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Trost

Kapitel 4-6

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4

Nicht nur er wollte jedoch, dass er Jan vergaß. Lolli stürmte bald darauf sein Zimmer und verkündete "Du kommst am nächsten Wochenende mit uns mit zum Rave!"

"Was? Wieso?"

Lolli warf sich auf Kais Bett und grinste. Lasziv ordnete er seine langen Beine an und erklärte mit deutenden Handbewegungen "Frank und ich nehmen dich mit. Du hast nix zum Geburtstag bekommen von mir, das ist nachträglich."

"Aha?"

Kai beobachtete die Finger von Lolli, die erklärend in der Luft rührten. Wie schaffte sein Mitbewohner es nur, jede seiner Gesten so gottverdammt tuntig aussehen zu lassen?! Lolli streckte sich und fummelte an Kais Tagesdecke. 'Was gibt mir das Gefühl, dass etwas nicht stimmt?'

Lolli beantwortete dies prompt. "Du musst endlich mal jemanden kennenlernen." Er sah Kai kurz an und fuhr schnell fort. "Damit du dir diese Hete aus dem Kopf schlägst."

Kai fuhr wie ins Gesicht geschlagen zurück. "Was?!" Er brauchte nicht fragen, wusste es ja doch schon. 'Jan,' dachte er resigniert. 'Wenn sogar Lolli das merkt.'

"Ich hab Augen im Kopf", erklärte Lolli unbeeindruckt. "Das muss man lernen, aber auch mal abhaken. Vergiss ihn", sagte er leise, ungewöhnlich mitfühlend. Gleich darauf sprang er auf, erleichtert, dass er seinen Punkt klargemacht hatte. "Nimm es mir nicht übel, Kai. Du verdienst doch nun echt Besseres als ewigen Frust. Komm mit, ja? Bitte."

Kai nickte leicht. Er konnte Ablenkung wirklich gebrauchen.

"Supi! Wir stellen dir ein paar Leute vor!" Lolli hüpfte ein wenig. "Aber du lässt mich noch ein bisschen stylen. So…" Lolli deutete an Kai auf und nieder. "…hast du keine Chancen, mein Lieber…" Fröhlich tanzte er aus dem Zimmer, und Kai starrte ihm beleidigt hinterher.

Kai schmollte und brütete etwa eine Woche, dann entschloss er sich, wirklich nachzugeben. Der Rave sollte in einer großen Halle stattfinden, die etwas außerhalb lag. Aufgeregt überredete Lolli Kai, sich die Wimpern von ihm färben zu lassen. Kai musste zugeben, dass man sie nun erst richtig sehen konnte. Er hatte mit einem Mal intensivere Augen. Sie sahen größer aus, irgendwie fühlte er sich dabei jedoch zugleich verletzlicher.

Lolli blühte regelrecht auf in seiner neuen Aufgabe und suchte Kai zur Feier des Tages entsprechend auffällige Klamotten raus, trat ihm sogar eines seiner Lieblingsshirts ab, weiß, eng und durchsichtig. Mit der silbernen Hose, die er sich mal gewagt hatte zu kaufen, ließ es Kai nach seiner Meinung aussehen, wie eine Figur aus einer Babypuder-Werbung.

Lolli und selbst der sonst eher missmutige Frank waren begeistert. Kai konnte die gesamte Zeit jedoch nur denken, dass es ein Reinfall werden würde. Er konnte diese laute Musik nicht lange ab, mochte Menschenmengen nicht besonders und er war in einer verdammt tiefen Depriphase, in der man eher weniger den Eindruck machte, dass man jemanden kennenlernen wollte. Aber als es dann losging, war er doch ein wenig aufgeregt.

Frank fuhr, sein alter Golf war vollgeladen mit ihrem Kram, obwohl sie doch am nächsten Morgen gleich wieder zurückfahren wollten. Nachdenklich beobachtete Kai die beiden anderen von der Rückbank aus.

Bei ihnen war es doch klar. Lolli kümmerte sich um Franks Klamotten, betüdelte ihn fürchterlich und Frank reparierte seine Sachen und half ihm bei Bankangelegenheiten. Sie wohnten nur nicht zusammen, weil einer sonst einen zu weiten Weg zur Arbeit gehabt hätte.

Allerdings waren sie auch fern von treu. Lolli hatte nicht selten mal Besuch bei sich, wenn Frank am Wochenende arbeitete, und dieser wusste davon, hielt es bestimmt genauso. So eine Beziehung wollte Kai aber nicht. 'Ich will nur Jan, verdammt noch mal!' Frustriert wandte er den Blick ab, als die beiden sich an einer roten Ampel küssten.

Sie parkten neben einem violetten Bulli, auf dessen Seiten mit Airbrush ein Raumschiff gemalt worden war.

"Wie geil ist das denn?" Lolli sprang aufgedreht aus dem Wagen. "So einen brauchen wir auch, oder Schatz?"

Frank brummelte etwas aus den Tiefen des Kofferraums und reichte Kai eine Dose Red Bull. "Damit du bis morgen früh durchhältst."

Der DJ, für den Frank sich interessierte, kam erst gegen fünf am Morgen. Sie würden mindestens bis sieben Uhr durchmachen. Kai stolperte hinter den beiden her und verlor sie gleich in der ersten halben Stunde aus den Augen.

Die Hallen waren riesig und unübersichtlich, man konnte gegen das wild zuckende Stroboskoplicht nichts mehr sehen, Disconebel kratzte Kai im Hals und die Musik war so laut, dass sich recht rasch ein summendes Taubheitsgefühl bei ihm einstellte. Verzweifelt versuchte er die anderen wiederzufinden. Die Menschen um ihn waren eine wabernde, ablehnende Masse und er verfluchte, dass er sich zu diesem Trip hatte überreden lassen.

An einer der Theken holte er sich, nachdem er das Suchen aufgegeben hatte, eines dieser In-Getränke, Wodka mit Guaranasaft. Das Zeug zischte gleich in den Kopf und ließ ihn sich leicht fühlen. Zunächst wurde er aufgekratzt davon, sein Herz schlug im Takt mit dem Bass, er begann sich danach zu bewegen.

Nach und nach nahm er alles ein wenig langsamer wahr. Gleichzeitig fühlte er sich sicherer, als könnten ihm die anderen nichts mehr anhaben. 'Was war denn da drin?' Kai zuckte mit den Achseln und trank ein zweites Glas von dem süßen Zeug, bevor er tanzen ging.

Seine Bewegungen kamen ihm deutlicher zu Bewusstsein. Er fühlte sich mit einem Mal, als sei er nicht mehr allein, sondern vielmehr Teil der Menge geworden. Er schaffte es eine ganze Zeit lang, sich mit der Musik und den anderen zu bewegen. Fasziniert von der Wirkung, die das Gewitter aus Lichtblitzen und der donnernde Bass um ihn herum hatte.

Irgendwann wurde ihm jedoch schwindelig und er versuchte von der Tanzfläche zu kommen, rannte gegen eine Gruppe von Leuten und kam nicht mehr dazu, sich zu entschuldigen. Eine Hand packte ihn grob am Kragen. "Hey! Pass mal auf, du Depp!"

Er riss die Augen auf und stellte erschrocken fest, dass er hochsehen musste. Der andere gab ihm einen unsanften Schubs und Kai taumelte gegen die nächste Person.

Er hob schützend die Hände und wurde von der Reaktion des Typen überrascht. "Ist dir nicht gut?!"

Es wurde an sein Ohr geschrien und er schüttelte nur den Kopf. Gleich drauf zog ihn der Typ am Unterarm von der Tanzfläche fort, zu den kühleren Vorräumen.

Kai wagte nach einigen Schritten den ersten Seitenblick. 'Oh wow.' Der Kerl war fast einen Kopf größer als er, hatte kurze, dunkle Haare. Er trug eine schwarze, glänzende Hose, in die er sein ausgezogenes T-Shirt gesteckt hatte. Seinen nackten Oberkörper konnte er auch getrost zeigen. Verstohlen blickte Kai auf seiner Brust entlang. Auf der linken Brustseite trug er einen tätowierten Teufel.

Gerade als Kai dies bemerkt hatte, murmelte der Mann an sein Ohr "Schon passend, dass ein Teufel einen Engel wie dich rettet."

"Wie?"

"So siehst du aus. Mit dem weißen Zeug." Der Typ sah Kai kurz ins Gesicht und schnippte gegen das durchsichtige und mittlerweile verschwitzte T-Shirt.

Kai verzog errötend den Mund. 'Soll das eine Anmache sein?!' Er schielte auf den anderen, der ihn zielstrebig in einen dunkleren Raum schleifte. "Das ist der Chillout. Du musst dich nur mal hinsetzen, dann geht es gleich wieder."

Grünes und blaues Licht beherrschten den Raum. Die Bässe vom Nebenraum vibrierten zwar noch mit, aber man konnte sich unterhalten. Die Dunkelheit und Kühle gepaart mit seiner Müdigkeit, vielleicht vom ungewohnten Alkohol, ließ Kai frösteln und gleichzeitig verhalten gähnen.

Sie fanden eine Ecke, in der niemand saß und Kai wurde auf das niedrige Sofa geschoben. "Was trinken?"

Kai nickte und der andere verschwand, um mit einer Cola zurückzukommen. Er beobachtete Kai beim Trinken und bot ihm dann noch eine Zigarette an. Als Kai ablehnte, steckte er sich eine an und setzte sich dicht neben ihn. Ihre Knie berührten sich eben gerade. "Du bist nicht oft hier, hm?"

Kai schüttelte abermals den Kopf. 'Verdammt, das ist eine Anmache!' Er besah sich den Typen und erschauderte ein wenig. 'Gott, sieht der cool aus! Wenn der mich einmal im Licht sieht, dann bin ich tot.'

Nervös sank er noch weiter in sich zusammen, bis ihm sein Retter unverhofft das halbleere Glas weg nahm und einen Schluck trank, bevor er dicht an Kais Gesicht fragte "Bist du immer so schweigsam?"

Kai wollte eine gezwungen nette Antwort geben, obwohl ihm gerade nicht danach war, aber der andere zog ihn mit einem Arm an seinen aufgeheizten Körper und raunte an Kais Ohr "Macht nix, brauchst nichts zu erzählen."

Kai erstarrte einen Augenblick, dann gab er seufzend nach und lehnte das Gesicht an die warme Haut. Eine Hand schob sich sofort unter sein T-Shirt und strich ihm über den Rücken, der Wirbelsäule folgend.

