zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Trost 2

Kapitel 169-172

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

169

Es war bizarr, in Melanies Wagen zu fahren. Sie kannten einander kaum. Bis eben hatte er sie echt scheiße gefunden und war sich auch noch immer nicht wirklich sicher, was er von ihr halten sollte. Ein wenig hatte er Angst, dass ihrem Wagen mit ihm etwas zustoßen könnte, so dass auch er selber noch mit ihrer Brust zu tun bekam.

Aber andererseits war dieses Auto auch wirklich kaum noch was wert, wenn Kai das schätzen konnte. Genau wie Melanie es locker zum Abschied gesagt hatte. Die Sitze waren aus zerschlissenem Leder, der Fahrersitz mit einem hässlichen Jeansbezug bedeckt, das Lenkrad war mit schon speckigem Leder versehen. Es roch alt und überall war Rost. Der Wagen war nicht sonderlich gedämpft und zog leicht nach links, wenn man ihn ließ.

Sicherlich hätte Lukas sofort gewusst, woran das lag. Jan unter Umständen auch, aber Kai fuhr einfach noch langsamer als sonst, lenkte etwas betonter nach rechts und ließ sich von all den Anderen überholen. Es war auch sicherer. Überall hatte der Sturm Äste auf die Straße geweht und auf einer Brücke wurde der Wagen von einer Windböe erfasst und ein gutes Stück zur Seite geschoben. Kurz vor seinem Zuhause setzte ein weiteres Gewitter mit starkem Regen und reichlich Blitzen und Donnergrollen ein, so dass Kai mit Tempo dreißig in die Heimatstadt gekrochen kam.

Er hatte seinen Eltern nur kurz gesagt, dass er mit einem Auto kommen würde und war von ihnen nach Hause bestellt worden. Der Weg war so gewohnt, dass Kai überrascht blinzelte, als er das Auto ihrem Haus gegenüber abstellen konnte und sich schon am Ziel sah. Er fühlte sich noch gar nicht bereit, ihnen gegenüber zu treten. Der Sturm hatte auch hier seinen Tribut gefordert. Im gelben Schein der Außenbeleuchtung sah Kai die Astern und Dahlien am Boden liegen. Zwerg Norbert schob unbeeindruckt seine Schubkarre vor sich her und grinste Kai mal wieder hämisch an. Noch immer war der Himmel düster, in der Ferne grollte das Gewitter.

Die gewohnte Atmosphäre ließ Kai ein wenig erschaudern. Er wollte heute nicht hier sein, sich nicht seinen Eltern stellen. Nicht vor der Prüfung schon. Ein Blick in den Rückspiegel von Melanies Auto hatte ihn außerdem darüber informiert, dass er absolut scheiße aussah, genau wie er sich fühlte. Dunkle Ringe unter den Augen, Wangen zu schmal, Kinn zu spitz, Bewegungen schmerzlich mühsam. Er hatte bereits die Ahnung des Putzmuskelkaters, der sich am nächsten Morgen sicherlich erbarmungslos über ihn hermachen würde. Er hatte an diesem Tag seine Reserven schon ausgeschöpft. Das Aussteigen aus dem Auto fühlte sich wie Bergsteigen an, obwohl die frische, feuchte Luft ihm gut tat. Nervös spürte er, wie seine Finger wieder und wieder an seiner Hosennaht entlang fuhren. Im Vorbeigehen zog Kai die Brauen zusammen, dann kickte er den Zwerg leicht mit der Schuhspitze und schämte sich fast sofort wieder dafür.

Die Tür wurde ihm von seiner Mutter geöffnet. Sie trug ein dunkelgraues Sommerkleid und ihre schwarzen Sandalen mit Keilabsatz, die sie fast größer sein ließen als ihn. Ihrem Blick nach zu urteilen sah er so schlimm aus wie er sich fühlte, aber sie kommentierte weder seine lila Augenringe noch den offensichtlichen Gewichtsverlust der letzten Wochen. Stattdessen begann sie noch bei der Umarmung zur Begrüßung mit einer Entschuldigung: "Kai! Es tut mir so leid, ich wollte dich eigentlich nicht anrufen und so kurz vor der Prüfung auch noch damit stören. Aber Norbert meinte, dass es so besser ist. Besser, wenn du richtig Abschied nehmen kannst." Sie entwand ihm den Rucksack: "Er hat ja Recht, nicht?"

Kai nickte zustimmend, aber schwieg, ließ sich umarmen und in das Haus ziehen. Sie blickte vor dem Türen schließen über seine Schulter: "Wessen Auto hast du denn da genommen?"

"Melanies. Ich kenne sie vom Unisport." Unbestimmt hoffte er, dass seine Mutter der Mangel an Nachnamen nicht auffallen würde. An den gehobenen Brauen seiner Mutter sah er gleich darauf, dass sie sich für das Mädchen und das Thema Sport gleichermaßen interessierte, aber nicht wusste, wie das vernünftig in eine Unterhaltung am Todestag ihrer Mutter einzubauen war.

Kai ließ sie auch nicht mit der üblichen Ausfragerei beginnen, sondern setzte sich rasch zum Pinkeln ins Gästebad ab. Als er raus kam, befürchtete er anstrengende Unterhaltungen, aber die Stimmung blieb angenehm schweigsam, ohne wirklich gedrückt zu sein. Es gab keine Details zum Tod der Oma. Stattdessen wurde Kai zu einem Teller Nudelsalat genötigt, obwohl er kaum Appetit hatte. Er trank ein großes Glas Cola, um wacher zu werden und fuhr dann mit seiner Mutter zusammen zum Beerdigungsinstitut.

Sie beorderte ihn selbstverständlich auf den Beifahrersitz ihres Wagens. Er wagte es nicht, nach Norbert zu fragen, aber erhielt im Auto unaufgefordert die Information, dass das Gewitter auch hier im Ort voll zugeschlagen hatte, und Norbert den ersten Schaden im Schrebergarten in Augenschein nehmen wollte. Hektisch und energisch, wie immer, stellte seine Mutter den Fahrersitz und die Spiegel für sich ein. Dann setzte sie zurück und beide schreckten zusammen, als der Wagen über einen dickeren Ast holperte.

"Bei Müllers, auf der Ecke, ist ein Ast in die Laube gekracht. Marion hat vorhin angerufen. Dein Vater hilft sicherlich noch, das zerbrochene Fenster abzudecken." Sie blickte besorgt aus dem Seitenfenster und murrte: "Dass es so ein Sturm werden würde, hat keiner geahnt, nicht einmal der alte Erich mit seiner Wetter-Vorhersage-Narbe am Knie."

Kai grinste schwach, als er ihren alten Laubennachbarn wieder vor sich sah, mit Strohhut auf dem Kopf und dem eindeutigen Bedürfnis, so oft er konnte über die Kriegserinnerung zu sprechen, die ihm diese wetterfühlige Narbe eingebracht hatte. Lustig daran war nur, dass der Opa die Narbe in Wirklichkeit von einem Sturz aus seinem Apfelbaum hatte, was auch alle wussten.

Die Fahrt führte in das kleine Gewerbegebiet hinter einigen Supermärkten, die Kai noch nicht kannte, und dem neuen Baumarkt. Zwischen Gebäuden mit einem Reifendienst, einem Tierfuttermarkt, einem kleinen Möbelhaus und der Druckerei, für die alle Schüler im Sommer immer arbeiteten, hielten sie auf dem angenehm geräumigen Parkplatz vor einem schicken Einfamilienhaus im etwas steril gehaltenen skandinavischen Stil. Alles war aus sehr glänzendem, lackiertem Holz mit gelben Holzwänden und weißen Sprossenfenstern. Die Fenster rundherum waren hell erleuchtet, so dass sich das Haus auch ohne die hellen Farben deutlich von den restlichen Gebäuden in dem am Abend verlassenen Industriegebiet hervorgehoben hätte. Es wirkte dadurch wie eine Filmkulisse, rein geschnitten in die Umgebung und unlebendig. Kai blinzelte dieses Gefühl rasch weg, als ihm einfiel, dass es genau darum in diesem Haus ja auch ging, um den Tod.

Nachdem sie den Motor ausgestellt hatte, seufzte seine Mutter, aber sagte noch immer nichts, sondern klappte den Spiegel auf und betrachtete ihr Gesicht. Dann starrte sie das Haus an. Unsicher tat Kai es ihr nach und stierte auf die hellen Fenster. Nichts rührte sich. Nachdem beide einen Augenblick lang schweigend auf das Haus gestarrt hatten, gab sie sich zuerst einen Ruck und sprang fast aus dem Auto. Kai stieg aus und landete direkt in einer Pfütze. Mit nassen Socken, ungelenk humpelnd, blickte er das helle, pseudoeinladende Haus ablehnend an. Er wollte nicht da rein zu seiner Tante Hella, deren Wagen auch schon hier stand.

Mit dem sauber angelegten Garten, in dem sich Engelsfiguren und Kieswege um kleine Brunnen tummelten, wirkte das Haus zwar für sich ganz niedlich, aber inmitten der Effizienz des Gewerbegebietes absolut deplatziert. Aus der Nähe war dann aber auch hier die geschäftsmäßige Effizienz zu bemerken, die es der Besitzerin ermöglichte, überhaupt so ein Haus für ihr Gewerbe zu errichten. Der Garten war förmlich gepflastert mit verschiedenen Modellen für Grabsteine und anderen Friedhofsschmuck, nur die Preise fehlten.

An einem besonders deprimierenden Grabstein, aus viel zu glattem schwarzem Marmor mit Goldbuchstaben, hielt seine Mutter kurz an und blickte sich um: "Deine Großmutter wollte in ihrem weinroten Kleid bestattet werden, mit den Perlen um ihren Hals." Sie seufzte erneut so genervt, dann gingen sie langsam auf dem knirschenden Kies einen Umweg entlang. Kai spürte, dass seine Mutter eigentlich gar nicht in das Gebäude hinein wollte, eben so wenig wie er. Leider waren die Kieswege mit Buchshecken bepflanzt, seine Hose nahm von diesen reichlich Regenwasser auf. Mit nun kaltem, nassen Fuß und klammen Hosenbeinen fühlte er sich noch unwohler: "Die Perlen? Ist das nicht etwas...". Er verschluckte das Wort 'verschwenderisch', aber sie nickte.

"Hella und ich sind uns aber gleich einig gewesen, dass sie das Kleid haben kann, aber die Perlen werden wir ihr dann natürlich wieder abnehmen. Das ist Verschwendung."

"Hm." Es klang vernünftig, aber irgendetwas war falsch, das spürte er.

Er hatte Recht. Bei einem besonders kitschigen Engel hielt seine Mutter wieder inne: "Hella...". Seine Mutter mühte sich ein wenig, dann seufzte sie: "Sie will den Schmuck haben, für ihre Enkeltochter. Sie hat gesagt, dass es nur fair ist und richtig, weil ich nie eine Enkeltochter haben werde. Ich bin sauer deswegen, aber das Zeug verkaufen ist auch dumm. Bis auf die Perlen hatte Mutter doch nichts von Wert."

"Mama, ist das jetzt wichtig?". Ungemütlich scharrte Kai mit seinen komplett nassen Sandalen. Seine Oma hinterließ nichts von Wert, das war ihm klar. Anders als Jans Oma Hannah, die ihn durch ihren Tod reich gemacht hatte, erbte er vermutlich eher Schulden von ihr. Die Hypothek auf dem Haus, damit das Pflegeheim bezahlt werden konnte, würde sicherlich auch noch auf ihn übergehen.

"Nein... du hast Recht, Schatz. Es ist ganz und gar nicht wichtig. Ich möchte nur, dass du weißt, wenn du den Sessel oder die Kommode haben möchtest, Kai, dann...".

"Nein. Das ist in Ordnung, ich brauche die Sachen nicht." Er sah ihren Sessel vor sich. Das Fußbänkchen davor und zögerte: "Wenn niemand ihn will, dann nehme ich den Sessel...", hörte er sich dann fast flüstern. Er erschauderte und umschlang den Oberkörper mit den Armen.

