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Murat Kokosnuss

Teil 4 - Bologna

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Man, wer kennt das nicht? Man legt sich vor einem unangenehmen Gespräch bereits die Worte, ja, die Sätze im Kopf zurecht – und weiß in dem Moment, wo man das Gespräch beginnen will, dass man ja doch nicht viel mehr als ein Stammeln rausbekommen würde.

Ging mir schon seit jeher so.

Es klingelte. Irgendwie hoffte ich, Bernhard würde schon schlafen – aber als ich ihn gerade wegdrücken wollte meldete er sich doch.

„Hallo, Max was gibt´s?“

Hatte der Nerven – der musste doch sofort wissen, weshalb ich ihn anrief.

„Bist du noch wach?“

Die blödeste Frage, die man überhaupt jemanden stellen konnte, aber wie vermutet: alles in mir war blockiert. Bis schließlich er es war, der das Eis brach.

„Ich kann mir schon denken, warum du anrufst. Tut mir leid, dass ich mich grad dauernd so blöd aufführe. Man könnte ja fast denken, ich sei schwul und wäre eifersüchtig auf dich oder Murat. Aber keine Sorge – dem ist nicht so, Gott sei Dank.“

Hoppala, na, das kam ja plötzlich. Ich hatte ja vor, das Gespräch irgendwie in diese Richtung zu lenken, doch dass er selbst damit begann überraschte mich so sehr, dass ich – zu nießen begann.

Keine Ahnung warum – und es wissen auch die wenigsten – aber immer wenn ich etwas aus heiterem Himmel etwas Überraschendes erfahre, beginne ich zu nießen. So wie damals, als ich zu Weihnachten meinen Hamster Wolfi bekam – meine Mutter hatte gleich nach den Feiertagen einen Termin beim Hausarzt ausgemacht, weil sie dachte, ich wäre auf Haustiere allergisch. Nun, nein war ich nicht – einfach nur überrascht. Ok, ich schweife schon wieder ab.

„Gesundheit!“, meinte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Danke,“ erwiderte ich. „Nein, ich denke doch nicht, dass du schwul bist,“ log ich, „auch wenn du dich in letzter Zeit doch recht eigenartig verhalten hast. Dein Rausch am Sonntag, heute dein Auftritt im `Spitz´ - ehrlich, was ist los mit dir? Weißt du – ich habe mich einfach mit Murat angefreundet. Er hat hier niemanden und ich denke, er kann etwas Unterstützung gebrauchen. Verstehst du das nicht?“

„Doch, doch“, brummte er, „es ist nur... ach, keine Ahnung. Plötzlich dreht sich halt alles nur mehr um ihn – im Team und auch privat. Ich dachte immer, wir wären bessere Freunde, als wir es wohl tatsächlich sind.“

„Naja, so wie du gerade herum zickst, machst du es einem aber auch nicht leicht, dich sympathisch zu finden. Aber ich finde gut, dass wir mal darüber quatschen. Kann ja nur besser werden“, meinte ich und ließ dem ein hörbares Lächeln folgen.

Gut, vielleicht war es ein bisschen zu gekünstelt, aber ich war einfach erleichtert, dass das Gespräch besser verlief, als ich es zunächst gedacht hatte. Bernhard ließ sich allerdings keine Regung entlocken, und nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, war ich so schlau als wie zuvor.

Klang er nicht vielleicht eine Spur zu eigenartig (wobei, klang er zuletzt denn nicht immer so)?

Komisch auch, dass er sofort meinte, er wäre nicht schwul. Gott sei Dank, wie er noch beteuerte. Auch das machte mir Sorgen: log er oder war er vielleicht sogar gegen Homosexuelle und deswegen so gegen mich und Murat. Wollte er einfach nur deswegen intrigieren um mich davon zu `befreien´?

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich in dieser Nacht ein weiteres Mal kaum Schlaf fand. Aber daran hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt ja fast schon gewohnt. Genauso wie an die kaum übersehbaren Augenringe, die mir doch tatsächlich mein nächstes Problem einhandeln sollten.

Denn als ich tags darauf müde von der Schule heimschlich und mich gerade zum Training fertigmachen wollte, stand plötzlich mein Vater mit hochrotem Kopf in meinem Zimmer.

„Max, was ist eigentlich in letzter Zeit los mit dir?“, polterte er sofort los. Und ehe ich irgendetwas antworten konnte, schwafelte er schon weiter.

„Dass es um deine Noten nicht sonderlich gut bestellt ist, wissen wir ja leider – doch dass du nicht das Geringste versuchst, es dir auszubessern und im Unterricht scheinbar nur mehr körperlich anwesend bist, also…“

Ich fand es (trotz der ernsten Situation) irgendwie immer total komisch, wenn sich mein Vater in Rage redete – um schließlich jeglichen Zusammenhang zu verlieren und darauf zu warten, ich möge ihm doch bitte weiterhelfen.

Mit genau diesem Blick stand er in meinem Zimmer, hilflos nach meinen Augen suchend, fast nach Luft ringend.

„Alles in Ordnung Papa?“, blickte ich grinsend in seine Richtung. So bekam ich ihn meistens wieder runter, dieses Mal allerdings scheinbar nicht.

„Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Dein Klassenlehrer hat mich gerade angerufen und gemeint, du würdest in letzter Zeit mit dem Kopf komplett woanders sein. Und dass du so das Schuljahr nie schaffen wirst. Max – ich bitte dich, streng dich doch ein bisschen mehr an. Nur mehr ein Jahr bis zur Matura!“

„Ich strenge mich doch an – es ist nur...“

„Was denn?“

„Es ist deswegen, weil ich Hals über Kopf in Murat verliebt bin. Ich bin schwul, Papa!“

Habe ich natürlich nicht gesagt, auch wenn es vielleicht besser gewesen wäre, aber so einfach konnte ich ihm das in seinem Zustand nicht servieren.

„Ach nichts“, zuckte ich nur mit den Achseln. Gespräch beendet. So lief es immer ab, wenn Papa mal das Heft in die Hand nahm. Als ob er nicht sehen wollte, dass zu diesem Zeitpunkt absolut nichts mit mir in Ordnung war. Wie gerne hätte ich ihm wirklich über Murat und mich erzählt – aber dafür musste sich ein besserer Zeitpunkt finden.

„Ich denke, du solltest heute mal mit dem Training aussetzen“, meinte er noch im Hinausgehen.

Was mir an diesem Nachmittag gar nicht so unrecht war – schließlich wusste ich nach der Unterhaltung mit Murat vom Vortag, als er meinte wir sollten nur Freunde sein, noch nicht so recht, ob ich ihn heute sehen wollte.

Klar, ich dachte die ganze Zeit an ihn, war aber mehr und mehr mit der Situation überfordert.

Also blieb ich in meinem Zimmer, starrte an die Decke und blies wieder mal Trübsal. Ich habe keine Ahnung wie lange ich so gelegen bin, nur, dass ich irgendwann eingeschlafen bin und erst durch ein Klopfen an die Tür geweckt wurde.

„Darf ich reinkommen?“, fragte meine Mutter zaghaft, in den Händen ein Tablett, auf dem sich mein Abendessen befand.

„Papa hat mir von dem Anruf berichtet“, begann sie zu reden, „ich habe versucht ihn zu beschwichtigen. Dass du zurzeit halt viel im Kopf hast – und dass wir dich schon nicht rauswerfen würden, solltest du das Jahr tatsächlich nicht schaffen. Er hat sich dann wieder beruhigt!“

Sie lächelte.

„Du solltest es ihm sagen“, streichelte sie vorsichtig über meinen Kopf. „Vielleicht versteht er dann, was sich gerade in dir abspielt!“

Ich blickte sie an – und merkte in dem Moment, wie glücklich ich mich mit meiner Familie doch schätzen konnte – auch wenn ich meine Beichte dann doch noch etwas hinauszögern sollte.

„Den Zeitpunkt bestimmst du“, schien sie meine Gedanken zu lesen, „dann lasse ich dich mal wieder alleine.“

Nachdem sie gegangen war, machte ich mich über die Käsebrote her, die sich allerdings mehr schlecht als recht runterwürgen ließen.

Wenig überrascht war ich, als es kaum fünf Minuten später wieder klopfte und abermals Mamas Kopf im Türspalt auftauchte.

„Mama, nichts für ungut – aber…“

„Na gut, dann sage ich deinem Besuch, dass du gerade beschäftigt bist…“

Besuch? Das Herz klopfte mir bis zum Hals, denn ich konnte mir denken, wer dieser Besuch war. Sofort sprang ich aus dem Bett und gab ihr mit einem hektischen Winken zu verstehen, dass ich natürlich bereit war meinen `Besuch´ zu empfangen.

Tatsächlich: Mama verschwand, Murat erschien und schloss die Tür hinter sich.

Er schien noch mehr verunsichert zu sein, als ich es war.

„Du hast mir heute gefehlt beim Training – ist alles in Ordnung mit dir? Bist du krank?“

Wie nicht allzu lange vorher beim Gespräch mit Papa schüttelte ich den Kopf und deutete ihm es sich auf der Couch bequem zu machen.

„Es tut mir leid, was ich gestern am Sportplatz gesagt habe. Es ist nur alles – so schwer. Mir ist klar, dass ich dich…. du weißt schon. Das ist mir heute auch beim Training aufgefallen – ich habe dich dort wirklich vermisst.“

„Ich hatte zuvor Stress mit meinem Vater“, begann ich endlich zu sprechen und bemerkte sofort, wie er zusammenzuckte.

„Nicht darüber. Stress in der Schule – ich werde das Jahr wohl nicht schaffen!“

Mittlerweile hatte ich ebenfalls auf der Couch Platz genommen und konnte förmlich spüren, wie er mich von der Seite schüchtern anblickte. Ich konnte nichts anderes tun, als seinen Blick zu erwidern.

Es ging mir in den folgenden Jahren nicht mehr oft so, dass ich jemanden, in den ich verliebt war nur anzublicken brauchte, um mich jedes Mal aufs Neue in ihn zu verlieben. Bei Murat war das so. Er war einfach wunderschön – und endlich zeigte er mir auch sein Lächeln wieder.

„Ich mag es bei dir zu sein, Max“, flüsterte er und strich mit seiner Hand sanft über mein Gesicht. „Aber ich habe solche Angst, dass…“

„Shhh“, meinte ich nur, nahm seine Hand und küsste jeden seiner Finger einzeln. „Sag einfach nichts und lass uns das Hier und Jetzt genießen!“

Wir schmusten etwas herum und hörten erst auf, als unten mein Vater zu husten begann – wahrscheinlich hatte er wieder sein Essen zu gierig hinuntergeschlungen, wie er es gerne tat. Mama schimpfte dann immer mit ihm.