Kai zögerte, es tat gut, dass er einmal bekam, wovon er träumte. Sollte er sich dem hingeben oder dagegen kämpfen? Eigentlich wollte er ja nur von einem bestimmten…

Der Mann flüsterte leise und eine neue Gänsehaut erzeugend "Du fühlst dich genauso gut an, wie du aussiehst.", und küsste Kais Ohr entlang. Eine Gänsehaut jagte über seinen Rücken und das fällte die Entscheidung zu Gunsten der Hingabe. Er drehte sein Gesicht und ließ ihre Lippen zusammentreffen.

Der Typ schmeckte nach Zigaretten, aber es störte Kai nicht. Er wollte ihn schmecken und öffnete den Mund, um mit der Zunge gegen die Lippen des anderen zu streichen. Damit eröffnete er eine längere Knutscherei, die sie erst nach einer Weile abbrachen.

Sein Flirt tat als nächstes etwas, womit Kai dann doch nicht gerechnet hatte. Mit der einen Hand knöpfte er die Hose von Kai auf, während die andere Hand hinter Kais Rücken zielstrebig unter die Hose und Shorts in den neugewonnenen Freiraum eindrang.

"Hey! Ich… hey!"

"Sch… das ist schon okay" Eine große Hand umfasste Kais Po und hob ihn auf den Schoß, eine Hand begann seine Haare im Nacken zu kraulen und Kai sank hilflos gegen ihn und ließ sich streicheln und küssen.

'Das ist zu gut. Dazu kann man nicht 'nein' sagen,' argumentierte er schläfrig mit seinem Verstand herum. Er verfolgte die Berührungen der Finger auf seinem Po und registrierte, wie empfindlich seine Haut dort war.

Erst als er zunehmend merkte, wie erregt sie beide waren, schaltete sich sein vernachlässigter Verstand ein. "Ähm, hier ist es doch… Ich meine die anderen." Kai bemerkte es erst jetzt. Direkt neben ihnen saßen Leute!

Der andere Typ grinste an seinem Gesicht. "Dann lass uns wo anders hingehen, Engelchen."

Kai nickte und knöpfte hastig seine Hose zu. Im nächsten Moment hob er sich erinnernd den Kopf und murmelte "Ich bin mit zwei anderen gefahren, die ich verloren habe. Die fahren erst um sieben." Es war gerade drei Uhr, wie er zu seinem Entsetzen sah.

Der andere sprang auf und zog ihn mit sich. "Komm mit, ich weiß was besseres, als hier rumzuhängen."

Der Typ nahm ohne Scheu seine Hand und zog ihn im Eingang in seinen Arm und mit zum Parkplatz. Kai ließ sich benommen mitschleifen. Er spürte die Finger durch den Stoff der Hose auf seinem Po streicheln und erschauderte leicht.

"Wie heißt du eigentlich?"

'Wir kennen uns ja gar nicht! Ich kann nicht glauben, dass ich das tue!' "Kai, und du?"

"Lukas. Ist'n blöder Name."

"Nein, nein! Finde ich gut."

Sie blieben doch tatsächlich vor dem violetten Bulli stehen, den Lolli zuvor bewundert hatte. Kai erklärte den Zufall und Lukas erbot sogleich, dass sie ja hier auf die anderen warten könnten. Gemeinsam verfassten sie einen kurzen Zettel, den sie hinter einen Scheibenwischer am Golf von Frank klemmten. Sie tranken noch etwas, schwiegen sich an.

Auf Kais Frage nach dem Lack vom Bulli gab Lukas stolz zu, dass das Design von ihm selber stammte. "Ist ein Hobby von mir", erklärte er und zog die Tür auf.

Im blassen Licht der Straßenlaterne sah er noch geiler aus, mit noch immer nackter Brust und von der Kälte am Morgen anscheinend unbeeindruckt, während Kai mit seinem T-Shirt ein wenig fror. Lukas schien schon ein wenig älter zu sein. Kai überlegte, wie er ihn danach fragen konnte, ohne es wie Ausfragen aussehen zu lassen. Dieser Typ schien nicht viel von Gesprächen zu halten. 'Pah! Reden kann ich ja auch mit Jan, verdammt!' dachte er dann jedoch bei sich und verschob alle Fragen.

"Kletter rein und zieh die Schuhe aus. Hier kann man es ganz gut aushalten."

Im hinteren Teil des Bullis lagen mehrere Decken, Kissen und Schlafsäcke auf einem Stück Teppich.

"Ich bin erst aus dem Urlaub gekommen und deswegen liegt das Zeug hier noch. Nur, dass du nicht sonst was denkst von mir", entschuldigte sich Lukas lachend und trat, Kai beobachtend, noch seine Zigarette aus.  

Kai krabbelte auf die Liegefläche und wurde sogleich von Lukas zugedeckt, der einen Schlafsack über sich und ihn zog. Die Tür des Bullis rollte zu und sie befanden sich in angenehmer Dunkelheit. Kai fand kaum Zeit zum Nachdenken, so rasch fiel Lukas wieder über ihn her. Sie küssten sich noch eine Weile, aber Kai spürte schon bald, dass er wieder ausgezogen wurde. Das T-Shirt landete jedenfalls umgehend in der Ecke.

Er begann vor Aufregung zu zittern. Er hatte es noch niemandem erzählt, aber das mit Jan war so ziemlich sein erstes Mal gewesen. Er war schwul, das wusste er, aber eben nicht aus praktischen Erfahrungen heraus. Einmal hatte er einen anderen geküsst und einmal hatten er und ein anderer Junge sich gegenseitig gestreichelt, es zählte irgendwie nicht. So ernsthaften, wirklichen Sex hatte er nur allein gehabt. Bis auf das eine Mal mit Jan… 'Wenn dies doch Jan sein könnte… Idiot! Daran denke ich jetzt gar nicht! Ich darf ja wohl auch mal Spaß haben!' befahl sich Kai energisch, aber zuckte dennoch unsicher, sobald der andere sich weiter wagte.

"Sch. Ich tu dir nix, Kleiner", vernahm er nach einer Weile, während kräftige Finger sich in den Bund seiner Shorts hakten, um diese herabzuziehen. Bald drauf spürte Kai, wie der andere seine Brust entlangküsste, abwärts. Dabei zog er Kai die Hose aus, nicht besonders geduldig, aber gerade die ruppige Art machte Kai noch mehr an. Lukas' Zunge dippte in seinen Bauchnabel und er ächzte leise. "Hey, wie nett. Dir gefällt, was ich tue?"

Er wurde einige Male recht derb gestreichelt und stöhnte leise auf. Im nächsten Moment spürte er eine warme, feuchte Zunge und japste nach Luft. Kai wand sich unter dem festen Griff, der seine Hüften auf den Schlafsack gedrückt hielt. Kühler Atem wurde über die feuchte Haut geblasen und Kai erschauderte heftig, fing an mit den Zähnen zu klappern. Erst nach und nach entspannte er sich. Das machte ihn nach einer Weile wirklich an. Er begann sich gegen die Finger zu bewegen. Die Berührungen wurden fordernder und schneller. Kai war kurz davor, als der andere aufhörte und sich ein wenig zurücksetzte. Wimmernd hielt Kai seine Hand fest, griff blind nach ihm und öffnete schließlich verwirrt die Augen.

Der andere zog sich aus. 'Verdammt, das sieht mir ernster aus. Will ich das? Will ich das?! Was will ich denn überhaupt?' In seinem Kopf entstand keine geordnete Antwort. "Ich… ich hab…"

Lukas streichelte Kai weiter und unterbrach seine Gedanken. Kai konnte nichts weiter tun, als sich in den Schlafsack krallen, aufgeregt und zugleich ängstlich wartete er ab. Er sprang fast auf vor Schreck, als kaltes Gel seine aufgeheizte Haut berührte. "Sch… nicht erschrecken, du wirst das mögen."

"Ich habe… nicht…"

"Schon gut, ich bin vorsichtig."

Das war im Grunde gelogen, vorsichtig war dieser Lukas ganz und gar nicht, aber er streichelte Kai dennoch viel zu richtig, um sich dagegen wehren zu können. Rasch ergab Kai sich in den Wirbel der Gefühle. Er wollte sich gleich darauf eigentlich nur noch ankuscheln und im Schlaf versinken. Er fühlte sich herrlich.

Das jedoch änderte sich, als der andere Mann dann doch aufhörte, nur etwas für Kai zu tun und stattdessen nun nur noch an sich zu denken begann. Es war nicht nur nicht gut, es war unglaublich schrecklich. Erstarrt krallte Kai sich in den Schlafsack, unfähig etwas dagegen zu tun, sich zu wehren oder auch nur etwas zu sagen. Seine Schweigsamkeit fiel dann doch auf. Lukas beugte sich unangenehm dicht über ihn. "Hey, alles okay?"

Kai biss mittlerweile auf den Schlafsack. 'Nein! Nix ist okay! Hör auf! Lass mich los!' Kai konnte es nicht sagen, nur den Kopf schütteln. Was in all diesen Pornos von Frank so leicht und so geil aussah, war in Wirklichkeit Betrug! Niemand konnte so etwas toll finden! 'Vielleicht wird es gleich besser?'

Das passierte nicht. Denn als Lukas begann, sich zu bewegen, wurde es noch schlimmer. Kai wurde übel. 'Das ist megaätzend! Scheißescheißescheiße…!' Kai fühlte sich mit einem Mal benutzt und hilflos. Er brachte kein Wort heraus, betete stumm fluchend nur noch, dass es aufhören mochte.

Das tat es allerdings erst nach einer ganzen Weile. Gleich darauf wurde Kai freigegeben und blieb hilflos in der plötzlichen Kühle liegen. Zwischen ihren Körpern hatte sich ein Schweißfilm gebildet, auf dem die kalte Luft im Bulli wie Eis schnitt und Kai zum Zittern brachte, als Lukas sich gleich drauf von ihm fortrollte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, sein Körper war beleidigt, sein Herz redete nicht mehr mit ihm, er fühlte sich verraten und war sich nicht sicher, von wem. Lukas? Von sich selber?

Sie schwiegen einen Moment lang. Kai wurde zu seiner maßlosen Erleichterung bewusst, dass Lukas an ein Kondom gedacht hatte. Endlich vernahm er nach einem Seufzen "Entschuldige bitte. Ich hätte nicht gedacht, dass du es nicht mögen wirst, nachdem du zuvor so abgegangen bist. Ich war zu derb. War zu schnell, nicht? Tut mir leid. Ehrlich."