Sie kamen an der Veranda an und gingen, ohne Klingeln zu müssen, in die Eingangshalle. Der hohe Raum war ebenfalls mit hellen Farben ausstaffiert. Türen in die benachbarten Räume standen offen und zeigten einen Ausstellungssaal mit leeren Särgen, eine Vitrine mit Urnen und nebenan einen mit dickem Teppich ausgelegten Raum, in dem weißlackierte Holzstühle um einen Sarg gruppiert waren. Das schien der richtige Raum zu sein, seine Mutter steuerte darauf zu.

Gleich um die Ecke lag seine Oma. Der Rest von ihr. Kai sah sich um. Hella, Jörg und sein Onkel standen in einer Ecke zusammen. Seine Mutter trat zu ihnen, aber er wollte nicht schon wieder reden, sich anstarren lassen. Rasch ging er auf den Sarg zu.

Seine Oma lag aufgebahrt darin, umgeben von weißen Satindeckchen und Rüschen, die so gar nicht zu ihr passten. Ihre Hände waren über der Brust zusammengelegt, die wächserne Haut fühlte sich unecht an, als Kai sie kurz berührte. Die Rüschen waren doof und unpassend. Mit gerunzelter Stirn fühlte Kai sich, als sollte er sich bei ihr dafür entschuldigen. Sie war schon immer zart gewesen, seit ihrem Schlaganfall regelrecht zerbrechlich, aber nie im Leben kitschig. Nun wirkte sie fast knöchern, das Gesicht merkwürdig straff und streng. Genauso falsch wie das Haus, in dem sie aufgebahrt war. Das rote Kleid stand ihr aber trotz allem gut, war zu Recht ihre Wahl gewesen.

Nachdem Kai sich eine gefühlte Ewigkeit vor ihrem Sarg aufgehalten und die Leiche mit leerem Blick angestarrt hatte, kamen endlich Hella und die anderen zu ihm. Jörg war nicht auf seinen eigenen Wunsch da, das sah man ihm deutlich an. Imke fehlte, was Kai dankbar machte.

Er hatte zunächst die diffuse Befürchtung, dass es noch doof oder peinlich werden würde, aber es passierte nichts mehr. Weder gab es Reden über seine Oma, noch brach jemand in Tränen aus. Alles war herrlich steril und unlebendig. Die lebenden Personen liefen nach seinem Empfinden der Toten im Raum darin deutlich den Rang ab.

Frau Ziesing vom Bestattungsinstitut tauchte in einem absolut erstaunlichen Kostüm auf. Es war dermaßen eng geschnitten, dass man sich fragte, wie sie hinein gekommen sein konnte. Sie war derart dünn, dass sie sich seitlich vermutlich hinter einer Laterne hätte verstecken können und betonte diese Silhouette noch mit hohen Absätzen. Die Schuhe hatten denselben steingrauen Farbton wie das Kostüm und die leicht glänzende Bluse. Einziger Farbtupfer in dem Ganzen war der dunkle Lippenstift auf ihrem ziemlich großen Mund.

Eine Unterhaltung zwischen der verstörend perfekten Beerdigungsdame und seiner Familie ließ sich rasch ausblenden, dann folgte Gerede über das Unwetter und seine Folgen. Das musste Kai nicht durch eigene Erfahrungen ergänzen und endlich sagte die Frau, dass sie die Familie jetzt noch einen Moment allein lassen wolle, womit sie geschickt zum Ausdruck brachte, dass alle gehen sollten.

Das taten sie zum Glück auch. Nachdenklich schlappte Kai hinter Jörg und seiner Mutter her. Hella war im Hintergrund mit der Frau vom Institut noch am Reden, es ging um irgendwelche Blumen. Jörg zögerte sichtlich, dann sah er kurz zu Kai runter: "Viel Glück bei der Prüfung."

Überrascht blinzelte Kai seinen Cousin an, dann gab er sich einen Ruck: "Ich... hätte den Sessel gern, wäre das okay?"

Jörgs Gesicht zeigte sofort eine für Kai ziemlich verwirrende Erleichterung. Während sie zu den Wagen traten neigte er sich zu ihm und zischte: "Perfekt! Imke mag den nicht und Mama wollte unbedingt, dass ich den nehme. So ein Scheiß! Passt nicht zu unseren Sachen. Danke. Nimm den, ich regele das!"

"Wie?" "Imke und ich mieten am Wochenende einen Wagen und holen das Kinderzimmer in der Stadt ab. Gebraucht gekauft, so ein komisches Abenteuer-Spielbett mit Rutsche und so. Braucht das Baby erst in fünf Jahren, aber Imke war stärker als Logik. Das Teil muss gekauft und in den Keller gestellt werden. Wir bringen dir den Sessel auf dem Hinweg, dann ist der weg, bevor die Alten was merken. Die Kommode stellen wir uns in den Vorratskeller, wenn dir das passt."

Überrascht blinzelte Kai, dann nickte er und fragte: "Ist das Baby noch nicht da?"

Jörg blickte mit einem Mal etwas traurig zu dem kitschigen Beerdigungsgarten zurück: "Nein. Oma hat es nicht mehr geschafft. Das... das tut mir leid. Hätte mich gefreut, wenn sie unser kleines Butzi noch einmal gesehen hätte."

Und das war der erste Moment der echten, lebendigen Trauer an diesem Tag. Jörgs Gesicht zeigte den Kummer mit einem Mal deutlich, und Kai wusste wieder, dass sein Cousin die Oma genau wie er gern gehabt hatte. Betroffen blinzelte Kai. Soweit hatte er selber mal wieder nicht gedacht. "Tja. Eine Uroma zu werden, hätte sie schon gefreut, wäre was zum Angeben im Altenheim gewesen, nicht?"

Jörg gähnte: "Ja, wäre es wohl. Termin ist in zwei Wochen. Die Uhr tickt, mein Lieber. Die Uhr tickt."

Das war ein Gefühl, das Kai nur zu gut kannte und er nickte erneut, fast hätte er Jörg zum Abschied etwas Nettes gesagt. Stattdessen murmelte er: "Danke für den Sessel."

"Dank mir nicht. Ich will den nicht. Imke macht mir die Hölle heiß, wenn ich das Teil anschleppe, aber Muttern muss ja alles raffen. Wie die scheiß Perlen. Als ob Imke oder Butzi jemals welche tragen würden. Echt jetzt. Man sieht sich in einer Woche dann."

Sie nickten einander noch einmal zu, dann wurde Kai von seiner Mutter mit effizienten, irgendwie klinischen Bewegungen in das Auto geschoben und mit einem für sie untypischen Schweigen nach Hause gefahren.

Kai dachte über seine Oma nach, dachte daran, dass sie eigentlich auch genug gelebt hatte und dann dachte er daran, dass er ihr das Ari-Ding vorenthalten hatte. Im nächsten Moment fiel ihm siedend heiß ein, dass er das auch seinen Eltern noch immer vorenthielt. Mühsam unterdrückte er die aufkeimende Panik und versuchte auch nicht, an Tini mit ihren bescheuerten Eltern zu denken, aber es misslang.

Als Kais Mutter beim Aussteigen etwas stumpf und für ihre Verhältnisse viel zu energielos und leise murmelte: "Kai wir müssen dringend noch reden.", miepte sein Hirn und ging in ängstlichen Leerlauf.

170

Matt folgte Kai seiner Mutter durch den feuchten Garten ins Haus. Es brannte Licht. Sein Vater nickte ihm zu und berührte auf dem Weg zwischen Kühlschrank und Sofa im Wohnzimmer einmal kurz seine Schulter. Eindeutig Mitleid. Es tat nicht gut, genauso wenig wie die Blicke der Beiden. Kai spürte sein Herz schlagen, dann hörte er sich selber mit unpassend abweisender Stimme sagen: "Ich fahre besser gleich wieder zurück. So kurz vor der Prüfung bin ich nicht... zu gebrauchen."

Auf die Frage nach Hunger schüttelte er nur den Kopf, dann nahm er dankbar die Unterhaltung mit seinem Vater auf, der ihn nach dem Sessel fragte. Seine Mutter warf verwundert ein, dass sie nicht gedacht hätte, dass Jörgilein einmal erwachsen würde und dann auch noch Hella Paroli bieten konnte. "Die Kraft und den Mut hätte ich ihm nie zugetraut."

Kais Vater erinnerte daran, dass diese Kraft und der Mut sicherlich nicht der eigene sondern der von Imke waren und Martina ergänzte lachend, dass Jörg ganz vielleicht auch einfach nur mehr Angst vor seiner schwangeren Frau als seiner Mutter hatte.

Kai saß ausdruckslos seinen Eltern gegenüber und nippte von einer Saftschorle. Er wünschte sich Cola in sein Glas, aber die war alle. Endlich hob er den Kopf und fragte etwas zu heiser und matt: "Was wolltet ihr besprechen?"

Kais Vater zögerte: "Es ist so. Wir hatten das Pflegeheim ja immer teuer bezahlt, das ist ein Posten, der jetzt weg fällt. Es ist mehr Geld über, Kai."

Misstrauisch blinzelte Kai und fragte dann leise: "Aber? Das klingt nach einem Aber."

"Wir möchten die Hypothek vom Haus schneller abbezahlen." Entschuldigend blinzelte seine Mutter ihn an: "Es ist also noch nicht ganz so viel Geld über. Hast du alles, was du brauchst? Arbeitest du zu viel? Wir erhöhen dir natürlich die Unterstützung, Kai."

Kai schüttelte den Kopf: "Nein. Ich hab genug gespart und arbeite gerade vor der Prüfung fast gar nicht. Fange im Herbst erst wieder an." Er überlegte kurz, von dem Deal mit den Cocktailkarten zu erzählen, aber die Geschichte kam ihm unpassend vor. Er dachte an das Ding, an das Geld, was so ein Ding kosten würde, holte Luft und sagte dann: "Jan und ich wollen gleich nach der Prüfung in einen Urlaub fahren. Zu einem Freund, der ein Haus in Spanien hat. Die Unterkunft wäre umsonst, aber ich weiß noch nicht, was der Flug kosten würde."

"Ja. Richtig. Dann bezahlen wir dir den Flug, Kaichen. Schick uns die Rechnung, in Ordnung?" Seine Mutter klang erleichtert, als ob sie sich freute, dass er tatsächlich etwas brauchte.

Überrascht hob Kai den Kopf. So hatte er das nicht gemeint. Er überlegte, dann lächelte er leicht: "Das wäre toll, dann hab ich etwas Geld von meinem Ersparten über...". Rasch hielt er sich auf, bevor er von Klamotten anfangen konnte. Die Sandalen von Jan tauchten vor seinem inneren Auge auf, vielleicht konnte er sich solche Teile kaufen. Dann dachte er umgehend an Jan und ihren Streit und fühlte sich müde und zerschlagen wie nie zuvor.

Er hatte Glück. Sie redeten nicht mehr viel. Es wurde noch ein wenig gerechnet, Norbert überlegte, sich endlich den neuen Wagen zuzulegen. Kais Mutter verschwand im Keller, dann in der Küche und klapperte mit Geschirr. Kai stemmte sich nach wenigen Minuten aus dem Sessel hoch und schwankte aufs Klo. Dann schleppte er sich noch einmal rasch in sein Zimmer hoch, um in seinen Kinderkleiderschrank zu sehen. War da nicht irgendwo noch eine Badehose gewesen? Seine Mutter verwendete den Schrank aber leider mittlerweile als Wäscheschrank und wusste auch nichts von einer Badehose. "Hol dir doch endlich mal eine Neue, Schatz." Sie drückte ihm zum Abschied einen Korb mit Einmachgläsern und Tupperdosen in die Hand. "Jörgi kann den Korb wieder mitnehmen, wenn er dir den Sessel bringt, Schatz. Komm, ich bring dich noch raus zum Wagen."

Am Auto wartete seine Mutter bis Kai den Korb unter dem Beifahrersitz verstaut hatte, dann küsste sie ihn auf die Wange: "Ruf kurz durch, wenn du daheim bist, Schatz. Egal wie spät, sonst sorge ich mich."

