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New Life Diaries

Neue Stadt, neue Familie, neues Leben: Coming-Out Story

Teil 8 - Freundschaft mit Hindernissen

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

01.27 Eifersüchtig

Am Sonntag waren Helenas Eltern zum Kaffee gekommen. Sie waren auch wieder ganz nett zu mir, trotzdem fand ich es eher langweilig ihnen zuzuhören, wie sie über alte Bekannte sprachen. Ich glaube selbst Gerrit und Soja kannten sie zum Großteil gar nicht. Ich konnte mich dann irgendwann zusammen mit meinem Vater verdrücken, um den Dachbodenausbau zu planen. Im Grunde waren es aber nur seine Fantasien, von denen er mir erzählte, wie das Ganze einmal aussehen könnte. Später kam auch Gerrit hoch und hörte sich Papas Vorstellungen an, der sie vermutlich auch noch ein drittes Mal jemanden erzählt hätte. Die Großeltern von Soja und Gerrit blieben dann auch noch zum Abendessen. Eigentlich war ich froh, als ich endlich auf mein Zimmer gehen konnte und sich der Tag dem Ende neigte.

Vor dem Schlafen war ich noch kurz online. Auf Facebook waren jetzt Bilder von der Party hochgeladen. Viele davon sahen ziemlich lustig und fertig aus. Auch vom Ass Slappin‘ waren welche dabei, aber auf keinem konnte man Jans Hintern wirklich erkennen. Eigentlich nur auf einem und das war so verschwommen, dass man es auch nur erahnen konnte, wenn man es wusste. Schade eigentlich. Ich hoffte, dass das Video vom Hauslauf noch folgen würde.

Im ICQ schrieb mich Lukas an. Es dauerte nicht lange und er schwärmte wieder von Angelo, den er heute schon wieder getroffen hatte.

„Er war bei mir und wir haben einfach nur gekuschelt und geknutscht. Es war total schön.“

Wollte ich das wissen?

„Gut, oder?“

„Was denn?“, wusste ich nicht, was er meinte.

„Das wir nicht mehr gemacht haben. Das ist ungewöhnlich für Schwule. Also kommt es Angelo nicht nur aufs Ficken an.“

„Das macht ihr dann morgen erst, oder wie?“ Warum hatte ich das jetzt nur abgeschickt. Aber Lukas antwortete nur mit einem zwinkernden Smiley, als ob er mir damit sagen wollte, dass genau das heute passieren könnte.

Beim Einschlafen tat ich mich in den letzten Tagen echt schwer. Ich wollte auch unbedingt mal mit einem Jungen kuscheln und mehr machen. Ich landete dann doch noch auf einem Video-Portal mit Pornos und schaute mir was von Brent Corrigan an. So einen Typen hätte ich auch gern. Der war perfekt.

Auf dem Weg zur Schule blieb Gerrit wieder sehr ruhig. Er war auch schon mal mitteilungsbedürftiger. Wir gingen dann in unsere Klassen. Jacob saß auf unserem Tisch und unterhielt sich mit Timo, als ich den Klassenraum betrat. Immerhin die zwei hatten gute Laune und begrüßten mich dementsprechend. Es ging natürlich um die Geburtstagsfeier von Robin am Wochenende. Jacob zeigte uns ein paar Fotos von seinem Handy. „Stellst du sie auch online?“, wollte ich von ihm wissen.

„Ich hab sie gestern Robin geschickt. Wenn, dann soll er das machen.“

Als Frau Schenk die Klasse betrat, ging Jacob auf seinen Platz und zwei langweilige Stunden Geschichte standen uns bevor. In der Französischstunde wurde ein Vokabeltest für nächsten Montag angekündigt. Wie immer kamen alle Klausuren auf einmal. Das war wohl an jeder Schule gleich. Vorher musste ich noch Englisch lernen für Freitag, aber das dürfte nicht sonderlich schwer werden.

Im Sportunterricht wurde wieder Fußball gespielt. Bis zum Hallenturnier nächste Woche würde sich das auch nicht mehr ändern.

Im Religionsblock fiel mir auf, dass Lukas und Anja die ganze Zeit tuschelten und lachten. Bestimmt ging es um Angelo, dachte ich mir. Außerdem fehlte Moritz schon wieder und Gerrit und Daniel hatten sich allein in die hinterste Reihe verdrückt. Nach Hause musste ich dann auch alleine fahren, weil er noch wohin wollte.

Beim Training wurden wir als erstes Mal direkt in die Kälte geschickt und mussten um den Block laufen. Als wir wieder ankamen, war ich schon komplett aus der Puste. Keine Ahnung wie die anderen noch so frisch sein konnten?

„Freitag noch gut nach Haus gekommen?“, fragte mich Kevin.

„Ich bin ja bis Samstag geblieben“, erinnerte ich ihn. „Du warst ja plötzlich weg.“

„Ich weiß gar nichts mehr“, lachte Kevin.

„Am coolsten war, als meine Eltern nach Hause kamen“, begann Robin zu erzählen. „Mein Vater meinte so: Die Wohnung ist einigermaßen sauber, es liegt keiner mehr im Klo und die Polizei hat nicht angerufen. Habt ihr überhaupt gefeiert?“

Wir lachten alle. „Deine Eltern will ich haben“, meinte Bastian.

„Wir sollten öfter bei Robin feiern“, fand auch Timo. „Dein Vater kann dann ja mitfeiern.“

Mike gönnte uns keine lange Pause und es ging mit Krafttraining weiter, bevor wir dann noch ein paar Spielzüge probten.

Einige der Jungs waren noch zu KFC gefahren, aber ich hatte keine Lust mehr und bin direkt nach Hause.

Nach dem Training klopfte ich an Gerrits Tür, die geschlossen war.

„Was?“

„Kann ich reinkommen?“, fragte ich vorsichtig an.

Anstatt zu Antworten machte er mir die Tür auf. „Was ist denn?“

„Nichts, ich wollte nur mal schauen, was du machst?“

„Nichts weiter“, antwortete Gerrit.

Irgendwie kam ich mir ganz schön doof vor. Ich stand bei ihm im Zimmer, keiner sagte was und es machte auch nicht den Eindruck, als ob Gerrit großartig Lust dazu hatte. Nun war er schon seit einigen Tagen so komisch drauf.

„Training war ganz schön anstrengend heute. Wir haben Krafttraining gemacht und mussten draußen laufen.“

Gerrit setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

„Wir können ja Mittwoch mal zusammen Joggen gehen, wenn es nicht zu rutschig ist. An meiner Kondition muss ich echt noch arbeiten.“

„Können wir machen“, war Gerrit einverstanden.

„Ich geh dann mal wieder rüber“, wusste ich auch nicht mehr so recht, was wir reden sollten.

In meinem Zimmer loggte ich mich als erstes bei Facebook ein, um zu schauen, ob neue Fotos online waren. Es waren tatsächlich noch welche aufgetaucht, aber alle waren unspektakulär. Auf einem war Jan markiert. Ich öffnete sein Profil, welches leider komplett privat war. Kurz zögerte ich, dann schickte ich ihm eine Freundschaftsanfrage.