Lukas zog ihn zu sich, sein Arm zog Kai an die warme Brust und der lehnte sich verwirrt an, wollte wütend sein, aber konnte es nicht wirklich. "Verzeihst du mir?"

Kai sah ihn nicht an, sondern sog den Geruch ein, hing schlaff in seinem Arm, nicht fähig sich zu rühren. Endlich nickte er leicht. Die warmen Hände streichelten ihn beruhigend über den Rücken und lullten ihn ein. Er zog sich groggy an, sobald Lukas ihn ein wenig los ließ, dann schlief er an ihn gelehnt ein.

Kapitel 5

Kais Erschöpfungsschlaf sollte nicht lange währen. Lolli weckte ihn wenig später. "Hey, hey! Na, Dornröschen, wie geht's?"

Kai gähnte und suchte den Innenraum des Bullis nach Lukas ab. Der lehnte draußen, rauchte und redete mit Frank.

Lolli kroch zu Kai auf den Schlafsack und fragte "Na? Sex? Wie war's?"

Kai errötete bis auf den Hals, das spürte er. "Woran siehst du das denn bitte?"

Lolli grinste und schüttelte den Kopf. "Du bist vielleicht naiv! Komm, wir wollen fahren."

Lukas blickte in den Bulli. "Ich nehme Kai mit", entschied er dann und Lolli grinste noch mehr.

Lukas sah Kai an und informierte ihn "Ich werde jetzt auch fahren. Dir ist kalt, hm?" Er lehnte sich noch dichter zu Kai und zog ihm rasch einen Pullover über den Kopf. Kai sog den Geruch ein, Zigaretten und das Deo von Lukas.

"Ah, gut, dann bis heute Abend, ne? Ich muss erst mal ins Bett!" Lolli sah aus wie eine zufriedene Katze, immerhin war sein Plan ja aufgegangen.

Kai kuschelte sich in den Pullover und redete während der Fahrt nicht viel. In seinem Kopf herrschte ein Wirbel aus ungeordneten Gedanken, der ihn fast ängstigte. Sie frühstückten Fastfood, Lukas lud ihn ein und betonte noch einmal, dass er Kai nicht hatte wehtun wollen. Kai glaubte ihm, aber fragte sich, wie er selber dazu gekommen sein konnte, so etwas überhaupt zu tun.

'Ich bin noch nie darauf aus gewesen, nur mit wem zu schlafen. Davon mal abgesehen, dass mein Misstrauen ja wohl gerechtfertigt war. Das war ja wohl echt scheiße gestern! Und dann ein Onenight, wie ekelhaft! Wie konnte ich nur… ich meine, ich kenne ihn doch gar nicht! Er hätte ja auch sonst was mit mir machen können!' Erschaudernd betrachtete Kai seinen neuen Freund. 'Was sind wir jetzt? Freunde? Geliebte? Wie altmodisch. Was ist das hier eigentlich?!' Er musste Lukas den Weg ansagen, das lenkte ihn ab.

In der Wohnung murmelte er leise, dass er erst mal duschen wolle und Lukas kam einfach mit. Kai betrachtete ihn nun bei Neonlicht und sah zweifelnd an sich herab. 'Verdammt ist der gut gebaut! Und so selbstsicher. Der kann mich nicht wirklich gern haben. Der wollte nur den Sex, so eine Scheiße!' Er fühlte sich benutzt und unsicher. Konnte die Gedanken nicht aufhellen. 'Wieso muss immer ich alles falsch machen?!'

Kai war nach Verkriechen zumute, der andere ließ ihn jedoch nicht in Ruhe, sondern kam zu ihm unter die Dusche. "Hey, was ist denn? Noch immer so schweigsam?" Unter der Dusche begann Lukas ihn langsam einzuseifen. Seine großen Hände glitten besänftigend über Kais Rücken, seinen Bauch und Po, doch Kai war zu müde, um darauf zu reagieren. Und verdammt, es tat noch immer weh!

'Scheiße! Wenn das jedes Mal so ist, dann mache ich das nicht mehr!' Er stutzte und kletterte aus der Dusche. 'Was heißt hier jedes Mal?! DAS will ich nie wieder machen! Das ist ekelhaft!'

In seinem Zimmer krabbelten er und der andere in stiller Übereinkunft ins Bett. Sie blieben nackt, Kai hatte gar nicht die Energie, noch nach Schlafsachen zu wühlen. Lukas zog ihm grummelnd die Decke weg, sodass Kai zu ihm kriechen musste, weil er nicht diskutieren mochte. Von einem Moment auf den nächsten war Kai eingeschlafen.

Er erwachte gähnend von einem sanften Streicheln auf seinem Bauch. Er war erregt, bevor er richtig wach war. 'Das ist nicht fair! Mein Körper betrügt mich!' Langsam erwachend streichelte er den anderen Körper ebenfalls, bis Lukas über ihn rollte und sich zwischen seine Beine drängte. Kai spürte, wie ihn sein Gewicht in die Matratze presste. Er konnte sich nicht rühren, aber genoss das hilflose Gefühl.

Aufstöhnend umfasste er Lukas' Schulter und zog ihn an sich, hob das Becken, um sich gegen ihn zu schieben. Lukas küsste ihn, überfiel ihn regelrecht und nahm ihm die Luft, weil er sich schwer auf Kai legte.

Endlich schob Kai ihn japsend fort und begann sich mit einem Taschentuch abzuputzen. "So eine Sauerei! Eben noch geduscht und jetzt das!"

Lukas lachte auf. "War es das wert?"

Kai grinste wider Willen und gab zu "Irgendwie schon."

Lukas lachte noch viel mehr und kitzelte und knuddelte ihn unsanft.

Kai hechtete in Sicherheit und entwischte ins Bad. Er lächelte sein Spiegelbild an und dachte über diese unverhofft eingetretene Situation nach. Er musste nicht mehr allein im Bett liegen und Frank und Lolli zuhören, sondern hatte selber jemanden. 'Das ist nicht schlecht. Ich mag ihn schon ganz gern.'

Seine Libido tat zufrieden kund, dass sie Lukas auch sehr mögen würde und der innerliche Teufel tanzte um ein beängstigendes Feuer. 'Aber ich bin nicht verliebt… das ist es nicht. Das fühlt sich anders an… Bei Jan ist es anders… Hör auf mit Jan, der will dich nicht!'

Kai senkte den Kopf und rieb sich die Augen. 'Wenn ich Lukas aber nicht liebe, dann ist es nicht richtig, oder doch?' Kai wusch sich ohne hinzusehen und überlegte, was er wirklich wollte. 'Ich will… nicht allein sein. Ja, das bin ich jetzt ja auch nicht mehr.' "Also will ich ihn!" erzählte er seinem Spiegelbild. Sein Po tat weh, verdammte Scheiße.

'Ich muss ihm sagen, dass ich das nicht mag. Wenn ich nicht so angetüdelt gewesen wäre, dann hätte ich ihn das niemals machen lassen!' Zweifelnd überlegte er, ob Lukas ihn nicht nur für eine Nacht gewollt haben könnte.

'Nein er mag mich. Wieso ist er denn sonst hier? 'Sex?' fragte seine Libido schläfrig. 'Nein! Es kann nicht nur Sex sein! Ich muss ihm doch was bedeuten… ich und nicht nur mein… Arsch!' Kai erschauderte bei seinem eigenen harten Gedanken.

'Du bist verdammt unfair! Lass Lukas eine Chance!'… 'gegen Jan?'' höhnte ein weiterer Teufel. Kai schüttelte unwillig den Kopf und nahm sich vor, Lukas zu fragen, wie ernst es ihm war.

Kai kam gerade über den Flur zurück, sah Lukas mit Shorts und nacktem Oberkörper in seiner Tür lehnen, als Lolli die Wohnungstür aufriss, welche Lukas daraufhin halb vor Kai verdeckte. Die Türglocke hatte Kai gar nicht gehört.

"Jajaja! Ich komm ja schon!" Lolli hatte noch seine Schlafsachen an, schien aus dem Bett gejagt worden zu sein. Lukas sah ebenfalls ein wenig zerzaust aus. Kai trug nur ein T-Shirt und seine Schlafshorts, die er soeben beim Waschen aus Versehen nass gemacht hatte und in der Tür stand… 'JAN?!!'

Kai schluckte und starrte von Jan zu Lukas und zurück. Jan stand dort. In alter, zerrissener Jeans, einem Paar Turnschuhen, die schon Löcher aufwiesen und einem verwaschenen T-Shirt. Seine Haare sahen aus wie nach einem Gewittersturm und seine Augen wurden von dunklen Schatten gesäumt. Dennoch war er genau, wie Kai ihn wollte. 'Oh Gott, wieso will ich ihn so sehr?!' Kai konnte sich diese Wirkung von ausgerechnet Jan auf seine Gefühle nicht erklären.

Jan trat den ersten Schritt in den Flur und sah Lolli erstaunt an. "Hab ich dich geweckt?"

Lolli grummelte etwas von "Rave, war ne lange Nacht… so eine Scheiße… wie spät isses überhaupt?"

Dann blickte Jan zu Kai und lächelte, beinahe schüchtern. Kais Magen machte einen Sprung, aber er kam nicht dazu, das Lächeln zu erwidern.

Lolli kickte die Tür zu und Jan und Lukas sahen sich an. Das kostbare Lächeln war ausgelöscht, wie nie da gewesen. Jan hustete einmal und blickte unsicher zu Kai.

Lukas gähnte und streckte sich ein wenig, bevor er kurz nickte und "Morgen", murmelte.

Kai blinzelte und stellte unsicher vor "Das ist Lukas. Jan, ein Freund von mir." 'Mein bester Freund! Ich bin zu feige, selbst so etwas zu sagen!'

"Stör ich?" Jans Stimme war dünn, nicht mehr so selbstbewusst wie sonst. Irgendwie wirkte sie wie ausgewaschen, als hätte Jan keine Kraft dafür.

Lukas tappte ins Bad und ließ es sich nicht nehmen, Kai rasch die Haare aus dem geröteten Gesicht zu streichen. Kai fühlte sich, als ständen seine Wangen in Flammen.

