zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Mit anderen Augen

Teil IV

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel XXII, Abschied

Die Uhr auf der Wohnzimmeranrichte schlug zur vollen Stunde. Nach dem fünften Schlag verstummte sie wieder. Doch es blieb nicht still, Max stand auf und ging zu Arco hinüber. Schnupperte, stupste ihn an und leckte ihm über die Schnauze. Dann ging sie zur Tür. Blieb stehen und drehte sich noch einmal um.

Im Treppenhaus hallten die Geräusche ihrer Krallen auf dem Boden. Im Nu war sie bei Carsten im Zimmer. Ging einmal um sein Bett herum und schnupperte wieder. Mit ihren Vorderläufen stellte sie sich auf die Matratze und stieß Carsten mit ihrer Schnauze an.

„Okay Max, ich lass dich raus!“

„Was ist, Carsten?“

„Nichts, schlaf weiter Andreas. Max muss wohl vor die Tür. Ich gehe mit ihr hinunter.“

Carsten tastete nach seinen Bademantel, zog ihn über und folgte Max. Doch anstelle zum Küchenausgang, dirigierte die Hündin den Jungen zu Arco. Carsten begriff. Vorsichtig nährte er sich seinem alten Freund. Er kniete sich neben ihn und strich ihm sanft über das Fell und den Kopf. Arco hob ihn und leckte Carsten die Hand. Als er wieder von dem Jungen abließ stand Carsten auf, ging zu dem Telefon hinüber und wählte die Hausnummer für das Elternschlafzimmer.

„Papa? Nein Mama, könntest du Papa wecken. Arco geht es schlecht!“

Keine zwei Minuten später schaltete Paul im Wohnzimmer das Licht ein und ging zum Liegeplatz der Hunde. In seiner Hand hielt er seine Arzttasche. Er sah auf Arco hinab. Dann nahm er sein Stethoskop und horchte.

„Carsten, es ist soweit.“

„Kannst du denn gar nichts machen Papa?“

„Nein, mein Junge.“

„Darf ich denn bei ihm bleiben?“

„Sicher doch, du bist sein Freund. Er spürt deine Nähe. Warte, ich bringe dir noch Kissen und Decken. Ich lasse dich dann alleine, Junge. Wenn du etwas brauchst, ich bin in der Küche.“

Carsten machte es sich etwas bequem auf dem Wohnzimmerboden, neben Arco. Seine Hand strich immer wieder mal über das seidige Fell des Hundes. Max gesellte sich zu ihm. Sie schob ihren Kopf unter Carstens freien Arm hindurch und legte ihn in seinen Schoß.

Die Uhr schlug zur halben Stunde. Carsten saß da und summte vor sich hin. Er hörte wie jemand hinter ihm kam.

„Kann ich euch Gesellschaft leisten, Carsten?“

„Wenn du möchtest, Andreas. Komm ich rutsche etwas zur Seite.“

Andreas setzte sich zu ihnen. Carsten fuhr mit seinem unterbrochenes Summen fort.

„Was summst du?“

„Arcos Lieblingsstück. Eine Passage aus Beethovens Pastorale. Wir hatten seiner Zeit im Musikunterricht das Thema Naturgeräusche in Orchesterwerken. Dazu sollten wir Beispiele finden. Beethoven hatte – einer Legende nach – auf die Frage, wie er den zweiten Satz (Szene am Bach) daraus komponiert hat, sinngemäß geantwortet: ‚Ich setzte mich an den Schreiberbach (Wien) in die grüne Wiese und hörte der Natur zu. Das, habe ich dann aufgeschrieben.‘ Ich habe mir daraufhin das Werk öfters mit Christiane im Internat angehört. Jedes Mal beim Abspielen der CD setzte Arco sich auf und – wie Christiane sagte – lausche er aufmerksam der Melodie aus den Boxen. Es gibt eine Stelle im dritten Satz (Lustiges Zusammensein der Landleute), in der es quasi ein recht leises Zwiegespräch zwischen der Oboe und dem Fagott gibt. Das mag er besonders. Unter uns gesagt, diese Passage war unser Zeichen. Wenn ich das pfiff, kam er.“

„Davon wusste keiner?“

„Nicht das es mir bekannt war.“

„Habt ihr die CD hier, soll ich sie mal auflegen?“

„Das ist eine gute Idee. Sie steht hier unter ‚Sinfonie‘ und wenn du sie leise abspielen lässt ist das okay.“

Andreas stand auf, ging zum Medienschrank hinüber. Nach einigen suchen fand er das Gewünschte. Er schaute sich kurz das Cover an. Eine Aufnahme mit der Dresdner Staatskapelle. Er schob die CD in den Spieler und schon bald ertönten die ersten Töne aus den Boxen. Mit der Fernbedienung regelte er die Lautstärke auf ein leises Niveau. Neben Carsten sitzend hörte er aufmerksam zu.

Er schloss seine Augen und stellte sich vor wie an einem warmen Frühlingstag, der junge Ludwig sich neben einem kleinen Wasser (allein oder in Begleitung lassen wir mal dahingestellt) niederließ. Andreas merkte wie die Sinfonie sich in seinem Kopf zu einem komplexen Gemälde entwickelten. Jeder Ton ließ dieses Bild langsam in Bewegung geraten. Förmlich hörte er die Wasser rauschen, die Vögel zwitschern. Er fühlte sich nicht mehr im Salon der von Feldbachs, sondern eher so, als ob er mit den Hunden und Carsten auf einer grüne Wiese herumtobte. Die Hunde sprangen fröhlich in einen See mit durchsichtigem Wasser. Er sah zu und Carsten lauschte ihnen vom Ufer aus. Sie balgten darin und die Jungen lachten. Dann, ganz vorsichtig tastete seine Hand nach der von Carsten. Einmal zog er sich unsicher zurück, doch der Junge neben ihm suchte sie wieder. Andreas legte die Seinige in die von Carsten. Sie hielten sich fest. Sein Kopf drehte sich und er schaute sich seinen Freund an. Seine Sinne beraubten ihn jeder Realität. Er glaubte sogar den Duft frischen Heus zu riechen. Die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut zu spüren. Nur langsam kam er in die Realität zurück. Dass er auf dem Teppich im Wohnzimmer neben Carsten und den Hunden saß, dass es draußen Winter war.

Andreas spürte eine Veränderung. Er hielt Carsten wirklich im Arm. Der Junge neben ihm schluchzte. Von Max vernahm er ein sehr leises Winseln. Andreas öffnete seine Augen und blickte in das tränenüberströmte Gesicht Carstens. Noch immer strich dieser über Arcos Kopf. Doch es war kein Leben mehr in dem Tier. Dann tat Andreas das was er nur tun konnte. Er zog Carsten zu sich und hielt ihn ganz fest. Die Tränen des Jungen liefen heiß und feucht an seinem Hals entlang.

Die Uhr auf der Wohnzimmeranrichte schlug zur vollen Stunde. Nach dem sechsten Schlag verstummte sie wieder.

„Komm, Carsten wir sollten deinem Vater Bescheid geben!“

„Arco?!“

Paul nahm seinen Sohn und hob ihn auf die Couch. Andreas setzte sich neben ihn. So hatte er Carsten noch nie erlebt. Nichts mehr war von dem fröhlichen Jungen vorhanden. Seine Augen glänzten, aber dieses leuchtende, strahlenden blau darin war erloschen. Er lernte Carsten von seiner intimsten Seite kennen. Herr von Feldbach nahm das tote Tier und brachte es wohl in seine Praxis. So genau konnte Andreas es nicht sagen. Plötzlich stand Luise mit zwei Tassen Kakao vor ihnen.

„Hier ist etwas Warmes für eure Nerven.“

„Danke, Mama.“

„Danke.“

Luise verließ die beiden. Carsten schien sich langsam zu beruhigen. Sein Schluchzen verstummte. Max sprang neben ihn und schob ihren Kopf auf seinen Schoß. Der Junge strich sanft über ihren Kopf. Er fühlte, dass sie sich jetzt besonders nötig hatten.

„Danke Andreas, das mit der Musik war eine wirklich gute Idee. Arco scheint es noch einmal genossen zu haben. Dann spürte ich, wie er starb. Er schien glücklich zu sein.“

„So sah es auch aus. Ich meine viel Erfahrung habe ich in diesen Dingen nicht. Doch mir schien, dass er sehr zufrieden und entspannt wirkte. Ich glaube ich habe eben ein wenig von Arcos Leidenschaft zu dieser Musik erfahren. Ich fühlte mich plötzlich mitten auf einer Frühlingswiese. Zusammen haben wir dort viel Spaß gehabt. Die Hunde sind in einen See gesprungen und ich hatte das Gefühl frisch geschnittenes Gras zu riechen.“

„Ich habe gemerkt, dass du in anderen Welten verweiltest. Du hast nämlich deinen Arm, just in dem Augenblick um mich gelegt, als Arco...“

„Oh!“

„Nichts ‚oh‘ es war sehr lieb von dir. Damit hast du mir geholfen Abschied zu nehmen. Bitte erzähle mir noch etwas mehr von deiner Vision.“

„Viel gibt es da nicht mehr. Wir saßen am Ufer des Sees und ...“

„Ja?“

„Unsere Hände haben sich berührt. Wir haben unsere Hände gehalten.“

Aus einem für Carsten unerfindlichen Grund stand Andreas auf. Er lief – dem Geräusch nach – regelrecht aus dem Zimmer. Es tat dem zurückgelassenen Jungen weh. Dennoch, er blieb ruhig sitzen. Seine Hand streichelte weiter beruhigend Max. Er hatte etwas zum Nachdenken.

„Was ist denn mit Andreas los, Carsten?“

„Wenn ich mich nicht irre hat er mir gerade gesagt, dass er in mich verliebt ist.“

„Wie das?“

„Er hat mir davon erzählt, Mama, wie er bei der Beethoven’schen Pastoralen auf einer Wiese meine Hand gehalten hat.“

„Hach wie romantisch. Und was gedenkst du jetzt zu tun?“

„Ich? Jetzt, gar nichts. Zumindest nichts in dieser Hinsicht. Ich fühle, dass ich ihm noch etwas Zeit lassen muss.“

„Okay, Sohnemann. Frühstück?“

„Warum nicht. Arco hat ja auch nie eine Mahlzeit ausfallen lassen. Max, auf!“

Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Gesichter. In der Küche war regelrechter Hochbetrieb. Paul füllte gerade Max Napf mit Futter. Andrea – schon in den Startlöchern für die Schule – goss jedem Kaffee oder Kakao ein. Luise und Carsten setzten sich einfach an den Tisch. Ercan lief im Schlafanzug umher und half den Tisch zu decken. Sein Vater hatte ihm von Arcos’ Tod unterrichtet. Und wenn jemand genau hingesehen hätte, wären ihm seine roten Augen aufgefallen. Doch der kleine Junge hielt sich tapfer. Schließlich wusste er auch schon seit einigen Tagen Bescheid. Als der Junge Carsten sah, ging er auf seinen großen Bruder zu und setzte sich auf seinen Schoß. Dann schlag er seine Ärmchen um dessen Hals und drückte ihn liebevoll. Mehr bedurfte es nicht und die Jungs verstanden sich.

„Soll ich Andreas holen?“

„Nein Andrea, ich glaube er braucht im Moment Ruhe.“

„Ist es wegen Arco?“

„Nein.“

Carsten seufzte.

„Ich glaube ich muss euch etwas sagen. Sitzt ihr alle?“

„Einen Augenblick noch. So jetzt, was gibt es?“

„Es fällt mir sicherlich nicht leicht. Gerade heute nicht. Doch es ist der Zeitpunkt gekommen, dass ihr etwas wissen solltet. Liebe Familie, ich bin schwul und habe mich verliebt.“

„Papa was ist das?“

„Das ist wenn Carsten einen Jungen sehr gern hat.“

„So wie ich und Tim?“

„Doch noch etwas anders Ercan.“

„Ach, so wie Onkel Dieter und Onkel Gerhard aus dem Kino?“

„Ja.“

„Na dann ist es ja gut. Mama kann ich noch Kakao haben? Bitte!“

„Lass mich raten: Andreas?“

„Du solltest Lottospielen Andrea. Sechs – na in diesem Fall – ein Richtiger.“

„Na für eine richtige Zahl bekomme ich nicht sehr viel Bruderherz. Aber schön dass du es gesagt hast. Ich hatte so meine Ahnung. Weibliche Intuition, du verstehst?“

„Eigentlich nicht, aber schön dass ihr es mir so leicht macht. Oder Papa?“

„Na, ja ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen, als Mutti es mir gegenüber vor ein paar Tagen angedeutet hat.“

„Ich dacht du hättest damit keine Probleme?“

„Oh, dass du schwul bist ja auch nicht. Aber Mutti meinte du hättest meinen Schwiegersohn in spe mitgebracht...“

„Lassen wir das Thema.“

„So Ercan. Waschen, Zähne putzen, anziehen und dann ab in den Kindergarten.“

„Ja, Mama.“

Die Küche leerte sich. Von Andreas war nichts zu hören. Paul trank einen Schluck Kaffee. Carsten hörte wie er die Tasse wieder absetzte. Seine Mutter blätterte in der Tageszeitung. Max schob ihren (wohl) geleerten Napf über den Boden. Das leise scheppernde Geräusch befriedigte Carstens Sorgen um Max.

„Carsten, es tut mir Leid, dass ich davon anfangen muss. Doch was soll mit Arco geschehen?“

„Es muss dir nicht Leid tun. Ich habe schon eine ganze Weile, immer wieder mal darüber nachgedacht. Ich denke es ist am sinnvollsten ihn einzuäschern und am See auszusetzen. Er war dort am liebsten.“

„Ich habe mir schon so etwas gedacht. Ich mache gleich einen Termin im Tierkrematorium. Dann können wir heute Nachmittag zum See runter.“

„Sag einmal Paul ist das nicht illegal?“

„Ich bekomme eine Bescheinigung über die Einäscherung. Das reicht als Nachweis aus. Und wenn jemand am See jemanden ‚Enten‘ füttern sieht... was ist daran verboten?“

Carsten konnte nicht sehen, wie beide Erwachsenen darüber lächelten. Er selber musste innerlich über diese Aussage schmunzeln. Sein Vater nahm es also auch nicht immer so genau mit den Verordnungen und Vorschriften. Ein sehr sympathischer Zug seiner Erziehungsberechtigten, wie er fand.

Kapitel XXIII, Traditionen

Andreas saß auf Carstens Bett ganz still. Es klopfte. Andreas schaute zur Tür, die sich langsam öffnete. Zunächst sah er Max dann folgte Carsten. Dieser hörte sich um.

„Ich sitze auf dem Bett Carsten. Warum klopfst du an? Es ist dein Zimmer!“

„Nicht nur, Andreas. Vielleicht möchtest du noch deine Ruhe haben?“

„Nein, komm herein.“

„Frühstück steht noch für dich bereit, wenn du möchtest. Ehrlich Andreas, ich verstehe deine Reaktion nicht. Warum bist du davon? Was war denn an dem verkehrt, was du mir gesagt hast?“

„Gar nichts daran ist verkehrt. Ich habe mich geschämt, Carsten. Da erzähle ich dir von etwas von Frühlingstagen und grünen Wiesen. Von einer glücklichen und romantischen Vision, während Arco gerade gestorben ist.“

„Deswegen musst du dich doch nicht schämen, Andreas. Da finde ich nichts Falsches dran. Arco war ja auch dabei, wie du mir gesagt hast. Wir haben seinen größten Wunsch erfüllt. Er durfte in meinen Armen sterben. Ich, der sich auf ihn verlassen konnte, habe ihn in seiner schwersten Sunde nicht verlassen. “

Andreas wurde nachdenklich. War es denn wirklich das? Oder war er mehr über seine versteckte Liebeserklärung erschrocken? Diesbezüglich hatte Carsten nichts gesagt. Hatte er es denn nicht gehört?

„Ich denke Andreas, es hat mit etwas ganz anderem zu tun. Wer von uns hat denn in deinem Traum wessen Hand gehalten?“

„Nachdem meine deine kurz berührte, hast du meine genommen und gehalten.“

„Fällt dir denn nichts auf?“

„Nein, worauf willst du hinaus?“

„Ich habe deine Hand gehalten...“

Andreas dachte einen Moment nach. Stimmt, Carsten hatte seine gehalten. Das würde ja bedeuten dass Carsten ihn – Andreas Zahradník – wollte.

„Es stimmt Andreas. Unsere erste Begegnung im Treppenhaus diesen Sommer. Sie hatte mich ganz durcheinander gebracht. Ich wusste absolut nicht was das bedeuten sollte. Solch einen ersten Eindruck hat vor dir noch keiner bei mir hinterlassen. Mit der Zeit begriff ich es. Ich war drauf und dran mich in dich zu verlieben. Aber wie würdest du reagieren? Das konnte ich bis heute nicht erfahren. Doch nun. Sag Andreas wie steht es um deine Gefühle?“

„Ich mochte dich auch vom ersten Augenblick an. Deine Augen haben so wunderbar gestrahlt. Als ich erfahren habe, dass du nicht sehen kannst, hatte ich Angst davor. Doch dieses Gefühl war stärker. Es half mir dich so zu sehen wie du bist. Ein normaler Junge, der mir die Sinne raubt. Aber was sollte ich damit anfangen? Woher sollte ich wissen, dass meine Gefühle für dich auf fruchtbaren Boden fallen? In München ging der Schuss nach hinten los, als ich mich meinem Schwarm anvertraute. Ich war ab dem Zeitpunkt ein gebrandmarkter Teenager – in der ganzen Schule. Das wollte ich nicht noch einmal erleben.“

„Ich verstehe, dich. Und was ist jetzt? Ich würde jetzt gerne deine Hand halten.“

Carsten, der sich neben Andreas hingesetzt hatte, drehte sich ein wenig zu ihm. Andreas blickt ihn an. Noch immer faszinierten ihn Carstens blauen Augen. Langsam tastete er nach dessen Hand. Als sich ihre Finger berührten, knisterte es förmlich. Dann ließ Carsten seine Hand in die von Andreas gleiten. Es fühlte sich richtig an. Andreas schloss seine Hand. Sein Herz pochte laut. Carsten nahm seine freie Hand und legt sie auf Andreas Brust. Langsam nährte sich Andreas Carstens Gesicht. Er spürte seinen Atem. Ihre Lippen berührten sich fast. Millimeter trennten sie. Einen Augenblick noch.

„Jungs, kommt ihr bald? Oh, entschuldigt!“

Paul öffnete die Tür ohne Vorwarnung. Andreas sah einen extrem verlegenen Tierarzt in der Tür stehen. Vorbei der Zauber des Moments. Sowohl Carsten als auch Andreas lachten gleichzeitig – ob der kuriosen Situation – los.

