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Mein geliebter Mülleimer

Teil 3

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Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen nervös bin, als wir uns auf den Weg zu meinen Eltern machen. Meine Mutter hat mich und Lukas zum Essen eingeladen. Wahrscheinlich um zu zeigen, dass nichts mehr zwischen uns steht. Da konnten wir natürlich nicht nein sagen, aber ein entspannter Besuch wird das bestimmt nicht. Erstens, weil es das erste Mal seit meiner Abschlussfeier ist, dass mein Vater es mit Lukas in einem Raum aushalten muss, und zweitens, weil Andreas auch da sein wird. Ich mag gar nicht daran denken, welche Art von Blicken da so über den Esstisch fliegen wird. Auf jeden Fall werde ich Lukas nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Nicht, dass der sich Andreas doch noch schnappt und in einer dunklen Ecke zu Brei schlägt. Oder andersrum. Wozu Andreas fähig ist, hab ich ja am eigenen Körper zu spüren bekommen.

Mama und Marie sind wie erwartet vollkommen aus dem Häuschen, mein Vater gibt sich die größte Mühe gelassen zu wirken und Andreas steht mit Pokerface in der hintersten Ecke. Das ist ungefähr das Bild, das uns bei unserer Ankunft geboten wird. Wenigstens ist der weibliche Teil der Familie glücklich und vollkommen unbeschwert. Ich werfe einen Seitenblick auf Lukas und bin überrascht, dass er relativ fröhlich aussieht. Na ja, vielleicht wird das Ganze doch nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.

Diese Einstellung ändert sich allerdings schlagartig, als sich Marie beim Essen mal wieder etwas zu weit aus dem Fenster lehnt. „Hattet ihr schon Sex?“, fragt sie kichernd und offensichtlich sehr an der Antwort interessiert.

Jedenfalls fangen mein Vater, Lukas, Andreas und ich gleichzeitig an zu husten und bekommen eine sehr unnatürliche Gesichtsfarbe. Meiner Mutter ist das offensichtlich auch peinlich, aber sie hat eher diesen Oh-Gott- mein-Kind-hat-Sex-Blick drauf.

„Was ist?“, fragt meine kleine Schwester. „Sind wir jetzt unter die Spießer gegangen?“

„Marie!“, empört sich mein Vater.

„Ist doch wahr.“

Normalerweise würde ich darüber lachen, aber als ich Andreas` Blick sehe, wird mir eher ein bisschen schlecht. Da sehe ich nämlich puren Hass und der richtet sich eindeutig auf Lukas. Man, das wird mir echt langsam zu bunt. Ich will nicht, dass Andreas auf mich steht. Und vor allem will ich nicht, dass er meinen Freund ansieht, als würde er ihn bei der nächsten Gelegenheit aus dem Weg räumen wollen. Er hat überhaupt kein Recht eifersüchtig zu sein. Ich soll mich nicht bei ihm einmischen, also hat er sich gefälligst auch aus meinem Leben mit Lukas rauszuhalten. Und wenn er das nicht tut, muss ich wohl doch noch mal mit ihm reden. Die Stimmung am Tisch ist logischerweise total ruiniert und wir können es kaum noch abwarten, wieder nach Hause zu gehen. Meine Mutter wollte uns überreden, dass wir über Nacht bleiben, aber man kann sich ja vorstellen, dass zwei Personen da ganz enorm was dagegen hatten.

Also haben wir uns direkt nach dem Essen wieder verkrümelt und sitzen jetzt bei Lukas auf dem Sofa.

„Janni, was ist? Du denkst doch über irgendwas nach, oder?“, fragt Lukas argwöhnisch.

„Ja, aber das wird dir nicht gefallen.“

„Nein!“, sagt er sofort und schüttelt energisch den Kopf. „Wenn du nicht willst, dass ich diesen Heini zusammenschlage, dann solltest du dich lieber von ihm fernhalten.“

„Ich will doch nur mit ihm reden. Hast du nicht gesehen, dass er dir am liebsten den Kopf abhacken wollte?“

„Doch, aber genau deshalb will ich dich nicht mit ihm allein lassen.“

„Ich weiß mich schon zu wehren“, behaupte ich, obwohl ich da selber so meine Zweifel habe.