Ein Wuscheln durch seine Haare später saß Kai in Melanies Schrottkiste und eierte, leicht nach links ziehend, über regennasse Straßen nach Hause.

Die Fahrt nach Haus über hatte Kai sich mit eingeübten Reden wach gehalten. Reden an seine Eltern. Er versuchte sich vorzustellen, wie er ihnen vom Ari-Ding beichten konnte, ohne dass sie ausrasteten. Es brachte ihn gar zum Grinsen, als er sich vorstellte, wie die Meiersche es täte.

Der wäre, ganz fröhlich und ausgelassen, zu seiner Mutter, wenn es sich dabei um Kais Mutter handelte natürlich, gefahren, wäre aus dem Wagen gesprungen und hätte die Arme ausbreitend verkündet: "Muttern, du darfst nun stolz sein, ich habe das Unmögliche vollbracht! Ich, dein durch und durch authentisch schwuler Sohn, habe einen Sohn gezeugt! Komm sofort mit in den Garten, lass uns einen Baum pflanzen, damit ich die Rituale dann alle abgehakt habe."

Kai rieb sich die brennenden Augen. Oder Lolli. "Woher das Baby hier kommt? Ach Gottele, Mamileinchen, du weißt doch wie ich bin. Love is everywhere und ich mitten drin und so ist es mir irgendwie passiert, dass ich dem fremden und gefährlichen Geschlecht zu nah geraten bin. Mamilein, ich sage dir, es ist alles wahr, was wir in der geheimen schwulen Schule gelernt haben! Sie machen diese rosa sabbernden Dinger selber! Ich wusste schon immer, dass mit dem Storch was faul war. Aber ist das Baby am Arm nicht die neue Gucci? Ich meine ja, das wird ein Stylewunder! Ich zeig dir grade mal die neuen Minikleider, die ich hergestellt habe. Und wandelbar ist es auch, es wird ja heranwachsen, ach schau dir diese herzallerliebsten..."

Lukas? Was würde der wohl sagen? Oh ja! Kai grinste. Er würde zu seinem Bruder gehen. "Peter, du Bauer! Ich brauch mal euer altes Gitterbett und den Kinderwagen. Habt ihr noch nicht verkauft, oder? Ich hab mir dann doch den eigenen Stammhalter gebaut. Sag du das den Alten, ich hab noch zu tun."

Und Jan? Kai parkte vorsichtig ihrem Haus gegenüber in die alte Lücke von Melanie und lehnte die Stirn an das Lenkrad. Jan. Der Gedanke an den Streit, an den Verrat und Betrug schwächte ihn. Er biss sich auf die Lippen und lehnte den Kopf in den Nacken, in ihrer Wohnung brannte kein Licht, vermutlich mal wieder niemand da. Aber der Hausflur war hell erleuchtet. Jan war sicherlich irgendwo noch am Party machen, bestimmt kam gerade Leon nach Hause oder so.

Kai blinzelte auf die Uhr, noch nicht einmal Mitternacht. Er fühlte sich derart zerschlagen, dass er sich fragte, wie er die Treppen schaffen sollte. Vor allem mit dem vollen Korb von seiner Mutter, der dank all der Einmachgläser sicherlich eine halbe Tonne wog. Im Hausflur erloschen die Lichter wieder und Kai fühlte sich, als wollte das Haus ihn ebenfalls abweisen.

Als Kai gerade so im Wagen von Melanie hockte und sein Schicksal debattierte, fiel ihm der rote Bulli von Lukas vor ihrer Tür auf. Es war Schicksal, pures Glück oder aber einfach nur Timing. Kai war es egal. Der Anblick und seine aufkeimende Neugierde gaben ihm die notwendige Kraft, den Wagen zu verlassen. Er kletterte aus Melanies Fahrersitz und schob die quietschende Tür mit Nachdruck zu, dann bemerkte er zu seiner Pein, dass das Fenster auf der Beifahrerseite noch runtergelassen war. Ächzend wankte er um das Auto herum, quietschte die Tür auf und kurbelte leise fluchend das Fenster rauf. War auch gut so, die Beifahrertür war noch unverschlossen gewesen. Unter Umständen ließ Melanie sie immer einfach offen. Aber Kai wollte nicht riskieren, dass jemand den Wagen als Schlafplatz oder dergleichen verwendete.

Er ging gerade auf den roten Bulli zu, als im Hausflur überall das Licht aufleuchtete, gleich darauf kam Lukas auch schon aus der Tür und trat auf seinen Wagen zu, um Lollis Sachen darin zu verstauen.

Zögerlich blickte Kai von der Wohnung zu Lukas' Hintern, der noch aus der Tür des Wagens heraus schaute. Der Anblick der festen Muskeln, die sich deutlich gegen den dünnen Stoff von Lukas' Shorts ausmachen ließen, erinnerte Kai daran, dass er den eigenen Hintern in der letzten Zeit nur zum Draufhocken verwendet hatte. Missmutig drehte er sich hin und her, um sich zu betrachten, fand sich zu unförmig und unsexy und dachte gerade bei sich, dass Jan ihm vermutlich deswegen nie im Bett auflauerte und stattdessen zu der scheiß Melanie gewechselt war, als die Kofferraumklappe mit leisem Knall geschlossen wurde.

"Hey, da bis tdu ja!" Lukas schien es nicht zu wundern, dass Kai mitten in der Nacht erst nach Hause kam.

Kai blickte auf die Turmuhr der Kirche und machte aus, dass es knapp auf die Mitternacht zugehen musste. Eigentlich noch zivil. Seine eigene Erschöpfung ließ ihn sich fühlen, als sei es weitaus später. Genervt stellte der den schweren Korb vor seine Füße.

Lukas ging forsch und energiegeladen auf Kai zu: "Na?". Sein Ton war spöttisch und ein wenig neugierig, aber der Blick besorgt.

Kai schob die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick: "Selber".

Mit einer Hand umfing Lukas gleich darauf seinen Nacken und zog ihn zu sich heran. Kai gab der Wärme und seinem Wunsch nach einer Pause und Ruhe sofort nach und taumelte gegen seinen Exfreund. Lukas roch fantastisch, war angenehm warm und fühlte sich sicher an. Seine Finger strichen genau richtig an Kais verspannter Nacken- und Schultermuskulatur herab.

Lukas küsste ihn einmal auf die Wange, dann sah er ihn von der Seite her an: "Was ist passiert? Du bist ja mehr tot als lebend, Engelchen."

"Meine Oma ist gestorben, ich musste trotz Sturm nach Hause." Er rieb sich die brennenden Augen. "Vorher hab ich mich mit Jan gestritten, es war...". Er stockte und blinzelte: "… unerwartet. Irgendwie war es total überflüssig. Ich hab die Vitrine von seiner Oma mit einem Buch kaputt gemacht."

"Hm. Womit auch sonst?" Lukas steckte sich eine Zigarette an und ließ sich in der offenen Seite des Bullis nieder: "Aber das erklärt es."

Kai ließ sich neben ihn fallen. Das Innere war mit Matratzen ausgelegt, wie damals als sie sich kennen gelernt hatten. Erschaudernd schob Kai die nicht so schönen Erinnerungen an diesen Wagen von sich und verschränkte die Arme. "Was erklärt das?"

Lukas zog einmal an der Zigarette und grinste. "Wirste schon sehen."

Kai grübelte nicht nach, dazu war er zu müde. Er sah Lukas schweigend beim Rauchen zu. Der Mann sah sogar geil aus, wenn er sich gesundheitsruinierend benahm. Der Rauch wehte zum Glück von ihm fort, so dass er Lukas ungestört ansehen konnte, als er endlich fragte "Was tust du hier?"

"Lolli abholen natürlich. Er kommt gleich runter."

"Du weißt das von Jiffi schon?"

"Hm."Lukas zog an der Zigarette und drehte sie in den Fingern. "Die Meiersche hat mich angerufen. Er hat ein langes Wochenende und fährt morgen mit Lolli nach London, um ihm beim Umzug in das neue Zimmer zu helfen."

"Neues Zimmer?"

"Irgendwelche Freunde von Freunden hatten noch ein Kämmerchen über, das muss erst einmal reichen. Lolli kann es sich nicht leisten, nicht einfach weiter zu machen. Er will den Job nicht verlieren."

Kai legte den Kopf in den Nacken, dann flüsterte er: "Ich will auch nicht nach Hause."

Lukas betrachtete ihn milde amüsiert: "So schlimm?".

"Schlimmer." Kai dachte an die Nachrichten zwischen Jan und Melanie und fröstelte.

"Na, dann kommst du eben auch mit. Wauwau wird dich schon aufspüren."

Lolli erschien in der Haustür und winkte.

Lukas erhob sich und gähnte: "Soll ich deine Tasche hinten mit reinwerfen?"

Doch Lolli brach sofort in ein pausenloses, atemloses Sabbeln und Lamentieren aus, so dass Kai abwehrend eine Hand hob. "Nee, danke. Du, ich muss einfach..., ich muss morgen weitermachen, beim Lernen aufholen, irgendwie..." Er seufzte. "Irgendwie muss ich es nur noch in die Wohnung schaffen." Stöhnend wies er auf den vollen Korb seiner Mutter. "Habt ihr Bock auf Essen in Tupperdosen? Ich kann das jetzt nicht mehr schleppen."

"Au geili!." Lolli klatschte in die Hände: "Her mit dem Kram! Hab ich einen Hunger, das macht der Liebeskummer immer mit mir. Wie soll ich da nur meine schlanke Linie bewahren, wenn du mir solch unsittliche Angebote machst, Kaichen! Oh...". Er entzifferte die Klebeschildchen. "Oho, eingemachte Kirschen! Erdbeermarmelade mit Rhabarber, mjam und was ist das hier?"

Lukas verdrehte die Augen und Kai wandte sich von den beiden ab. "Ich brauch die leeren Dosen und den Korb bis zum nächsten Wochenende zurück, wenn das geht, dann geb ich alles meinem Cousin mit."

"Familienbesuch?" Lukas' Stimme lauerte ein wenig, brachte Kai sogleich in die Defensive.

"Erbe, ich krieg einen Sessel von meiner Oma. Jörgi bringt den vorbei."

Lolli erschreckte ihn im nächsten Augenblick. Lange, pink betuchte Arme umschlangen ihn und er wurde ertaubend auf das linke Ohr geknutscht. "Mach Bilder, Schatz, dann plane ich, wie das Teil dann auch erträglich zu machen ist. Ja? Du, gute Maus, ich muss jetzt den armen Lukas nicht mehr warten lassen, aber wir telefonieren die Tage, ist das in Ordnung?"

"Natürlich." Kai machte sich frei, nickte Lukas einmal zu und schleppte sich in Richtung Haus. Im Gehen auf der Treppe rief er seine Eltern an, die erleichtert kurz von irgendwelchen umgestürzten Bäumen bei Gartennachbarn berichteten. Irgendwie schaffte er es bis vor die Tür und in den Flur hinein.

171

Die Wohnung lag dunkel da und roch nach Regen, nach all den Putzmitteln, die Kai so manisch über den Tag verwendet hatte und nach Lollis durchdringendem Deo. Kai folgte dem Deogeruch in das Bad und zog sich auf dem Weg aus. Beim Klo angekommen war er nackt und sah, dass er seine Schlafshorts und das T-Shirt am Morgen auch in die Wäsche in den Keller gebracht haben musste. Er seufzte sich durch das Pinkeln und Zähneputzen. Wegen des Putzmuskelkaters und seiner Müdigkeit kürzte er letzteres bedeutend ab. Allein die Arme anzuheben, fiel ihm mit einem Mal schwer. Nackt, wie er war, tappte er durch den Flur in Richtung seines Zimmers.