Plötzlich stand Gerrit wieder in meinem Zimmer. Er war so leise, dass ich mich doch ein wenig erschreckt hatte.

„Und was machst du so?“

Ich drehte mich zu ihm um. „Ich hab mir grad Bilder von der Party am Freitag angeschaut. Willst du mal sehen?“

Gerrit setzte sich zu mir und wir klickten uns durch die Bilder. „Krass, was macht Timo denn da?“

„Da hilft er so einem Typen auf. Davor haben sie aus dem Fenster gepinkelt.“

Gerrit lachte. „Lol.“

Ich lachte auch, aber hauptsächlich über Gerrit, weil ich es immer lustig fand, wenn er LOL außerhalb von Chats benutzte.

„Ich muss mir auch mal einen Account zulegen“, meinte er dann.

„Ja, unbedingt“, war ich seiner Meinung. „Wird mal Zeit.“

Wir klickten uns noch ein wenig durch die Profile von Freunden, die Gerrit auch kannte. Dann stand er auf, aber nicht um zu gehen, sondern um sich auf mein Bett zu setzen.

„Ich glaub ich mach mit Marina Schluss“, sagte er plötzlich.

„Was?“, war ich überrascht.

„Es ist total anstrengend mit ihr.“

„Ich hab schon mitbekommen, dass du die letzten Tage nicht so gut drauf warst.“

Ich setzte mich zu ihm aufs Bett. „Und warum willst du Schluss machen?“

„Ach egal“, wollte er nicht so recht mit der Sprache rausrücken.

„Hat sie wieder mit Dennis rumgemacht?“

„Nee“, schüttelte Gerrit seinen Kopf. „Sie ist plötzlich wie eine Klette und sobald ihr etwas nicht passt, wird sie unerträglich. Wenn ich auf eine SMS nicht sofort reagiere, ruft sie an. Wenn es nach ihr ginge, würde ich auch kein Fußball mehr spielen, weil das ja viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt.“

„Sie will, dass du kein Fußball mehr spielst? Wie dumm ist das denn?“

„Krass, oder? Sofort nachdem wir miteinander gepennt hatten, fing das an. Sie warf mir ständig vor, dass mir das Training oder Sportübertragungen im Fernsehen viel wichtiger seien und ich mich mal entscheiden solle, was mir wichtiger ist.“

Ich wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte.

„Naja, ich hatte sie jetzt zwei Mal.“ Ein freches Grinsen zeichnete sich für einen kurzen Moment in seinem Gesicht ab.

„Wenn ich ehrlich bin, dann mochte ich sie auch nie wirklich“, gab ich zu.

„Ach?“, war er überhaupt nicht überrascht. „Als ob ich das nicht mitbekommen hätte?“

Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass man das so deutlich merkte. Naja, egal. Ich hoffte jetzt nur, dass er tatsächlich mit ihr Schluss machen würde.

„Ich geh dann mal pennen“, stand er von meinem Bett auf und ging zur Tür. „Gute Nacht.“

„Schlaf gut, Gerrit“, schauten wir uns kurz an. Irgendwie tat er mir leid, aber so war es bestimmt besser. Ich konnte eh nicht verstehen, dass er ihr noch eine Chance gab, nachdem sie ihn schon einmal betrogen hatte.

Der Dienstag endete nach der 7. Stunde. Weil Gerrit noch eine Stunde Ethik vor sich hatte, fuhr ich allein los. Vor mir entdeckte ich Lukas, der an einer Ampel warten musste. Ich schloss zu ihm auf und schaute freundlich zu ihm. „Hey.“

„Hi Marvin“, strahlte er mich an. Wir plauderten kurz über die Schule. Neugierig wie ich war, fragte ich nach Angelo. „Habt ihr denn schon miteinander…“

„Nein, noch nicht. Ich hab ihn noch nicht wieder gesehen, weil er auch so wenig Zeit hat wegen Schule grad.“

„Ach so, aber sonst läuft es noch gut?“

„Angelo ist super. Ich mag ihn echt. Aber ich finde es auch super, dass wir uns wieder normal unterhalten können.“

„Ich auch. War ganz schön blöd gewesen zu Streiten.“

„Hast du vielleicht noch Lust mit zu mir zu kommen? Dann können wir mal wieder richtig reden.“

„Ich hab noch Zeit, bis es Mittag gibt bei uns.“

Lukas freute sich und zusammen fuhren wir zu ihm nach Hause.

01.28 Körperkontakt

Es war schon etwas seltsam wieder bei Lukas im Zimmer zu sitzen. Keiner war da. Wir waren wieder ganz allein.

Ich glaube Lukas merkte mir an, dass ich nicht zu hundert Prozent entspannt war.

„Keine Angst, ich werde dich heute nicht wieder überfallen.“

Ich lächelte. „Da bin ich ja jetzt beruhigt.“

Wir saßen vor seinem Bett auf dem Fußboden. Lukas bekam eine SMS.

„Von Angelo“, meinte er. „Er kommt in 20 Minuten vorbei.“

„Oh“, wusste ich nicht genau, wie ich darauf reagieren sollte. „Ich kann auch wieder gehen.“ Ich wollte schon aufstehen, da hielt mich Lukas am Arm.

„Bleib doch noch. Zumindest noch ein paar Minuten.“

„Okay“, war ich einverstanden. „Ich weiß, du willst, dass ich mit Kerstin Schluss mache“, wechselte ich das Thema. „Aber ich weiß noch nicht genau, ob ich das jetzt schon kann.“

„Umso länger du brauchst, desto mehr wirst du sie verletzen“, mahnte er.

„Ich weiß, aber das ist gar nicht so leicht.“

„Stattdessen machst du ihr weiter was vor und fickst mit ihr rum?“

„Nein“, wollte ich mich verteidigen. „Ich… keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass wir noch mal zusammen schlafen werden.“

„Dann wird sie sich erst recht wundern.“

„Ich weiß. Obwohl ich sie total gern mag, hat mich das so viel Überwindung gekostet.“

„Weil du lieber halt mit einem Kerl rummachen würdest.“

„Ja“, gab ich zu. „Aber…“

„Keine Angst, ich werde mich da nicht einmischen und dich unter Druck setzen. Das war mies von mir. Aber ich finde es einfach nicht gut, wenn du Kerstin noch länger belügst.“

Ich lächelte erleichtert. „Danke, Lukas.“

Er schaute mir in die Augen. Plötzlich wollte ich ihn Küssen und eigentlich doch nicht, aber für eine Sekunde hatte ich diesen Wunsch.

„Ich geh dann mal“, stand ich stattdessen auf.

Lukas nickte und begleitete mich zur Haustür.

„Danke, tat irgendwie gut mit dir zu sprechen“, standen wir uns gegenüber.