Lukas sieht auch nicht wirklich überzeugt aus. „Ja klar, und wie? Darf ich dich daran erinnern, dass das schon mal nach hinten losgegangen ist?“

„Da war ich auch nicht darauf vorbereitet.“

„Janni? Du spinnst.“ Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich. Aber den Versuch habe ich sofort durchschaut. Er will mich nur ablenken.

„Du wolltest doch, dass ich dir alles sage. Und das hab ich. Aber ich werde dich nicht um Erlaubnis fragen, wenn ich mit dem beknackten Freund meiner Schwester reden will. Ich pass schon auf mich auf. Vertrau mir. Ich will einfach nur klären, dass er sich aus unserem Leben raushalten soll.“

Er sieht ziemlich unglücklich aus, aber seine Finger streichen ganz zärtlich über mein Gesicht. Er macht sich Sorgen, das weiß ich. Aber das tue ich auch und deshalb werde ich mit Andreas reden.

„Okay“, sagt er schließlich. „Aber wenn er dich nur einmal anfasst, dann werde ich dich auch nicht um Erlaubnis fragen, um ihm mal meine Meinung zu sagen.“

„Deal“, sage ich grinsend und kuschel mich in seine Arme. Mit diesem Kompromiss kann ich durchaus leben. Eigentlich will ich es ja auch nicht drauf ankommen lassen, dass Andreas wieder ausfallend wird, aber es muss eindeutig was passieren. Und wenn ich ehrlich bin, würde ich Lukas auch nicht ein zweites Mal davon abhalten, sich Andreas vorzuknöpfen. Aber so weit ist es ja noch nicht. Ich weiß ja nicht mal, ob ich es überhaupt schaffe, ihn irgendwo allein zu erwischen. Letztes Mal stand er ja einfach so in meinem Zimmer, aber normalerweise ist Marie immer bei ihm. Eventuell werde ich ganz mutig sein müssen und ihn einfach in irgendein Zimmer ziehen. Oh oh, das wird ihm gar nicht gefallen. Ich sehe schon seine funkelnden Augen und höre seinen schnaufenden Atem. Aber was soll ich machen?

Ich rufe also ein paar Tage später bei meinen Eltern an und frage, ob ich vorbei kommen könnte.

„Was ist das denn für eine Frage?“, will meine Mutter wissen. „Natürlich kannst du kommen.“

„Okay. Ich wollte noch was abholen.“ Wollte ich nicht. „Sind Marie und Andreas auch da?“, frage ich beiläufig. Natürlich ist das der eigentliche Grund weshalb ich angerufen habe.

Sie sind da, sagt mir meine Mutter. Also mache ich mich auf den Weg. Lukas ist alles andere als begeistert, hält sich aber wirklich sehr zurück und lässt mich gehen. Etwas mulmig ist mir ja auch, und ich hasse Andreas dafür. Ich bin es nicht gewohnt, vor jemandem Angst zu haben. Erst recht nicht, wenn ich mich nur unterhalten will. Ich schlucke meine Nervosität also runter und laufe schnurstracks zu dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Mein Vater arbeitet, meine Mutter ist im Garten beschäftigt und Marie mitsamt Anhang ist oben in ihrem Zimmer. Ich setze mich in meins und tue so, als würde ich etwas in meinem alten Schreibtisch suchen. Sobald Andreas aus Maries Zimmer kommt, werde ich ihn schnappen und hier reinziehen. Das ist der Plan. Könnte lange dauern, ja, aber wie soll ich ihn sonst da raus kriegen? Ich könnte klopfen und verlangen mit ihm zu reden, aber dann würde Marie was merken und Andreas wäre mit Sicherheit dann noch weniger gut auf mich zu sprechen.

Als ich höre wie eine Tür aufgeht, lehne ich mich zurück, um auf den Flur sehen zu können. Ha! Es ist Andreas. Er will bestimmt ins Bad, aber er wird wohl noch ein bisschen aushalten müssen. Ich greife an sein T-Shirt, ziehe ihn in mein Zimmer und schließe die Tür. Er sieht verwirrt aus, nicht wütend wie ich gedacht hatte.

„Was soll das?“, fragt er nur.

„Ich hab was mit dir zu klären. Und glaub ja nicht, dass du mich noch mal so überraschen kannst wie neulich.“

„Das ... äh ...“ Er schaut auf den Boden und schiebt beide Hände in seine Hosentaschen. „Das war nicht geplant ... und es tut mir leid.“

„Was?“, frage ich vollkommen perplex. Natürlich hab ich ihn verstanden, aber ... wie bitte?