„Was habe ich heute beim Training versäumt?“, fragte ich schließlich, nachdem Papas Husten verklungen war und er den Anfall überlebt haben durfte.

Nun sprudelte es aus Murat heraus wie aus einem Springbrunnen, als er zu berichten begann, dass wenige Stunden vorher die Zimmereinteilung für das Turnier in Bologna beschlossen wurde.

„…und ich hoffe es ist dir Recht, als ich gemeint habe, dass ich gern mit dir ein Zimmer teilen möchte“, beschloss er aufgeregt seine Erzählungen.

Ich umarmte ihn stürmisch, was wohl als Antwort reichen sollte.

„Was hast du Bernhard gestern eigentlich erzählt“, wollte er plötzlich wissen, „der war ja heute ur freundlich zu mir!“

Es beruhigte ihn ungemein, dass Bernhard – der sich ein Zimmer mit Eierkratzer-Jürgen teilen wollte - nichts zu ahnen schien (oder zumindest so tat).

Wir verabschiedeten uns schließlich – und ich widmete mich wieder meinen noch nicht fertig verzehrten Käsebroten.

Die drei letzten Wochen vor dem Beginn der Sommerferien (und dem damit verbundenen Beginn unserer Reise nach Bologna) liefen dann relativ unspektakulär ab, mal abgesehen davon, dass ich in den Fächern Mathematik und Latein mit einer negativen Beurteilung abschloss. Zwar hatte ich im Herbst noch die Chance, dies auszubügeln – aber ehrlich: zum Ferienbeginn war mir das sonderbarerweise komplett egal.

Auch die Beziehung zu Murat war – wie immer – ein ständiges Auf und Ab; lediglich Bernhard schien wie ausgewechselt zu sein und verzichtete auf jegliche blöden Sprüche.

In der zweiten Juliwoche schien auch Murat die Ferien- und Reiselaune gepackt zu haben, vor allem als wir am Vorabend der Abreise lange miteinander telefonierten: er war regelrecht aufgedreht und man konnte förmlich spüren, wie sehr er sich auf die Reise freute und auch darüber, mal von seiner Familie wegzukommen die ihn doch mehr einzuengen schien, als er es selbst jemals zugegeben hätte. Ich werde dieses Gespräch auch deswegen nicht vergessen, da daraus mein erster sexueller Kontakt (ja ich weiß, es war nur übers Telefon) zu Murat resultierte. Denn nachdem wir uns lebhaft ausgemalt hatten, was wir in unserem Zimmer nicht alles tun würden, konnte ich hören wie er sein Zimmer verließ – und sich im Badezimmer einschloss. Klar, vier Brüder im Zimmer kämen garantiert ungelegen, wenn man sich einen runterholen möchte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich kaum etwas mehr Erregendes erlebt und als ich Murat am Telefon aufstöhnen hörte, konnte auch ich es nicht mehr zurückhalten.

Wahnsinn, was freute ich mich auf Bologna!

Die Reise nach Italien verlief dann allerdings chaotischer, als ich es erwartet hätte.

Zwar durften wir unsere Stadt regelmäßig glorreich repräsentieren, aber Geld für eine halbwegs angenehme Flugreise waren wir ihnen noch nie wert gewesen, sprich: wir durften den Nachtzug von Linz aus nehmen.

Wer schon einmal einen Nachtzug aus Österreich nach Italien genommen hat wird wohl kaum überrascht sein, dass Reservierungen für mitreisende Italiener nicht von großer Bedeutung sind – unsere 6er Abteile waren nämlich größtenteils bereits belegt.

Daran konnte auch Trainer Burker nicht viel ändern, der sich lautstark beim Schaffner beschwerte – wohl oder übel mussten sich 18 Handballer in zweieinhalb 6er Abteile zwängen, Sitzplatzabteile wohlgemerkt!!

Murat schien das noch am wenigsten auszumachen – er war es von zu Hause aus gewohnt, viele Leute um sich zu haben. Er fand es geradezu witzig, dass es sich manch einer sogar am Boden bequem zu machen versuchte.

Wie in den Jahren zuvor, nutzten auch dieses Mal einige Jungs die Gelegenheit um sich und den anderen zu beweisen, welch geeichte Trinker sie nicht wären. Burker sah es zwar nicht gern, konnte aber auch nicht verhindern, dass einige seiner Sportler Alkohol mit an Bord schmuggelten.

Und schließlich befanden wir uns ja weder in der Schule noch in einem Militärcamp!

Der enge Platz sowie der Alkohol (so ganz abgeneigt war ich Alkohol gegenüber in manchen Situationen dann eben doch nicht) sorgte also schon bald dafür, dass sich bald üble Ausdünstungen im Abteil ausbreiteten und auch der Lärmpegel stetig anstieg – so sehr, dass sich selbst die heißblütigen, italienischen Abteilräuber langsam darüber beklagten.

Gegen Mitternacht kehrte dann doch etwas Ruhe ein – was wohl an einsetzender Müdigkeit und Betrunkenheit, aber auch an den zu Neige gehenden Getränken lag. Nun begannen wieder die Italiener, uns an Lautstärke zu übertrumpfen. Schlichtweg – an Schlaf war bei den meisten nicht zu denken.