„Du weißt, ich hab dich sehr gern. Und du musst mich in der Schule auch nicht meiden. Auch Heteros haben Schwule als Freunde.“

„Tut mir leid. Sowas kommt nicht mehr vor. Und du wolltest doch Sherlock Holmes gucken. Das können wir gerne noch mal tun.“

Lukas strahlte. „Lass dich mal drücken.“

Ich ließ es geschehen, aber komisch fühlte es sich trotzdem an. So löste ich mich auch schnell von Lukas und öffnete die Tür. „Bis dann.“

Ich verließ das Grundstück, und wollte gerade nach links biegen, als ich fast mit einem Jungen zusammengestoßen wäre. Es war Angelo. Ich erkannte ihn vom Foto her. „Entschuldige“, sagte er und lächelte freundlich. „Ich hatte dich gar nicht gesehen.“

Ich erwiderte sein Lächeln. Verdammt, der sah wirklich so schnuckelig aus, wie auf dem Foto. Besser sogar. „Kein Ding, ich hätte ja auch aufpassen können.“

Als Gerrit auch Schulschluss hatte, gab es für uns beide Mittagessen. Helena hatte Suppe gekocht. Als wir allein waren, schaut ich Gerrit fragend an. „Und? Hast du schon mit Marina Schluss gemacht?“

„Nee“, löffelte er in seiner Suppe.

Ich glaub er wusste auch noch nicht so recht, wann er das tun sollte. Seine Situation kam mir irgendwie bekannt vor.

Zusammen mit Gerrit verließ ich das Haus. Er musste zum Training und ich war mit Kerstin verabredet. Ich war zwei Mal kurz davor, eine mögliche Trennung anzusprechen, aber ich konnte mich dann nicht überwinden. Sie war einfach zu nett wieder. Wir tobten mit Sparky im Garten und ihre Mutter machte uns danach eine heiße Schokolade. Als wir mit ihren Eltern und ihrem Bruder zusammensaßen, bekam ich von Lukas eine SMS. Er fragte, ob wir telefonieren könnten oder ob ich vorbeikommen könnte? Ich fragte mich, was er wohl wollte, schrieb ihm aber zurück, dass ich keine Zeit mehr hätte und vertröstete ihn auf morgen.

Mit der Zeit bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen. Alle hatten mich schon als Freund von Kerstin akzeptiert. Sogar ihr Bruder war nett zu mir und ich zockte sogar eine Runde mit ihm an der Playstation. Mit Kerstin war ich nur kurz allein in ihrem Zimmer. Sie fragte mich meine Vokabeln für Freitag ab und belohnte mich dann mit einem Kuss, weil ich alle drauf hatte.

Wieder zu Hause freute ich mich, dass Jan meine Freundschaftsanfrage angenommen hatte. Sofort schaute ich in sein Profil und klickte mich durch seine Bilder. Auf vielen war er ohne T-Shirt zu sehen. Von der Party waren aber nur die zu sehen, die ich schon kannte. Ich entschied mich dazu ihm eine private Nachricht zu schreiben. „Hey Jan, Party gut überstanden? Was macht dein Hintern?“ Ein zwinkernder Smiley vervollständigte meine Nachricht. Ich war mir erst nicht sicher gewesen, ob ich ihn nach seinem Hintern fragen sollte, aber machte es dann doch. Es war ja lustig gemeint. Da er nicht online war, wartete ich auch keine Antwort mehr ab. In mir stieg aber wieder das Verlangen nach einem Jungen. Ich ging bei Romeo on und war ganz erleichtert, dass Lukas nicht online war, ansonsten hätte er vielleicht heute noch telefonieren wollen. Ich ließ mich auf flirtende und eher schwanzgesteuerte Chats ein. Mit einem Jungen, der ganz süß war, schrieb ich ziemlich eindeutige Nachrichten hin und her und wir machten uns gegenseitig geil. Wir tauschen auch oben ohne Pics, mehr aber nicht. Tobias, wie der Junge hieß, schrieb immer wieder, dass er das auch alles real gerne mal mit mir machen würde und ich war so scharf, dass ich am liebsten gleich zugesagt hätte. Aber am Ende würde ich mich das eben niemals trauen. Ich machte mir noch nebenbei wieder einen Pornoclip von Brent Corrigan an, der es mir in den letzten Tagen echt angetan hatte.

Am Mittwoch rutschte ich aufgeregt auf meinem Stuhl hin und her. Die Stimmung in der Klasse war angespannt und dann betrat Frau Dewanger mit einer zusätzlichen Stofftasche die Klasse. Alle Hoffnungen, dass sie die Klausuren noch nicht fertig hatte, waren damit begraben. Als sie den Klassenspiegel an die Tafel schrieb, war mir klar, dass es auch keine Hoffnung mehr auf eine vier gab. Es gab nur eine zwei und haufenweise fünfen. Sogar eine sechs war dabei. „Die hab bestimmt ich“, war sich Timo sicher. Ich vermutete aber eher, dass ich die hätte. Beim Üben war Timo eigentlich besser als ich gewesen. Frau Dewanger hielt uns wieder einen Vortrag, wie enttäuscht sie vom Ausfall der Klausur war und das nicht erwartet hatte. Unsere Klassensprecherin, Claudia, meldete sich und meinte, dass die Klausur so nicht gewertet werden dürfte. Aber ihr Einwand wurde sofort abgeschmettert. Frau Dewanger fing an die Klausuren zu verteilen. Timo und ich waren echt super nervös. So kannte ich ihn gar nicht, normal war er immer eine coole Sau. Angeblich war die erste sechs schon weg. Aber das Zittern ging weiter. Dann kam Frau Dewanger zu unserem Tisch und ließ meine Klausur auf den Tisch fallen. Ich blätterte zur Seite mit der Note – und hatte eine fünf. Oha, immerhin war es nicht die zweite sechs. Für Timo ging das Zittern weiter. Jacob hatte eine vier, Daniel auch eine fünf. Dann kam Frau Dewanger wieder an unserem Tisch vorbei und gab Timo seine Klausur zurück. „Gott sei Dank“, atmete er auf. Ich dachte erst, er hätte vielleicht sogar eine vier geschafft. Aber auch er hatte eine fünf. Alle fragten sich, wer die zweite sechs hatte. Frau Dewanger erstickte aber die Diskussionen. Erst in der Pause erfuhren wir, dass Martin und Nadine eine sechs hatten, was uns total überrascht hatte, weil sie sonst wohl ganz gut in den anderen Fächern waren. Ich hätte ja eher auf Erik getippt, der aber tatsächlich eine vier hatte. Ich hasste es immer, wenn alle nach Klausuren behaupteten, sie hätten sie total verhauen und garantiert eine fünf – und am Ende hatten sie dann eine viel bessere Note. Davon gab es auch viele in der Klasse.

Als ob der Tag nicht schon Scheiße genug gewesen wäre, kündigte Herr Beck einen Chemietest an, den wir in zwei Wochen schreiben würden.

Vor der Lateinstunde lief mir dann Lukas zum ersten Mal heute über den Weg. „Kommst du nach der Schule noch mit zu mir. Ich wollte mir dir reden.“

„Ich fahr doch mit Gerrit nach Hause. Es gibt auch sofort Essen bei uns“, erklärte ich.