„Ich wollte das nicht.“

„Und warum hast du´s dann getan? Und warum starrst du Lukas immer an als wäre er dein Erzfeind? Ich will, dass du damit aufhörst. Du kannst von Glück reden, dass ich ihn davon abhalten konnte, dir den Schädel einzuschlagen.“

„Das soll er ruhig mal versuchen“, sagt Andreas grinsend und mir huscht ein kalter Schauer den Rücken runter. Die Atmosphäre ist gerade total umgekippt. Kann es sein, dass der Typ sie nicht alle beisammen hat? Meine Angst vor ihm ist jedenfalls plötzlich wieder da.

„Genau das meine ich“, sage ich empört. „Hör auf an so was zu denken. Ich will nicht, dass ihr euch prügelt.“

Er macht einen Schritt auf mich zu und ich weiche automatisch zurück.

„Hast du Angst vor mir?“, fragt er, immer noch grinsend.

„Nein“, lüge ich.

Er kommt noch näher, aber ich kann nicht weiter zurück, weil da die Tür ist. Ich mache mich schon wieder auf Schmerzen gefasst, stelle aber überrascht fest, dass ich nur ganz sanft gegen das Holz hinter mir gedrückt werde. „Musst du auch nicht. Du nicht.“

Trotzdem bin ich wie erstarrt. Seine Augen funkeln mich an und sein Atem geht schneller als normal. Es ist genau wie ich es mir ausgemalt hatte. Nur glaube ich nicht, dass jetzt Wut dahinter steckt. Eher etwas, das ich sofort stoppen sollte. Aber bevor ich mich auch nur einen Millimeter bewegen kann, drückt er seinen Mund auf meinen und streicht mit seinen Händen von meinen Schultern abwärts über meinen Oberkörper. Eine Hand schlüpft zielstrebig in meine Hose und dürfte da auf etwas stoßen, das so nicht geplant war.

Ich stoße ihn von mir und sehe wahrscheinlich ziemlich erschrocken aus. Andreas leckt sich über die Lippen und grinst amüsiert. „Hm, das würde deinem Lukas wohl nicht so gefallen, oder?“

Ich schnappe nach Luft. Hab ich das echt getan? Ist das wirklich gerade passiert? Wie konnte ich nur?! Ich liebe Lukas und dieser ... dieser ... Mir wird schlecht.

„Ich denke, er wäre ganz schön sauer“, meint Andreas und streckt eine Hand nach mir aus, die ich aber sofort zurückschlage.

„Und was ist mit Marie?“, frage ich.

Er überlegt kurz. „Ich würde sagen wir haben ein Geheimnis.“

„Und ich würde sagen, dass du dich ab sofort aus meinem Leben mit Lukas raushältst.“

„Und was ist mit dem Teil ohne Lukas?“

„Den gibt es nicht.“

„Das sah aber eben noch ganz anders aus“, meint er.

„Du hast mich geküsst.“

„Und dir hat es offensichtlich gefallen. Sehr sogar.“

„Das bedeutet gar nichts. Nur ne Angewohnheit aus alten Zeiten“, sage ich und versuche es nicht nur ihm einzureden.

„Stimmt ja“, kommt es daraufhin von Andreas, „ihr seid ja noch gar nicht so lange zusammen. Klappt wohl nicht so mit dem ewigen treu sein, hm?“

Ich glaube, dass ich lieber gleich selber auf ihn losgehe und Lukas die Arbeit erspare. Jetzt gerade hätte ich große Lust dazu. Aber stattdessen öffne ich nur die Tür. „Verschwinde!“

„Es war nur ein Angebot, Jan. Aber wenn du meinst, dass Lukas dir genug ist, dann werde ich dich ab jetzt in Ruhe lassen.“

„Verschwinde“, wiederhole ich nachdrücklicher.

„Ich glaube, du hast immer noch ein falsches Bild von mir. Ich bin nicht das Arschloch, für das du mich hältst. Ich weiß einfach nur, was ich will.“

„Verschwinde“, zische ich jetzt.

