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Leanders Erbe

Teil 9

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Inhaltsverzeichnis

-Lauri-

„Es ist besser, wenn du nicht so viel weißt!“ Lauri lehnte sich müde an die Holzwand und hielt die Augen geschlossen. Natürlich wollte Lias wissen, was in seiner Abwesenheit passiert war und was die Jungs für Pläne geschmiedet hatten, aber Lauri blockte seine Fragen ab.

„Sollte Colin versuchen, dich auszufragen, musst du nicht lügen.“

Lias Brummen klang nicht nach Einsicht, aber zumindest fragte er nicht weiter.

Lauri genoss einige Momente die Ruhe. Sein Kopf schmerzte und er brauchte immer noch Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Es würde ohnehin nicht mehr lange dauern, bis die Männer unter Robins Führung mit dem Angriff starten würden.

„Aber eine Frage musst du mir doch beantworten: Was zum Teufel macht Marlon hier?“

Lauri öffnete die Augen und zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine nachdenkliche Falte.

„Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Er muss sich schon gestern aus dem Lager fortgeschlichen haben.“

„Verdammt. Warum muss er nur immer so dickköpfig sein? Jetzt hat Colin ihn und mich in der Hand …“ Lias nahm seine Wanderung durch die kleine Zelle wieder auf. Die Angst um seinen Bruder stand Lias nach wie vor ins Gesicht geschrieben.

Plötzlich polterte Genzo durch die Tür.

„So Jungs! Genug geplaudert …“ Sein diabolisches, fauliges Grinsen jagte Lauri unwillkürlich einen Schauer über den Rücken. Was hatte er nun jetzt wieder vor?

Hinter Genzo drängten einige weitere Männer in den engen Raum und Genzo zückte neben dem Schlüssel der Zelle auch seinen Dolch. „Keine schnellen Bewegungen, meine Damen. Wir wären untröstlich, wenn wir einen von euch schon vor der Zeit verlieren würden, verstanden?“

Lauri und Lias warfen sich nur kurz einen Blick zu. Was auch immer Genzo vorhatte, es würde wohl kein netter Gesprächskreis werden.

„Du! Da rüber!“, wies er Lias an. „Und das Kindermädchen in die andere Ecke. Keine Mätzchen, kapiert?“ Die jungen Männer gehorchten stillschweigend und ließen sich auch ohne Gegenwehr die Hände mit Stricken fesseln. Ohne Waffen und in der Unterzahl hätten sie sowieso keine Chance gehabt.

Unsanft und jeweils rechts und links von Genzos Männern eskortiert, wurden Lias und Lauri nach draußen auf den Platz geführt. Einiges an Volk hatte sich dort versammelt, aber Lauri war sich sicher, dass Colin noch mehr Männer in der Hinterhand hatte.

Der neue Anführer der Wessington Bande drehte sich schwungvoll und breit grinsend zu den Neuankömmlingen um. Seine rechte Hand riss grob an Marlons Haaren und zwang den Jungen so ebenfalls, seinen Bruder anzusehen. Lauri spürte, wie Lias erstarrte, aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Bis auf Marlons Wimmern war kaum etwas auf dem Platz zu hören.

„Ah, da seid ihr ja. Dann können wir ja mit der Show beginnen, nicht wahr?“

Marlons braune Augen waren weit aufgerissen. Tränenspuren zogen sich über seine staubigen Wangen und Lauri konnte sich ausmalen, wie es Lias zumute sein musste. Mit einem ruppigen Schubs ließ Colin den Jungen los, der daraufhin in die Hände von zwei Handlangern stolperte, die ihn auffingen. Offensichtlich wussten die Männer auf dem Platz bereits, was Colin vorhatte. Im Gegensatz zu Lias und Lauri, denen nichts übrig blieb als zuzusehen und abzuwarten.

Ohne die beiden jungen Männer aus den Augen zu lassen, streckte Colin lässig die Hand aus und erhielt von einem der Männer hinter ihm eine Peitsche. Lauris Puls beschleunigte sich und aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass die Männer Lias nun festhalten mussten.

„Nein, Colin!“

Colin grinste nur weiter sein eiskaltes Lächeln und ohne jegliche Gefühlsregung ließ er den ersten Schlag auf Marlons Rücken sausen.

Der Junge schrie vor Schmerzen auf und Lias mit ihm.

„Nein! Hör auf damit!“

Als Antwort schlug Colin ein weiteres Mal zu. Die beschwerten Enden der Geißel hatten schon beim zweiten Schlag Marlons Hemd zerfetzt, und blutige Striemen zeichneten sich durch den Stoff ab.

„Warum?“ Lias Stimme wurde flehender und dünner, als hätte er Angst durch seine Worte nur weitere Schläge zu provozieren. Lauri musste ebenfalls bei jedem Schlag zusammenzucken.

„Warum?“ Colin wiederholte Lias Frage und legte dabei gespielt nachdenklich die Peitsche an seine Lippen. „Mh … eigentlich gibt es grade keinen besonderen Grund.“ Er drehte sich um und schlug ein weiteres Mal zu.

Lias war auf die Knie gefallen. „Bitte, er ist doch noch ein Kind. Dann schlag mich, aber lass von ihm ab!“

„Ich denke drüber nach“, erwiderte Colin kalt und schlug abermals zu. Marlon war mittlerweile völlig zusammengesackt und wurde nur noch von den beiden Handlangern gehalten, die so viel Abstand wie möglich von dem Jungen hielten, um nicht selbst etwas von den Schlägen abzubekommen.