„Danach?“

„Ja, okay. Ich komme kurz längs“, war ich einverstanden. „Worum geht’s denn überhaupt?“

„Das erzähle ich dir später“, meinte er und ging schon in das Schulgebäude. Ich stellte mich vor den Eingang und wartete darauf, dass die anderen auch langsam kamen. Sven und Martin kamen dann auch. Sie waren ja die einzigen Jungs aus meiner Klasse, die auch Latein gewählt hatten. Johanna und Annika gingen schon in die Klasse. Normal wurden wir aber immer von der Aufsicht wieder rausgeschickt, wenn noch Pause war. Als es klingelte gingen wir in den Raum. Ich wartete darauf, dass Moritz langsam mal auftauchte. Ich glaube, ich hatte ihn noch gar nicht gesehen gehabt heute.

Als er dann den Raum betrat, war ich erleichtert. Ich hoffte, dass ich ihn nicht zu stark entgegen gestrahlt hatte. „Hey, Moritz“, begrüßte ich ihn und er schlug gleich mit mir ein.

Wir kamen auch sofort ins Gespräch. Auch von ihm kamen mal fragen, wie es beim Handball laufen würde und ob ich auch Olympia verfolge?

Es war echt schade, dass wir immer nur die kurze Zeit vor dem Unterricht hatten, um uns mal zu unterhalten. Leider hatten wir sonst kaum Kontakt. Immer wenn ich ihn sah und er in meiner Nähe war, hatte er mich sofort in seinem Bann gezogen. Die Tage vorher hatte ich gar nicht oft an ihn gedacht. Es war irgendwie jede Woche das gleiche. Und als der Kurs vorbei war, da war auch Moritz wieder weg und vermutlich würde es wieder eine Woche dauern, bis wir uns wieder sprachen.

Zu Hause beichtete ich schon mal Helena die schlechte Mathenote. Später musste ich das wohl auch noch meinem Vater erzählen, da fünfen bei uns unterschrieben werden mussten.

„Wo willst du hin?“, fragte mich Gerrit, als ich mich nach dem Mittag wieder fertig machte. „Ich dachte wir gehen noch Joggen?“

Eigentlich hasste ich es, Joggen bei Schnee. Wie bescheuert. „Es dauert nicht lange. Ich muss nur noch kurz zu.. Kerstin“, hätte ich mich fast versprochen.

„Hallo Marvin“, lächelte mich Lukas‘ Mutter an, als sie mir die Tür öffnete. „Lukas ist oben.“

Den Weg kannte ich inzwischen bestens. Er kam auch schon aus seinem Zimmer und lächelte mich ebenfalls an. „Schön, dass du gekommen bist.“

„Kein Ding“, meinte ich. Er schloss seine Zimmertür hinter uns und setzte sich dann auf sein Bett. Ich lehnte mich gegen seine Fensterbank.

„Willst du dich nicht mal von Moritz wegsetzen?“

Ich starrte Lukas mit ungläubigen Augen an. „Wieso?“

„Hast du etwa vergessen, was ich dir über ihn erzählt hatte? Neben ihn zu sitzen ist doch genauso verlogen, wie deine Beziehung zu Kerstin.“

„Deshalb wolltest du mich sprechen?“, war ich leicht verärgert.

„Nein, ich wollte dir auch keinen Vorwurf machen“, lenkte Lukas ein. „Ich will nur, dass du nicht vergisst, wie Moritz wirklich ist.“

Ich nickte. Mir fiel es immer noch schwer zu glauben, dass er so ein Arsch gewesen sein soll. Aber vielleicht war er damals nur überfordert gewesen? „Und was wolltest du mit mir gestern bereden?“

Er stand von seinem Bett auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Seine Beine baumelten jetzt direkt vor meinen, wo ich am Fenster stand.

„Angelo wollte doch gestern kommen“, fing er an.

„Ja?“, wunderte ich mich. „War er das nicht?“ Ich erinnerte mich an meinen Zusammenstoß mit ihm und das ich mir ziemlich sicher war, dass er es war, der auf das Grundstück von Lukas‘ Familie wollte.

„Doch, doch“, bestätigte Lukas. „Und weißt du noch, dass ich dir davon erzählt hatte, dass wir uns geküsst und zusammen gekuschelt hatten?“

Wieder nickte ich. „Ja, und? Habt ihr gestern etwa miteinander…“

„Nein“, unterbrach er meine Gedankengänge. „Er will nichts von mir. Für ihn bin ich nur ein guter Freund. Aber Treffen will er mich eigentlich auch nicht mehr.“

„Oh“, war ich überrascht. „Das tut mir leid. Ich dachte ihr wärt schon fast ein Paar gewesen.“

„Er ist nicht mal geoutet. Warum habe ich nur immer Pech mit Jungs? Er ist genauso wie du.“

„Wie ich?“

„Erst macht er mir Hoffnungen, dann ist er nicht geoutet und will nichts von mir wissen.“

Lukas war auf einmal total frustriert und traurig. Er tat mir richtig leid und ich fühlte mit ihm. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du dich in mich…“

„Ist okay. Wir sind jetzt einfach gute Freunde. Das hält wenigstens länger als nur zwei Wochen.“

„Tut mir leid“, sagte ich mitfühlend.

„Ich mochte ihn echt gern und er konnte so süß sein. Wenn du ihn kennen würdest, dann wüsstest du, was ich meine.“

Klar konnte ich mir schon gut vorstellen, was er meinte. Auf mich wirkte er auch nett und sehr süß. Auch wenn ich das nach zwei Sätzen schlecht einschätzen konnte.

„Irgendwann wirst du auch den richtigen finden. Mach dir doch nicht immer so einen Stress.“

„Aber ich will jetzt einen festen Freund“, maulte Lukas. „Ich brauche jemanden zum Reden und zum Festhalten.“

Er war echt total fertig. Auf einmal. Ich hielt es für meine Pflicht ihn jetzt selbst zu drücken und lieh ihm meine Schulter. Ich konnte ganz genau nachvollziehen, wonach er sich sehnte. Wir gern hätte ich mal mit Gerrit über alles ehrlich gesprochen und mir seinen Rat gewünscht, was ich zum Beispiel mit Kerstin machen sollte? Lukas hob seinen Kopf und schaute mir wieder in die Augen. Wie beim letzten Mal, als ich bei ihm war. Und dieses Mal kam es tatsächlich zu einem Kuss, den ich zuließ. Wir standen an seinem Fenster, nah beisammen und küssten uns für einen Moment. Als wir ihn lösten, schaute ich ihn an und war total verunsichert.

„Sag jetzt nicht, dass du eine Freundin hast“, zeichnete sich ein leichtes Lächeln bei ihm im Gesicht ab.

„Nein“, antwortete ich. „Aber trotzdem… du bist doch eigentlich in Angelo verliebt.“

„Ich weiß nicht, vielleicht. Aber ich war auch immer in dich verliebt“, wollte Lukas mehr von mir, als ich ihm geben konnte.

„Aber für mich fühlt sich das alles noch falsch an“, erwiderte ich und hoffte, dass er mich verstand und nicht noch mehr verletzt wurde.

