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Murat Kokosnuss

Teil 3 - Murats Beichte

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Mir rutschte sofort das Herz in die Hose, als ich aus dem Fenster blickte und sah, dass es sich um Herrn Korkusuz handelte, der geklingelt hatte. Murat schien es genauso zu gehen – er war kreidebleich und dachte scheinbar dasselbe wie ich: Hatte uns am Ende tags zuvor doch jemand dabei beobachtet, als wir in der Nähe des Sportplatzes herumgeschmust hatten?

„Ich geh schon“, rief Lisa, warf mir einen beruhigenden Blick (so quasi: Nur mit der Ruhe, ich mach das schon!) zu und eilte zur Tür.

„Du bist also neu hier. Hast du dich schon eingewöhnt? Ist ja alles eine Spur kleiner hier als in der Großstadt“, bemühte sich meine Mutter um ein Gespräch mit Murat – ohne natürlich im Geringsten zu ahnen, dass er mit den Gedanken gerade ganz wo anders war.

Er bemühte sich ebenso wie ich mitzuhören, was an unserer Haustüre gerade vor sich ging.

„Wie bitte? Ach so… ja es geht. Wirklich alles viel kleiner hier“, stammelte er, als Lisa auch schon zum Tisch zurückkam. Alleine. Dafür mit einer Flasche Raki in der Hand.

„Von Herrn Korkusuz“, meinte sie, als sie die Flasche auf den Tisch stellte und mir dabei unbemerkt zum Spaß die Zunge rausstreckte. „Er lässt sich im Namen seines Sohnes recht herzlich für die Einladung bedanken. Und Murat, du sollst spätestens um 5 zu Hause sein, soll ich dir ausrichten.“

Murat nickte, während man ihm die Erleichterung anmerkte. Ich hingegen musste lachen, was mir immer dann passiert, wenn eine gewisse Anspannung von mir abfällt. Scheinbar war ich schon komplett paranoid – niemand hatte uns gesehen, da hatte ich mich doch am Abend zuvor auch vergewissert, bevor ich Murat küsste.

Mein Vater verstand natürlich wieder gar nichts. „Ich weiß nicht, was es da so blöd zu lachen gibt. Ist doch nett von seinem Vater!“ Er begutachtete die Flache wie ein Staatsgeschenk und schien sich wirklich darüber zu freuen.

Jetzt musste auch Murat lachen. Mein Vater schüttelte nur den Kopf und endlich konnten wir weiter essen. Wir Seiferts unseren Schweinsbraten, Murat seine Schwammerlsauce.

Nach dem Essen versuchte meine Mutter, Murat weiterhin mit Fragen zu `löchern´. Er versuchte alles höflich zu beantworten, doch es war ihm sichtlich unangenehm. Meine Mutter konnte das ganz gut: Sie war immer schon eine sehr neugierige Person, die immer alles ganz genau über meine Freunde wissen wollte. (Genauso, wie sie oft völlig fremden Leuten, die sie beim Einkaufen oder sonst wo traf, unsere – vor allem meine – Lebensgeschichte von A bis Z aufschwatzen musste. Als ob es irgendjemanden interessieren würde, dass ich mit vier Masern hatte und mein erstes Wort `Baum´ war…) Zweck ihrer Fragestunden war es wohl herauszufinden, ob ihr Bubi auch die richtigen Freunde hatte. Einerseits nervte mich das ungemein da ich ja kein kleines Kind mehr war – andrerseits rührte es mich manchmal fast. Schließlich machte sie sich – wie jede Mutter – Sorgen um ihre Kinder. Naja, ich bin halt ein eigenartiger Kerl, dass ich mir auch darüber so meine Gedanken mache. Auf alle Fälle galt es, mich und vor allem Murat aus dem Schussfeld meiner Mutter zu befreien.

„Komm mit Murat. Ich zeig dir mein Zimmer!“

Mein Zimmer befand sich im ersten Stock unseres Hauses und genau wie ich dachte, war Murat sehr erfreut darüber, dass ich die Fragestunde meiner Mutter beendet hatte.

„Jetzt weißt du was ich meinte, als ich sagte, die wären alle verrückt“, grinste ich ihn an, als wir endlich allein in meinem Zimmer waren, wo ich Murat bat, auf meiner roten, winzigen 2-Personencouch Platz zu nehmen.

