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Mein geliebter Mülleimer

Teil 9

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Informationen

 

Spätestens nach Weihnachten und Silvester weiß ich, dass Toni recht hatte. Wenn wir zu viel darüber nachdenken, was zwischen uns schief gelaufen ist, können Lukas und ich nicht miteinander umgehen. Dann ist alles verkrampft und wir gehen immer wieder im Streit auseinander. Ja, immer wieder. Wir kommen einfach nicht voneinander los. Sieht so aus, als könnte nichts und niemand unsere Freundschaft kaputt machen. Selbst Claudi nicht, die mich auf den Tod nicht ausstehen kann und Lukas bei jeder Gelegenheit unter die Nase reibt, dass er sich nicht mit mir abgeben sollte. So eine blöde Kuh. Dabei müsste sie so langsam mal geschnallt haben, dass sie bei Lukas nie eine Chance hatte.

Na ja, jedenfalls hab ich es in kleinster Feinarbeit geschafft, dass Lukas und ich wieder so was wie Freunde sind. Zuerst bin ich zwar auf Abstand gegangen, weil ich ein bisschen stinkig war, nachdem er mich nach unserem… äh… Ausrutscher… einfach allein gelassen hat. Aber natürlich hat das nicht lange angehalten. Irgendwas zieht mich immer wieder zu diesem Idioten zurück. Und was ebenfalls klar war, ist, dass dieser Idiot nicht einen einzigen Versuch unternommen hat, Kontakt mit mir aufzunehmen. Ganz kurz war ich in Versuchung, auszuprobieren, wie lange er das durchhalten kann, aber das ist einfach nicht mein Ding. Abwarten ist nicht so meine Stärke.

Das Geld, das ich durch meine Arbeit in der Videothek verdiene, landet schon lange nicht mehr im Uni-Sparschwein, sondern wird in Unmengen an Zugfahrkarten investiert. Am Anfang hat sich das nicht wirklich gelohnt, weil Lukas mich nach spätestens einer Stunde wieder nach Hause geschickt hat, aber mittlerweile hält er es wieder länger mit mir aus. Er hat mich sogar einmal auf dem Unigelände rumgeführt, das mir beinahe wie ein eigenständiger Stadtteil vorkam, so groß und voll war es da. Zu mir ist er nicht ein einziges Mal gekommen. Na ja, wäre wahrscheinlich auch ein bisschen merkwürdig gewesen.

Die Feiertage waren zwar sehr schön und auch ziemlich entspannt und normal, aber auch ganz schön anstrengend für mich. Ich musste mich so zurückhalten, durfte Lukas nicht zu sehr auf die Pelle rücken, ihn nicht länger umarmen als unbedingt notwendig und natürlich schon gar nicht küssen. Aber ein Gutes hatte es auch: Lukas scheint mir wieder ein bisschen zu vertrauen. Jedenfalls geht er wohl nicht mehr davon aus, dass ich jederzeit über ihn herfallen könnte. Ich sehe das etwas anders. Aber bis jetzt scheint dieses alles-auf-Anfang-Ding ganz gut zu funktionieren. Es läuft alles wieder ganz normal zwischen uns. Bleibt nur die Frage, ob ich es noch mal schaffe, dass er so verrückt nach mir wird, dass er mich gar nicht mehr gehen lassen will.

Ach ja… und dann ist da ja noch ein Haken. Dass Lukas mir wieder vertraut und offensichtlich unsere Freundschaft normal weiterführen möchte, ist ja toll, aber muss er mir denn unbedingt erzählen, mit wem er alles ausgeht? Ich will nicht wissen, dass Typ X von der Uni sich gerade das perfekte Sixpack antrainiert, dass Tussi Y Beine bis sonst wo hin hat, und dass Typ Z wahnsinnig gut küssen kann. Nein, absolut nicht. Schlimm genug, dass er sich überhaupt mit jemandem trifft, aber kann er dann nicht wenigstens die Einzelheiten für sich behalten?

„Oh, hallo Janni“, sagt meine allerliebste Claudi, als ich an der WG-Tür klingle.

„So freundlich heute?“, frage ich misstrauisch. Normalerweise besteht unsere Begrüßung, wenn es denn eine gibt, nur aus einem kurzen Grunzen und Augenverdrehen.

„Ist ein schöner Tag.“

„Aha.“ Dem kann ich so gar nicht zustimmen. Es ist schweinekalt und nass draußen, wie es im Februar ja leider öfter vorkommt. „Wo ist Lukas?“

„In seinem Zimmer.“ Sie grinst von einem Ohr bis zum anderen. Da ist irgendwas faul. Eindeutig. „Kannst ruhig reingehen.“

Mir ist ein bisschen komisch in der Magengegend, aber ich gehe trotzdem den Flur entlang und öffne vorsichtig die Tür zu Lukas‘ Zimmer. Eigentlich kann es nur eine Erklärung für Claudis untypisches Verhalten geben. Irgendwas wird hier gleich passieren, das mir überhaupt nicht gefallen wird. Ich schiebe meinen Kopf durch den schmalen Türspalt und sofort ist mir alles klar. Lukas ist nicht allein. Er sitzt auf dem Sessel und vor ihm, mit dem Rücken zu mir, steht ein Junge, der ein bisschen aussieht wie…

„Ach, da ist ja Vollidiot Nummer zwei“, sagt Lukas in einem eisigen Ton.