Er starrte auf Jan, nahm Lukas kaum wahr. 'Scheiße Scheiße Scheiße…' Seine Stimme gehörte mit Sicherheit einer außerirdischen Macht. Sie kam ihm entfremdet vor, so unnatürlich ruhig und gelassen, als er erklärte "Ich bin eben erst aufgestanden. Wir waren bis sieben auf 'nem Rave. Ich zieh mir schnell was über, okay?"

Jan nickte, aber wich an die Haustür zurück, als wollte er fliehen.

Noch nie hatte Kai sich so schnell angezogen. Er hechtete förmlich in die Jeans. Voller Angst und Zweifel fragte er sich, was Jan wollen könnte.

Jan saß am Küchentisch und starrte auf Lolli, der grummelnd einen Kaffee kochte. Als Lolli aus der Küche und in Richtung Bad gewankt war, erklärte Jan steif "Es geht um die Feier im Ferienhaus. Ich wollte dich fragen, ob wir deine Anlage haben können."

Kai blinzelte und ließ sich auf den Klappstuhl fallen. Einen Moment lang war es still. Nur die Katzenuhr blickte tickend zwischen ihnen hin und her, dann nickte Kai leicht und murmelte "Klar, gern. Wann ist die Party?"

Lukas kam in die Küche und sagte gähnend "Ich wollte jetzt los. Muss morgen früh raus."

Mechanisch erhob sich Kai und brachte ihn zur Tür. Ihm war bewusst, dass Jan von seinem Platz aus sehen konnte, wie sie sich küssten, dass Lukas seinen Po tätschelte, aber mit einem Mal empfand er es als faire Strafe. 'Wenn er sich nicht um meine Gefühle kümmert, dann kann ich seine auch mal ignorieren.'

Er sah Lukas sogar in die Augen und legte Gefühl in seine Stimme, als er fragte "Rufst du mich an?"

"Klar. Hab dir auch meine Nummer aufgeschrieben, liegt auf dem Bett."

'Soweit, so gut.' Kai schloss die Tür und sah in Jans Gesicht. Gleich drauf bekam er ein schlechtes Gewissen. Jan sah… scheiße aus. Das merkte er erst jetzt. Sorge überflutete ihn. "Ist was mit dir? Was mit ähm… Bianca nicht in Ordnung?"

Jan schüttelte den Kopf. "Bin nur müde", murmelte er abweisend und rieb sich die Augen.

Sie redeten nichts weiter. Kai zog schweigend die Kabel seiner Anlage heraus und stapelte sie Jan in den Arm. Sie brachten die Sachen ohne einen Kommentar in Jans Wagen runter. Er kam noch einmal mit hoch, aber sagte nur noch ein leises "Danke dir, ich rufe an wegen der Party, okay?"

Kai konnte nur nicken.

Jan zögerte an der Tür und starrte Kai aus seinen nun eigenartig dunklen Augen über den Flur hinweg an. "Du… ähm… du kannst gern wen mitbringen", fügte er endlich hinzu.

Jan errötete niedlich bei diesem Vorschlag und Kai lachte. "Ja? Wenn das okay ist für die anderen." Er legte den Kopf schief. "Ist das okay für dich, wenn alle es dann wissen?"

Jan hob die Schultern. "Das wäre ja noch schöner, dass wir dich diskriminieren", spulte er ohne Überzeugung hervor.

"Das könnte auch dich treffen…"

Jan hatte die Klinke der Haustür in der Hand, aber fuhr herum und blaffte "Ich weiß!"

Wieso war Jan jetzt so gereizt? Dazu hatte er doch keinen Grund! Kai bekam ein schlechtes Gewissen, obwohl er sich inständig vorbetete, dass er sein Recht auf eine Beziehung hatte, genau wie Jan, und obwohl er sich sagte, dass Jan hier der unsensible Typ war. 'Okay Vermutlich hat er nun doch ein Problem damit, wo er weiß, dass ich wirklich auch eine Beziehung habe,' fuhr es Kai durch den Kopf, während er auf Jan zuging.

Ursprünglich wollte er nur hinter ihm zuschließen, nun hatte er jedoch das Gefühl, dass Jan gleich eine Diskussion beginnen wollte. Die Spannung ließ die Luft um seinen Körper förmlich flimmern. Kaum war Kai auf eine Armlänge an ihn herangetreten, als er auch schon fragte "Was ist das eigentlich für ein Typ?" Er deutete mit dem Daumen zur Tür.

Kai verzog den Mund. 'Allein der Ton! Das ist ja wohl die Höhe! Ich kann zusammen sein mit wem ich will! Es geht ihn ja wohl gar nichts an!'

Jans intensiver, hitziger Blick unterbrach seine Gedanken, er wurde rot. "Wir… ähm, wir kennen uns noch nicht so gut", gab Kai nervös zu und begann den Saum von seinem T-Shirt zu knibbeln. Gott er hasste es, wenn er so unsicher war!

Jan hob den Kopf noch ein wenig mehr. "So? Aber er übernachtet ja immerhin hier."

"Ach, na und? Eifersüchtig?" schnappte Kai und bereute es sofort.

Jan biss die Zähne zusammen, seine Hand tastete ein weiteres Mal nach dem Türgriff, aber er schien nicht bereit zu gehen.

'Los, sag es endlich!' flehte Kai im Geiste und starrte auf den Boden, auf Jans ausgelatschte Turnschuhe. 'Sag endlich, dass du mich nicht mehr sehen willst. Sag endlich deinen gelogenen Abschied und wir werden uns nicht mehr auf die Nerven gehen!' Kai atmete betont tief ein und aus, obwohl er den Verlust der Freundschaft, den er nun deutlich vor sich sah, wie den Verlust eines Körperteils spürte. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in seiner Magengegend aus.

Wie konnte ein einzelner Mensch ihn nur so durch Glück und Leid jagen, dass sein Körper sich hinterher wie zerrissen anfühlte? Schüchtern ließ Kai seinen Blick von Jans Turnschuhen über die Hosenbeine der alten Jeans hochwandern. Er versuchte es zu vermeiden, aber das Verlangen war da. Er ließ die Blicke streicheln, wünschte, dass es seine Hände sein könnten. Als er auf die zerschlissene Stelle am Knie blickte und dort die mittlerweile sonnengebräunte Haut durchschimmern sah, stiegen ihm die Tränen in die Augen. 'Es ist doch vorbei! Hör schon auf!' schalt er sich schwach, gehorchte dem eigenen Befehl ohnehin nicht. Er wollte hektisch an Jan vorbeilangen, endlich die Tür aufreißen. Er wollte ihn mit einem Mal dringend weg haben, aus seinem Blickfeld schaffen.

Jans Finger lagen noch auf dem Türgriff, als Kai danach griff, und er zuckte nach der Berührung seiner Haut wie verbrannt zurück. 'Oh mein Gott! So eine Scheiße!' Noch immer sprangen kleine Funken bei jeder Berührung durch seine Finger bis in die Magengegend. Es war unerträglich! Und Jan fand einen weiteren Weg, um es noch schmerzhafter werden zu lassen.

Er berührte Kai sachte am Ellenbogen und lehnte sich dichter zu ihm. Kai hörte seinen Herzschlag dröhnen und fühlte sich schwindelig. 'Du musst es nicht nett sagen! Los, dreh dich um und geh!' bettelte er stumm. Jan jedoch raunte heiser "Und? Behandelt er dich gut?"

Kais Herz machte einen Satz. Mit so einer Frage hätte er nie gerechnet. Jans Stimme klang ernst, als interessiere es ihn wirklich. Erstaunt hob er den Kopf und sah in besorgte Augen. Kleine, goldene Reflexe spielten sich darin, schenkten dem Blick Wärme.

Endlich erwachte Kai aus der Starre und nickte knapp. Zu sprechen war er nicht fähig. Hastig senkte er seinen Blick wieder und starrte erneut auf die Turnschuhe hinunter.

Leicht strich Jan ihm darauf einmal den Arm hinauf, bis kurz unter den T-Shirtärmel. "Gut. Ich ruf dich an, wegen der Party." Die Tür klappte und er war fort.

Kai stand angewurzelt vor der Tür, den Blick auf den nun leeren Fleck gesenkt und keuchte. Langsam, wie in Zeitlupe berührte er den Arm, über den Jan eben gestreichelt hatte. 'Was? Er hat… wieso hat er mich das gefragt?! Wieso tut er mir das an?! Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn…!'

Kai stürzte in sein Zimmer. Immer wieder flüsterte er "Ich hasse ihn!" in sein Kissen. Wie konnte Jan ihm das nur antun?! Wollte er ihn noch ewig so quälen?

Er hörte als nächstes nicht von Jan, sondern von Bianca. Zu seinem Entsetzen kam sie bei ihm vorbei, unangekündigt und auf Krawall gebürstet, was typisch für sie war. Ihre Augen blitzten und sie deutete aggressiv auf Kais Brust, während sie zur Begrüßung schon rief "Du weißt es, also lüg nicht! Wo ist er?!"

Kai blinzelte einige Male, dann erst konnte er es zuordnen. Die Zeit reichte für Bianca, um in den Flur zu stürmen. "Du weißt es, also spuck's schon aus! Verarschen kann ich mich allein!"

Kai schüttelte den Kopf und brachte endlich ein "Äh, Jan?" hervor.

Bianca friemelte nervös an ihren Autoschlüsseln herum und lehnte sich an die Wand. Sie starrte Kai ins Gesicht und er quetschte sich hastig an ihr vorbei in Richtung Küche. Bianca regte sich ein wenig ab, da Jan nicht in Kais Wohnung zu sein schien. Sie schnaubte und meckerte ein wenig gelassener "Dass du den Unschuldsengel machst, war klar!"

Kai wurde rot und ärgerte sich darüber. Musste sie immer gleich so aggressiv sein? "Wieso denn? Ich weiß gar nicht, was los ist", verteidigte er sich schwach.

"Jan ist nicht zu mir vorbeigekommen, geht nicht an sein Handy und seine Eltern denken, dass er bei mir ist!"

"Ich weiß nicht wo er ist." Kai latschte in die Küche hinein, um hinter seinem Teebecher Schutz zu suchen.

Bianca folgte ihm, misstrauisch auf ein Ralf König Poster spähend. "Ach so? Ich dachte, dass ihr immer so tight wärt. Geht doch immer nur Kai dies, Kai jenes bei ihm! Also, was ist los, kann er es mir nicht sagen, wenn er Schluss machen will?!"

Kai bekam ein Rauschen auf den Ohren. 'Schluss machen?! Davon war bei Jan nie die Rede!' Um keine Stille aufkommen zu lassen, warf er ein "Vielleicht ist er ja im Ferienhaus."

