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Kids in America

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Inhaltsverzeichnis

1. - Summer moved on

Hey, Kid, where are you?
Nobody tells you what to do ....
(REM, »Drive«, 1991)

Ich sah auf die Uhr und gähnte. Kurz vor halb vier. Und es war absolut nichts los. Ich hatte die Nachmittagsschicht in unserem Jugendcafé übernommen, hier trafen sich regelmäßig die Jungs aus der schwulen Jugendgruppe in unserer Stadt.

Der Job war nicht der Hit, aber man kam ganz gut mit den Jungs in Kontakt, und es hatten sich schon ein paar nette Freundschaften daraus entwickelt. Nur »der eine« war bisher noch nicht dabei gewesen ... das wurmte mich am meisten. Ich war regelmäßig bei den Treffs dabei, gehörte hier fast mit zum Inventar und kannte natürlich fast alle. Und manchmal tat es mir weh zu sehen, wie die Jungs miteinander umgingen. Es gab kaum eine Woche, in der sich nicht wieder ein paar neue Pärchen gebildet hatten. Das ganze hielt ein paar Tage, meist landeten sie zusammen im Bett, und das war's dann auch schon wieder.

Ein paar von den Jungs beteiligten sich nicht an dieser schon fast regelmäßigen Rotation. Einer von ihnen war Joshua. Er war unauffällig, still und er wurde selten angesprochen. Eigentlich verwunderlich, denn er sah ziemlich gut aus - genau das, worauf die meisten abfuhren: knapp einsfünfundachtzig, dunkelbraune Haare und ein paar Augen im Kopf, in denen man versinken konnte. Normalerweise mochte ich Jungs mit blauen Augen lieber (vielleicht, weil ich selbst welche habe), aber ich hatte noch nie einen Jungen mit schöneren braunen Augen gesehen als Joshua.

Man sollte eigentlich meinen, dass so ein süßer Boy schon vergeben war, aber das war er seltsamerweise nicht. Er war fast jedes Mal bei den Treffs der Gruppe da, wurde aber von den meisten gar nicht zur Kenntnis genommen und sagte auch selten etwas. Hin und wieder versuchte einer von den Jungs, die neu hinzukamen, bei ihm zu landen, aber ich hatte es noch nie erlebt, dass damit einmal jemand Erfolg gehabt hätte.

Es gingen die Gerüchte um, dass Joshua einen Freund hätte, aber ich hatte ihn ein paar Mal in der Stadt gesehen, und er war immer allein. Einige behaupteten sogar, er wäre in Wirklichkeit hetero, und das wusste er. Aber wenn er hörte, dass jemand mal wieder diese Vermutung anstellte, lächelte er nur ... und sagte gar nichts dazu.

Vielleicht war es dieses Geheimnisvolle, das ihn umgab, was für mich den Reiz an der Sache ausmachte. Und ich hatte mir fest vorgenommen, in nächster Zeit mal ein Gespräch mit ihm zu beginnen, einfach so auf gut Glück. Er hatte mir bisher jedes Mal, wenn wir uns gesehen hatten, länger in die Augen gesehen als üblich. Vielleicht interpretierte ich da etwas hinein, was es gar nicht gab, aber ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Die Tür ging auf, und vier Jungs aus der Gruppe kamen herein. »Hi, Kevin, auch schon da?«, fragte Mike. Er war der Älteste der vier und hatte quasi den Status als Leiter der Jugendgruppe. Er war 22 und seit fünf Jahren mit dabei.

Ich grinste. »Na klar doch, einer muss ja dafür sorgen, dass ihr hier nicht auf dem Trockenen sitzt. Tonic kommt sofort.« Das war eine Angewohnheit von Mike, die ich ziemlich schnell bemerkt hatte - Mike trank immer Tonic Water, und immer ohne Gin. Ich hatte es bei ihm noch nie erlebt, dass er Alkohol getrunken hatte. Dafür rauchte er meistens eine Zigarette nach der anderen. Jeder hatte eben so seine Laster.

Nach und nach erschien auch der Rest der Gruppe, zwei neue kamen dazu, und natürlich war auch Joshua dabei. Meistens verteilten sich die Jungs recht locker über das ganze Café - okay, so groß war der Laden nicht - und einige setzten sich zu mir an den Tresen. Diesmal war Joshua mit dabei. Auch er bestellte dasselbe wie immer - Ginger Ale mit Eis. Und ich trank wie immer meinen Kaffee ... nur mit einem Würfel Zucker, ohne Milch.

Der Nachmittag ging recht schnell vorbei ... es wurden einige allgemeine Dinge besprochen, die beiden neuen Gruppenmitglieder - Tom und Colin - stellten sich vor und erzählten ihre Geschichten. Colin machte einen recht sympathischen Eindruck, er schien gut in die Gruppe zu passen. Tom ebenfalls, aber auf andere Art und Weise - von meinem Platz hinter dem Tresen aus konnte ich sehr gut sehen, dass er einige Jungs beinahe mit den Augen auszog, darunter auch Joshua. Der bemerkte es ebenfalls, reagierte aber überhaupt nicht darauf.

Ich beugte mich ein wenig in Joshs Richtung. »Sieht so aus, als hätte Tom Gefallen an dir gefunden.«, sagte ich, leicht grinsend. Joshua nickte. »Kann angehen, aber offensichtlich nicht nur an mir.« Er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung von Patrick, einen anderen Boy aus der Gruppe. Die beiden flirteten heftigst mit den Augen. Da Patrick sich gerade von Mike getrennt hatte, war er also wieder zu haben.

»Ich frag' mich manchmal, warum die Jungs das immer wieder mitmachen ... einige haben doch wirklich jede Woche einen anderen Lover, und bei manchen frag' ich mich, ob sie es überhaupt noch wissen, wenn sie nach ein paar Monaten wieder mal zusammen im Bett landen, dass es nicht das erste Mal mit demjenigen ist.«, sagte ich nachdenklich, während ich ein Glas abtrocknete. Joshua winkte ab. »Lass’ sie ... sie wollen sich die Hörner abstoßen.«

Da die eigentliche Sitzung mittlerweile vorbei war und das obligatorische Gerede - und die Neuverteilung der Pärchen, man möge mir den Sarkasmus verzeihen - anfing, konnten wir etwas ungezwungener miteinander reden. »Und was ist mit dir?«, fragte ich Joshua. »Ich warte noch auf den richtigen.«, sagte er und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Aber ich hab' noch nie gesehen, dass du hier mit irgendjemandem auch nur geflirtet hättest?«, hakte ich nach.

Joshua drehte sich ganz zu mir um und sah mir in die Augen. Schon wieder war ich fasziniert von ihm. »Tja ... ich überlasse gern anderen den ersten Schritt, und wenn mir derjenige sympathisch ist, gehe ich darauf ein.« Das machte Sinn. Dadurch, dass er sich meist zurückhielt, erlebte er die anderen ziemlich natürlich und lernte sie so recht gut kennen.

Ich stellte das abgetrocknete Glas weg und nahm mir ein neues. »Aber du weißt, dass du hier praktisch jeden haben könntest, oder?«, fragte ich ihn. »Na ja ... übertreib' nicht, ein paar vielleicht, aber nicht alle. Außerdem suche ich nichts für eine Nacht, sondern jemanden für eine feste Beziehung.« Langsam wurde er ja richtig gesprächig ... das konnte noch interessant werden.

»Hattest du schon mal eine Beziehung?«, fragte ich weiter. Er ließ sich Zeit mit der Antwort, doch schließlich sagte er: »Ja ... da war mal was, aber das hat nicht lange gehalten.« Ich wartete darauf, dass er weiterredete, statt dessen hielt er mir nur sein Glas hin. »Schenkst du noch mal nach, bitte?« Ich nahm das Glas und tat, worum er mich gebeten hatte.