Er hebt abwehrend die Hände und verlässt mein Zimmer. Ich schlage die Tür zu und lasse mich schnaufend dahinter auf den Boden fallen. Von wegen nicht das Arschloch, für das ich ihn halte ... Er hat mir noch keinen Grund gegeben, etwas anderes zu denken. Zuerst droht er mir und schlägt mich, und dann will er mich verführen, obwohl er weiß, dass ich mit Lukas zusammen bin. Muss man das verstehen? Was will dieser Kerl von mir?

Und noch so eine Frage ist: Was wollte ich von ihm? Gar nichts. Klar. Nur offensichtlich dachten da bestimmte Teil von mir etwas anders. Verdammte Scheiße! Das darf nicht noch mal passieren. Das WIRD nicht noch mal passieren!

Ich muss jetzt sofort schwimmen gehen. So kann ich nicht zu Lukas gehen. Der würde sofort was merken. Glücklicherweise hab ich hier noch eine alte Badehose. Die schnappe ich mir und stürme fluchtartig aus meinem Zimmer und dem gesamten Haus.

Ich springe mit dem Kopf zuerst ins Wasser und setze mich sofort in Bewegung. Ja, das ist genau das Richtige jetzt. Beim Schwimmen kann ich in Ruhe nachdenken und die Anstrengung ist genau das richtige Ventil, um meine Wut über mich selber abzulassen. Und über Andreas natürlich. Scheiße! Was ist da nur passiert? Ich kann es nicht fassen, dass er es schon wieder geschafft hat, mich so zu überrumpeln. Aber wie soll ich denn auch damit rechnen, dass er mich küsst, wenn er mich das letzte Mal noch geschlagen hat? Aber er hat gesagt, dass er mich jetzt in Ruhe lässt, oder? Ich kann nur hoffen, dass er sich auch daran hält. Und dass er Lukas nichts sagt. Das werde ich nämlich nicht tun. Ich könnte ihm zwar sagen, dass Andreas mich geküsst hat, aber dann würde er bestimmt auf unseren „Deal“ zurückkommen. Nein, das kann ich nicht machen. Aber was sage ich ihm? Dass Andreas uns jetzt in Ruhe lässt? Dass ich zwar nicht mehr zu meinen Eltern fahren kann, aber sonst alles in Ordnung ist? Er wird merken, dass da was nicht stimmt. Lukas merkt immer alles. Aber was anderes fällt mir nicht ein. Ich bin kein guter Lügner, also halte ich den Ball lieber so flach wie möglich.


„Hey, warst du schwimmen?“, fragt Lukas, als er mich an seiner Haustür empfängt und küsst.

„Hä?“

„Du riechst nach Chlor.“

Oh Mist! Ich hab nicht geduscht. „Äh ja, ich hatte Lust dazu.“

„Aber du wusstest doch, dass ich hier sitze und mir Sorgen mache.“

„Ja, ich weiß. Tut mir leid, ich brauchte das halt gerade“, sage ich und weiß schon genau, was jetzt kommt. Ich sollte echt vorher überlegen, was ich sage.

„Muss ja schlimm gewesen sein mit Andreas. Hat er dich angefasst?“

„Nein, hat er nicht.“ Lüge Nummer eins. „Und es war gar nicht so schlimm.“ Lüge Nummer zwei.

„Also hat er geschnallt, was du ihm gesagt hast?“

„Das hoffe ich doch.“

Lukas gibt sich damit zufrieden und macht uns beiden erst mal was zu essen. Ich dusche in der Zeit und überlege, wie lange ich es wohl schaffen werde, mein schlechtes Gewissen vor ihm zu verstecken. Ein Teil von mir will ihm einfach alles sagen, aber der andere ist zu feige. Der will Lukas nämlich nicht verlieren. Und logischerweise ist das der größere von beiden.

Eigentlich war es ja nur ein Kuss. Der nicht mal von mir ausging. Da wäre ich im Traum nicht drauf gekommen. Und dass mich dieser Kuss und die Berührungen angemacht haben, ist doch auch ein bisschen verständlich, oder? Ich bin schwul, ich bin jung und ich lasse mich ganz gerne verführen. Hat man ja bei Dennis gesehen. Ein Arschloch, aber eins, das weiß, wie man jemanden rumkriegt. Beziehungsweise wie man mich rumkriegt. Und wäre da nicht Lukas, weiß ich nicht, was ich heute mit Andreas getan hätte. Aber Lukas ist da. Und ich werde ihm sowas nicht antun. Ich will nur ihn. Ich liebe ihn. Das ist alles, was ich immer wollte. Und deshalb habe ich beschlossen Andreas vollkommen aus dem Weg zu gehen. Er hat zwar gesagt, dass er mich in Ruhe lässt, aber warum sollte ich ihm vertrauen? Und besonders scharf darauf, ihn zu sehen, bin ich ja schließlich auch nicht. Also schlage ich alle Einladungen, die von meinen Eltern kommen erst mal aus und halte mich von meinem früheren Zuhause fern. So langsam fängt auch die Zeit an, in der man sich bei den Unis bewerben kann, also bin ich sowieso abgelenkt.


