedoch nur lachte.

Lesemodus deaktivieren (?)