„Du musst dich noch nicht outen“, wollte Lukas mich umstimmen. „Ich will einfach mit dir zusammen sein.“

„Aber nur als Freunde“, nahm ich ihm seine Hoffnungen. „Mehr geht nicht.“

„Du meintest letztens auch, dass du mal mit einem Jungen schlafen willst.“

„Schon, aber wir sind nur Freunde. Wir waren nie mehr.“

Lukas setzte sich auf sein Bett. „Tut mir leid“, begann er gefasst. „Ich hätte dich nicht küssen sollen.“ Zugegeben ging der Kuss von uns beiden aus, aber ich unterbrach ihn nicht. „Ich weiß ja, dass du auf andere Jungs wie Moritz stehst.“

„Nee, ich steh nicht auf Moritz. Er ist nur einfach immer nett zu mir gewesen.“

„Er ist ein Arsch!“, korrigierte mich Lukas. „Dann bleibt es dabei, dass wir Freunde bleiben?“

„Ja“, nickte ich und war froh, dass er selbst zu diesem Schluss kam.

„Und wir gehen trotzdem noch ins Kino?“, lachte er mich leicht an.

„Na klar“, versicherte ich ihm lächelnd. „Heute ist nichts passiert. Alles ist gut zwischen uns.“ Puh, war ich froh, dass wir diese Situation geklärt hatten…

01.29 Dein Freund, mein Freund, Part I

Beim Laufen mit Gerrit wurde mir klar, dass ich konditionsmäßig ordentlich Nachholbedarf hatte. Ich bekam schon Seitenstiche und ich glaube, dass Gerrit ohne mich noch länger gelaufen wäre. Zurück zu Hause sprang ich gleich unter die Dusche. Das tat jetzt richtig gut. Wir waren aber tatsächlich nicht die einzigen, die so verrückt waren und bei dieser Kälte und immer noch weißen Straßen zu Joggen. Ob das sein Trainer gar nicht für viel zu gefährlich hielt?

Während ich mich an meinen Rechner setzte, ging auch Gerrit pfeifend unter die Dusche. Seine gute Laune heute Nachmittag war mir schon fast unheimlich. Wenig später stand mein Vater in meiner Tür.

„Helena sagte mir, dass ihr heute Mathe zurückbekommen habt?“

Ich drehte mich zu ihm um. Verdammt! Das hatte ich schon wieder erfolgreich verdrängt gehabt. „Oh ja“, nickte ich.

„Nicht gut?“, vermutete mein Vater.

„Gar nicht gut“, antwortete ich. „Ich hab ne fünf, hatte ich ja schon vermutet.“ Ich ließ die Klausur von ihm unterschreiben.

„Die ist aber überhaupt schlecht ausgefallen“, bemerkte er den Klassenspiegel und war irgendwie gar nicht böse.

„Ja, bringt mir aber auch nicht wirklich was.“

„Die nächsten werden besser. Am Anfang ist es immer schwer reinzukommen.“

„Ich hoffe, du hast recht“, lächelte ich. Papa ging wieder nach unten und ich machte meinen Rechner an.

Bei Facebook hatte ich einige neue Mitteilungen. Zwei Freundschaftsanfragen waren dabei. Eine war von Lukas. Hatte er mich jetzt wohl auch hier gefunden. Eine andere Freundschaftseinladung kam von einem Typen von Robins Party. Eigentlich hatten wir gar nicht viel miteinander zu tun gehabt. Naja, ich nahm die Anfrage trotzdem an, während ich die von Lukas erst mal zurückstellte. Von Jan war eine Antwort auf meine Nachricht gekommen. „Haha! Macker, das tat so weh! Auf der nächsten Party bist du dran!“

Schmunzelnd ging ich auf „Antworten“. „Sah auch so aus. Nächste Party? Ähm… öh, da kann ich nicht.“

Auf jeden Fall wäre es echt stark bald mal wieder mit den Jungs zu Feiern. Das war echt krass gewesen.

Deutsch war ja irgendwie schon mein Lieblingsfach. Und außerdem kam ich sehr gut mit Frau Ruschke klar. Ich mochte sie schon, auch wenn sie in Deutsch viel besser als in Französisch war. Später in Mathe kündigte Frau Dewanger an, nächsten Freitag noch eine weitere Mathearbeit schreiben zu lassen. Also keine richtige Klausur, nur ein kurzer 45 Minuten Test mit gleicher Thematik, um unsere Noten aufzubessern. Begeistert waren wir aber alle nicht, weil wir eher vermuteten, dass wir unsere schlechten Noten bestätigen würden. Dieses Mal wollten Jacob und Daniel auch mit uns lernen. Jacob war auch der einzige, der uns vielleicht retten konnte, hatte er doch als einziger von uns keine fünf gehabt.

In Sport ließ uns Herr Friedrich wieder Fußball spielen.

Beim Training fehlten heute gleich mehrere Jungs. Auch Timo fehlte, weil seine Oma heute Geburtstag hatte. So war es heute eher eine Spaßeinheit, was mir auch ganz recht war.

Der Freitag begann natürlich wieder mit Medien Informatik. Herr Arp war eigentlich immer locker, aber als wir uns zu lange noch mal mit den Englisch Vokabeln beschäftigt hatten, ermahnte er uns dann doch, dass wir die Bücher mal zur Seite legen sollten und er dafür gerne fünf Minuten eher Schluss macht.

Englisch lief dann super. Noch in der Doppelstunde wurden die Tests kontrolliert und ich bekam wieder eine zwei. Trotzdem ärgerte ich mich, weil ich nur einen dummen Flüchtigkeitsfehler drin hatte. Endlich gab es auch mal überhaupt keine fünf, da hatten wohl alle gelernt gehabt.

Nach der Mathestunde war dann auch schon Schluss für heute. Mit Daniel und Timo stand ich bei den Fahrrädern. Wir ärgerten noch die Jungs aus der A und B, die noch zwei Stunden vor sich hatten.

„Was macht ihr heute Abend?“, wollte Daniel wissen.

„Popfox, oder was?“, schlug Timo vor. „Oder lässt dich deine Freundin nicht?“, wandte er sich fragend an mich.

„Ich weiß nicht? Eigentlich habe ich noch nichts vor.“

„Dann bist du dabei“, beschloss Daniel und grinste. „Kannst ja Gerrit auch Bescheid sagen.“

Genau das machte ich auch, als er kurz vor 3 nach Hause kam.

„Ich treffe mich später mit Marina. Aber geh doch trotzdem.“

„Mit Marina?“, war ich überrascht. Hatten sie sich doch wieder vertragen?

„Jap“, stand er gut gelaunt von seinem Schreibtischstuhl auf und kramte seine kurze Hose hervor.

„Willst du zum Sport?“

„Laufen“, zog er sich seine Jeans aus. „Kommst du mit?“

„Ich weiß nicht?“

„Ich dachte du willst gut werden, also?“, hatte Gerrit inzwischen seine Sporthose an und schaute mich auffordernd an.