An der Wohnzimmertür angekommen sah er, dass die Balkontüren weit offen standen. Frische, feucht-kühle Luft umstrich ihn, ließ ihn erschaudern. "Lolli, du blöder...". Kai gähnte und ging zur Tür, um die Mücken auszusperren. Rhythmisches Tropfen auf der Terrasse wurde untermalt von dem entfernten Summen und Rauschen der nächtlichen Stadt. Wind ließ die Bäume im Wald gegenüber hin und wieder leise rascheln. Die Stimmung war erstaunlich friedlich nach dem Sturm, der sich auf der Terrasse noch deutlich mit abgerissenen Zweigen und Blättern vom Wald niederschlug. Kai lehnte sich in der Tür an und seufzte. Es tat gut, die Ruhe mit der frischen Luft einzuatmen. Der Himmel war aufgeklart, die Sterne zeigten sich über dem Wald und ein gestochen klarer, gelber Mond leuchtete durch die Baumwipfel.

Eine Hand auf seiner Schulter erschreckte ihn, so dass sein Herz einen Moment lang unangenehm stolpernd schneller schlug. Jans raue Stimme ließ einen Schauer durch ihn hindurch rieseln. Zuerst Erleichterung, dass es 'nur' Jan war und kein Meuchelmörder, dann Erschöpfung, weil er vor dem sicher unvermeidlichen Streiten jetzt nicht schlafen durfte. Jans Stimme klang besorgt, als hätte er Kai vermisst. "Wo warst du?"

Kai schloss die Augen und verschränkte die Arme, zog seine Schultern an, wich einen kleinen Schritt aus. Die Hand von Jan war angenehm warm und sicher und so wollte er sich gar nicht fühlen. "Und selbst?!"

Jan verstand ihn, immer schon, auch jetzt. Er wich etwas zurück, gab Kai Raum, engte ihn nicht noch ein. "Mein Handy lag hier noch rum. Tut mir leid, dass ich das vergessen hab. Thilo hatte einen Nervenzusammenbruch. Wir haben bis vor einer halben Stunde gelernt, und ich musste ihn davon abhalten, sich eine Überdosis Betablocker reinzuhauen."

Kai hörte die Sorge, trotz des lockeren Tonfalls, deutlich heraus. Das erklärte, warum Jan nicht gemerkt hatte, dass er sein Handy hatte liegen lassen. Die warmen Finger strichen erneut über seine Schulter und den Oberarm. Es fühlte sich nach derselben Sehnsucht an, die auch Kai fühlte... und nicht fühlen wollte in diesem Moment. Er rieb sich einmal über das Gesicht, seine Stimme klang hohl und leblos, als er konterte; "Melanie war hier. War wütend, weil du Zweigleisig gefahren bist. "Kai machte sich von Jans Hand frei, die sich so wohltuend auf seiner kühlen Haut angefühlt hatte. Wie Heilung von allem Stress, allem Unglück, zugleich aber vollkommen falsch, weil der Betrug zwischen ihnen stand.

Jan tat in solchen Unterredungen nie, was Kai von ihm wollte, auch jetzt nicht. Während Kai sich daran machte, die Balkontür zu schließen, um rasch in sein Zimmer entkommen zu können, begann Jan zu kichern: "Hat sie? Ehrlich?" Seine Schultern bebten, dann lachte er richtig: "Scheiße... ich hab Angst!"

Kai blinzelte, zu verwirrt, um noch wütend zu sein: "Was?"

"Na, wenn die jetzt schon hier her kommt, um auf mich sauer zu sein... oh Mann! "Jan feixte Kai an: "Tut mir leid, aber du steckst ja zum Glück nicht mit drin."

Und in dem Moment entdeckte Kais Körper eine Energiereserve, bislang unangetastet, aber hervorragend für einen Anfall geeignet. "Ich steck nicht drin?! Wenn du mit einer Tussi rummachst, steck ich nicht drin?! Spinnst du total?!" Er holte Luft: "Die kommt hier an und sagt mir das. Mir! Und du bist nicht da und ich... will jetzt nicht, ich kann jetzt nicht mehr!" Er wollte weg, aber Jans Hand hielt ihn auf. Die warmen Finger glitten Kais Taille entlang und er verharrte erschaudernd.

"Kai, was soll das? Ich mach nicht rum mit ihr. Ehrlich nicht."

"Jan. Ich hab die SMS gesehen, okay? Ich weiß Bescheid."

"Wie bitte? Worüber denn? Ich mach mit niemandem rum, außer dir..., mit dir in letzter Zeit auch nicht mehr genug. Hab schon Notstand."

"Und worum ging das der scheiß Melanie dann?!"Und warum lachte Jan so? Verwirrt und beleidigt versuchte Kai seinem Freund zu entkommen.

Jan zog ihn mit einem kräftigen Arm dichter. "Tut mir leid. Ich hätte früher was sagen sollen, du warst nur so pissig und so. Sollte eine Überraschung werden. "Jan seufzte. Es klang müde mit einem Mal: "Eine nette Überraschung. Ich wollte bis nach der Prüfung warten, bis du entspannter bist."

"Womit warten?"

"Mit meinem Geschenk für dich. Ich hab den Urlaub klar gemacht. Zehn Tage Spanien. Ist mit Lukas alles abgesprochen." Jan streckte sich. "Der Flug, ein Mietwagen, und ich hab sogar schon eine neue Badehose für dich gekauft. Hm... eine knappe." Die warme Hand verließ Kais Schultern und strich über seinen Rücken hinunter auf seinen Hintern.

Kai zuckte zusammen, er wich der Hand aus. "Und?! Was hat das mit der..."

"Genau in der Woche, in der ich eigentlich mit Melanie auf einem Jugendsportkurs sein sollte, sie für die Mädchen, ich für die Jungs, bin ich jetzt mit dir am Strand. Mit dir und deinem süßen, kleinen..." Jans Hand mogelte sich wieder über Kais Rücken auf seinen Hintern hinunter. Er lehnte sich dichter und küsste Kais Hals. Leise flüsterte er: "Wollte das noch mit ihr klären, aber Thilo war...". Jans Zunge strich über Kais Hals hinauf zum Ohr, eine Gänsehaut überzog ihn im nächsten Augenblick. "… war mir wichtiger. Hey... Baby. Ich bin treu, habe ich dir gesagt." Jan zog ihn herum, in der dunklen Wohnung wirkten seine Augen fast schwarz. "Wenn ich was mit einer Frau will, dann sag ich dir das vorher, okay? Einverstanden?" Seine Finger strichen unter Kais Hintern entlang zwischen seine Beine und trotz der Müdigkeit reagierte sein Körper.

"Jan, ich bin so erschöpft, dass ich gleich tot umfalle", beklagte er sich im nächsten Moment.

Ein leises Lachen, dann biss Jan ihn in die Schulter: "Dann musst du wohl ganz dringend ins Bett."

Kai schaffte es bis zum Bett und lag gerade darauf, als ihm wieder einfiel, dass er noch keinen Schlafanzug hatte. Aber ein schwacher Protest wurde von Jan niedergemacht. "Ich will dich bei mir haben. Nackt. Morgen früh bist du fällig, Kai."

"Morgen spät, bitte", schaffte Kai noch zu murmeln, dann schlief er ein, während Jans Finger sich noch über seinen Rücken und durch seine Haare bewegten.

Kai erwachte von Jans leiser Stimme. Im Hintergrund räumte Jan frische Wäsche in seinen Schrank ein und lachte am Telefon. "In Ordnung, das ist ein guter Plan. Das machen wir so. Hm. Ja... Nee, ich kann jetzt nicht. "Etwas raschelte und Jans Stimme wurde lauter. "Nein, aber ich muss mich dringend mal um meinen Freund kümmern, der wirkt ein wenig vernachlässigt. Bis dann." Die Matratze bewegte sich, dann schob sich Jans Hand rücksichtslos vereinnahmend über Kais Hintern.

Kai quiekte im nächsten Moment, als er fies gekniffen wurde. Doch Jans Finger strichen weiter, zwischen seinen Beinen durch, um die empfindliche Haut an den Oberschenkeln und den Hoden zu necken.

Eine Gänsehaut überzog Kai und er ächzte leise. Leider musste er aufs Klo und fühlte sich vom Putzmuskelkater vollkommen zerschlagen. Er rollte sich stöhnend aus dem Bett und murrte: "Muss mal.", bevor er die Flucht ergriff. Natürlich wusste er, dass er seinem Freund nicht würde entkommen können. Wollte er auch nicht. Weite Teile seines Körpers hatten von dem kurzen Hautkontakt bereits eine Freudenfeier veranstaltet und eine kräftige Runde Sex war unter Umständen das beste Erholungstraining gegen den Muskelkater.

Dennoch gab Kai sich nach Bad samt Zähne schrubben erst einmal leicht grummelig. "Mir tut alles weh."

Jan grinste ihn an, während er sich die Shorts vom schon deutlich erregten Körper pellte. "Jaha, vom Putzen, was? So sauber war das hier noch nie, Baby. Liebeskummer bekommt unserer Wohnung, vielleicht sollte ich Melanie gelegentlich wieder bitten, mir zweideutige Nachrichten zu schreiben." Er hechtete sich über Kai auf das Bett und knutschte ihn erst unsanft, ungeduldig, dann nach und nach ruhiger. Er strich mit der Zungenspitze über Kais Lippen, ein Kribbeln begann genau dort und durchzog rasch seinen Körper.

Kai spürte, dass er Jans Tempo kaum noch drosseln konnte. Seufzend öffnete er den Mund und ließ seinen Freund ein. Ihre Zungen berührten sich einmal sachte, dann drang Jan in seinen Mund ein und Kai wusste genau, dass seinem Putzmuskelkater unter Umständen gleich noch andere Unannehmlichkeiten zur Seite stehen würden.

Er irrte nicht. Jans Finger der einen Hand umfingen seine Erektion fest und ungeduldig, ein Knie schob seine Beine auseinander und am Geraschel neben seinem Kopf konnte Kai hören, dass Jan nach Gel und Kondomen suchte. Gleich nachdem Jan beides hatte, küsste er Kai noch ein letztes Mal tief und einnehmend auf den Mund, dann ließ er die Lippen über seinen Hals, die Brust und den Bauch hinab streichen, um es ihm schnell und harsch mit dem Mund zu machen.

Kai kam stöhnend und fühlte sich überfahren und ausgenutzt. "Jan! Mach mal langsamer!", beschwerte er sich gerade, als Jan ihn nachlässig abwischte, um ihn einmal auf die Hüfte zu küssen und ihm dort einen schönen Knutschfleck mit kleinem Zahnrelief zu verpassen.

Jan stützte sich grinsend auf Kais Hüften auf und hob den Blick. Die goldenen Funken in seinen Augen flimmerten frech, dann sagte er: "Hab ich doch vor. Gleich. Komm schon, Baby, wir haben uns doch mal eine Runde richtigen Sex verdient, oder nicht?"

"Mit richtig meinst du doch hoffentlich nicht, dass du mich ficken willst!" Giftig umfing Kai die Finger seines Freundes, die bereits wieder mit einer Brustwarze zu spielen begonnen hatten. "Das..."

"Keine Sorge, mein zickiger, kleiner Schatz. Ich will dich, aber ich weiß auch, was du willst. Wir werden gleich beide kriegen, was wir wollen, versprochen." Er lachte und wehrte Kais Finger ab, mit denen er das 'zickig' ahnden wollte. "Die Tüte ist für dich, aber ich will nach oben. Deal?"

Der einfache Satz brachte eine Welle heißes Verlangen, die Kai sofort durchzog. Jan so sehen zu können, ihn spüren zu dürfen, war jeden Muskelkater wert, sofort. Seine Zähne gruben sich in die Unterlippe, als Jans Finger seine Brust erneut neckend zu streicheln begannen. Rasch nickte er und sah seinem Freund in die Augen. "Bist du sicher? Ist das echt okay?" Es war schon unfair, das wusste Kai. Jan wollte ihn, das wusste er auch. Aber genauso sicher wusste er, dass es ganz und gar nicht das war, was er jetzt brauchen konnte. Noch mehr Schmerzen, nein danke.

Jan lachte auf. "Kai! Das ist Sex! Davon können wir reichlich haben. Mir doch egal, ob das jetzt supergeil wird oder doch nicht so doll. Wir haben doch total viel Zeit, um alles zu versuchen, und es gibt hier keine Punkte oder Noten. Endlich mal was, was einem nur Spaß bringen muss. Geil, oder?"

