zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Zuckersüß und zum Dahinschmelzen

Teil 3 - Winterrollen mit Erdnusssoße

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

„Guten Morgen“, begrüße ich den Grund meiner schlaflosen Nacht. Er seufzt nur genervt und fährt sich durchs Gesicht.

„Was soll an dem Morgen gut sein? Es ist quasi noch Nacht und verdammt kalt. Du verdammtes Fashionvictim läufst ja selbst bei Minusgraden mit diesen durchlöcherten Jeans herum“, grummelt er und deutet auf meine Beine, wobei sein Blick wieder einen Moment dort verharrt. Was hat er nur?

„Ist ja gut, Opa.“

„Wen nennst du hier Opa? Du bist garantiert ein paar Minuten älter als ich“, protestiert er und zeigt sich von der üblich kühlen Seite.

Ich lege meinen Arm um seine Schultern und führe ihn auf den Marktplatz, der überraschend wenig besucht ist zu der Uhrzeit. Gut, noch ist es dunkel und die meisten werden erst gegen sieben oder acht Uhr ihrem Bedürfnis nach gesunden, frischen Zutaten und damit dem gesünderen Leben nachkommen.

„Hast du Karins Liste?“, frage ich ihn, als wir vor dem besagten Stand mit den handgemachten Dips stehen.

„Ich brauche keine Liste“, murmelt er vor sich her und wendet sich an den älteren Herrn mit dem grauen Bart. Er bestellt eine ganze Menge und als ihm der Preis genannt wird, verschränkt er die Arme vor der Brust.

„Zwanzig Euro?“, fragt er den älteren Herrn, der plötzlich die Augenbrauen nach oben zieht und grinst.

„Gut, neunzehn“, antwortet der Alte.

„Sechzehn fünfzig. Letztes Angebot“, bietet Fin mit einer unfassbaren Selbstsicherheit in der Stimme. Er würde wohl wirklich gehen, wenn der Mann nicht seinem Preisvorschlag entgegenkommt. Kurz überlegt der Alte.

„Ist gut. Du bist hartnäckig, Junge.“

„Danke. Das weiß ich.“

Jetzt wird mir etwas klar. Dieses Selbstbewusstsein ist es, was mich so sehr an ihm beeindruckt. Sich seiner Selbst bewusst sein. Ich bin das absolute Gegenteil von ihm. In wirklich jeder Hinsicht.

„Hältst du das mal?“

Fin reicht mir die schwere Tüte. Ich muss ihn einfach anstarren. Er sieht so süß aus, so verkatert und griesgrämig wie er ist, und vor allem mit dieser schwarzen Jacke und dem dicken, grauen Schal. Die Haare sind ein bisschen zerzaust. Wahnsinn. Ich sehe mit zerzausten Haaren garantiert nicht so gut aus.

„Was? Hab ich was im Gesicht?“, werde ich von dem grimmigen Schönling gefragt.

„Nein ... alles perfekt.“

„Halt die Klappe.“

„Ich dich auch“, himmle ich ihn ein bisschen an und folge ihm wie ein braves Hündchen über den Markt. Als wir vor dem Gemüsestand stehen, verliere ich mich ein bisschen in dem Anblick, den er bietet, als er sich eine Mandarine schnappt und mit geschlossenen Augen daran schnuppert.

„Kannst du aufhören mich anzustarren? Das nervt“, motzt er leise, ohne die Augen zu öffnen. Wie kann er das mitbekommen haben?

„Tut mir leid. Sag mal, kannst du mir vielleicht auch einen guten Preis aushandeln?“

Als er zu mir sieht, versuche ich mich wirklich daran, einen Hundeblick aufzusetzen.

„Lass das. Das steht dir nicht.“

„Okay, also? Machst du's?“

„Meinetwegen. Gib mir die Liste.“

Ich reiche sie ihm.

„Hallo? Ich habe hier eine Großbestellung“, kündigt er der jungen Frau im gestrickten Pullover und Weste an. Sie wendet sich an ihn, doch ihr Blick wandert immer wieder zu mir. Erst als er aufhört zu sprechen, wird sie wieder auf ihn aufmerksam.