„Na gut“, gab ich nach. „Ich zieh mich um.“

Ich war froh, dass er mich überredet hatte. Heute ging es schon viel besser, als noch am Mittwoch. Wir beschlossen auch, jetzt zwei bis drei Mal pro Woche zusammen zu Joggen. Gerrit war da sehr bemüht, mich langsam an sein Level heranzuführen.

Als wir zurückkamen, hatte ich gleich zwei SMS auf meinem Handy. Eine von Lukas und eine von Kerstin. Lukas fragte, ob wir heute vielleicht ins Kino gehen könnten und Kerstin wollte mit mir auf ein Konzert. Ich antwortete beiden, dass ich schon mit den Jungs was vorhätte. „Immer hast du schon was anderes vor. Morgen aber wieder DSDS“, antwortete Kerstin sofort. Um sie nicht weiter zu verärgern, war ich einverstanden, auch wenn ich keine große Lust dazu hatte.

Am Abend im Popfox war ich überrascht, dass kaum Leute aus unserer Klasse da waren. Eigentlich waren nur Daniel und Timo da, sowie Johanna und eine Freundin von ihr, die ich nicht kannte. Mit Daniel ging ich kurz Kickern, während Timo versuchte ein paar Mädels anzubaggern.

Als ich mit Daniel und den beiden Mädels am Tresen saß, kam Timo bester Laune zu uns. „Was ist, kommt ihr mit? Wir wollen noch weiterziehen! Im StageClub ist heute Alternative Party und freier Eintritt.“

Ich hatte keine Ahnung wo der Club war und auch nicht groß Lust noch weiterzuziehen, weil Gerrit meinte, dass er vielleicht noch nachkommen würde.

„Komm schon, hier ist es heute eh langweilig“, wollte auch Daniel mit.

Die beiden Mädels wollten aber auch nicht weiterziehen, also blieb ich auch im Popfox.

„Na dann, noch viel Spaß mit den Mädels“, verabschiedete sich Timo.

„Euch auch.“

Wir saßen inzwischen in einer der gemütlichen Sofaecken und schauten den anderen Leuten beim Feiern zu. Johanna erzählte ihrer Freundin Stefanie von unserer tollen Matheklausur.

„Und du hattest auch eine fünf?“, fragte mich Stefanie.

„Ja, wie fast alle. Außer Johanna.“

„Kannst du den Jungs keine Nachhilfe geben?“, schlug Stefanie ihrer Freundin vor.

„Vielleicht am Donnerstag.“

„Da haben wir den HallenCup und ich hab noch Training später“, überlegte ich.

„Siehst du, sie haben nie Zeit.“

Die Gespräche wurden so langweilig, dass ich mich in der Zwischenzeit geärgert hatte, nicht mit den anderen Jungs weitergezogen zu sein.

Als ich vom Pinkeln zurück zu den Mädels wollte, war der Zwischengang komplett zugestellt. Keine Ahnung warum die da alle standen? War ich froh, als ich es geschafft hatte mich durch die Menschenmenge zu quetschen. „Hey“, sprach mich plötzlich ein Junge an.

„Hi.“ Ich starte überrascht in das Gesicht von Angelo. Zumindest war ich mir ziemlich sicher, dass er es war.

„Hatten wir uns nicht letztens in der Marienstraße fast umgelaufen?“

Ich nickte eifrig. „Ja, war mir auch so.“

„Kommt man da durch?“, wollte er wohl auch mal zum WC.

„Wenn du dich klein machst und dich gut durchdrängeln kannst, dann ja“, war ich optimistisch. Angelo lachte. „Noch kleiner?“

Ich erwiderte sein Lachen. Er war wirklich eher klein und schmächtig. Naja viel kleiner als ich war er nun auch nicht, aber er wirkte so.

„Du kannst mir ja auch den Weg freiboxen“, schlug er vor. „Ich bin übrigens Angelo.“

Fast hätte ich ihm gesagt, dass ich das doch schon längst wissen würde, aber stellte mich stattdessen auch nur vor.

„Wartest du kurz hier? Ich bin gleich wieder da.“

Ich nickte. „Klar.“ Angelo reichte mir seine Bierflasche, die ich für ihn hielt und er zwängte sich durch die Leute zum Klo.

Wenig später kam er zurück und nahm seine Bierflasche zurück.

„Ich hab dich hier noch nie gesehen“, meinte Angelo dann.

„Bin auch erst das zweite Mal hier“, antwortete ich. „Hängen hier immer die gleichen ab, oder wie?“

„Schon“, nickte Angelo. „Auf welche Schule gehst du?“, wollte er wissen.

„Auf das Ring-Gymnasium“, antworte ich. „Aber noch nicht lange. Ich wohne erst seit Dezember hier.“

„Cool“, meinte Angelo. Wir standen noch immer vor dem Gedränge und fragten uns, was hier eigentlich los war. „Wo sind denn deine Kollegen?“

„Schon gegangen“, klärte ich ihn auf. „Nur ein Mädel aus meiner Klasse und eine Freundin von ihr sind noch hier.“

„Ich bin mit meiner Schwester hier, aber die hat nur Augen für ihren Typen.“

Ich lachte. „Also langweilst du dich auch mehr oder weniger?“

„Schon mehr“, lachte Angelo. „Aber wenn du Lust hast können wir uns ja zusammentun, dann wird’s vielleicht etwas besser.“

„Klar, lass uns in die Lounge gehen“, schlug ich vor.

01.30 Dein Freund, mein Freund, Part II

„Soll ich uns noch was zu Trinken holen“, schlug Angelo gleich vor.

„Warte, ich geh“, stand ich auf. „Dann sag ich den Mädels gleich Bescheid, dass sie nicht mehr auf mich warten müssen.“

„Auch gut. Bringst du mir noch eine Cola?“

„Geht los“, sagte ich kurz bei Johanna Bescheid und bestellte uns beiden dann je noch eine Cola.

„Fühl dich eingeladen“, meinte ich zu Angelo und setzte mich wieder in die Sofaecke.

„Danke“, sagte er höflich. „Du auch nur noch eine Cola?“

„Ja, ich bin eigentlich nicht so der große Trinker.“

„Ich auch nicht“, gab Angelo zu. „Außerdem halten mich eh alle noch für 15 oder so.“

„Und wie alt bist du?“, fragte ich.

„17 und du?“

„Ich bin 16“, war ich überrascht, dass Angelo schon älter war als ich. Er sah nämlich wirklich jünger aus als ich und im Vergleich zu mir ist das schon eher selten der Fall.

„Als wir uns letztens gesehen hatten“, begann er.

Ich unterbrach ihn. „Umgelaufen.“

Er lachte. „Okay, als wir uns letztens umgelaufen hatten, warst du da zufällig vorher bei den Harders?“

Ich wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte. Leicht überrumpelt, bestätigte ich seine Vermutung. „Ja, wieso?“

„Weil Lukas doch auch auf das Ring-Gymnasium geht“, meinte Angelo schließlich. „Kennt ihr euch?“

„Wir haben zusammen Sport“, antwortete ich zögernd.