„Er tut das nur zum Spaß“, schoss es Lauri durch den Kopf. Ein entsetzliches Gefühl breitete sich langsam in seinem Körper aus. „Er braucht tatsächlich keinen Grund, um anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Er sieht andere Menschen gerne leiden. Das ist seine einzige Motivation.“

Lauri hatte stocksteif dagestanden und die Lippen fest aufeinandergepresst. Lias kniete noch immer auf dem Boden und Tränen liefen jetzt über seine Wangen. Lauri musste daran denken, dass er Lias eben noch Mut zugesprochen hatte. Ihm versichert hatte, dass Colin Marlon sicher nichts tun würde. Er hatte sich gründlich getäuscht. Mehr noch als an Marlons Schmerzen labte sich dieses Schwein an Lias Leiden. Es war widerwärtig.

Wenn Finn und Robin das sehen würden, müssten sie bald eingreifen.

Plötzlich spürte er Genzos fauligen Atem im Nacken.

„Na, ist das ein Anblick, Kindermädchen? Ich wusste, dass du Sehnsucht nach mir haben würdest“, flüsterte der feiste Kerl ihm ins Ohr. „Hat es lange gedauert, bis dein kleiner Freund verblutet ist?“

Genzo schob sich von hinten an ihm vorbei und beobachtete Lauris Reaktion auf seine Worte ganz genau. Lauri wollte unter keinen Umständen verraten, dass Finn nach wie vor am Leben war und sich hoffentlich noch immer bester Gesundheit erfreute. Da Genzo eine ähnliche Reaktion erwarten musste, warf er sich ein Stück nach vorn, so dass seine Bewacher ihn halten mussten. Genzo bleckte abermals seine fauligen Zähne und hob seinen Dolch langsam in Brusthöhe. Mit der Spitze des Messers fuhr er zwischen die Knöpfe von Lauris Hemd und trennte mit einer schnellen Bewegung die obersten drei Knöpfe ab. Dabei ritzte er auch Lauris Haut ein wenig ein, aber der junge Mann ließ sich nichts anmerken. Genzo schob das nun offene Hemd mit seinem Dolch ein Stück zur Seite, so dass das hässliche Brandmal auf Lauris Brust zum Vorschein kam. Er tippte mit dem Messer auf die Narbe. „Dabei hast du dir nichts anmerken lassen. Damit konntest du vielleicht Luca beeindrucken, aber ich weiß, was dir wehtut, meinst du nicht?“ Nach wie vor wollte Lauri vor diesem miesen Schwein keine Schwäche zeigen, dennoch spürte er wie eine Angst in ihm hochkroch. Ja. Genzo wusste, wie er Lauri treffen konnte. Ähnlich wie Colin es gerade mit Lias machte.

Ruhig trat Genzo einen Schritt zurück und betrachtete seinen Dolch. „Kennst du den hier eigentlich noch?“ Lauri antwortete nicht. „Damit habe ich deinem Vater die Kehle durchgeschnitten.“ Lauris Kiefer arbeiteten und seine gefesselten Hände waren zu Fäusten geballt, aber er mahnte sich ruhig zu bleiben.

„Ist lange her …“ Mit einer flüssigen und raschen Bewegung zog er den Dolch über Lauris Wange. „… und er ist immer noch scharf!“ Das Blut tropfte aus dem Schnitt auf Lauris Brust, aber er wusste, dass die Wunde nicht tief war. Genzo wollte nur mit ihm spielen.

„Und jetzt rate mal, was ich mit dem guten Stück noch gemacht habe?“ Lauri wusste genau, worauf Genzo hinaus wollte. Damals hatte er Finn noch vor ihm erreicht und ihm besagten Dolch in den Bauch gerammt. Aber Lauri presste nach wie vor die Lippen fest aufeinander, was Genzo langsam wütend zu machen schien. Lauri fühlte das spitze, kalte Metall gegen seine Haut drücken. Genau an der empfindlichen Stelle, an der die Rippen aufeinandertrafen. „Du weißt es, nicht wahr, Kindermädchen? Und willst du noch etwas wissen? Ich werde dich hinterherschicken, aber ganz langsam und stückchenweise, was hältst du davon?“

Bevor Lauri etwas erwidern konnte, wurde es plötzlich laut auf dem Platz.

Ein paar Männer rannten zu Colin und riefen ihm zu, dass das südliche Lager angegriffen wurde.

Es hatte also begonnen …

-Finn-

Sie saßen wie auf heißen Kohlen. Irgendetwas war auf dem Platz im Gange. Colin ließ seine Männer dort Aufstellung nehmen. Was hatte er vor?

Finn beobachtete Robin von der Seite und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Sie hatten nicht mehr über ihre Beobachtung gesprochen, aber er war sich sicher, dass es auch Robin nach wie vor beschäftigte. Es war seltsam gewesen, zu sehen, wie Lauri jemand anderen küsste, was auch immer die Gründe dafür gewesen sein mochten …

Trotzdem waren sie aus einem Grund hier. Sie mussten warten, bis die anderen Gruppen die Außenlager angriffen und Sylvester mit seiner Truppe den Staudamm öffnete. In dieser Verwirrung würden sie dann ins Lager eindringen und Lias und Lauri befreien.

„Ist das … Moment mal …“ Robin setzte sich auf und schirmte seine Augen mit der Hand ab, um besser sehen zu können.

„Was denn?“ Finn war sich nicht sicher, ob er noch mehr schlechte Nachrichten überhaupt hören wollte. Robin sah auf jeden Fall nicht glücklich aus.

