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Manu und ich

Teil 7

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Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, also stehe ich eine Stunde später vor seiner Haustür. Kai sagte am Telefon, dass er auch keine Lust hatte den ganzen Tag im Park zu liegen. Das passt ja.

Er öffnet die Tür und zieht mich sofort zu sich rein. Seine Lippen liegen auf meinen noch bevor die Tür zugefallen ist oder einer von uns etwas gesagt hat. Was hat das denn zu bedeuten?

"Hallo", sage ich, als er mich wieder frei gelassen hat.

"Hallo. Komm doch rein."

"Was hast du denn genommen?"

"Nichts. Ich dachte nur, dass ich mal ein bisschen Leidenschaft zeige."

Wenn er sowas sagt, wird mir ganz heiß. Das kann er doch nicht machen. Wie sollen wir denn heute noch vor die Tür kommen, wenn er mir jetzt mit Leidenschaft kommt?

"Wo sind denn deine Eltern?"

"Im Wohnzimmer."

"Was?" Und dann macht er sowas? Die könnten doch jeden Moment dazukommen!

Kai lacht sich kaputt. Der hat sie eindeutig nicht mehr alle.

"Sie sind in die Stadt gefahren."

"Sehr witzig! Können wir trotzdem erst mal nach oben gehen? Wer weiß, was dir heute noch so in den Sinn kommt. Ich möchte jedenfalls nicht, dass deine Eltern irgendwo reinplatzen."

"Okay."

"Und was machen wir nun heute?", frage ich, während wir hoch gehen.

"Du wolltest doch schwimmen, oder?"

"Das war nur ein Beispiel."

"Ich fand die Idee aber gar nicht so schlecht. Wir könnten doch zu einem Badeteich fahren."

"Ich hab aber keine Schwimmsachen mit."

"Dann nimmst du eben was von mir und ein Handtuch kannst du auch haben. Wir müssten allerdings mit dem Bus fahren, weil der See ein ganzes Stück weg liegt", sagt Kai.

"Okay, hört sich gut an. Du kannst heute auch dringend eine Abkühlung gebrauchen."

"Ich hab mich doch einfach nur gefreut dich zu sehen."

Er setzt sich auf seinen Schreibtischstuhl und ich mich auf seinen Schoß.

"Ich weiß. Falls du allerdings vor hast heute noch aus dem Haus zu kommen, solltest du die Leidenschaft etwas runterfahren."

Kai grinst: "Soll das heißen, dass dich dieses Bisschen schon angemacht hat?"

"Ja, aber das ist dir ja sowieso egal", sage ich verlegen.

"Geht das schon wieder los", seufzt er. "Ich hab's dir doch erklärt."

Ich sage nichts.

"Okay, wenn du unbedingt willst ..."

Er steht auf und schiebt mich zum Bett. Ich falle mit dem Rücken auf die Matratze und da sitzt Kai auch schon auf mir. Was soll das denn werden? Seine Haare kitzeln mein Gesicht, als er sich über mich beugt, um mich zu küssen. Seine Hand wandert ohne Umwege zwischen meine Beine.

"Hör auf!", sage ich, als ich begriffen habe, worauf das hinausläuft, und stoße ihn weg. So wollte ich das garantiert nicht.

"Tut mir leid, aber du willst es ja nicht verstehen. Ich möchte nicht, dass du danach irgendwas bereust."

"Aber das gerade wäre ok gewesen, oder wie?"

"Glaubst du wirklich, dass ich das durchgezogen hätte?! Ich wollte dir nur zeigen, dass es nicht so einfach geht wie du dir das vorstellst."

Mein Kopf glüht. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein gargekochter Hummer. Als er mich aufs Bett geworfen hat, ist mir richtig komisch geworden. Ich habe tatsächlich etwas Angst bekommen, weil ich dachte, dass er es ernst meint.

Kai kommt langsam auf mich zu und streicht mit einer Hand durch meine Haare.

"Hey. Hab ich dich erschreckt?"

Ich sage nichts und sehe ihn auch nicht an. Mein Kopf ist noch dabei, meine Gedanken wieder zu sortieren. Wahrscheinlich sehe ich dabei etwas verloren aus.

"Es tut mir leid", sagt er und nimmt mich in den Arm. "Das kommt nicht wieder vor."