Einer der wenigen, dem das gelang war Murat, der zusammengekauert vor sich hinbüselte.

Der Zug rumpelte durch die Nacht und gegen halb zwei beschloss ich der Enge des Abteils zu entkommen, um auf einem Klappsitz am Gang Platz zu nehmen. Schlafen würde ich ja sowieso nicht können. Ebenfalls etwas beschwipst blickte ich gedankenversunken in die vorbeiziehende Dunkelheit, bevor mich plötzlich die Stimme Burkers aus den Gedanken riss.

„Ich hoffe, ich bekomme sie für morgen Abend wieder fit“, meinte er mehr zu sich selbst, während er neben mir stehend das Fenster einen Spalt öffnete, um sich verbotenerweise eine Zigarette anzuzünden. „Das erste Spiel ist immer das Schwierigste, noch dazu, wenn es gegen den Gastgeber geht. Gut, dass du und Bernhard euch wieder eingekriegt habt – wäre nicht gut für das Turnier.“

Nun war ich endgültig aus meinen Gedanken gerissen. Warum und vor allem was wusste er über unser angespanntes Verhältnis?

„Du weißt, ich bin nicht nur euer Trainer sondern auch so etwas wie eine Vertrauensperson – du kannst also jederzeit zu mir kommen, wenn dich irgendwo der Schuh drückt!“

Au Man, auf Gespräche dieser Art hatte ich um die Uhrzeit nun wirklich keinen Bock. Ich wollte das ganze schon mit einem aussagelosen `Mhmm´ abtun, doch er hörte einfach nicht auf nachzubohren.

„Was war denn da jetzt genau zwischen euch? Auch die anderen können sich keinen Reim daraus machen!“

Verdammt, hatte er etwa schon die anderen in dieser `Causa´ befragt? Allerdings gut zu wissen, dass ihm scheinbar keiner wirklich sagen konnte, worum es ging. Sonst würde er ja nicht mich so dämlich fragen.

„Wahrscheinlich war Bernhard anfänglich einfach neidisch auf Murat, weil der um einiges besser spielt, als er selbst“, versuchte ich zu erklären.

„Du hast dich sehr mit Murat angefreundet, das ist mir nicht entgangen! Kann es sein…“

Verdammt, der sollte einfach seine Zigarette fertig rauchen und sich dann zu den Italienern ins Abteil quetschen – ich hatte (und ja ich wiederhole mich) nicht im entferntesten Lust an dieser Unterhaltung.

„…dass er auf ihn eifersüchtig ist?“

„Eifersüchtig? Warum eifersüchtig? Das klingt ja fast so, als wären Murat und ich mehr als nur Freunde!“

„Ich meinte eigentlich in Bezug auf das Spielerische, aber deiner Reaktion nach – seid ihr etwa…? Klar seid ihr!“

Verdammt, während Murat als einer wenigen seinen wohlverdienten Schlaf genoss, hatte ich Plappermaul mich – uns – verraten.

Wahrscheinlich lief ich in dem Moment wieder hochrot an – auf alle Fälle aber wäre ich am liebsten im Erdboden versunken.

„Max – ich kenne dich jetzt, seitdem du bei uns in der U8 angefangen hast. Du bist ein netter Bursche und es macht mir nichts aus, auf wen du stehst. Nur – vergiss nicht, dass wir ein Team sind. Solche Spannungen tragen da nichts Gutes dazu bei. Fakt ist aber auch, dass Murat und du die besten Spieler seid die ich habe und du regelrecht aufblühst seitdem ihr euch kennt. Deswegen hab ich auch nach längerem Zögern zugestimmt, dass ihr euch ein Zimmer teilen sollt. Aber denke daran…“

Oh nein, bitte gib mir jetzt keine Kondome…

Zu spät.

„Sicher ist sicher!“ Gab sie mir, kniff mich in die Backe und verschwand im italienisierten Abteil.

 

Wieder mal war ich im `Land of Confusion´, aber schließlich kam ich zur Einsicht, dass er es wahrscheinlich gut meinte – und ich schlussendlich ja auch gar nichts zugegeben hatte. Leicht betrunken brabbelt man schon mal öfters zusammenhangloses Zeug! Wegen mir war es mir ja egal, aber Murat wollte ich auf keinen Fall in Verlegenheit bringen.

Gerade als ich an ihn dachte, kam er verschlafen aus dem Abteil geschlichen.

„Mann, mir tut alles weh – und so sollen wir (er blickte kurz auf die Uhr) heute (das Wort `Heute´ betonte er übertrieben) spielen. Ich packe es nicht!“

So sehr er auch jammerte, er konnte die Freude an der gemeinsamen Reise kaum verbergen. Außerdem sah er mit seinen kleinen Augen so dermaßen niedlich aus, dass ich das Gespräch mit Burker sofort vergaß und ihn augenblicklich küssen hätte können.

Er ließ sich auf dem Klappsitz neben mir nieder und blickte ebenfalls in die langsam beginnende Dämmerung. Obwohl wir kaum sprachen und auch aus den andere Abteilen jetzt kaum Hörbares mehr drang fühlte es sich an, als wären wir die einzigen Menschen, die noch wach waren.