„Ach, schon ok, sie ist ganz in Ordnung“, meinte Murat, während er sich schüchtern in meinem Zimmer umblickte. „Groß hast du es hier! Ich muss mir mein Zimmer mit meinen Brüdern teilen. Da ist grad mal Platz für unsere Stockbetten – der Rest ist von Kästen und einem kleinen Tisch verstellt.“

„Oh, das wär nichts für mich. Ich bin froh darüber, mein eigenes Zimmer zu haben, manchmal muss man ja auch Zeit für sich haben. Was machst du zum Beispiel, wenn du mal Zeit für dich brauchst, also zum Beispiel dafür…“ Ich hörte auf zu reden und machte eine eindeutige Handbewegung.

Murat lief sofort rot an. „Dafür findet sich schon irgendwo Platz“, meinte er verlegen.

Verdammt! Musste ich Blödmann ihn so in Verlegenheit bringen? Scheinbar war er es nicht gewohnt, über solche Sachen zu sprechen. Aber vielleicht machte ich mir auch schon wieder viel zu viele Gedanken.

„Wo hast du die denn bekommen?“, lenkte er mich gekonnt ab und hielt mir eine Medaille entgegen, die er von der Wand abgenommen hatte.

„Oh, die ist vom letzten Sommerturnier. Da waren wir in Passau eingeladen und ich wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt!“

„Cool“, meinte er und hing sie sich um den Hals. „Aber heuer kannst du dir das abschminken. Da werde ich die Medaille dafür bekommen“, lachte er. „Ich freue mich ur auf das Turnier“, träumte er vor sich hin und rutschte zur Seite, damit ich mich neben ihm setzen konnte.

Meine Couch war zwar für zwei Personen konzipiert – in Wahrheit war sie aber viel zu eng dafür. So saßen wir da, während sich unsere Beine unweigerlich berühren mussten. Es war schön, ihn in der Abgeschiedenheit meines Zimmers so nah an mir zu spüren. Ich konnte nicht anders, als ihm meine Hand auf seinen Oberschenkel zu legen.

„Ich freu mich auch darauf – sehr sogar“, wandte ich mich ihm zu. Inzwischen hatte er seine Hand auf die meinige gelegt. Er lächelte mich an – und wir küssten uns. Ich spürte sein heftiges Atmen und wahrscheinlich war er in diesem Moment genauso erregt wie ich – zu mehr ist es an diesem Tag allerdings nicht gekommen, dafür schien uns beiden der Ort einfach zu unsicher.

Als wir uns aus unserer Umarmung gelöst hatten, quatschten wir eine Weile, allerdings immer wieder von Küssen unterbrochen, die wir uns einfach schenken mussten.

„Morgen musst du mir übrigens die Daumen drücken. Da hab ich mein Vorstellungsgespräch beim Schredl – Man, ich hoffe er nimmt mich.“

„Ach, keine Angst, wird schon hinhauen. Kannst mir dann ja mit deinem ersten Lohn was Nettes kaufen“, scherzte ich.

„Natürlich. Alles was du willst“, meinte er sanft und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Anschließend zockten wir noch ein bisschen am Computer, bevor ich kurz vor fünf beschloss, ihn nach Hause zu begleiten. Auch von Lisa musste ich mich verabschieden, da sie wieder zurück nach Wien fuhr, wo sie ja studierte.

Meinen Eltern schienen doch etwas überrascht zu sein, dass unser Abschied diesmal fast innig ausfiel. Ich war ihr einfach dankbar und als sie meinte, ich könnte sie jederzeit anrufen, wenn ich über etwas reden wollte, kamen mir fast die Tränen vor Rührung.

„Was war ich bloß für ein Weichei geworden, wegen dem kleinsten Scheiß kommen mir die Tränen“, dachte ich mir und musste im nächsten Moment fast schon wieder lachen.

Wenig später stand ich auch schon gemeinsam mit Murat vor seinem Haus – es fiel mir schwer, mich von ihm zu verabschieden, da ich wusste, dass mich wieder eine große Leere befallen würde, sobald wir uns getrennt hatten.

Es schien ihm genauso zu gehen, denn wir standen noch eine ganze Weile vor dem Haustor herum, ehe er mich ins Innere des Hauses zog, wo er mich zum Abschied nochmals leidenschaftlich küsste. Es war nicht nur der Kuss, der mir fast die Sinne raubte, sondern auch sein Geruch, den ich förmlich in mir aufsog: den Geruch seiner Haut, den Geruch seiner Haare, seines Deos und seiner Lederjacke. Im Inneren des Hauses war es fast dunkel und kühl – dennoch war mir heiß vor Erregung, vor allem als sich Murat fest an mich drückte und ich merken konnte, dass er einen Steifen hatte. Natürlich dauerte es nur Sekunden bis auch ich einen stehen hatte – doch leider kam es wieder nicht zu mehr (was allerdings auch äußerst unvernünftig gewesen wäre), als wie hörten, dass in einem der oberen Stockwerke eine Tür geöffnet wurde.