Seine Hände liegen ganz ruhig auf meinem Rücken und meine auf seinem.

"Bist du jetzt sauer auf mich?", fragt Kai.

"Nein."

"Verstehst du denn jetzt, was ich versuche dir zu sagen? Ich will nicht, dass du das falsch verstehst. Es ist nur so, dass ich Liebe und Sex bisher immer auseinander gehalten habe und das will ich jetzt nicht mehr. Ich will nichts mehr falsch machen."

"Ich weiß. Ich bin ein Idiot."

Tatsächlich fühle ich mich gerade genau so.

"Nein, das stimmt nicht. Ich kann schon verstehen, dass du die Finger nicht von mir lassen kannst."

Er grinst. Das weiß ich ganz genau, obwohl ich es nicht sehe.

"Haha, so toll bist du auch wieder nicht."

"Also ist jetzt alles klar?"

"Ja."

"Willst du immer noch zum Badeteich fahren?"

"Ja, aber können wir noch ein bisschen hier bleiben?"

Ich genieße seine Umarmung gerade viel zu sehr, um jetzt aufzustehen. Genau so ist es perfekt.

"So lange du willst."

"Dann für immer."

"Frag doch deine Mutter mal, ob du hier bleiben kannst. Oder meine Eltern rufen sie an, wenn sie wieder hier sind."

"Aha. Wer kann hier die Finger nicht von wem lassen?"

"Wir können dir auch eine Luftmatratze hinlegen", sagt er. "Ich hab dich einfach gerne hier."

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Mutter das gut findet. Nach dem Theater gestern."

"Muss sie ja auch nicht. Sie soll nur ja sagen", meint Kai.

"Nur ist gut, aber wir können es ja mal versuchen."

Wie ich schon vermutet hatte, war sie ganz und gar nicht begeistert. Ich durfte mir erstmal anhören, was sie unter Vertrauen versteht, und dass ich kurz davor sei, ihres zu verlieren. Sie wolle mir aber noch eine Chance geben und erlaubte, Wunder oh Wunder, dass ich bei Kai bleiben kann. Ich war so begeistert, dass ich mich überschwänglich bei ihr bedankte und ihr im Gegenzug wahrscheinlich alles versprochen hätte. Glücklicherweise verlangte sie nur, dass ich am nächsten Tag zeitig wieder zuhause sein würde.

"Wehe du schnarchst", sagt Kai drohend, als er mein grinsendes Gesicht sieht. Dann kommt er auf mich zu und gibt mir einen langen Kuss auf den Mund. "Ich glaube das wird eine schlaflose Nacht."

"Warum das denn? Hast du doch vor, über mich herzufallen?"

"Nein, aber ich werde dich wohl die ganze Nacht beobachten müssen."

"Wie wär's, wenn wir uns darüber nachher Gedanken machen und jetzt erst mal zu diesem See fahren, hm?"

"Einverstanden."

Wir suchen uns das Nötigste zusammen und machen uns dann auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Es ist ziemlich warm und ich kann es kaum erwarten ins kühle Wasser zu springen. Im Bus ist glücklicherweise die Klimaanlage an, sodass wir nicht noch unnötig schwitzen müssen.

Die Fahrt dauert auch nicht besonders lange. Die Stadt haben wir schnell hinter uns gelassen und auch das nächste Dorf ist im Nu durchquert.

"Da hinten ist es", sagt Kai und drückt den Halteknopf. Sobald der Bus anhält und sich die Türen öffnen, steigen wir aus und werden glatt von der Hitze um uns herum erschlagen. Das ist echt mörderisch! Bloß schnell weiter und dann ab in den See.

"Meinst du wir finden noch einen guten Platz?", frage ich skeptisch, als ich die vielen Autos sehe, die am Straßenrand parken.

"Bestimmt. Vielleicht müssen wir ein bisschen suchen, aber eigentlich findet man immer eine Stelle."

"Wenn du meinst. Mir wäre es aber auch lieber, wenn wir ein ruhigeres Plätzchen hätten. Ich hasse es, von anderen angestarrt zu werden."

"Jawohl der Herr."

"Blödmann."

Kai grinst.

Tatsächlich finden wir nach einem kurzen Fußmarsch eine ruhige Stelle mit einem kleinen Einstieg ins Wasser. Wir breiten unsere Handtücher auf dem Gras aus und schälen uns aus unseren Klamotten. Kai ist vor mir fertig und testet schon mal die Temperatur des Wassers.