„Verdammter Dickschädel! Ich glaube, Colin hat Marlon gefangengenommen.“

„Was? Wie kommt der denn hier her?“

„Keine Ahnung … zumindest wissen wir jetzt, wo er steckt. Dieser Idiot!“

Robin ließ sich vom Ast gleiten.

„Wo willst du hin?“

„Ich muss näher ran.“

Finn folgte ihm etwas ungelenk.

Gemeinsam pirschten sie sich näher ans Lager. Weit und breit war niemand von Colins Männern zu sehen. Alle hatten sich auf dem Platz versammelt.

So konnten sie bis ins Lager vordringen. Robin suchte einen erhöhten Platz und Finn deutete lautlos auf die etwas abseits liegende Schlafbaracke. Schnell schlichen sie durch das Dickicht und kletterten von hinten auf das spitze Dach. So waren sie vor neugierigen Blicken geschützt, hatten aber selbst einen guten Überblick über den Platz. Gleichzeitig waren sie noch weit genug entfernt, um sich notfalls schnell in den Wald zurück zu flüchten.

„Es ist wirklich Marlon!“, flüsterte Finn bedrückt. Colin hatte den Jungen grob an den Haaren herumgezerrt.

„Was jetzt?“ Unsicher sah er Robin an.

Dieser hatte seinen Bogen neben sich liegen und zog bereits einen Pfeil aus seinem Köcher.

„Wenn dein verdammter Cousin Hand an Marlon legt, werde ich ihn umbringen.“

Auch wenn die Verwandtschaftsverhältnisse, die Robin angesprochen hatte, leider der Wahrheit entsprachen, zuckte Finn bei seinen Worten unwillkürlich zusammen. Die grimmige Entschlossenheit stand Robin ins Gesicht geschrieben, und Finn verstand das auch sehr gut. Marlon war auch für Robin wie ein Bruder. Er gehörte zur Familie.

„Da!“ Genzo führte die nächsten Gefangenen auf den Platz. Lauri und Lias waren die Hände gefesselt worden und sie wurden jeweils links und rechts von tumben Handlangern bewacht.

„Was soll das alles?“, murmelte Robin. Finn zuckte mit den Schultern. Er hatte schon vor einiger Zeit aufgegeben, zu versuchen, Colin zu verstehen.

Nach einem kurzen Gerangel hielt Colin plötzlich eine Geisel in der Hand und schlug völlig unvermittelt auf Marlon ein. Robin war sofort aufgesprungen und hatte den Pfeil angelegt, doch Finn zog ihn zunächst wieder runter aufs Dach.

„Warte!“

„Ich soll warten? Hast du Augen im Kopf?“, zischte Robin wütend.

Die Schreie von Marlon und Lias hallten über den Platz und in Finns Ohren.

„Wir haben keine Chance gegen die ganzen Männer da unten“, erklärte Finn eindringlich.

„Wichtig ist nur Colin. Wenn ich ihn töte, ist der Rest nur ein wilder Haufen ohne Führung.“

„Wie sicher bist du, ihn auf diese Entfernung wirklich zu töten?“

Robin presste die Lippen aufeinander und starrte Finn mit trotzigem Blick an. Aber er ließ den Bogen sinken.

„Es kann nicht mehr lange dauern!“ Finn deutete auf den Stand der Sonne. Die anderen müssten jeden Moment angreifen.

Sie warteten einige Minuten schweigend. Die Schreie und das furchtbare Geräusch der Peitsche ließ beide Männer immer wieder zusammenzucken. Es war wirklich kaum auszuhalten. Aber zum Glück dauerte es tatsächlich nicht lange, bis einige aufgeregte Männer auf den Platz rannten und Colin ganz offensichtlich über die Angriffe in Kenntnis setzten.

Ebenfalls zum Glück reagierte Colin wie erwartet und schickte einige seiner Männer fort. Die Wut stand ihm jedoch ins Gesicht geschrieben und ganz offensichtlich suchte er bereits nach jemanden, an dem er seine Wut auslassen konnte.

-Lauri-

„Ist das auf deinem Mist gewachsen?“ Colin hatte Genzos Platz eingenommen und sich vor Lauri aufgebaut.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, gab Lauri trocken zurück.

Wutschnaubend stapfte Colin die wenigen Schritte zu Lias herüber.

„Oder ist das deine stumpfsinnige Truppe? Diese Bauerntölpel? Meine Männer werden sie niedermetzeln, jeden Einzelnen von ihnen!“

Er hob langsam die Peitsche an und blickte hasserfüllt auf den immer noch am Boden knienden Lias herab. „Du wolltest auch Schläge, wenn ich mich recht erinnere …“

Lauri spannte sich an, was den Griff der Männer neben ihm nur festigte. Würde Colin aus dieser Nähe auf Lias einschlagen, würde er ihn schwer verletzen.

Lias hob langsam den Kopf. Seine Tränen waren getrocknet und ein wenig seines trotzigen Stolzes war in seinen Blick zurückgekehrt.

Colin holte aus, doch bevor er zuschlagen konnte, durchbohrte ein Pfeil seine rechte Hand, so dass die Peitsche zu Boden fiel und Colin mit einem Schmerzensschrei ebenfalls auf die Knie sank.

In einiger Entfernung hinter ihm ragte Robin auf. Den Bogen noch in der Hand. Und aus dem Dickicht hinter ihm preschten nun ein gutes Dutzend Männer der Widerstandsgruppe auf ihren Pferden hervor. Angeführt wurden sie von Sylvester und man hörte bereits das Grollen und Gurgeln des Flusses, der aufgrund des Dammbruches über die Ufer getreten war.