"Da geht er auch nicht ans Telefon. Ich hab den AB vollgequatscht und überhaupt hat seine Mutter gesagt, dass er sich bei ihnen auch nur einmal kurz über Handy gemeldet hätte. Du musst doch wenigstens eine Ahnung haben. Es kann doch nicht sein, dass du sein bester Freund bist, und ihr nie mal redet! Scheiß Männer! Immer…"

'Wir reden viel zu viel miteinander, statt anderer Dinge', dachte Kai amüsiert und fragte sich, wann Bianca ihren Redefluss unterbrechen musste, um einmal Luft zu holen. Einer der Freunde von Frank hatte einmal die Vermutung gehegt, dass zur normalen Ausstattung einer Frau gewiss auch die Kiemen gehören mussten. Über den Gedanken musste Kai angesichts Jans Freundin unpassend grinsen.

Als er Bianca jedoch so beobachtete, fiel ihm auf, dass sie eigentlich sehr schwach aussah, trotz ihrer aggressiven Art eigentlich eher schutzbedürftig. Sie verwand ihre Finger und strich unablässig mit dem Daumen über den Anhänger am Autoschlüssel. Es war eine Metallplatte, die den heiligen Christophorus darstellte. Siedendheiß fiel Kai wieder ein, dass Jan ihr diesen Anhänger geschenkt hatte. 'Der Schutzheilige der Wanderer.' Mit einem Mal verstand Kai, dass Bianca Jan wirklich wichtig sein musste.

Er betrachtete sie genauer. 'Was hat sie denn, das Jan anmacht?' Kai kam zu dem Schluss, dass Jan etwas an den Augen haben musste. Nichts an diesem Mädchen erschien ihm auch nur annähernd attraktiv. Ihre Art war aufdringlich, ihre Gesten zu hektisch, ihre Stimme war hoch und laut, was sie schrill in seinen Ohren klingeln ließ. Ihre Haare hatten das Rot zu Gunsten eines kranken Orange überwunden, was sie nun blass und müde aussehen ließ. Doch hatte ihre Körpersprache am Tisch, mit dem Autoschlüssel, ihre wütenden Schilderungen, wie Jan sie aussperrte aus seinem Leben, etwas, das Kai ebenso verstehen konnte. Mit einem Mal fühlte er eine gewisse Verbundenheit.

'Sie fühlt sich wie ich. Sie muss genauso down sein. Nur, dass sie es zeigen darf, ich nicht.' Bianca redete mittlerweile ruhiger, im normalen Unterhaltungston. Sie erzählte unaufgefordert, dass Jan so verschlossen sei. Dass man mit ihm nicht über seine Gefühle hatte reden können.

"Ich verstehe das nicht. Ich bin doch nun wirklich nicht die erste Beziehung! Man wird doch mal reden können! Hatte er Probleme? Er hat mir immer nur erzählt, dass er jetzt lernen muss, zum Fußball und so, nie mal, wie er sich fühlt!"

Kai nickte verständnisvoll, zu Erwiderungen kam er eh nicht in den kurzen Pausen, die sie ließ. 'Herrje, hat sie denn keine Freundinnen, die sie trösten können? Ich bin doch die letzte Person, der sie trauen sollte. Sind wir nicht so was wie Feinde?' Kai konnte diesen Vertrauensausbruch zu ihm von ausgerechnet Bianca nicht verstehen. 'Frauen hab ich noch nie verstanden', überlegte er müßig, während Bianca dazu überging, sich über Männer im Allgemeinen aufzuregen. 'Wir sind so was wie Feinde gewesen, anscheinend sind wir nun ja eher Leidensgefährten. So kann's gehen.' In seine Gedanken versunken hatte Kai nicht so aufmerksam zugehört und Bianca erschreckte ihn, als sie nach einer Weile abrupt schwieg.

Sie ergriff den Autoschlüssel. "Ich nerve dich. Du hast wirklich keine Ahnung, wo er ist", stellte sie nüchtern fest. Sie seufzte und sah sich in der Küche um, als realisiere sie erst jetzt den Raum, in dem sie sich befand.

"Zu mir hat er auch nur selten mal etwas gesagt. Er hat nur erzählt, dass er zum Ferienhaus wollte, um dort zu feiern", erzählte Kai endlich leise, eher aus dem Gefühl heraus, dass er etwas für sie tun musste und legte seine Finger einem Impuls folgend kurz auf ihre.

Bianca sah hoch, in sein Gesicht. Dann lächelte sie und schaffte es mädchenhaft auszusehen, gar nicht mehr wie eine Kratzbürste. "Schwacher Trost, wenigstens bin ich nicht die einzige, die er anschweigt, hm? Danke, Kai." Sie wartete, bis er sie nicht mehr berührte, dann erhob sie sich rasch und ging zur Tür. "Wenn du was hörst, sagst du es mir?"

Kai nickte, obwohl er sich nicht sicher war, ob er das wirklich tun würde. Das Telefon klingelte und er winkte ihr erleichtert zum Abschied. Sie war draußen, bevor er sich gemeldet hatte.

Am Apparat war Lukas, der sich erkundigte, ob Kai mit zu einer Party wollte. Er nötigte Kai quasi mitzukommen und versprach, ihn abzuholen. Sie hatten in der Zwischenzeit einige Male kurz telefoniert, Lukas hatte immer schrecklich viel vor. Anscheinend hatte er einen riesenhaften Freundeskreis, zu dem Kai nicht so recht zu gehören schien.

Die paar Male, zu denen sie etwas zusammen unternahmen, waren sie nur zu zweit. Lukas wollte recht rasch auch mit Kai allein sein, was Kai nicht passte. Sie hatten sich zu der Gelegenheit nicht unbedingt im Einvernehmen getrennt. Kai wollte ihn kennenlernen und Lukas wollte eigentlich nur Sex. Das gab Kai nicht gerade das beste Gefühl für die nächste Verabredung. Auch jetzt schloss Lukas mit einem freudigen "Ich komm etwas früher, dann haben wir noch Zeit allein."

Kai gab ein unüberzeugtes "Das wäre schön." zurück.

Und schön war es nicht, ganz und gar nicht. Lukas überfiel Kai, um mit ihm zu schlafen, dieses Mal noch viel mehr gegen Kais Willen. Das Vorspiel hatte Kai wieder gefallen, was folgte jedoch hasste er und wehrte sich angespannt. Seine Signale kamen überhaupt nicht bei diesem notgeilen Typen an. Er musste es dennoch über sich ergehen lassen. Halb konnte er nicht entkommen, halb hatte er nicht die Energie, um sich überhaupt zu wehren.

Hinterher war Lukas wieder unheimlich freundlich und zärtlich zu Kai. Der hatte jedoch Tränen in den Augen und wollte nicht auf die Party, so sehr ihn Lukas überredete. Ihm fehlte nur der Mut endlich zu schreien und ihn anzufallen. 'Wieso lasse ich ihn das mit mir machen? Das hätte Jan nie…'

Lukas unterbrach seine düsteren Gedanken, indem er ihn an der Schulter rüttelte. "Verdammt! So schlimm ist es nun auch wieder nicht gewesen!"

'Benutzt zu werden? Gegen den Willen?!' Kai drückte sein Gesicht in das Kissen und schwieg. 'Jan hat mich gefragt, ob er mich gut behandelt. Nein! Tut er nicht! Wo bist du, wenn ich dich brauche?… Jan.'

Er antwortete solange nicht auf die einschmeichelnden Fragen, bis Lukas wütend fortging. Dann brach Kai in Tränen aus und dachte in einem ewigen Kreislauf an Jan. Der Kreislauf begann immer mit dem ersten Kuss und endete im schwarzen Nichts. Dazwischen versuchte Kai sich auf verschiedenste Arten vorzustellen, was passiert wäre, wenn Jan nicht auf Lukas getroffen wäre. Früher oder später jedoch stürzten die Träume ab, immer aus einem anderen Grund, aber immer fühlte Kai sich schlechter.

Kapitel 6

Lolli unterbrach den Kreislauf am nächsten Morgen, indem er Kai das Telefon reichte. "Deine Hete…" Kai seufzte und versuchte sich möglichst neutral zu melden.

Jans erste Frage war jedoch "Wasn los? Du klingst krank."

Kai biss sich auf die Lippe, aber seufzte dennoch auf. 'Wieso kennst du mich so gut?' Ärgerlich über seine Schwäche murrte er ausweichend "Hab Halsweh."

Das war die Wahrheit. Dass diese Halsschmerzen von seinem Geheule in der letzten Nacht kamen, das musste er Jan ja wohl kaum auf die Nase binden. Jan klang mitfühlend, als er zurückgab "Mist, ausgerechnet im Sommer. Dann willst du nicht am Wochenende hoch kommen, zum Ferienhaus?"

Kais Mund wurde trocken. 'Scheiße! Die verdammte Party hab ich vergessen! Das steh ich nicht durch! Das steh ich nicht durch. NEIN, will ich nicht!' Er überlegte nervös, während Jan keine Antwort als Zusage wertete und ihm den Weg beschrieb. Endlich unterbrach Kai ihn an einer Autobahnabfahrt, indem er leise sagte "Bianca war hier, hat nach dir gefragt."

Es war einen Moment still, dann erwiderte Jan "Aha. Was wollte sie denn?" Es klang genervt.

"Sie wollte wissen, wo du bist, weil du dich nicht meldest." Kai schloss die Augen und fragte sich, wieso er diese Chance nicht wollte. 'Wenn er sich mit der Tante gestritten hat, dann braucht er doch jemanden, der ihn tröstet. Ich bin doch perfekt dafür und er hat mich eingeladen und ich könnte am Strand rumliegen, mich von meinem Gewissen gemütlich quälen lassen…'

Jans Stimme klang rau, als er Kais Gedanken unterbrach. "Ich hab Schluss gemacht."

Kai riss die Augen auf. War das jetzt ein wahr gewordener Traum? War dies seine Chance? Oder war das ein Tor zum nächsten Alptraum? Unzusammenhängend fragte er "Aber wieso? Hat sie denn… Ich meine… war was?"

Jan atmete ein, es klang, als wolle er zu einer Rede ansetzen, dann stieß er jedoch nur ein gepresstes "Ja." hervor.

Kai zappelte am Telefon herum, knautschte das Kabel und murmelte endlich "Aber du willst es mir nicht sagen, schon okay"

"Nicht am Telefon. Kommst du also hoch?"