„Ja, Papa. Gib uns noch eine halbe Stunde bitte.“

„Ehm, ich wollte nicht stören.“

„Hast du aber, vielleicht solltest du in Zukunft anklopfen. Nur so als Vorschlag?“

„Ja, ja Carsten, du hast ja Recht. Okay, eine halbe Stunde noch. Dann müssen wir aber los. Bitte trödelt nicht.“

„Bis gleich, Papa, schließt du die Tür hinter dir?“

„Auch wenn wir unterbrochen wurden, Andreas. Es war schön.“

Andreas ließ Carsten los und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann sah er Max. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Beide schauten sich an und Andreas sah, dass sie nicht mehr ganz so traurig war wie noch vor Stunden.

„Was geschieht mit Arco, Carsten?“

„Ich glaube deswegen hat Papa es auch so eilig. Arco wird im Tierkrematorium eingeäschert. Heute Abend gehen Papa und ich zu seiner Lieblingsstelle...“

„Nur ihr?“

„Wenn du möchtest kannst du mit.“

Carsten ging zur Kommode hinüber, holte frische Unterwäsche aus den verschiedenen Schubladen hervor. Damit war klar: Er verkrümelte sich ins Bad.

Andreas beeilte sich, mit seiner Morgentoilette. Dann betrat er die Küche. Luise war ganz begeistert dabei, feines Weihnachtskonfekt herzustellen. Sie sah Andreas an und lächelte.

„Setzt dich Junge. Kaffee oder Kakao? Ach, du trinkst ja Milchkaffee zum Frühstück. Kommt gleich.“

„Ich kann mich auch selber bedienen!“

„Das könntest du, aber ich will nicht, basta!“

„Du machst alles selber? Plätzchen, Pralinen, und so weiter?“

„Ja. Das ist in meiner Familie Tradition. Meine Mutter hat es von ihrer Mutter übernommen. Die hatte die Rezepte von ihrer Mutter und so weiter. Eines der Schokotrüffelrezepte ist aus Weimar, als Goethe dort gelebt hat.“

„Das ist über 150 Jahre alt?“

„Es ist auf 1802 datiert. Aber keine Panik, ich benutze hier nur eine Abschrift davon. Das Original liegt oben in meinem Arbeitszimmer.“

Luise setzte sich zu dem frühstückenden Jungen am Tisch und trank eine Tasse Kaffee mit. So fand sie auch Paul vor und als Carsten kurz nach ihm die Küche betrat, war auch Andreas gerade fertig. Luise scheuchte die Männerschar aus ihrem Refugium, wo sie sich wieder ihrer Konfektkollektion widmete.

Paul fuhr mit dem Kombi seiner Frau vor. Andreas stieg vorne ein, Carsten und Max hinten. Carstens Vater fixierte Max mit einer Vorrichtung am Sicherheitsgurt. Die Tiertransportbox hatte Paul aus dem Kofferraum genommen und den Sichtschutz zugezogen. Im Radio spielten sie Weihnachtslieder. Ansonsten wurde nicht viel gesprochen. Die Fahrt in die Stadt dauerte vielleicht zwanzig Minuten. Die erste Station war das Krematorium, wo sie schon erwartet wurden. Der Betreiber nahm ihnen den Hund ab. Er kümmerte sich auch um alles Weitere. Auf dem Rückweg würden sie wieder hier vorbeikommen.

„So Jungs, und nun geht es zum Weihnachtsbaumverkauf.“

„Papa, nehmen wir einen mit oder ohne Wurzeln?“

„Dieses Jahr nehmen wir einen mit Ballen. Wir haben diesen Sommer im Garten eine Tanne fällen müssen. Jetzt ist da eine Lücke entstanden.“

„Dann sollten wir doch eine Gärtnerei aufsuchen. Was meinst du Andreas?“

„Na, die Quellen der Bäume sind meist die gleichen. Aber in einer Gärtnerei werden sie besser gepflegt. Dein Vorschlag hört sich vernünftig an.“

„Gut, dann eben eine Gärtnerei. Ich weiß auch schon welche.“

Paul lenkte den Wagen durch den dichten Verkehr hindurch. Sie machten an einer Gärtnerei halt. Der Parkplatz war nur mäßig belegt, so konnte er auch bis vor dem Eingang fahren. Nachdem alle ausgestiegen waren, gingen sie hinein. Andreas sah sich im Ladenlokal um. Das was dort ausgestellt war sah gut aus. Ein Blick auf die Preise aber auch. Carstens Vater hatte wirklich eine Nobelgärtnerei ausgewählt.

„Guten Morgen der Herr.“

„Guten Morgen.“

„Was kann ich für sie tun?“

„Wir suchen einen Weihnachtsbaum mit Wurzeln.“

„Dann kommen sie mal mit, wir haben hinten im Gewächshaus schöne Exemplare.“

Der Verkäufer führte sie durch mehrere Türen in ein großes Glashaus. Dort standen verschiedene Baumexemplare in Töpfen herum. Schnell waren sie sich einig, eine Blaufichte sollte es sein. Der Verkäufer präsentierte verschiedene Größen. Paul wählte einen Baum in seiner Größe aus. Dann trat Carsten in Aktion, strich über die Nadeln, atmete tief ein und lehnte diesen ab. Sein Vater akzeptierte. Dann wählte er eine andere aus. Sie war etwas größer als er selbst. Carsten trat hervor und auch diesmal überstand sie den Test nicht. Andreas sah Paul an. Der runzelte zwar die Stirn, schien aber keine Probleme mit Carstens Entscheidung zu haben. Während der Verkäufer sichtlich nervös wurde.

„Sie sehen ja selber, mein Sohn hatte etwas gegen meine Auswahl. Haben sie noch weitere?“

„Ich weiß zwar nicht was er an diesen Topexemplaren auszusetzen hat, aber kommen sie mit.“

„Och, das kann ich ihnen sagen. Schauen sie sich meine Hand an, lauter Nadeln. Und die letzte war auch nicht mehr die Frischeste.“

Andreas grinste über beide Ohren. Carsten hatte den Verkäufer bloßgestellt, dessen Gesichtsfarbe sich in ein Tiefrot wandelte. In einem weiteren Gewächshaus standen weitere Baumkandidaten herum. Weiter hinten sah Andreas einen älteren Mann, nahm aber keine weitere Notiz von ihm. Paul suchte wieder einige Bäume aus. Andreas sah, dass es sich um gepflegte Weihnachtsbäume handelte. Sein erster Eindruck war positiv. Doch er wollte Carstens Entscheidung abwarten. Dieser machte kurzen Prozess. Kein Treffer. Der Verkäufer zweifelte an Carstens Kompetenz. Dann trat der alte Mann vor.

„Lassen sie es gut sein Gustav. Ich kümmere mich um die Herrschaften. Sie suchen eine Blaufichte mit Wurzeln? Dann kommen sie mal mit mir mit. Weiter hinten stehen noch einige. Sie entsprechen nicht so sehr dem Kundenwunsch.“

Andreas sah was er damit meinte. Die Stämme waren nicht ganz gerade und im Allgemeinen waren sie etwas kleiner. Aber sie wirkten auf ihn gesund. Der Mann schaute sich um, überlegte einen Augenblick und wählte zielstrebig einen aus. Paul gefiel er. Der Stamm des Kandidaten war leicht gebogen, doch die Zweige verdeckten es. Sie waren gleichmäßig und verjüngten sich zur Spitze symmetrisch. Carsten trat hervor, fasste an einem Zweig und holte tief Luft. Dann wandte sich Carsten an Andreas.

„Andreas, was meinst du?“

„Von dem was ich gesehen habe ist er okay. Warte mal.“

Andreas rückte einige Äste beiseite und sah sich den Ballen genauer an.

„Ich finde, den sollten wir nehmen. Mein Vater hatte mich beim Baumkauf – egal um welche Art es sich handelte – auch manchmal mitgenommen. Er hatte mich gelehrt, die Wurzeln genauer zu betrachten. Der Wurzelballen hier ist gepflegt und es haben sich schon einige neue Wurzeln gebildet. Der wird wohl gut anwachsen.“

„Ah, jemanden mit Ahnung. Du hast einen guten Blick. Im Zimmer hält er es ein bis zwei Wochen aus. Mäßig gießen. Danach können sie ihn an einen kühlen Ort stellen. Einpflanzen sollten sie ihn, wenn der Boden mehrere Tage nicht mehr gefroren war.“

„Jungs wir haben einen Baum. Können sie ihn uns liefern?“

„Kein Problem, hinterlassen sie uns ihre Adresse und wir bringen ihn morgen. Darf ich dir noch eine Frage stellen, Junge?“

„Ja!“

„Ich habe dich gesehen wie du die ersten Bäume beurteilt hast, warum hast du sie abgelehnt?“

„Zum einen weil die Nadeln nicht sehr fest waren. Aber ausschlaggebend war deren Duft. Entweder sie rochen nach nichts oder zu intensiv. Im zweiten Fall hat wohl jemand aus der Dose nachgeholfen. Der hier hat genau das richtige natürliche Aroma“

„Ich danke dir für deine ehrliche Antwort. Ja, die Natur lässt sich nun mal nicht in ihr Handwerk pfuschen. Kommen sie, ich begleite sie hinaus.“

An der Kasse zahlte Paul den Baum und hinterließ seine Adresse. Dann verabschiedeten sie sich. Zurück in der Stadt lud Paul beide auf eine Schoko ein. Dort besprachen sie alles Weitere. Hier erfuhr Andreas, dass der Baumkauf bei den von Feldbachs auch eine gewisse Tradition hatte. So erfuhr er, dass schon Pauls Ururgroßvater seine Söhne mit in den Wald genommen hatte, zum Weihnachtsbaum schlagen. Dem Jungen erschien es, das diese Familie sehr die Sitten und Gebräuche ihrer Vorfahren achtete. Paul gab auch einige Anekdoten zum Besten, was auch dazu führte, das sich ihre Stimmung lockerte. Dennoch, nach einiger Zeit machte sich Max bemerkbar. Carsten kannte die Zeichen; sie musste raus. Da Andreas und Carsten noch einige Geschäfte aufsuchen wollten, entschieden sie sich später mit dem Bus nach Hause zu fahren. Paul entließ sie und sah wie seine Jungen das Café verließen.

Kapitel XXIV, Die Geschenke

„Wo sollen wir zuerst hin?“

„Wo bekomme ich eine Uhrenkette für Opa her?“

„Ich weiß wo.“

Carsten begleitet von Max, führten Andreas zu einem Juwelier. Dort ließ Andreas sich Uhrenketten zeigen, die Auswahl war enorm und die Preise auch. Nach einigen hin und her entschied er sich für eine solide versilberte Kette. Auch der Preis, fand er, war für das Geschenk okay. Dann ließ er sich noch Brillenketten zeigen. Aber etwas Passendes fand er nicht. Entweder sie waren ihm zu teuer oder entsprachen nicht seinen Vorstellungen von damenhaft. So verließen sie das Geschäft und suchten einen Optikerladen auf. Doch der hatte nur Modelle der zeitigen Mode und so eine quietschgelbe Kordel wollte er nun seiner Großmutter nicht antun.

„Weißt du was Andreas, ich muss heute Nachmittag noch zu unserem Dorfjuwelier. Ich glaube bei ihm könntest du so etwas finden.“

„Du meinst?“

„Ja, ich meine. Und was nun?“

„Wolltest du nicht auch etwas erledigen?“

„Ja, dann komm mal mit.“

„Hallo Carsten, dich habe ich ja lange schon nicht mehr gesehen.“

„Ich sie auch nicht Herr Rosenkranz.“

„Scherzkeks, was kann ich für dich tun?“

„Haben sie noch das Negativ von dem Foto. Sie wissen schon das was im Sommer gemacht wurde.“

„Da muss ich mal nachsehen, weißt du noch ungefähr, wann es gewesen ist?“

„Ich glaube es muss Anfang Juli gewesen sein.“

„Okay, warte hier einen Moment.“

„Du kennst ihn?“

„Ja, er ist unser Familienfotograph. Hier lassen wir alle unsere Fotos machen und entwickeln. Im Übrigen legt Herr Rosenkranz Wert auf ‚Fotograph‘ mit ‚ph‘.“

„Hier, ich glaube das ist es. Du bist mit einem gestreiften T-Shirt drauf und zwei Hunde.“

„Genau das, können sie davon einen Abzug machen und in einen kinderfreundlichen Rahmen stecken?“

„Das würde aber etwas länger als eine Stunde dauern!“

„Das macht nichts, ich habe hier noch etwas zu tun. Ich komme dann in einer Stunde wieder.“

„Halt! Du möchtest einen kinderfreundlichen Rahmen? Was meinst du damit?“

„Na so ein Teil was ruhig mal zu Boden fallen kann, ohne dass es kaputt geht. Es ist für Ercan.“

„Ah, ich verstehe. Ich habe noch welche mit Kunstglas und massiven Silikonrahmen.“

„Andreas würdest du bitte mal schauen?“

Herr Rosenkranz führte einige Modelle vor. Andreas gefiel ein königsblauer Rahmen, doch für Ercan durfte er ruhig etwas bunter sein. So entschied er sich für einen mit bunten Figuren. Nachdem auch diese Auswahl getroffen wurde, kam Andreas eine Idee. Lange schon war es her, dass er seinen Großeltern ein Bild von sich geschenkt hatte. Sie würden sich sicherlich freuen.

„Herr Rosenkranz, könnten sie auch von mir ein Foto machen? Ich würde es gerne meinen Großeltern schenken! Und sie wissen ja, diese Fotoautomaten... “

„Ich weiß was du meinst. Kommt mal alle drei mit, ich habe da eine Idee.“

Herr Rosenkranz führte sie in sein Atelier. Dort stellte er einige Scheinwerfer und Blitzlichter um. Dann zog er an eine Dekorationsleinwand. Vor Andreas erschien eine romantisch wirkende Landschaft um einen See.

„Das habe ich aufgenommen, nachdem der erste Schnee gefallen war.“

„Andreas?“

„Herr Rosenkranz hat einen kleinen See in der Dämmerung abgelichtet. Ich finde es liegt etwas Beruhigendes darin. Ein schönes Motiv, es soll als Hintergrund dienen."

„Richtig, Junge. Für euch drei der ideale Hintergrund.“

„Aber Herr Rosenkranz, Andreas wollte doch nur ein Portrait von sich.“

„Komm Carsten, mit dir und Max. Bitte.“

Carsten zuckte die Schultern. Herr Rosenkranz machte sich an die Arbeit. Es dauerte wohl eine halbe Stunde bis ihm sein Arrangement gefiel. Dann gab es Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven.

„So Jungs, fertig. Ich würde sagen kommt in einer Stunde wieder. Dann bin ich soweit. Einen Rahmen können wir dann noch aussuchen.“

„Danke Herr Rosenkranz.“

Die kleine Gruppe verließ das Studio und überließ dem Künstler die Arbeit.

Anschließend suchten sie eine Buchhandlung auf. Dort gingen sie in die Kinderabteilung. Die Verkäuferin wurde von Carsten arg strapaziert. Suchte er doch noch ein altersgerechtes Buch für seinen kleinen Bruder. Andreas schaute sich ebenfalls um. Seine eigene Buchsammlung könnte auch mal wieder aufgefrischt werden. Aber so richtig fündig wurde er nicht. Als er wieder auf Carsten und Max traf, wurde gerade der Kauf eines Bilderbuches perfektioniert. Die Verkäuferin packte es ein und übergab es Carsten. An der Kasse bezahlte er. Andreas sah zu ersten Mal, wie Carsten ein kleines Gerät aus der Tasche hervorholte. Er entnahm seiner Geldbörse einen Schein und steckte diesen in einen Schlitz. Dann übergab er ihn und erhielt sein Wechselgeld.

„So jetzt habe ich fast alles.“

„Sag einmal was ist das für ein Gerät?“

„Das ist mein Hilfsmittel um die Scheine zu identifizieren. Je nach Schein vibriert er zwischen ein- und siebenmal. Wobei ich sagen muss, alles über Fünfzig Euro zahle ich per Electronic Cash oder Kreditkarte.“

„Und wohin geht es nun?“

„Jetzt fahren wir einmal mit der Straßenbahn. Hier ich gebe dir Wertmarken, damit kannst du als meine Begleitperson kostenlos mitfahren.“

Mit der Bahn fuhren sie bis an den Stadtrand. Dort suchte Carsten eine Sattelei auf. In dem Laden roch es nach Leder und dessen Pflegemittel.

„Hallo Carsten, deine Bestellung ist fertig. Hier ist das Zaumzeug. Andrea wird sich freuen. Reitet sie immer noch auf Diogenes?“

„Ja, und jetzt hat sie mit ihm die Military angefangen. Ich hoffe mein Geschenk hält es aus.“

„Sicher doch, alle Nähte sind Doppelfaden – zweifach genäht.“

„Carsten wovon sprecht ihr?“

„Andrea ist dieses Frühjahr vom Pferd gefallen. Sie hat sich zwar nicht sehr wehgetan, doch das Zaumzeug – also das, was dem Pferd über den Kopf gezogen wird – war hinüber. Seit dem hat sie eines vom Reitverein geliehen.“

„Aber warum hat sie sich kein Eigenes besorgt?“

Der Meister des Leders legte alles in einem Karton, packte es in Geschenkpapier und nannte den Preis. Jetzt wusste er auch, warum Andrea sich lieber eines lieh. Carsten zückte seine EC Karte und übergab sie dem Verkäufer. Anschließend gab er seine PIN an einem Ziffernblock ein. Es ratterte und Carsten erhielt Karte und Bon zurück.

„Carsten, falls es damit Probleme gibt, soll Andrea herkommen. Gehört zum Service.“

„Werde ich ausrichten. Ich wünsche euch ein schönes Weihnachtsfest.“

Damit kehrten sie um und betraten alsbald wieder das Fotostudio. Herr Rosenkranz hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. In Handarbeit – wie er erzählte – hat er Carstens Geschenk für Ercan entwickelt. Als Andreas es begutachtet wurde er ein weinig neidisch auf Ercan. Carsten ließ das Geschenk einpacken. Dann sah Andreas sich die neuen Aufnahmen an. Herr Rosenkranz verstand sein Handwerk. Das Bild wirkte wie vor Ort aufgenommen und nicht wie im Studio. Ein schönes Geschenk für seine Oma und seinen Opa. Selbst einen passenden Rahmen hatte er schon ausgewählt. Auch Andreas ließ das Bild einpacken. An der Kasse wechselten Fotos und Geld die Seiten. Dann verließen sie den Laden. Doch kaum fünfzig Meter vom Geschäft entfernt, stutze Carsten.

„Sorry Andreas, ich muss noch einmal zurück. Ich habe meine Geldbörse liegen gelassen. Wartest du mit Max hier. Die paar Meter kann ich auch alleine gehen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten ging er mit seinem Stock den Weg tastend zurück. Es dauerte ein wenig, wohlmöglich dass sie die Börse nicht sofort fanden. Dann öffnete sich die Tür und Carsten kam strahlend wieder heraus. Andreas wurden langsam die Füße kalt und war erfreut zu hören, dass es nun Richtung Heimat ging. Der Bus war gut beheizt und für die Fahrt benötigte er gerade mal eineinhalb Stunden. An jeder Milchkanne hielt er an.