Ich überlegte, ob ich ihn weiter danach fragen sollte, entschied mich aber zunächst dagegen. Schließlich kannten wir uns noch nicht gut genug, und so neugierig ich auch war, ich wollte ihn nicht gleich bei unserem ersten richtigen Gespräch ausquetschen. Ich wartete einen Moment ab, ob er noch etwas sagen wollte, aber das war offensichtlich nicht der Fall.

Da ich mit meinen Gläsern fertig war - sorry, dass ich das so oft erwähne, aber das gehört nun mal zum Job - zündete ich mir eine Zigarette an und hielt Joshua die Schachtel hin. Er zögerte einen Moment. »Du brauchst nicht extra meinetwegen eine zu nehmen, wenn du sonst nicht rauchst, ist das auch okay.« Er grinste schüchtern - und gefiel mir gleich noch besser. »Ich versuch' gerade, weniger zu rauchen.« Ich nickte. »Ja, sollte ich vielleicht auch tun.«

Irgendwie wurde mir Joshua immer sympathischer. Sein Verhalten gerade eben hatte mir gezeigt, dass er sich nicht von Gruppenzwängen unterkriegen ließ oder nur aus Höflichkeit eine Zigarette annahm. Wir unterhielten uns noch ein bisschen über allgemeine Dinge, und schließlich löste sich der Rest der Gruppe auf - es war Samstagabend, und viele wollten noch auf Feten oder in die Disco. Ich hatte nichts vor, sondern würde den Abend wahrscheinlich damit verbringen, E-Mails zu schreiben und mal wieder ein paar Spiele zu spielen - dazu kam ich in letzter Zeit sowieso viel zu selten.

Die nächsten Tage verliefen ruhig. Ich ging zur Arbeit, war an zwei Abenden im Perry's, unserer Kneipe, und kümmerte mich um meine Wohnung. Bis der nächste Samstag kam. Ich war schon etwas eher losgegangen, im Perry's mussten die Vorräte mal wieder aufgestockt werden, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, wo es etwas ruhiger war.

Als ich vor dem Laden ankam, sah ich, dass bereits jemand davor stand. Ein Junge, etwa elf oder zwölf Jahre alt, schätzte ich. Er fluchte gerade und trat gegen das Vorderrad von seinem Fahrrad. Ich räusperte mich, und er drehte sich um. »Was ist dir denn passiert?«, fragte ich. »Mein Fahrrad hat einen Platten, sieht man das nicht?«, fragte er. Ich grinste. »Viel Luft scheint jedenfalls nicht mehr drauf zu sein. Zeig' mal her.«

Ich besah mir den Schaden. Im Vorderreifen steckte eine kleine Glasscherbe, die man ohne Problem 'rausziehen konnte. »Hast du Flickzeug dabei?«, fragte ich den Kleinen. Er nickte. »Weißt du, wie man damit umgehen muss?«, fragte ich weiter. »Nein, ich hab' das noch nie gemacht - sonst macht mein Bruder das immer.«

Ich holte etwas Werkzeug aus dem Laden - ein bisschen hatten wir zum Glück, um mal kleinere Reparaturen ausführen zu können - und half ihm dabei, das Vorderrad abzuschrauben. »Wie heißt du überhaupt?«, fragte er mich irgendwann. »Ich bin Kevin, und du?«, stellte ich mich vor. »Ich heiße Toby.« Ich grinste. »Freut mich.« Während wir uns weiter um das Fahrrad kümmerten - inzwischen hatte ich das Leck im Schlauch gefunden und war dabei es zuzukleben - fragte ich: »Was machst Du eigentlich hier in dieser Gegend?« Ich ging nicht davon aus, dass er wusste, was für ein Publikum normalerweise im Perry's verkehrte.

»Ich warte auf meinen Bruder, der wollte mir noch was aus der Stadt mitbringen.« »Und warum trefft ihr euch hier und nicht zuhause?«, hakte ich nach. »Weil er erst etwas später herkommt und nicht zwischendurch nach Hause fährt. Ich wollte mir auch nur mal ansehen, wo das überhaupt ist, sonst wäre ich noch gar nicht hier.« Ich pumpte etwas Luft in den Schlauch, um zu sehen, ob er die Luft hielt. Er hielt.

»So,«, sagte ich, »jetzt müssen wir das Ganze nur noch wieder zusammenbauen.« Das taten wir, und nach ein paar Minuten war das Fahrrad wieder in seinem Urzustand, davon abgesehen, dass der Reifen jetzt nicht mehr platt war. Die Glasscherbe hatte ich schon vorher entfernt.

Toby strahlte. »Klasse, vielen Dank für deine Hilfe.« Ich winkte ab. »Kein Problem.« Er besah sich seine Hände. »Kann ich mir hier irgendwo die Hände waschen?«, fragte er. »Klar, komm' ruhig mit 'rein.« Ich zeigte ihm, wo die Toiletten waren, und hängte dann erst mal meine Jacke auf. Die Tür ging auf, und herein kam - Joshua. »Hi Kevin.«

»Hi Joshua. Jetzt schon hier?«, fragte ich. »Ja ... ich warte auf meinen kleinen Bruder, und sein Fahrrad steht draußen. Hast du ihn zufällig gesehen?« Ich nickte. »Ja, er ist hinten.« In diesem Moment kam der Kleine wieder nach vorn. Er sah Joshua und rannte auf ihn zu. »Josh!«, rief er und fiel ihm um den Hals.

Joshua grinste und nahm den Kleinen in den Arm. »Hey, nicht so stürmisch. Was ist denn los?« »Kevin hat mir geholfen, mein Fahrrad zu reparieren.« Joshua setzte seinen Bruder wieder auf den Boden. »Hast Du mal wieder nicht aufgepasst?«, fragte er grinsend. Toby senkte den Blick zu Boden und schaute völlig betreten drein. Dann nickte er. »Hey, war doch nicht so schlimm.«, sagte ich. Joshua lachte. »Du kennst Toby nicht ... der schafft das mindestens einmal im Monat.«

»Stimmt gar nicht!«, rief Toby. »Im Letzten Monat ist mir das nicht passiert.« Joshua lachte. »Nein, aber im Monat davor gleich zweimal, das gleicht sich wieder aus. Hier, ich hab' noch was für dich.« Er zog ein Buch aus der Tasche. Toby nahm es ganz begeistert und drückte seinem großen Bruder einen Kuss auf die Wange. »Danke, Josh!« Der winkte ab. »Schon okay, hatte ich dir ja versprochen. Komm', ich bring' dich schnell nach Hause, sonst macht Mum sich Sorgen.«

In der Tür drehte sich Toby noch mal um. »Nochmal Danke für deine Hilfe, Kevin.«, sagte er und winkte mir zu. Ich winkte zurück und lächelte. »Gern geschehen.« Dann waren die Beiden verschwunden, Joshua hatte mir nur noch zugerufen: »Ich bin in ein paar Minuten wieder da.« Ich sah, dass er draußen Tobys Fahrrad in den Kofferraum seines Wagens legte und die beiden dann losfuhren.

In solchen Momenten wurde ich immer etwas melancholisch. Leider hatte ich keine Geschwister, und wenn ich solche Szenen wie die gerade eben sah, wurde ich einfach traurig. Es war offensichtlich, dass Toby seinen Bruder abgöttisch liebte, und umgekehrt schien es nicht anders zu sein.

Ich schob den Gedanken beiseite und fing endlich damit an, meine Bestellungen fertigzumachen - das war ja der Grund gewesen, weshalb ich überhaupt schon hier war. Ich zählte also die Kisten durch, die noch in der Küche standen, machte fleißig meine Kreuze und war relativ schnell fertig. Nächste Aufgabe auf der Liste: Kaffee kochen. Das hätte ich schon eher machen wollen, aber dadurch, dass mir Joshua und Toby dazwischengekommen waren, war ich etwas abgelenkt worden.