Ab und zu blickten wir gegenseitig zum anderen hinüber, wohl um zu prüfen, ob wir auch wirklich noch nicht eingeschlafen waren. Ein kurzes Lächeln und schon widmeten wir uns wieder der Landschaft, die langsam wieder Form annahm und aus der Dunkelheit erwachte. Die Müdigkeit, die aber doch nicht zum Schlaf wurde – und neben mir der liebste Mensch auf Erden: wie gerne hätte ich diesen Moment auf ewig festgehalten und so lange ich lebe, werde ich mich an diesen Augenblick zurückerinnern.

Irgendwann schienen wir beide dann doch zumindest eingenickt zu sein – länger als eine halbe Stunde kann es allerdings nicht gewesen sein, denn wir kamen in aller Herrgottsfrüh um 5.07 Uhr in Bologna an.

Der Bahnhof und auch der Platz davor waren menschenleer: was der Laune aller nicht unbedingt zuträglich war. Wir hatten uns alle aus dem Zug geschält, wie Protangonisten aus der Serie `The Walking Dead´.

Den Überhammer aber hatte `Vertrauensmann´ Burker auf Lager: da unsere Unterkunft erst ab 10.00h (!!) Vormittag ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, hatte er einen kleinen Sightseeing-Trip durch Bologna eingeplant. Was viele für einen schlechten Scherz hielten, stellte sich allerdings als wahr heraus, als Burker zielstrebig den Gang zu den Schließfächern antrat, wo wir alsbald unser Gepäck verstauten.

Missmutig schlapften wir Burker hinterher – wenig interessiert daran, welches Adelsgeschlecht oder Königshaus welches Gebäude bewohnte. Was uns vielleicht interessieren hätte können, wäre ein etwaig geöffnetes Café aber nochmals: es war knapp nach 5 Uhr morgens!! Da tat sich auch in diesem Bereich weniger als nichts!

Es dauerte also nicht lange und Burker stand bereits in den ersten Stunden des Aufenthalts vor einer waschechten Meuterei seiner Truppe – Kapitän Philipp war der erste, der laut gegen diesen `Schaß´ seine Stimme erhob. Und wenn er mal was sagte (komisch, dass gerade er Kapitän war, denn er sagte eigentlich so gut wie nie was), dann zählte das.

Man sah Burker die Schweißperlen an – noch immer hatte ich seine Worte `Wir sind ein Team´ in den Ohren – der um den Verlust seiner Autorität, sowie um ein negatives Abschneiden des Teams fürchtete.

„Versuchen kann man es ja!“ meinte er, fischte sein Handy hervor und kontaktierte unsere Unterkunft. Es schien endlos lange zu klingeln, ehe ihm irgendwer ein wütendes `Buon Giorno´ ins Ohr raunte. Burkers Englisch war mitleidserregend (schlimmer als meines und das hat was zu bedeuten) und seine Versuche, unseren Wünschen nachzukommen schienen aussichtslos – bis er plötzlich Murat das Handy reichte.

„Hier, Kokosnuss. Versuch du mal – ich verstehe nur Bahnhof!“

Verwundert griff Murat nach dem Mobiltelefon, doch schon wenig später huschte ein zahnweißes Lächeln über sein Gesicht – und er begann türkisch drauf los zu plappern.

Tja, die Besitzer unserer bescheidenen Unterkunft waren tatsächlich Türken.

Murat hatte Erfolg und nur eine Stunde später (für Italiener wahrscheinlich eine rekordverdächtige Zeit) rollten zwei klapprige Fiat-Shuttlebusse an, die uns endlich, endlich zu unserer Herberge kutschierten.

Da wir die Zimmereinteilung ja bereits in Freistadt vorgenommen hatte gab es diesbezüglich keine Querelen – und gegen halb acht Uhr morgens fiel ich endlich in die Laken.

Nie zuvor habe ich mich so dermaßen auf ein Bett gefreut. So sehr ich mich der Zweisamkeit mit Murat entgegensehnte: in dem Moment wollte ich einfach schlafen. Kurz bevor ich in einen Koma-ähnlichen Schlaf fiel blickte ich noch kurz zu ihm rüber – er war bereits eingeschlafen.

Gnadenlos warf uns Burker gegen ein Uhr Mittag aus den Federn, so dass wir unsere Unterkunft mal genauer unter die Lupe nehmen konnten. Bad und Klo befanden sich auf den Zimmern (das war auf unseren Reisen nicht immer so und erleichterte vor allem Murat) – jedes der ebenerdigen Zimmer hatte außerdem Zugang zu einem Garten, der Sitzmöglichkeiten zum Essen beziehungsweise zur Unterbreitung Burkers Taktiken Gelegenheit bot.

Genau dort versammelten wir uns auch zum Mittagessen (Pasta, was sonst), ehe unser Trainer den weiteren Tagesverlauf bekanntgab.

Unser erstes Spiel sollte um 6 Uhr abends gegen ein Team aus Bologna stattfinden: insgesamt waren 8 Teams in zwei Vierergruppen eingeteilt, von denen die jeweils ersten beiden um den Finaleinzug kämpften. Neben uns waren zwei Teams aus Italien, eines aus der Schweiz, eines aus Holland, eines aus Frankreich und zwei aus Deutschland vertreten.

Etwas schade fand ich, dass dieses Mal nicht alle Teams im selben Hotel wohnten, so wie es bislang zumeist der Fall war. Schade deswegen, weil man da immer wieder nette Leute kennenlernen konnte.