Aber im Dorf angekommen ging es noch nicht nach Hause. Zunächst besuchten sie den Dorfjuwelier. Auch hier wurde Carsten freundlich Willkommen geheißen. Der Juwelier legte Carsten seine Geschenke vor. Da war für seine Mutter ein goldenes Medaillon. Man konnte es öffnen und darin befanden sich zwei kleine Fotos. Auf der linken Seite eines auf dem die drei Kinder abgelichtet sind und rechts eines von Paul. Andreas nahm es in die Hand. Er drehte es um und las die Gravur ‚Für Mama, in Liebe‘.

„Das Medaillon ist unser gemeinsames Geschenk. Andrea fand es hübsch und genau passend für Mama. Das mit den Fotos war auch ihre Idee. Zudem bekommt sie von jedem noch etwas Selbstgemachtes. Ich habe für sie eine Tonvase modelliert. Gar nicht so einfach, Andreas. Aber eines weiß ich sicher, sie ist Wasserdicht.“

„Ihr habt eure Eltern sehr lieb!“

„Ja, und du darfst sie auch ruhig lieb haben. Dich mögen sie jedenfalls gerne.“

„Das scheint mir auch so. Und dein Vater?“

„Das Geschenk der Kinder ist ein Krawattenclip. Von mir bekommt er für seinen Schreibtisch ein paar hölzerne Stützen für seine Post.“

Der Juwelier legte eine kleine längliche Dose vor ihnen auf den Tisch. Darin befand sich eine Krawattennadel in Form eines springenden Jaguars. Allein die Nadel sah schon kostbar aus. Doch die Kinder schienen auch hier eine kleine Veränderung veranlasst zu haben. Dort wo das Auge war glänzte ein kleiner Rubin.

Wie schon zuvor des öfteren, beschrieb Andreas das Aussehen und anscheinend war Carsten damit zufrieden. Der Juwelier erklärte dem Jungen, dass es Carstens Wunsch war einen künstlichen ‚Edelstein‘ einzusetzen. Dementsprechend günstig fiel auch das kleine Präsent aus. Die Geschenke wurden verpackt und bezahlt. Dass Carsten hier ebenfalls mit Karte zahlte war verständlich. Nun war Andreas an der Reihe. Er erläuterte dem Inhaber seinen Wunsch. Der stellte noch einige Fragen und kam mit einer kleinen Auswahl an Brillenketten zurück. Alle waren schön anzusehen und vor allem, sie waren stilvoll. Andreas wählte eine aus, die wohl seiner Großmutter gefallen würde. Er musste tiefer in die Tasche greifen als geplant, doch er fand, dass die Kette es wert war.

Dann war es soweit. Sie gingen wieder nach Hause. Nachdem Max trocken gerubbelt war, gingen die Jungs hinauf ins Zimmer. Die Geschenke wurden verstaut und anschließend trafen sie in der Küche ein. Auf dem Küchentisch lag ein weißer Bogen Papier. Carsten ging hinüber und ließ seine Finger darüber gleiten.

„Mama und Papa sind noch mal in die Stadt gefahren. Unser Mittagessen können wir in der Mikrowelle aufwärmen. Andrea kommt heute später und Ercan müssen wir vom Kinderhort abholen. Übrigens wir sollen die Finger von der Schokolade und den Keksen lassen. Ich weiß, es ist zwar schon Nachmittag, aber hast du Hunger?“

„Nicht besonders viel, aber etwas Warmes wäre wirklich nicht schlecht.“

„Okay, es gibt Erbsensuppe. Holst du bitte mal zwei tiefe Teller?“

Die Jungs machten sich die Speise warm. Andreas deckte den Tisch und servierte noch ein Baguette dazu. Die Suppe mundete ihnen und wärmte vor allem auf. Andreas sah sich in der Küche um. Arcos Platz war weggeräumt, seine Näpfe waren nicht mehr vorhanden. Max lag auf ihrer Decke und schaute betrübt zu ihnen hinüber. Zu gut kannte er das Gefühl aus seiner eigenen Vergangenheit. Und er war froh, Freunde gefunden zu haben die ihm danach geholfen haben. Vielleicht konnte er Max irgendwie helfen.

„Carsten können wir für Max nichts tun? Sie sieht so traurig aus.“

„Andreas, ich fühle es aber wir müssen ihr Zeit lassen. Mehr können wir jetzt nicht tun. Sie fängt sich wieder.“

„Es fällt mir aber nicht so leicht sie in diesem Zustand zu sehen, Gerade über die Feiertage.“

„Das kann aber auch ein Vorteil sein. Wir sind immer in ihrer Nähe, wenn sie Zuneigung braucht findet sich immer einer. Außerdem wird sie der Trubel im Haus ablenken.“

Andreas schwieg über diese Antwort, er hatte etwas zum Nachdenken. So räumte er den Tisch ab und half Carsten beim Einräumen der Spülmaschine. Anschließend ging er in die Bibliothek und schaute sich dort in Ruhe um. Hier fand er alles. Lexika, medizinische Bücher über Tierkrankheiten. Geschichtsbücher, wissenschaftliche Literatur über die Menschheit und deren evolutionäre Entwicklung. Zudem fand er Romane und Trivialliteratur; genauso vertreten wie klassische Literatur. Von Andrea lieh er sich einen Herr der Ringe Band aus und begann darin zu lesen. Er bekam nicht mit, wie Carsten sich auf machte, um Ercan abzuholen. Einzig Max gesellte sich zu ihm. Sie ließ sich neben ihm nieder. Wollte aber nicht gestreichelt werden. Andreas respektierte das.

Kapitel XXV, Ein Anfang am See

„Andreas möchtest du Arco mit beisetzen?“

„Wenn ich darf! Kommt sonst noch jemand mit, Carsten?“

„Ja, der Rest der Familie.“

Andreas legte das Buch beiseite, ging auf das Zimmer und zog sich seine warmen Sachen an. In der Eingangshalle traf er auf den Rest der Familie. Selbst Mark war da. Gemeinsam gingen sie zu einem kleinen See. Ganz unspektakulär öffnete Carsten ein kleines Behältnis und ließ den Inhalt herunterrieseln. Ein leichter Wind trug die Asche auf den, vom Vollmond beleuchteten See hinaus. Für einen Moment waren alle ganz still. Frau und Herr von Feldbach legten ihre Hände auf Carstens Schultern. Mark hielt seine Andrea fest und Ercan legte seine kleine Hand in die von Andreas. Dann nahm er den kleinen Jungen auf dem Arm. Er sah, dass ihm die Tränen über das Gesicht kullerten. Ercan schlang seine Arme um Andreas und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. Leise hörte er sein Weinen. So schauten sie auf den zugefrorenen See hinaus.

Paul nahm Andreas Ercan ab und tröstet ihn. Luise stellte sich zu ihnen. Andreas sah, dass auch die beiden Erwachsenen einige Tränen verloren hatten. Wahrscheinlich sah er selber nicht besser aus. Einige Minuten später bildeten sie eine kleine Gruppe. Bereit den Ort zu verlassen.

„Papa, ich würde gerne noch etwas hier bleiben.“

„Bleib nicht mehr so lange, es wird sehr kalt werden.“

„Darf ich dir Gesellschaft leisten?“

Andreas, Max und Carsten blieben. Alle anderen machten sich auf. Andreas stellte sich neben Carsten auf und griff nach seiner Hand. Er hielt sie ganz fest.

„Es ist wirklich ein magisches Plätzchen hier. Ich kann verstehen, dass es Arcos Lieblingsplatz ist.“

„Ja, Arco hat sich hier immer sehr wohl gefühlt. Aber ich kann nicht sagen warum!“

„Carsten, wir stehen hier direkt am Wasser. Ungefähr zweihundert Meter in Richtung ein Uhr ist eine kleine Baumgruppe zu erkennen. Links daneben eine weite freie Fläche. Sie grenzt bei halb Elf auf einen Wald. Wenn ich mich jetzt nicht täusche, geht die Sonne genau über diese Fläche unter. Ich denke sie taucht alles in weiches Licht. Es muss romantisch aussehen. Selbst jetzt, wo der See zugefroren und teilweise schneebedeckt ist, hat er seinen Charme.“

„Andreas, danke für die Beschreibung. Wir sollten jetzt auch gehen.“

„Carsten, das hier ist der Hintergrund von dem Bild, welches wir heute bei Herrn Rosenkranz gemacht haben.“

„Es muss wirklich etwas Magisches daran sein.“

Carsten drehte sich in Andreas Richtung. Sie standen sich nun etwas gegenüber. Andreas sah Carstens glänzende Tränen. Er hob seine Hand und mit zwei Fingern wischte er sie vorsichtig fort. Wie weich und warm Carstens Gesicht doch war. Er zog ihn zu sich. Hielt ihn ganz dicht an sich fest. Langsam nährten sich ihre Lippen und sie verschmolzen sich. Carsten war überrascht. Sehr angenehm überrascht. Andreas öffnete seine Lippen und Carsten erwiderte diese Geste. Er nahm dieses wunderbare Gefühl tief in sich auf. Beide ließen sich in ihrem Vertrauen zueinander fallen.

„Wow, Andreas.“

„Wow, Carsten.“

Zu mehr Konversation waren sie momentan nicht in der Lage. Max schob sich zwischen sie. Anscheinend war ihr langweilig. Carsten ließ sie laufen. Ein paar Meter vor den Jungs blieb sie stehen und schaute zurück. Andreas und Carsten folgten ihr. Bis zu den von Feldbachs gingen sie eine Weile. Max schien so langsam ihre Freude am Schnee und dem darin Toben wiedererlangt zu haben. Als die drei das warme Haus betraten, brauchte Carsten zwei Tücher um sie wieder zu trocknen. In ihrem Fell hatte sich viel Schnee verfangen und war leicht gefroren. Auf dem Tisch stand schon das Abendessen und Max lief ohne sich um jeden Weiteren zu kümmern zu ihrem Wassernapf. Carsten und Andreas zogen sich die Jacken und Schuhe aus, gingen gemeinsam aufs Zimmer, um die Straßenkleidung gegen Hauskleidung zu tauschen. Ihre feuchten Jeans nahmen sie mit und hängten sie in der Waschküche zum Trocknen auf.

In der Küche wartete man auf die Beiden, dann trug Andrea das Essen auf. Spagetti mit Tomatensauce und dazu gab es einen gemischten Salat.

„So, wie sieht denn eure Planung für heute Abend aus?“

„Ercan geht gleich ins Bett.“

„Aber erst nach dem Sandmännchen!“

„Nach dem Sandmännchen, davor aber Zähne putzen und Schlafanzug an. Morgen solltest du ausgeschlafen sein.“

„Ja, Mama.“

„Ich schaue mit Mark noch etwas Fern auf meinem Zimmer.“

„Gut, aber um Neun ist Schluss, und Mark soll ich dich nach Hause bringen?“

„Danke, ich bin mit dem Geländewagen meines Vaters hier.“

„Was ist mit euch beiden?“

„Ich habe heute Nachmittag in der Bibliothek ein Buch begonnen, das würde ich gerne weiter lesen.“

„Hm, dann solltest du aber nicht in der Bibliothek hocken. Die Heizung schaltet auf Sparflamme um, setzt dich lieber ins Wohnzimmer. Dort ist es wärmer.“

„Ich habe heute noch gar nicht Klavier gespielt. Nach den Nachrichten, wäre das für euch okay, Papa?“

„Ja, aber auch nicht länger als eine dreiviertel Stunde, Carsten. Dann ist auch für dich Feierabend. Max lass ich später noch einmal raus, wenn ich zum Stall hinüber gehe.“

„Hast du denn da noch Patienten?“

„Ja, ein Schaf und zwei Katzen. Die werden aber morgen von ihren Besitzern abgeholt.“

Nach dem Mahl, verteilten sie sich. Andrea und ihr Freund verzogen sich zum Fernsehgucken. Luise begleitete Ercan nach oben ins Bad. Andreas ging und holte das Buch. Carsten half seinem Vater beim Aufräumen der Küche. Dann bereitete er das Futter für Max vor. Nachdem er den Napf auf seinen Platz gestellt hatte, machte Max sich darüber her. Der Geräuschkulisse nach zu urteilen, hatte sie großen Appetit. Carsten freute sich darüber.

„Sind wir allein Papa?“

„Ja, was gibt es?“

„Könntest du mir einen kleinen Gefallen tun? Im Fotostudio Rosenkranz habe ich noch ein Geschenk für Andreas.“

„Ich bringe es mit.“

„Danke Papa.“

„Hast du das Zaumzeug bekommen?“

„Ja, ist aber ganz schön kostspielig. Andreas muss ja glauben, ich sei Krösus persönlich.“

„Das habe ich dir ja vorher gesagt. Du hast dich aber nicht übernommen?“

„Nein, durch Nachhilfestunden habe ich mein Taschengeld aufbessern können. Sei beruhigt. Sag einmal wart ihr auch so erpicht darauf Musterkinder haben zu wollen?“

„Wie meinst du das?“

„Na meine Nachhilfeschüler. Sind alle ganz ordentlich in der Schule, Durchschnitt würde ich meinen. Ihre Eltern bezahlen aber sehr viel, dass ich ihnen helfe noch besser zu werden. Letztens bekam ich sogar eine Prämie. Einer meiner Schützlinge hatte seinen Notendurchschnitt verbesserte. Aber ich möchte nur, dass sie in der Schule klar kommen.“

„Nein, Muster- und Wunderkinder wollten wir nicht haben. Andrea und du hattet beide Nachhilfe aus dem gleichen Grund: Konzentrationsschwierigkeiten. Wir wurden aber damit einbezogen. Wir haben mit euch Gedächtnisübungen gemacht. Aber das hat sich nach der zweiten Klasse gelegt. Andrea fing mit dem Reiten an und du hattest die Musik. Lernen soll euch Spaß machen, darauf kommt es an. Ihr lernt ein Leben lang. Wenn das nicht sitzt, nutzen auch die besten Noten wenig.“

„Ich verstehe, unsere Leistungen waren für dich und Mama nur zweitrangig.“

„Genau so verhält es sich. Ihr habt auch Fünfer in Zeugnissen gehabt. Ich denke nicht jeder kann alles gleich gut. Aber wie schon erwähnt, ihr hattet Spaß am Lernen. So Carsten, die Küche glänzt wieder. Ich würde gerne die Nachrichten hören.“

„Ich komme mit.“

Im Wohnzimmer saßen schon Andreas und Luise. Carsten gesellte sich zu Andreas und Paul zu seiner Frau. Max gesellte sich zu ihrem Herrchen und legte sich vor ihm hin. Carsten hörte Stricknadeln klappern. Als die Nachrichten begannen, verstummten sie. Carsten tastete mit seiner freien Hand nach der von Andreas und hielt sie fest. Der Wetterbericht kündigte weitere Schneefälle an und Temperaturen im einstelligen Minusbereich. Eine weiße Weihnacht war somit sicher. Paul sah sich die Beiden an und lächelte.

„Na, Carsten so munter siehst du mir nicht mehr aus.“

„Na ganz frisch fühle ich mich auch nicht Papa, aber dennoch möchte ich noch ein paar Etüden spielen.“

„Okay, um Neun ist Ruhe.“

„Versprochen.“

„Luise ich bin in meinem Arbeitszimmer, etwas an meiner Buchführung machen.“

„Warte ich helfe dir. Gute Nacht, Andreas.“

„Gute Nacht, Luise, Paul.“

„Gute Nacht, Carsten.“

„Gute Nacht, Mama, gute Nacht Papa.“

„Gute Nacht, Jungs.“

Carsten stand auf und ging zu seinem Flügel hinüber. Max machte es sich bei Andreas bequem. Und verlangte Streicheleinheiten von ihm. Sie hörten Carsten zu. Der fing mit einigen Fingerübungen an und wechselte anschließend zu Etüden von Chopin.

Nachdem Max Andreas verlassen hatte, setzte er sich neben Carsten. Gemeinsam spielten sie noch das italienische Kinderlied. Die Uhr im Salon schlug zur vollen Stunde. Carsten schloss den Flügel. Er ging noch einmal die Eingangstüren ab. Prüfte ob sie verschlossen waren. Andreas löschte das Licht. Gemeinsam gingen sie in den zweiten Stock. Dort trennten sich ihre Wege. Andreas verschwand im Gäste- und Carsten im Familienbad.

Sie trafen zur gleichen Zeit in ihrem Zimmer ein.

„Carsten, es war ein aufregender Tag.“

„Das war er allerdings. Ich bin auch fix und fertig.“

„Soll ich die Tür schließen?“

„Ha, du bist ein schlimmer Finger. Aber es wäre vergebene Mühe. Die Tür hat kein Schloss. Sie fällt zu und wenn jemand hereinkommen möchte klopft er zuvor an. Max ist eine Ausnahme. Aber Andreas selbst wenn uns einer kuscheln sieht, geht die Welt davon nicht unter. Und zu mehr bin ich sowieso noch nicht bereit. Enttäuscht?“

„Nicht das Samenkorn. Ich brauche ja auch Zeit für meinen ersten Freund. Aber Kuscheln ist eine gute Idee, komm!“

Beide verzogen sich ins Bett, Carsten stellte noch seinen Wecker und Andreas löschte die Nachttischlampe. Nach einigem hin und her hatten sie ihre ideale Schlafposition gefunden. Carsten legte seinen Kopf an Andreas Brust und schlang seinen Arm über ihn. Andreas hatte seinen Arm unter Carstens Hals geschoben und strich ihm sanft über das Haar. Mit der anderen hielt er Carstens Arm. Sie hörten noch, wie Andrea ihren Mark zur Tür brachte und auch noch, wie Paul seine letzte Runde drehte. Es wurde still im Haus und die Jungs schliefen zufrieden ein.

Kapitel XXVI, Weihnachtsvorbereitungen

Andreas wachte auf noch bevor der Wecker Radau machte. Sie hatten ihr Arrangement etwas verändert. Carsten lag auf der Seite. Die Gesichter waren zueinander gewandt. Andreas schaute sich seinen Freund ganz genau an. Wie er da lächelnd lag. Die Augen geschlossen. Seine sommersprossenbesetzte Stupsnase. Ja, sogar der leichte dunkelblonde Flaum zwischen Nase und Mund passte zu diesem Bild. Ganz unwillkürlich strich er mit einem Finger über seine Wangen. Das Lächeln verstärkte sich. Andreas erhob sich etwas und stützte seinen Kopf auf den Arm. So konnte er Carsten aus einer anderen Perspektive betrachten. Jetzt bemerkte er, dass Carstens Ohr recht klein war. Es besaß eine schön geschwungene Ohrmuschel. Auf dem Ohrläppchen waren auch ein oder zwei Sommersprossen zu sehen. Er stellte sich vor, wie sich da wohl Ohrlochstecker machten. Carsten würden wohl welche stehen. Dann streifte sein Blick die Anzeige der Uhr. Noch fünf Minuten, dann würde er loslegen. Ihm kam eine viel bessere Idee. Langsam beugte er sich über Carsten und liebkoste ihn mit kleinen Küssen auf der Wange.