Da musste Kai ihm wohl oder übel Recht geben: "Ja. Ziemlich geil." Sie grinsten einander an, dann umfing Jan bereits erneut seinen Penis, aber Kai hielt ihn auf. "Nicht so schnell, erst einmal bist du dran, okay?" Er schob an Jans kräftigen Schultern. "Du kannst gleich wieder nach oben."

Und Kai ließ sich, ebenso wie sein Freund eben, keine Zeit. Er machte es ihm rasch mit dem Mund und den Fingern, noch während Jan kurz davor war, drang Kai mit zwei Fingern und reichlich Gel in ihn ein, bereitete ihn fast ein wenig harsch und unromantisch für sich vor, viel brauchte es eigentlich nicht mehr. Erst dann ließ er zu, dass Jan den Höhepunkt erreichte. Kai blieb in ihm, mochte das Gefühl der Muskeln, die ihn zuließen, mochte es, wie Jan sich öffnete und ihn genoss.

Allmählich beruhigte Jans Atmung sich und er grinste zu Kai hoch: "Holla, das Putzen hat dir gut getan, Baby. Du bist ja scharf heute."

Kai nickte schweigend und entzog sich, um das Kondom über zu streifen. Jan so zu sehen, hatte ihn bereits wieder hart werden lassen. Er nahm sich mehr von dem Gel, dann sah er Jan zögerlich an. "Und?"

Jan nickte leicht: "Bin noch lange nicht soweit wie du, aber wir können ruhig loslegen. Das war gut eben, Kai. Geiles Vorspiel." Er kam auf die Knie hoch und schob an Kais Schultern, um ihn zum Hinlegen zu bringen. Kai legte sich hin, zupfte das Kondom zurecht und hasste den Geruch daran. Im nächsten Moment erinnerte er sich an Jiffi und dessen positiven Zustand. Rasch blickte er noch einmal an seinem Körper entlang, aber alles war wie es sein sollte. Jan kniete über ihm und nahm sich noch mehr von dem Gel, aber gab es auf Kais Finger, bevor er sich zu ihm beugte und ihn auf den Hals küsste.

"Das war geil eben, Baby. Mach das nochmal", flüsterte er ihm zu.

Kai erschauderte und gehorchte. Der Winkel war Mist, er konnte Jan kaum etwas Gutes tun, aber massierte dennoch mit einer Hand den knackigen Po, während er die Fingerkuppen in ihn schob. Es war mehr ein Necken, aber schien seinem Freund zu gefallen. Jans Lippen und Zähne strichen über seinen Hals auf seine Schulter und Jans Atmung vertiefte sich nach einer Weile, endlich kehrten seine Lippen zu Kais Mund zurück und während sie sich tief küssten, ließ Jan sich auf ihm nieder.

Sie unterbrachen beide den Kuss und seufzten gleichzeitig auf, dann mussten sie über ihre Reaktion zueinander lachen. Kai umfing Jans Penis, während er sich zurecht ruckelte, und massierte ihn locker streichelnd. Sie hatten ja eigentlich Zeit, aber die nahm Jan sich natürlich nicht. Er beugte sich leicht vor, küsste Kais Mund, seine Wange entlang, seinen Hals, dann begann er sich zu bewegen, hektisch und harsch. Kai versuchte ihn ein wenig zu bremsen, aber es war kaum möglich und wenig später ertappte Kai sich dabei, wie er Jan mit seiner eigenen Ungeduld zu begegnen begann.

Jan kam diese Runde zuerst und fiel schlapp auf ihn, drückte ihm die Luft ab und störte genau, als Kai ganz und gar keine Pause einlegen wollte. Dann rollte sich sein Freund auch noch zur Seite und zwang ihn, selber weiter zu machen. In einem eher ungünstigen, anstrengenden Winkel.

Als Rache ließ Kai sich nun die von Jan ursprünglich versprochene Zeit und bewegte sich für eine ganze Weile in monotonem, viel zu langsamem Rhythmus, ohne für sich oder Jan etwas Gutes zu tun. Er genoss das Zusammensein, aber so richtig heiß war die Aktion nicht. Es hielt seine Erektion aufrecht, der Winkel war aber derart blöd, dass er gar nicht vernünftig eindringen konnte. Es war beinahe langweilig auf diese Art.

Endlich machte Jan einen Spruch über ‚scheiß Tantra, so ein scheiß, das ist ja kaum auszuhalten!‘ Er rollte knurrig weiter herum auf den Bauch und ließ zu, dass Kai sich zwischen seine Beine drängte. Mit jetzt besseren Voraussetzungen auch über seinen Muskelkater hinweg, begann er endlich etwas mehr für sich und auch Jan zu tun. Mit einem fröhlichen: "Jetzt gibs mir aber richtig, Baby, nach der Luschennummer eben brauch ich mal etwas mehr...", feuerte Jan ihn auch noch an. Ein wenig atemlos, aber ein Lachen schwang in der Stimme mit, so dass Kai es ihm zur Strafe tatsächlich tüchtig zu geben begann, nur um dieses dumme Grinsen mal aus Jans Gesicht zu wischen. Es gelang. Was Jan noch hätte sagen wollen ging in einem Aufstöhnen unter, dem sich recht rasch atemloses Keuchen hinzugesellte.

Als Kai gekommen war, hatte Jan sein Orgasmuskonto ausreichend gefüllt und Kai hatte, beinahe sofort, einen noch viel schlimmeren Muskelkater als zuvor. Einen Moment lang zitterten seine Beine und er musste warten, bevor er aufstehen konnte. Allein der Weg zum Bad und in die Dusche ließ ihn aufstöhnen, und es war dann ausnahmsweise nichts lustvolles mehr heraus zu hören.

Jan wirkte einmal mehr wie die zufriedene Grinsekatze, zu der er so gern nach dem Sex wurde. Er zog Kai zu sich unter die Dusche und massierte ihn wohltuend mit wärmendem Sportduschgel. "Na, Baby, hast du mir das wieder besorgen wollen, dass ich nicht mehr laufen kann, was? Das Vorhaben haut nicht hin, das war geil und wird nachher wiederholt, auch wenn anscheinend du jetzt nicht mehr laufen kannst." Er wuschelte sich das Wasser aus den Haaren und knutschte Kai unter der Dusche eine ganze Weile, bis Kai sich abwandte, weil es ihm zu viel Nähe wurde.

Da Kai alles weitere leise ächzend über sich ergehen ließ, wusch Jan ihm sogar noch die Haare, bevor er aus der Dusche trat. Kai arbeitete noch die Spülung für Locken in die Spitzen, dann lehnte er einen Moment lang seufzend unter dem heißen Wasserstrahl, bevor er zu Jan vor den Spiegel trat.

Jan rasierte sich leise summend und Kai tat es ihm nach. Seine Bewegungen sahen so mühsam aus, wie sie es auch waren und das nervte ihn. Selbst das Eincremen nahm zu viel Kraft in Anspruch. Aber er fühlte sich wohl wie lange nicht. Sie schwiegen, waren sich wieder komplett einig, waren sich nah und Kai konnte gar nicht mehr verstehen, wie er seinem Freund hatte misstrauen können. Jan war im Bad natürlich zuerst fertig, weil Kai noch mit dem Fön über die Haare herfallen musste. Er begrüßte Kai mit einem Milchkaffee und den Worten: "Ich hab Croissants geholt, Toast ist verschimmelt. Die eine Milch ist auch hinüber, muss wegen des Gewitters passiert sein. Wir fahren gleich mal einkaufen."

Kai nickte und sah sich zufrieden in der abartig sauberen Wohnung um. Die Polster und Windlichter waren schon wieder auf der Terrasse, aber sie ließen sich am Esstisch drinnen nieder. Kai lehnte sich kurz gegen Jans Schulter und seufzte: "War das ein scheiß anstrengender Tag gestern."

Jan nippte von seinem Tee, mit der freien Hand fuhr er Kai leicht kraulend durch die noch etwas feuchten Locken. "Tut mir leid, Baby, dass ich so ausgerastet bin. Wir sind wohl beide nicht so stressfest wie gedacht, was?"

Erschrocken erinnerte Kai sich an die kaputte Vitrine, die den Streit begonnen hatte, aber als er sich danach umblickte, vernahm er Jans Stimme bereits: "Lolli hat die Scheibe schon wieder eingekittet. Er meinte, dass die anderen vermutlich auch bald rausfallen werden. Ich hab deswegen beschlossen, dass die Vitrine eh nur für Lollis Alkohol war und hab sie ihm geschenkt. Er holt sie ab, wenn er in ein paar Wochen seine letzten Kisten rüber bringen will."

"Oh." Kai betrachtete die Wand, dann meinte er: "Dann wäre da ja Platz für den Sessel, oder?"

"Sessel?"

"Oh, das hab ich vergessen. Meine Oma ist gestorben, da war ich gestern. Zur Aufbahrung. Sie hat mir den Sessel vererbt und Jörg bringt ihn am Wochenende her."

Der Griff um seine Schultern wurde fester, als Jan ihn gegen sich zog. "Das tut mir so leid! Warum hast du nix... ach, Kai. Wann ist denn die Beerdigung?"

Kai hob die Schultern, schob Jan unwillig weg, weil er kein Mitleid brauchen konnte. Er wusste, dass er traurig war. Seine Oma fehlte ihm auf eine bizarre, nicht wirklich erscheinende Art. Aber er wollte kein Mitleid, er wollte keine Trauer, er wollte einfach nicht dran denken müssen. Er nippte noch einmal von seinem Kaffee und erklärte eine Spur zu unbeteiligt und kühl: "Die haben wohl Stau bei dem Ofen für das Einäschern, jedenfalls wird die Beerdigung erst in einigen Wochen sein, der Termin liegt noch nicht fest."

"Das ist sehr merkwürdig, oder?" Jans Augen waren dunkler als sonst. Sicherlich dachte er an Hanna, an seine Trauer über ihren Tod. Die Gefühle waren so offen und ehrlich gewesen. Kai fühlte sich neben ihm wie ein Betrüger, ein Lügner. Jans Stimme war weich und etwas heiser: "Bist du traurig?"

"Hm. Etwas. Aber gestern war der Abschied. Vielleicht fahr ich zum Versenken der Urne dann gar nicht mehr hin."

"Doch. Natürlich, Kai!" Jans Kinn wurde eckig und Kai seufzte. Es würde anstrengend werden, in zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier...: "Kai, du musst nach der Prüfung zu deinen Eltern und ihnen vom Ding, von Leeve, erzählen!"

Kais Finger gruben sich in sein T-Shirt: "Ja." Er klang genauso kleinkind-knatschig, wie er sich fühlte.

"Kai!"

"Ja! Ich weiß! Okay? Ich fühl mich schon total schlecht. Gestern Abend haben wir geredet, ob ich etwas mehr Geld will, weil die Pflegekosten wegfallen. Ich hab gesagt, dass ich klar komme. Tue ich ja auch. Aber... mit Ding vielleicht nicht mehr, oder?! Ding braucht scheißviele Sachen, nicht wahr?"

"Darum geht es jetzt noch gar nicht. Es geht darum, dass deine Eltern Großeltern sein können. Gib ihnen die Zeit, das anzunehmen, Kai! Die werden sich total betrogen fühlen."

Die Türklingel rettete Kai vor weiteren Problemen. Jan stand auf, um zu öffnen und blieb im Flur. Kai linste auf die Uhr. Gut Elf Uhr durch. Hm. Lolli sollte doch weit weg sein. Das Bambi in der Schule, Lerngruppe war erst morgen wieder, Thilo schlief sicherlich noch seinen Betablocker-Rausch aus und Tini war mit Holgi-Baby eine Wohnung ansehen.

Das wusste Kai, weil sie ihn per Nachrichten, fünf insgesamt, zwei mit Bildern, eingeladen hatte, dorthin zu kommen. Er hatte alle Nachrichten sofort und nach kurzem Überfliegen gelöscht. Er würde oft genug noch in ihrer neuen Wohnung sein. Sehr wahrscheinlich schon beim Renovieren oder dergleichen.