„Bald, Maxi“, hauchte er mir zu, löste sich von mir und war im nächsten Moment im Stiegenhaus verschwunden. Ich stand noch einige Momente mit pochendem Puls (und in diesem Moment auch viel zu engen Jeans) da, ehe ich das Haus verließ.

Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause um, naja, ich brauche es wohl nicht zu erwähnen was ich jetzt nötig hatte. Allerdings kam ich nicht weit, denn als ich um die Ecke von Murats Straße bog, torkelte mir eine Person entgegen. Bernhard. Und jawohl: Er torkelte und schien sturzbesoffen zu sein.

Kurz vor mir blieb er stehen.

„Na, einen schönen Tag gehabt?“, lallte er mir entgegen.

„Jap, kann nicht klagen“, wollte ich mich an ihm vorbeistehlen, da ich keine Lust hatte, mich mit ihm in diesem Zustand zu unterhalten. Zwar war ich nicht unbedingt ein Verweigerer von Alkohol, doch mich scheinbar so ohne Grund volllaufen zu lassen – nein, das käme mir nie in den Sinn.

„Also, einen schönen Tag gehabt mit dem Türken!“, meinte er mehr zu sich selbst, während er einen großen Schluck von seiner mitgeführten Bierflasche nahm.

„Was hast du da gesagt?“, blieb ich jetzt doch stehen. „Und wie siehst du überhaupt aus? Bist du mir etwa gefolgt?“

Bernhard beantworte meine Fragen erst gar nicht – er konnte mir auch nicht wirklich ins Gesicht schauen.

„Ich hab doch gesehen, wie er nach dem Spiel zu euch ins Auto gestiegen ist. Hast ihn zu dir eingeladen, wie? Wie lange war ich schon nicht mehr bei dir eingeladen…?“

Jetzt erst blickte er mich mit glasigen Augen verwirrt an. Und ich war noch mehr verwirrt! Verwirrt und wütend! Warum musste er immer so abfällig über Murat sprechen, ihn immer als `Türken´ bezeichnen? Und warum sah er mich so komisch an? Abgesehen davon, ließen sich seine Aufenthalte in meinem Elternhaus an einer Hand abzählen: Wir hatten ein paarmal unsere Hausübung gemeinsam gemacht und einmal war er zu meinem Geburtstag eingeladen.

„Wir waren die dicksten Freunde, verdammt“, schrie er fast und ließ seine Bierflasche knallend vor meinen Füßen zerschellen. Er schien kurz davor zu sein, in Tränen auszubrechen.

So hatte ich das nie gesehen: Wir kannten uns lange, gingen zur selben Schule, spielten im selben Team – und waren sicher Freunde. Aber dickste Freunde?

Irgendwie stand ich komplett auf der Leitung, obwohl mir irgendwie schwante, was er eigentlich sagen wollte.

„Jetzt heißt es nur mehr: Murat hier und Murat da! Du hast nur noch Augen für ihn!“, nuschelte er ziemlich unverständlich. Da erkannte ich mit einem Schlag, was er mir die ganze Zeit sagen wollte – und vor allem, warum er seit dem ersten Tag an so sauer auf Murat gewesen war.

Als ich ihm antworten wollte, war er allerdings schon davongewankt. Bildete ich es mir wieder nur ein oder lag ich damit richtig, was mir gerade in den Sinn kam? War Bernhard etwa ebenfalls schwul und in mich verliebt? Das würde auf alle Fälle seine Haltung gegenüber Murat erklären. Er war schlichtweg eifersüchtig auf ihn. Man, in welche verzwickte Situation ich da bloß geraten war.