Was hab ich denn jetzt wieder falsch gemacht? „Wie bitte?“, frage ich und öffne die Tür jetzt ganz.

Der andere Junge dreht sich langsam um und… ja, ich hatte recht. Ich sehe die beiden verdattert an und überlege ernsthaft, sofort wieder nach Hause zu fahren. Das hier kann nicht gut enden und wahrscheinlich wirft es mich in meiner Planung wieder meilenweit zurück. Was fällt diesem Kerl eigentlich ein, hier einfach so aufzutauchen? Wir hatten doch alles geklärt. Warum macht er mir jetzt wieder alles kaputt?

„Hi“, sagt Andreas kleinlaut. Wenigstens scheint ihm diese Situation jetzt auch etwas unangenehm zu sein.

„Dein Freund hier“, sagt Lukas und deutet auf Andreas, „sollte jetzt besser verschwinden. Und du kannst gleich mitgehen. Ihr habt ja praktischerweise denselben Weg.“

„Was? Warum ich?“ Versteht das jemand? Ich nicht.

„Ich höre mir diesen ganzen Schwachsinn nicht weiter an.“

„Was hast du ihm erzählt?“, frage ich seufzend an Andreas gewandt.

„Das könnt ihr auch draußen besprechen“, meint Lukas, steht auf und gibt Andreas einen leichten Schubs.

„Fass mich nicht an!“, zischt dieser und richtet sich vor Lukas auf.

„Hey! Kann mir mal jemand erklären, was hier los ist?“, frage ich, langsam etwas genervt. „Andreas, was willst du hier?“

„Ich wollte nur was klarstellen.“

„Etwas deutlicher bitte.“

„Er meint, dass wir uns nicht mehr sehen sollten, wenn ich schon nichts mehr von dir will“, sagt Lukas. „Ach ja, und dann war da noch was von wegen ich würde dich nur ausnutzen und für andere blockieren.“

Ich starre Andreas ungläubig an. Von Dennis hätte ich so eine Aktion erwartet, ja, aber von Andreas? Er weicht meinem Blick aus. Wahrscheinlich hatte er nicht erwartet, mich hier zu treffen.

„Blockieren?“, frage ich ihn.

„Ja, oder wie nennst du das? Hat er dir ganz klar gesagt, dass zwischen euch nichts mehr laufen wird?“

Ich öffne meinen Mund, um eine Antwort zu geben, aber dann weiß ich nicht, was ich sagen soll. Lukas hat mal zu mir gesagt, dass er nicht weiß, ob er mich noch liebt. Und als ich auf seine Frage hin gesagt habe, dass ich ihn noch liebe, hat er mich nur freundschaftlich in den Arm genommen. Also müsste ich eigentlich mit einem klaren Nein antworten. Aber das kann ich nicht. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich auf Andreas‘ Seite stehe.

„Das muss er gar nicht“, sage ich schließlich. „Wir sind nur Freunde.“

„Dann suchst du dir deine Freunde aber nicht sehr gut aus.“

„Was geht es dich an, mit wem ich befreundet bin?“

„Was tut er denn schon für eure Freundschaft? Er lässt dich doch einfach nur zappeln!“

„Jetzt reicht’s“, schaltet sich Lukas wieder ein und packt Andreas am Arm. „Verschwinde endlich!“

Andreas reißt sich los und gibt Lukas einen kräftigen Schubs, sodass dieser beinahe nach hinten umfällt. Er kann sich gerade noch fangen und geht wieder auf Andreas los. Ich stelle mich schnell dazwischen und versuche, die beide irgendwie auseinanderzuhalten.

„Das alles geht dich einen Scheiß an!“, brüllt Lukas. „Warum verziehst du dich nicht einfach wieder in das Loch, aus dem du gekommen bist?“

„Damit du Jan weiter verarschen kannst?“

„Hallo?!“, mache ich mich bemerkbar und sehe von einem zum anderen. „Ich entscheide immer noch selber, okay? Andreas, es ist besser, wenn du jetzt gehst. Wir reden später noch mal darüber.“ Und ob!

Andreas sieht mich etwas enttäuscht – oder sogar verletzt? – an, wirft Lukas einen drohenden Blick zu und verschwindet.

Lukas schlägt meine Hand weg, die immer noch abwehrend auf seiner Brust lag und setzt sich wieder auf den Sessel. Er ist richtig sauer. „Hast du nicht gesagt, dass du mit ihm alles geklärt hast?“

„Ja, das dachte ich.“

„Hat ja toll geklappt…“

„Kannst du mir mal verraten, warum du mich jetzt so anpampst?“, frage ich fassungslos.