„Janni, du benimmst dich merkwürdig“, meint Lukas und setzt sich zu mir aufs Sofa.

„Warum?“, frage ich, während ich im Internet nach geeigneten Unis und Studiengängen suche.

„Du sitzt nur noch vor dem Computer. Ich hab irgendwie das Gefühl, du willst dich ablenken. Hab ich was verpasst?“

„Nö, es ist alles in Ordnung. Ich muss mir nur langsam mal Gedanken machen, was ich mit meiner Zukunft anfangen will.“

„Und warum fährst du nicht mehr zu deinen Eltern?“

„Weil ich Andreas nicht über den Weg laufen will, bevor er genug Zeit hatte über das nachzudenken, was ich ihm gesagt habe.“

Die perfekte Ausrede, oder? Und es ist nicht mal gelogen. Ich hab nur verschwiegen, dass ich Andreas am liebsten niemals wieder sehen möchte. Ständig verfolgt mich die Erinnerung an den Kuss und dann wird mir so übel, dass ich mich schnell ganz dicht an Lukas kuschel und ihm sage, dass ich ihn lieb hab. Danach ist es besser.

Leider kann ich dem Horrorhaus aber nicht ewig aus dem Weg gehen. Marie hat bald Geburtstag und wäre bestimmt sehr traurig, wenn ich nicht auftauche. Meine Mutter hat gestern angerufen und Lukas und mich eingeladen. Zum Kaffeetrinken. Tja, und wo Marie ist, ist auch Andreas. Ich schaffe es einfach nicht, ihm aus dem Weg zu gehen. Scheint so was wie Schicksal zu sein. Nur weiß ich noch nicht, worauf das Schicksal aus ist. Ein paar gruselige Ideen hab ich da schon, aber da wird wohl hoffentlich nur meine Fantasie mit mir durchgehen.

Ich lege meinen Laptop beiseite und krabbel auf Lukas‘ Schoß. Ja, das ist wieder einer dieser Momente. Meine Finger wandern zu seinem Nacken und mein Kopf legt sich an seinen Lieblingsplatz an Lukas‘ Schulter. Sofort spüre ich zwei Hände auf meinem Rücken und weiche Lippen an meinem Hals.

„Du verschweigst mir doch irgendwas, Janni“, murmelt Lukas und sein warmer Atem an meinem Hals lässt mich frösteln. Vielleicht ist es aber auch der Schock, dass er mich durchschaut hat.

„Nein, tue ich nicht. Wie kommst du darauf?“

„Ich komme darauf, weil du immer wie jetzt angekrabbelt kommst, wenn ich dich darauf anspreche wie eigenartig du dich verhältst.“

„Das bildest du dir ein. Ich bin nur gerne bei dir“, versuche ich ihn zu überzeugen, aber mein Puls hat sich noch nicht wieder erholt.

„Wenn es was mit Andreas zu tun hat, musst du es mir sagen.“

Das war der zweite Schock. Und jetzt reagiere ich nicht mehr so ruhig. „Es ist nichts, Lukas“, sage ich genervt und stehe auf. Na ja, eigentlich ist es eher die Panik, die aus mir spricht. Es hört sich nur an als wäre ich sauer auf ihn. Ich schnappe mir meinen Laptop und setze mich an den Küchentisch.

„Macht es dir eigentlich Spaß mich anzulügen? Und sag nicht, dass du es nicht tust“, warnt Lukas in einem Ton, den ich uns eigentlich ersparen wollte. Ich hab ihn doch nur angelogen, damit sich zwischen uns nichts ändert. Aber jetzt passiert genau das Gegenteil. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir uns das letzte Mal richtig gestritten haben.

„Ich will jetzt wissen, was hier los ist!“, fordert er.