Als ich später am Abend im Bett lag, rasten mir tausend Gedanken durch den Kopf – was war das doch für eine verrückte Woche gewesen. In den gesamten 17 Jahren zuvor war praktisch nichts aufregendes in meinem Leben passiert – und nun alles auf einmal in einer Woche: Ich hatte mich das erste Mal in meinem Leben so wirklich verliebt, noch dazu in jemanden, der mich auch liebte. Ich fand in dieser Woche nicht nur zu mir selbst, sondern auch zurück zu meiner Schwester, die ich total neu kennengelernt hatte. Und nun eröffnete mir auch noch ein Freund – so er das denn noch war – dass er ebenfalls in mich verliebt war. So nebenbei hatte ich natürlich auch keine Ahnung, wie und ob ich Bernhard am nächsten Tag in der Schule darauf ansprechen sollte. Nachdem ich mich am Nachmittag von Murat verabschiedet hatte, war ich so glücklich gewesen – nun war da wieder ein dermaßen beklemmendes Gefühl, dass mich nicht einschlafen ließ. Ich liebte Murat (und wie) aber die Sache mit Bernhard wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen: Er tat mir auf einmal irgendwie leid und das letzte was ich wollte war, dass jemand wegen mir unglücklich war.

Ich schlief mehr schlecht als recht und erschien am nächsten Morgen ziemlich gerädert zum Frühstück.

„Ist total nett, dein Freund“, meinte meine Mutter freundlich, als sie mit etwas Tee einschenkte. Da ich mich wirklich beschissen fühlte und ich außerdem davon Notiz nahm, dass mein Vater bereits zur Arbeit gegangen war, brach es nun aus mir heraus: ich begann zu heulen wie ein Schlosshund! Schon wieder!

„Aber Max, was ist denn los mit dir?“, sorgte sich meine Mutter und setzte sich neben mich, während sie mir sanft durchs Haar fuhr.

Ich wollte ihr antworten, brachte aber kein Wort heraus. Ich wollte sie nicht länger belügen, ich wollte ihr endlich sagen, was mich die letzten Monate, eigentlich die letzten Jahre, so bedrückte. So, wie ich es bei Lisa getan hatte.

Sie nahm mich geduldig in die Arme und wartete ab, bis ich mich schließlich wieder beruhigt hatte.

Und als ich mich gerade dazu aufraffen wollte, ihr es zu sagen, meinte sie: „Dieser Murat hat´s dir angetan, stimmt´s? Ist aber auch ein wirklich lieber Bursche - und so höflich!“

„Mama – ich bin schwul!“ Jetzt war es heraus.

„Ich weiß. Glaubst du, eine Mutter kennt ihre Kinder nicht? So wie du vor allem in den letzten Tagen drauf warst – also ein Blinder hätte da erkannt, dass dich etwas bedrückt. Schwul oder Drogen, habe ich gedacht. Aber für das eine bist du viel zu vernünftig – also blieb nur das andere!“

Wahnsinn, meine Mutter. Sogar in so einer ernsten Situation war sie noch zu Scherzen aufgelegt. Aber was soll ich sagen: In dieser Situation kam das gerade recht – es tat mir gut.

„Aber bitte hänge es nicht an die große Glocke“, meinte ich, kurz bevor ich zur Schule aufbrechen wollte. „Nicht wegen mir – sondern wegen Murat, ok? Und mit Papa – also, ich will es ihm selber sagen!“

Sie drückte mich nochmals an sich und meinte nur: „Ich denke, er vermutet dasselbe wie ich. Und auch für ihn wirst du weiterhin unser Sohn bleiben, auch wenn du es ihm wahrscheinlich etwas schonender beibringen solltest – kennst ihn ja!“

Etwas leichter war mir schon, als ich das Haus verließ. Blieb noch die Sache mit Bernhard. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm heute unter die Augen treten sollte – wobei sich allerdings eher er Gedanken darüber machen musste, als ich es tat.

Bis zum Unterrichtsbeginn lenkte mich dann allerdings Murat ab, als wir auf Facebook noch etwas chatteten: Er war höllisch nervös wegen seines Vorstellungsgesprächs in Schredls Werkstatt und ich musste ihn immer wieder versichern, dass er die Stelle schon bekommen würde. Dessen war ich mir auch wirklich sicher: Schredl war ein ganz angenehmer Typ und die Höflichkeit und nette Art von Murat würde ihm schon nicht entgehen. Ich drückte ihm auf alle Fälle fest die Daumen, schrieb ihm noch wie lieb ich ihn hatte, als ich plötzlich Bernhard neben mir bemerkte.

„Morgen“, brummte er, ohne mich dabei anzusehen. Nicht nur das Sprechen schien ihm schwerzufallen: Er war käseweiß im Gesicht und schien übelstes Kopfweh zu haben. „Selber Schuld“, dachte ich mit schadenfroh.