„Ach so“, trank Angelo einen Schluck aus seiner Cola. Ich war mir ziemlich sicher, dass er eigentlich wissen wollte, ob ich auch auf Jungs stand. Hätte ich es nicht gewusst, dann hätte ich es bei ihm selbst auch nicht unbedingt vermutet.

„Ich bin ganz überrascht, dass meine Freundin sich noch gar nicht gemeldet hat“, meinte ich dann schnell. „Sie ist auf irgendeinem Konzert und war leicht sauer, weil ich nicht mit wollte.“

„Du hast eine Freundin?“, schien er überrascht gewesen zu sein.

„Ja“, nickte ich eifrig. „Kerstin.“

„Oh, ich dachte.“ Angelo brach seinen Satz ab. „Auf jeden Fall bin ich deiner Freundin dankbar, dass sie dich nicht gezwungen hat mitzugehen, sonst wäre mir heute bestimmt noch viel langweiliger gewesen.“

„Ich glaub auch, dass es eine gute Entscheidung war.“ Ich lächelte ihn an. „Und woher kennst du Lukas?“, kam ich noch mal auf das Thema zurück.

„Lukas?“ Für einen kurzen Moment glaubte ich, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, wen ich meinte. „Von Facebook und so.“

„Ah“, nickte ich. Klar, er war genauso wenig geoutet wie ich. Da konnte ich lange auf eine ehrliche Antwort warten.

In diesem Moment kamen Johanna und Stefanie bei uns vorbei. „Du, wir gehen jetzt.“

„Okay, dann bis Montag“, stand ich auf und umarmte Johanna zum Abschied. An sowas musste ich mich auch erst mal gewöhnen. Früher war ich nicht der große Umarmer und hasste es auch. Ich verstand auch nicht, warum sich ein paar Mädels immer Wangenküsse gaben, wenn sie sich sahen. Ich fand das total albern und aufgesetzt. Naja, egal.

„Ich hol uns noch eine Cola, okay?“, schlug Angelo vor, als die Mädels gingen.

Ich schaute Angelo hinterher, wie er zum Tresen marschierte. Lukas hatte recht, als er meinte, dass Angelo total nett sei. Seine Art war echt süß und unschuldig.

„Nun sind wir Quitt“, meinte er, als er mit zwei Gläsern zurückkam.

„Für heute“, nahm ich einen ersten Schluck. „Vielleicht sehen wir uns jetzt ja häufiger hier.“

„Kann gut sein“, stimmte er mir zu. „Also ich hätte nichts dagegen. Hier laufen oft so viele Spacken rum…“

„Was?“, beschwerte ich mich und versuchte dabei nicht zu lachen.

„So wie du“, wollte er mich ärgern. „Nee, Quatsch. Du bist kein Spacken.“

„Oh, danke“, lachte ich. „Nett von dir. Du eigentlich auch nicht.“ Wir lachten beide und ich verlor mich dabei für einen kurzen Moment in seine dunklen Augen, die so viel Freude ausstrahlten.

„Wenn du erst neu hier bist, hast du denn schon viele Freunde?“, wechselte er irgendwann das Thema, nachdem wir für eine Zeit nur die Tanzfläche beobachteten.

„Doch, eigentlich schon. Aus meiner Klasse halt und vom Handball aus.“

„Du spielst Handball? Cool.“

„Machst du auch Sport?“

„Nee, nicht so richtig im Verein. Ich würde aber gerne mal mehr machen. Nur meine Freunde sind da nicht so zu begeistern.“

„Mich würdest du immer für Sport begeistern können“, meinte ich ohne Hintergedanken, doch Angelo nahm mich direkt beim Wort.

„Ja? Dann lass uns morgen… keine Ahnung. Sport machen.“

„Morgen? Echt jetzt?“

„Klar!“, war Angelo begeistert von der Idee und ich war auch nicht abgeneigt.

„Wir könnten in die Sportarena fahren“, schlug ich vor.

„Abgemacht“, wollte Angelo unsere Verabredung per Handschlag besiegeln.

„Und dann schauen wir mal, worauf wir Bock haben.“

„Klingt gut“, war Angelo einverstanden und trank den letzten Schluck aus seiner Cola. „Ich muss schon wieder pinkeln.“

„Ich auch“, trank ich auch schnell den Rest aus und folgte Angelo zu den Toiletten.

„Was ist hier nur los?“, drehte er sich zu mir um, als wir wieder bei einer großen Menschenmenge ankamen, die den Weg zu den Klos total blockierten.

Angelo stellte sich an das Pinkelbecken. Die anderen Plätze waren belegt und ich musste kurz warten. Angelo war gerade fertig, als ich einen Platz bekam. Er wartete am Ausgang auf mich und bei mir dauerte es gefühlte Stunden, bis ich endlich pinkeln konnte. Für kurze Zeit hatte ich Angst, dass ich gar nicht konnte. Ich weiß nicht, warum ich da immer gehemmt war? Es war fast schon peinlich, wie lang es dauerte.

Als ich endlich fertig war, stand Angelo noch wartend am Eingang. Aber er sagte gar nichts. Timo hatte ja schon mal einen blöden Spruch gebracht deswegen.

Wir gingen wieder zur Lounge. Unsere Plätze waren jetzt besetzt, also stellten wir uns an die Bar.

„Willst du noch was?“, fragte er.

„ Also ich nehm noch ein Bier.“ Wir drehten uns beide überrascht um und schauten auf Gerrit.

„Hey“, freute ich mich irgendwie ihn zu sehen. „Du bist ja doch noch gekommen.“

„Lohnt sich zwar kaum noch, aber ich muss ja gucken was mein Bruder so treibt“, grinste er.

„Oh, ihr seid Brüder?“, staunte Angelo.

Gerrit und ich antworteten gleichzeitig, allerdings unterschiedlich. Während ich Angelos Frage verneinte, bejahte Gerrit diese.

Wir lachten alle. „Was denn nun?“

„Es ist kompliziert. Seine Mutter ist meinem Vater zusammen.“

„Ah, verstehe“, nickte Angelo.

„Und wer bist du?“, wollte Gerrit von ihm wissen.

Angelo stellte sich vor und das wir uns heute hier kennengelernt hätten. Lustig war, als ich genau am Gerrits Gesicht ablesen konnte, wie lustig er seinen Namen fand. Aber ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt und fand ihn auch irgendwie total passend.

„Wo stecken denn Daniel und die anderen?“, wollte Gerrit schließlich wissen.

„Die sind zur StageLounge gewechselt oder so“, erklärte ich ihm.

„StageClub?“

„Oder so“, nickte ich.

„Und warum bist du nicht mit?“, wollte er wissen.

„Johanna und ihre Freundin waren bis eben auch noch hier geblieben. Und ich wusste ja nicht, ob du noch kommen würdest?“

Gerrit trank noch ein Bier und wir unterhielten uns weiter. Angelo blieb bei uns, sagte aber nicht mehr so viel.

„Wollen wir los?“, fragte Gerrit dann, als er sein Bier ausgetrunken hatte.