„Nichts ist los! Wie oft denn noch?“

„Das glaubst du doch selber nicht. Irgendwas ist passiert und du sagst mir nicht was.“

„Wenn du meinst ...“, sage ich schulterzuckend und versuche es so aussehen zu lassen, als wäre seine Anschuldigung absolut lächerlich für mich.

Im nächsten Moment legt sich eine Hand auf meine Schulter und dreht mich zu ihm um. „Ich meine es ernst, Janni. Ich mach mir Sorgen. Irgendwas ist nicht in Ordnung.“ Seine Stimme ist wieder normal. Aber das ist jetzt nicht unbedingt von Vorteil. Wenn er mich so ansieht und so besorgt klingt, kann ich mich nicht mehr rausreden. Ich muss ihm irgendwas sagen. Irgendwas, das er mir glaubt und das ihn von der Wahrheit ablenkt. Ich überlege.

„Das ist einfach zu viel Veränderung in letzter Zeit“, sage ich schließlich. „Verstehst du? Ich bin jetzt mit der Schule fertig, ich bin bei meinen Eltern ausgezogen und ich hab keine Ahnung, was ich ab jetzt mit meinem Leben anfangen will. Vielleicht bekomme ich nur einen Studienplatz, der ganz weit weg ist. Und was ist dann mit uns?“

Ich sehe an seinem Blick, dass er mir glaubt. Er sieht, dass ich Angst habe ihn zu verlieren. Aber er kennt den eigentlichen Grund nicht. Ich fühle mich mies. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ich mich gerade selber hasse.

Er nimmt seine Hand von meiner Schulter und streicht mir durch die Haare. „Ja, das verstehe ich.“ Dann setzt er sich auf den Stuhl neben mir. „Aber du solltest eigentlich wissen, dass ich da hingehe, wo du hingehst. Das, was ich studieren will, gibt es fast an jeder Uni.“

Ich hab mir tatsächlich mal darüber Gedanken gemacht, was aus uns wird, wenn er sein Praktikum beendet hat und ich mit der Schule fertig bin. Und normalerweise wäre ich jetzt beruhigt. Aber das eigentliche Problem erledigt sich dadurch nicht. Oder vielleicht doch? Wenn ich es schaffe Andreas noch eine Weile aus dem Weg zu gehen und mit Lukas dann ganz weit weg ziehe, dann könnte alles wieder so sein wie es sein sollte.

„Das hättest du mir doch sagen können“, meint Lukas. „Ich weiß doch, dass du Veränderungen nicht ausstehen kannst.“

Ach, kann ich nicht? Da weiß er mal wieder mehr als ich. Aber meistens hat er auch mit allem recht, was mich betrifft. Und wenn ich mal so drüber nachdenke, sind Veränderungen wirklich nicht besonders toll.

„Tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst“, sage ich.

„Ist schon gut. Solange es nur das war ...“

Er hatte also eine andere Vermutung. Und ich hab so das Gefühl, dass ich da lieber nicht nachfragen sollte. Sonst verrate ich mich doch noch.

„Ich brauche jetzt einen Kaffee, und du?“

„Eistee.“


Maries Geburtstag. Viele Verwandte auf einem Haufen. Ein viel zu gut gelaunter Andreas. Und ein angespannter Lukas. Das sind alles Tatsachen, die ich gerade so gar nicht gebrauchen kann. Noch dazu kommt, dass mein Vater mir versucht hat zu erklären, warum es besser wäre, wenn Lukas und ich nicht jedem hier zeigen in welcher Beziehung wir zueinander stehen. Alle kennen Lukas als meinen besten Freund und so solle das bitte auch bleiben. Ich finde das zwar ätzend, aber für heute muss ich ihm zustimmen. Ich hab nämlich keine Lust auf blöde Fragen und kann gerade noch darauf verzichten, Andreas zu provozieren. Er hat zwar versprochen mich in Ruhe zu lassen, aber ich weiß ja wie schnell sich seine Laune ändern kann.

Allerdings hab ich mir etwas Anderes vorgenommen. Wenn ich schon mal hier bin, wird man es mir wohl nicht übel nehmen, wenn ich mich mit meiner Schwester unterhalte. Immerhin hat sie Geburtstag.

„Hey“, sage ich, als ich mich neben ihr auf einen Stuhl plumpsen lasse.