Lauri wartete nicht lange ab und nutzte die Gelegenheit, um dem völlig verdutzten Genzo das Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel zu ziehen. Es lag auch bei gefesselten Händen ganz gut in der Hand und binnen Sekunden hatte Lauri sich seiner beiden Bewacher entledigt.

Auch Lias hatte die Gunst der Stunde genutzt und war zu seinem Bruder geeilt, der nach wie vor bewusstlos auf dem Boden lag und drohte im herannahenden Wasser zu ertrinken.

Die Schrecksekunde auf Seiten der Wessington Bande währte nicht lange und schnell waren alle Männer in Kämpfe verwickelt. Doch mittlerweile waren die Fluten über das Lager hereingebrochen, so dass alle Männer knietief im Wasser standen, was die Kämpfe für beide Seiten erschwerte.

Die Widerständler hatten den Vorteil zum größten Teil noch auf ihren Pferden zu sitzen, doch waren sie keine ausgebildeten Kämpfer und einige von ihnen wurden schnell zu Fall gebracht.

„Bring ihn weg von hier!“, rief Lauri Lias zu. Lauri hatte sich vor Lias gestellt, der noch immer unbewaffnet war und sich Marlon über die Schulter geworfen hatte.

„Wie?“, schrie Lias über den Kampflärm hinweg.

„Keine Ahnung …“, murmelte Lauri, während er einen weiteren Angreifer abwerte.

Er wusste nicht mal, ob sie überhaupt lebend aus der ganzen Sache rauskommen würden.

-Finn-

Nachdem die Männer ins Lager eingedrungen waren und das Wasser die Kämpfer umspülte, hatte Finn sich hinter das Haupthaus vorgearbeitet. Die dort angebundenen Pferde der Bande waren durch den Kampflärm und den Blutgeruch aufgeschreckt und würden ebenfalls wunderbar ins Durcheinander passen. Nacheinander löste er die Zügel der Tiere. Meist musste er nichts weiter tun, da die Pferde von selbst mit vor Panik geweiteten Augen davonstoben. Das letzte Pferd versuchte er jedoch zu beruhigen, bevor er sich auf dessen Rücken schwang und das Tier dann in Richtung des Platzes antrieb.

Schnell hatte er Lauri, Lias und Marlon ausgemacht. Lauri versuchte die beiden Brüder soweit zu schützen, dass sie sich langsam in Richtung des Dickichts vorarbeiten konnten. Doch er wurde von mehreren Männern angegriffen und Finn musste mit ansehen, wie er auch immer wieder Schläge einstecken musste. Er brauchte Hilfe, dringend!

Plötzlich griff ihm jemand in die Zügel, aber erleichtert stellte er fest, dass es nur Robin war.

„Versuch bis zu Lias vorzudringen. Du musst Marlon hier wegbringen, verstanden?“

Finn nickte: „Dann hilf du bitte Lauri. Ich glaube, er kann sie nicht mehr lange aufhalten.“

Auch Robin nickte grimmig und kletterte flink am Haupthaus hoch, um von dort einige Pfeile auf Lauris Angreifer abzuschießen.

Scheinbar wurde es tatsächlich leerer auf dem Platz. Einige von Colins Männern waren tatsächlich geflohen, wie Lauri es vorausgesehen hatte, aber Finn sah auch, dass es durchaus auf beiden Seiten Verluste gab.

Auf dem Weg durch das Getümmel versuchte Finn auch Colin und Genzo auszumachen, aber die beiden waren nirgends zu sehen. Ob sie auch geflohen waren?

Endlich war er nah genug an seine Freunde herangekommen. Lias schaltete sofort und hievte den noch immer bewusstlosen Marlon vor Finn aufs Pferd. „Gib mir deine Waffe!“, wies er Finn an und löste mit dessen Hilfe zunächst seine Fesseln. „Bring ihn weg! In Sicherheit!“ Eindringlich blickte er Finn mit seinen dunkelbraunen Augen an und Finn nickte erneut. Aus dem Augenwinkel nahm er jedoch etwas wahr, was ihn herumfahren lies.

„LAURI!“

Genzo war offensichtlich doch nicht geflohen. Er hatte Lauris Ablenkung genutzt und ihm seinen Schürhaken mit dem Brandzeichen, das an der Feuerstelle gelegen hatte, mit voller Wucht gegen das linke Knie geschlagen. Mit einem Schmerzensschrei war Lauri zusammengesackt. Genzo stand nun über ihm und zielte mit dem spitzen Ende des Schürhakens auf den dunkelhaarigen, jungen Mann am Boden.

Doch bevor er zu dem tödlichen Schlag ansetzen konnte, sprang eine Person dazwischen.

Fassungslos sahen Finn und Lias zu, wie Sylvester über Lauri zusammenbrach. Das spitze Ende des Schürhakens ragte hinten aus seinem Rücken heraus.

Nur wenige Sekunden später durchbohrte einer von Robins Pfeilen Genzos Brustkorb und auch der feiste Handlanger sackte mit verdrehten Augen in sich zusammen ins immer noch knietiefe Wasser.

„Nein! Sylvester!“ Lauris Schmerzen schienen vergessen. Er umklammerte den alten Mann, der mühsam nach Luft rang. „Ich konnte doch nicht zulassen, dass es schon wieder passiert …“, murmelte der Alte und ein trauriges Lächeln stahl sich auf sein faltiges Gesicht.