„Vielleicht weil ich nicht unbedingt darauf stehe, von deinem Stalker in meiner Wohnung angegriffen zu werden?! Und dann ausgerechnet er! Dieser Kerl hat alles kaputt gemacht, weißt du das nicht mehr? Und scheinbar hat er es immer noch nicht kapiert. Ich will dieses Arschloch nie wieder sehen, also halte ihn lieber fern von mir.“

„Doch, ich weiß noch, was passiert ist. Und ich dachte wir hätten geklärt, dass wie beide Fehler gemacht haben.“

Lukas antwortet nicht.

„Aber vielleicht haben wir beide doch noch nicht alles geklärt“, stelle ich fest.

Das hier passt wirklich überhaupt nicht in meinen Plan. Eigentlich wollte ich dieses Gespräch noch ein bisschen aufschieben, bis er Zeit genug zum Nachdenken hatte. Okay, ich geb’s zu… ich wollte so lange warten, bis Lukas sich wieder in mich verliebt hat. Aber Andreas hat etwas angesprochen, das mich ziemlich verunsichert hat. Ich muss jetzt wissen wie Lukas‘ Plan aussieht. Warum hat er nie eindeutig gesagt, was er will? Besser ich erfahre es jetzt, falls ich mich die letzten Monate in etwas verrannt habe.

„Was gibt’s denn da zu klären?“, fragt Lukas und stellt sich offensichtlich extra dumm.

„Na, zum Beispiel wie es jetzt mit uns weitergehen soll.“

„Wieso denn weitergehen? Wir sind Freunde, hast du selber gesagt.“

Scheinbar führt das hier zu nichts. Dann versuche ich es eben anders. „Du hast mir nie eine Antwort gegeben.“

„Worauf?“

„Liebst du mich noch?“

„Ich hab gesagt, dass ich es nicht weiß.“

„Weißt du es jetzt?“

„Was soll das alles?“, fragt er genervt und stellt sich ans Fenster. Das macht er immer, wenn er über etwas Kompliziertes nachdenkt. „Bist du etwa auch der Meinung, dass ich dich nur zappeln lasse?“ Er schnauft kurz. Oder sollte das ein Lachen sein? Wie er da steht, erinnert es mich ein bisschen an den Morgen, bevor wir zusammen schwimmen gegangen sind. Aber natürlich ist jetzt alles anders.

„Im Moment weiß ich gar nicht mehr, was du eigentlich willst“, antworte ich.

Er sagt nichts, sondern starrt nur weiter aus dem Fenster.

„Also kannst du mir bitte eine Antwort geben?“

„Warum ausgerechnet jetzt? Das hat dich die ganze letzte Zeit doch auch nicht interessiert.“

„Ich wollte dir einfach nur Zeit zum Nachdenken geben.“

Jetzt dreht er sich auf einmal wieder zu mir um. „Worüber denn nachdenken? Sag mir nicht, dass du die ganze Zeit darauf gewartet hast… dass… ich…“ Er sieht mich mit großen Augen an. Mein Plan ist jetzt also vollkommen im Eimer. „Janni, ich hab dir doch gesagt…“

„Nein, das hast du eben nicht!“, mache ich meiner langgehüteten Frustration Platz. „Du hast nie irgendwas gesagt! Und jetzt gibst du mir auch keine Antwort. Ich hab dir gesagt, was ich fühle, aber von dir kommen immer nur solche Sätze wie ‚Ich weiß nicht‘ und ‚Ich kann das noch nicht‘. ‚Noch nicht‘! Was soll ich denn da anderes machen außer darauf zu warten, dass du dich endlich mal entscheidest?“

„Wir haben uns getrennt, Janni. Ich weiß nicht, was…“

„Liebst du mich oder nicht?“

„Das ist nicht fair. Ich…“

„Liebst du mich?“, frage ich zum gefühlt tausendsten Mal.

„Nein!“, kommt es ganz plötzlich von Lukas und er sieht selber ein bisschen erschrocken darüber aus. „Ich meine… es ist einfach zu viel passiert. Du bist immer noch der wichtigste Mensch für mich, aber…“

„Lass‘ stecken“, sage ich nur noch und will so schnell wie möglich weg von hier. Warum hatte ich mir noch mal so viele Hoffnungen gemacht? Jetzt ist es als würde er ein zweites Mal mit mir Schluss machen. Und dieses Mal kann er lange warten. Ich werde nie wieder versuchen, dass es zwischen uns wieder so wird wie früher. Offensichtlich ist das nicht möglich und damit muss ich mich jetzt abfinden. Er versucht ja nicht mal mich aufzuhalten, als ich ihn in seinem Zimmer stehen lasse und an der breit grinsenden Claudi vorbei auf die Wohnungstür zu laufe. Kein „Janni warte“, kein…

„Janni, warte!“

Nein, das ist die falsche Stimme.