„Ich weiß, wie schön er ist, aber jetzt bin ich dran, okay?“

„Ja natürlich! Entschuldige bitte“, korrigiert sie sich mit hochrotem Kopf.

Alleine schon für die anfänglichen Kommunikationsprobleme hatte er wohl einen Rabatt bekommen. Er drückt mir die beiden Tüten in die Hand.

„Bitte sehr.“

„Danke. Im Übrigen finde ich dich auch sehr schön“, meine ich und muss ziemlich dämlich dabei aussehen.

„Prima. Also? Haben wir alles, oder brauchst du noch was?“

„Du glaubst mir immer noch nicht, oder?“

Er seufzt wieder genervt.

„Ich hab dir doch mal gesagt, dass dein Vorgänger zu viel gequatscht hat, oder?“

„Ja ... tut mir leid. Ich bin wohl noch betrunken von gestern, entschuldige ich mich.“

„Das bin ich auch und ich belasse diese Unterhaltung zwischen uns dennoch bei dem Nötigsten. Wir reden über Themen, welche die Arbeit betreffen. Nicht mehr.“

Ich nicke zustimmend. Er hat absolut recht. Was ist nur los mit mir? Ich verhalte mich wirklich komisch. Für einen Moment habe ich wohl vergessen, dass ich ... na ja, ich bin. Gut. Da ist es wieder. Ohne diese Winzigkeit an Selbsthass bin ich also ein sehr aufgedrehter und geschwätziger Mensch. Die Euphorie verschwindet wieder. Ist wohl auch besser so.

„Hey ... das ... war doof. Tut mir leid, ich bin nicht so gut drauf“, entschuldigt er sich plötzlich.

„Nein. Passt schon. Ich denke, es ist gut, wenn du mich ein bisschen in die Schranken weist. Ich müsste noch schnell zum Asia-Markt.“

Er nickt und scheint irgendwas in meinem Blick zu suchen oder zu erwarten.

Im Restaurant angekommen, schnappe ich mir meine Cap und setze sie auf, um mich gleich an die Arbeit zu machen. Die letzten Minuten hatte ich kein Wort herausbekommen. Ich merke, wie sehr ich es verfluche, so gut gelaunt gewesen zu sein. Es war besser, als ich noch konstant die eine, gleichgültige Laune hatte.

Ich bin gerade dabei, die Zutaten zu präparieren, als er auf einmal die Hand auf meine legt, welche den Griff des Messers umfasst.

„Mach mal langsam. Du machst mich ganz nervös.“

Ich nicke nur und atme kurz durch.

„Hallo? Redest du jetzt nicht mehr mit mir?“, hakt er nach.

„Doch ... aber jetzt gibt es nichts zu sagen, oder?“

„Bist du eingeschnappt?“

„Nein. Alles okay.“

Ich hasse es nur, dass ich mir eingebildet habe, glücklich zu sein.

„Ich muss das fertig machen“, meine ich knapp, woraufhin er von mir ablässt und sich wieder seiner Arbeit widmet.

„Wieso ist es so kühl hier drin? Ach so, das liegt an euch beiden Kühlschränken“, höre ich Karin vom Pass sagen. Sie grinst uns frech an.

„Was willst du?“, fragt Fin seine Schwester.

„Na ja, ich habe eine gute und eine ziemlich schlechte Nachricht für euch. Erst die gute. Alex kommt später vorbei. Die schlechte ist, dass er mit seinen Arbeitskollegen zum Essen kommt. Das heißt, auch mit Evan, von dem ich euch im Übrigen einen schönen Gruß ausrichten soll. Besonders dir, Feli.“

Sie zückt ihr Handy.

„Hier, ich soll dir sagen, dass du, deine Bauchmuskeln und dein Bizeps heute einen Ausflug ins Casa de Evan machen. Und dann irgendwas Französisches, das garantiert was sehr Anstößiges ist.“

Sie zeigt mir die Nachricht und ich räuspere mich kurz, als ich die doch sehr eindeutigen Zeilen lese.

„Oh, sehr detailliert beschrieben“, kommentiere ich das Ganze mit leichter Angst in der Stimme.