Vielleicht konnte er sich ja gar nicht mehr erinnern, was er mir Tags davor erzählt hatte, denn er packte seine Schulsachen aus und tat, als ob weiter nichts geschehen wäre. Also beließ ich es ebenfalls dabei und beschloss, ihn vorerst nicht auf diese Sache anzusprechen.

Die ersten beiden Stunden zogen sich wieder in die Länge wie Strudelteig – Biologie und Latein. Da ich genauso nervös war, was Murats Vorstellungsgespräch anging, beschloss ich, ihn in der großen Pause anzurufen. Da bei uns in der Schule striktes Handyverbot herrscht, zog ich mich dafür aufs stille Örtchen zurück, wo ich meine Ruhe hatte.

Es klingelte nur einmal und schon war Murat dran.

„Es hat geklappt“, rief er freudig ins Telefon. „Ich kann schon morgen bei ihm anfangen. Wahnsinn, ich freue mich drauf!“ Ich kam gar nicht zu Wort so sprudelte es aus ihm heraus. „Morgen von sieben Uhr früh bis drei Uhr nachmittags – da geht sich auch das Training aus, ist das nicht toll?“

„Wahnsinn, ich freue mich total für dich“, kam ich endlich zum Antworten. „Das muss gefeiert werden. Können wir uns heute sehen? Wie wäre es gegen vier im Café Spitz?“

„Hört sich gut an – ich freue mich darauf dich zu sehen!“

„Ich mich auch, du – ich muss leider Schluss machen. Ich bin ja in der Schule und da dürfen wir unsere Handys eigentlich nicht verwenden. OK, also dann bis vier! Ich freue mich auf dich, hab dich lieb!“

„Ich hab dich auch lieb Maxi“, flüsterte er ins Telefon und legte auf.

Ich freute mich wirklich für ihn, doch die Freude währte nur kurz: In der darauffolgenden Stunde bekamen wir unsere Mathearbeit raus – leider wieder negativ! Da es die letzte schriftliche Arbeit vor den großen Ferien war, blieb mir nun nur mehr eine Entscheidungsprüfung vor der Notenkonferenz: Andernfalls würde ich das Jahr nicht positiv abschließen und müsste wiederholen. Schöner Scheiß! Warum sollte plötzlich denn auch alles glatt laufen?

Aber so komisch es klingt: Nach kurzer Zeit war mir das schon wieder völlig egal. Ich konnte nur an Murat denken, an die Küsse vom Wochenende und an alles, was noch auf uns warten würde.

Nachdem ich mich durch den restlichen Tag gequält hatte, fand ich mich pünktlich um vier im Café Spitz ein, wo Murat schon ungeduldig auf mich wartete. Fast hätte ich ihn zur Begrüßung geküsst (schließlich hatte ich mich ja bereits vor zwei wichtigen Personen geoutet, womit mir egal hätte sein können, was andere von mir denken), doch als ich sah, wie Murat zurückzuckte, beließ ich es bei einem höflichen Handschlag.

Auch wenn mich das doch ein bisschen ärgerte, zeigte ich es ihm nicht und gratulierte ihm nochmals zu seiner neuen Lehrstelle. Kurz darauf war es auch für mich schon kein Thema mehr: Wir bestellten Eis und Cola und waren schnell im Gespräch vertieft.

Er erzählte mir, dass er viel von seiner Lehrlingsentschädigung (das heißt bei uns in Österreich tatsächlich so!) sparen würde, um sich den Führerschein und ein kleines Auto leisten zu können, mit dem wir ja gemeinsam in den Urlaub fahren könnten. Nach Italien etwa oder nach Griechenland. Ein schöner Gedanke – und schon waren wir dabei, Ideen auszubrüten, was wir mit unserer Zukunft alles anstellen könnten. Ich erzählte ihm, dass mir mein Vater versprochen hatte, nach bestandener Matura den Führerschein zu bezahlen – ich verschwieg Murat auch nicht, dass dies aufgrund meiner miesen Leistungen auch noch zwei Jahre dauern könnte. Vor dem Gedanken, es meinem Vater zu erzählen, hatte ich allerdings doch gehörig Schiss. Was ich Murat allerdings verschwieg war die Tatsache, dass ich mich am Morgen auch bei meiner Mutter geoutet hatte – nicht um ihn zu belügen, sondern schlichtweg, um ihn nicht zu verunsichern. Natürlich sprachen wir auch voller Vorfreude über unser Turnier in Bologna, als wir plötzlich unterbrochen wurden.

„Na ihr beiden, darf ich mich zu euch setzen?“. Es war Bernhard.