„Lass mich in Ruhe, Toni“, sage ich, ohne mich umzudrehen und renne die Treppe zum Hof runter. Eine Hand packt mich am Arm, aber ich reiße mich sofort wieder los. „Ich mein’s ernst! Misch dich nicht mehr ein!“

Irgendetwas in meinem Blick scheint ihn zu überzeugen und er lässt mich gehen.


Nach Hause zu kommen hat sich als schwieriger rausgestellt, als ich gedacht hatte. Ich war so in Gedanken, dass ich mich auf den Weg zum Bahnhof gemacht und mich erst dort daran erinnert habe, dass ich mit dem Auto gekommen bin. Ich musste also wieder zurück. Und wer hat neben dem Wagen gewartet? Lukas. Er hat irgendwelche Erklärungen von sich gegeben und sich vielleicht sogar entschuldigt, aber ich habe nicht hingehört. Es war mir ziemlich egal, was er sagen wollte. Er hätte alles Mögliche sagen können, es hätte ja doch nichts geändert. Ich hab ihn nicht mal angesehen und bin einfach weggefahren. Er liebt mich nicht mehr. Alles andere interessiert mich nicht.

Unterwegs musste ich einmal an einem Rastplatz halten, weil die Autobahn vor meinen Augen verschwommen ist. Ich hab eine halbe Stunde einfach nur im Auto gesessen und ernsthaft überlegt, so lange in irgendeine Richtung weiterzufahren, bis kein Benzin mehr im Tank ist. Einfach verschwinden. Hauptsache weg.

Ich bin mir nicht mehr sicher, was mich letztendlich davon abgehalten hat. Jedenfalls bin ich jetzt wieder zuhause und packe meine Schwimmtasche. Ich will mich nicht wieder so verkriechen wie das letzte Mal. Der sterbende Schwan liegt mir einfach nicht. Und ich werde – natürlich – nicht wieder zu Dennis gehen. Ich mache das mit mir selber aus. Mit Andreas werde ich reden, wenn ich wieder ein bisschen runtergekommen bin und nicht mehr das Bedürfnis verspüre, meine Faust zwischen seinen Augen zu platzieren. Im Moment finde ich noch, dass sie da ausgezeichnet hinpassen würde.

Im Schwimmbad kann ich mich richtig schön austoben. Es sind nur ein paar eifrige Schwimmer da und eine Hand voll Kinder, die mindestens genauso eifrig in das knietiefe Wasser ihres Beckens pinkeln. Schöner wäre es natürlich im Freibad, aber da muss ich wohl noch ein paar Monate warten. Es ist jedenfalls schön, den Kopf wieder freizubekommen. Ich muss mich nur auf die Bewegung meiner Arme und Beine konzentrieren und darauf, nicht gegen den Beckenrand zu stoßen. Manchmal lasse ich mich sogar einfach nur im Wasser treiben und genieße das Gefühl, ganz leicht zu sein. Die Gewichte, die mich bis eben noch runtergezogen haben, verlieren hier irgendwie ihre Kraft. Sie treiben einfach nur neben mir her. Alles, woran ich in diesem Augenblick denke, ist, dass der Bademeister hoffentlich nicht zu übereifrig ist und mich sofort retten will, wenn ich hier nur so liege. Aber auch dieser Gedanke verschwindet nach einiger Zeit. Ich höre nur noch das Kinderkreischen, über das ich mich nicht mal ärgere, und das Geräusch, das die anderen Schwimmer im Wasser verursachen. Ich starre an die Hallendecke, während mich das Wasser leicht durchschaukelt, und spüre gar nichts mehr. Nicht körperlich und nicht emotional. Alles ist weg und mein Kopf ist leer.

Als ich auf dem Weg nach Hause bin, klingelt mein Handy. Ich gehe ran und höre zuerst nur ein merkwürdig rasselndes Geräusch im Hintergrund.

„Hallo?“, frage ich.

„Janni, wo bist du?“ Das ist meine Mutter.

„Ich war im Schwimmbad. Bin in zehn Minuten zuhause.“

„Gut“, sagt sie und ich höre sie laut schlucken. Da ist wieder dieses Geräusch, aber dieses Mal hört es sich an wie irgendein Tier.

„Was ist denn da los bei euch?“, frage ich verwirrt.

„Marie ist… Andreas hatte einen Unfall und… deine Schwester… Komm einfach nach Hause und sprich selber mit ihr. Sie wartet auf dich.“

„Wieso das denn?“, frage ich, aber meine Mutter hat schon aufgelegt.

Ich bleibe wie angewurzelt stehen und merke, wie auf einmal alles wieder auf mich einströmt. Alles, was ich eben erst so schön vergessen und verdrängt hatte. Alles wieder da. Und dann auch noch das. Andreas hatte einen Unfall. Ich hab sofort ein Bild vor Augen, obwohl ich gar nicht weiß, wie es abgelaufen ist. Und mir schießt sofort eine Frage durch den Kopf: War es wirklich ein Unfall? Scheiße. Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich stecke mein Handy zurück in die Hosentasche und laufe so schnell wie möglich nach Hause.