„Er steht echt auf dich und ich glaube, dass er nicht nachgibt, bis du ... na ja ... du weißt schon.“

„Kann es sein, dass du ein bisschen auf die Vorstellung abfährst?“, will Fin von seiner Schwester wissen und wirkt richtig genervt.

„Ja und ich schäme mich so dafür, aber ...“

Sie fächert sich mit der Hand Luft zu.

„... stell dir das doch mal vor.“

„Eh ... das ist mir jetzt irgendwie unangenehm“, gebe ich zu.

„Ach, sei nicht so verklemmt. Ich fantasiere nur ein bisschen. Ich kann den Dialog zwischen euch schon in meinem Kopf hören. Der erfahrene Evan und der unschuldige Feli ...“

„Karin ... warte mal!“

Sie hört das schon gar nicht mehr, so schnell ist sie auch schon wieder verschwunden.

„Sie scherzt doch, oder?“, frage ich Fin, der sich einfach von mir wegdreht.

„Was weiß ich?“

„Okay ... sorry. Das war nicht arbeitsbezogen“, korrigiere ich mich und mache mich wieder an die Arbeit.

Die Winterrollen mit Erdnusssoße kommen richtig gut an, wie mir von Karin berichtet wird und was mir auch die häufigen Bestellungen beweisen.

Ich traue mich kaum, zu Fin zu sehen. Der wirkt richtig angespannt. Erst als er völlig vertieft einer Bestellung nachkommt, die ihm sogar kurz dieses hübsche Lächeln ins Gesicht zaubert, beobachte ich ihn ein wenig länger. Gegrillte Ananas begleitet von einer süßen Kokosnuss-Mousse. Die Liebe, die in diesen köstlichen Häppchen steckt, macht mich wieder so unfassbar glücklich ... und hungrig.

„Sieht gut aus“, merke ich leise an.

Er sieht zu mir.

„Schmeckt auch richtig gut.“

„Bestimmt.“

Konversation beendet.

Ich komme gerade von der Pause zurück, als er sich vor mir aufbaut.

„Was ist? Hab ich wieder vergessen, die Tür zuzumachen?“

Ich drehe mich unsicher um, doch das ist es wohl nicht.

„Hier.“

Er zaubert dieses köstliche Ananas-Dessert hinterm Rücken hervor.

„Ist das ... für mich?“

„Nein, ich halte es dir vor die Nase und esse es selbst.“

Sein Sarkasmus ist deutlich hörbar.

„Danke.“

Als ich es nehme, erkenne ich einen kleinen Schriftzug aus Schokolade neben dem goldenen Türmchen. Ein in echt schöner Schrift geschriebenes „Sorry“.

Ich freue mich ein bisschen zu sehr darüber, bin fast schon berührt von dieser Geste.

„Passt schon. Du hast ja nichts gemacht“, meine ich und merke wieder, wie das Kribbeln aufkommt.

„Doch. Du bist nett zu mir und ich werfe dir nur fiese Sprüche an den Kopf. Und jetzt sei still und genieße es.“

Er ist echt der Wahnsinn. Wie kann man sich innerhalb einer Aussage nur so widersprechen und dabei so niedlich sein?

„Danke. Teilen wir uns das?“

„Nein und jetzt geh endlich, bevor ich es mir anders überlege.“

Ich nicke und setze mich wieder nach draußen auf den kleinen Stuhl. Als ich einen Bissen nehme, zergeht die Ananas schon auf der Zunge. Fruchtig und süß. So wie ich es einfach liebe. Liebe?

Etwas später höre ich die Türe schon schwunghaft aufgehen und wenige Sekunden später die Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

„Wo ist er?“, ruft die Stimme. Ich lasse alles liegen und stehen und verschwinde im kleinen Kühlraum.

„Vergiss es. Er wird dich finden“, höre ich Fin sagen. Hört sich an, als würde seine Aussage von einem kleinen Schmunzeln begleitet. Fins Lächeln muss ich sehen!

Gerade, als ich die Tür wieder öffne, blicke ich leider nicht in die grünen Augen, sondern in die fiesen grauen Augen, vor denen ich eigentlich flüchten wollte.