Finn traten ebenfalls die Tränen in die Augen. So viele Gedanken schwirrten wieder durch seinen Kopf. Wieder hatte Lauri jemanden verloren, der ihm so viel bedeutet hatte.

Lias ließ ihm jedoch keine Zeit zum Nachdenken.

„Los, verschwindet!“, brüllte er Finn an und gab dem Pferd einen leichten Schlag auf die Flanke, so dass das Tier sich in Bewegung setzte und Finn mit Marlon in den Wald trug. Fort vom Kampflärm. Fort von Lauri …

-Lias-

Robins Pfeil hatte Genzo wenige Sekunden zu spät getroffen. Sylvester hatte keine Chance. Er spuckte Blut und Lias war sich sicher, dass sein verklärter Blick darauf hindeutete, dass er kaum noch etwas wahrnahm, während er vor sich hinmurmelte: „Leander, mein Junge. Diesmal nicht …“

Lauri biss sich auf die Lippen und hielt den alten Mann weiterhin im Arm. Mit seiner zerschmetterten Kniescheibe konnte er ohnehin nicht aufstehen.

Doch die Kämpfe waren noch nicht gänzlich vorbei und Lias war nun derjenige, der sich vor Lauri und den sterbenden Sylvester stellte.

Robins Pfeile von der anderen Seite hielten ihm noch einige Angreifer vom Leib, dennoch hatte er genug zu tun, Lauri und sich selbst zu schützen. Trotz alledem stieg in ihm ein seltsames Gefühl auf. Er konnte es nicht wirklich beschreiben, aber das alles hier, das ganze Durcheinander, der Angriff, der gebrochene Damm, das hatten seine Freunde auf die Beine gestellt, nur um ihn zu befreien. Mit einem kurzen Seitenblick auf Sylvester fragte er sich, ob er das überhaupt wert war.

„LIAS!“

Lauri hatte Colin kommen sehen, aber er selbst war zu abgelenkt gewesen und so traf ihn der Peitschenhieb mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schmerz war im ersten Moment eher nebensächlich. Eher fühlte er sich benommen und taumelte überrascht, was Colin nutzte, um ihn mit nur wenig Kraft umzuwerfen und sein Gesicht unter Wasser zu drücken.

-Finn-

Er trieb das Pferd an, doch je weiter er sich vom Lager entfernte, desto unruhiger wurde er. Es fühlte sich nicht richtig an, Lauri und Lias zurückzulassen. Vor allem jetzt nicht, da er wusste, dass Lauri verletzt war.

Gespannt lauschte er auf die Geräusche um ihn herum. Er kam in der Nähe der Lichtung vorbei und auch hier hatte es Kämpfe gegeben, aber es schien alles ruhig zu sein, bis ein Mann durch das Unterholz brach. Erschrocken zog Finn die Zügel an, stellte aber erleichtert fest, dass es sich um einen der Widerständler handelte. Dieser erkannte Finn sofort und ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wir haben sie geschlagen! Auf ganzer Linie!“ Dann fiel sein Blick auf Marlon.

„Ist das Marlon?“

„Ja. Kannst du mir helfen? Er ist verletzt. Bitte bring Marlon ins Lager. Bring ihn zu Marianna, sie wird sich um ihn kümmern. Ich muss nochmal zurück.“

Der junge Mann half Finn den bewusstlosen Marlon vom Pferd zu heben.

Bevor Finn zurückritt, drehte er sich noch einmal um.

„Und wenn ihr Männer entbehren könnt, dann schickt uns noch welche zum Hauptlager. Dort wurde eben noch gekämpft.“

Als er sich dem Lager näherte, klang auch tatsächlich noch immer Kampflärm zu ihm herüber. Er hoffte inständig, dass Lauri und auch Lias und Robin noch am Leben waren.

Lauri saß noch immer im Wasser, Sylvester im Arm, aber er schrie.

Robin bahnte sich gerade einen Weg durch das Gewühl, aber von Lias war nichts zu sehen.

Doch Colin stand nur wenige Meter von Lauri entfernt und drückte offensichtlich jemanden unter Wasser. Scheinbar brauchte er dafür nicht besonders viel Kraft, denn seine blutige durchbohrte Hand hielt er dabei hoch. Die Finger hatten sich klauenartig nach innen gebogen. Wahrscheinlich hatte Robin mit seinem Schuss Sehnen und Muskeln verletzt.

Finn trieb sein Pferd an, da er ahnte, wen Colin gerade zu ertränken versuchte.

„Colin!“

Ungläubig sah Colin auf und lockerte seinen Griff.

„Du?“

Bevor Finn etwas erwidern konnte, hatte auch Robin die Gruppe erreicht und riss Colin herum. Mit seinem gezielten Faustschlag setzte er Colin fürs erste außer Gefecht.

Sofort zog er seinen Freund aus dem Wasser. Finn stockte bei dem Anblick der Atem.

Lias sah übel aus. Nicht nur, dass er triefend nass war, bereits eine ungesunde bläuliche Gesichtsfarbe angenommen hatte und das verschluckte Wasser aushustete; seine linke Gesichtshälfte wirkte geradezu zerfetzt. Sobald er aus dem Wasser aufgetaucht war, lief das mit Wasser verdünnte Blut nur so an seinem Gesicht und Hals herab.

Robin hielt Lias Gesicht in beiden Händen und Finn konnte sich ausmalen, was er bei dessen Anblick fühlen musste.