„Na. Schön, dass du da bist. Und Lukas natürlich auch.“ Sie nippt an ihrem Sekt.

„Wir kommen immer gerne, wenn wir eingeladen werden.“

„In letzter Zeit aber nicht. Woran liegt das?“

Da wären wir schon beim Thema. Aber natürlich kann ich ihr nicht die Wahrheit sagen.

„Viel zu tun. Ich bin dabei, mich nach einem Studienplatz umzusehen.“ Tut mir ja leid, aber das ist einfach die perfekte Ausrede. „Aber du hast ja Andreas.“

„Ja.“

„Wie ist er so?“, frage ich gespielt beiläufig.

„Du kannst ihn nicht leiden, oder?“

„Ich kann ihn nur nicht einschätzen. Heute wirkt er total normal, aber manchmal guckt er Lukas und mich an als würde er nur auf den passenden Moment warten, um uns in irgendeiner dunklen Ecke das Herz rauszureißen.“

„Sehr dramatisch“, sagt sie etwas beleidigt. „Aber ich kann dich beruhigen. Ich hab ihm gesagt, dass er dich und Lukas in Ruhe lassen soll. Und sowieso ist er nicht aggressiv.“

Ich muss lachen, höre aber schnell wieder auf, als ich Maries verständnislosen Blick sehe. „Sorry.“

Um uns herum wird wie wild gegackert und eine Art Kuchenwettessen veranstaltet. Manche Leute haben echt gleich drei Stücke auf ihrem Teller und kommen nach kaum fünf Minuten wieder, um sich Nachschlag zu holen. Von Lukas ist weit und breit nichts zu sehen, aber als ich Andreas sehe, der sich gerade mit einem meiner Onkel unterhält, bin ich beruhigt.

„Du musst dir wegen Andreas keine Sorgen machen, Janni“, versichert mir Marie. Sie ist die einzige, die mich wie Lukas Janni nennt. „Er ist ein wahnsinnig lieber Junge und ich liebe ihn. Reicht dir das?“

„Ja, wenn du das sagst ...“

Ich würde ihr ja gerne glauben, aber ich hab ihren Freund nun mal ganz anders kennengelernt. Andreas ist nicht der, für den sie ihn hält. Sonst wüsste sie, dass er selber schwul ist. Oder zumindest bi.

„Also läuft auch alles gut zwischen euch?“, hake ich nach.

„Ja, natürlich. Warum willst du das alles wissen?“

„Ich will einfach nur wissen wie es dir geht, und ob alles in Ordnung ist. Immerhin bin ich dein großer Bruder.“

Wenn ich so weiter mache, werde ich Weltmeister der Lügen.

Marie verdreht die Augen und lächelt dann jemandem zu, der offensichtlich hinter mir steht. „Hey, Lukas. Dein Freund hier fragt mich so komische Sachen. Willst du ihn nicht mal ein bisschen ablenken?“

„Was fragt er denn?“

„Äh ... nicht so wichtig“, sage ich schnell und fuchtel aufgeregt mit den Händen. „Nur so ein Bruder-Schwester-Ding.“

„Er wollte unbedingt wissen wie es bei mir und Andreas läuft.“

Vielen Dank auch Marie!

Aber zu meiner Überraschung grinst Lukas. „Ja, er macht sich immer zu viele Gedanken.“ Dann beugt er sich zu mir runter und flüstert etwas, das nur ich hören kann. „Kommst du bitte mal mit?“ Er zieht mich vom Stuhl und durch die Menschenmenge Richtung Treppe. Marie winkt mir grinsend nach.

Als wir in meinem Zimmer sind, schließt er die Tür hinter uns und ich rechne schon mit dem Schlimmsten. Warum wolltest du das von Marie wissen? Ist da doch noch was, das ich wissen sollte? Ja, das wird er fragen.

Aber stattdessen bleibt er dicht vor mir stehen, legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich zu sich heran. Seine Lippen treffen auf meine und natürlich erwidere ich erleichtert seinen Kuss.

„Deine Cousine hat mich die ganze Zeit angeschmachtet“, flüstert er an meinem Ohr, dass mir ganz anders wird. Seine Hände streichen währenddessen mit leichtem Druck über meinen Rücken. „Und dann hab ich mir gedacht, dass ich lieber schnell etwas tun sollte, das mich wieder an die richtige Seite des Ufers bringt.“

Etwas tun? „Äh ... Lukas?“

Er beachtet mich nicht, sondern dreht den Schlüssel im Türschloss um.