„Da bist du ja, schöner Mann.“

„Oh, hallo. Ich bin gerade total beschäftigt ...“

Evan grinst nur und drängt mich ins Kühlhaus zurück. Hinter sich drückt er den Hebel nach unten.

„Du wirst gleich damit beschäftigt sein, mit mir gegen alle erdenklichen Hygienevorschriften zu verstoßen. Verdammt ... du siehst noch besser aus in dieser Kochaufmachung. Du kannst das anlassen.“

„Evan ... warte bitte kurz ...“

„Ev? Lass das und komm raus.“

Alex! Ich war noch nie so froh, seine Stimme zu hören.

„Gleich. Darf man dem Koch nicht mal in Ruhe einen bla...“

„Raus mit dir!“

Alex öffnet energisch die Tür und lächelt mir etwas mitleidig zu, bevor er seinen besten Freund nach draußen bittet.

„Na gut, aber später geht es zur Sache. Ich hab so unfassbar Lust auf dich. Ich schwöre dir, dass du die Nacht nicht vergessen wirst.“

„Ev, komm jetzt.“

Alex drängt ihn aus dem Kühlraum und wendet sich nochmal an mich.

„Er hat einen ziemlich langandauernden Prozess gewonnen. Da ist er immer ein bisschen ...“

„Geil! Sag es ruhig, wie es ist.“

Evan wirft mir einen Luftkuss zu, bevor Alex ihn aus der Küche schiebt.

Ich atme tief durch und lehne mich an die Küchenzeile.

„Wie hast du es mit ihm ausgehalten?“, frage ich Fin, der mich unbeeindruckt ansieht.

„Keine Ahnung. Damals hat er noch nicht so viele große Fälle gewonnen“, scherzt er, ohne wirklich eine Miene zu verziehen.

„Wart ihr eigentlich ... ein richtiges Paar?“

Ich bin wirklich neugierig. So wirklich kann ich mir das einfach nicht vorstellen.

„Du stellst vielleicht Fragen. Wieso willst du das wissen?“

„Nur so.“

„Okay, wenn du dann aufhörst, Fragen zu stellen, sage ich es dir.“

„Abgemacht.“

„Wir waren ein Paar. Drei Jahre, um genau zu sein.“

„Was? Das ist doch ein Scherz, oder?“

„Du wolltest doch keine Fragen mehr stellen.“

„Nur noch eine! Wieso? Wieso er und wieso so lange?“

„Das sind zwei Fragen.“

„Bitte.“

„Ich weiß nicht, wieso er. Weil er irgendwie gut aussieht und Geld hat, vielleicht?“

Ich mustere ihn.

„Du bist nicht der Typ, der auf solche Dinge aus ist.“

„Doch. Ich mag schöne Menschen. Das tut doch jeder, oder nicht?“

„Ja. Ich mag schöne Menschen auch.“

Als ich das sage, wird mir ganz anders und richtig warm ums Herz.

„Aber ich finde, dass so ein Schönheitsideal ganz individuell sein kann“, ergänze ich noch.

„Natürlich, du Trottel.“

Trottel nennt er mich. Na immerhin ist da wieder dieses leichte Lächeln.

Fin hilft mir, die Bestellungen für die kleine Gruppe fertig zu machen, was mir richtig Spaß macht. Mit ihm kann man echt gut arbeiten. Er begreift sehr schnell und hat auch das nötige Wissen und Können, um mir perfekt zuzuarbeiten.

„Könnt ihr mir helfen mit dem Servieren? Da sitzt eine ganze Meute von hungrigen Anwälten. Einer glotzt mir jetzt schon nur auf die Brüste“, jammert Karin.

„Alex ist dein Freund und darf das“, entgegnet Fin und bedeutet mir mit einer kurzen Kopfbewegung, ihrer Bitte nachzukommen.

Mir ist nicht ganz wohl dabei, als ich an den Tisch komme.

„Da! Das ist er. Ein echter Hingucker, oder?“, präsentiert mich Evan vor den anderen Anzug- und Kostümträgern und -Trägerinnen. Ich komme mir vor wie ein Stück Wagyu-Fleisch auf dem liebsten Servierteller meines Vaters.