"Sehr schön kalt."

"Zu kalt?"

"Nein, genau richtig."

Und mit einem lauten Platscher verschwindet er auf einmal unter der Wasseroberfläche. Ich beeile mich, um so schnell wie möglich hinterher springen zu können.

Als ich schließlich von dem kalten Nass umgeben bin, fühle ich mich richtig frei und glücklich. Hier kann mir niemand etwas. Ich bin mit Kai allein und zwar den ganzen Tag und die Nacht auch noch. Prustend taucht er plötzlich neben mir auf.

"Ist das herrlich!", sagt er und zieht mich unter Wasser. Ich versuche mich loszureißen, um wieder nach oben zu schwimmen, aber dann spüre ich etwas an meinem Mund und wehre mich nicht mehr länger. Kai hält mich ganz fest und küsst mich. Erst als wir wieder auftauchen, lösen wir uns voneinander und schnappen nach Luft.

"Warn mich bitte das nächste Mal, wenn du vor hast, mich zu ertränken", schnaufe ich.

"Dann wäre es aber nicht so aufregend gewesen. Oder hat es dir etwa nicht gefallen?"

Ich hasse es, wenn er solche Dinge sagt. Als ob er nicht wüsste, was seine Küsse mit mir machen. Meinetwegen hätten wir noch ewig unter Wasser bleiben können, aber leider sind wir Menschen ja nicht in der Lage, lange ohne Luft auszukommen. Ich denke, dass ich diese Tatsache noch nie so sehr bedauert habe wie in diesem Moment.

Er sieht mir scheinbar an, was ich denke und sagt:

"Komm, lass uns ein bisschen schwimmen."

"Okay."

Wir schwimmen raus auf den See, rangeln ein wenig im Wasser und beobachten die anderen Leute, die sich ebenfalls dafür entschieden haben, den Tag an diesem See zu verbringen. Die meisten sind ganz und gar mit sich beschäftigt, liegen am Ufer auf ihren Handtüchern, machen ein Picknick oder schwimmen, wie Kai und ich, ein paar Runden um sich abzukühlen. Aber es gibt auch ein paar Gruppen, die auffallend laut oder auch angriffslustig sind. Ihr Grölen hört man noch bis zum gegenüberliegenden Ufer und ich muss zugeben, dass mich das ziemlich nervös macht. Ich möchte den gemütlichen Abend mit Kai nicht unbedingt gegen einen Krankenhausaufenthalt eintauschen. Können die denn wirklich nur mit Alkohol Spaß haben, und wenn sie sich und anderen beweisen, dass sie unheimlich cool sind?

"Die sind doch harmlos", sagt Kai.

"Ja, das sagst du jetzt. Und was ist, wenn sie auf uns losgehen?"

"Warum sollten sie?"

"Weil wir schwul sind?"

"Das wissen die doch nicht." Kai schüttelt den Kopf. "Außerdem sind nicht alle Menschen, die sich an einem See amüsieren und dabei Alkohol trinken auch gleich homophob und aggressiv."

Ich wundere mich, dass er auf einmal so locker mit dem Thema umgehen kann. War er es denn nicht immer, der tierische Angst davor hatte, jemand könne von seinem Schwulsein erfahren?

"Machst du dir darüber keine Gedanken?"

"Doch, natürlich. Was meinst du, warum ich dich vorhin unter Wasser gezogen habe? Um dich zu ärgern?"

Ich sage dazu nichts mehr. Auf einmal habe ich das Gefühl, dass ich derjenige bin, der sich wegen seiner Sexualität zu viele Gedanken macht. So was Verrücktes! Aber vielleicht sollte ich auch froh sein, dass Kai scheinbar unempfindlicher geworden ist. Immerhin bedeutet das für uns beide weniger Stress.

Ich schlage vor, dass wir es uns am Ufer gemütlich machen und uns vielleicht noch ein wenig in die Sonne legen. Kai stimmt mir zu und wir schwimmen zurück zu der Stelle, an der wir unsere Sachen abgelegt haben. Die ist gar nicht so einfach zu finden, wenn man sich mal weit genug entfernt hat.

Wir trocknen uns ab und greifen lieber noch mal zur Sonnencreme, damit uns die Nacht nicht von Sonnenbränden ruiniert wird.