Stimmen murmelten im Flur, gleich darauf kam Jan zurück ins Wohnzimmer, gefolgt von Leon.

Kai setzte sich etwas mehr gerade hin, als der Mann mit sicherem Lächeln auf ihn zu trat: "Kai." Sie reichten einander die Hand, Leons Blick glitt prüfend über sein Gesicht und Kai blinzelte seinen Chef misstrauisch an: "Ich hab frei bis zur Prüfung und ich..."

Leon hielt eine schlanke Hand hoch und brachte ihn zum Schweigen: "Ich bin hier, um mit Jan zu reden." Im nächsten Moment wurde Kai bewusst, dass Leon ein ziemlich scharfes T-Shirt trug. Ein sicherlich Teures, das ihm ausgezeichnet stand, eng anlag und zeigte, wie fit er war. Unsicher blickte er erst weg, dann noch einmal hin. Dann bot er Leon einen Kaffee an, der abgelehnt wurde. Gesundheitstrip also noch nicht zu Ende. Misstrauisch blickte Kai zwischen Jan und Leon hin und her. Dann erinnerte er sich an die Geldangelegenheiten. Mit leisem Stöhnen stand er auf und streckte seine Muskeln aus, dann meinte er, lockerer als er sich fühlte: "Ich geh lernen."

Er lernte nicht, sondern starrte aus dem Fenster. Dann ordnete er seine Probeklausuren neu und starrte wieder aus dem Fenster, bis Jan zu ihm kam und ihn zum Einkaufen abführte. Sie fuhren in den großen, stressigen Supermarkt im Gewerbegebiet, weil es dort Jans Lieblingsbier im Angebot gab.

Kai kaufte vor Prüfungsstress lauter Müll, den er sonst nie ausgewählt hätte. Aber der auslaufende Sommer bot auch Strandklamotten im Angebot, als sie nach dem Einkaufen im Supermarkt noch zum Sportladen nebenan fuhren. Da Kais Eltern den Flug bezahlen würden, holte Kai sich tatsächlich spontan die Sandalen, nach denen er sich verzehrt hatte. Zum halben Preis, was ihn sehr froh stimmte. Außerdem eine neue Shorts, die gut saß, obwohl er echt abgenommen hatte.

Jan kaufte irgendwelche überteuerten Strümpfe und neue Fußballschuhe, sie trafen sich erst an der Kasse wieder. Es war noch keine zwölf Uhr, aber Kai fühlte sich dennoch vollkommen zerschlagen, als sie zum Wagen zurück schlenderten. "Gott sei Dank muss ich heute nur eine Wiederholungsklausur kreuzen", meinte Kai endlich träge und blickte aus dem Wagenfenster. "Wo fahren wir eigentlich schon wieder hin?" Und das war der Moment, in dem Jan fies grinste, bevor er nach kurzer Fahrt schon wieder abbog.

Fassungslos blinzelte Kai den Sexshop an, vor dem Jan den Wagen auf einem Schattenplatz abstellte. Kein kleines, irgendwo zwischen gequetschtes Dingelchen. Nein. Das war ein großer Laden, angeschlossen an eine Videothek auf der einen und, witziger Weise, einen Laden für Babysachen auf der anderen Seite. Mit riesenhafter Leuchtreklame und großen Schaufenstern voller Unterwäsche und Dildos.

"Jan?"

"Kondome im Angebot." Jan sprang energiegeladen aus dem Auto, dann grinste er gemein. "Kommst du mit, oder gehst du derweilen nach nebenan zum Babykram?"

Sekunden später grummelte Kai einen Fluch nach dem nächsten während er Jan in den Sexshop folgte.

172

Der Sexshop war kein kleiner, düsterer Laden. Weite Regale zogen sich durch eine geräumige Halle mit frischem Anstrich und teurem Fußboden. Ordentlich waren die Abteilungen für Unterwäsche, Filme, Bücher und Hefte, Duftkerzen, Öle, Vibratoren, Dildos und Intimschmuck voneinander getrennt. Eine Abteilung mit Peitschen, Handschellen und dergleichen fand sich gleich neben dem Eingang, mit Rücken zu den großen Schaufenstern. Dort stand ein älteres Ehepaar und diskutierte offensichtlich Tigerschecken gegen schwarzen Lack. Spaßgeschenke und Postkarten mit viel nackter Haut fanden sich gleich vorn an der Kasse.

Kai stockte im Eingang und wusste nicht so richtig, was er sich vorgestellt hatte. Es war nicht diese Mischung aus Geschenkartikelladen, Drogeriemarkt und Unterwäscheabteilung gewesen. Vorn an der Kasse standen zwei Frauen mittleren Alters und zeichneten, ein wenig gelangweilt, Packungen mit essbarer Unterwäsche aus. Sie grinsten Jan froh an und fragten auffällig freundlich nach dem Begehren.

Jan stürzte sich mit ihnen in eine Unterhaltung über Kondome und Kai versuchte unauffällig weg zu driften. Ein Fehler. Unkonzentriert wie er war, hatte er die Vibratoren-Abteilung erreicht. Zwei Frauen mit Kinderwagen in Rosatönen standen dort. Mechanisch schuckelten sie die Wagen und redeten über Akkuvibratoren mit Spritzwasserschutz. Kai wollte wieder fliehen, aber kam nicht an den Wagen vorbei, der Rückzugsweg wurde ihm im nächsten Moment von einer der Verkäuferinnen versperrt, die aus einer großen Kiste Minidildos nachlegte.

Kai drehte sich hin und her und versuchte in Deckung zu gehen, aber die Kinderwagen engten ihn ein. Die Frauen waren gut drauf und hatten jede schon einen Vibrator in der Hand. Die eine kicherte mit einem blauen Teil schwenkend: "Der mit den Häschenohren ist doch total süß! Meinst du nicht, dass sie sich darüber sogar freuen würde?"

Die andere verzog den Mund: "Mensch, aber nicht für das Geld."

"Hm. Hast Recht. Schauen wir mal da vorn. Mit Batterie sind die billiger. Das langt als Geschenk für ihren Junggesellinnenabschied doch echt aus."

Kai warf einen Seitenblick und sah, dass die Tante Recht hatte. So ein Vibrator war gar nicht so billig, der quietschrosa Spielzeuglook täuschte, dreistellige Summen waren nicht selten. Sein Blick glitt weiter über das Regal und er blinzelte erstaunt über die Namen. Rammler, Mega Wave oder Bigboy. Das Regal klang fast wie die Stammbesetzung in einem schwulen Chat. Ätzend aufdringlich und etwas ekelig. Davon musste man ja Hirnerweichung bekommen! Wer dachte sich solchen Müll überhaupt aus?

Kritisch runzelte er die Stirn. Außerdem waren in den Teilen bestimmt krebserregende Weichmacher drin. Darüber wusste er, dank Tini und ihren nimmermüden Vorträgen mit Thema Plastikspielzeug, Inhaltsstoffe von Babysachen und Ökosiegeln, mittlerweile mehr, als ihm lieb war. Aber allein diese Schreifarben! Sollte man die Teile im Dunkeln besser finden können, oder was?! Gereizt verschränkte er die Arme, als ihm klar wurde, dass sein Blick eine Idee zu lang an einem eher naturgetreuen Vibrator namens Real Big Deal hängen geblieben war. Zum Glück beachtete ihn niemand. Die Frauen hatten sich zum Anfang des Gangs zurückgezogen, hoffnungsvoll folgte er ihnen, um sich endlich vorbei zu drängen.

Die jüngere der beiden lachte gerade und hielt einen violetten Vibrator in Delfinform hoch: "Oder der hier? Der Preis geht und er schaut auch noch ganz niedlich aus. Ich wusste gar nicht, dass die so teuer sind. Meine Güte!"

Die Frauen gingen noch etwas weiter und die andere schüttelte den Kopf: "Willst du mir im Ernst sagen, dass du keinen hast?"

"Du etwa?"

"Na hör mal! Mein Mann ist die ganze Woche weg. Was meinst du denn? Dass ich mir einen Liebhaber nehme oder was? Viel zu nervig. Natürlich hab ich ein paar von den Dingern. Komm, ich zeig dir mal einen guten für den Einstieg."

"Was? Ein paar gleich?!"

"Ach, komm schon! Es gibt so viele total witzige Sachen. Außerdem krieg ich von meinem Süßen hin und wieder einen zum Hochzeitstag. Da kann man auch zu zweit Spaß mit haben. Dann kaufen wir dir heute auch mal deinen ersten Vibrator, meine Süße! Der hier fasst sich gut an und ist wasserfest..., hm?". Als sie jeder einen Dildo wie eine Waffe in der Hand haltend in seine Richtung blickten, ergriff Kai die Flucht mit Sprung über die Kiste der Verkäuferin. Dieses Mal landete er in der schwulen Ecke. Pornos stapelten sich in einer Angebotskiste, auf der anderen Seite war ein Aufsteller mit Intimschmuck. Kai waren die lüsternen Blicke von intimrasierten Typen auf den Bildern eher peinlich.

Er musste an Lolli denken, der ihm mal einen Vortrag über verschiedene Sorten Piercings und Spielsachen hatte halten müssen. Damals hatte Kai es erschrocken ausgeblendet, aber wohl unterbewusst doch aufgenommen. Denn jetzt erinnerte er sich an Lollis Erzählungen zu einem ganz tollen Plug, als er im Vorbeischauen zufällig einen Namen aufschnappte. Es überraschte ihn, dass diesen Teilen ein ganzes Regal gewidmet schien. Auch hier waren die Preise nicht ohne. Ungemütlich sah er sich nach Jan um. Der war aber mit der einen Verkäuferin zwischen zwei Regalen vorn am Reden. Kai vermutete schwer, dass es dort noch peinlicher war.

Ein grauhaariger, zierlicher Mann tauchte aus dem Nichts mit zwei Filmpackungen in der Hand auf. Sein Blick glitt über Kais Gesicht und Kai konnte das Wiedererkennen sofort darin lesen. Scheiß Cocktailkarten! Der Mann war auf jeden Fall schwul, wie man nach dem Auf und Ab und weiter Ab seiner Blicke schließen konnte. Er begann Kai gerade auf die Pelle zu rücken, als die zwei Frauen mit ihren Kinderwagen ausnahmsweise seine Rettung wurden. Sie kamen, mit je zwei Packungen auf den rosa Deckchen ihrer Kinderwagen, in die Abteilung geschlendert und stockten bei ihnen.

"Nee, hier sind wir falsch. Alles für die Jungs." Ein Blick in seine Richtung, dieses Mal misstrauisch von der einen, schelmisch von der anderen. "Ich verstehe das nicht. Schau dir nur diese Pornos an. Wieso sind die Männer hier viel schöner als in denen für Heteros? Oh, mein Gott! Ist das Natur?". Die Frau nahm einen der Filme in die Hand, die der ältere Mann gerade eingeräumt hatte.

"Jetzt langt es aber! Nie wieder mach ich Sektfrühstück mit dir, Jessi!" Sie sah sich einmal um, dann hellte ihre Miene sich auf. "Hey! Da sind die ganzen Möchtegern-SM-Sachen. Komm, lass uns lieber mal so ein paar rosa fluffige Handschellen dazu legen, wie alle anderen auch."

Der alte Mann, eine Pornopackung mit einer Vielzahl ziemlich jung und knackig aussehender Jungs in der Hand, lachte sich darüber umgehend derart kaputt, dass die Frauen doch einstimmen mussten. Dann stellte sich heraus, dass auch er Verkäufer war und die weitere Unterhaltung drehte sich um Geschenke für eine Freundin, die Junggesellinnenabschied feiern wollte. Als nächstes fragte die Eine der Beiden unternehmungslustig, ob der Mann nicht einen netten, billigen Stripper für die Veranstaltung wüsste.

Jan tauchte neben Kai auf, als dieser sich gerade in die Abteilung Spaßartikel gerettet hatte. "Ich bin fertig, Baby, willst du noch was kaufen?" Sofort richteten sich die Augen der anderen auf sie beide. Kai schüttelte hastig den Kopf und spürte das Blut in seine Ohren rauschen. Scheiß Jan mit seiner peinlichen Art!