„Weiter machen. Nicht aufhören. Mehr haben will.“

„Och, du oller Schauspieler.“

Carsten war in mancher Hinsicht recht schnell. Andreas spürte nur noch dessen Lippen auf den Seinigen. Langsam öffneten sie sich und ihre Zungen berührten sich. Sie wurden erst durch den Wecker unterbrochen. Carsten schaltete das Zeitgerät ab. Dabei rutsche die Bettdecke etwas zur Seite. Andreas legte seine Hand auf Carstens schlafanzugbedeckte Brust und kraulte sie etwas.

„Ich hoffe ich habe dich nicht überfahren mit meiner Aktion.“

„Nein, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich fand es schön.“

„Lust habe ich ja jetzt gerade nicht, aber wir sollten doch aufstehen, Heute gibt es noch viel zu tun.“

„Was denn zum Beispiel?“

„Erst einmal frühstücken, danach geht es mit Max raus. Wir gehen einmal um das Dorf. Dann habe ich noch einen Termin beim Frisör. Gegen Mittag wird hoffentlich der Baum geliefert. Am Nachmittag spiele ich Klavier im Seniorenheim. Die freuen sich immer, wenn ich mal für sie Musik mache. Dafür müsste ich aber noch etwas Spezielles hier am Keyboard üben. Ja und am Abend ist Ercans großer Auftritt.“

„Was hast du eigentlich davon?“

„Erst einmal ich wurde von ihm persönlich eingeladen, schon vergessen? Er legt also Wert auf meine Anwesenheit. Das ist für mich maßgebend und ich zolle ihm meinen Respekt. Mutti hat mir schon das Stück in Braille ausgedruckt. So kann ich mitlesen, wer wann was sagt.“

„Sorry, dass ich dir diese Frage gestellt habe.“

„Na, mach dir nicht den Kopf darum. Wahrscheinlich finden es viele Leute komisch, dass ein Blinder einem Theaterstück folgt. Ich wette mit dir, dass ich auch noch einige Sprüche über mich ergehen lassen muss.“

„Na, da soll mal einer etwas gegen meinen Freund sagen...“

„Och, wie süß. Du willst mich beschützen.“

Andreas bemerkte nicht wie sich die Tür öffnete und wieder schloss. Erst als Max die Bettdecke wegzog, wurde er ihrer Anwesenheit gewahr. Carsten lachte über Andreas Protest. In solchen Momenten konnte er auch nichts mehr ausrichten. Max wollte, dass sie sich endlich aufmachten. Was blieb den beiden jetzt auch anderes übrig?

Zwanzig Minuten später betraten sie gemeinsam die Küche.

„Guten Morgen, Andrea.“

„Guten Morgen ihr Beiden.“

„Guten Morgen, Schwesterherz. Wo sind Mama und Papa?“

„Sie haben Ercan zum Kinderhort gebracht und sind anschließend in die Stadt gefahren. Ich soll die Stellung halten. Frühstück ist gleich fertig.“

„Kann ich noch helfen?“

„Ja, Andreas. Schenk uns doch schon mal ein. Dann setzt euch.“

„Gut.“

„Sagt einmal, ihr seht so anders aus. So glücklich! Seid ihr jetzt zusammen?“

„Würde es dich stören?“

„Nicht die Bohne, klare Verhältnisse liebe ich. Wissen Mama und Papa davon?“

„Ich denke schon. Spätestens seit gestern Abend.“

„Na dann wird ja die Inquisition wieder Arbeit bekommen.“

Carsten lachte lauthals los.

„Was ist?“

„Mutti hat mir gesagt, du hättest nichts davon mitbekommen. An dem Nachmittag, wo du uns Mark vorgestellt hast. Ich sagte ihr, dass sie sich da nicht täuschen lassen sollte.“

„Ihr habt es auch mitbekommen?“

Andreas’ Wangen färbten sich rot.

„Aber sicher doch Andrea. Andreas hat es mir gesagt, als wir wieder unter uns waren. Ich denke mal, dass unsere verehrten Eltern – mit heimlichen Verhören – aus der Übung gekommen sind.“

„Na, Mark hat es eben nicht gemerkt. Vielleicht liegt es ja an uns, Carsten? Wir sind einfach schon zu abgebrüht.“

„Jetzt ganz mal etwas anderes, Schwesterchen. Mutti wollte mir doch einen Termin bei Meister Schneider machen.“

„Warte einmal, ja genau, um halb Zwölf. Der Meister persönlich wird dir die Haare schneiden. Willst du nicht mal etwas Neues ausprobieren?“

„Andrea?“

„Na ich könnte mir vorstellen, dass du ein paar dunkle Strähnchen vertragen könntest.“

„Ich werde es mir überlegen. Sehe sie zwar nicht, aber deine Ideen waren bisher alles andere als blamierend.“

„Zum Frisör müsste ich auch mal wieder.“

„Warte einen Moment, ich mache gleich auch einen Termin für dich.“

„So Andreas, auch um halb Zwölf.“

„Haben die heute nicht volles Haus?“

„Ich denke schon. Doch nachdem Carsten einmal mit einem absolut schrecklichen Haarschnitt den Salon – Schneider verlassen hatte, gab es fürchterlichen Ärger mit Mutti. Seit dem plagt den Meister der Kämme und Lockenwickler das schlechte Gewissen. Ein Anruf und schon ist es wieder aktiv. Im Übrigen Andreas, dir würden auch ein paar Strähnchen stehen.“

„Andrea meine – erm – unsere Stylistin.“

„Wie ich sehe seid ihr fertig. Helft ihr noch beim Aufräumen?“

Klar, zu dritt war es keine große Sache. Carsten räumte die Spülmaschine, mit dem Geschirr ein, welches Andreas ihm gab. Andrea kümmerte sich um die Lebensmittel.

Die Jungen verließen die Küche in Richtung Zimmer. Dort richteten sie gemeinsam das Bett her und machten sich ausgangsfertig.

Carsten hatte gerade seine Jacke angezogen, als Max mit Blindengeschirr im Fang

neben ihm stand. Sie ließ es vor sich fallen und schubste Carsten an. Schnell war das Geschirr angebracht und sie gingen zu dritt in den winterlichen Tag hinaus.

Die große Gassi – Runde wurde beim Frisör unterbrochen.

„Hallo Carsten, du musst Andreas sein. Hallo. Ich habe euch schon erwartet. Wie immer?“

„Nicht ganz, Andrea meine ein paar dunkle Strähnchen wären etwas für mich.“

„Ja, so ganz Unrecht hat sie nicht. Aber nur ein ganz paar. Vielleicht zehn?“

„Hört sich gut an, was meinst du Andreas?“

„Ja, zehn scheint mir nicht zuviel.“

„Und für dich, was kann ich für dich tun?“

„Ein einfacher Haarschnitt reicht aus.“

„Nicht auch ein paar Strähnchen, wie Andrea es vorgeschlagen hatte?“

„Ja, die würden dir wirklich das gewisse etwas geben.“

„Ich denke die sind mir doch etwas zu teuer.“

„Ich mache einen Vorschlag zehn Strähnchen zum Preis von fünf.“

„Für jeden? Okay Herr Schneider.“

„Ehm, ja. Für jeden. Ich sage meinen Stylisten beschied.“

„Hatte Mama nicht einen Termin bei ihnen ausgemacht?“

„Ja schon, Carsten, aber ich habe mir heute Morgen beim Frühstück die Finger verbrannt. Ich habe noch immer ein taubes Gefühl darin.“

„Schon okay.“

Eine Stunde später verließen sie den Salon wieder. Andreas war mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Wo Carsten nun dunkle Akzente hatte, hatte er selber helle. Vor dem Salon ließ Carsten Max frei laufen. Bis zu ihnen nach Hause war es nicht sehr weit. Er war sich sicher, dass die Hündin an Überwegen und Ampeln auf ihn warten würde. Wo sie aber konnte, sprang sie in einen Haufen Schnee. Andreas musste mehrmals lachen, wie sie so mit weißer Schnauze wieder hervorkam.

Bei den von Feldbachs, rubbelte Andreas die Hündin ab. Auch ihre Pfoten betrachtete er genau. Nicht das da etwas ist, was nicht dort hingehörte.

„Carsten seid ihr es?“

„Ja, Mama.“

„Warst du beim Frisör?“

„Ja, Mama.“

„Komm mal in die Küche und zeige dich.“

„Ja, Papa. Andreas?“

„Folge dir auf den Fersen.“

„Sieht gut aus, Jungs, wie Positiv und Negativ. Stammt die Idee von dir?“

„Nein Paul. Andrea schlug die Strähnchen heute beim Frühstück vor. Das sie so platziert wurden lag an den beiden Frisösen.“

„Hat nicht Herr Schneider?“

„Nein, der hatte sich heute seine Finger verbrüht, Mama.“

„Geschieht ihm vielleicht recht. Dann kann er nicht mehr soviel Unheil anrichten.“

„Luise, jetzt reite doch nicht immer auf der alten Geschichte rum, sie ist Vergangenheit. Seitdem hat er sich in unserer Familie keinen Patzer mehr erlaubt. Sei so lieb ja?“

„Du hast ja Recht, Mann. Kommt essen. Es gibt Kartoffelsalat und Heißwurst.“

„Wo ist Andrea?“

„Sie hat um Erlaubnis gebeten Diogenes zu bewegen. Um drei Uhr wird sie wieder hier sein. Ach Paul, ich habe ganz vergessen die blaue Lichterkette zu kaufen. Hoffentlich gibt es die noch.“

„Luise, Lichterketten haben wir doch nun wirklich genug. Sag doch einfach du willst mich nicht im Hause haben.“

„Schatz sei doch so lieb...“

„Na gut, dann fahre ich gleich noch in die Stadt. Ich werde noch wo fündig.“

Kapitel XXVII, Auf ein ernstes Wort

Andreas entschied sich mit Paul in die Stadt zu fahren. Vielleicht fand er ja noch ein passendes Geschenk für seinen Freund. Denn so richtig fiel ihm nichts ein. Was sollte er auch jemanden persönliches schenken, wenn der Betreffende anscheinend schon alles hatte. In der Garage stiegen sie in Pauls Geländewagen. Sicher fuhr er durch die Winterlandschaft bis in die Stadt. Dennoch dauerte die Fahrt eine halbe Stunde. Zunächst suchten sie ein Elektrogeschäft auf, um die blaue Lichterkette für Luise zu besorgen.

„Was meinst du Andreas, ist diese Kette wohl recht?“

„Sieht nett aus, ich finde das Licht aber doch ein wenig zu hell für die gute Stube. Wie wäre es denn mit der dort? Die ist blau und hat einen weichen Ton!“

„Stimmt. Dann nehmen wir die mit.“

Paul nahm eine Schachtel mit den Lichtern aus dem Regal und ging zur Kasse hinüber. Dort wurde der Inhalt auf Funktion geprüft, bevor bezahlt wurde. Paul legte die Ware auf den Rücksitz seines Autos. Sie waren recht zeitig, darum schlug Herr von Feldbach vor, einen Kaffee trinken zu gehen.

Sie suchten ein kleines ruhiges Café auf. Die Bedienung war freundlich und brachte schnell das Gewünschte. Paul und Andreas tranken zunächst schweigend davon.

„Andreas, wie stehst du zu meinem Sohn?“

„Paul, ich habe mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Meine Liebe zu ihm ist wie ein Quell des Lebens für mich.“

„Das habe ich befürchtet, Junge. Ich hoffe du weißt auf was du dich da einlässt?“

„Wie meinst du das?“

„Na, du hast neben Carsten nun auch seine Verwandtschaft am Hals. Willkommen in der Familie Andreas.“

Andreas schluckte. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Dass er Carstens Familie mochte, stand außer Frage. Auch dass sie ihn akzeptierten. Aber auch als ein Mitglied anerkannt zu werden, das rührte ihn.

„Danke!“

„Keine Ursache, doch eins wirst du lernen. Tust du Carsten weh, brichst ihm sein Herz... dann wirst du durchgereicht.“

„Ich?!?, Carsten etwas antun? Ich würde ihn – wenn er mich lässt – auf Händen tragen. Doch das will er nicht.“

„So ist der Bengel nun mal, eigensinnig wie ein störrischer Esel.“

„Das macht ihn ja auch für mich so liebenswürdig, Paul. Aber das bringt auch Probleme mit sich.“

„Wie jetzt Andreas?“

„Na ich habe keinen blassen Schimmer, was ich ihm zum Fest als Zeichen meiner Liebe schenken könnte.“

„Dann sollten wir mal los und die Geschäfte durchschreiten, vielleicht bringt es dich ja auf eine Idee.“

Paul zahlte und sie machten sich zu Fuß auf den Weg durch die Konsumwelten.


Carsten saß an seinem Keyboard, Max lag wie immer zu seinen Füßen. Er spielte einige Weihnachtslieder für den Seniorennachmittag durch. Seine Auswahl umfasste nicht nur die gängigen, sondern auch einige der älteren die selten im Radio gespielt werden. Es klopfte.

„Komm herein Mama.“

„Carsten, darf ich dich mal sprechen?“

„Das hört sich ernst an, setz dich bitte!“

Carsten unterbrach sein Spiel und wandte sich seiner Mutter zu, die am Schreibtisch Platz genommen hatte.

„Carsten, wie stehst du zu Andreas?“

„Mama ich habe mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Meine Liebe zu ihm ist wie ein Quell des Lebens für mich.“

„Das habe ich befürchtet, Junge. Ich hoffe du weißt auf was du dich da einlässt?“

„Wie meinst du das?“

„Paul und ich haben gestern Abend noch etwas über euch beide gesprochen. Andreas fühlt sich scheinbar bei uns wohl. Ich habe Paul gebeten Andreas zu sagen, dass er in der Familie Willkommen ist. Mit allen Rechten.“

„Mit allen Rechten?“

„Ja, Sohnemann, mit allen Rechten. Tust du ihm weh, lernst du deine Eltern einmal von einer ganz anderen Seite kennen.“

„Ich Andreas etwas antun? Ich würde ihn – wenn er mich lässt – auf Händen tragen. Doch das will er nicht.“

„In gewisser Hinsicht seit ihr euch ähnlich, störrisch wie junge Esel. Hast du schon etwas für ihn?“

„Ja, Mama etwas Schönes, wie ich hoffe.“

„Verrätst du es mir?“

„Warte bis übermorgen Mutti. Dann wirst du es sehen. Es wird Zeit für den Seniorentreff.“

„Soll ich dich bringen?“

„Nein, ich gehe mit Max hin.“

„Gut, dann hole ich dich um siebzehn Uhr dort ab. Gemeinsam gehen wir dann zum Kindergarten.“

„Okay Mutti.“

Carsten drehte sich seinem Keyboard zu und schaltete es ab, stand auf, und zog sich seine Straßenkleidung an. Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter. Wie schon am Morgen, brachte Max Carsten das Geschirr. Anscheinend hielt sie sich momentan nicht gerne im Haus auf. Der Junge legte es ihr an und kurz darauf stampften sie wieder durch den Schnee.


Luise betrat die Eingangshalle des Seniorenstifts, wo sie ein freundlicher Pförtner den Weg zum Saal wies. Als sie den Versammlungsort betrat, war die Stimmung angeregt. Carsten saß – leicht erhöht – am Flügel und spielte. Seine Golden Retriverhündin lag seitlich zu seinen Füßen. Sie sah ihm zu. Wie einfach es doch war Menschen glücklich zu machen. Ein paar Noten, eine Melodie und ein Rhythmus zauberten Zufriedenheit auf die Gesichter der Anwesenden.

Nach dem letzten Stück betrat die Leiterin des Stifts das Podest und bedankte sich bei Carsten für den Nachmittag. Luise entnahm dem einsetzenden Applaus die Zustimmung der Seniorinnen und Senioren. Sie baten Carsten noch um eine Zugabe. Luise war gespannt, was ihr Sohn jetzt bringen würde.

„Als Zugabe habe ich ein traditionelles Weihnachtslied gewählt. Wie mir die Leiterin zu Beginn mitteilte, befinden sich unter ihnen Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Ihnen allen widme ich dieses Lied mit dem Titel W Lesu Radilas Jolotschka.“

Es wurde still im Saal. Carsten begann zu spielen. Luise hörte wie einige der Senioren mitsummten oder leise mitsangen. Sie sah die glänzenden Augen in manchen der alten Gesichter. Es schien, als ob Carsten sie mit seinem Spiel in eine andere Welt versetzte.

Nachdem der Junge sein Spiel beendet hatte, schloss er die Tastaturabdeckung. Max stand auf und gesellte sich zu seiner linken Seite. Sie führte ihn sicher zum Ausgang. Immer wieder hörte er ein und denselben Wortlaut in einer anderen Sprache. Luise nahm ihn in Empfang und geleitete ihn zum Ausgang. Dort reichte sie ihm seine Winterjacke.

Zusammen gingen sie zum Kindergarten.

„Sag einmal Carsten, woher kanntest du das Lied?“

„Herr Walz hat mir geholfen. Wir sind diesen Herbst irgendwie auf das Thema ‚Volkslieder in Europa‘ im Musikunterricht gestoßen. Da kamen auch die Weihnachtslieder dran. Ich fand es irgendwie schön. Darum habe ich ihn gebeten mir mal eine Aufnahme davon zu besorgen. Ja, und als ich heute Nachmittag ankam, erwähnte die Leiterin, das viele Senioren aus Osteuropa im Heim wohnten. Besonders am Herzen lag ihr eine Frau aus Weißrussland. Ihr Gatte ist im Frühjahr gestorben und ihre Familie ist irgendwo im Westen. Für sie ist es das erste Weihnachtsfest alleine im Heim. Da lag das Stück doch nahe, oder?“

„Du hast ihnen wirklich eine Freude damit gemacht.“

„Das lag ganz in meiner Absicht, Mama. Sie haben sich sogar dafür in ihrer Sprache bedankt.“

„Du kannst Russisch?“

„Nein, aber um das zu verstehen was sie mir sagten, bedarf es nur ein offenes Herz.“

„Junge, ich kenne dich schon so lange, doch immer noch kannst du mich in Erstaunen versetzten.“

„Danke Mutti. Jetzt aber zum Theaterstück. Weißt du, wer alles von uns sicher kommt?“

„Sei beruhigt, die ganze Familie plus Anhang ist da. Keiner möchte sich Ercans ersten Auftritt entgehen lassen. Wir haben sogar gute Plätze bekommen.“

„Das freut mich. Hoffentlich gibt es mit anderen Besuchern keinen Stress.“

Am Eingang des Kinderhorts warteten die anderen schon. Andreas gesellte sich gleich zu seinem Freund und gab ihm ein kleines Begrüßungsküsschen auf die Wange. Paul und Luise lächelten sich an. Und Andrea hatte ihren Mark fest im Arm.