Ich hatte gerade die erste Tasse getrunken, als Joshua wieder hereinkam. »Hi nochmal.«, sagte er, legte seine Jacke über einen Stuhl und setzte sich dann mit zu mir an den Tresen. »Na, seid ihr gut hingekommen?« Joshua grinste. »Ja. Der Kleine hat die ganze Zeit nur von dir gesprochen, du musst echt Eindruck auf ihn gemacht haben.« Ich winkte ab. »Kann gar nicht angehen. Wir haben nur das Fahrrad repariert und uns unterhalten.«

»Du hast ihm hoffentlich nicht gesagt, was das hier für ein Laden ist?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab' mir fast gedacht, dass er nicht zum Gruppentreff kommen wollte, von daher hab' ich gar nichts davon erwähnt.« Joshua war die Erleichterung deutlich anzusehen. »Danke.« »Keine Ursache. Bist du in deiner Familie nicht geoutet?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Außer euch weiß es eigentlich niemand. Meine Mutter hat genug mit Toby und mir zu tun, seit mein Vater durchgebrannt ist.« Ups. Das hatte ich nicht gewusst. Na gut ... wenn man es genau nahm, wusste ich nicht mal seinen Nachnamen, im Prinzip gar nichts außer seinem Namen und der Tatsache, dass er unheimlich süß war. Und dass er mir mit jedem Wort, das wir sprachen, besser gefiel.

Bevor wir unser Gespräch weiter vertiefen konnten, klingelte das Telefon. »Perry's Café, Kevin am Apparat.«, meldete ich mich. »Hi Kevin, hier ist Patrick. Ich ... äh ... ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, dass ich heute nicht kommen kann, ich hab' mir eine tierische Grippe eingefangen und lieg' im Bett.« »Okay, ich sag' Mike Bescheid.«, antwortete ich. »Hast du jemanden, der mit einspringt?«, fragte Patrick.

Ich warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. Das heutige Datum war rot eingekreist. Unsere befreundete Jugendgruppe aus dem Norden der Stadt wollte heute zu Besuch kommen - wir trafen uns öfter - und das hatte ich völlig vergessen. Im Übrigen war der Besuch der Grund, weshalb wir zu zweit hinter der Theke stehen sollten. Ich warf einen Blick auf Joshua und sagte dann zu Patrick: »Bleib' mal einen Moment dran.«

»Sag' mal, Joshua, könntest du eventuell heute für Patrick einspringen? Heute ist doch der Treff der beiden Gruppen, und sonst würde ich hier allein hinterm Tresen stehen.« Joshua nickte. »Kein Problem, schließlich bin ich dir noch was schuldig, weil du Toby gerade geholfen hast.« »Blödsinn, du bist mir gar nichts schuldig, das war Ehrensache. Wenn du keine Lust hast, ich kann auch jemand anders fragen.« Er grinste. »Hey, ich hab' gesagt, ich mach' es, also mach' ich es auch.« Diesem Lächeln konnte ich einfach nicht widerstehen, und so gab ich mich geschlagen.

»Patrick? Okay, geht alles klar. Dann kurier' dich aus und bis nächste Woche. Gute Besserung.« »Danke, ich geh' direkt wieder ins Bett. Grüß' die anderen von mir, okay?« »Mach ich, bis dann.« Ich legte auf und grinste zu Joshua zurück. »Na dann komm' mal 'rum, ich werd' dich einweisen.«

Ich zeigte ihm, wo alles zu finden war, und wir einigten uns kurz auf einen Dienstplan - mehr als eine grobe Richtlinie war nicht drin, schließlich wussten wir nicht, wie voll es werden würde. Zum Glück holte sich jeder die Getränke an der Theke ab, so dass wir nicht kellnern mussten, aber trotzdem blieb genug zu tun - die leeren Gläser einsammeln, Aschenbecher leeren und natürlich Gläser spülen. Aber das erwähnte ich, glaube ich, bei anderer Gelegenheit schon.

Als Mike und sein obligatorischer Anhang hereinkam, staunten sie nicht schlecht. »Hey, was ist das denn? Haben wir ein neues Dreamteam?«, grinste er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Joshua hilft nur aus, Patrick hat sich 'ne Grippe eingefangen. Schönen Gruß soll ich euch von ihm bestellen.«, erklärte ich das Ganze. Mike grinste weiter. »Auch nicht schlecht. Na ja, bei euch kann ich ja mal davon ausgehen, dass ihr euch vertragen werdet, oder?« Ich nickte. »Das kannst du. Kümmer' du dich um die Organisation und die Unterhaltung, den Rest machen wir.« fügte ich halb sachlich, halb belustigt hinzu.

Als Mike außer Hörweite war, fragte Joshua: »Wieso sollten wir uns nicht vertragen?« Ich winkte ab. »Das Ganze ist kaum der Rede wert. Ich hab' mich nur beim letzten Mal etwas mit Patrick gestritten, nichts ernsthaftes.« »Alles klar.« Wir gingen noch mal alles durch - im Wesentlichen war es wie Vokabeln lernen, nur eben live und in Farbe. Joshua hatte offensichtlich alles kapiert, und die Show konnte beginnen.

Es wurde ein nettes Gruppentreffen, auch wenn es für uns beide ziemlich viel zu tun gab. Wir fanden gerade mal die Zeit, zwischendurch abwechselnd eine Zigarettenpause einzulegen - Joshua hatte seinen guten Vorsatz schon wieder über Bord geworfen - aber ansonsten arbeiteten wir bis sieben Uhr voll durch. Für die beiden Jugendgruppen war anschließend kollektiver Discobesuch angesagt, Joshua und ich waren dazu aber einfach zu müde und mussten ja außerdem noch den Laden saubermachen. Bis kurz nach Acht hatten wir auch das erledigt, und alles sah aus wie mittags, als ich gekommen war.

Wir setzten uns in eine gemütliche Ecke und steckten uns eine Zigarette an. »Und, was hast du heute Abend noch vor?«, fragte ich Joshua. Der schüttelte den Kopf. »Gar nichts mehr. Ich werde wohl gleich nach Hause fahren, Toby ins Bett bringen und dann noch ein bisschen lesen.« »Ist eure Mutter nicht zuhause?« »Nein, sie hat Schichtdienst - sie ist Krankenschwester.« Das war natürlich auch nicht der Hit. »Du kannst aber gern noch auf ein Glas Wein mit zu mir kommen, wenn du willst. Toby freut sich bestimmt, dich zu sehen.«, bot er an.


2. Sunset

When the sun goes down I'll leave this town
To find a place without war and hate
When the lights went out, there'll be no doubt
I will never, never, never come back again.
(The Jinxs, »Sunset«, 1992)

Ich überlegte kurz. Warum eigentlich nicht? So könnten wir beide Mal in Ruhe miteinander reden, und ich würde etwas mehr über ihn erfahren. Also sagte ich kurzentschlossen zu. Er grinste. »Okay. Dann sollten wir aber endlich sehen, dass wir hier herauskommen.« Ich nickte. »Okay, ich will nur noch schnell abrechnen.« Ich ging zur Kasse, nahm unseren Stundenzettel und trug die Zeit ein, die wir gearbeitet hatten - von zwei bis acht. Es war zwar etwas länger gewesen, aber wir hatten zwischendurch auch Pausen gemacht und so kam es ganz gut hin.

Dann zahlte ich Joshua sein Gehalt aus. Der war überrascht. »Wie jetzt, was ist das denn?« »Die Arbeit hier im Café wird selbstverständlich bezahlt.« »Und was ist mit dir?«, fragte er. »Ich bekomme mein Gehalt jeweils am Monatsende überwiesen.« »Ah ja.«, sagte er. Er steckte die Scheine in die Tasche, sah mich dabei aber an, als ob irgendetwas an meiner Aussage nicht ganz korrekt war.