„Du hast Recht. Leihst du ihn mir für meinen Karibikurlaub aus?“, wird Evan von einer Brünetten mittleren Alters mit sehr operiertem Gesicht gefragt.

„Verdammt, du siehst in Badehosen bestimmt so richtig sexy aus.“

Es ist mir wirklich unangenehm, als Evan mir einfach an den Hintern fasst. Jetzt weiß ich, wie sich so manche Kellnerin gefühlt haben muss. Nie wieder würde ich deren Beschwerden runterspielen. Sexualisiert zu werden ist echt mies.

„Finger weg vom Koch. Ich hab Hunger!“, schimpft Alex und nimmt Evans Hand zum Glück von meinem Hintern.

„Außerdem sollte man nicht die Person verärgern, die einem das Essen serviert“, höre ich Fin hinter mir sagen und seinem aufdringlichem Ex einen Teller vor die Nase stellen.

„Wie unprofessionell, Dickerchen. Du brauchst nicht eifersüchtig sein. Ich denke nicht, dass wir uns in irgendeiner Art und Weise in die Quere kommen.“

Evan deutet auf Fins Körper und zum ersten Mal kommt da kein Konter. Nur ein genervtes Seufzen und ein schneller Abgang. Ich folge ihm in die Küche und bekomme nur halbwegs mit, wie Alex Evan erneut zurechtweist und die anderen am Tisch sich köstlich darüber amüsieren.

„Hey ... Er ist ein echtes Arsch.“

Ich greife nach Fins Hand, doch er entreißt sie mir sofort.

„Lass gut sein. Mich interessieren seine bescheuerten Kommentare schon lange nicht mehr.“

„Ich will nur, dass du weißt, dass ich es gut finde ...“

„Hör endlich auf damit, Feli. Ich hab kapiert, dass du ein verdammter Gutmensch bist, aber dieser Dicke braucht dein Mitleid nicht. Ich bin zufrieden mit mir und zwar so, wie ich jetzt in diesem Moment bin. Dein Zuspruch ist also völlig unnötig.“

„Das will ich dir doch auch die ganze Zeit sagen. Hör mir doch mal zu.“

„Hä?“

„Darf ich mal ganz ehrlich sein? Ich will nicht nur über die Arbeit sprechen, wenn ich mit dir zusammen bin, und es ist mir richtig egal, ob du das jetzt willst oder nicht, aber ich umarme dich jetzt.“

Gesagt, getan. Erst versucht er, sich noch dagegen zu wehren, doch dann gibt er nach. Ich genieße es in vollen Zügen und glaube zu spüren, dass nicht nur mein Herz heftig zu schlagen beginnt.

Irgendwie begreife ich es nicht. Es lässt sich einfach nicht logisch erklären.

„Aw, ihr seid so süß!“, quietscht es vom Pass.

Schnell drückt Fin sich wieder von mir.

„Musst du nicht irgendwelche Anwälte bedienen?“, brummt er gereizt seiner Schwester entgegen und macht sich wieder an die Arbeit.

Die Zeit vergeht wie im Flug und zum ersten Mal bedauere ich es, Feierabend zu haben. Ich arbeite gerne mit ihm zusammen. Das alles fühlt sich so gut an.

Wir sind gerade dabei aufzuräumen, als ich beschließe, das Ganze etwas spaßiger zu gestalten. Natürlich weiß ich auch schon wie. Ich schließe mein Handy an die kleine Musikbox an und lasse Don Henley den Song „The Boys Of Summer“ zum Besten geben. Dieses Lied macht es mir unmöglich, die Füße stillzuhalten.

„Was wird das denn jetzt?“, werde ich gefragt, und ohne mich umzudrehen, imitiere ich den einzigartigen Hüftschwung von Onkel David. Ich sollte ihn sowieso mal wieder anrufen. Er ist so ziemlich der coolste Typ meiner Familie und der einzige, der nicht unter dem Fluch der Kaltherzigkeit leidet. Tanzend drehe ich mich um und merke, wie viel Spaß dabei aufkommt, für einen Moment so frei zu sein, wie David es immer auf Familienfeiern ist. Es hat ihn nie interessiert, was andere von ihm hielten, zog einfach sein Ding durch, was leider zur Folge hatte, dass man ihn von Familienfesten auslud. Er war ihnen allen einfach ein bisschen zu aktiv. Außerdem waren sich alle ziemlich sicher, dass seine hübschen Begleitungen allesamt Frauen waren, die für ihn in seiner Bar arbeiteten.