„Hallo.“

„Hallo Carsten.“

„Wie war dein Nachmittag, Schatz?“

„Gut, und deiner Andreas?“

„Also mit deinem Vater langweilt man sich nie. Mir scheint der Baum steht nicht weit vom Apfel.“

„Leute ich möchte nicht drängeln, aber mir ist kalt!“

„Nicht nur dir Brüderchen.“

„Dann gehen wir halt rein. Oder?“

Im Eingangsbereich war für die Besucher eine kleine Garderobe hergerichtet worden. Für einen geringen Obolus wurden die Jacken und Mäntel aufbewahrt. Bevor Carsten seine Jacke abgab, nahm er noch Max Spielball aus der Tasche. Paul erledigte das Finanzielle, ganz Gentleman. Der Aufführungsraum war weihnachtlich dekoriert. Andreas beschrieb Carsten nicht nur diese Vielfalt, sondern auch ein wenig die Architektur des Raumes. Man hatte, um die Zuschauer besser unterbringen zu können, Trennwände zwischen zwei Räumen geöffnet. Diese Faltwand ragte an der einen Seite fast einen Meter in den Saal hinein. Auf der einen Seite davon hatten sie einen großen Scheinwerfer platziert, der direkt auf die Bühne gerichtet war. Sein doch weiches weißes Licht erhellte den Schauplatz. In der zweiten Ecke der Wand – wo sich ein toter Winkel befand – stand lediglich ein Leuchter, der den hinteren Teil des Saals mit seinem indirekten Licht beleuchtete. Andreas freute sich, denn so bekam er Übung darin, Dinge mit Eigenschaften zu bezeichnen die Carsten verstand.

„Und die Sitzreihen sind leicht versetzt zueinander angeordnet. So sitzen die Zuschauer nicht direkt hintereinander, sonder können über die Schulter des Vordermanns schauen.“

„Intelligent durchdacht, und wo sind nun unsere Plätze?“

„Warte mal, ja hier vorn sind sie. Auf sieben Plätzen liegen Karten mit der Aufschrift ‚von Feldbach‘.“

„Sieben?“

Andreas zählte nach. Luise und Paul, Andrea und Mark, Carsten und er. Sechs!

Eine ältere Frau nährte sich ihnen. Durch ein kleines Schildchen entpuppte sie sich als die Managerin der gesamten Kinderschar.

„Bist du das, Carsten?“

„Guten Abend Frau Gutenberg. Ja, der bin ich.“

„Du siehst gut aus. Wir haben uns ja jetzt wie lange nicht mehr getroffen? Was machst du?“

„Es ist schon eine Weile her. Ich gehe auf das Johann Heinrich Pestalozzi Internat. Im kommenden Jahr mache ich voraussichtlich mein Abitur.“

„Ich habe dir ja schon im Kindergarten gesagt, du machst deinen Weg. Und heute bist du wegen Ercan hier?“

„Ja, er hat mich persönlich eingeladen. Bei soviel Charme kann ich doch nicht absagen.“

„Da hast du durchaus Recht.“

„Frau Gutenberg, können sie mir verraten warum für uns sieben Plätze reserviert wurden?“

„Als ich Ercan heute fragte wie viele kommen, hat er mir die Namen genannt: Papa, Mama, Mark, Andrea, Andreas, Carsten und Max. Sind also sieben.“

„Frau Gutenberg darf ich ihnen Max, meine Blindenführhündin vorstellen. Ich glaube da hat Ercan etwas Gutes zu viel getan.“

„Carsten ich habe dir schon damals gesagt: Man kann des Guten nicht zuviel tun. Max braucht ja auch etwas Platz, ich nehme einen Stuhl heraus.“

„Danke, Frau Gutenberg.“

„Gern geschehen, aber jetzt muss ich weiter, war schön dich gesehen zu haben.“

Damit ließ sie die Jungen stehen. Carsten erklärte Andreas, während sie ihre Plätze einnahmen, dass Frau Gutenberg, seiner Zeit seine Betreuerin im Kinderhort war.

Kapitel XXVIII, Ein gelungener Abend

Ein Gong ertönte und der Raum füllte sich. Carstens Eltern saßen zwischen ihren Kindern, Andrea und Mark zu ihrer linken Seite und Carsten und Andreas zu ihrer Rechten. Max hatte zwischen Luise und Carsten Position bezogen und war mehr mit ihrem Spielzeug beschäftigt, als mit ihrer Umgebung. Von seiner Mutter erhielt Carsten das Heft, in welchem er mitlesen konnte, wann wer etwas sagt. Leise unterhielt er sich mit Andreas über ihre jeweiligen Nachmittage.

Noch immer wurden Stühle gerückt und es kamen noch weitere Elternteile die ihren Kindern zuschauen wollten. Auch hinter Carsten und Andreas zwängte sich noch ein Ehepaar durch die Reihe. Geräuschvoll setzten sie sich hin. Anscheinend hatten sie Schwierigkeiten ihre Sitzposition zu finden, denn die Geräusche nahmen kein Ende. Plötzlich tippte der Mann auf Carstens Schulter.

„Junger Mann, könnten sie sich etwas weiter nach links setzten. Dann kann ich die Bühne besser sehen.“

Carsten war gerade dabei Andreas das Heft zu reichen, damit er den Stuhl leise verrücken konnte. Als der Mann hinter ihm gewahr wurde das Carsten blind ist.

„Junge, warum setzt du dich nicht ganz nach links, dann würdest du mir nicht die Sicht behindern!“

„Walter!“

„Mein Herr, wenn ich ganz links sitze, würde mich die Trennwand verdecken!“

„Ist doch egal, du siehst ja sowieso nichts, warum also einen guten Platz an dich verschwenden.“

Andreas fiel die Kinnlade herunter, als er das hörte. Luise drehte ihren Kopf abrupt zu dem Geschehen um. Sie sah wie das Gesicht ihres Sohnes einen zornig wütenden Zug annahm. Selbst Max war für einen Moment ihr Spielzeug unwichtig. In aller Gemütsruhe – und dafür musste Carsten sich sehr zusammennehmen – stand er auf. Wandte sich zu seinem Gegenüber um.

„Mein Herr sie mögen es so sehen aber wer gibt ihnen das Recht so über mich zu urteilen? Dieser Platz wurde für mich im Speziellen reserviert. Weil mein kleiner Bruder sehr viel Wert darauf legt, dass ich anwesend bin. Es entspricht der Tatsache, dass ich ihn nicht sehen kann, aber dafür kann er mich umso besser sehen. Ich respektiere seinen Wunsch und zolle ihm meine Anerkennung. Mir scheint, dass gerade mein kleiner Bruder mit seinen sechs Jahren mehr Menschenwürde an den Tag legt, als es ihnen je in den Sinn gekommen ist.“

Carsten drehte sich wieder um uns setzte sich ohne eines weiteren Kommentars. Andreas sah sich seinen Freund an. Er sah wie dessen Augen zu glänzen begannen, eine Träne lief ihm über das Gesicht. Zum ersten Mal wurde auch Andreas deswegen sauer.

„Da hört sich doch einer mal den Bengel an...“

Weiter kam er nicht, Luise war aufgesprungen und – ganz undamenhaft – gab sie dem Mann eine schallende Ohrfeige. Damenhaft setzte sich wieder hin, als ob nichts gewesen wäre. Selbst Max fing wieder an mit ihrem Ball zu spielen. Über diese Aktion verwundert, hob der Mann an noch etwas sagen zu wollen. Doch dieses mal wurde er herrschend dazu aufgefordert sich zu setzten oder den Saal zu verlassen. Kleinlaut setzte er sich neben seine Frau, die ihn obendrein vor versammelter Zuhörerschaft zu Recht wies. Erst durch einen zweimaligen Gong kehrte Ruhe ein. Andreas rückte näher zu seinem Freund und legte seine Hand auf Carstens Arm. Dort ließ er sie die gesamte Vorstellung hinweg liegen.

Es war eine sehr schöne Aufführung, welche die Kinder boten. Es gab gewollte Pointen und ungewollte. Über die einen wurde gelacht, die Anderen respektvoll überhört.

Und wenn es auch eine verkürzte Version des Weihnachtsliedes von Charles Dickens war, die Kinder brachten dessen Weihnachtssinn zur vollen Entfaltung. Dafür wurden sie mit viel Applaus belohnt.

Ercan lief nach der Vorstellung direkt auf Carsten zu. Sprang seinem Bruder förmlich an den Hals und klammerte sich an ihm fest.

„Hat es dir gefallen Carsten?“

„Sehr gut sogar, ihr habt euch sehr viel Mühe gegeben.“

„Stimmt, wir haben auch fast zwei Monate daran geübt.“

„Na junger Mann, hast du jetzt eine Kariere als Schauspieler vor?“

„Hallo Papa, nein, das ist viel zu anstrengend.“

„Sag einmal habt ihr jetzt noch etwas zu tun?“

„Nein, ich habe jetzt frei. Frau Gutenberg und die Anderen räumen auf.“

„Was meint ihr, sollen wir zur großen Premiere Essen gehen?“

Pauls Vorschlag wurde von allen begrüßt. Schnell waren sie sich über das Lokal einig und kurz darauf konnte man sieben Personen und einen Hund durch den Schnee stapfen sehen. Andrea und ihr Mark bildeten die Spitze. Carsten, Ercan, Andreas und Max das Mittelfeld. Die Nachhut bildeten Frau und Herr von Feldbach. Sie blickten auf ihre Kinder und waren in diesem Moment sehr stolz auf sie.

Der Vorfall im Kinderhort wurde mit keinem Wort erwähnt.

Im Restaurant fanden sie einen großen freien Tisch. Ercan setzte sich zwischen seinen Eltern, Andreas und Carsten fanden neben Paul Platz und Andrea und Mark neben Luise. Der Kellner kam und brachte ihnen die Speisekarte. Andreas las die Gerichte vor, danach wählte Carsten aus. Der Kellner nahm kurz darauf ihre Bestellung entgegen. Carsten bat ihn, eine Schüssel Wasser für den Hund zu bringen. Der Ober brachte für Max einen Hundenapf mit Wasser. Danach servierte er die einzelnen Getränke und später auch die Speisen.

Ob die Feldbachs jemals den Knigge gelesen hatten, wusste Andreas nicht. Eines war er sich sicher, bei Tisch musste die Familie einfach reden. Der Jüngste von Feldbach erzählte noch etwas von den Vorfällen hinter den Kulissen. Was jedem ein Schmunzeln einbrachte. Andrea und Mark berichteten von ihrem nachmittäglichen Ausritt und Andreas sprach über den gemeinsamen Nachmittag mit Carstens Vater. Die Stimmung der Familie war ausgelassen und blieb es auch.

Auf dem Weg nach Hause ging Ercan bei seinen Eltern. Andreas und Carsten schlenderten dies Mal vorweg. Begleitet von Max, die sich auch dieses Mal wieder intensiv dem Schnee zuwandte. Die Nachhut bildete Andrea und Mark.

Daheim kümmerte sich Carsten erst einmal um seinen Hund. Nach dem obligatorischen Trockenrubbeln, ging es in die Küche, wo er sie mit ihrem Fressen versorgte. Dann erst entledigte er sich seiner Kleidung. Als er das Wohnzimmer betrat, waren alle anderen schon da. Andreas rief ihn zu sich und die Beiden machten es sich auf der Couch bequem. Carsten kuschelte sich an seinen Freund, der seinen Arm um ihn legte. Ercan legte sich zu ihnen. Seinen Kopf auf Carstens Schoß. Andrea und ihr Freund hatten den familiären Zweisitzer in beschlag genommen. Paul und Luise saßen in ihren Sesseln. Der Anlass des gelungenen Theaterstückes ihres Jüngsten veranlasste sie, noch eine Flasche Rotwein zu öffnen.

„Wie war das noch, mit dem Lied, Carsten?“

„Die Heimleiterin begrüßte mich heute Nachmittag. Ich fragte ob es etwas Besonderes geben würde wie Geburtstage oder der Gleichen. Sie verneinte, doch sie berichtete mir von den alten Menschen, die von ihrer Verwandtschaft ‚abgeschoben‘ wurden. Gerade die erste Aussiedlergeneration sei davon betroffen. Und dass so ein junger Mensch wie ich ihnen etwas Freude bringen würde. Bei der Kaffeerunde spielte ich zunächst etwas Caféhausmusik zur Unterhaltung. Schließlich waren sie ja bei Kaffee und Kuchen und unterhielten sich mehr oder weniger laut. Danach fing ich mit unseren Weihnachtsliedern an, nahm Liederwünsche entgegen. Es war fast alles vertreten, traditionelle, rockige, englische, französische und die ganzen Abgegriffen, die andauernd im Radio gespielt werden. Die Zeit verging und es wurde Zeit, den Nachmittag zu beenden. Die Leiterin bedankte sich bei mir und Senioren erbaten noch eine Zugabe. Da habe ich mich an dieses russische Weihnachtslied erinnert. Andreas, das, was uns der Walz im Musikunterricht beigebracht hat.“

„Du meinst W Lesu Radilas Jolotschka?“

„Genau das, nur kann ich das nicht so toll aussprechen. Ich spielte es und traf damit ins Schwarze.“

„Manche haben sogar leise mitgesungen. Es war etwas Besonderes. Die Leute haben sich sogar bei ihm in ihrer Sprache bedankt.“

„Dann musst du es uns auch vorspielen.“

„Schwer möglich Papa. Zum einen hält mich Andreas fest und zum anderen schläft Ercan.“

„Na um den kümmere ich mich mal.“

„Und wenn es soweit ist, lass ich dich schweren Herzens auch los.“

„Du willst mich also auch arbeiten lassen. Und so jemand will mein Freund sein? Pah!“

Ob dieses Rededuell lachten alle. Nachdem Luise wieder zurück war, setzte sich Carsten an seinen Flügel und spielte das Stück.

„Es ist wirklich eine schöne Melodie, etwas melancholisch aber schön.“

„Genau, und ich denke das war auch ein schöner gute Nacht Gruß. Kinder ab ins Bett. Mark was ist mit dir?“

„Ich habe Vater versprochen auf dem Gut zu helfen. Ich fahre nach Hause.“

„Wie du wünschst. Ich hätte auch das Gästezimmer hergerichtet.“

„Danke, doch ich muss früh raus. Die Kühe melken sich nicht von alleine.“

„Wann kommst du? Andrea für wann hast du deinen Freund eingeladen?“

„Am zweiten Feiertag, Mama. Dafür würde ich gerne am ersten zum Kaffee bei Mark sein!“

„Kommt ein wenig spät junges Fräulein. Was meinst du Luise, geht es in Ordnung?“

„Sie wird flügge, Paul. Ich bin einverstanden.“

„Du hast deine Mutter gehört. Wir denken ihr kommt dann am Zweiten zu uns.“

„Danke euch beiden.“

„Andreas, morgen fahren wir deine Großeltern abholen. Ich hatte mit ihnen ca. fünfzehn Uhr ausgemacht. Bei den Wetterverhältnissen plane ich lieber eine halbe Stunde Fahrt mehr ein.“

„Gut, nach dem Mittagessen.“

So langsam verzogen sie sich alle auf ihre Zimmer. Paul ließ den Hund noch einmal raus und verabschiedete sich von Mark, der sich mit dem Geländewagen seines Vaters auf den Weg machte. Carsten und Andreas kuschelten sich im Bett dicht aneinander.

„Du Carsten, es tut mir Leid was da vorhin im Kindergarten passiert ist. Ich schäme mich für den Typen. Es war niederträchtig und gemein.“

„Du kannst ja nichts dafür und du hast mir ja anschließend geholfen die Sache wieder zu vergessen. Ich hoffe nur Mamas Ohrwatschen hat gesessen.“

„Das hat sie. Der Kerl wird deine Mutter so schnell nicht vergessen. Selbst die Leute um ihn herum mussten sich ein Lachen verkneifen. Schließlich war der Mann einen halben Kopf größer als sie. Und seine Frau hat ihn ja auch noch zur Minna gemacht.“

„Komm Andreas, lass uns die Sache vergessen, ich habe jetzt etwas viel Besseres vor.“

Carsten kuschelte sich an seinen Freund und gab ihm einen langen Gute-Nacht-Kuss.

Kapitel XXIX, Heiliger Abend bei den von Feldbachs

Am Morgen wachte Andreas alleine auf. Im Zimmer war außer ihm keine Seele. Wo zum Teufel Carsten war, konnte er nicht sagen. Doch die Antwort folgte. Carsten betrat das Zimmer im Hausanzug.

„Guten Morgen Schatz.“

„Guten Morgen, du bist schon wach?“

„Na ja, so ganz alleine im Bett, da wurde mir kalt... Wo warst du?“

„Wir haben gleich neun durch, Max musste raus. Und, Andrea kommst du bitte rein.“

Carstens Schwester betrat das Zimmer und trug ein Betttablett hinein.

„Guten Morgen, wo soll ich das Frühstück abstellen?“

„Am besten auf dem Schreibtisch. Danke, Schwesterherz.“

„Für ein romantisches Frühstück bin ich doch immer zu haben...“

Sie verließ die Jungen mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Carsten zog den Anzug aus und schlüpfte unter die Bettdecke. Andreas bequemte sich hinaus und stellte das Tablett im Bett ab. Vorsichtig krabbelte er wieder hinein. Dann sah er sich die ‚Tafel‘ an. Carsten hatte wirklich alles auffahren lassen. Toast, verschiedene Aufstriche, Aufschnitt, Kaffee, Milch, Kakao...

„Hier mein Kleiner, für dich.“

Carsten hielt Andreas eine kleine Rose hin. Dafür wurde er mit einem zärtlichen Kuss entlohnt.

„Schatz, du verwöhnst mich.“

„Das ist auch der Sinn der Sache. Komm, der Kaffee wird kalt.“

Die beiden frühstückten fast eine Stunde lang. Gegenseitig fütterten sie sich mit den unterschiedlichen Häppchen. Lachten viel und ... na ja, schwiegen halt.

Unterbrochen wurden sie als es an der Tür klopfte.

„Herein.“

„Hallo Jungs, wollt ihr nicht langsam mal aufstehen?“

„Och, Papa es ist so gemütlich im Bett.“

„Ich sehe es, trotzdem. Andreas, ich möchte um halb ein Uhr los.“

Paul nahm ihnen grinsend das Tablett ab. Die Jungen beeilten sich mit ihrer Morgentoilette. Und bald darauf betraten sie die Küche.