»Was ist los?«, hakte ich nach. »Kevin ...« Er atmete einmal durch. Dann sagte er: »Du musst mir nichts dafür geben.« Ich runzelte die Stirn. »Was meinst Du?« Ich sah, dass er sich zusammenriss, um ruhig zu bleiben. »Ich halte nichts von Alimenten.«, fügte er dann knapp hinzu. »Wieso Alimente? Hier - «, ich hielt ihm den entsprechenden Schrieb vom Inhaber des Ladens unter die Nase - »jeder Mitarbeiter wird mit den hier ausgewiesenen Beträgen bezahlt. Und da werde ich auch bei dir keine Ausnahme machen.«

Er sah mich fragend an. »Du weißt doch sicherlich, wie es um meine, sagen wir mal, häusliche Situation, steht, oder?«, fragte er. »Nein, wieso? Ich weiß gar nichts über dich, außer du jetzt gerade vor mir stehst und einen jüngeren Bruder hast. Und dass Deine Mutter Krankenschwester ist und heute Schichtdienst hat, aber das weiß ich nur, weil du es mir gerade erzählt hast.«, sagte ich.

»Dann ... sorry, tut mir leid.«, sagte er leise. Er drehte sich um, so dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte - was im Anbetracht der Tatsache, dass wir schon einen Teil der Lampen ausgeschaltet hatten, sowieso schwierig war. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber ich sah, dass seine Schultern bebten.

Ich ging um den Tresen herum und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. »Ich denke, es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest - wenn überhaupt, dann müsste ich das tun. Hab' ich irgendwas falsches gesagt?«, sagte ich mit leiser Stimme. Ich sah, dass er den Kopf schüttelte, aber er sagte nichts. Ich blieb so stehen, meine Hand lag immer noch auf seiner Schulter, und schließlich nahm er sie vorsichtig. Dann drehte er sich zu mir um. Seine Augen waren feucht.

»Du hast wirklich nichts mitbekommen?«, fragte er dann mit leicht zitternder Stimme. Es tat mir weh, ihn so zu sehen, und am liebsten hätte ich ihn jetzt in den Arm genommen. Aber ich wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. Einen Moment sahen wir uns in die Augen, und ich hatte das Gefühl, als spürte er, was in mir vorging. Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber in diesen paar Sekunden hatte ich das Gefühl, als könne er durch mich hindurch tief in mein innerstes sehen.

Schließlich wischte er sich einmal kurz über die Augen, befreite sich aus meinem Griff und sagte: »Wie sieht's aus, wollen wir los?« Ich nickte nur. »Okay, ich bin soweit fertig. Lass' mich nur noch schnell den Laden abschließen.« »Ich geh' schon mal zum Wagen.«, sagte er, drehte sich um und ging aus der Tür. Ich schloss alle Türen - bis auf die Vordertür, ich musste ja selbst noch nach draußen - ab, löschte die Lichter, schaltete die Kaffeemaschine aus - um die Kanne konnte sich die Schicht von morgen kümmern - und ging dann nach draußen.

Joshua wartete bereits, und diese Szene hätte aus einem beliebigen Film stammen können: er lehnte am linken vorderen Kotflügel des Wagens, die linke Hand in der Hosentasche, in der rechten Hand eine Zigarette, und sah sich den Sonnenuntergang an. Die Straße war schnurgerade, und die letzten Häuser standen nur ein paar hundert Meter weiter, so konnte man die Aussicht genießen.

Passend zum ganzen Szenario trug er eine dunkelbraune Lederjacke, und weil er seine Haare momentan etwas länger trug, erinnerte er mich irgendwie ein bisschen an James Dean. Ich blieb einige Sekunden stehen und prägte mir den Anblick ein - so schnell würde ich ihn mit Sicherheit nicht vergessen. Langsam, aber sicher machte sich in meinem Bauch ein angenehm warmes Gefühl breit.

Joshua drehte den Kopf, sah mich und lächelte ein wenig. »Hey, ich hab' gar nicht gemerkt, dass du schon fertig bist.« Ich winkte ab. »Macht nichts ... ich hab' in der Zwischenzeit ein bisschen die Aussicht genossen.«, sagte ich mit einem zweideutigen Grinsen. Joshua konnte sich wohl schon seinen Teil denken, jedenfalls wurde sein Lächeln auch deutlich breiter.

Er warf seine Zigarette weg und stieg dann ins Auto. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein. Von außen sah man dem Wagen ziemlich genau an, was er war - der möglichst preiswerte fahrbare Untersatz eines Teenagers - aber von innen war er gut gepflegt. Es roch auch nicht nach Rauch, und mir fiel auf, dass die Aschenbecher fehlten. Joshua folgte meinem Blick. »Das hier soll ein Nichtraucherauto werden, darum keine Aschenbecher - wie gesagt, ich versuch' das Ganze ein bisschen zu reduzieren, und darum rauch' ich im Wagen nicht. Außerdem fährt Toby hin und wieder mit.«

Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. Wir legten die Strecke bis zu Joshuas Haus weitestgehend schweigend zurück, unterhielten uns ein bisschen über den Nachmittag, aber es war kein besonders tiefgehendes Gespräch. Josh parkte den Wagen in der Einfahrt des Hauses und bat mich dann, mit 'reinzukommen. Ich könnte jetzt noch erzählen, dass wir erst unsere Jacken aufhängten, Joshua den Autoschlüssel weglegte und so weiter, aber erstens wird das jeder kennen, zweitens keinen interessieren und drittens ... weiter im Text.

»Toby! Ich bin wieder da!«, rief Joshua durchs Haus. Keine Antwort. »Toby?«, fragte er noch einmal in derselben Lautstärke. Wieder nichts. Joshua sah mich fragend an, aber ich wusste natürlich erst recht nicht, wo er war. Josh sah als erstes in Tobys Zimmer nach, aber da war er nicht. »Lass' uns mal hinten nachsehen.« Ich folgte ihm - was blieb mir auch anderes übrig?

»Sein Fahrrad steht jedenfalls vor dem Haus.«, sagte ich, um Joshua ein wenig zu beruhigen. Wir kamen durch die Küche. Auf dem Tisch lag ein Zettel, in recht krakeliger Kinderschrift beschrieben. »Hi Josh, bin drüben bei Danny. Toby.« Joshua grinste. »Alles klar, das wäre mein nächster Gedanke gewesen. Komm, wir holen ihn ab.«, sagte er.

Danny war, wie mir Joshua auf dem Weg dorthin erzählte, Tobys bester Freund, seit Joshua und seine Familie in dieses Viertel gezogen waren, und das war bereits vor fünf Jahren passiert. Ganz nebenbei war Dannys Mutter eine gute Vertraute von Joshua geworden, mit ihr konnte er über fast alles reden. »Wenn du willst, erzähl' ich dir nachher noch mehr darüber.« Ich nickte. »Okay, gern - wie gesagt, ich weiß praktisch gar nichts über dich.« »Was willst du eigentlich genau wissen?«, fragte Joshua. »Hm .... wenn du so fragst, eigentlich alles.«, sagte ich grinsend.

Joshua grinste zurück und klopfte dann an der Haustür, vor der wir mittlerweile standen. Die Tür ging auf, und wir wurden freundlich begrüßt. »Hallo, Josh. Du willst bestimmt Toby abholen?« Das war offensichtlich Dannys Mutter, war meine logische Schlussfolgerung. Joshua nahm sie zur Begrüßung kurz in den Arm. »Ja, damit er euch nicht länger auf die Nerven fällt als unbedingt notwendig.« Sie winkte lachend ab. »Kein Problem, du weißt doch, dass er bei uns ein gern gesehener Gast ist.«

Sie musterte mich kurz von oben bis unten. »Und wer ist das?«, fragte sie dann. Ich hielt ihr ebenfalls die Hand hin. »Ich bin Kevin, ein Freund von Joshua.«, sagte ich. »Freut mich, ich bin Patricia, die Nachbarin von Josh, Toby und Lynn.« Und wieder eine Info, die so nebenbei gespeichert wurde - Lynn war also offensichtlich die Mutter der beiden. »Kommt 'rein.«, sagte Patricia und hielt uns die Tür auf.