Mein Vater und Marie sitzen auf dem Sofa, als ich das Wohnzimmer betrete. Das merkwürdige Geräusch kann ich jetzt ohne Probleme Maries Schluchzen und Naseputzen zuordnen. Sie sieht aus als hätte sie seit Tagen nichts anderes getan als zu heulen. Ihr Anblick erschreckt mich so sehr, dass ich erst mal eine Weile regungslos im Türrahmen stehen bleibe. Andreas wird doch nicht…

„Setz dich doch, Schatz“, sagt meine Mutter, die gerade die Treppe runtergekommen ist.

Ich hab das beunruhigende Gefühl, dass ich hier aus irgendeinem Grund unter Anklage stehe. Niemand sieht mich direkt an, niemand erklärt irgendwas.

„Kann mich mal jemand aufklären?“, fordere ich deshalb.

Marie richtet ihre verquollenen Augen auf mich. „Vielleicht kannst du erst mal erklären, warum er so durcheinander war, dass er bei Rot über die Kreuzung gelaufen ist.“

„Wieso ich?“

„Was habt ihr… ihm gesagt, hm?“ Auch die von einem Schluckauf verursachte Unterbrechung der Frage macht den Ton nicht weniger bedrohlich.

„Was? Warum sollten wir…“

„Ach, tu doch nicht so“, unterbricht sie mich. „Was hat dein toller Lukas mit ihm… gemacht?“

„Hast du sie noch alle? Woher weißt du überhaupt, dass er bei Lukas war? Hast du ihn dazu angestiftet?“

„Nein, hab ich nicht.“

„Und warum wusste er dann so genau, was zwischen mir und Lukas passiert ist?“

„Das spielt doch überhaupt keine Rolle“, versucht sie sich rauszureden.

„Ach nein? Du weißt ganz genau, dass Andreas nicht gerade unschuldig an Lukas‘ und meiner Trennung war und dann tratscht du alles an ihn weiter, was ich dir erzähle?!“

„Er wollte dir doch nur helfen!“, schreit sie mich jetzt an.

„Er wollte sich selber helfen!“, schreie ich zurück.

„Jan, bitte“, schaltet sich mein Vater ein.

Ich sehe ihn verdattert an. „Und was ist mit ihr?“

„Du wirst doch wohl verstehen, dass Marie gerade eine schwere Zeit durchmacht.“

Jetzt platzt mir aber gleich der Kragen. „Und was ist mit mir? Andreas hat gerade zum zweiten Mal dafür gesorgt, dass ich mich mit Lukas gestritten habe und dieses Mal war es das wohl endgültig mit unserer Freundschaft. Interessiert das hier vielleicht auch jemanden? Ich bin nicht schuld daran, dass er einen Unfall hatte! Und Lukas auch nicht! Sind heute alle verrückt geworden?“

„Kannst du mal aufhören, an dich zu denken? Andreas wäre fast gestorben“, sagt Marie.

„Ihr tut ja gerade so, als hätte ich ihn auf die Straße geschubst.“

„Das hat niemand behauptet“, schaltet sich meine Mutter ein.

„Ach nein? Und was soll dann dieses Verhör?“

„Wir wollten doch nur…“

„Es geht niemanden etwas an, was zwischen mir, Lukas und Andreas passiert ist.“

Ich drehe mich um und sehe zu, dass ich in mein Zimmer komme.

Natürlich trifft mich das mit Andreas mehr, als ich es jemals da unten im Wohnzimmer zugegeben hätte. Nicht in der Situation. Nicht, wenn ich das Gefühl habe, von allen Seiten angegriffen zu werden. Ich war sauer, ja. Auf meine Familie, weil sich niemand für meine Version der Geschichte interessiert hat. Und auch auf mich selber. Ich kann nicht genau beschreiben, warum, aber da ist so ein seltsames Gefühl, das mir sagt, dass ich mit der Situation bei Lukas anders hätte umgehen müssen. Es geht nicht so weit, dass ich mir die Schuld an dem gebe, was mit Andreas passiert ist. Aber die Fragen nach dem „Was wäre wenn…?“ sind trotzdem da.

Ich dachte, dass ich mich mit Andreas ausgesprochen hatte. Und ich dachte, dass er verstanden hat, was Lukas und mich verbindet. Ich kann mir nicht erklären, warum er trotzdem zu Lukas gefahren ist. Er hätte wissen müssen, wie wir reagieren. Dieser Idiot. Und warum rennt er dann vor ein Auto?

Ich frage mich einfach, ob es da etwas gibt, das er mir nicht erzählt hat. Empfindet er doch mehr für mich, als er mir gesagt hat? Aber wie hätte ich das wissen sollen? Ich kann doch nicht für jeden verantwortlich sein.