Jan wandte sich ab und feixte: "Auch kein Spielzeug? Die Verkäuferin vorn hat mir einen Vibrator empfohlen, ist im Angebot. Man bekommt Gleitgel und diese komische Seife dazu. Der Seifenspender ist total witzig, schau. Ein süßes rosa Pimmelmännchen, den schenken wir dann Lolli, wenn er die Vitrine mitnimmt." Der ältere Typ krebste interessiert dichter, so dass Jan irritiert die schlecht verpackte Anmache des Mannes mit einem seiner harten Blicke unter zusammengezogenen Augenbrauen erwiderte.

Kai verschränkte die Arme und wandte sich rasch fort, um aus dem Laden zu flüchten. Sein lachender Freund begleitete ihn, hatte aber schon eine Werbung für genau den Plug in den Fingern, den Kai so abartig teuer gefunden hatte. "Schau mal, Baby, Chirurgenstahl. Das ist doch was für dich, oder? Bist doch immer total für Operationen und so was zu haben. Hm..., stehst du eigentlich auf Doktorspiele? Dass wir das noch nicht gemacht haben, Baby, ein Versäumnis, nicht?" Kai brauchte gar nicht ätzend antworten, Jan lachte auch so schon über ihn. Und das die ganze Rückfahrt.

Jan nahm in der Garage, dann wieder friedlich geworden, eine Einkaufstüte aus dem Auto, um sie Kai zu reichen und schob die Kondomschachtel zwischen die Bierflaschen, bevor er den Kasten heraus hob. "Ich wünsch mir das Teil einfach zu Weihnachten von dir. Allein die Überwindung, da noch mal reinzugehen, ist ein riesen Geschenk von dir, was?". Er lachte, seine Augen funkelten fröhlich: "Aber natürlich würdest du das einfach online bestellen."

"Natürlich." Erhaben und erleichtert zugleich nahm Kai die letzte Einkaufstüte und quälte sich ächzend die Treppen in das Haus hoch. Er hoffte, dass ihm eine weitere Ausführung zum Thema Sexspielzeuge erspart bleiben würde und hatte Glück.

Vor der Erdgeschosswohnung trafen sie auf Leon, der mit einem Maler redete. Auf dem weiteren Weg nach oben erzählte Jan, dass Leon tatsächlich am Morgen bei ihm gewesen war, weil er die Wohnung im Erdgeschoss gemietet hatte. Zusätzlich zu seiner Wohnung, außerdem nicht für sich selber. Für Henri.

"Was?!" Erstaunt hievte Kai die Tüten herum und schwankte auf dem letzten Treppenabsatz zwischen Pause und Endspurt. Die Pause gewann und er lehnte sich leise keuchend gegen die Wand. Jan nahm ihm eine der Tüten nebensächlich ab und überholte ihn: "Hm. Er will eine Physiotherapie- und Massagepraxis eröffnen. Das passt zum Anwalt im Erdgeschoss, daher finde ich die Idee gut. Macht sich auch gut von außen. Henri will das Fenster gestalten wie der Anwalt und matte Folie mit dem Namen der Praxis rein kleben. Spart Vorhänge. Dann ist es außerdem symmetrisch. Er hat sich schon die Adresse von der Druckerei besorgt, die das gemacht hat. Mir gefällt das schon mal sehr. Leon hat mir außerdem die Sicherheit geboten, dass die Miete gezahlt wird. Bin echt erleichtert. Außerdem ist die Tippse vom Anwalt in Ekstase, jetzt hat sie endlich neben dir noch einen süßen Typen, dem sie beim Postholen auflauern und auf den Hintern starren kann."

"Wie bitte?". "Na also, Kai. Die steht doch immer am Fenster, wenn du einkaufen gehst und wenn du die Post holst, dann ist sie da..., die mag dich. Da sie genau weiß, dass du schwul bist, gehe ich davon aus, dass sie dich einfach gern anschaut. Werd ihr mal eine Cocktailkarte von Leon reinreichen."

"Das fehlte mir noch, dass die angerannt kommt und mich bei der Arbeit angafft! Bist du sicher, dass Henri so eine gute Wahl als Mieter ist?". Nervös blickte Kai die Treppe hinunter und erinnerte sich an Henris aktuellen Hauptverdienst. Aber Jan zuckte nur entspannt gleichgültig mit den Schultern. Henris erotische Massagen schienen ihn nicht zu stören.

Er meinte beim Einräumen der Einkäufe in ihre Küche, zurückgelehnt und pragmatisch wie immer: "Wenn Henri sich voll daneben benimmt, dann ist er in zwei Jahren raus, so lang läuft der Vertrag und muss dann verlängert werden. Bis dahin finde ich das sehr praktisch. Henri hat mir neulich die Wade frei massiert, so hat das bislang noch kein Physiotherapeut hinbekommen, der weiß wirklich, wie er rangehen muss."

Misstrauisch erkundigte Kai sich daraufhin, ob Henri wirklich nur Jans Waden massiert hatte, worauf er sich auslachen lassen musste, für seine Eifersucht.

Andere Sorgen überwogen aber wenig drauf wieder. In der nächsten ganzen Woche lernten sie wie verrückt. Und das, obwohl Kai sich offenbar überlernt hatte. Es gab nichts mehr, das er nicht auswendig miterzählen konnte. Er erkannte die meisten Prüfungsfragen am schwarz-weiß-Muster der Buchstaben und musste sie kaum noch lesen. Auf Fragen konnte er nicht selten mit der Seitenzahl im Buch antworten und, wenn er die Augen schloss, diese Buchseite auch vor dem geistigen Auge aufrufen. Das passierte ihm leider oft genug auch im Schlaf. Davon wurde er dann wach, oder er wälzte sich im Bett und fand keine Ruhe, so dass er oft noch wach war, wenn Jan vom Sport kam. Seine Schlafstörungen führten daher glücklicherweise oft dazu, dass Jan und er die Zeit auf andere Weise überbrückten, auf eine recht Angenehme.

Mit der Lerngruppe trafen sie sich nicht mehr. Einzig Thilo und seine Panik waren noch einmal bei ihnen zu Gast, damit Kai ihm etwas beibringen konnte. Kai konnte auch echt darauf verzichten, sich von anderen noch mehr Furcht vor der Prüfung machen zu lassen.

Aber in Kais Leben gab es, außer der Lernerei, nicht viel. Jan war dauernd unterwegs, zu Lerntreffen, meist mit Thilo, aber vielfach auch zum Sport oder mit Freunden, zum Biergarten am Zoo. Wenn Jan daheim war, war Kai meist im Koma, wenn Schlafstörungen und Alpträume ihn nicht wach gehalten hatten.

Kais Sozialleben reduzierte sich, von Lerntreffen mit Tini, Holger, Renate und Thilo einmal abgesehen, oft auf Treffen mit Tini, zu einem Arzttermin, zu einem Besichtigungsabend in einem Kreißsaal und zu einem Termin mit ihrer ätzenden Hebamme. Hauptsächlich ätzend an ihr war, dass sie selber vier Kinder hatte und ständig aus eigener Erfahrung sprach. Die Informationen zum Ablauf der Geburt wollte Kai nicht hören, er verbesserte sie in einer halben Stunde vier Mal bei fehlerhaften medizinischen Details und stimmte sie damit ätzend. Tini ließ sich von ihr bevormunden wie von ihren Eltern und wurde vierjährig, was ihn dazu brachte, ihr noch vor der Hebammenpraxis auf der Straße einen Vortrag über Selbstwertgefühl zu halten.

In Folge, er war selber schuld, musste er noch einen Hebammentermin über sich ergehen lassen, um eine Andere zu finden. Dieses Mal hockten sie bei einer recht jungen, durch und durch ökologisch eingestellten, Frau mit rotgefärbtem Kurzhaarschnitt auf Bodenkissen und mussten Ingwertee trinken, was Tini nicht gefiel.

Es folgten noch zwei-drei weitere Hebammenpraxen, die Tini zu geschäftsmäßig waren mit ihren zweihundert Faltblättern über Babykurse, Yogakurse, Rückbildungskurse, Stillkurse und Müttergruppen. Erschaudernd meldete sie sich gar nicht erst zu einem Gesprächstermin an, auch wenn sie Kai sehr lang und breit jedes Mal erklärte, warum sie nicht wollte.

Als Drittes stellten sie sich dann bei einem Geburtshelfer vor. Markus. Einem Mann mittleren Alters mit rotbraunem Vollbart und Ökolatschen, an den Schläfen leicht grauem Haar, einem fitten Körper und einer angenehm kühlen Praxis in einem Altbau. Sie sprachen in einem kleinen Wintergarten auf bequem gepolsterten Gartenstühlen sitzend. Es gab Wasser zu trinken, wenn man wollte. Er reichte weder Bevormundung noch Faltblätter herum.

Er gefiel Kai, weil er mit ruhiger Brummelstimme verlauten ließ, dass er Tinis Schwangerschaftsfortschritt einmal kontrollieren wolle, um sie dann aber erst zu den Nachsorgen zu sehen. "Ich mache, seit die Haftpflichten so rasend teuer geworden sind, keine Hausgeburten mehr. Der Trend dazu hat sowieso total nachgelassen. Wenn alles gut geht, muss ich auch nicht in der Klinik helfen, da sind genug angestellte Hebammen und Kinderschwestern unterwegs."

Der Mann roch nach frischer Seife und Deo, empfahl keine Tees, keine Steine mit Heilkraft, machte keine peinlichen Atemübungen während des Gesprächs. Er verpasste Tini einen Rückbildungskurs für den Januar, den er in den Sporthallen der Uni abhielt. "Für jemanden, der so sportlich ist wie du, wird das kein Ding sein, wieder in Form zu kommen. Aber Beckenbodentraining ist noch etwas anderes als bloße Fitness. Deswegen bitte ich dich, auch wirklich zu kommen." Tini ließ sich eintragen, freute sich darüber, dass Kai für diesen Typen war und nicht bissig oder kühl wie sonst und ließ sich dann ausmessen, wiegen und abhorchen.

Markus stellte als erstes fest, dass Ari-Ding sich in optimaler Lage befand und er konnte ihn gemütlich abhorchen, verwendete dazu ein kleines CTG, dessen Ton er leise gestellt hatte, was Kai nach dem Lärm, den die anderen immer hatten machen müssen, sehr angenehm fand.

Dann gab es noch einen Kaffee für Kai und Markus und ein Wasser für Tini, während Tini einige Formulare ausfüllte und Markus‘ Telefonnummern in ihr Handy eintrug. Kai fragte sich, wie der bärtige Typ zu diesem ungewöhnlichen Job gekommen war. Zu seinem Glück fragte Tini ihn direkt, nachdem sie die Formalitäten geklärt hatten. Er lachte gemütlich, rührte in seinem Kaffeebecher und meinte "Hab als Flugbegleiter gejobbt vor zwanzig Jahren. Da ist es mir auf zwei meiner Flüge kurz nacheinander passiert, dass ich tatsächlich eine Entbindung mitmachen musste. Es ist bei Beiden zum Glück gut gegangen. Aber das war ein Zeichen. So werte ich das. In der Ausbildung war ich immer so eine Art dreibeiniges Einhorn. Ein Mann im Kreißsaal, unerhört. Aber viele Männer schätzen mein Wissen und fühlen sich wohler mit mir bei den Vorbereitungskursen. Ich bin jetzt in einer Gruppe engagiert, die sich für Adoptionsrecht für schwule Väter einsetzt."

Das fand Kai auch wichtig, aber schämte sich von da an, weil Tini Markus seine Beziehung zu Jan auseinander setzte. Markus hingegen gab dem Ganzen einen optimistischen Anstrich. Er lachte und meinte: "Ich habe auch einen Sohn. Lesbische Freundinnen von mir, beides Krankenschwestern, haben sich ein Kind gewünscht und wir haben uns arrangiert. Mein Lebensgefährte ist der Vater unserer gemeinsamen Tochter. Es klappt gut, wenn man zu drei oder gar vier Eltern ist. Keine Sorge."