„Das können wir nicht machen“, flüstere ich und versuche, ihn mit meinen Händen ein bisschen auf Abstand zu halten. „Wenn mein Vater das rausfindet ...“

„Das wird er nicht.“ Er lehnt sich wieder vor und küsst mich. Sein Körper stemmt sich gegen meine Hände, die einfach zu schwach sind, um ihn weiterhin fernzuhalten. Vielleicht bin ich es aber auch, der zu schwach ist. Ich kann nicht widerstehen und lasse mich auf das Bett zuschieben. Ich spüre, wie erregt er ist und wahrscheinlich fühlt er dasselbe, denn er drängt sich noch weiter an mich.

Verdammt, was hat dieses Zimmer nur an sich? Hat sich der Herr der Pheromone hier eingenistet, nachdem ich ausgezogen bin? Erst Andreas und jetzt auch noch Lukas ... Und warum werde ich immer so schnell schwach?

Wir fallen auf die Matratze und reißen so wild an unseren Klamotten, dass es nachher schwierig werden dürfte, sie wieder ordentlich anzuziehen. Lukas‘ Hand schlüpft unter den Bund meiner Shorts, während seine Zunge über meinen Hals streicht, und ich stöhne etwas lauter auf, als es geplant war. Sofort legt sich eine Hand auf meinen Mund und nur ein paar Sekunden später klopft es an der Tür. Lukas und ich sehen beide erschrocken auf und erstarren, als ob man uns durch die Tür beobachten könnte.

„Janni?“, sagt die Stimme meiner Schwester vor der Tür. „Papa sucht nach dir. Wenn er merkt, dass deine Tür abgeschlossen ist, kann er bestimmt eins und eins zusammen zählen.“

„Er findet es also nicht raus, ja?“, flüstere ich zu Lukas und stehe hektisch auf. Tja, und wie ich vermutet hatte, sträuben sich die Klamotten dagegen, wieder richtig angezogen zu werden. Dass mein Vater auf dem Weg ist, macht die Sache nicht einfacher.

Lukas grinst die ganze Zeit.

„Das ist nicht witzig. Das machen wir nie wieder“, stelle ich klar.

Als ich wieder einigermaßen ordentlich aussehe, schließe ich die Tür auf und öffne sie einen Spalt breit. Von meinem Vater ist noch nichts zu sehen, aber genau in dem Moment läuft Andreas vorbei. Und natürlich sieht er mich sofort. Sein Blick wandert an mir hoch und runter und seine Augen werden immer schmaler. Dann kommt er plötzlich auf mich zu und stößt die Tür auf. Er sieht Lukas, der gerade seinen Pullover überzieht und funkelt ihn feindselig an.

Mir rutscht das Herz bis sonst wo hin. Er wird Lukas doch nichts sagen, oder? Bitte jetzt keine dämliche Bemerkung. Bitte nicht.

„Ach, sieh an“, sagt er schließlich und wirft mir einen vielsagenden Blick zu.

„Was willst du?“, fragt Lukas, zu meiner Überraschung ziemlich ruhig.

Andreas grinst jetzt. „Was wäre, wenn ich euch auffliegen lasse?“

„Dann lassen wir dich auch auffliegen.“

Ich liebe Lukas. Wie er das so gelassen und trotzdem drohend sagen kann ... Mir ist vollkommen die Sprache weggeblieben.

„Da seid ihr alle“, hören wir eine überraschte Stimme hinter uns. Mein Vater ist angekommen. „Was macht ihr hier?“

Mein Blick huscht zwischen Lukas und Andreas hin und her. Mein Freund sieht Maries Freund herausfordernd an, aber der grinst trotzdem noch. Schließlich dreht er sich zu meinem Vater um und sagt: „Wir haben uns nur unterhalten. Unten war es ja so laut.“

Ich bin erleichtert und doch irgendwie genervt, dass wir auf Andreas‘ Gnade angewiesen waren. Ich könnte wetten, dass die Sache damit noch nicht gegessen ist. Das wird er mir bestimmt irgendwann wieder unter die Nase reiben.

„Ach so. Jan, wir brauchen dich unten für ein Foto“, meint mein Vater.

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