Ich schaute auf meine Uhr. „Ja, denke es wird Zeit.“

„Und wir sehen uns morgen in der Sportarena?“, fragte Angelo noch mal nach.

„Klar, wie abgemacht“, nickte ich. „Bis morgen.“

Gerrit und ich kämpften uns zum Ausgang vor. „Warte!“, hörte ich Angelo hinterher rufen.

„Wie ist denn deine Nummer?“, zückte er fragend sein Handy.

„Ach ja“, lachte ich. „Gut, dass du dran denkst.“

Ich gab ihm meine Nummer und er mir seine. Wir verabschiedeten uns erneut und ich folgte Gerrit zum Ausgang, wo er auf mich wartete.

Als wir in der U-Bahn Station auf die nächste Bahn warteten, fiel mir ein, dass Gerrit sich ja mit Marina treffen wollte. Also fragte ich ihn, wie es bei ihr war?

„Alles bestens“, antwortete er. Überhaupt wirkte er immer noch vergnügt. Wie schon vorhin beim Joggen.

„Also habt ihr euch vertragen?“

Gerrit überlegte kurz und grinste dabei. „Hmm… nö.“

„Verstehe ich nicht“, meinte ich nur und schaute ihn fragend an.

„Ich hab Schluss gemacht. Jetzt aber richtig.“

„Echt? Und was sagt sie?“

„Dass sie das auch gemacht hätte, weil ich mich ja eh nur für Fußball interessieren würde.“

„Hätte ich an ihrer Stelle auch gesagt“, grinste ich.

„Ist mir jetzt auch total egal. Wir reden nicht mehr miteinander und ich hab wieder meine Ruhe.“

„Ich find’s gut“, gab ich offen zu. „Du warst viel zu gut für sie.“

Gerrit schaute mich irgendwie seltsam an. „Danke.“

Um diese komische Situation wieder aufzulösen, machte ich einen blöden Witz. „Dann musst du wohl jetzt wieder auf deine Pornosammlung zurückgreifen.“

Gerrit lachte auch und nickte. „Genau.“

Die U-Bahn kam und wir suchten uns einen freien Platz.

„Weißt du, was ich gut finde?“

Ich schaute Gerrit fragend an. „Nee, was?“

„Dass du dir überall neue Freunde suchst, mit auf Partys gehst und dich nicht nur an Timo und Jacob hängst.“

„Timo und Jacob sind super“, war ich irritiert.

„Klar sind sie das. Aber dieser Raphael zum Beispiel. Ist doch auch cool, wenn du jemanden zum Sport hast, der eben nicht mit dir zur Schule geht, im gleichen Team spielt oder dein Bruder ist.“

„Angelo“, lächelte ich. „Nicht Raphael.“

„Wie auch immer“, schmunzelte Gerrit.

„Und danke“, fügte ich hinzu.

„Wofür?“, wollte er wissen.

„Dass du mich als Bruder bezeichnest.“

Gerrit schaute mich kurz an. „Du bist sogar mein Lieblingsbruder.“ Er grinste.

„Und du meiner.“ Wir lachten.

Als wir nach Hause kamen, lief uns mein Vater gleich im Flur über den Weg. „Pünktlich und im Doppelpack“, lobte er.

„Hast du was anderes erwartet?“, grinste ich frech.

„Ja“, fiel seine Antwort kurz und knapp aus. Gerrit schmunzelte und wir folgten meinem Vater kurz ins Wohnzimmer, wo auch Helena saß oder vielmehr schon lag.

Das Fernsehprogramm schien ziemlich ermüdend zu sein.

Gerrit und ich verdrückten uns schnell nach oben und gingen in unsere Zimmer. Unsere Türen blieben weit offen. Auf Facebook schaute ich kurz, ob vielleicht Jan mir wieder geantwortet hatte, aber es war keine Nachricht von ihm gekommen, obwohl er in der Zwischenzeit etwas auf seiner Pinnwand gepostet hatte.

Gerrit lief zwischen Zimmer und Bad hin und her. Dass er in mein Zimmer kam, hatte ich gar nicht mitbekommen. Plötzlich packte er mich an meinen Schultern und schrie laut: Boooooh!

„Alter!“ Ich hatte mich total erschrocken und Gerrit lachte laut und ließ sich auf mein Bett fallen. Noch Minuten später konnte er sich nicht einkriegen.

„Du bist ein Idiot“, lachte ich.

„Ich weiß“, lachte er weiter. „Ich muss mich auch noch anmelden.“

Er wechselte mal wieder so das Thema, dass niemand ihm folgen konnte.

„Bei Facebook“, erklärte er.

„Ach so, ja. Das sagst du auch schon seit Wochen.“

„Wenn du Bock hast können wir doch heute noch ein paar Folgen Scrubs schauen“, schlug er schließlich vor.

„Manchmal hast selbst du gute Ideen“, zog ich ihn auf.

Fluffy fand seine Idee scheinbar auch gut, denn er kam auch zu mir ins Zimmer und sprang zu Gerrit aufs Bett.

„Hey, warte“ wollte Fluffy sich auf Gerrits Bauch setzen und sich streicheln lassen. Und seine Krallen taten echt weh, wenn man nur ein T-Shirt trug und er so tat, als ob wir ein Laufband währen. Gerrit zog seine Jeans aus und warf sie vor mein Bett und kroch dann unter meine Decke, um sich vor Fluffy zu schützen, der es kaum abwarten konnte, es sich endlich auf Gerrit bequem zu machen und sich kraulen zu lassen.

„Du könntest mir noch mein Kissen holen“, grinste er mich dann an.

„Sonst noch Wünsche?“, antwortete ich schmunzelnd. Ich ging in sein Zimmer, holte sein Kissen und warf es ihm zu. Ich startete den DVD Player, wechselte mein T-Shirt, zog auch meine Hose aus und kletterte zu den beiden aufs Bett.

„Wenn ich nur ein bisschen von meiner Decke abhaben könnte, wäre das ganz reizend von euch“, erstritt ich mir einen Anteil der Decke. Wir schauten zwei Folgen. Fluffy leistete uns die ganze Zeit Gesellschaft und lag zwischen uns. Und obwohl Gerrit und ich heute direkt nebeneinanderlagen und sich sogar unter der Bettdecke immer mal wieder unsere Beine und Füße berührten, fiel mir das in diesem Moment nicht weiter auf. Erst jetzt, wo ich es aufschreibe. Es war ein schöner Abend. Eigentlich war der ganze Tag schon cool gewesen. Als ich später in der Nacht allein in meinem Zimmer lag, war ich richtig zufrieden. Naja… und dann viel mir ein, dass ich mich wieder überhaupt nicht bei Kerstin gemeldet hatte. Ich war irgendwie nicht nur ein falscher, sondern auch noch ein schlechter Freund. Auch was Lukas betraf. Er würde es bestimmt nicht so toll finden, wenn er davon erfahren würde, dass ich mich mit Angelo verabredet habe. Aber was konnte ich dafür, dass Angelo nichts von ihm wollte? Und außerdem wollten wir nur zusammen zum Sport. Am besten erzähle ich ihm das gar nicht erst…

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