»Josh, du weißt ja, wo's langgeht.«, sagte sie und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Josh ging über den Flur, ins obere Stockwerk und klopfte dann an eine Tür. »Darf man 'reinkommen?«, fragte er. »Ja, komm' 'rein.«, ertönte eine recht helle Stimme, offensichtlich die eines Kindes. Josh schob sich durch den Türspalt. »Hi Jungs.«, sagte er, und sofort wurde er von Toby - und offensichtlich auch Danny - überschwänglich begrüßt.

»Ich hab' Euch noch jemanden mitgebracht.«, sagte er und zog mich durch die Tür. »Toby, du kennst Kevin ja schon.« Toby nickte und begrüßte mich freudig. »Danny, das ist Kevin - von dem hab' ich dir erzählt.«, sagte er dann zu seinem Freund. Danny lächelte schüchtern zur Begrüßung und winkte mir kurz zu. Joshua grinste. »Mach' dir nichts draus, Kevin, der Kleine ist ein bisschen schüchtern. Aber ein ganz lieber Kerl, jedenfalls behauptet Toby das immer.« Dabei verwuschelte er seinem kleinen Bruder die Haare.

Wieder blitzte in mir kurzzeitig dieses Gefühl auf, was ich am Mittag schon verspürt hatte - einerseits die Freude für Toby und Josh, andererseits die Trauer darüber, dass ich keine Geschwister hatte. »... du das auch lernst; nicht wahr, Kevin?«, hörte ich Joshua. »Wie bitte? Sorry, ich war gerade mit meinen Gedanken woanders.«, antwortete ich. »Ich sagte, vielleicht gibst du Toby ja noch mal einen kleinen Grundkurs in Sachen Fahrradreparaturen, denn langsam ist er alt genug, dass er das ganze selbst lernt.« Ich nickte. »Kein Problem, da ergibt sich bestimmt irgendwann noch mal die Gelegenheit zu.«

Wir unterhielten uns noch ein bisschen, und auch Danny taute langsam auf. Schließlich überredeten die beiden Kleinen uns, noch auf eine Partie Frisbee mit nach draußen zu kommen. Nach ein paar Minuten gesellten sich Patricia und Greg - letzterer war der Vater von Danny - noch zu uns, und wir hatten ziemlich viel Spaß zusammen. Vielleicht gefiel es mir auch einfach, weil es etwas Neues war - bei uns Zuhause war so etwas nie in Frage gekommen, und auch sonst war ich mehr der Einzelgänger gewesen. Ich schweifte schon wieder mit meinem Gedanken ab, was ich erst bemerkte, als ich von der Scheibe am Kopf getroffen wurde. Zum Glück war sie nicht besonders kräftig geworfen worden.

Joshua grinste verlegen und kam dann auf mich zu. »Ups ... sorry, Kevin, ich hoffe, dir ist nichts passiert?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Kein Problem, ich bin in ...« »Zeig' mal her.«, sagte er nur, fasste dann meinen Kopf am Kinn und über dem linken Ohr und hielt ihn fest. Dann begutachtete er mein Gesicht. »Scheint tatsächlich alles okay zu sein.«, befand er und ließ mich dann wieder los, nicht ohne mich vorher nochmal zuckersüß angelächelt zu haben.

Insgeheim bedauerte ich es jetzt, dass wir nicht unter uns waren - sonst wäre ich vielleicht etwas mutiger geworden, aber hier vor all den für mich Fremden wollte ich weder ihn noch mich in Verlegenheit bringen. Na ja ... vielleicht ergab sich ja am Abend noch eine Gelegenheit, schließlich wollten wir noch ein bisschen miteinander plaudern.

»Wir sollten sowieso besser aufhören, langsam wird es dunkel - schließlich soll sich ja niemand hier ernsthaft verletzen.«, sagte Greg. »Josh, Kevin - wie sieht's aus, habt ihr noch Lust auf ein kaltes Bier auf der Veranda?« Wir sahen uns an, dachten aber dann wohl beide dasselbe. Joshua antwortete: »Nein, vielen Dank für das Angebot, Greg, aber wir wollen langsam wieder 'rüber. Wir haben echt einen langen Tag hinter uns.« »Wieso, was habt ihr denn gemacht?«, erkundigte sich Dannys Vater.

»Kevin ist Kellner im Café vom Jugendtreff, und er hat mich gefragt, ob ich heute mit aushelfen könnte - und wir hatten alle Hände voll zu tun.« »... und ich würde ihn jederzeit wieder fragen, ohne ihn hätte ich das heute nicht geschafft.«, fügte ich noch hinzu. Ich sah, dass Joshuas Wangen sich ein wenig röteten. Patricia lächelte. »Dann wissen wir ja gleich, wen wir für die nächste Gartenparty engagieren können.«, sagte sie.

Plötzlich zupfte Toby Joshua an seinem T-Shirt. »Du, Josh?«, fragte er. »Ja, Toby?« Der Kleine sah ihm mit einem liebevollen Hundeblick an, und mir war klar, dass er irgendetwas wollte - und so wie er Joshua ansah war mir jetzt schon klar, dass der ihm seine Bitte wohl kaum abschlagen würde. »Darf Danny heute bei mir schlafen?« Joshua drehte sich zu Patricia und Greg um. »Was meint ihr dazu?«, gab er die Frage weiter.

Die beiden sahen sich kurz an und nickten dann synchron. »Kein Problem. Aber wenn dir die beiden zur Last fallen, schick' Danny wieder 'rüber, Josh, okay?«, antwortete Patricia. Joshua grinste. »Da mach' ich mir keine Sorgen drum - wenn ich dabei bin, sind sie immer ganz anständig.« Danny und Toby fassten wie das selbstverständlich als »Ja« auf und rannten ins Haus, um ein paar Sachen für Danny zusammenzupacken.

»Übernachtet Kevin heute auch bei dir?«, fragte Greg, als die beiden verschwunden waren. Joshua zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht - geplant haben wir nichts, aber wir wollen gleich noch ein bisschen quatschen, und ich könnte mir vorstellen, dass das eine etwas ausführlichere Angelegenheit wird.«, antwortete er. »Alles klar,«, grinste Greg, »dann kann es nur um Frauen gehen.« Dieser Satz brachte ihm einen Knuff von seiner Frau in die Rippen ein. »Paß' auf, was du sagst, Gregory Parker, sonst kannst du dir morgen dein Essen selbst kochen.«, sagte Patricia lachend.

Joshua kniff die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und sagte überhaupt nichts dazu - offensichtlich ärgerte es ihn, dass er hier nicht so reagieren konnte, wie es eigentlich angebracht wäre. Ich enthielt mich ebenfalls jeglichen Kommentars. Schließlich war es doch Joshua, der etwas sagte - oder besser gesagt: rief. »Toby, Danny, seid Ihr fertig? Wir wollen 'rüber!«, rief er in Richtung Haus. Kaum hatte er ausgesprochen, kamen die beiden schon wieder aus dem Haus gefegt wie zwei kleine Wirbelwinde. Greg sah auf die Uhr. »Laß' die beiden aber nicht zu lange aufbleiben, Josh, okay? Und wenn irgend etwas ist ...«

Josh grinste. »... dann sage ich euch Bescheid, rufe die Feuerwehr und werde auch die Abteilung meiner Mutter in Alarmbereitschaft versetzen. Alles klar.« »Sieh zu, dass Du Land gewinnst.«, lachte Patricia und ging dann vor Danny in die Hocke. »Und du bist schön brav, mein Kleiner, und wirst genau das tun, was Josh dir sagt, okay?« Danny nickte. »Klar, Mum, Du kennst mich doch.«, sagte er. »Eben, deshalb ja. Viel Spaß.«

Wir gingen wieder 'rüber zu Joshuas Haus. »Okay, Jungs, ihr könnt noch eine halbe Stunde spielen, wenn ihr wollt, und dann geht's ins Bett, okay?« Die beiden nickten. »Okay.« Und schon waren sie verschwunden. Joshua schüttelte den Kopf. »Verrückt, die beiden ... aber um ehrlich zu sein, ich wüsste nicht, was ich ohne Toby anfangen sollte.« »Tja ...«, sagte ich nachdenklich.