„Guten Morgen, und Carsten?“

„Ein voller Erfolg Mama.“

„Freut mich zu hören, dafür hilfst du mir nachher im Wohnzimmer. Papa hat den Baum schon aufgestellt, fehlt jetzt nur noch das Beiwerk.“

„Guten Morgen Luise. Kann ich auch helfen?“

„Ja, du gehst mit Ercan gleich zum Bäcker und holst bitte meine Bestellung ab. Du findest ihn oben in seinem Spielzimmer.“

„Und ich Mama?“

„Du und Max werdet gleich abgeholt. Zieht euch bitte schon mal warm an, ja?“

Carsten wusste zwar nicht worum es sich handelt, doch es war ratsam den Anweisungen seiner Mutter folge zu leisten.

Kurz darauf gingen Ercan und Andreas mit mehreren Taschen bedacht zum Bäcker. Sobald sie aus Sichtweite zum Haus waren, kam Hermann – Max Züchter – und holte Carsten und Max ab. Gemeinsam fuhren sie zu seinem Haus.

„Also Carsten, dein Vater meinte wir sollten dich einweihen. Das mit Arco tut mir leid, aber du weißt ja, das Leben kann nicht ewig währen...“

Der Züchter erklärte Carsten den Sachverhalt mit allem drum und dran. Welche Aufgabe Carsten zufiel und so weiter und so fort. Nach zwei Stunden setzte er den Jungen wieder daheim ab.

Zwischenzeitlich waren Paul und Andreas aufgebrochen um dessen Großeltern abzuholen. Da Ercan unbedingt mitwollte, nahmen sie den großen Wagen. Worüber Luise mehr als erfreut war. Mit ihrem Sohn und ihrer Tochter richtete sie das Wohnzimmer her. Es wurden Möbel gerückt und Instrumente verschoben. Andrea brachte den Baumschmuck an und Carsten half die Familientafel – einen Tisch, der mit Einlegeteilen verlängert werden konnte – aufzustellen. Gemeinsam richteten sie den Raum weihnachtlich ein. Als alles hergerichtet war, gingen Max und Carsten gemeinsam durch den Raum. Das veränderte Arrangement sollte ja nicht ungewohnt sein, Max schnüffelte an allem herum und fand es anschließen nicht besonders. Luise scheuchte ihre Kinder hinaus und forderte deren Geschenke ein. Brav kamen sie dem nach. Bei Carsten half sie noch, die verschiedenen Geschenke mit Namenschildern in Braille zu versehen.

Gerade als sie die Tür zum Wohnzimmer verschloss, trafen auch die Gäste ein.

Luise, Andrea und Andreas halfen die Mäntel und Jacken aufzuhängen.

„Hallo, darf ich euch meine Großeltern vorstellen. Zu meiner Linken Großmutter Olga Zahradníková, zu meiner Rechten mein Großvater Karel Zahradník. Babička, dědeček das sind Frau von Feldbach, Andrea und Carsten. Herr von Feldbach und Ercan kennt ihr ja schon.“

„Junge, du musst doch nicht sagen wer wo steht!“

„Doch babi, Carsten ist blind, es hilft ihm.“

„Ahoj, pani Zahradníková.“

„Ahoj, Carsten.“

„Ahoj, pan Zahradník, Vitáme vás! Jak se máte?“

„Ahoj, Carsten. Uns geht es gut Carsten, woher kannst du tschechisch?“

„Viel kann ich nicht, Andreas hat es mir beigebracht.“

„Schön, war es dennoch. Du bist also der junge Mann, welcher unserem Enkel den Kopf verdreht hat!“

„Ich hoffe nicht, mir war er an seiner alten Stelle sehr recht.“

Die Anwesenden lachten. Die Stimmung lockerte sich. Gemeinsam gingen sie in die Küche. Andreas erklärte seinen Großeltern, dass wie bei ihnen in München, dieser Raum das Familienzentrum bildete. Als sie Max sahen, klärte Andreas sie auch über sie und ihre Bedeutung auf. Dass Max sich dadurch nicht davon abhalten ließ ihre Neugier zu stillen, war mehr als verständlich. So kraulte Opa Zahradník dem Hund hinter die Ohren. Anschließend gesellte sie sich zu Carsten. Luise erkundigte sich nach bestimmten Dingen des alltäglichen Lebens. Wie Andreas ihr schon zuvor mitteilte, bevorzugten sie Tee und Brote anstelle von Kuchen. Es gab viel zu Erzählen. Das Ehepaar Zahradník fühlte sich in der Kurklinik gut aufgehoben. Das dieses Rheumaleiden nicht geheilt werden konnte, war den Anwesenden danach klar. Doch die Bewegungstherapie, Kältebehandlung und eine veränderte Medikaton linderten die Beschwerden. Weiter gefiel ihnen die Gegend um Freiberg. Für Andreas’ Großeltern war es auch ein wenig Urlaub. Sie fühlten sich ihrer Heimat so nahe. Die Zeit verging und Zeit für das Abendessen stand bevor.

„Andreas, zeigst du bitte deinen Großeltern das Gästezimmer und ihr Bad. Vielleicht möchten sie sich etwas frisch machen?“

„Das ist wirklich eine gute Idee, Frau von Feldbach.“

„Paul hilfst du bei dem Gepäck?“

„Gerne!“

Damit verließen die Zahradníks die Küche. Paul kam mit Andreas einige Minuten später wieder hinunter. Sie berichteten von der Zufriedenheit der Gäste. Andrea und Luise bereiteten derweil das Abendbrot vor. Andreas und Paul deckten den Tisch neu ein. Ercan wurde in die Badewanne gesteckt und Carsten leistet ihm Gesellschaft. Vor allem sollte er dafür Sorge tragen, dass er sich einen Schlafanzug und den Hausanzug anzog. Noch bevor der kleine Junge wieder bei den anderen Auftauchte, wurden Andreas Großeltern über den weiteren Verlauf des Abends aufgeklärt.

„ Babička, dědeček. Bei Carstens Familie ist es Tradition, die Geschenke erst am Weihnachtsmorgen zu öffnen.“

„Ja, das ist kein Problem, Andreas.“

„Herr Zahradník, dieses Jahr müssen wir aber eine kleine Ausnahme machen. Vor einigen Tagen ist unser Hund Arco gestorben. Er war Ercans Freund. Nun ein bekannter Züchter rief vor einiger Zeit an, dass eben dieser Arco noch einmal seine Hündin Laila gedeckt hatte. Sie hat vor zehn Wochen geworfen. Heute Abend kommt der besagte Züchter und bringt uns einen Welpen. Ercans Geschenk sozusagen.“

„Kann denn ihr Jüngster die Verantwortung dafür schon übernehmen?“

„Bei Arco gab es keine Probleme und auch nicht, wenn er auf Max aufpasste. Aber ihre Bedenken, können wir nachvollziehen. Nicht jeder sechsjährige kann das. Es bedarf auch unseren guten Willen. Jedenfalls bekommt er Leon – so heißt der kleine Rüde – heute Abend schon, während wir anderen noch diese eine Nacht warten möchten.“

„Ich verstehe! Dann soll es so sein. Von uns erfährt er nichts. Nicht wahr meine Liebe?“

„Ich bin ganz deiner Ansicht Karel.“

Carsten achtete darauf, dass Ercan nicht in dieses Gespräch platzte. Als sie wieder in der Küche eintrafen, hatten die restlichen Anwesenden das herrschende Wetter als Thema. Frau Zahradníková berichtete von ähnlichen Wintereinbrüchen, zu Zeiten als Paul und Luise noch klein waren. So verging die Zeit bis es an der Tür klingelte.

„Carsten gehst du aufmachen?“

„Ja, Papa. Komm Max!“

Carsten ging hinaus und schloss hinter sich die Tür. Hermann übergab ihm Ercans Geschenk und stellte einen Wäschekorb mit dessen Utensilien ab. Danach verabschiedete er sich leise und wünschte Carsten eine schöne Weihnacht. Der Junge übergab Max die Leine und redete ihr zu. Dann ging er zurück in die Küche. Die Küchentür ließ er einen Spalt offen. Sein Vater frage, wer denn an der Tür gewesen sei. Wahrheitsgemäß antwortete sein Ältester, dass Hermann etwas vorbeigebracht hätte, was er am Morgen vergessen hatte.

„Paul, langsam wirst du vergesslich. Ich glaube das Christkind sollte dir mal einen elektronischen Notizblock mitbringen.“

„Du meinst Luise?“

„Ich meine, Schatz. Was hast du dir denn gewünscht?“

„Ein neue Arzttasche. Und du Ercan, was hast du dir vom Christkind gewünscht?“

„Ein Fahrrad und ein Stofftier und ja das Arco dieses Fest noch miterleben durfte. Doch da war wohl das Christkind zu spät.“

„Leider, aber schau mal, Max!“

Carstens Retriever kam zur Tür hinein. Im Maul eine Leine. An dessen Ende tauchte ein kleines, vierbeiniges Wollknäuel auf. Ercan jubelte vor Freude. Sprang auf und lief auf die beiden zu. Max ließ die Leine fallen.

„Das ist unser kleines Geschenk für dich. Sein Name ist Leon.“

„Danke Mama, danke Papa. Hallo Leon.“

Carsten hörte die Freude seines kleinen Bruders. Wie Max es hinbekommen hatte, den Welpen solange ruhig zu halten wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Ercan strich dem kleinen Hund behutsam über das Fell. Darauf hin wurde er von ihm durch das Gesicht geleckt. Was die Anwesenden zum lachen brachte. Andreas beschrieb Carsten die Situation, so dass er auch mitlachte. Für Ercan war die Welt wieder in Ordnung. Die Speisen wurden aufgetragen. Luise ließ ihn noch eine Weile gewähren, dann folgten die mahnenden Worte zu Tisch zu kommen. Ercan folgte der Aufforderung seiner Mutter. Entfernte die Leine von Leon’s Brustgeschirr und zur Überraschung wusch sich Ercan zuvor selbstständig die Hände.

Doch aus den Augen ließ der Dreikäsehoch das neue Familienmitglied nicht. Dieser schnüffelte an allem herum und Max schien ein wachsames Auge auf ihn geworfen zu haben. Als er an den Wassernapf kam, trank er daraus.

Nun bekamen auch Andreas Großeltern mit, dass eine Familie geordnet am Tisch durcheinander sprechen konnte. Sie schauten zunächst skeptisch zu ihrem Enkel, der aber mischte schon kräftig mit.

Die Zeit schritt voran und das Abendbrot nährte sich dem Ende. Carsten tastete seine Uhr ab. Er entschuldigte sich bei den Anwesenden, während er zum Schrank hinüber ging, gab er seinem Bruder eine Anweisung.

„Ercan, da sind noch einige Dinge im Eingang abgestellt. Würdest du sie bitte holen?“

„Ja, ich laufe los.“

„Hier, da ist ein Napf und eine Decke.“

„Gut die Decke bereitest du neben Max Platz aus. Aber zuvor gibst du mir bitte den Napf und hilfst beim Füttern.“

„Ja, Carsten. Aber wir haben doch kein Futter für Leon.“

„Doch, hier bitte.“

Carsten gab ihm eine geöffnete Dose, auf dessen Etikette ein Hundebaby abgebildet war. Diese hatte seine Mutter besorgt und im Schrank in Arcos Fach gestellt. Beide gefüllten Näpfe stellten sie auf den jeweiligen Platz. Max sorgte dafür, dass der neue Hausgenosse auch nur sein Futter fraß. Dann setzten sie sich wieder an den Tisch.

„Wieso bekommen die Hunde erst jetzt ihr Futter?“

„Damit wird den Hunden beigebracht, dass sie in der Rudel-Hierarchie nach uns kommen, Frau Zahradníková. Und so wie es aussieht, müssen wir noch einiges tun. Leon scheint ein wenig übermütig zu sein.“

Ercan gähnte, ein sicheres Zeichen dass er zu Bett müsse. Auch Andreas’ Großeltern verspürten den Wunsch zeitig zu Bett zu gehen. Diesem Wunsch wurde gerne Nachgegeben. Papa von Feldbach, brachte seinen jüngsten Sprössling zu Bett. Ihm folgte Leon, vor dem Bett des Kleinen lag noch Arcos Matte. Als der kleine Rüde es sich darauf bequem machte, durfte er bleiben. Dann nahm er ihm das Halsband ab und strich ihm über das kurze Fell.

„Papa, darf Leon bleiben?“

„Ja, Ercan. Aber nicht im Bett.“

„Danke Papa. Ihr habt mich sehr glücklich gemacht und er sieht ein wenig aus wie Arco.“

„Ja, du hast Recht und nun Augen zu und schlafen.“

Damit verließ er das Zimmer, die Tür einen Spalt offen lassend. Er ging zurück zu den Anderen. Er schaute sich um. Luise unterrichtete ihn davon, dass Andrea sich auch schon zurückgezogen hat. Andreas und Carsten sahen auch nicht mehr so munter aus.

„Carsten, könnte Max nachts auf Leon aufpassen?“

„Ich glaube das macht sie schon instinktiv. Aber ich denke Leon wird eh’ mehr schlafen als das Haus auf den Kopf stellen.“

„Vielleicht, was habt ihr jetzt noch vor?“

„Wenn nichts dagegen spricht, würde ich gerne mit Andreas einen Spaziergang machen!“

„Was meinst du Luise?“

„Sie sind alt genug, Paul. Eine dreiviertel Stunde Jungs?“

„Einverstanden. Komm Andreas.“

Andreas und Carsten verließen gemeinsam mit Max das Haus. Die klare Winterluft erfrischte sie. Wie gewöhnlich ließ Carsten Max laufen. Andreas führte ihn hinunter zu dem kleinen See. Dort standen sie eine Weile und wandten sich dem zugefrorenen Wasser zu. Max setzte sich neben Carsten in den Schnee. Der Junge strich ihr behutsam über den Kopf. Andreas legte seinen Arm um Carsten und zog ihn etwas zu sich. Als sie sich wenig später wieder auf den Heimweg machten, sah Andreas, dass seinem Freund einige Tränen über das Gesicht gelaufen sind. Er hielt Carsten einen Moment zurück. Stellte sich direkt gegenüber auf und wischte vorsichtig mit einem Finger die Spuren weg. Danach gab er ihm einen liebevollen Kuss. Carsten fühlte wie nah ihm Andreas war. Dass er sich bei diesem Jungen gehen lassen darf. Er fühlte sich geborgen.

Pünktlich fünfundvierzig Minuten später trafen sie wieder ein. Nachdem sie Carstens Eltern eine gute Nacht gewünscht hatten, gingen sie zu Bett.

Kapitel XXX, Der Weihnachtsmorgen

Es klopfte leise an der Tür! Nachdem keine Reaktion zu vernehmen war, öffnete sie sich einen Spalt und ein Kinderkopf erschien.

„Pst, Carsten!“

„Hm?“

„Pst, Carsten, ich bin es.“

„Was möchtest du Ercan? Um halb sechs Uhr.“

„Leon, hat Pipi gemacht.“

„Wo?“

„Unten im Treppenhaus.“

„Dann mach es wieder weg. Du bist doch für ihn verantwortlich!“

„Hilfst du mir denn nicht?“

„Na, du kannst ja nichts dafür, warte einen Moment draußen.“

„Entschuldige Andreas, aber ich muss mal raus ein Malheur beseitigen.“

„Hm, wie bitte?“

„Schlaf weiter.“

Carsten verließ das Bett und zog sich nur seine Hausschuhe an. Ercan führte ihn hinunter zum Tatort. Leon hatte anscheinend doch etwas zuviel getrunken und dann nicht dicht gehalten. Hundebabies halt. Gemeinsam gingen sie zur Abstellkammer, holten Eimer und Putzlumpen. Carsten ließ etwas Wasser in den Eimer und trug ihn zurück. Ercan nahm den Lappen und wischte die kleine Pfütze auf. Keine zehn Minuten später war alles vorbei.

„So, und nun erzähl mir einmal woher du das wusstest?“

„Ich hatte Durst und da wollte ich in der Küche einen Schluck Wasser trinken. Ich bin die Treppe hinunter und da habe ich es gesehen. Leon hatte mit seinem kleinen Schwanz gewedelt und schon lief Pipi.“

„Er hat sich gefreut dich zu sehen! Wo ist er denn jetzt?“

„Ich habe wohl ein böses Gesicht gemacht, da ist er weg.“

„Das war nicht klug, Ercan. Schau einmal Leon ist doch noch klein. Wenn er dich sieht, freut er sich und da kann schon mal Pipi laufen. Aber das macht er nicht mit Absicht. Frage nachher Papa wie du es ihm beibringen kannst es nicht mehr zu tun. Und jetzt lass uns ihn suchen gehen. Er hat dich doch lieb.“

Sie suchten das Erdgeschoss ab konnten ihn aber dort nicht finden. Plötzlich stand Max bei ihnen. Carsten deutete ihr ihnen zu helfen. Anscheinend verstand sie, denn sie begann etwas zu schnüffeln und lief die Treppe hoch. Sie fand den kleinen Rüden bei Ercan unter dem Bett. Er schien ganz ängstlich zu sein. Vorsichtig schubste die Hündin Leon zu den Jungen. Ercan streichelte ihn.

„Carsten hat Max auch?“

„Als sie nach der Blindenhundausbildung wieder zu mir zurückkam, hat sie auch vor Freude Pipi gemacht. Ich glaube, das machen viele Hunde.“

„Muss Leon auch in die Blindenhundschule?“

„Nein, warum sollte er. Es ist dein Hund. Ich habe doch Max.“

„Na, weil Arco dein Hund war und dann kam Max, hat Papa gesagt.“

„Ercan, Arco konnte damals nicht mehr so gut hören. Für mich war es dann zu gefährlich. Er hat mich, solange Max in Ausbildung war, noch begleitet. Nach eineinhalb Jahren hat Max dann seinen Platz eingenommen. Aber es war für mich nötig. Leon ist für dich da, nicht für mich.“

„Ich verstehe. Du behältst Max.“

„Genau, so und nun haben wir lange genug geredet. Mama wird nicht erfreut sein, dass du schon wach bist. Ab in die Kiste.“

Widerwillig ging Ercan zurück ins Bett. Leon legte sich wieder neben das Bett und diesmal blieb Max bei ihnen. Der kleine Rüde kuschelte sich dicht an den großen Retriever. Carstens kleiner Bruder war noch sehr müde, denn bald schon hörte Carsten seine regelmäßigen Atemgeräusche. Kopfschüttelnd und lächelnd ging er hinaus. Dort wartete die nächste Überraschung.

„Warum bist du schon auf Carsten?“

„Leon hat unten vor der Treppe gemacht, Mama. Ercan hat mich geweckt und gemeinsam haben wir es wieder beseitigt. Jetzt schläft er hoffentlich noch eine Weile.“

„Daran solltest du auch denken, Junge.“

„Zu Befehl, Frau Mutter.“

„Quatschkopf.“

Carsten ging in sein Zimmer und legte sich wieder hin.