Er warf einen Blick auf seinen eigenen Freund, der ebenfalls verletzt im Wasser saß und ihn traurig anblickte. Sylvesters Augen waren geschlossen, er bewegte sich nicht mehr, aber noch immer ragte der Schürhaken gruselig aus seinem Brustkorb.

Fast wäre ihm entgangen, wie Colin sich erneut aufrappelte und wutentbrannt mit der Peitsche in seiner unverletzten Hand ausholte, doch bevor Colin Robin oder einen der anderen jungen Männer verletzen konnte, trieb Finn sein Pferd an, das sich vor Colin panisch aufbäumte. Colin war viel zu überrascht, um sich zu schützen, und so trafen ihn die Hufe des Tieres hart an der Schläfe. Er brach sofort zusammen und versank im Wasser.

Finn war übel. Und er war müde und fror. Mit leerem Blick starrte er auf seinen toten Cousin im Wasser.

Es war mittlerweile sehr still geworden auf dem Platz. Ein paar weitere Widerständler waren Finn gefolgt und hatten mit den restlichen Männern der Wessington Bande, den wenigen, die noch übrig waren, kurzen Prozess gemacht.

Robin, Lias und Lauri blickten Finn schweigend an. Er spürte ihre Blicke auf sich. Schließlich sah er auf, suchte Lauris blaue Augen.

„Lasst uns nach Hause gehen.“

-Lauri-

Einige Männer vom Widerstand nahmen ihm Sylvesters Leichnam ab. Behutsam trugen sie ihn aus dem Wasser an den Waldrand, um ihn dort für den Transport nach Hause vorzubereiten.

Sein Anblick schmerzte und er riss alte Wunden auf, obgleich er momentan genug frische Wunden hatte.

Finn war durch das Wasser zu ihm gewatet und hockte sich neben ihn.

Mit aufeinandergepressten Lippen betrachtete er den blutigen Fleck auf Lauris Hosenbein. Ihm wurde selbst schlecht, wenn er daran dachte, sich das zertrümmerte Knie später näher ansehen zu müssen. Er war realistisch genug, um zu wissen, dass er das Bein nie wieder normal würde benutzen können. Es würde sicher steif bleiben. Er hoffte nur, dass er zumindest irgendwann schmerzfrei sein würde.

„Ich fürchte, ich brauche etwas Hilfe“, murmelte er und ließ sich von Finn stützen, als er versuchte aufzustehen. Das kalte Wasser hatte seine Beine fast taub werden lassen, aber eben nur fast. Der Schmerz schoss durch seinen ganzen Körper und er musste sich fest an Finn klammern und die Augen schließen, weil sich plötzlich alles drehte.

Lias hatte es jedoch nicht besser getroffen. Er würde sich später um sein Gesicht kümmern müssen. Vor allem jetzt, wo Sylvester nicht mehr da war. Ebenso um Marlons Rücken, aber so schlimm das Ganze gewesen war, hatte der Junge von ihnen drei wohl noch am meisten Glück gehabt und würde außer ein paar Narben sicher nichts zurückbehalten.

Robin kümmerte sich um Lias, der aufgrund des Blutverlustes und Colins Attacke auch noch recht wackelig auf den Beinen war.

„Kannst du reiten?“, fragte Finn vorsichtig. Lauri glaubte es nicht, aber irgendwie musste er nach Hause kommen und er wollte hier so schnell wie möglich weg.

„Gib mir was zum draufbeißen, dann wird’s schon gehen.“

-Finn-

Lauri war blass und zitterte wahrscheinlich vor Schmerz und Anspannung, als sie endlich das Lager erreichten. Viele der Männer waren schon zurückgekehrt. Die meisten waren selbst verletzt, aber wer nicht versorgt wurde, kümmerte sich sofort um die Neuankömmlinge.

Zwei Männer halfen Lauri vom Pferd und brachten ihn in Sylvesters Hütte. Finn wich nicht von seiner Seite. Als die Dorfbewohner Lauri abgesetzt hatten, betrachteten Lauri und Finn einen Moment das blutige Hosenbein, bis Finn schließlich aktiv wurde.

„Du musst die Hose ausziehen!“

„Irgendwie hat das aus deinem Mund auch schon mal netter geklungen.“

Finn verdrehte die Augen.

„Wenn du immer noch blöde Sprüche bringst, kann es dir ja gar nicht so schlecht gehen.“

Lauris Mundwinkel zuckten müde nach oben, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.

Mit Hilfe und mit schmerzverzerrtem Gesicht entledigte er sich des störenden Kleidungsstücks.

Finn biss sich auf die Unterlippe. Genzo hatte scheinbar gut gezielt. Von Lauris Kniescheibe war kaum noch etwas Erkennbares übrig. Knochensplitter ragten aus der blutigen Wunde. Wieder einmal bewunderte Finn seinen Freund dafür, dass er trotz der Schmerzen, die er ohne Zweifel haben musste, so ruhig blieb.

Lauri betrachtete die Wunde einen Moment nachdenklich.

„Ich brauche Alkohol.“

Finn war sofort aufgesprungen, um Lauri einen Becher Wein zu holen.

„Nein. Was Stärkeres … aber lass den trotzdem hier.“ Lauri leerte den Becher in einem Zug.

-Lauri-

Während Finn sich auf die Suche nach Hochprozentigem machte, hatte Lauri sich müde hingelegt. Er spielte im Kopf die Behandlung seines Beines durch. Die Knochensplitter mussten auf jeden Fall raus. Eigentlich wollte er den Alkohol zum Desinfizieren, aber vielleicht würde es nicht schaden, sich auch etwas Mut anzutrinken.