»Hast Du eigentlich Geschwister?«, fragte Joshua. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Und wenn ich Euch beide so zusammen sehe, bedaure ich das jedes Mal.« Ich musste wohl ziemlich betrübt ausgesehen haben, jedenfalls klopfte mir Joshua auf die Schulter und sagte: »Wenn Du willst, kann ich dir Toby ja mal für ein paar Tage ausleihen - dann wärst du wahrscheinlich von deinem Wunsch kuriert.«, sagte er. Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber ich glaube es nicht. Da hab' ich schon ganz andere Kids erlebt, gegen die scheint Toby echt ein Engel zu sein.« Josh nickte. »Ja, ist er auch. Was wir aber nicht zuletzt auch Greg und Patricia zu verdanken haben, er ist unheimlich oft bei ihnen, und sie lieben ihn fast genauso wie Danny, denke ich.«

»Ja, das merkt man. Wie habt Ihr euch eigentlich kennengelernt?«, fragte ich. Joshua gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich ihm ins Wohnzimmer folgen sollte. Er setzte sich in einen Sessel und bedeutete mir, auf dem Sofa Platz zu nehmen. »Wir sind vor gut fünf Jahren hierher gezogen. Während meine Mutter und ich die Möbel schleppten, war Toby einfach noch zu klein und hat nur ein paar Sachen aus seinem Zimmer getragen. Also war er als erster fertig und hat sich dann in der Nachbarschaft umgesehen. Na ja, wie Kinder eben so sind, stolperte er auf dem Rückweg über ein Skateboard und schürfte sich dabei ein Knie auf. Das war genau vor Patricias und Gregs Haus. Greg hat ihn gefunden, Patricia hat ihn verarztet - wir hatten gar nichts davon mitbekommen, weil wir im Haus waren - und anschließend brachten sie ihn zu uns 'rüber.

Na ja, Greg hatte gesehen, dass wir zu zweit wohl doch ein bisschen überfordert waren, also bot er seine Hilfe an, die Mum gern annahm. Patricia nahm Toby wieder mit 'rüber, und nach zwei Stunden stand sie wieder auf der Matte und holte uns und Greg zum Essen. Und seitdem sind wir alle ziemlich gut befreundet.», schloss er die kurze Erzählung ab.

Ich beschloss, mich einen Schritt weiter vorzuwagen. »Was ist eigentlich mit deinem Vater?«, fragte ich vorsichtig. Joshua schnaubte. »Pah. Der hat Mum verlassen, als Toby gerade vier Jahre alt war. Mum hat erst versucht, zu arbeiten und sich um uns zu kümmern, aber das ging nicht. Dann haben wir eine ganze Weile von unseren Ersparnissen gelebt, aber schließlich ging auch das nicht mehr. Also nahm sie einen Halbtagsjob an, und das andere Haus mussten wir auch aufgeben. Als wir dann hierher zogen, bot Patricia an, sich nachmittags um Toby zu kümmern, wenn Mum arbeiten gehen wollte. Und mittlerweile übernehme ich das, ich bin ja alt genug.«

»Macht es dir denn gar nichts aus, dass du dadurch so wenig Freizeit hast?«, fragte ich. »Manchmal schon, aber nicht viel. Ich habe durch den Streit meiner Eltern und alles drum herum schon ziemlich viel mitbekommen, und wir hatten eine verdammt harte Zeit. Ich liebe Toby über alles, und ich will einfach nicht, dass er dasselbe mitmachen muss wie ich.«

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich denke, ohne Greg und Patricia wären wir jetzt nicht da, wo wir sind - die beiden waren uns wirklich eine Hilfe.« Eines war mir - nicht nur während dieses Gesprächs, sondern auch schon eher - aufgefallen: Joshua war definitiv reifer als die meisten anderen, die ich kannte. Wahrscheinlich war die ganze Situation der Familie auch der Grund, warum er vorhin so seltsam reagiert hatte, als ich ihm sein Gehalt für den heutigen Tag ausgezahlt hatte.

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, standen Toby und Danny im Wohnzimmer - offensichtlich bettfertig, jedenfalls schon in ihren Schlafanzügen und mit nassen Haaren. »Bringst du uns ins Bett, Josh?«, fragte Toby. Joshua nickte. »Klar, seid ihr fertig? Alles gewaschen?« Beide nickten eifrig. »Zähne geputzt?« Statt einer Antwort ging Toby auf Joshua zu und hauchte ihm ins Gesicht. Josh grinste. »Alles klar, keine weiteren Fragen mehr. Dann Abmarsch. Soll Kevin mitkommen?« Toby nickte. »Au ja.«

Also brachten wir die Jungs ins Bett. Joshua achtete darauf, dass sie beide zugedeckt waren, und wir unterhielten uns noch ein bisschen mit den beiden - über alles Mögliche, was die Jungs in diesem Alter so beschäftigte. Mit anderen Worten, im wesentlichen Baseball-Sammelkarten und Mädchen. Allerdings waren Joshua und ich nicht gerade die besten Berate in diesen Fragen.

Schließlich gab Joshua Toby einen Kuss auf die Wange und tätschelte Danny einmal kurz Schulter. Er ermahnte beiden - allerdings nicht sonderlich ernst – nicht mehr zu lange wach bleiben und löschte dann das Licht. Anschließend gingen wir beide zurück ins Wohnzimmer, oder besser gesagt, ich ging allein hin, Joshua wollte noch schnell etwas aus der Küche holen.


3. The fire still burns

So you think 'cause I don't scream
That I don't see the pain?
While I breathe I can't dream
The times will come again
(Russ Ballard, »The fire still burns«, 1982)

Drei Minuten später war er auch wieder da - samt einer Flasche Wein, zwei Gläsern und einem großen Aschenbecher. »Ich denke, so wird es etwas gemütlicher.«, grinste er. Wir zogen unsere Schuhe aus und machten es uns bequem - er legte die Füße auf den anderen Sessel, ich legte mich der Länge aufs Sofa. »Gemütlich habt ihr es hier.«, sagte ich. »Na ja - wir versuchen halt, das Beste aus der Situation zu machen. Aber du wolltest noch was über mich wissen - also, schieß' los.«

»Okay.«, fing ich an. »Du hast letzte Woche etwas angedeutet, dass Du mal einen Freund hattest. Und aus Deinem Gesicht habe ich geschlossen, dass das ganze wohl nicht so toll gelaufen ist. Magst Du drüber reden?« Langsam nickte er. »Ja, ist wohl besser, wenn du es von mir erfährst als aus der Gerüchteküche, oder?

Also ... Anfang des Jahres habe ich sehr viel Zeit in einem Internet-Café verbracht, das einem Bekannten von mir gehört. Ich hab' dort ausgeholfen und konnte dann eben umsonst surfen und chatten. Im Chat hab' ich dann nach kurzer Zeit einen total lieben Boy kennen gelernt, Alex hieß er, sein Nick war Dorian - nach der Romanfigur Dorian Gray. Er war mir ziemlich sympathisch, die Chats wurden immer länger und intensiver, und irgendwann beschlossen wir, uns zu treffen. Allerdings ist er nicht aus unserer Stadt, sondern aus Monterey - wie du weißt, sind das immerhin knapp 200 Kilometer von hier. Jedenfalls fuhr ich zu ihm hin, wir trafen uns, waren uns auf Anhieb sympathisch, verbrachten einen schönen Tag zusammen und dann trennten sich unsere Wege wieder.