Das Plätzchen, das wir uns ausgesucht haben, ist wirklich perfekt. Es ist ziemlich zugewachsen, sodass man vor neugierigen Blicken einigermaßen sicher ist, aber in dem Blätterdach über uns ist trotzdem noch genug Platz, um die schönen, warmen Sonnenstrahlen durchzulassen. Alles ist grün und auf dem See spiegelt sich die Sonne, sodass es rund um uns herum irgendwie wie verrückt funkelt. Mir wird auf einmal ganz heiß. Könnte an der Sonne liegen. Oder auch an dem wahnsinnig süßen Jungen neben mir, der es sich gerade auf seinem Handtuch gemütlich macht. Aber egal was es ist, es fühlt sich toll an. Und ich merke wie ich diesem Gefühl verfalle.

"Kai?", sage ich grinsend.

"Hm?" Seine Augen sind geschlossen.

"Küsst du mich mal?"

"Ab und zu, ja."

"Und jetzt?"

Sein Mund verzieht sich nun ebenfalls zu einem Grinsen. Seine Augen bleiben geschlossen.

"Hier?", fragt er. "Was, wenn die bösen Jungs von da drüben kommen?"

Ich beuge mich über ihn, sodass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind.

"Egal."

Er öffnet die Augen und strahlt mich an. Dann streckt er eine Hand aus und zieht mich zu sich runter. Unsere Lippen berühren sich und ich fühle mich auf einmal, als hätte mich unerwartet jemand in den kalten See geworfen. Ein Schauer nach dem anderen huscht über meine Haut, doch dann merke ich, dass es nur Kais Hände sind, die mir über den Rücken streichen. Er zieht mich fest an sich und gibt mir damit das Gefühl, dass alles genauso ist wie es sein soll. Und das ist es auch.

"Hey!", ruft auf einmal jemand hinter uns und wir schrecken gleichzeitig hoch. Ein paar Meter von uns entfernt stehen fünf Jungs beziehungsweise junge Männer, die uns überheblich angrinsen.

"Seid ihr etwa schwul?", fragt einer.

Mir rutscht das Herz mindestens bis in den kleinen Zeh, wenn es überhaupt noch zu meinem Körper gehört. Kai scheint es genauso zu gehen. Er sitzt stocksteif neben mir und wagt es offensichtlich nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ich bin mir absolut sicher, dass diese fünf zu der Gruppe gehören, über die wir vorhin noch gesprochen haben. Na toll! Das war es dann mit unserem gemütlichen Ausflug. Wir können wohl von Glück reden, wenn wir uns nur ein paar dumme Sprüche anhören müssen.

"Hat es euch die Sprache verschlagen?"

Sie alle lachen laut auf. Dann kommt einer auf uns zu und streckt eine Hand aus.

"Keine Panik, wir wollen euch nichts Böses. Es ist nur eine Art Ritual, dass wir diejenigen erschrecken, die wir erwischen."

Wie erwischen? Und warum erschrecken? Ich verstehe nur Bahnhof.

"Ich bin Theo. Ach ja, wir sind übrigens auch alle schwul."

Wieder können sich die fünf vor Lachen kaum halten und setzen sich einfach neben uns ins Gras.

"Ihr seid schwul?", frage ich skeptisch.

"Ja, alle."

"Und ihr macht euch einen Spaß daraus, andere zu erschrecken?"

"Nur wenn sie so unvorsichtig sind und hier rumknutschen. Man kann doch nie wissen, wer einen hier beobachtet."

"Na ja, bis eben waren wir noch ganz allein hier", schaltet sich Kai ein.

"Dann habt ihr ja jetzt mal gesehen, wie schnell sich das ändern kann. Ich weiß übrigens immer noch nicht, mit wem ich es zu tun habe."

"Ich bin Moritz."

"Kai."

"Na also", sagt Theo und stellt uns der Reihe nach die anderen vier vor.

Ich bin immer noch etwas verwirrt von diesem Überfall und ehrlich gesagt, weiß ich auch noch nicht so recht was ich davon halten soll. Kai sieht immer noch ziemlich blass aus. Die scheinen alle ganz ok zu sein, nur etwas zu aufdringlich für meinen Geschmack.

"Seid ihr schon lange zusammen?", fragt Theo. "So wie ihr eben ausgesehen habt wohl eher nicht."