„Iih, hast du kalte Füße!“

„Na, dann wärme sie mir halt. Komm, lass uns noch etwas kuscheln, Schatz.“

„Was war denn?“

„Leon hat vor Freude in die Halle gepisst. Daraufhin hatte Ercan wohl ein schlechtes Gewissen. Das war es schon.“

„Dann ist ja gut, Schatz.“

Andreas legte seinen Kopf auf Carstens Brust und hielt seinen Freund ganz fest. Dieser strich ihm über das Haar. Und so schliefen sie auch wieder ein.

Es klopfte leise an der Tür! Nachdem keine Reaktion zu vernehmen war öffnete sie sich einen Spalt und ein Kinderkopf erschien.

„Pst, Carsten!“

„Hm?“

„Pst, Carsten, ich bin es.“

„Was möchtest du Ercan? Um halb acht Uhr.“

„Leon, hat Pipi gemacht.“

„Wo?“

„Unten im Treppenhaus.“

„Nicht schon wieder. Geh zu Andrea!“

„Willst du mir denn nicht helfen?“

„Na, du kannst ja nichts dafür, warte einen Moment draußen.“

„Entschuldige Andreas, aber ich muss wieder mal raus ein Malheur beseitigen, helfen.“

„Dann verpass Leon doch eine Windel. Das wird ihm ja schon zur Gewohnheit!“

„Na, noch ist er klein. Ich sollte lieber dafür Sorgen, dass Ercan auch mal mein Schwesterherz weckt. Sieh zu, dass du noch eine Mütze voll Schlaf bekommst.“

„Was machst du denn jetzt?“

„Na zuerst zieh ich mir was Warmes über, dann wird Ercan sich wärmer anziehen. Danach wischt er die Pfütze weg und zu guter Letzt, lassen wir beide Hunde in den Garten. Wenn nämlich der Kleine soviel Wasser verliert, ist seine Blase voll.“

„Hättest du nicht schon vor zwei Stunden darauf kommen können?“

„Nein, da war ich in Gedanken noch bei meinem Freund...“

„Schmeichler, ich halte währenddessen schon mal das Bett warm.“

Carsten zog sich seinen Bademantel über und auf der Galerie sagte er Ercan, er solle sich auch etwas Warmes anziehen. Dann holten sie gemeinsam wieder den Putzlumpen und Eimer. Diesen füllten sie mit etwas Wasser. (Da dieser für den kleinen Buben zu schwer war, musste Carsten raus.) Dann wischte der Jüngste von Feldbach den Boden auf. Anschließend gingen sie in die Küche und öffneten die Tür zum Garten. Leon und Max liefen raus in den Schnee.

„So Ercan, du passt jetzt auf, dass Leon viel Pipi macht. Ich bringe den Eimer wieder weg und hole zwei Tücher zum trocken reiben. Okay?“

„Okay!“

„Carsten, du bist schon auf?“

„Leon hat heute zum zweiten Mal unten vor der Treppe gemacht, Papa. Ercan hat mich geweckt und gemeinsam haben wir es wieder beseitigt. Jetzt passt er hoffentlich auf, dass der kleine Rabauke ordentlich den Garten wässert. Noch einmal will ich diesen Eimer heute nicht holen müssen. Auf dem Rückweg bringe ich Tücher zum Hunde rubbeln mit.“

„Gut Junge. Was meint denn Andreas zu dieser ganzen Aktion?“

„Na er hat vorgeschlagen Leon eine Windel zu verpassen. Ansonsten hält er mir das Bett warm.“

„Davon wird er aber nichts mehr haben, seine Großeltern sind schon auf.“

„Macht nichts, ich übernehme dann das warm halten.“

„Ich würde dir vorschlagen, du kommst mit deinem Freund hinunter. Wenn dann die ganze Familie plus Gäste auf sind, gehen wir zur Bescherung über.“

„Aber nicht ohne uns Anfangen...“

Eine halbe Stunde später öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer. Leise Weihnachtsmusik ertönte von der Konserve. In den bunten Kugeln des Baumschmucks spiegelten sich mannigfaltig die kleinen gelben und blauen Lichter wieder. Durch das Lametta und kleine Holzfiguren sah der Baum kindlich verspielt aus. Andreas gefiel dieser Anblick und er fand kaum Worte ihn Carsten zu beschreiben. Andreas Großeltern waren anscheinend auch begeistert von diesem Weihnachtsbaum. Als Andreas zu ihnen hinüber sah, sah er ihre glänzenden Augen und dass sie sich fest in ihren Händen hielten. Paul gab seiner Frau einen lieben Kuss während er sie umarmte.

„Ercan fängst du an?“

„Warte Papa, Andreas hat noch eine kleine Überraschung für unsere Gäste.“

„Bitte Carsten.“

Andreas ging zu dem Flügel hinüber, setzte sich auf die Klavierbank. Dann hob er den Deckel und stellte Noten auf. Andreas schlug einige Tasten an und richtete seine Sitzposition aus. Leise zählte er vor und fing zu spielen an. Carsten war erstaunt, wie sanft Andreas Stimme sein konnte. Denn dieser spielte nicht nur ein Weihnachtslied, sondern er sang es auch. In seiner tschechischen Muttersprache. Ein Lied, welches zwar Carstens Familie unbekannt war, jedoch dem Ehepaar Zahradníks etwas bedeutete. Nach diesem Vortrag sah Andreas seine Großeltern an. Ihre Freude darüber war echt. Sie gingen auf ihren Enkel zu und hielten ihn lange in ihren Armen.

„Danke Andreas, das war etwas sehr schönes. Dieses Weihnachtslied mochte dein Vater besonders gerne und deine Mutter spielte es ihm immer zu Weihnachten: „Narodil se Kristus Pán

„Carsten?“

„Mama, Andreas hatte heute Nacht die Idee gehabt, dieses tschechische Weihnachtslied zu spielen. Gerade damit sagt er, dass er seine Eltern am Fest nicht vergisst.“

Carstens Mutter ging zu Andreas hinüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Dieser Geste bedurfte es keine weiteren Worte. Andreas fühlte sich geborgen.

„Papa, schau mal Leon!“

Der kleine Rüde saß neben Max. Stolz die Nase gehoben und sah zu dem Jungen am Klavier. Der Anblick brachte wiederum die Anwesenden zum Lachen. Es sah putzig aus. Dann ging es weiter zu den Geschenken. Andreas übergab seinen Großeltern die ihrigen. Das Ehepaar Zahradník freute sich über ihre Präsente. Die Uhrkette wurde sofort ihren Dienst überstellt und Andreas half seiner Oma beim anlegen der Brillenkette. Luise fand es ist eine sehr schöne Kette, welche die Persönlichkeit von Frau Zahradníková unterstrich. Aber die selbstgebrannte CD und das Foto – mit den beiden Jungen – rührte beide zu Tränen. Andreas wurde von beiden länger umarmt. Andreas Geschenk von ihnen fiel etwas kleiner aus. Doch darüber freute er sich umso mehr. Sie schenkten ihm das Familienalbum seiner Eltern. In ihm war der Stammbaum beider Familien von zwei Generationen vor ihm aufgezeichnet. Ein schöneres Geschenk konnten sie ihm nicht machen. Andreas hatte das Gefühl wieder Wurzeln zu haben.

Ercan fing zu drängeln an. Daher durfte er als nächster seine Geschenke öffnen. Neben den obligatorischen Anziehsachen bekam er noch sein Fahrrad und ein kleinen Plüschtiger von seinen Eltern. Andrea schenkte ihm ein Kinderspiel und Carsten das Foto und das Bilderbuch. Andrea bekam auch von ihren Eltern Wintersachen, vor allem eine neue Reitweste. Das Geschenk von Carsten traf ihren Nerv. Als sie es öffnete war sie hin und weg. Carsten ließ geduldig ihren Freudensausbruch über sich ergehen. Carsten bekam ebenfalls neue Wintersachen. Von seinem Vater eine neue Armbanduhr. Dann wurde es wieder etwas ruhiger im Salon. Carsten wunderte sich etwas, besonders als sein Vater sich zu Wort meldete.

„Liebe Gäste, Familie und Carsten, leider war es einem guten Freund der Familie nicht gegönnt mit uns heute dieses Fest zu verbringen. In den Jahren mit Arco an unserer Seite, besonders an deiner Carsten, lernten wir ihn lieben und schätzen. Auf seine ganz besondere Art bedankte er sich für unser Vertrauen in ihn. Als er spürte, dass er für eine Aufgabe nicht mehr gewachsen war, nämlich die des Blindenführhundes half er uns eine ebenso gute Nachfolgerin auszusuchen, Max. Arco hat seinen Lebensabend hier glücklich verbringen dürfen. Ihm wurde wohl der größte Wunsch eines Tieres erfüllt: Er durfte im Arm seines treuesten Freundes sterben, in den deinen Carsten. Weil Arco ein Teil dieser Familie gewesen ist, bekommt er auch einen besonderen Platz. Carsten, Mutti und ich möchten dir zwei besondere Geschenke überreichen.“

Von seinen Eltern erhielt Carsten zwei weitere Präsente. Ein größeres rechteckiges und ein kleines. Carsten öffnete zunächst das Grosse. Er tastete es ab. Es war ein Holzrahmen, bespannt mit einer Leinwand dessen Oberfläche von groben Linien überzogen war. Carsten wusste nicht was er davon halten sollte.

„Wow, Carsten. Das ist ein Portrait von Arco. Gemalt. Genauso wie ich ihn hier zum ersten Mal gesehen habe. Auf der Terrasse. Er sieht sehr stolz darauf aus.“

„Richtig Andreas, dies soll im Kreise der Familiengalerie hängen. Wir wissen zwar, dass du es nicht sehen kannst...“

„Aber ich kann es fühlen, Papa. Danke.“

Dann nahm Paul seinem Sohn das Gemälde ab. Carsten öffnete das kleinere. Vorsichtig nahm er ein Stück Stein aus der Schachtel. Drehte es in seinen Händen hin und her, tastete ab. Er fühlte eine glatte und eine eingedrückte, unebene Seite mit fünf tieferen Stellen.

„Mama was ist das?“

„Das, mein Sohn, ist ein persönliches Geschenk von Arco. Sein linker Pfotenabdruck. Er hat ihn damals gemacht, als wir oben das Gästebad renoviert haben. Er ist einfach in den frisch aufgetragenen Estrich getapst. Dein Vater hat diesen Abdruck herausnehmen lassen. Ein Freund hat ihn dann mit einem Lack versiegelt.“

Carsten stand auf und umarmte seine Eltern sehr lange. Andreas sah wie seinem Freund kleine Tränen über die Wange liefen. Nachdem sich wieder alle gesetzt hatten, fuhr Andrea mit ihren Geschenken fort. Carsten bekam von ihr eine neue Aufnahme mit Margaret Argerich die in Deutschland wohl schwer zu bekommen war. Dann übergab Andreas ihm sein Geschenk. Eine Plastik seines Gesichts. Diese Idee kam ihm beim durchstreifen der Geschäfte mit Paul. Als er ihm davon berichtete, wußte Carstens Vater wo er so etwas schnellstens anfertigen lassen konnte. Dem glücklichen Gesicht Carstens entnahm er seinen Treffer. Dann folgte Carstens Geschenk an Andreas. Andreas umarmte seinen Freund als er das Bild in dem blauen Rahmen auspackte. Nun brauchte er nicht mehr auf Ercan neidisch zu sein. Zuletzt kamen Papa und Mama von Feldbach dran. Ercan übergab ihnen zunächst das Geschenk der Kinder. Beide freuten sich darüber. Dann die persönlichen Geschenke. Die Poststützen fand Paul echt gelungen, zumal von nun an seine Briefe nicht über den ganzen Schreibtisch verteilt lagen. Andrea übergab ihm einen neuen Arztkoffer. Von Ercan bekamen sie noch selbstgemalte Bilder. Auf denen die ganze Familie plus Hunde gezeichnet war.

Luise freute sich über die etwas kuriose aussehende Blumenvase von Carsten. Doch alle fanden, dass sie richtig Stil hatte. Beide Elternteile umarmten ihre Sprösslinge nacheinander.

„Was meint ihr, Frühstück?“

„Einen Moment noch, erst bekommt Max noch ihr Geschenk. Max!“

Gehorsam trabte die Retriverhündin an. Vor Carsten machte sie halt und setzte sich hin. Ihre Aufmerksamkeit war einzig auf den Jungen gerichtet. Langsam griff Carsten hinter sich und holte ein dickeres mit Knoten versehendes Seil hervor und gab es ihr. Die Hündin schnappte vorsichtig danach. Dann ließ sie es vor sich fallen, beschnüffelte es von allen Seiten. Plötzlich richtete sie sich auf und sprang mit ihren Vorderläufen auf Carstens Schoß und leckte ihrem Herrchen durchs Gesicht. Der Junge wuselte durch ihr Fell. Andreas sah die Freude der Beiden.

„Na, meine Kleine, habe ich dich überrascht?“

‚Wuff‘

„Sieht ganz so aus Carsten.“

Langsam beruhigte sich Max und entfloh mit ihrem Geschenk auf ihren Platz. Gefolgt von dem kleinen Rüden, der sich für ihr neues Spielzeug sehr interessierte. Der vorgerückten Stunde dieses Morgens wandten sich die Anwesenden dem Frühstück zu. Die Tafel im Salon war schon reichlich gedeckt. Es fehlten nur noch die Getränke. Dieses Mal sorgten Andrea und Andreas dafür. Carsten nahm Ercan an die Hand und ging mit ihm ebenfalls in die Küche.

„So Ercan, das Futter für Leon ist im Schrank. Holst du bitte eine Dose?“

„Ja, soll ich Max‘ auch mitbringen?“

„Gerne, hast du ihnen schon frisches Wasser gegeben?“

„Ja, als sie im Garten waren, habe ich die Tür etwas angelehnt und schon frisches Wasser eingefüllt.“

„Gut.“

Carsten öffnete die Dosen und übergab Ercan die für Leon. Sie füllten die Näpfe und stellten diesen auf ihren Platz. Danach gingen sie ihn den Salon zurück. Wo die anderen schon auf sie warteten.

Carsten setzte sich neben Andreas und Ercan gesellte sich zu seinen Eltern. Wie immer wurde viel gesprochen, gelacht.

Nach dem Frühstück gingen Andreas Großeltern mit ihrem Enkel, Carsten und Max zusammen raus. Die klare Winterluft tat ihnen allen gut. Max ließ es sich nicht nehmen auch an diesem Morgen den Schnee auf den Kopf zu stellen. Andreas lief mit dem Hund einige Meter voraus und spielte mit ihm. Carsten wurde von seinen Großeltern begleitet. So konnten sie sich ungestört unterhalten.

„Sage einmal Carsten, macht es deinem Hund nichts aus, mit dem schneebedeckten Fell herumzulaufen?“

„I’wo. Mutter Natur hat Golden Retriever mit einem dichten Pelz ausgestattet. Die Haare des Fells sind sehr fettig, so das Wasser daran abperlt. Das macht auch ein wenig diesen seidigen Eindruck aus. Nachher, wenn wir wieder daheim sind, wird sie trockengerieben. Und auch das wäre nicht sonderlich nötig. Aber zum einen würde sie die ganze Wohnung nass machen und zum anderen kann ich prüfen, ob sich nicht etwas zwischen ihren Pfoten festgesetzt hat. Sie mögen es sicherlich auch nicht gerne ein Stein im Schuh zu haben.“

„Wahrlich nicht Carsten. Und Max läuft dir nicht davon?“

„Wenn ich sie im Internat ableine, dann benimmt sie sich wie jeder normale Hund. Bleibt aber immer in Rufweite. Wenn sie jedoch das Blindengeschirr an hat, weicht sie mir nicht von der Seite. Auch wenn ich den Bügel nicht festhalte.“

„Ja und hier brauchst du sie nicht?“

„Ich bin doch mit euch unterwegs! Andreas passt schon auf mich auf, warum soll ich Max dann nicht einfach mal ihren Spaß haben lassen?“

„Da hast du Recht. Ich muss sagen, Carsten, Andreas bewundert dich. Und so glücklich habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen. Du tust ihm gut.“

„Er mir aber auch Frau Zahradníková. Aber da hätte ich schon noch eine Frage.“

„Ja?“

„Seit wann wissen sie, dass Andreas homosexuell ist?“

„Wir haben erst davon erfahren, als es in seiner alten Schule Probleme gegeben hat. Olga und ich wurden von seinem Direktor davon unterrichtet.“

„Ein sehr unsympathischer Zug für einen Pädagogen, der alles an die große Glocke hängen muss. Sicher waren wir überrascht, doch Andreas ist unser Enkel. Er hat viel von Pavel – seinem Vater. Nicht nur die Leidenschaft für die Natur.“

„Nein, besonders seine Offenheit gegenüber allem anderen. Die Geschäftspartnerin unseres Sohnes ist ja auch – lesbisch heißt das wohl. Pavels und Francescas Weltanschauung war maßgebend für Andreas’ Erziehung und wir haben uns daran gehalten. Ich glaube auch Francescas Eltern haben diese Einstellung.“

„Dann wurden seine Leistungen in der Schule schlechter. Was wir schnell darauf zurückführen konnten, das sie ihn deswegen von der Schule haben wollten. Mit Herrn Johansson haben wir alles durchgesprochen. Klagen oder Schulwechsel.“

„Als ich dieses Frühjahr erkrankte und Karel sich um mich kümmern musste, schlug Andreas den Schulwechsel vor. Er wählte eben dieses Internat. Die Gärtner – Stiftung bot ihm ein Stipendium an. Bald bekamen wir seine ersten Briefe – Karel musste sehr viel über Computer und so etwas lernen – Andreas fühlte sich wohl. Was nicht zuletzt an seinem Mitbewohner lag.“

„Olga kann sehr gut zwischen den Zeilen lesen, Andreas hatte sich verliebt. Und es schien dieses mal keine Probleme zu geben.“

„Es hat aber lange gedauert bis wir...“

„Sei doch mal ehrlich Carsten, wenn du beim ersten Mal Schiffbruch erlitten hast, bist du beim zweiten nicht vorsichtiger? Wichtig ist doch, ihr habt euch gefunden und damit hast du uns eigentlich das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht: Einen glücklichen Andreas.“

„Max nein!“

Andreas Großeltern lachten.

„Carsten, dein Hund hat Andreas in einen Schneehaufen geschubst. Nun steht sie auf ihm drauf und leckt ihm durch das Gesicht.“

„Tja, Andreas sie mag dich auch! Max aus!“

„Na warte, du hast doch Max dazu angestiftet mich in den Schnee zu werfen!“

Zwischen den Jungen wirbelte der Schnee hoch und beide seiften sich gegenseitig ein. Für den Golden Retriever ein sicheres Signal, dass sein Herrchen mit ihm spielen wollte. Max mischte bellend mit. Das Ehepaar Zahradník lachte herzlich über die Figuren im Schnee. Einige Minuten später halfen sie den Jungen, sich wieder vom Schnee zu befreien. Dann gingen sie zurück. Bei den von Feldbachs herrschte rege Betriebsamkeit. Das Mittagessen wurde vorbereitet, Leon und Ercan spielten etwas im Salon.