Abends chatteten wir noch kurz, ließen den Tag noch mal Revue passieren und wünschten uns eine gute Nacht. Am nächsten Tag kam ich nicht zum Chatten, aber am Tag darauf - das war ein Freitag. Ich hatte bis dahin gemerkt, dass mir Alex nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich fand ihn einfach süß, seine ganze Art und alles. Jedenfalls meinte er im Chat, dass er den ganzen Tag nur an mich gedacht hätte, er hätte auch viel geheult, weil er nicht bei mir sein konnte. Um ehrlich zu sein, ich war einfach gerührt, wie er mir diese Liebeserklärung überbrachte. Mum und Toby waren für ein paar Tage in Urlaub gefahren, zu Mums Eltern, ich hatte auch Urlaub, war aber zuhause geblieben - also lud ich Alex ein, für ein paar Tage zu mir zu kommen. Er nahm das Angebot an und stand am Montag Nachmittag bei mir auf der Matte. Ich holte ihn an der Central Station ab, und wir fielen uns zur Begrüßung erst mal um den Hals.

Um das ganze etwas abzukürzen: wir verbrachten drei wunderschöne Tage zusammen, dann musste er jedoch wieder nach Monterey zurück, und ich hatte Mum versprochen, dass ich zu Grannys [Granny = engl. Kosewort für Oma, Anm. des Autors] Geburtstag kommen würde. Wir gaben uns beiden keine allzu große Chance - wir dachten, die Entfernung sei zu groß -, obwohl wir beide völlig verliebt ineinander waren. Aber wir mussten ja unbedingt die Vernunft siegen lassen - um ehrlich zu sein, es war mein Fehler.

Na ja, wir trennten uns also am nächsten Morgen unter Tränen, ich brachte ihn zum Bahnhof, er fuhr zurück nach Monterey und ich zu meinen Großeltern. Ich war den ganzen Tag mies drauf und ging später am Nachmittag noch zu einem guten Freund, der in der Nähe von meinen Großeltern wohnt. Von dort aus rief ich Alex an. Es ging ihm genauso mies wie mir, und wir redeten uns beide ein, dass wir es schon irgendwie schaffen würden. Dann erzählte ich Tom - meinem Freund - davon, und er sagte nur: 'Ihr seid doch bescheuert - warum versucht ihr es nicht wenigstens?' Ein anderer Kumpel gab mir denselben Rat, und am nächsten Abend - ich war schon wieder nach Hause gefahren - rief Alex mich an. Seine Freunde hatten ihm dasselbe gesagt, und so beschlossen wir, es doch noch einmal miteinander zu versuchen.

Die nächsten Tage schwebte ich also auf Wolke Sieben. Am Dienstag, also ein paar Tage später, chatteten wir wieder, und ich hatte ziemliche Probleme mit der Verbindung. Alex und ich waren dabei, unseren nächsten Urlaub zu planen - wir wollten ein paar Tage mit dem Wagen nach Mexiko und einfach die Zeit genießen, die wir miteinander hatten. Nachdem mir mal wieder die Verbindung getrennt wurde, kam ich ziemlich fluchend wieder zurück in den Chat. Alex war völlig entsetzt und meinte, so hätte er mich noch nie erlebt, und damit könnte er einfach nicht umgehen. Ich versuchte ihm zu erklären, was bei mir losgewesen war, aber er konnte - oder wollte - es nicht verstehen. Stattdessen bot er mir an, wir könnten ja gute Freunde bleiben. Das konnte ich jedoch in dem Moment einfach nicht.» Joshua unterbrach sich kurz, um einen Schluck Wein zu trinken und sich eine neue Zigarette anzuzünden - so viel zu seinem guten Vorsatz - und dann fuhr er fort:

»Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mit der Situation umgehen konnte, und musste die ganze Zeit nur an Alex denken. Wir chatteten ein paar Mal, aber es war recht oberflächlich. Dann beschlossen wir, völlig getrennte Wege zu gehen, und auch hier ging die Initiative von mir aus - ich wollte ihn entweder ganz oder gar nicht, mehr ging bei mir einfach nicht. Tja, ein paar Tage später überkam mich noch einmal der totale Liebeswahn. Ich schrieb ihm eine lange E-Mail, bat ihn, sich das Ganze noch mal zu überlegen, und sagte ihm auch gleich dazu, wenn er mich wirklich nicht mehr wollte, dann würde ich ihn ab sofort in Ruhe lassen. Am nächsten Abend sprach er mich im Chat an, meinte, ich würde ihn sowieso nur noch nerven und er hätte kein Interesse mehr, auch nicht an einer Freundschaft. Und das war dann das Ende.«

Joshua hatte das ganze ziemlich monoton erzählt, ohne erkennbare Gefühlsregung, aber ich merkte, dass ihm das ganze ziemlich nahe ging. Er zitterte ein wenig, und seine Augen glänzten feucht. Ich war mir ziemlich unsicher, wie ich reagieren sollte, es war dasselbe Gefühl wie vorhin, als wir uns fast gestritten hätten. Jetzt, in diesem Moment, wirkte er unheimlich verletzlich, empfindlich wie ein rohes Ei. Ich hatte eine Schwäche für sensible Jungs, in solchen Situationen hatte ich immer das Gefühl und das Bedürfnis, jemanden zu beschützen und zu trösten.

Joshua hatte sich jedoch recht schnell wieder im Griff, zumindest äußerlich. »Was soll's - was vorbei ist, ist vorbei. Da kann man wohl nichts machen.« Ich schüttelte den Kopf. »Joshua, du brauchst dich meinetwegen nicht zu verstellen. Du wärst nicht der erste Junge, den ich weinen sehe, ich kann damit umgehen. Und ich weiß aus Erfahrung, dass es das Beste ist, einfach alles 'raus zulassen.« Er sah mich mit einem seltsamen Blick an, ein Viertel Belustigung, ein Viertel Hoffnung, und zur Hälfte der Wunsch, sich einfach gehen zu lassen. Einen Moment rang er mit sich selbst, bis er schließlich sagte: »Übrigens, du kannst mich ruhig Josh nennen.«

Ich musste ihn wohl angesehen haben wie ein Wesen von einem anderen Stern, auf jeden Fall fing er an, schallend zu lachen. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Was ist jetzt denn los?«, fragte ich ihn, etwas verwirrt. »Nichts. Du hast nur so unglaublich komisch ausgesehen gerade eben.« Er wischte sich ein paar Tränen aus den Augen ... Lachtränen? Für den Moment hoffte ich es. »Na ja ... ich spreche über Gefühle, und du sagst mir plötzlich, wie ich dich nennen soll, das fand ich schon etwas seltsam.«

Er stand auf, deutete aufs Sofa und fragte: »Darf ich?« Ich nickte. »Klar, das ist schließlich dein Zuhause.« Ich nahm die Beine herunter, und er setzte sich neben mich. Ich glaube, so dicht hatten wir noch nie zusammengesessen, und ich war ein wenig aufgeregt. Ich sah, dass er ein wenig zitterte, und legte ihm meinen Arm um die Schulter. »Hey, es ist alles in Ordnung. Wenn du über irgendetwas reden willst - nur zu.«

Einen Moment lang blieb er so sitzen, wie er war, dann rutschte er etwas dichter an mich heran und legte mir seinen Kopf auf die Schulter. Ich nahm ihn etwas fester in den Arm. »Ach, Kevin.«, seufzte er. »Wenn ich nur wüsste, was ich jetzt machen soll.«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. »Wieso?«, fragte ich. Er hob den Kopf und sah mir in die Augen.