Andererseits hatte ich darauf hin dieses Mal eh wenig Bock – so blieb mir eben mehr Zeit für Murat.

Nach dem Essen legten wir noch ein kleines Mittagsschläfchen ein, ehe wir zwei Stunden vor Spielbeginn zur nicht allzu weit entfernten Halle latschten, die zu einem Schulgebäudekomplex gehörte und von der Qualität her nicht mit unserer Halle mithalten konnte. Auch das Zuschauerinteresse hielt sich in Grenzen, aber auch das kannten wir – zumeist interessierte sich die heimische Bevölkerung erst ab den Halbfinalspielen für das Turnier, und dann meistens auch nur im Falle einer Beteiligung des heimischen Teams.

Wie erwartet steckte allen noch die beschwerliche Anreise in den Knochen, doch mit Fortdauer des Spieles verbesserten wir uns gegen die überhart einsteigende Jungs aus Bologna – schlussendlich kam es zu einem im Handball eher unüblichen Unentschieden. Wir waren nicht unzufrieden, mussten aber nun die Mannschaften aus Lausanne und Regensburg unbedingt schlagen, um Hoffnungen aufs Halbfinale zu haben.

Zurück im Hotel gab es noch ein kleines Abendessen und taktische Anweisungen für den folgenden Tag, wo ja schon das nächste Spiel stattfinden sollte.

Bis zu dem Zeitpunkt lief es für mich fast routinemäßig ab – doch nun wurde ich zunehmend nervöser: meine erste gemeinsame Nacht mit Murat näherte sich. Nichts wollte ich mehr, als ihn endlich zu spüren und nun, da der Augenblick da war versagten mir fast die Nerven.

Schöner Scheiß.

Murat schien es ähnlich zu gehen – und nachdem wir in unserem Zimmer waren brauchte er eine Ewigkeit, um aus der Dusche zu kommen.

Er sah unbeschreiblich süß aus, als er aus der Dusche kam – bekleidet in einem ärmellosen, schwarzen T-Shirt und einer Boxershort. Außerdem duftete er dermaßen betörend, dass mir fast die Sinne schwanden.

Er setzte sich mir gegenüber hin auf seine Bettkante und blickte schüchtern zu mir rüber.

„Alles ok?“, wollte ich wissen.

„Ich hab ein bissl Angst – keine Ahnung wovor“, kratzte er sich verlegen an seinem gebräunten rechten Oberarm.

„Geht mir auch so, ich bin höllisch nervös!“

„Was, wenn uns wer hört“, flüsterte Murat angespannt.

„Darüber mache ich mir keine Sorgen“, erwiderte ich, „ich habe nur Angst, naja, dass ich dir vielleicht nicht genüge!“

In den nächsten Minuten sagte keiner von uns auch nur ein Wort, bis ich schließlich doch die Initiative ergriff und mich neben ihm hinsetzte.

„Ich habe noch nie so einen süßen Jungen wie dich gesehen, ehrlich. Und ich habe mich so auf diesen Moment gefreut – scheiß auf die Nervosität!“

Ich legte meinen Arm um ihn und meinen Kopf an seine Schulter, die ich behutsam küsste. Seine Haut war weich, roch nach Nivea-Duschcreme und ich spürte seinen heißen Atem. Langsam drehte er sich in meine Richtung, ehe wir uns küssten. Inniger und vor allem viel länger als ein paar Wochen zuvor am Sportplatz.

„Warte!“, wisperte Murat und entledigte sich seines T-Shirts, was ich ihm gleichtat.

Wieder saßen wir nervös da, voller Neugier auf die Beule des jeweils anderen starrend, die sich da mittlerweile unter unseren Shorts gebildet hatte.

„Du zuerst!“, forderte mich Murat auf, mich komplett auszuziehen, dem ich sofort nachkam. Als er selbiges tun wollte, nahm ich ihn an der Hand und deutete ihm, dass ich das für ihn machen wollte. Meine Hände versagten fast den Dienst, als ich den Bund seiner Boxer anfasste um endlich Blick auf das zu bekommen, was ich seit Wochen ersehnte.

Er war beschnitten und rasiert – und ich konnte nicht anders, als ihn sofort anzufassen. Murat durchzuckte es und er stieß einen lauten Seufzer aus.

„Mach das Licht aus“, schaffte er noch zu sagen und wenig später lagen wir eng umschlungen, aufeinander unter der Decke.

Es war unbeschreiblich, einen fremden Schwanz auf meinem eigenen zu spüren und wir bewegten uns nicht lange aufeinander, ehe wir beide kamen. Es fühlte sich an, als würde ich in einen Pool voll warmen Wasser fallen, ringsum die schönsten Farben, in die ich eintauchte. Und alles war gut, Murat war überall – wir waren eins.

Obwohl wir nachher lange nicht einschliefen, lagen wir eine Ewigkeit aneinander gekuschelt da – keiner war fähig, das eben Erlebte in Worte zu fassen. Es war auch gar nicht notwendig, denn selbst im Dunkeln konnte ich Murats Gesicht leuchten sehen.

„Ich liebe dich“, sagte er nach geraumer Zeit – und es war das erste Mal, dass er mir das sagte.