"Und wenn schon", sagt Kai giftig. Ihm sind diese Typen offensichtlich nicht sehr sympathisch.

"Oh, ein wunder Punkt? Macht euch nichts draus. Man sieht auf den ersten Blick, dass ihr zusammen gehört. Na ja, immerhin jemand, der ein bisschen Ahnung davon hat. Schade eigentlich."

Kai funkelt ihn böse an. Die Eifersucht steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen und freue mich innerlich ein bisschen, dass er jetzt auch mal auf dieser Seite steht. Sonst war er es ja immer, der sich an andere Jungs rangemacht hat.

"Okay, wie ich sehe, stören wir hier wohl. War trotzdem nett euch kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder."

"Ja, vielleicht", sage ich und ernte ungläubige Blicke von Kai.

"Nur noch ein Tipp: macht lieber zuhause da weiter, wo wir euch unterbrochen haben."

"Sicher."

Nachdem die fünf verschwunden sind, kostet es mich noch ein paar Minuten, bevor Kai wieder einigermaßen gut gelaunt ist. Er sagt, dass er mit solchen Leuten einfach nichts anfangen kann. Die hätten doch nur Party und Sex im Kopf. Ich sage nichts weiter dazu und lasse mich auf mein Handtuch fallen, um heute noch was von der Sonne zu haben. Kai legt sich ebenfalls hin und wir sind für eine ganze Weile still.

Einmal sind wir danach noch ins Wasser gegangen und da war auch schon wieder alles normal. Kai war nicht mehr angefressen oder konnte es zumindest sehr gut verbergen. Allerdings bin ich der Meinung, dass ich ihn schon ziemlich gut kenne und er so etwas nicht vor mir verbergen könnte. So undurchsichtig wie er gerne wäre, ist er nämlich eigentlich gar nicht, wenn man mal mehr Zeit mit ihm verbracht hat.

Auf dem Rückweg haben wir noch ein Eis in der Stadt gegessen und waren schließlich abends wieder bei Kai zuhause. Ich finde, dieser Ausflug hat sich sehr gelohnt.

"Oh man, schwimmen macht echt müde. Ich bin völlig k.o. Und ich könnte ununterbrochen trinken. Die Sonne hat mich total ausgetrocknet", nörgle ich und schenke mir ein Glas Eistee ein. Den hat Kai extra für mich gekauft.

"Du bist einfach zu empfindlich und ein bisschen Sport wäre auch nicht schlecht für dich."

Ich schmolle.

"Für die Kondition meine ich", fügt Kai hinzu.

"Und du? Du machst doch auch keinen Sport."

"Ich bin früher sehr lange im Verein geschwommen."

"Ja, früher."

Das Argument überzeugt mich nicht.

"Ich gehe aber immer noch regelmäßig schwimmen, wenn ich die Zeit dazu habe. Und du hockst immer nur faul rum."

"Stimmt doch gar nicht!", schnaufe ich empört. Obwohl er eigentlich recht hat. Sehr viel Bewegung bekomme ich wirklich nicht.

Er sieht mich schief an.

"Ich fühle mich so ganz wohl. Wenn du unbedingt so ein muskelbepacktes Etwas als Freund möchtest, bin ich wohl nicht der Richtige."

Kai verdreht die Augen.

"Trink noch einen Schluck Eistee. Vielleicht hilft das ja gegen deine Wahnvorstellungen."

"Ha ha."

Ich nehme mir trotzdem mein Glas und trinke. Mein sogenannter Freund findet das scheinbar sehr lustig und wirft sich kichernd auf den Boden. Ich werfe mich hinterher, nachdem ich das Glas in Sicherheit gebracht habe.

"Du bist doof", sage ich.

"Ich weiß."

Ich bekomme einen Versöhnungskuss und dann ruft uns Kais Mutter auch schon zum Abendessen. Sofort werde ich wieder nervös. Was, wenn ich das Essen nicht mag? Oder wenn ich mich irgendwie falsch benehme? Soll ich mit ihnen reden oder eher nicht? Und wenn ja, was soll ich sagen?

"Meine Eltern sind ganz penibel mit Tischmanieren", sagt Kai. "Also wage es ja nicht, den Ellenbogen auf den Tisch zu stützen oder mit dem Besteck zu laut auf den Tellern zu kratzen. Das mögen sie gar nicht."