Tini betrachtete ihn: "Wir sind zu viert, wenn man meinen Freund dazu rechnet." Man sah ihr die Sorge dermaßen an, dass Markus zum Abschied doch noch ein Faltblatt rausrückte, das seiner Gruppe, mit Tipps zur Erziehung in Patchwork-Familien.

Das Bambi blieb ihnen erspart, weil er neben der wieder begonnenen Schule für einen Musikwettbewerb sehr viel tun musste und nebenher weiter für Leon arbeitete, um sich New York leisten zu können. Da Kai nie ins LPP ging, sah er ihn bis zur Prüfung gar nicht mehr. Sie telefonierten einmal kurz, aber jeder war mit eigenen Problemen befasst, die für den jeweils Anderen vollkommen langweilig waren.

Bei einer misstrauisch durchgeführten Visite im Erdgeschoss, eine Woche vor der großen schriftlichen Prüfung, stellte sich die Wohnung und Praxis von Henri tatsächlich als hochgradig langweilig heraus. Kai kam mit Jan vom Einkaufen, weil die Milch wieder mal schlecht geworden war und begegnete Henri, der gerade seine neue Türklingel mit Summer hatte einbauen lassen.

Henri sprang Kai sofort fröhlich an und zerrte ihn in die Wohnung, um sie voller Besitzerstolz zu zeigen. Jan folgte ihnen neugierig, und fragte Henri, ob die neue Warmwassertherme auch korrekt eingebaut worden war.

Die zwei Räume vorn waren umgebaut. Kein Hauch mehr von der alten Einrichtung mit den dicken, dunklen Möbeln und Teppichen. Die Räume waren außerdem ziemlich leer. Das eine Zimmer war mit einem Futon am Boden für die Thaimassagen eingerichtet, die Wände waren in weichen Cremefarben gestrichen, die Bilder an den Wänden umher zeigten in einem Raum entspannt schlafende Wildtiere. Elefanten, Tiger, Affen und Flusspferde. Im anderen Raum gab es Turnmatten, große und kleine Bälle und ein Regal mit Sportgeräten. Hier waren es Bauernhoftiere an den Wänden, die alle irgendwie aktiv waren, zu lachen schienen.

Henri, der ihn herumführte, erzählte stolz, dass Felix mit ihm zusammen mit Kindern arbeiten wollte. Felix hatte von seinen Managern gerade die Schnauze voll und hatte mit einer Kurklinik gemeinsam begonnen, eine Gruppe für Eltern und Kinder im Stress aufzubauen. Henri sollte mit den Kindern arbeiten.

"Stressbewältigung für Kinder, dass es da überhaupt einen Markt für gibt." Henri grinste: "Und dann hab ich natürlich einen Schwerpunkt für Kinder mit Hyperaktivität." Wie man sich hyperaktiv fühlte, war Henri vorneweg auf jeden Fall klar und mit der Energie der Kinder konnte er jederzeit mithalten.

In den hinteren beiden Zimmern der Wohnung, durch einen Schiebevorhang abgetrennt, wohnte Henri selber. Seine Zimmer waren in warmen Erdfarben gestrichen und mit Goldmotiven verziert. Es passte super zu dem teuren Dielenboden, den Jan hatte verlegen lassen, wirkte aber natürlich auch ein wenig dekadent. Genau wie Henri das für sein Massageding brauchte. Bis auf ein großes Bett mit exotischer Wäsche hatte Henri keine Möbel in dem Schlafzimmer. Keinen Fernseher, keine Musikanlage oder auch nur eine Kommode. Nur eine Leselampe stand am Boden, ein Laptop lag daneben. Vor den schon mit der Folie beklebten Fenstern waren Rollos aus dunkelrotem, orangefarbenem und lila Stoff, die selbstgenäht aussahen. In einer Ecke stand eine große Buddha-Statue in entspannter Haltung, mit geschlossenen Augen. Davor waren einige halb abgebrannte Kerzen und eine Schale mit Wasser, in der Gänseblümchen schwammen.

Als Kai Henri in die Küche folgte, stellte er fest, dass diese quasi nur aus Einzelteilen bestand. Die neu gefliesten Wände wirkten kahl und abweisend.

Henri gab zu, dass er zwar Geld für den Umzug und die Renovierung gehabt hatte, aber nicht so viel, um sich auch noch eine Küche leisten zu können. Ein Kühlschrank, eine Spüle, die laut Jan von den alten Leuten übergeblieben war, ein Herd mit zwei Platten und ein etwas wackeliger Tisch mit drei Stühlen, von dem kein Teil zum anderen passte, war alles, was Henri hatte. Die Lebensmittel waren in Stapelkisten untergebracht, wie sie im Gemüsemarkt zu finden waren. Geschirr hatte Henri auch nur in Einzelteilen, die Kai an den Flohmarkt vom letzten Wochenende erinnerten.

Während Jan Kai schon wieder davon lief, um in Sport auszubrechen, wurde Kai von Henri noch aufgehalten und zu seinem Befinden und zu Bardo ausgefragt. Henri kochte Wasser in einem altmodischen Kessel und goss Tee sehr umständlich in schreipinke, goldverzierte Schalen. Er gab Milch und Honig dazu, ohne Kai zu fragen, ob er so etwas wollte. Dann musste Kai sich mit ihm im Schlafzimmer auf das Bett setzen.

Missmutig, dass Jan ihn mit der Sexplage allein gelassen hatte, ließ Kai sich nieder und stellte die Teeschale auf dem Boden ab. Das war gut, Henris nächste Worte hätten ihn den Inhalt unter Umständen auf das Bett vergießen lassen.

"So, hast du schon mit dem Jungen geschlafen?" Henri kniete sich auf das Bett genau einen Hauch zu dicht zu Kai und nippte von dem Tee, mit Blicken suchte er nach seinem Handy, aber sah dann rasch wieder zu ihm zurück. "Hebt ihr euch das auf?"

"Hallo? Ich habe einen Freund! Dein Vermieter, falls dir das entfallen ist." Verärgert verschränkte Kai die Arme. "Außerdem ist das Bambi erst fünfzehn."

"Ja, stimmt. Auf den ersten Blick schaut er sogar noch jünger aus, nicht? Ich dachte schon, dass Anna verrückt geworden ist, als sie neulich bei Leon mit ihm angekommen ist."

"Die wollte mit ihm schlafen, aber er hat wohl abgelehnt." In Gedanken fügte Kai an, dass Bardo eben schon mit fünfzehn Jahren schlauer war als er selber.

Henri lehnte den Kopf schief, dann lächelte er und nahm Kais Hand, um die Finger entlang zu streichen. "Du und er, ihr seid so intim miteinander, vertraut, wie ein Paar. Deswegen hab ich gefragt."

Nachdenklich runzelte Kai die Stirn, dann schüttelte er den Kopf: "Wir sind Freunde." Und im nächsten Moment fehlte ihm sein Bambi. Sie hatten sich in den letzten Wochen kaum gesehen. Verzweifelt überlegte Kai, ob sich ein Vorwand finden ließ, unter dem Bardo mal wieder bei ihnen übernachten müsste.

Henri lachte leise und nahm Kais andere Hand. Jemanden nicht zu berühren, mit dem er sich unterhielt, schien ihm unmöglich zu sein, und Kai konnte die Nähe zu ihm mittlerweile gut hinnehmen. Vielleicht kam es auch daher, dass man Henri einfach nicht loswerden konnte. Abzurücken half da auch nicht.

Henri legte den Kopf schief und strich sich die blonden Haare mit einer etwas unwirschen Bewegung hinter ein Ohr: "Kai, Freunde..."?

"Wirklich, gleich was alle sagen. Es ist auch nicht das Alter. Wir sind Freunde, unabhängig von... allem."

Henri lehnte sich dichter: "Aber er will dich. Nicht wahr?"

Kai ertappte sich dabei, genervt zu nicken, bevor er es verhindern konnte. Verärgert verschloss er sein Gesicht und entzog Henri seine Finger. Das war vielleicht ein Problem, aber keines, mit dem Kai sich befassen musste. Bardo sah ihn nicht so an, war unbefangen mit ihm und sie berührten oder küssten sich stets nur sehr kurz, wenn sie sich trafen. Es fühlte sich nicht falsch an. Kai war daher fest entschlossen, die Lösung dieses Problems noch so lang aufzuschieben, wie es möglich war. Im Moment hatte er keinerlei Bedenken, dass Bardo seinen Abstand einhalten würde und auch nicht peinlich zu werden drohte.

Henri hatte auch keine Bedenken. Er grinste, haschte erneut nach Kais Hand und ließ die Finger über die Schwiele an Kais Mittelfinger gleiten, die durch das viele Schreiben in den letzten Tagen dort entstanden war. "Eines Tages kriegt er dich rum und wird feststellen, dass du schon immer Recht hattest, nicht wahr? Wo kommt das denn her?"

"Stift beim Lernen." Kai entzog sich ihm hilflos erneut und nippte von dem Tee, um die Finger zu beschäftigen und von Henri fern zu halten. Der Tee war süß, aber erträglich. Die Gewürze sorgten für einen intensiven Geschmack, von dem er nicht allzu viel ab konnte. Er stellte die Schale nach zwei Schlucken wieder weg. "Und du willst hier also eine Praxis einrichten? So richtig?"

"Nö. Ich mach erst einmal mit den Massagen weiter, damit verdiene ich sehr gut. Ich hab das ausgebaut und mache für einen Verein die Massagen der Sportler. Und in einer ayurvedischen Massagepraxis hab ich auch feste Zeiten einmal in der Woche. Meine Ausbildung zum Physiotherapeuten dauert drei Jahre, danach sehe ich ja, was ich wirklich machen will. Für zwei Jahre darf ich hier mieten. Leon bürgt, ich muss das bezahlen." Er grinste schie:. "Ich kann nicht so gut mit Geld umgehen, daher muss ich alles, was ich bekomme, gleich Leon geben, der zahlt die Miete hier und so weiter. Leon und Felix haben meine Kontovollmachten." Henri zuckte mit den Schultern als wollte er sagen, dass es ihm recht oder zumindest egal war.

"Hm..., klingt als wolltest du deine..., äh..., anderen Massagen nicht mehr machen, wenn es geht. Kann das sein?"

Henri seufzte und streckte sich: "Doch, doch, so nebenbei. Meine Stammkunden zumindest. Und? Haste Tini nieder gemacht für die Nummer mit mir?"

"Nein. Geht mich nix an." Die Wahrheit war, dass Kai das wegen der stressigen Zeit vollkommen vergessen hatte.

"Ach so?"

"Ach so! Ich hab sowas von genug von ihr. Allein diese scheiß Formulare und Ämter und Arzttermine dauernd! Ich raste bald aus, wenn...". Kai merkte es eine Weile lang nicht, aber er lud seinen Frust und Stress mit Schwung und vollkommen ungefiltert bei Henri ab. Ausgerechnet.

Aber, wie immer bei Henri, tat es ihm gut. Er kam entspannt und locker wieder in ihrer Wohnung an, und er rastete nicht einmal aus, als er dort über Holger stolperte, samt Bettelblick, der eines Beagles würdig war. Er flehte Kai an, die Physiologie der Leber noch einmal zu wiederholen. Kai brauchte die Bücher nicht mehr, in Sachen Leber war er ein Profi und riss die Sache für Holger in einer knappen halben Stunde runter.

Nein, Kai war die Ruhe selbst. Er rastete nicht aus, als Jan mit seinen Fußballjungs eine spontane Grillrunde veranstaltete. Er hielt sich bedeckt, während Tini ihm die Vor- und Nachteile von einer Wohnung nach der nächsten vorführte, Windeln vom Drogeriemarkt gegen waschbare von einem Lieferservice abwog und den neusten Atemtrick für Entbindungen ohne Schmerzmittel vorführte. Und er blieb entspannt, als Bianca auch bei der Lerngruppe dabei war und Jan mit ätzenden Sprüchen deprimierte, was den Sex für einige Tage schwierig werden ließ.

Lesemodus deaktivieren (?)