Bevor wir schließlich doch einschliefen, machten wir es uns nochmals gegenseitig – wiederum war es unbeschreiblich schön. In dieser Nacht wurde ich mehrmals wach, vielleicht weil ich viel zu aufgeregt war, um durchzuschlafen. Und dennoch schlief ich jedes Mal wieder beruhigt ein, als ich Murat neben mir leise atmen hörte oder seinen Kopf an meiner Schulter spürte.

Früh morgens genoss ich erstmals eine warme Dusche, als ganz keck plötzlich Murat neben mir stand.

„Ich dachte, du duscht nicht gemeinsam mit anderen Männern?“

„Mache ich auch nicht“, lachte er, „ich dusche doch nur gemeinsam mit einem Mann!“

Es wundert mich ehrlich gesagt bis heute, dass keinem der anderen am Frühstückstisch unser euphorischer Zustand aufgefallen ist – denn wir mussten ja strahlen wie IKEA-Stehlampen. Ich fühlte mich saugut, wir fühlten uns saugut.

Die Mannschaft aus Lausanne hatte an diesem Abend jedenfalls null Chancen gegen uns. Ich schwebte auf Wolke sieben und hoffte zu dem Zeitpunkt, die Reise würde ewig dauern.

Auch das letzte Gruppenspiel gewannen wir und tags darauf hatten wir endlich mal spielfrei, was unsere Truppe dazu nutzte, einen Ausflug ins nicht allzu weit entfernte Florenz zu unternehmen. Ich war vor ein paar Jahren schon mal da gewesen und meiner Meinung nach zählt Florenz zu den schönsten Städten Italiens – noch dazu, wenn man verliebt ist.

Nach einem gemeinsamen Essen mit dem Team, durften wir alleine die Altstadt erkunden. Naja, natürlich nicht ganz alleine – ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Murat mich an meiner Seite begleitete.

Umso überraschter war ich dann abends im Zimmer, als mir Murat eine kleine Halskette schenkte, die er am Nachmittag auf der Ponte Vecchio gekauft hatte. Es war und ist mir bis heute ein Rätsel, wie er das bewerkstelligt hatte – schließlich waren wir die ganze Zeit zusammen. Ich freute mich riesig über das Geschenk und schämte mich zugleich, dass mir nicht dieselbe Idee gekommen war, aber Murat machte es nichts aus. Er schien so weit weg von allen Problemen zu sein, ähnlich wie ich.

Auch was sich jeden Abend in unserem Bett abspielte (das zweite Bett blieb während unseres gesamten Aufenthaltes fast unbenutzt) war einfach traumhaft, darüber brauche ich wohl keine großen Details zu verlieren.

Ok, eines vielleicht doch: am Abend vor dem Halbfinale, also nachdem ich die Kette von ihm bekommen hatte, schliefen wir das erste Mal miteinander.

Es hätte ewig so weitergehen können – tat es aber leider nicht.

Im Halbfinale standen wir der Mannschaft aus Regensburg gegenüber und unsere Chancen auf den Einzug ins Finale standen ganz gut, denn wir hatten die selbe Mannschaft bei einem Turnier im Jahr zuvor schon einmal geschlagen. Es lief auch ganz gut, aber irgendwie war uns die Leichtigkeit aus der Vorrunde abhandengekommen. Keine Ahnung woran das lag – war es schlichtweg Nervosität, oder gar der erste Anflug von Lagerkoller?

Wobei wir ja erst vier Tage unterwegs waren.

Kurz vor Schluss schien sich beim Stand von 23:23 allerdings doch alles zum Guten zu wenden, als uns ein Siebenmeter zugesprochen wurde. Bernhard, der an diesem Abend wohl der beste Spieler unserer Mannschaft gewesen war, wollte gerade zum Punkt – als ihn Murat wegdrängte und sich selbst die Kugel schnappte.

Wäre es jemand anderes gewesen, hätte ich sicher interveniert und Bernhard den Ball zurückgegeben – aber Liebe macht ja bekanntlich blind.

Murat ballerte den Ball über das Tor und wir hatten allergrößte Mühe Bernhard daran zu hindern, auf Murat loszugehen. Murat sah leider seinen Fehler – und damit meine ich nicht den Fehlwurf sondern die Aktion davor – ebenfalls nicht ein und beide Spieler durften in der Verlängerung nicht mehr mitmachen.

Wie durch ein Wunder gewannen wir das Spiel doch noch – aber die Atmosphäre im Team war vergiftet, obwohl wir das Finale erreicht hatten.

Bernhard und Murat sprachen beide kein Wort, als wir in unsere Kabine kamen, was auch gut war, denn jedem war klar, dass auch nur ein einziges Wort einen Tumult ausgelöst hätte. Leider fehlte dann ausgerechnet unserem Trainer jegliches Gespür für Diplomatie.

„Was war da draußen eigentlich los mit euch?“, brüllte er Bernhard und Murat an. „Eigentlich sollte ich euch mit dem nächsten Zug heimschicken!“

„Der scheiß Türke soll heimfahren!“, brüllte nun Bernhard, was Murat veranlasste wie von der Tarantel gestochen auf ihn loszugehen.

Was ich allerdings verhindern konnte, indem ich mich ihm in den Weg stellte.

„Was heißt hier `Scheiß Türke´? Trainer, der ist doch von Anfang an gegen mich gewesen!“

„Bernhard!“, fauchte Burker weiter, „Ich weiß, dass Murat Mist gebaut hat, aber diesen rassistischen Ausdruck möchte ich jetzt überhört haben!“

„Klar, überhört das nur alles! So ist es überall! Wir scheiß Kanacken sind halt nix wert!“

Murats Stimme überschlug sich fast – er war den Tränen nahe, riss sich von mir los und flüchtete in den Duschraum.