Oh man, ich denke wirklich nur an mich, oder? Andreas hatte es echt nicht leicht. Zu bemerken, dass er auf einmal einen Jungen anziehend findet, und dann auch noch den Bruder seiner Freundin, muss ihn mehr als nur verwirrt haben. Das hat er mir erzählt. Aber für alles, was danach passiert ist, habe ich mich nicht mehr interessiert. Ich hab mich wieder total auf Lukas fixiert und nicht einen einzigen Gedanken an Andreas verschwendet. Marie und ich waren die einzigen, denen er sich anvertraut hat. Und dann blieb ihm nur noch Marie. Dabei wäre ich doch der einzige gewesen, der ihm hätte helfen können, oder?

Mein Kopf platzt gleich.


Als ich am nächsten Tag von der Arbeit komme, sitzt Marie auf meinem Schreibtischstuhl. Sie sieht immer noch mitgenommen aus, aber offenbar hat sie den ersten Schock überwunden. Wie sie sich gestern mir gegenüber verhalten hat, hab ich nicht vergessen und trotzdem bin ich jetzt nicht sauer. Das war eine Ausnahmesituation. Wir standen beide etwas neben uns.

„Es tut mir leid“, sagt sie, bevor ich mir die passenden Worte zurechtlegen konnte.

„Was?“

„Dass ich dich gestern so angeblafft habe. Ich war einfach geschockt.“

„Ja, ich auch“, gebe ich zu. „Aber wir haben wirklich nichts Schlimmes… ich meine, Lukas und ich… wir haben nicht…“

„Ich weiß“, sagt sie und lächelt ein bisschen. „Andreas hat es zwar nicht böse gemeint, aber er hat sich eingemischt. Das ist mir klar. Ich hätte an eurer Stelle wahrscheinlich genauso reagiert.“

Ich nicke, aber dann stolpere ich über ihren letzten Satz. „Und woher weißt du so genau, wie wir reagiert haben?“

„Ähm…“, macht sie nur und fühlt sich offensichtlich ertappt. „Reg dich nicht auf, okay? Lukas hat vorhin angerufen und da hab ich…“

„Er hat was?!“ Jetzt konnte er sich also endlich mal aufraffen, hier auf dem Festnetztelefon anzurufen? Die ganze Zeit warte ich darauf, dass er sich auch mal bei mir meldet, aber nichts passiert. Immer musste ich ihm hinterherrennen und fragen, ob ich vorbei kommen kann und ausgerechnet jetzt, wenn ich einfach mal nichts von ihm hören und sehen will, ruft er hier an? Und dann auch noch übers Festnetz, wovor er doch angeblich so große Angst hatte?

„Hör mir doch erst mal zu und setz dich endlich irgendwo hin“, fordert Marie.

Ich setze mich aufs Bett und schüttele innerlich immer noch den Kopf.

„Eigentlich kannst du stolz auf mich sein. Ich hab ihn nämlich erst mal zur Schnecke gemacht, weil du seinetwegen so unglücklich warst und jetzt schon wieder bist.“

Jap, seine Festnetzphobie ist jetzt sicherlich geheilt.

„Aber dann dachte ich, dass es nur fair ist, ihn auch was dazu sagen zu lassen und irgendwie… ich weiß auch nicht… wir haben ziemlich lange telefoniert und er hat mir alles erklärt.“

„Er hat dich also schön eingelullt“, übersetze ich.

„Nein, wir haben uns ganz offen und ehrlich unterhalten und… im Ernst, Janni, das solltest du auch mal tun.“

„Ich dachte, das machen wir gerade.“

„Mit ihm.“

„Nein“, sage ich sofort. „Unser letztes Gespräch war mir offen und ehrlich genug.“

„Und was ist, wenn er es nicht so meinte?“, hakt sie stur nach.

„Hat er dir erzählt, was er mir direkt ins Gesicht gesagt hat? Er liebt mich nicht mehr. Und dieses Freunde-bleiben ist Quatsch. Das funktioniert nicht. Nicht für mich.“

„Aber…“

„Sorry, Marie, aber das Ganze geht dich echt nichts an. Ich weiß nicht, wie er dich um den Finger gewickelt hat, aber bei mir klappt das nicht mehr.“

Ich lasse mich aufs Bett zurückfallen und schnappe mir eine Zeitschrift von meinem Nachttisch. Vielleicht finde ich darin ja irgendwas, das mich ablenken kann.

Marie steht auf und stellt sich neben mich. „Dann sei wenigstens so anständig und zieh einen endgültigen Schlussstrich. Lukas weiß nämlich noch nicht, dass du die ganzen Jahre eurer Freundschaft einfach wegwerfen willst.“

„Ich hab nicht gesagt, dass ich das will.“

„Na super, dann rede mit ihm. Er will das nämlich auch nicht.“

Nach dieser Ansage lässt sie mich allein. Ich blättere weiter durch meine Zeitschrift und finde absolut nichts, das meine Aufmerksamkeit für mehr als drei Sekunden halten kann. Immer geht mir irgendein Satz von Marie oder von Lukas durch den Kopf und dann denke ich so lange darüber nach, bis ich merke, dass ich eigentlich diesen verdammten Artikel lesen wollte. Das blöde Magazin landet also kurzerhand unsanft auf dem Boden und ich versuche es stattdessen mit Musik. Das hilft eigentlich immer. Das oder schwimmen. Ich befürchte allerdings, dass mir im Moment nur eine Sache helfen kann. Ich gehe rüber zu Maries Zimmer.