»Ich bin mir so unsicher, was meine Gefühle angeht. Einerseits mag ich dich mehr als einen normalen Freund, andererseits bin ich mir nicht ganz sicher, ob es einfach nur daran liegt, dass du gerade jetzt bei mir bist, wo ich jemanden brauche.« Ich atmete tief durch und ließ seine Worte auf mich wirken. Dann antwortete ich: »Wie auch immer - es ist in Ordnung. Was auch immer du willst, ich bin für dich da.«

Er sah mich weiterhin an. »Sicher?« Ich nickte. »Hundertprozentig.« Statt einer Antwort legte er sich auf den Rücken, so dass sein Kopf auf meinen Beinen lag. So konnten wir uns in die Augen sehen, wenn auch etwas ungewohnt. Ich streichelte ihm sanft über die Brust, und Josh war deutlich anzumerken, dass er es genoss, zumindest nicht allein zu sein. Wir redeten noch eine Weile über völlig belanglose Dinge, er blieb so liegen, und schließlich schliefen wir ein.

Ungefähr zwei Stunden später wachten wir wieder auf. Auf Dauer war die Lage für uns beide etwas unbequem. Josh rieb sich den Nacken. Ich grinste. »Na, verspannt?« Er nickte. »Ja, das bleibt ja wohl nicht aus bei der Lage.« »Wir können gern tauschen.«, bot ich ihm an. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das will ich dir nicht antun.«

Er sah mir einen Moment in die Augen, dann legte er mir seine Hand auf die Schulter. »Hey, Kevin, ich freu' mich, dass du bei mir bist.«, sagte er dann. Und zum ersten Mal sah ich etwas, dass ich vorher noch nie bei ihm gesehen hatte: er lächelte über das ganze Gesicht, vor allem mit den Augen. Ich lächelte ebenfalls. »Glaub' mir, Josh, ich freu' mich auch.«, sagte ich dann.

Josh warf einen Blick auf den Tisch. »Äh ... möchtest du noch ein Glas Wein?«, fragte er mich dann. Ich nickte. »Gern. Aber das dürfte nicht unbedingt das einzige sein, was dir gerade durch den Kopf geht, oder?«, hakte ich nach. »Nein, ist es auch nicht.« Ich wartete ab, ob er noch etwas dazu sagen würde, aber das wollte er offensichtlich nicht. Statt dessen stellte er die nächste Frage: »Magst du eigentlich Musik?«

Ich nickte. »Ja. Vor allem romantische Balladen und Songs, bei denen man nachdenken muss.«, antwortete ich. »Ich glaube, ich hätte da was.«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da. Schenk' uns doch bitte noch mal ein Glas Wein ein.« Bevor ich noch etwas sagen konnte, war er aufgestanden und ging aus dem Zimmer. Nachdenklich griff ich nach der Flasche und füllte unsere Gläser nach, dann zündete ich mir eine Zigarette an. Irgendwie wurde ich aus Josh nicht schlau.

Nach zwei Minuten war er wieder da. Er hatte seinen Pullover gegen ein T-Shirt getauscht und hatte eine Gitarre in der Hand. Als er wieder ins Zimmer kam, schloss er die Tür hinter sich. »Wir wollen die beiden Kleinen ja nicht wecken.«, sagte er. Er setzte sich zu mir und schlug ein paar Saiten auf der Gitarre an, verdrehte die Wirbel ein bisschen und prüfte den Klang dann erneut. »Für meine Ohren stimmt sie.«, sagte ich.

Er hob die Augenbrauen und sah mich fragend an. »Sicher?«, fragte er. Ich nickte. »Ja. Ich spiel' selbst Gitarre, ich kenn' mich so ein bisschen damit aus.« »Okay, ich überlass' dir gleich gern mal das Feld.« »Wenn du dir das wirklich antun willst, okay. Aber du wolltest erst mal was spielen?«, erinnerte ich ihn. Statt einer Antwort schlug er vorsichtig ein paar Saiten an, und es ertönten die ersten Akkorde zu Paul Simons Stück 'I am a rock'. Das war einer meiner Lieblingssongs, und während Josh das Stück spielte und dazu sang - er hatte eine phantastische Stimme - schloss ich die Augen und gab mich ganz der Musik hin.

Offenbar war Josh meinem Wunsch nachgekommen, ein nachdenkliches Stück zu spielen - die Kernaussage in diesem Song ist nämlich die folgende: »Don't talk of love .... well, I've heard the word before. It's sleeping in my memory. And I won't disturb the slumber of feelings that have died - if I'd never loved, I never would have cried.« Sprich' nicht von Liebe ... doch, ich habe das Wort schon mal gehört. Es schläft in meiner Erinnerung. Aber ich will den Schlummer nicht stören, von Gefühlen, die gestorben sind. Hätte ich nie geliebt, dann hätte ich nie geweint.

Ich hatte mich vor kurzem Mal mit einem Freund über das Stück unterhalten, und er meinte, das wäre ja absoluter Blödsinn. Das sah ich etwas anders, schließlich hatte ich ähnliche Erfahrungen wie Josh gesammelt und wusste, dass es nichts Schlimmeres gab als Liebeskummer. Das wird jeder nachvollziehen können, der schon mal unglücklich verliebt war oder für den eine Beziehung gescheitert ist, weil der andere keinen Sinn mehr darin gesehen hat.

Als Josh fertig war, öffnete ich die Augen wieder. »Und, hat es dir gefallen?«, fragte er. Ich nickte. »Sagen wir mal so - bisher dachte ich immer, die schönste Version wäre die Liveaufnahme von Paul Simon, aber ich hab' mich getäuscht - deine ist besser.«, sagte ich. Und das sagte ich nicht, weil ich ihm schmeicheln wollte, sondern weil ich es wirklich so empfand. Vielleicht war es auch die Stimmung, das ganze Umfeld, und die zwei Gläser Wein, die ich bisher getrunken hatte, aber für mich war das ein unheimlich schöner Moment, und immer, wenn ich diesen Song höre, muss ich daran zurückdenken.

Er freute sich offensichtlich. »Schön, Hauptsache, ich hab' das Stück nicht versaut.« Ich schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht, so wahr ich hier sitze.« Er zögerte einen Moment, dann bot er an: »Willst du mal?« Ich sah ihn lächelnd an. »Hey, ein Musiker gibt niemals sein Instrument aus der Hand.« Er lächelte ebenfalls. »Nicht an jeden, aber an besondere Leute schon.« Er reichte mir die Gitarre. Das Holz war noch warm von seiner Hand. Ich überlegte kurz und fragte ihn dann: »Kennst Du Mark Chestnut?« Er nickte. »Ja. Meine Mutter hat ein paar LPs von ihm.«

»Okay. Das Stück, was ich jetzt mal versuchen werde, ist von ihm. Allerdings gab es im letzten Jahr eine Neuaufnahme von Aerosmith.« Ich suchte mir im Geiste die richtigen Akkorde zusammen und hoffte darauf, mich nicht zu verspielen ... dann fing ich an zu singen:

I could stay awake just to hear you breathing
Watch you smile while you are sleeping
While you're far away and dreaming
I could spend my life in this sweet surrender
I could stay lost in this moment forever
Well, every moment spent with you
Is a moment I treasure
(Mark Chestnut / Aerosmith, »I don't wanna miss a thing«)

Ich spielte den Song komplett - den Text hatte ich im Kopf - und während ich das Stück spielte, rutschte Josh wieder dichter an mich heran, legte mir einen Arm um und den Kopf auf die Schulter. Als ich fertig war, fragte er: »War es das, was ich denke, was es war?« Ich legte die Gitarre vorsichtig zur Seite und antwortete: »Ich weiß ja nicht, für was du es hältst.« Er atmete tief durch und sagte dann: »Dann hoffe ich mal, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege. Wenn ja, war es die schönste Liebeserklärung, die ich je bekommen habe.« Er schloss die Augen, beugte sich zu mir herüber. Unsere Lippen trafen sich, ich erwiderte seinen Kuss, und wir beide ließen uns einfach fallen

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