Nein!! Was wollte der denn hier? Und wie er wohl wieder rausgefunden hatte, dass ich und Murat uns im Café Spitz treffen wollten?

Auch Murat war ein gewisses Unbehagen anzusehen – er war ja kein Trottel und hatte sehr wohl mitbekommen, dass Bernhard ihn nicht sonderlich mochte.

Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte sich Bernhard auch schon zu uns gesetzt. Dass wir das beide nicht wollten, schien er völlig auszuklammern.

„Ich habe mitbekommen, dass ihr gerade über unser Turnier gesprochen habt. Also, Kokosnuss, letztes Jahr hättest du dabei sein müssen – wir hatten so viel Spaß, ehrlich! Ich und Max haben uns ein Zimmer geteilt – wie eigentlich meistens. Wir haben ohne Ende gelacht und lauter Blödsinn gemacht. Wird heuer sicher auch so. Eine Cola bitte!“

Endlich kam die Kellnerin und unterbrach seinen Wortschwall. Was bildete er sich eigentlich ein? Machte er das absichtlich? Und er nannte meinen Murat Kokosnuss! Ok, er hatte es erlaubt, da es ja sein Spitzname war – aber die Art und Weise wie Bernhard es aussprach war einfach nur respektlos.

Murat hatte es ebenfalls die Sprache verschlagen – er saß schweigend da und wirkte mit einem Mal hilflos und traurig. Ich funkelte Bernhard böse an und stand auf.

„Ich muss mal aufs Klo!“, sagte ich in bedrohlichem Ton und blickte Bernhard auffordernd an. Mein drohender Blick hatte allerdings keine Wirkung, denn er kam nicht – wie ich es erhoffte – zu einem klärenden Gespräch nach.

Ich war geladen und wütend wie nie zuvor – noch mehr, als ich nach einigen Minuten wieder das Lokal betrat und sah, dass Murat verschwunden war, während Bernhard genüsslich an seiner Scheiß Cola nippte.

„Was ist hier eigentlich los?“, brüllte ich Bernhard an, so laut, dass die anderen Gäste auf uns aufmerksam wurden.

„Weiß nicht, sag du es mir!“, blickte Bernhard zu mir hoch, da ich es vorzog stehen zu bleiben.

„Du hast sie ja nicht alle! Lass dich behandeln!“, zischte ich ihn an, warf 10 Euro auf den Tisch und verließ das Lokal.

Irgendetwas musste er zu Murat gesagt haben, ohne Grund wäre er sonst nicht abgehauen. Auf der Straße war weit und breit nichts von ihm zu sehen, also beschloss ich ihn anzurufen – ohne Erfolg, er ging nicht ran. Als ich es noch zwei weitere Male erfolglos versuchte, hinterließ ich ihm eine Nachricht auf seiner Mailbox, er möge mich schnellstmöglich zurückrufen um mir zu berichten, was Bernhard ihm gesagt hatte. Wie ich schon erwähnte bin ich ja ein äußerst ungeduldiger Mensch – denn als ich nach 5 Minuten noch immer keine Antwort erhalten hatte, beschloss ich zu ihm nach Hause zu fahren. Wie vor ein paar Tagen erschien das Gesicht seiner Mutter am Fenster, die dieses Mal allerdings nur kurz den Kopf schüttelte: „Murat nix da!“

„Der Sportplatz!“, schoss es mir plötzlich ein. Ich Trottel – natürlich musste er dort sein. Ich trat in die Pedale und war fünf Minuten später da angelangt, wo wir uns das erste Mal geküsst hatten.

Murat saß mit dem Rücken an einen Baum gelehnt in der Wiese neben dem Sportplatz und hatte mich noch nicht bemerkt.

„Murat?“, fragte ich und näherte mich ihm vorsichtig.

Kurz zuckte er zusammen, drehte sich allerdings nicht nach mir um. Ich trat näher und ließ mich neben ihm in der Wiese nieder – sein Gesicht war gerötet und ich konnte erkennen, dass er geweint hatte.

„Du willst mit Bernhard in einem Zimmer schlafen?“, schniefte er, immer noch den Blick nach vorne gewandt.

„Was?“, entfuhr es mir überrascht. „Das hat er dir gesagt? Sorry, aber das ist absoluter Mist! Aber, das glaubst du doch nicht ernsthaft, oder?“

Murat schüttelte stumm den Kopf.

„Wenn du es nicht glaubst, warum bist du dann abgehauen?“

Er zuckte mit den Schultern und spielte verlegen mit ein paar Grashalmen.