„Ercan, du ziehst dich jetzt warm an und gehst mit Leon in den Schnee. Hier im Wohnzimmer wird jetzt nicht gespielt.“

„Ja, Papa. Darf ich denn heute Nachmittag oben im Spielzimmer mit ihm spielen?“

„Wenn ihr euch ausgeruht habt und keine Minute eher. Und Ercan, wenn Leon auch möchte. Denke bitte daran, dass er noch sehr jung ist. Alles klar?“

„Ja, Papa.“

„Dann raus mit euch beiden Rabauken. Ercan, Leon soll Haufen und Pipi machen!“

Keine zehn Minuten später war ein kleiner Junge damit beschäftigt, einen kleinen Hund einen roten Ball hinterher laufen zu lassen. Luise unterbrach so manches Mal ihre Tätigkeit und schaute sich ihren Jüngsten an. Paul stellte sich zu ihr und legte seinen Arm um sie. Wie ein frisch verliebtes Paar standen sie da.

„Und glaubst du es war eine gute Idee Schatz?“

„Die Beste die du hattest Liebling. Schau ihn dir an. Schon jetzt sind sie die dicksten Freunde.“

„Ja, fast wie Arco... und es gab keine Anzeichen.“

„Anzeichen wovon, Mama?“

„Oh, Carsten, schleiche dich doch nicht immer so an. Es war nicht für deine Ohren bestimmt.“

„Auch wenn es so ist, was ist mit Ercan?“

„Setzt dich. Also, Ercan war vor drei Jahren – also bevor Max zu uns kam – sehr unausgeglichen. Das äußerte sich häufig in extremen Wutausbrüchen. Mit Arco legte sich das. Ercan wurde immer ausgeglichener. Wir haben ehrlich keinen blassen Schimmer woran das lag, aber waren sehr froh über diese Entwicklung. Und die Geschichte von heute Morgen... wir hatten Angst es kommt wieder.“

„Aha, dann habe ich ja meinem kleinen Bruder genau das richtige gesagt.“

„Wie bitte?“

„Ercan hat mich gefragt, ob Leon auch in die Blindenhundschule muss. Ich habe ihn beruhigt, dass Leon nur für ihn da ist. Und auch bei ihm bleiben darf. Aber was heute Morgen passiert ist, dürft ihr auch nicht überbewerten. Was ist schon dabei, wenn ein kleiner Hund vor Freude Wasser lässt.“

„Du sagtest vor Freude?“

„Ja, Ercan sagte mir, das er die Treppe hinunter ist und Leon mit dem Schwanz gewedelt hätte. Dabei ist es wohl passiert. Genauso wie bei Max und Arco.“

„Sohnemann du hast ja Recht. Wir sind nun mal Eltern und machen uns Sorgen. Da kann man schnell mal über das Ziel hinaus flitzen.“

„Ja, ja redet euch nur raus. Nur Papa, in die Welpengruppe und in der Hundeschule da seid ihr in der Pflicht.“

„Sicher doch, aber da gehen wir mit Ercan und Leon zusammen hin.“

„Ich habe es mir schon fast gedacht Papa.“

„Mama kann ich wieder rein? Mir ist kalt.“

„Komm Junge, hier ist ein Tuch für Leon.“

Luise übergab Ercan ein Frotteetuch. Dieser nahm es an sich und noch bevor Leon durch die Tür schlüpfen konnte, hatte er ihn darin eingewickelt. Carsten hörte den kleinen Hund kläffen. Aber es hörte sich ehr nach einem kitzeligen kläffen an, als nach einem drohenden. Als Leon wieder trocken gelegt war, brachte Ercan das Tuch in den Trockenraum. Er selbst ging auf sein Zimmer und zog seine Haussachen an. Dicht folgte ihm der kleine Rüde durch das Haus.

Kapitel XXXI, Der Weihnachtsabend

Nach dem Mittagessen hieß es für Ercan Mittagsschlaf. Paul brachte seinen Jüngsten auf sein Zimmer, verstaute den Kleinen in seinem Bett. Leon leistete ihm Gesellschaft, indem er sich neben dem Bett auf seine Matte legte. Kaum war Ercans Vater aus dem Zimmer, schliefen die beiden schon.

Unterdessen gingen Andreas und seine Großeltern etwas spazieren. Andreas hatte den Wunsch geäußert mal allein mit ihnen zu sein. Oma Zahradníková hatte den Spaziergang vorgeschlagen, die Bewegung würde ihr gut tun.

Carsten setzte sich an seinen Computer und surfte im Internet. Er beantwortete einige seiner Briefe der elektronischen Post. Herr Kramer hatte ihm eine Mail geschrieben. Sein Programmvorschlag für den Klavierabend wäre bis auf zwei Kompositionen in Ordnung. Da sollte er sich noch einmal Gedanken machen. Zwischendurch hörte er Max ins Zimmer kommen. Da sie nicht direkt zu ihm kam, hatte sie sich wohl nur einen stillen Platz im Hause gesucht. Carsten schaltete seinen Rechner wieder ab und ging hinunter in die Bibliothek. Dort holte er sich einen Band seiner Braille-Ausgabe von Harry Potter und setzte sich ins Wohnzimmer zum lesen.

„Was liest du Carsten?“

Harry Potter und der Halbblutprinz, bin ich diesen Herbst nicht dazu gekommen, Andrea. Sag einmal, wolltest du nicht zu Mark?“

„Ja, er holt mich nachher ab. Ich bin schon ganz gespannt.“

„Wieso?“

„Ich kenne doch seine Eltern noch gar nicht. Wir haben uns nur am Telefon kurz gesprochen, sonst noch nicht.“

„Oh, Mark stellt dich heute seinen Eltern vor. Wie interessant. Bist du nervös?“

„Na, er hat mir schon viel von ihnen erzählt. Sie scheinen wirklich nette Menschen zu sein und ja ich bin etwas nervös.“

„Das kenne ich, war ich doch auch als Andreas mich seinen Großeltern vorstellte.“

Andrea gesellte sich zu ihrem Bruder auf dem Zweisitzer. Sie sah Carsten zu, wie seine Finger flink über die Zeilen rutschten. Manchmal wunderte sie sich, warum er sich nicht das Hörbuch oder dergleichen besorgte. Aber wie er ihr mal sagte, macht es ihm Spaß selber zu lesen. Außerdem entspannte er sich dabei. So nebeneinander sitzend fand sie auch Andreas vor, als er mit seinen Großeltern zurückkehrte. Nach einem kleinen Begrüßungsbussel für seinen Freund setzte er sich zu ihnen. Schweigend sah auch er Carsten beim Lesen zu. Erst als die Haustürglocke läutete unterbrachen alle drei ihre Tätigkeiten. Andrea war aufgesprungen und öffnete ihrem Freund die Tür.

Sie führte ihn ins Wohnzimmer und bat ihm noch einen Augenblick zu warten.

„Hat jemand von euch beiden Lust auf Kakao oder Kaffee?“

„Ich hätte gerne einen Kakao, Carsten.“

„Für mich nichts, danke.“

„Eine heiße Schokolade für Andreas und für mich. Bin gleich wieder zurück“

„Soll ich dir helfen?“

„Danke, das bekomme ich noch so eben alleine hin, Mark.“

„Ich wollte ihm doch nur behilflich sein, weil er doch nichts sieht.“

„Das weiß er ja auch zu schätzen Mark. Seine Blindheit ist nicht bedeutend. Er wohnt doch hier und ist froh auch ohne fremde Hilfe mal etwas zu tun. Wenn er unterstützt werden will, meldet er sich schon.“

„So Andreas, hier ist deine Schoki.“

„Danke, nach dem Spaziergang tut mir etwas Warmes sicherlich gut.“

„Wo sind deine Großeltern?“

„Sie sind hoch auf ihr Zimmer und machen sich noch etwas frisch. Oma wollte auch noch ihr Strickzeug holen.“

„So Mark, wir können.“

„Tschüß!“

„Viel Spaß euch beiden.“

Paul und Luise verabschiedeten die beiden an der Haustür. Paul ermahnte Andrea, nicht zu spät nach Hause zu kommen. Mark versprach sie vor Mitternacht zurück zubringen. Luise war damit einverstanden, anschließend ging sie Ercan wecken. Seine Mittagsruhe hatte lange genug angehalten. Es dauerte bis der jüngste Spross der Familie in die Realität zurückkehrte. Gemeinsam gingen sie zu den Anderen ins Wohnzimmer zurück. Oma Zahradníková saß in einem Ohrensessel und strickte. Andreas Großvater und Carsten spielten eine Partie Schach. Andreas selbst saß am Flügel und spielte vor sich hin. Paul saß mit Ercan am Tisch und schaute mit ihm zusammen das Bilderbuch an.

„Was haltet ihr von Kaffeetrinken?“

„Ist eine gute Idee, Mama. Darf ich dir helfen?“

„Lass mal Sohnemann, ich helfe deiner Mutter. Ercan räumst du bitte den Tisch ab?“

„Ja, Papa.“

„Carsten, können wir eine kleine Pause machen?“

„Sicher doch, Herr Zahradník. Machen wir nach dem Kaffee weiter?“

„Ja, Danke.“

Beide standen vom Brettspiel auf. Carsten ging zu seinem Freund hinüber.

„Wo hängt es Andreas?“

„Ich bekomme das einfach nicht hin. Die Melodie liegt auf der linken Hand wenn ich aber die Akkorde dazu spiele, fehlen mir zwei Finger.“

„Das ist aber auch wirklich kein einfaches Stück, das du dir ausgesucht hast. Da gibt es einen Trick. Wenn ich mich recht erinnere liegt die erste Stimme auf der linken Hand. Um nun die Akkorde zu spielen wende den Kreuzgriff an.“

„Scherzkeks!“

„Nein, ich meine das Ernst! Andreas mit der Rechten übernimmst du für einige Takte die Stimme und dann hast du die freien Finger für den Akkord. Anschließend übernimmt die linke Hand wieder.“

„Meinst du echt? Kannst du mir das mal bitte zeigen?“

Carsten setzte sich neben Andreas. Da er lange genug zugehört hatte, fiel es ihm nicht schwer die Melodie zu spielen. Die fragliche Stelle spielte er langsamer. Andreas sah ihm auf die Finger. Es ging. Sah zwar kompliziert aus doch es hörte sich gut an. Nachdem Carsten geendigt hatte, versuchte er sich an dieser Stelle. Carsten hörte wie sein Freund es mehrmals probierte und es wurde mit jedem neuen Versuch besser. Andreas Großmutter saß ruhig, lächelnd ob der ganzen Situation in ihrem Sessel.

Dann ging Carsten in die Küche um die Hunde wieder ins Haus zu lassen. Ercan stand schon mit Tüchern ausgestattet an der Terrassentür und rief die Hunde.

Während Ercan sich um den kleinen Rüden kümmerte, rubbelte Carsten Max ab. Dabei leckte sie ihm durch das Gesicht. Ercan lachte darüber, besonders weil sein großer Bruder eine komische Miene machte.

„Max, nicht doch!“

Wuff

„Du bist unverbesserlich. So, meine Kleine fertig.“

„So, mein Kleiner fertig. Gehen wir heute Abend noch einmal mit ihnen raus?“

„Ja, Ercan.“

Carsten stand auf und ging sich das Gesicht waschen. Anschließend gesellte er sich zu den Anderen an die Kaffeetafel. Zwischen KKK – Kaffee, Kuchen und Kakao – besprachen sie die Rückkehr Andreas Großeltern zur Kurklinik. Am folgenden Tag, gegen Abend wollten sie wieder zurück sein. Dieses Mal wollte Carsten sie begleiten.

Nach dem Kaffee spielten Carsten und Karel ihre Schachpartie zu Ende. Dann gingen Andreas, Ercan und Carsten mit den Hunden hinunter zu dem kleinen See. Andreas sah sich die Vierbeiner an. Wie sie im Schnee um die Wette, den geworfenen Schneebällen, hinterher liefen. Nach einer Weile wuselten die Tiere um die Jungen herum. Es wurde Zeit den Heimweg anzutreten.

„Nein, Leon nicht!“

„Ercan?“

„Leon hat sich gerade auf eine Weihnachtsdeko gestürzt und einen Weihnachtsmann von seinem Schlitten geschubst.“

„Danke Andreas. Ercan hast du denn Leon nicht angeleint?“

„Nein, Max läuft ja auch ohne Leine herum.“

„Der Punkt geht an dich. Dann solltest du ihn aber jetzt anleinen. Andreas, beurteile doch mal den Schaden!“

„So wie es ausschaut, ist die Figur im Schnee gelandet. Es leuchtet noch alles, scheint nichts kaputt gegangen zu sein. Ich glaube wir können ihn da wieder drauf setzten.“

„Dann sollten wir es mal tun. Ercan, gibst du Max mal die Leine.“

Dann ging Carsten in die Hocke, strich seiner Retrieverhündin über ihren Kopf. Er sprach mit ihr und sie schien ihm zu gehorchen. Andreas sah, wie sie sich setzte und die Leine des kleinen Hundes im Maul festhielt. Die Jungen gingen zum Tatort hinüber und richteten die Figuren und das ‚Bild‘ wieder her. Beim hochheben der Figur bildeten sich kleine Schweißperlen auf Carstens Stirn.

„Man, der Knabe könnte wirklich einige Pfunde abnehmen. Wie hat Leon es nur geschafft den umzustoßen?“

„Er ist einfach dagegen gesprungen, Carsten. Der Typ hier ist nicht nur schwer, sondern sieht auch nicht besonders aus. Zumindest nicht aus der Nähe. Leon hat Geschmack.“

„Wohl ganz Arco. Sag einmal Andreas, siehst du irgendwo Lebenszeichen vom Besitzer?“

„Nix, das Haus ist duster, nur die Gartenbeleuchtung ist an.“

„Dann hat es wohl auch keinen Sinn, denen davon zu berichten?“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Gut, informieren wir Papa davon, der wird sich darum kümmern. Merkst du dir die Adresse bitte?“

„Kein Problem.“

Nachdem die drei Leons ‚Verwüstung‘ beseitigt hatten, ging es weiter.

Nach dem Trockenlegen der Hunde, berichtete Carsten seinem Vater davon. Der lachte nur und schüttelte den Kopf. Dennoch versprach er, mit seinem Nachbarn zu reden. Das Kind und die Jugendlichen zogen sich die Straßenkleidung aus und erschienen wenig später wieder im Salon.

Carsten und Andreas ließen sich auf den Zweisitzer nieder. Carsten tastete nach seinem Buch und begann wieder zu lesen. Max und Leon legten sich unter den Flügel. Während Max beäugte, was um sie herum ging, beschäftigte Leon sich mit seinem roten Ball. Den Fernseher schaltete Ercan ein und schaute sich einen Trickfilm an. Andreas sah zu seiner Großmutter hinüber. Noch immer strickte seine Oma in ihrem Sessel. Sein Großvater war nicht im Salon. Genauso wenig wie Paul und Luise. Auf tschechisch fragte Andreas seine Großmutter etwas und in gleicher Sprache antwortete sie ihm. Nachdem wohl alles geklärt war, legte Andreas seinen Arm um Carsten. Er kuschelte sich ein wenig an ihn, ohne diesen beim Lesen zu stören. Seinen Kopf lehnte er an dessen Schulter. Es faszinierte ihn, Carsten bei seiner Tätigkeit zu beobachten.

Ein leichtes Abendbrot nahmen sie wieder in der Küche ein. Anschließend gesellten sich alle ins Wohnzimmer. Es wurde ein gemütlicher Abend. Luises Vorschlag etwas Musik zu machen kam an. Bald schon erfüllte sich das Haus mit musikalischen Klängen. Weihnachtslieder wurden auf unterschiedlichen Weisen vorgetragen. Ihre Gäste sahen, dass es der Familie viel Spaß machte. Gemütlich klang dieser Abend auch aus. Frau von Feldbach brachte ihren Jüngsten ins Bett, während ihr Mann die Hunde noch einmal vor die Tür schickte. Carsten und Andreas verkrümelten sich auch alsbald. Nachdem beide aus dem Bad zurück waren, setze sich Carsten auf sein Bett.

„Man, Carsten, ich glaube ich habe heute zehn Kilo zugenommen!“

„Ja, die Mampferei war wirklich heftig und kaum Bewegung. Morgen werde ich mich erste einmal auf dem Laufband vergnügen.“

„Hä?“

„Das heißt ‚wie bitte‘! Ich gehe im Keller joggen, auf dem Laufband. Schon vergessen? Ich habe dir doch den Fitnessraum gezeigt, oder nicht?“

„Den hab ich ganz vergessen. Ich werde wohl alt.“

„Das wird es sein, Schatz.“

Carsten wusste nicht wie ihm geschieht, Andreas schubste und balgte mit ihm. Als Carsten langsam die Oberhand gewann, flehte sein Freund um Gnade. Lachend ließ er von ihm ab. Tief nach Luft atmend lagen sie nebeneinander. Dann drehte sich Andreas zu seinem Freund und strich ihm über seine Brust. Seine Streicheleinheiten wurden intensiver und seine Hand rutsche unter Carstens Shirt. Seine Haut war ganz warm und weich. Er beugte sich über den Jungen und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Langsam wurde auch Carsten aktiv. Mit seinen Händen ging er ebenfalls auf Wanderschaft um Andreas Körper zu erkunden. Bald lagen die ersten Textilien neben dem Bett und weniger bekleidete Jungen in dem Selbigen. Beide fühlten sich geborgen. Carsten ließ seine Finger über Andreas wandern. Vom Haaransatz bis zum Bauchnabel ließ der Teenager keinen Quadratmillimeter aus. Und auch Andreas war nicht ganz untätig. Immer wieder liebkoste er seinen Freund.

„Andreas, Schatz.“

„Ja?“

„Ich bin mir nicht sicher ob ich jetzt weiter gehen... ich meine ich bin absolut erregt.“

„Carsten, nicht nur du. Wenn es dein Wunsch ist, ich vertrau dir.“

„Ich bin mir eben nicht sicher, es geht mir zu schnell. Enttäuscht?“

„Ich? Ich liebe dich doch. Ich würde es dir nicht verzeihen, wenn du etwas gegen deinen Willen tust, nur um mir zu gefallen.“

„Danke.“

Andreas küsste seinen Freund, schlang seinen Arm um ihn und zog ihn ganz dicht an sich heran. Jeder fühlte den Körper des anderen. Carsten zog die Bettdecke hoch und so schliefen sie ein.

Lesemodus deaktivieren (?)