„Himmel du spinnst doch“, höre ich Fin sagen, als ich anfange, neben ihm zu tanzen. Lange dauert es nicht, bis Karin hereinkommt, die Musik noch mehr aufdreht und sich meinem seltsam authentischen 80er-Jahre-Tanzstil anschließt. So wie Karin sich bewegt, erinnert sie mich wirklich ein bisschen an Onkel David. Nicht optisch, aber es ist diese lustige, freie Art, sich zu bewegen. Aus der süßen Karin wird eine völlig übertrieben dargestellte Taylor Dayne. Ich muss darüber richtig lachen.

„Komm schon, Süßer! Tanz mit mir!“, fordert sie mich auf, was ich vor Lachen nur noch verneinen kann. Sie fängt an, aus tiefster Seele und in unglaublich schiefen Tönen zu singen. Mein Blick wandert zu Fin, der sich ähnlich darüber zu amüsieren scheint. Wie süß er aussieht, als er sich vor Fremdscham an die Stirn fasst.

Wir sind gezwungen, uns noch zu der Truppe Anwälten zu gesellen. Zumindest Karin und meine Wenigkeit, denn Fin ist wohl ganz zufrieden damit, für die Getränke zuständig zu sein. Immer wieder sehe ich zu ihm und verfalle in diese leichte Schwärmerei. Es funktioniert wirklich wie auf Knopfdruck. Ein einziger Blick in seine Richtung genügt, um mich wieder gut fühlen zu lassen. Dank Alex sitze ich auch weit genug von Evan entfernt, sodass der meine gute Laune nicht verderben kann.

„... Feli?“

Ich wende mich schnell an Alex, der mich fragend ansieht.

„Was?“

„Ich habe dich gefragt, was du nächsten Freitag machst“, wiederholt er sich.

„Oh je ... ich schätze, dass ich arbeite, wieso?“

„Passt doch gut. Nach der Arbeit veranstalten Karin und ich eine kleine Party unter Freunden. Du musst unbedingt kommen.“

„Alex hat recht, Süßer. Du musst einfach da sein. Finni ist ja auch dabei, also dürfte es für dich nicht langweilig werden.“

Karin zwinkert mir wissend zu. Gut, ich verhalte mich diesbezüglich nicht gerade unauffällig. Dass ich den wechsel-launigen Griesgram mag, habe ich nicht gerade gut verbergen können.

„Ja ... gerne“, antworte ich.

„Super. Ich verspreche dir auch, Ev ein bisschen in Schach zu halten“, versichert Alex, als er den kräftigen Arm um mich legt und mir ein Schnapsglas vor die Nase hält, das ich dankend annehme und mit ihm anstoße, während wir von Evan mit misstrauischen Blick beäugt werden.

Ich merke schon wieder, wie mir der Alkohol in den Kopf steigt. Mit Alex mitzuhalten ist auch echt schwer, wobei ich vermute, dass die Trunkenheit bei ihm einfach sehr viel später einsetzt und wenn, dann auch sehr plötzlich. Noch scheint es ihm ziemlich gut zu gehen, so wie er sich mit seinem besten Freund amüsiert, welcher natürlich die letzte Stunde immer näher an uns herangerückt ist. Die beiden schwelgen gerade in Erinnerungen, als Alex ankündigt, zur Toilette zu gehen, und aufsteht. Die Chance ergreift Evan natürlich und sitzt abrupt neben mir mit einem lüsternen Grinsen.

„Also was ist jetzt? Kommst du mit mir mit?“

„Evan ... hör mal, das ... nein. Ich denke nicht“, stammle ich nervös vor mich her.

„Hey! Da bin ich zwei Minuten weg und du schmeißt dich schon wieder an Feli ran!“, schimpft Alex mit einem leichten Lachen in der Stimme und schiebt Evan einfach weg.

„Mann, du bist so ein Spielverderber, Alex.“

„Und du bist ein notgeiler Knilch. Ab mit dir!“, befiehlt der freundliche Russe.