„Ich kann es nicht ausstehen, wenn er so mit dir oder über dich spricht. Das muss dir doch aufgefallen sein! Und ich werde es auch in Zukunft nicht zulassen, dass…“

„Er steht auf dich, das ist dir doch klar?“, unterbrach er mich. Ich nickte und erzählte ihm schlussendlich davon, was am Sonntag passierte, nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte.

„Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?“, fragte er mich etwas vorwurfsvoll.

„Weil es mich selbst überrascht hat und ich dich nicht verunsichern wollte – mit vielem hätte ich gerechnet, aber damit…“

Endlich blickte mich Murat an, allerdings wartete ich dieses Mal vergeblich auf ein Lächeln.

„Er wird es ausplaudern!“

„Was meinst du?“, stellte ich mich begriffsstutzig, denn im Grunde wusste ich, was er meinte. „Er weiß doch nicht, dass du, nun ja, schwul bist.“

„Aber wenn er es auch ist, dann erkennt er es doch. Er sieht doch, wie du strahlst, wenn du bei mir bist. Und wie ich strahle. Eifersüchtige Menschen sind zu allem fähig, glaub mir das. Er wird's ausplaudern. Ich wünschte ich wäre in Wien, hier bin ich ja doch nur der Neue. Der Fremde. Scheiß Kaff!“ Wütend warf er die ausgerissenen Grashalme von sich.

Mir steckte ein Kloß im Hals – meinte er das ernst, dass er weg wollte? Ich wusste keine Antwort und war (wieder einmal) den Tränen nahe.

Wir saßen still nebeneinander und waren da, wo wir schon einmal waren: beide im Hafen der totalen Verunsicherung.

Murat schien bemerkt zu haben, wie sehr er mich mit seinem `Ich will nach Wien zurück´- Spruch getroffen zu haben. Vorsichtig legte er seinen Arm um mich: „Wenn er es ausplaudert, bin ich geliefert. Total am Arsch, verstehst du? Max, ich habe dir nicht ganz die Wahrheit gesagt: Wir sind nicht nur deswegen hierher gezogen, weil mein Vater hier eine neue Arbeit bekommen hat. Wir sind auch wegen mir hierher gezogen. Nicht hauptsächlich denke ich, aber ich glaube es hat sehr wohl eine Rolle gespielt.“

„Wegen dir?“, verstand ich nicht ganz, worauf er hinauswollte.

„Ja, auch wegen mir. Glaube ich halt. Es gab da in Wien einen Jungen…“

Ich sprang auf und wollte weg – ich wollte das alles nicht hören. Doch da Murat etwas schneller war als ich hatte er keine Mühe mich einzuholen. Er packte mich an den Armen, blickte mich ernst an und schüttelte den Kopf.

„Glaub mir Max, es war nicht wie mit dir! Wir, wir waren einfach neugierig und haben des Öfteren, nun ja, gemeinsam… gemeinsam gewichst. Also gegenseitig. Aber ich war nicht verliebt in ihn – ich fühlte nicht so für ihn, wie ich für dich fühle. Auf alle Fälle drehte mein Vater durch, als das rauskam. Irgendwer muss uns gesehen haben, keine Ahnung wer. Er hat mich geschlagen und ich musste versprechen, dass das nie wieder vorkommt. Mein Bruder Musti hat meinem Vater erklärt, dass das in der Pubertät unter Jungs schon vorkommen kann und es nicht so schlimm sei, solange man nicht in den Jungen verliebt ist. Und das war ich auch nicht – drum glaubte er auch meinem Versprechen, es würde nicht mehr vorkommen. Sollte es trotzdem nochmals vorkommen - so hat er mir gedroht - würde er mich zu meinen Großeltern in die Türkei schicken. Verstehst du jetzt, warum ich vorher weg bin?“

Ich verstand. Ich verstand auch, warum mich sein ältester Bruder Metin so komisch anblickte als ich bei ihnen zu Abend aß – und warum sein Vater am Sonntag bei uns vorbeikam; nicht um eine Flasche Raki zu bringen, sondern um zu prüfen, dass alles in Ordnung war.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte ich Murat mit zittriger Stimme.

„Es wird nicht lange geheim bleiben, wenn wir uns ständig treffen“, meinte er traurig. „Und dieser Bernhard…ich…“, stammelte er und ich ahnte, dass er gleich in Tränen ausbrechen würde.