„Hey. Meinst du, ich kann zu Andreas ins Krankenhaus? Ich muss mit ihm reden.“

Sie lächelt. „Klar. Ist ne gute Idee. Falls du dich benimmst.“

Ich verdrehe nur die Augen und mache mich auf den Weg. Ich gehe zu Fuß, damit ich genug Zeit habe, mir zu überlegen, was ich ihm eigentlich sagen will. Und um mir einzureden, dass es nicht so schlimm wird, wie ich es mir gerade ausmale. Hoffentlich kommt es nicht so weit, dass ich ihn anschreie. Oder er mich. Oder, dass wir uns gar nichts zu sagen haben. Nach der Sache bei Lukas ist wohl alles möglich und ich hab keine Ahnung, womit ich rechnen muss.

Ein Krankenhaus zu betreten ist immer komisch. Man betritt nicht irgendein Gebäude und geht nicht durch irgendeine Tür, sondern findet sich gleich in einer ganz anderen Welt wieder. Es riecht anders, es sieht anders aus und auch die Menschen sind anders. Ich hab bisher nicht allzu gute Erinnerungen an Krankenhäuser und bin jedes Mal froh, wenn ich wieder draußen bin. Zu Andreas will ich nur, weil ich immer noch ein schlechtes Gewissen habe und weil ich es hasse, etwas ungeklärt stehen zu lassen. Ich will ein paar Antworten und vielleicht tut es ihm auch ganz gut, wenn ich da etwas noch mal eindeutig klarstelle. Nein, nicht vielleicht. Ganz bestimmt.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt miesepetrig wirke, ich hasse außerdem Aufzüge. Besonders diese riesigen hier, in denen man sich gleichzeitig klein und eingeengt fühlt. Aber ich habe jetzt auch keine Lust in den dritten Stock zu laufen, also fällt die Wahl doch auf den Fahrstuhl.

Vor der Tür mit der Nummer 333 bleibe ich erst mal stehen und lausche. Ich will auf gar keinen Fall auf Andreas‘ Familie treffen. Als ich aber keine Stimmen hören kann, klopfe ich und schiebe mich ins Zimmer. Keine Ahnung, welchen Anblick ich genau erwartet hatte, aber überraschenderweise sieht Andreas ganz fit aus. Ich sehe „nur“ ein Gipsbein und ein dickes Pflaster auf seiner Wange. Was unter der Decke ist, kann ich natürlich nicht sehen und ich werde mit Sicherheit nicht fragen, ob ich nachschauen darf.

„Ach, traust du dich doch hier her?“, sagt er eisig und nimmt einen Schluck aus seinem Glas.

„Ich hab doch gesagt, dass wir da noch über was reden müssen.“

„Toller Zeitpunkt.“

„Jetzt kannst du wenigstens nicht weglaufen.“ Na ja, ob das jetzt der passende Einstieg war…

„Marie hat mir erzählt, was mit dir und Lukas war, nachdem ich gegangen bin.“

„Ja, was hat Marie dir auch nicht erzählt?“, frage ich sarkastisch und lehne mich gegen die Fensterbank. Im Zimmer steht noch ein zweites Bett, das wohl auch bewohnt wird, jetzt ist es allerdings leer.

„Du weißt genau, dass sie es nicht böse gemeint hat“, sagt Andreas. „Und ich auch nicht.“

„Dafür ist es aber ziemlich böse ausgegangen.“

„Das ist Ansichtssache“, meint er und versucht sich aufzurichten. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, scheint das allerdings mit Schmerzen verbunden zu sein und er gibt es schließlich auf. Ich richte meinen Blick auf den Boden, weil sich mir schon beim Zusehen der Magen umdreht. „Es ist nicht so schlimm wie es aussieht.“ Seine Stimme klingt amüsiert und als ich ihn wieder ansehe, hat er tatsächlich ein Grinsen auf dem Gesicht.

„Du meinst leider?“

Und schon ist das Grinsen wieder verschwunden. „Wieso leider? Glaubst du, ich hab mich mit Absicht vor dieses verdammte Auto geworfen?“

Ich zucke nur mit den Schultern und er schnauft zur Antwort. „Sehr feinfühlig, wirklich. Willst du mich fragen, ob ich mich umbringen wollte?“

„Wolltest du?“

„Nein, wollte ich nicht. Wie kommst du darauf?“

„Äh…“ Mein Blick wandert wieder zu Boden. Hat das nicht alles vorhin noch einen Sinn ergeben? Warum komme ich mir dann jetzt so lächerlich vor?