Als die Tür aufgestoßen wurde, sah er wieder auf.

Robin stützte Lias und brachte ihn ebenfalls in Sylvesters Hütte. Auch wenn der alte Mann nicht mehr da war, blieb dieser Ort einfach die erste Anlaufstelle für Verletzte.

Robin stutzte einen Moment, setzte seinen Freund dann aber am Fußende von Lauris Lager ab.

Lias Gesicht war blutüberströmt und er war offenbar froh zu sitzen. Er musste höllische Schmerzen haben. Robin war ziemlich blass und fuhr Lias immer wieder nervös durch die Haare.

„Das kriegen wir schon hin, bestimmt!“ Lias nickte und trotz der Schmerzen rang er sich ein Grinsen ab.

Lauri rappelte sich mühsam etwas auf, um Lias Wunde genauer zu betrachten.

„Hey!“, murmelte er.

„Hey!“, kam als Antwort zurück.

„Lass die Augen zu!“, mahnte Lauri sofort, als Lias sich ihm zuwandte. Ein Striemen zog sich komplett über Lias linke Gesichtshälfte. Die Wunde begann auf der Stirn, zog sich durch das Augenlid bis auf die Wange. Der Rest waren nur oberflächliche Kratzer, aber dieser hier stellte schon eine wirklich ernsthafte Verletzung dar.

„Und? Sei ehrlich, wie schlimm ist es?“, fragte Lias.

Lauri begutachtete die Wunde vorsichtig. „Ich fürchte, auf dieser Seite wirst du das Augenlicht verlieren.“ Lias presste die Lippen aufeinander und nickte.

-Finn-

Als er zurückkam, waren auch Robin und Lias in der Hütte. Lauri und Lias unterhielten sich leise, aber Finn fiel sofort Robins angespannte Haltung auf.

„Was macht dein Bein?“

„Nicht mehr viel …“

„Läuft da was zwischen euch?“, platzte Robin plötzlich dazwischen. Alle Augen richteten sich auf ihn.

Lauri fragte nur ungläubig: „Was?“, während Lias sofort „Nein!“, geantwortet hatte, und Finn legte Robin beruhigend eine Hand auf den Arm. „Nicht jetzt, Robin!“

Er fand nicht, dass es der passende Zeitpunkt war, um darüber zu sprechen, auch wenn diese Ungewissheit auch an ihm nagte.

„Aber ich muss das wissen!“, erwiderte Robin an Finn gerichtet und blickte danach wieder Lauri und Lias an, die ihn entgeistert anstarrten. Lias hatte sich ein sauberes Tuch auf sein verletztes Auge gedrückt, um wenigsten das andere Auge öffnen zu können.

„Robin! Nein, natürlich nicht!“

Robins Blick verfinsterte sich.

„Warum lügst du?“

Lauri und Lias tauschten einen kurzen Blick, der auch Finn einen Stich versetzte. Als Lauri ihm danach traurig in die Augen sah, musste er den Blick abwenden. Er sah auf den Boden ehe er leise sagte: „Wir haben euch gesehen …“

„Finn! Bevor du was Falsches denkst, solltest du uns zuhören!“ Dieses „uns“ tat auch noch einmal weh. Aber Finn schluckte tapfer. Robin hatte selbst gesagt: Bestimmt gab es eine Erklärung dafür.

Robin hingegen sah aus, als wäre er Lauri am liebsten an die Gurgel gesprungen. Lias konnte ihn jedoch ebenfalls zurückhalten. „Ich … es war meine Schuld Robin! Aber bitte hör mir erst zu!“ Er hatte Robins Hand ergriffen und zog ihn zu sich auf das Lager.

„Colin. Er hat uns dazu gezwungen!“, setzte Lias an.

„Eine blödere Ausrede fällt dir nicht ein?“

„Das ist die Wahrheit! Sie hatten Marlon und sie drohten, ihm was anzutun, wenn wir nicht alles tun würden, was Colin von uns verlangte!“

Finn spürte, dass Lias die Wahrheit sagte. Da war nichts Falsches in seiner Stimme. Aber eines verstand er trotzdem nicht.

„Und warum wollte Colin ausgerechnet so was von euch? Warum nicht das Versteck oder irgendwelche nützlichen Informationen?“, meldete er sich leise zu Wort.

„Weil er ein sadistisches Schwein ist und genau wusste, wie sehr er uns alle damit verletzen würde!“, erwiderte Lauri ruhig. „Nachdem er wusste, dass wir für Marlons Leben nahezu alles tun würden, hatte er doch alle Zeit der Welt.“ Er griff nach Finns Hand und zog ihn nah an sich heran. „Du weißt, dass ich dich liebe!“ Finn nickte. Ja, das wusste er.

Robin saß wie ein Häufchen Elend neben Lias, der immer noch seine Hand umklammert hielt. „Glaub mir, wenn es einen Weg gegeben hätte … aber, er hat Marlon ein Messer an die Kehle gedrückt. Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie ihm etwas antun!“, flüsterte Lias. Robin nickte traurig. „Bitte sei mir nicht böse! Und sei auch nicht böse auf Lauri! Er kann am allerwenigsten dafür!“ Robin nickte erneut.

Finn fragte sich, ob Robin gerade dasselbe dachte wie er. Wie furchtbar das für Lias und Lauri gewesen sein musste. Und was für ein kranker Mensch Colin doch gewesen war. Gleichzeitig war er sich sicher, dass er an Lauris Stelle genauso gehandelt hätte. Trotz allem blieb ein mulmiges Gefühl übrig. Er hoffte, das würde bald vergehen.