Kais Gedanken rasten. 'Das geht nicht! Das ist nicht fair! Ich bin keine verdammte Abreagiere! Er will mit mir reden! Nur beschissenes Reden kann ich nicht mehr ertragen, verdammt noch mal!' Er wagte nichts von dem zu sagen, sondern warf schwach ein "Ich hab kein Auto."

Jans Stimmung war nicht so gut. Er motzte darauf nur "Dann fahr mit der Bahn! Also, willst du, oder nicht?!"

"Hey, schon gut. Ich könnte ein paar Tage am Strand gebrauchen."

Jan atmete hörbar aus und murmelte "Sag mir den Zug, den du nimmst, auf mein Handy. Ich hol dich ab." Damit legte er auf und Kai stand eine ganze Weile starr im Flur und vergaß den Hörer aufzuhängen.

Kai musste erst Dienste tauschen, seinen Eltern ein Kaffeetrinken absagen und seine Badesachen stundenlang suchen. Da er schnell verbrannte, verbrachte er ungern Zeit am Strand.

Mit pochendem Herzen hockte er im stickigen Zugabteil und ließ Horrorszenarien vor dem inneren Auge ablaufen.

Lolli hatte ihn gegeißelt, weil er sich schon wieder auf Jan stürzte, woraufhin Kai Lolli seine Meinung von Lukas gesagt hatte. Bei dieser Gelegenheit kam raus, dass Lolli und Frank das ganze Treffen zwischen den beiden geplant hatten und beide Lukas schon kannten und ihn und Kai sozusagen verkuppeln wollten.

Kai rastete aus und schrie seinen geschockten Mitbewohner an, dass er sein Leben auch gut allein regeln könne, vielen Dank, und dass Lukas ein brutaler Mistkerl sei, auf den Kai gut und gerne für immer verzichten wolle. "Und wenn wir die letzten beiden Menschen auf der Erde wären, verdammt noch mal!"

Lolli tat beleidigt und hatte diese Meinung mit Warpgeschwindigkeit an Lukas weitergegeben. Daraufhin hatte Kai ein unerfreuliches Telefonat mit Lukas und begann in dessen Verlauf zu seinem allergrößten Ärger auch noch zu heulen.

Lukas war am Telefon nicht nur viel zu nett und wirkte geknickt, er stellte auch noch fest, dass Kai ja etwas hätte sagen können. Kai überlegte am Ende sogar, ob er nicht vielleicht wirklich schuld war an all den Missverständnissen.

Lukas beendete das Telefonat mit einem recht bissigen "Ich würde dich ja trösten kommen, Engelchen. Leider habe ich den Verdacht, dass du eh nur an den anderen denkst und deswegen nicht mit mir reden willst."

Kai konnte darauf nicht mehr antworten und lag in der Nacht heulend im Bett und hatte unbändige Angst vor dem Wochenende mit Jan und seinen gottverdammten Fußballfreunden.

Als der Zug langsam, mit widerlichem Kreischen der Räder, zum Stehen kam, musste Kai sich überwinden, seine Rucksäcke zu greifen. Am liebsten wäre er sitzen geblieben und zurückgefahren.

'Das halte ich nicht viel länger aus. Aber egal, dann raste ich halt aus! Dann wollen wir mal sehen, ob Jan noch zu mir steht, wenn ich vor allen anderen schreien muss.'

Auf dem kleinen Bahnsteig war viel Betrieb, etliche Gruppen von älteren Fahrradausflüglern und Familien mit plärrenden Kindern drängten sich zwischen den Einheimischen, die nur von der Arbeit nach Hause wollten. Noch stand die Sonne ungetrübt am Himmel, aber ein kühler Wind kündigte an, dass es in der Nacht frischer werden würde. Kai kniff die Augen zusammen und fischte nach der Sonnenbrille. Natürlich hatte er seinen Rucksack bis zur Oberkante vollgestopft. Wenn er nur zu packen gelernt hätte! Seine Zahnbürste würde er gewiss nie wieder finden!

Er sah sich suchend um. Solche Situationen hasste er. Man war allein, es war laut, hektisch und niemand beachtete einen, alle hatten ein Ziel und man selbst stand im Weg. Gerade als er zum zweiten Male einen Fahrradlenker in die Seite gestoßen bekam, sprach Jan ihn an. "Du willst aber nicht ein Jahr bleiben, oder?"

Kai fuhr verwirrt herum und starrte Jan ins Gesicht.

Der trug eine Sonnenbrille und grinste. "Ich hab noch nie jemanden mit so einem Rucksack losziehen sehen für ein Wochenende", erklärte er und ignorierte, dass Kai stumm mit rotem Gesicht vor ihm stand. Er griff nach dem zweiten, kleinen Rucksack, den Kai noch in der Hand hielt. "Komm, es ist nicht weit."

Das Ferienhaus lag in einer Sackgasse, von wo ein Radweg zum Strand führte. Es war ein Reihenhaus, links und rechts von Jans Wagen standen ebenfalls Autos mit ortsfremden Kennzeichen. "Die anderen haben kleine Kinder. Ein grauenhaftes Geplärre den ganzen Tag." Wie auf Kommando schrie ein Kind im nächsten Moment, dass es nicht zum Strand wollte, sondern fernsehen.

Jan schloss grinsend auf und brachte den Rucksack von Kai gleich in ein Zimmer in den ersten Stock hoch. Ein Kinderzimmer, mit zerkratzten Möbeln und Fußballpostern. "Das war früher mein Zimmer. Du schläfst hier. Ich schlafe im Zimmer von meinen Eltern."

Kai betrachtete die Kinderfotos von Jan, die in einem Rahmen angeordnet waren. "Danke. Ist die Party noch nicht heute?"

"Nein, ich hatte keine Lust zu feiern."

Kai kniff die Augen kurz zusammen, langsam dämmerte es ihm und ihm wurde heiß und kalt. "Ich bin der einzige, der jetzt hier ist?"

Jan lachte leise auf. "Hast du Angst vor mir?"

Kai senkte den Kopf und war zu erschöpft, um zu lügen. "Ja. Und ich denke, dass du weißt warum." Gleichzeitig fühlte er sich stark. Er war immerhin hierher gekommen, weil Jan es wollte. Was also hatte er zu verlieren? Was immer passieren mochte, würde passieren, weil Jan es wollte. Er konnte sich treiben lassen.

Jan antwortete nicht auf diese Feststellung, sondern wechselte das Thema. "Lass uns was essen und noch mal zum Strand gehen, bevor es zu kalt wird."

Kai murmelte etwas von "…suche meine Sachen zusammen, komme gleich." Er ließ sich auf das Bett fallen, sobald er die Schritte von Jan auf der Treppe hörte.

"Scheiße!" 'Scheißescheißescheiße… So ein verdammter…' verdutzt hob er den Kopf und starrte auf die Bilder um sich her. "Was will er denn überhaupt von mir?" Kai fragte es sich zwar nicht zum ersten Mal, aber zuvor war er noch von der Party mit den anderen ausgegangen und hatte sich nur gefragt, wieso Jan noch immer zu ihm stand. Nun war er allein hier. Hier war niemand vor dem Jan zu ihm stehen konnte, niemand dem er starrköpfig beweisen konnte, dass er offen war, niemanden diskriminieren wollte. Was also sollte das jetzt? Und dann dieses eigenartige Verhalten Bianca gegenüber.

Aus leidvoller Erfahrung wusste Kai, dass Jan keinem Streit aus dem Weg ging, dass er da sehr starrköpfig war und die Meinung vertrat, dass man jedes Problem durch ein Gespräch klären konnte. Wieso hatte er dann nicht mit Bianca geredet? Wieso hatte er das nicht ausdiskutiert? "Scheiße, muss er ausgerechnet immer mit mir reden wollen?"

Langsam, um Zeit zu gewinnen, durchsuchte Kai seinen Rucksack nach seinen Schlafsachen und einem frischen T-Shirt. Er fand stattdessen die Flasche Wein, die er zur Party mitbringen wollte. Er zog sich ein anderes T-Shirt über und hatte im Endeffekt seine ganzen Sachen auf dem Fußboden verstreut. 'Egal, wenn ich heute Nacht vor Depressionen und geilen Gedanken nicht schlafen kann, dann bleibt noch genug Zeit zum Aufräumen.'

Müde und ein wenig ängstlich schlurfte er die Treppen runter zur Terrasse. Jan war im Gegensatz zu ihm selbst sehr ordentlich, das stellte Kai mal wieder fest. Der Tisch war richtig gedeckt, der Käse und die Wurst waren sorgfältig in Dosen verstaut und Jan hatte sogar Tee gekocht, der auf einem Stövchen dampfte.

"Ich hoffe, dass du Hagebuttentee magst. Den trinken wir hier oben, seit ich klein war", entschuldigte sich Jan und lächelte ein wenig.

Kai plumpste schwach auf die Bank und kaute auf einem Käsebrot, ohne den Geschmack wahrzunehmen, während Jan leise über die neugierigen Nachbarn lästerte. Mit geübten Bewegungen räumte Jan den Tisch ab und stellte alles fort, bevor er Kai zurief, dass dieser an eine Jacke denken solle. "Es wird nachts schweinisch kalt!" Jans Blick fiel auf die Weinflasche, die Kai in die Küche gestellt hatte. "Hey, die nehmen wir mit."

Sie gingen schweigend über die Trampelpfade zum Strand, bis zu den Strandkörben. Stumm flehte Kai, dass Jan endlich mit dem vermaledeiten Reden anfangen sollte. Dieser tat es auch, nachdem sie sich in einen Strandkorb gesetzt hatten.

Schüchtern rutschte Kai an die Lehne, weg von der Körperwärme, die Jan abstrahlte, weg von dem Geruch, den er so liebte. Schweigend beobachtete er, wie Jan die Flasche aufzog und genoss den frischen Wind und den Salzgeschmack, den er bereits auf den Lippen hatte.

Mit seinem Überschuss an Phantasie konnte er sich den leicht salzigen Geschmack von Jans Haut in sein Gedächtnis zurückrufen. Er schloss gepeinigt die Augen, um dieses Gesicht, diese Hände nicht sehen zu müssen und wartete auf Jans Stimme, auf die schrecklichen Worte.