„Du glaubst doch nicht wirklich den Schwachsinn, den Marie dir erzählt hat, oder? Du bist nicht schuld. Meinst du wirklich, ich springe deinetwegen vor ein Auto?“

„Haha, mach dich ruhig lustig, aber ich hab trotzdem ein schlechtes Gewissen, okay?“

„Wieso solltest du ein schlechtes Gewissen haben?“, fragt er verwirrt.

„Weil ich dich allein gelassen habe“, nuschel ich und dann ist es erst mal eine Weile still. Andreas starrt mich an, das sehe ich aus den Augenwinkeln. Und ich bin kurz davor, aus diesem Zimmer zu stürmen. Warum ist das so peinlich?

„Du bist total bescheuert, weißt du das eigentlich?“, sagt Andreas irgendwann. „Krieg erst mal dein eigenes Leben auf die Reihe, dann kannst du dir um andere Sorgen machen.“

„Das sagt der Richtige.“

„Ich misch mich nicht mehr ein, keine Angst. Anscheinend hast du es ja ganz gern, wenn man dich verarscht.“

„Ja, wo solltest du dich auch jetzt noch einmischen?“, schnaufe ich.

Andreas grinst. So ein Arschloch. Er ruiniert die Beziehungen anderer Leute und freut sich auch noch darüber? Und ich Idiot mache mir auch noch Sorgen um ihn.

„Du bist echt das Letzte“, sage ich und gehe zur Tür.

„Und du hast mal wieder gar nichts geschnallt, oder? Hast du nicht zugehört, was Marie dir gesagt hat?“

„Ich dachte, du willst dich nicht mehr einmischen?“

„Wenn du dich so dämlich anstellst, kann ich ja wohl nicht anders. Obwohl ich Lukas nicht leiden kann.“

„Und? Was hast du mir Tolles zu sagen?“, frage ich gereizt.

„Nur, dass du deiner Schwester hättest zuhören sollen.“

„Das hab ich und das ändert auch nichts.“

„Dann solltest du auch nicht so rumjammern.“

„Toller Tipp“, sage ich nur noch und verlasse das Zimmer.

Die Welt ist doch verrückt, oder? Es hat so lange gedauert, bis die Menschen um mich herum Lukas als meinen Freund akzeptiert hatten und immer wieder wollte ihn mir jemand schlecht machen. Jetzt sind wir getrennt und auf einmal lassen sich alle von ihm einwickeln und ich bin derjenige, der nichts kapiert. Da komme ich nicht mit. Er hat doch mich weggestoßen. Sie sollten alle sauer auf ihn sein. Gibt es nicht irgendwo jemanden, der das genauso sieht?

Die Fahrstuhltüren schließen sich gerade, aber dann hält noch jemand seinen Fuß dazwischen. Ein grinsendes Gesicht schiebt sich in die Kabine. Die Türen gehen zu und ich bin allein in diesem winzigem Raum mit… na ja, wenn man vom Teufel spricht… Meine Frage ist damit jedenfalls ziemlich sicher beantwortet.

„Lange nicht gesehen“, sagt Dennis. „Wenn ich dich so ansehe, kann ich mir die Frage wohl sparen, wie es dir geht.“

„Charmant wie immer“, entgegne ich und drücke mehrmals auf den Knopf, neben dem Erdgeschoss steht. „Was machst du hier?“

„Meinen Vater besuchen.“

„Was Schlimmes?“

„Ist vom Balkon gefallen“, erzählt Dennis gleichgültig.

Ich sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Was? Ist dir nie aufgefallen, dass er nicht so ganz auf der Höhe ist?“

„Doch, aber mir hat nie jemand gesagt, warum das so ist.“

„Hm.“

Offensichtlich will er es mir auch jetzt nicht sagen.

„Wen hast du besucht?“, fragt er, als sich die Türen gerade öffnen und wir endlich den Aufzug verlassen können.

„Den drittgrößten Volltrottel auf dieser Erde“, antworte ich.

„Wer ist der größte?“

„Lukas.“

„Und dann?“

„Ich.“ Er grinst mich schelmisch an und ich füge hinzu: „Keine Sorge, du bist der vierte nach Andreas.“

„Sehr beruhigend.“

Wir laufen nebeneinander auf den Ausgang zu. Dennis hat die Hände in seinen Hosentaschen und ist auffallend still.

„Willst du mit zu mir kommen?“, fragt er, als wir die Straße erreichen und sich unsere Wege eigentlich trennen würden.

„Nein“, sage ich schnell.

„Ich meine nur als…“ Das letzte Wort scheint ihm im Hals stecken geblieben zu sein. „Ich dachte nur, dass du vielleicht mal wieder jemanden brauchst, der ehrlich zu dir ist.“

Eigentlich waren ja alle ehrlich zu mir. Aber ich weiß, wie Dennis das meint und für seine Verhältnisse ist das echt süß.

„Sehe ich wirklich so schlecht aus?“, frage ich.

„Nein, eigentlich nicht. Nur ziemlich angepisst.“

Da hat er wohl recht. Und weil der Tag sowieso nicht mehr schlimmer werden kann, gehe ich auf sein Angebot ein.

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