„Ist ja gut.“

Wie schafft es Alex, diesen schamlosen Typen so im Griff zu haben? Sie sind beste Freunde. Da könnte das ganz normal sein. Ich verstehe davon nicht viel. Für Freunde hatte ich genauso wenig Zeit wie für die Liebe. Sozial bin ich wirklich völlig verkümmert.

„Hast du gerade eine Eingebung?“, will Alex von mir wissen und wuschelt mir durchs Haar wie einem kleinen Jungen.

„So in etwa“, gebe ich zu.

„Gehen wir kurz vor die Tür?“

Ich nicke zustimmend, als er die Zigarettenschachtel zückt.

Wir gehen an der Bar und damit an Fin vorbei, der mir ein zuckersüßes Lächeln zuwirft. Zumindest hoffe ich, dass es an mich gerichtet ist und nicht an Alex.

Durch die Küche, setzen wir uns auf die alten Plastikstühle auf dem Hinterhof. Er reicht mir die Zigarettenschachtel. Ich rauche eigentlich nicht, aber irgendwie ist mir jetzt danach.

„Danke“, meine ich, als ich mir das Feuerzeug geben lasse.

„Himmel, tut das gut ..“, seufzt er überglücklich nach dem ersten Zug.

„Wie lange verzichtest du schon auf das rauchbare Glück?“, fragt er.

„Ich habe nie geraucht. Nur ab und zu ist mir danach.“

„Glückspilz. Ich habe echt viel geraucht, bis ich Karin kennengelernt habe. Das war meine Art, mich selbst zu belohnen. Diese kleine, blonde Schönheit hat problemlos dafür gesorgt, dass ich aufhören und die Glimmstängel durch ihre pure Anwesenheit ersetzten konnte.“

„Ihr passt echt gut zusammen.“

„Total, und dabei war ich echt der Meinung, alleine sterben zu müssen.“

„Wieso das denn?“

„Na ja, da gibt es viele Gründe, aber ich jammere dich jetzt nicht mit längst vergangenen Minderwertigkeitskomplexen voll. Ich wollte gar nicht von mir sprechen, sondern von dir.“

Ich sehe ihn gespannt an.

„Lass hören.“

„Fin und du ... was läuft da?“

Er zieht die Augenbrauen interessiert nach oben.

„Nichts ... also ... ich weiß nicht. Das kann ich so nicht sagen. Ich verstehe es ja selbst nicht richtig.“

„Du bist in ihn verliebt und das sieht man dir richtig an. Glaub mir, ich kenne den Blick und ich weiß am besten, was diese grünen Augen mit einem machen können“, schwärmt er und spricht dabei hoffentlich von der Augenfarbe als Gemeinsamkeit der Zwillinge und nicht explizit von Fins.

„Kann ich nicht verneinen.“

„Du hattest aber noch nie was mit einem anderen Typen, oder?“

Ich schüttle den Kopf.

„Du stehst auch eigentlich nicht auf Männer.“

„Das weiß ich nicht. Bisher war es einfach noch nicht so richtig Thema.“

Er nickt mit verständnisvollem Lächeln und zieht an der Zigarette.

„Halte dich ran. Ich glaube, dass du Fin richtig gut tust. Er hat schon lange nicht mehr so ausgeglichen gewirkt wie jetzt.“

Ausgeglichen? Ich würde die wechselnden Launen nicht gerade als „ausgeglichen“ bezeichnen.

„Ich weiß, was du jetzt denkst, aber er war vorher echt emotional abgestumpft. Das war richtig gruselig und wir vermuteten schon den Beginn einer tiefen Depression“, scherzt er, wobei er doch etwas besorgt dabei aussieht.

„Hm, er tut mir auch gut. Ich bin echt gerne in seiner Nähe“, erzähle ich und merke selbst, wie ich dabei zu grinsen beginne.

„Das ist echt süß. Du bist echt schwer in Ordnung, mein kanadischer Freund.“

Diese Aussage macht mich glücklich. Ich habe das Gefühl, dass es mir hier sehr gut gehen wird.

Lesemodus deaktivieren (?)