„Ja, jetzt hat er es auf einmal eilig mit dem Duschen“, setzte Bernhard noch eines drauf, „fällt euch auf, dass er das erste Mal seitdem er im Team ist unter die Dusche geht?“

Er saß da und versuchte zu lachen, während in mir der blanke Hass hochkroch.

Langsam ging ich auf ihn zu.

„Was bist du nur für ein unbeschreibliches Arschloch!“, fuhr ich in an und war drauf und dran auf ihn loszugehen.

Bernhard blickte mich hämisch grinsend an.

„Dass du Partei für ihn ergreifst, war mir klar. Du hast ja von Beginn an einen Narren an ihm gefressen. Soll ich den anderen sagen, wie eure Abendbeschäftigung so aussieht?“

Mir wurde schlecht und ich war kurz davor zu kotzen.

„Ich habe keine Ahnung wovon du redest“, brachte ich stammelnd hervor.

„Ich war letzte Nacht noch im Garten eine rauchen, nicht weit von eurem Zimmer weg, also…“

Er kam nicht weiter zu erzählen, denn mir war nun alles egal. Das nächste, an das ich mich wieder erinnern konnte, war der starke Griff Burkers, der mich von Bernhard wegzerrte und mich auf eine der Kabinenbänke niederdrückte. Bernhard saß mit blutender Nase da und starrte mich ungläubig an – er konnte es nicht fassen, dass ich ihn ins Gesicht geschlagen hatte.

Während die anderen hinausgingen und sich fragten, von welchen Geräuschen Bernhard da bloß redete, saß ich wie in Trance auf der Bank und starrte vor mich hin.

Murat saß immer noch in der Dusche, während Burker versuchte, ruhig auf mich und Bernhard einzureden.

„Wenn ihr euch nicht sofort wieder einkriegt und vernünftig miteinander redet, dann ist für euch drei das Turnier hier zu Ende. Murat – raus aus der Dusche!“

Angeschlagen wie ein Boxer nach dem KO folgte Murat anstandslos und nahm neben mir Platz.

„Murat, du entschuldigst dich bei Bernhard für deine Aktion im Spiel, Bernhard, du entschuldigst dich bei ihm für deine Äußerungen. Und ich will, dass ihr es beide auch ernst meint!“

Beide taten, wie ihnen befohlen wurde, aber der Karren war wohl total verfahren.

„Nun zu dir Max. Ich weiß, dass Bernhard das nicht sagen hätte sollen – aber das ist keine Entschuldigung für diesen Gewaltausbruch. Es tut mir leid, aber so kann ich dich im Finale nicht spielen lassen!“

Was soll ich sagen – das war mir zu dem Zeitpunkt fast egal. Es war mir auch egal, sollten die anderen doch wissen, dass ich schwul war – aber um Murat war es mir nicht egal.

Er sprach kaum ein Wort, als er neben meiner Seite die Kabine verließ.

Wie ich später erfuhr, hatte Burker nachher nochmals mit Bernhard gesprochen und ihm nahegelegt, keine weiteren Worte über meine Beziehung zu Murat beziehungsweise über irgendwelche Geräusche zu verlieren.

Zurück im Hotel nahmen wir ein sehr spätes Abendessen zu uns, das in vollkommener Stille stattfand. Auch später im Zimmer setzte sich das Schweigen fort – Murat sprach nicht mehr und verkroch sich das erste Mal in dieser Woche in seinem eigenen Bett.

Erst als ich mir sicher war, dass er bereits schlief, ließ ich meinen Tränen freien Lauf, denn ich wusste es: ich hatte ihn verloren.

Verloren hatten wir schließlich auch das Finale am nächsten Tag, indem ich tatsächlich nicht spielen durfte. Wir traten als Turnierzweiter die Heimreise an, die ungleich ruhiger ablief als die Hinreise. Der Zug war nahezu leer und ich war fast erleichtert, ein Abteil für mich alleine zu finden.

Murat und ich hatten seit dem verhängnisvollen Abend kaum mehr miteinander gesprochen – er schlief in einem anderen Abteil und was soll ich sagen: er fehlte mir fürchterlich.

Als wir gegen 9 Uhr vormittags am Bahnhof Linz ankamen hatte ich sofort ein ungutes Gefühl. Eigentlich sollten wir gemeinsam mit dem Bus nach Freistadt zurückfahren, doch zwei Väter ließen es sich nicht nehmen, ihre Söhne bereits in Linz abzuholen. Beide standen in einem Respektabstand von etwa 100 Metern auseinander.

Der eine war mein Vater, der andere der von Murat.

Ich sah durch das rote Gesicht meines Vaters hindurch und bekam mit, dass Murats Vater auf ihn einschrie und ihn schließlich wegzerrte. Kurz hatte ich den Eindruck, als wollte mir Murat noch zuwinken, doch da verschwand er bereits mit seinem Vater auf der Rolltreppe.

„Also, was hast du mir mitzuteilen?“, holte mich Papas Stimme aus meinem Trance-Zustand.

Sein Gesicht war nach wie vor rot – aber nicht vor Wut: er musste geweint haben.

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