Als erstes stellte Jan jedoch eine Frage, und diese ließ Kai fast einen Satz machen. "Wie hast du gemerkt, dass du schwul bist?" Kai schluckte und blinzelte verwirrt. Verdammt, wieso fiel es Jan so leicht, eine solche Frage zu stellen? Allein das Wort 'schwul' auszusprechen. "Was?"

Jan reichte ihm die Weinflasche. "Oder magst du nicht darüber reden?"

Kai schüttelte den Kopf und trank mechanisch. "Doch… warum… willst du das wissen?"

"Ich hab zuerst gefragt."

Kai seufzte und trank noch einen Schluck, dann erklärte er so nüchtern wie möglich "Ich war mir dessen immer sicher. Ich mag Frauen nicht… manchmal… manchmal machen sie mir fast Angst."

"Aber woran siehst du, dass du schwul bist?" bohrte Jan weiter.

"Ich… ich denke nun einmal nur an Männer. Es macht mich nicht an, eine nackte Frau zu sehen."

"Gar nicht?"

"Gar nicht."

Jan hob eine Augenbraue. "Wann hast du es gemerkt?"

Kai linste zur Seite. 'Was wird das denn hier? Feldstudien?' Folgsam antwortete er "Ich war etwa zwölf, da hab ich mich für andere Jungs zu interessieren begonnen, da hab ich es gemerkt. Meine Mutter hat es vorher schon geahnt. Sie hat mir einmal erzählt, dass es ihr bewusst geworden ist, weil ich im Sandkasten mit den anderen Jungs nicht die Kanäle und Dämme gebaut, sondern lieber einen Sandkuchen gebacken hab."

"Und? Sind sie… schockiert gewesen?"

Kai schüttelte den Kopf. "Meine Mutter nicht. Sie hat es nach einer Weile akzeptiert, aber sie hat mich ständig am Wickel gehabt, als alle mit AIDS anfingen. Sie ist Krankenschwester, deswegen vielleicht…"

Er lächelte in Gedanken an ihre peinlichen Gespräche über Sex, da sein Vater sich stets geweigert hatte, dieses Thema mit seinem Sohn zu bereden. Er senkte den Kopf und murmelte leise "Mein Vater ist Fußballtrainer in unserem Verein im Dorf, für ihn bin ich eine einzige Enttäuschung." Von dieser Erinnerung ermüdet schwieg er.

Jan trank einige Schlucke und sah den bettelnden Möwen zu. Endlich hielt Kai es nicht mehr aus. "Warum hast du gefragt?" Er ließ seine Stimme ein wenig genervt klingen.

Jan schreckte hoch und reichte ihm die Flasche zurück. Er stellte ein Bein auf die Sitzfläche und drehte sich halb zu Kai um, lehnte den Kopf in seinen Arm gegen die Rückenlehne des Strandkorbes. "Als ich dich angesprochen habe, hattest du mich schon bemerkt?"

Kai schüttelte verwirrt den Kopf. "Du meinst nach der ersten Vorlesung?"

Jan nickte und fuhr fort "Ich hatte dich beobachtet. Wie du unter dem Arsch von Professor gelitten hast. Wie du seine Show nicht ertragen konntest. Wie du rausgegangen bist. Du hast mich verwirrt."

Kai schloss die Augen. Jans Stimme klang mit einem Mal wieder so warm und dunkel, wie als er ihn gefragt hatte, ob Lukas ihn gut behandeln würde. "Wieso verwirrt?"

Jan zuckte mit den Schultern. "Das ist es ja. Ich hab dich aus Neugierde angesprochen, bin nur so einem Gefühl gefolgt. Als ich dich angesprochen habe und zum ersten Mal in dein Gesicht sah, hab ich gedacht 'Das ist vielleicht ein hübscher Junge.' Das weiß ich heute noch." Er holte Luft und stieß ärgerlich hervor "So was denkt man von 'nem Mädchen, verdammt!"

Kai grinste. "Und wenn, dann nicht von mir…"

"Doch. Bist du wirklich." Jan hob die freie Hand und umschrieb vor Kais Gesicht einen Kreis. Locker sagte er "Dein Gesicht ist total hübsch und deine Augen sind Wahnsinn."

Kai wurde rot. 'Scheiße, was soll das denn jetzt?!'

Jan schwieg einen Moment, dann ließ er die Hand fallen und murrte unzufrieden "Aber du bist ein Kerl."

"Ja, jedenfalls beim letzten Mal als ich nachgesehen habe", bot Kai an, um die Situation zu entschärfen.

Es misslang, weil Jan aufschrie "Warum zum Teufel kann ich nicht mit dir reden, ohne zu denken, dass du schöne Augen hast?! Kannst du mir das mal sagen?!" Jan blickte in die halbvolle Weinflasche und warf sie mit einer ärgerlichen Geste fort.

"Du bist sauer? Auf mich?"

"Ne…ja."

"Weil du meine Augen schön findest?"

Jan schüttelte den Kopf. Seine Haare standen in unmögliche Richtungen ab und Kai musste sich mit Macht davon abhalten, glättend darüber zu streichen. "Aber warum bist du dann…"

Jan hob eine Hand und erklärte leise "Ich hab mit Bianca geschlafen und es ist verdammt schiefgegangen."

Kai zuckte genervt mit den Achseln. "Da bin ich der Letzte, der dir helfen kann."

"Es ist schiefgegangen, weil ich an dich gedacht habe dabei. So!" In einer für ihn typischen Geste verschränkte Jan die Arme und sah Kai herausfordernd an.

Kai spürte sein Herz schlagen. Er fühlte, wie sein Mund trocken wurde, aber er hielt dem Blick stand und wiederholte ruhig "Da bin ich trotzdem der Letzte, der dir helfen kann."

Jan verzog den Mund und atmete aus. Kai fühlte sich von der Atmosphäre zwischen ihnen und vielleicht auch von dem Wein motiviert. Er lehnte sich vor und sagte deutlich, mit genervtem Unterton "Ich kann verstehen, dass du verwirrt bist, weil du mich sympathisch findest, aber mit meinen Präferenzen nicht klar kommst. Ich bin aber keine Abreagiernummer für schwarze Tage. Schon mal überlegt, wie ich mich dabei fühle?!"

Jan schob das Kinn vor und erwiderte stur "Du hast verdammt Recht, dass ich deine Präferenzen nicht leiden kann. Dieser braungebrannte Mallorcaschreck ist ja wohl megascheiße!"

Kai starrte ihn verblüfft an, dann brach er in Gelächter aus, bis er sich die Seite halten musste und fast aus dem Strandkorb fiel. Endlich brachte er japsend heraus "Du bist eifersüchtig! Klasse!"

"Bin ich nicht! Gib es zu. Der ist scheiße!"

"Aber selber. Bianca ist ein Alptraum!"

Jan blinzelte und schluckte einmal, bevor er schrie "Du kennst sie ja gar nicht!"

"Genauso wenig wie du Lukas kennst!" konterte Kai nun auch gereizt.

Jan entgegnete ein wenig unsicherer "Das ist was anderes! Bianca ist…"

"…passend, nicht? Sie ist eine Frau, das ist schon mal genug der Argumente für sie!"

"Nein! Lass mich ausreden, verdammt!"

Kai verschränkte nun ebenfalls die Arme und nickte leicht. "Schön, Reden ist ja eh deine Stärke."

"Was soll das denn heißen?!"

Kai schloss erschrocken die Augen, aber Jan ging zu seinem Glück nicht darauf ein, sondern erklärte noch immer mit lauter Stimme "Bianca ist kreativ, mutig und sehr intelligent! Mit ihr kann man sich wirklich gut unterhalten. Sie ist sportlich, wir haben dieselben Interessen!"

Kai gähnte und machte sich nicht die Mühe, es zu verbergen. Er hatte gewiss keinen Bock auf eine Rede zum Thema 'Bianca ist sooooo toll.'

Jan riss ihn aus der Starre, indem er leiser, aber noch immer bissig bemerkte "Und sie hat sich für mich als Person interessiert. Ich bin mir sicher, dass man mit deinem Mallorcaschreck nicht mal zwei Sätze reden kann, und er sich überhaupt nicht für dich interessiert!"

Kais Herz machte einen Satz, seine Handflächen wurden feucht. Er schluckte leicht. Damit hatte Jan vermutlich Recht, aber das ging ihn doch gar nichts an! Damit ging er zu weit. Kampfbereit meckerte er deswegen zurück "Das weißt du von den fünf Minuten, die du ihn gesehen hast?!" Er hob den Kopf und starrte Jan wütend an. "Es passt dir nicht, dass Lukas wenigstens zu seinen Gefühlen steht und mal was tut anstelle immer zu reden, reden, reden. Reden!"

"Das kann der ja auch gar nicht!!!"

Jan schlug mit der Faust auf den Sitz und seine Augen funkelten. Kai musste grinsen über seine aufgebrachte Art und spürte, dass er gleich wieder lachen würde. "Du bist eben doch eifersüchtig", beharrte er albern.

Jan holte Luft, aber ihm fiel kein geeigneter Konter mehr ein. Nun lachte Kai wirklich über Jan. Seine Anspannung löste sich in dem Lachanfall auf, obwohl Jan ihm mit geballten Fäusten gegenüber saß, empfand er die Stimmung zwischen ihnen als besser. Er blickte glucksend in das aufgebrachte Gesicht. "Eifersüchtig auf den Mallorcaschreck? Willst du darüber reden, hm?" Er rückte vorsichtshalber auf der Bank zurück.

Jan musste wider Willen ebenfalls grinsen und knurrte lediglich leise "Du bist blöd, Kai."

Jetzt lachte Kai erst recht und begann in einem kleinen Singsang zu rufen "Jan ist eifersüchtig auf den Mallorcaschreck…"

Nachdem er es einmal gesungen hatte, haschte Jan nach ihm und meckerte "Sehr komisch, Kai! Ich lach mich tot! Siehst du wie ich lache?! Hey, hör endlich auf!" Kai flüchtete lachend und singend aus dem Strandkorb und Jan hechtete hinter ihm her. "Das ist ja wohl … bleib stehen, du Feigling!"

Nach nur wenigen Metern hatte Jan den bereits keuchenden Kai gestellt und warf ihn zu Boden, um ihm Sand auf die Haare und Brust zu schichten. "Zu Hülfe! Zu Hülfe!" Selten hatte Kai so sehr lachen müssen. Er kam sich schon fast wieder hysterisch vor, während er begeistert und absolut ineffektiv versuchte, Jan den Fang zu erschweren.