„Ich wünschte, ich könnte ganz woanders sein – und ganz jemand anderer sein. Ich wünschte ich wär nicht so wie ich bin. Und ich wünschte ich hätte dich nie kennengelernt – dann hätte ich mich nicht in dich verliebt und dann würde es jetzt nicht so wehtun.“

Jetzt war es um ihn geschehen – auch wenn ich den letzten Satz gerne überhört hätte, es tat mir mehr weh, dass er nun wie ein Häufchen Elend vor mir stand, dass er von Weinkrämpfen plötzlich nur so geschüttelt wurde.

Und ich? Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn trösten konnte. Meinen zaghaften Versuch, ihn in meine Arme zu nehmen, ließ er nicht zu. Er stand wie angewurzelt da und heulte. Seine Geschichte hatte mich umgehauen – ich war nicht eifersüchtig auf diesen Jungen aus Wien (ich hatte ja selbst oft von solchen Dingen geträumt, die er mit ihm getan hatte), ich war viel mehr bestürzt über die Reaktion seines Vaters. Und ich hatte Angst: Angst ihn nach so kurzer Zeit des Glücks wieder zu verlieren. Ich war tatsächlich kein Kind mehr – und obwohl ich ihn erst seit kurzem kannte, wusste ich, dass es nicht nur Schwärmerei war: Es war Liebe. Und auch er wusste das!

Wobei mich dieses ständige auf und ab unserer Beziehung langsam mehr belastete, als es mir lieb war. Ich wusste, dass er es nicht leicht hatte – aber diese Situation war auch für mich nicht so einfach zu ertragen. Irgendetwas musste ich unternehmen.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte ich ihn behutsam, nachdem er sich endlich beruhigt hatte.

„Wie ich schon sagte“, erwiderte er kaum hörbar, „vielleicht sollten wir uns einfach nicht mehr so oft sehen!“

Ich schüttelte sofort den Kopf. „Murat, ich liebe dich und wenn du ehrlich zu dir selbst bist, dann weißt du, dass du genauso empfindest – das lässt sich nicht so einfach abstellen. Ich weiß daher nicht, wie ich es schaffen soll, dich nur zwei- oder dreimal pro Woche zu sehen – und dann auch nur im Beisein der anderen, wenn wir trainieren. Nein, es muss eine andere Lösung geben!“

„Und welche?“, fragte er mich flehend.

„Tja, ich muss wohl mit Bernhard reden – keine Sorge: Ich will ihn lediglich ausfragen, was er über mich denkt. Und über dich. Und ich denke nicht, dass er irgendjemanden etwas sagen würde, so komisch er sich auch gerade verhält. Denn dann würde unter Umständen ja auch rauskommen, dass er selber schwul ist. Und wie ich ihn kenne, hat er davor mit ziemlicher Sicherheit eine Heidenangst. Denkst du wirklich, er würde deinem Vater – nur so auf Verdacht – sagen, dass du schwul bist? Beweise in der Hand hat er ja schließlich nicht.“

„Da könntest du Recht haben“, wirkte Murat nun etwas erleichterter.

„Komm – lass uns zurückgehen!“, meinte ich und legte meinen Arm um ihn, was er zu meiner Freude wieder zuließ.

Wir sprachen kaum. Erst als wir kurz vor seinem Haus waren, begann er zu reden: „Maxi?“, fragte er mich kleinlaut. „Bitte sei nicht böse über das, was in Wien passiert ist. Ehrlich – es war nur aus Neugierde!“

„Ich bin dir doch deswegen nicht böse – das war vor meiner Zeit und ich glaube dir. Und Murat? Ich habe nie jemanden getroffen so wie dich und es ist mir verdammt ernst mit dir! Lass uns das durchstehen – ich verspreche dir, dass ich dir immer, egal was auch passiert, zur Seite stehen werde!“

„Ich weiß, dasselbe durch einen Hexenspiegel zurück. Ich schreib dir dann noch auf Facebook. Bis bald mein Maxi!“

Da war es ja doch wieder – sein schneeweißes Lächeln, auch wenn es dieses Mal eine Spur `erwachsener´ ausfiel.

Ich ging nach Hause – wieder mal mit tausenden Gedanken beladen. Schließlich musste ich meinem Vater auch noch das Ergebnis meiner Mathearbeit beichten – was ich dann aber natürlich auf den nächsten Morgen verschob.

Eines musste ich dennoch noch tun, als ich endlich in meinem Bett lag. Ich griff nach meinem Handy und wählte Bernhards Nummer.

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