„Habt ihr …?“ Er konnte die Frage gar nicht aussprechen, die Vorstellung jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Aber Lauri und Lias schienen ihn trotzdem verstanden zu haben. „Nein!“ Lias schüttelte energisch den Kopf und Lauri setzte hinzu: „Soweit hat Colin es dann doch nicht kommen lassen. Den Anblick konnte er wohl nicht ertragen.“

Auch Robin schien das etwas zu beruhigen. Er hatte sich wieder gefasst und als er Lias ins Gesicht sah, fiel ihm augenblicklich ein, warum sie eigentlich gerade hier waren. Er schien sich fast zu schämen wegen seines Ausbruchs vorhin.

„Was machen wir jetzt? Wie sollen wir eure Wunden versorgen?“

Lauri war schnell in seinem Element. „Säubere Lias Wunde vorsichtig und leg ihm einen Verband an. Sylvester müsste auch noch eine Salbe haben, die die Wundheilung fördert. Auf jeden Fall muss er das Auge geschlossen halten fürs Erste.“

Finn warf dem jungen Schmied ein aufmunterndes Lächeln zu. Natürlich gab es eine Erklärung.

„Ach ja und gebt ihm was Ordentliches zu trinken …“, fügte Lauri noch hinzu und ließ sich wieder zurückfallen. Müde schloss er die Augen und rieb sich mit der Hand die schweren Lider.

„Und was mache ich mit dir?“

Finn setzte sich neben seinen Freund auf den Rand des Schlaflagers.

„Ich brauche den Alkohol, saubere Tücher, heißes Wasser und eine kleine Zange wäre gut …“

„Ähm … du willst dich ja wohl nicht selbst behandeln?“

Lauri schlug die Augen wieder auf und Finn konnte an seinem Blick erkennen, dass er genau das vorgehabt hatte.

„Mach dich nicht lächerlich!“, schimpfte Finn, während er seinem Freund einen Becher mit hochprozentigem, selbst gebranntem Schnaps an die Lippen setzte. „Du sagst mir, was ich tun soll, und dann werde ich das machen.“

„Hmpf …“

Es war keine besonders leichte und erst recht keine schöne Arbeit. Lias saß an Lauris Kopf und fixierte seinen Oberkörper, während Robin Finn gegenübersaß und Lauris Bein hielt. Marianna, die sich ja bereits um Marlons Verletzungen gekümmert hatte, assistierte Finn. Er hatte sich von Lauri genau erklären lassen, was er tun sollte, bevor sie den jungen Mann ordentlich mit Alkohol abgefüllt hatten. Dennoch waren Lias und Robin nötig, um Lauri festzuhalten, der sich vor Schmerz immer wieder aufbäumte, bis er irgendwann doch in die Bewusstlosigkeit abglitt.

Finn hatte so gut es eben ging alle Knochensplitter aus der Wunde entfernt, diese gereinigt und schließlich das Bein verbunden und geschient, um es ruhig zu stellen.

 

Da Lauri in der nächsten Zeit wohl ohnehin nicht in der Lage sein würde , die Leiter zu ihrem Schlafplatz hinaufzuklettern, entschied Finn mit seinem Freund vorerst in Sylvesters Hütte zu bleiben.

Als sie schließlich allein waren, kuschelte er sich müde an Lauri und spielte in Gedanken mit dessen dunklen Locken.

Jetzt war es also vorbei. Colin und Genzo waren tot. Die Bande zerschlagen.

So viel Blutvergießen … wenigstens hatte das nun ein Ende.

„Finn?“

„Hey, du bist ja wach? Ich dachte, du schläfst noch?“

„Wollte auch nur Danke sagen …“

Lauri lallte noch etwas undeutlich. Finn grinste in sich hinein.

„Wofür denn?“

„Keine Ahnung … für alles …“

„Schon in Ordnung. Schlaf jetzt!“

„Mh … ok …“

 

 

Lauri stand vor Sylvesters Grab. Sie hatten ihn direkt neben Leander bestattet.

Er stützte sich auf Sylvesters alten Gehstock. Das Bein schmerzte ihn noch, aber er ließ es sich nicht anmerken. Finn wusste es trotzdem.

Langsam kam er näher und blieb neben Lauri stehen. Seine Augen folgten Lauris Blick.

„Er hat mich Leander genannt, kurz bevor er gestorben ist.“

„Er hat immer viel von deinem Vater in dir gesehen.“

„Aber wie mein Vater ist er für mich gestorben …“

Finn lehnte sich leicht an seinen Freund an.

„Weil er einer von vielen Menschen war, die dich lieben.“

Lauri schenkte ihm ein Lächeln. Gemeinsam wandten sie sich um und richteten den Blick nun auf das kleine Dorf.

Alles nahm wieder seinen gewohnten Gang. Die vielen Gesichter waren lediglich nicht mehr von Sorgen gezeichnet, sondern blickten alle in eine hoffentlich glücklichere Zukunft. Wenn auch die meisten von ihnen eine Narbe als mahnende Erinnerung zurückbehielten.

„Willst du noch weg von hier?“, fragte Lauri.

„Willst DU weg von hier?“, fragte Finn zurück.

Lauri schüttelte den Kopf.

„Nein. Das hier ist mein Zuhause.“

„Unser!“, berichtigte Finn und verschränkte seine Finger mit denen seines Freundes. „Unser Zuhause!“

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