Kai konnte trotz seiner Atemnot nicht mit Lachen aufhören, bis er hart auf den Boden gestoßen wurde und in Jans erhitztes Gesicht blickte. Er konnte sich nicht rühren, weil Jan ihn optimal mit seinem Körper niedergerungen hatte und jetzt auf seinen Beinen saß, wobei er gleichzeitig Kais Arme festhielt.

Deswegen wischte Kai sich die Lachtränen mit einer Seitwärtsbewegung des Kopfes am Kragen seiner Jacke ab. Dann begegnete er Jans Blick mutig und grinste. "Willst du mich anmachen? Dann bleib ruhig so sitzen, vielen Dank."

Jan blickte zurück, aber ließ sich nicht reizen, sondern grinste ebenfalls. "Halt deine große Klappe, Kai", raunte er endlich und küsste ihn harsch.

Kai japste überrascht, aber schmolz dahin, legte die Arme um Jans Nacken, sobald dieser seine Hände freigab. 'Das ist ein Fehler!' meldete sein Verstand. Sein Körper ignorierte die roten Warnleuchten und Kai wollte gar nicht hinhören. 'Wahnsinnsaugen, hat er gesagt.' Gleich spürte er Jans Zunge an seinen Lippen. Kai vergrub seine Finger in dem Kragen von seiner Jacke und öffnete gierig den Mund. Er konnte sich nicht entsinnen, wann er je zuvor so glücklich gewesen war, wie in genau diesem Moment.

Jan deckte Kai mit seinem Körper zu, bedeckte seinen Mund mit fordernden Küssen, denen Kai nur zu gerne nachgab, auch wenn er die Sache lieber weniger stürmisch angegangen wäre. Er bekam kaum Gelegenheit zum Atmen. So aggressiv hatte Kai Jan noch nie erlebt.

So, wie er selbst den Lachanfall bekommen hatte, weil er die Spannungen zwischen ihnen nicht mehr ertrug, so schien Jan sich nun mit jedem Kuss abzureagieren. Kai spürte, wie seine Lippen beinahe gewaltsam eingenommen wurden. Er merkte, wie Jan ihn sogar auf die Unterlippe biss. Jan versenkte seine Finger in Kais Haare und fasste hart zu, so dass Kai den Kopf zurückbog, um dem Griff zu entkommen.

'Du brauchst mich nicht festzuhalten. Du besitzt mich ohnehin schon, Jan', fuhr es Kai durch den Kopf, obwohl er ihn noch antrieb. Unbewusst hatte er mit dem einen Arm Jans Hüfte umfasst und drängte sich keuchend gegen ihn, öffnete seine Beine ein wenig. Jan reagierte darauf, indem er sich dazwischen rutschen ließ. Mit dem einen Arm umfasste er Kais Schulter, seine Finger gruben sich schmerzhaft in den Oberarm.

Kai erwachte aus dem Rausch, als er entfernt einige Stimmen hörte. Er ließ Jan los und dieser hob den Kopf. Eine Gruppe von Jugendlichen kam über den Holzsteg und sang Trinklieder. Die Atmosphäre zwischen Jan und Kai schmolz dahin. Sie sahen sich schwer atmend an und trennten sich zögerlich.

Jan strich Kai vorsichtig die Haare aus der Stirn und murmelte "Ich hab dich in die Lippe gebissen, entschuldige." Unsicher berührte er Kais Unterlippe mit den Fingerspitzen.

Kai lächelte leicht und schüttelte den Kopf. "Vergiss es." Er atmete einen Moment lang betont tief ein und aus und wartete darauf, dass Jan sich erhob.

Dieser schielte zu der Gruppe rüber und flüsterte "Halt still. Wir liegen hier gut in Deckung. Sie haben uns nicht bemerkt."

Kai grinste und antwortete ebenso im Flüsterton. "Gut. Küss mich, sonst schreie ich."

Jan lachte leise und küsste ihn weiter. Ruhiger und zarter als zuvor. Verspielt beinahe ertastete er mit seinen Lippen eine Spur vom Mund zu den Augen und rüber zum Ohr.

Kai wurde von einer Gänsehaut erfasst und begann mit den Zähnen zu klappern. Er lehnte den Kopf auf die Seite, worauf Jan mit den Lippen an seinem Hals entlang strich. 'Ich bin tot und im Himmel. Bitte, mach weiter! Für immer, genau so, genau wie jetzt!'

Nach einer Weile waren die Stimmen der Gruppe jedoch verklungen. Jan hörte auf Kai zu küssen, aber stupste ihn leicht auf die Nase und murmelte "Eigentlich würde ich lieber nicht mehr aufhören.", bevor er zur Seite rollte. Erst in dem Moment merkte Kai, wie kalt der Sand unter ihm war und rappelte sich steif zum Sitzen auf.

"Du warst also doch eifersüchtig." Kai grinste schon wieder, aber Jan murmelte ernst "Entschuldige, ich wollte dich nicht…"

"Küssen?"

"Dazu verführen, diesen anderen…"

"… zu betrügen? Wir sind nicht zusammen." Jan blinzelte fragend und Kai fragte vorsichtig "Wolltest du mich etwa schon wieder nicht wirklich küssen? Sag bloß, dass das schon wieder der Alkohol war!"

Jan schüttelte den Kopf. "Nein, das warst nur du. Auch beim ersten Mal, und das weißt du auch."

Kai hielt die Zeit für günstig, um erneut schüchtern zu erröten und ließ sich statt einer Antwort aufhelfen.

Jan klopfte ihn lachend ab. "So kommst du nicht in unser Haus. Du bist ja voller Sand!"

"Ach nee! Und wessen Schuld ist das?"

"Deine. Du hättest nicht so lachen dürfen, nur weil ich ein bisschen eifersüchtig bin."

"Bist? Immer noch?"

Jan hob die Schultern. "Kann's nicht ändern. Ich brauch nur daran denken, dass das alles meine Schuld ist. Wenn ich dich nicht so enttäuscht hätte, dann…"

Kai sah ihn warm an und fühlte, wie er sich noch mehr in Jan verliebte, als er es schon war. Das hätte er nicht für möglich gehalten. "Das ist nicht deine Schuld. Du bist eben nicht sicher gewesen."

"Bin ich noch immer nicht. Eigenartig, hm?"

"Eigenartig ist noch untertrieben."

Jan umfasste Kais Nacken, zog ihn zu sich und küsste ihn noch einmal auf den Mund. "Entschuldige, aber ich…"

"Wir werden das verdammte Reden jetzt erst mal verschieben müssen. Ich bin halb erfroren, und müde bin ich auch", wehrte Kai hastig ab und fischte die ausgelaufene Weinflasche vom Boden auf.

Kai schüttelte den Sand noch den gesamten Heimweg aus den Haaren und Kleidern und ließ sich noch immer lachend von Jan dabei helfen.

"Den Sand wirst du noch zu Weihnachten wiederfinden", stellte Jan trocken fest, als Kai sich die Jacke vor der Tür auszog, um sie auszuschlagen.

"Das war es soooo wert, ist mir egal", gab Kai zurück und bemerkte zu seiner Freude, dass auch Jan einmal errötete.

Als er in Schlafsachen aus dem Bad kam, fragte Jan leise "Willst du bei mir drüben schlafen? Das Bett ist breit genug." Kai nickte nur und hechtete unter die Decke, zu glücklich zum Sprechen und viel zu glücklich zum Denken.

Einige Minuten später löschte Jan das Licht und Kai spürte ihn wenig später neben sich. Schüchtern pirschte er sich an den warmen Körper heran. Abwartend, was Jan wohl tun würde. Dieser schob sein Kissen direkt neben das von Kai und drehte sein Gesicht zu ihm.

"Als du mich geküsst hast, bei euch im Bad, da dachte ich 'Jetzt oder nie.'"

"Was? Wie meinst du das?"

"Ich wollte genau in dem Moment herausfinden, ob ich dich mehr als nur hübsch finde. So hab ich mich noch nie gefühlt."

Kai grinste in die Dunkelheit. "Und Bianca hat rumgenölt, dass du nie über deine Gefühle sprichst. Kann ich nicht verstehen."

"Ich wollte sie nicht mit reinziehen in meine Zweifel. Ich dachte, dass es sich vielleicht legt. Als ich dich und diesen…"

"Sch… nicht aufregen, ja?"

Jan nickte leicht, dann schob er den Arm unter der Decke über Kais Brust. Während er weitersprach, strich er mit den Fingerspitzen über Kais Unterarm. Kai seufzte, genoss diese ungewohnte Zärtlichkeit und kuschelte sich enger an ihn.

"Jedenfalls hatte ich vorgehabt, mit dir über die Nacht zu reden. Ich wollte dich aber nicht – stören."

"Schon okay. Er war ein Arsch."

Jans Stimme bekam einen aggressiven Anstrich. "Ha! Was hat er gemacht!? Du hast an dem Tag schon so eigenartig ausgesehen…"

"Nichts, nichts. Reg dich nicht auf." Kai wurde von einem Glücksgefühl geflutet. 'Jan passt jetzt auf mich auf. Ich kann ihm alles erzählen.' Aber nichts auf der Welt würde ihn gerade jetzt dazu bringen diese Stimmung durch unschöne Erinnerungen kaputt zu machen. In dem Moment, in dem er es sich vornahm, erschauderte er schon leicht, weil ihm wieder einfiel, wie der andere ihn festgehalten hatte, wie er ihn…

"Sag schon. Was war denn?" Jans Lippen berührten fast schon sein Gesicht.

Kai seufzte auf und schüttelte den Kopf. "Nein, nicht heute. Nicht alles auf einmal." Er drehte das Gesicht und küsste Jan vorsichtig auf die Wange. "Es ist zu schön wie es jetzt ist."

Jan hob den Kopf und stützte sich auf. "Hat er dich verletzt?!"

"Bitte, ich erzähle es dir, aber nicht jetzt."

Jan seufzte und ließ sich zurücksinken. "Na gut", grummelte er leise und raffte Kais Körper noch dichter an seinen, um recht bald einzuschlafen.

Kai betrachtete sein Gesicht und dachte nun daran, dass Jan sehr müde sein musste. 'Er hat sich die ganze Zeit gequält. Meinetwegen.' Ohne dass er es wollte, ließ Kai das schlechte Gewissen zu.

"Du musst dich meinetwegen nie mehr quälen", flüsterte er leise und Jan murmelte etwas im Schlaf und schob das Gesicht an Kais Schulter.

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