Ich sehe ihn entsetzt an und will schon sagen, dass ich eigentlich gar nicht so großen Hunger habe, da fängt er auf einmal an zu grinsen.

"Das hast du nicht wirklich geglaubt, oder? Kommen dir meine Eltern so spießig vor?"

Ich sage nichts dazu, sondern funkle ihn nur böse an und verlasse das Zimmer.

"Och komm schon, Mo. Das war doch nur ein Scherz."

"Schön, dass du deinen Spaß hast", sage ich kühl, während wir die Treppe runter gehen. Er seufzt einmal unüberhörbar und greift dann nach meiner Hand.

"Okay. Es tut mir leid. Von jetzt an darfst du immer so doll aufgeregt sein wie du willst."

Ich kann nicht anders als zu lächeln. Er kann so unheimlich süß sein, dass es… ja, einfach unheimlich ist.

Während wir essen – es gibt eine Art Wok – fragen Kais Eltern mich ein bisschen aus. Zuerst nur das Übliche wie zum Beispiel etwas über meine Familie und meine Zukunftspläne, aber irgendwann werden die Fragen persönlicher und beziehen sich hauptsächlich auf Kai und mich. Ich bin mir eigentlich sicher, dass Kai ihnen selber schon eine Menge davon erzählt hat und trotzdem fühle ich mich nicht unwohl, als ich alles noch mal aus meiner Sicht erzähle. Die Nervosität ist total verflogen. Beinahe hätte ich vergessen, mit wem ich rede.

"Du hast dich betrunken?", fragt Marion. Sie und Kais Vater bestehen darauf, dass ich sie mit Vornamen anspreche.

"Ja, aber nicht absichtlich. Ich war nur ein bisschen durcheinander, und da ich offensichtlich keinen Alkohol vertrage, ging das ziemlich schnell."

"Kai hat das alles ein wenig harmloser dargestellt", sagt Robert.

"Der hat ja auch alles nur aus der Entfernung mitbekommen."

"Ja, ich weiß. Ich bin an allem schuld", schmollt Kai.

Seine Eltern fangen beide gleichzeitig an zu lachen.

"Aber scheinbar hat sich dieses ganze Theater ja auch gelohnt", sagt seine Mutter freundlich. "Wir freuen uns jedenfalls, dass ihr euch gefunden habt und du kannst immer gerne zu uns kommen, Moritz."

"Danke, das Angebot werde ich wahrscheinlich auch öfter annehmen."

In meinem Kopf läuft schon wieder der Film ab, der meine Flucht von Zuhause zeigt.

Kai sieht mich nachdenklich an. Scheinbar weiß er ganz genau, woran ich gerade gedacht habe.

"Liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass wir dir wohl keine Matratze in Kais Zimmer legen müssen?", fragt Robert und reißt mich damit aus meinem stummen Gespräch mit Kai.

"Äh… ja", stottere ich. Mein Peinlichkeitssensor schlägt gerade aus wie wild.

"Dann ist ja alles klar", sagt Kai und schnappt sich meine Hand. "Wir gehen hoch."

Ich frage mich, warum er es auf einmal so eilig hat.

"Okay, gute Nacht!", rufen uns seine Eltern nach.

"Jetzt renn doch nicht so", maule ich. "Mein Bauch ist dafür viel zu voll."

"Du hast ja auch jeden Krümel vom Teller gepickt."

"Na und? Es war eben lecker."

Kai schließt die Tür zu seinem Zimmer hinter uns und sieht mich prüfend an.

"Und?"

"Was und?"

"Woran hast du eben gedacht, bevor mein Vater mit dieser Matratzen-Geschichte kam?"

"Nichts besonderes", lüge ich. Ich will nicht schon wieder über meine Eltern reden, beziehungsweise jammern.

"Deine Eltern?"

Ich sage nichts. Stattdessen setze ich mich aufs Bett und lehne mich mit dem Rücken an die Wand.

"Deine Eltern sind echt toll. Man kann bestimmt über alles mit denen reden, oder?"

"Wenn du willst, dass sie alles über dich wissen, ja."

"Aber sie interessieren sich wenigstens für dich."

"Ja, und für dich jetzt auch. Da kommst du nicht wieder raus."

Als er merkt, dass sein Aufmunterungsversuch nicht geholfen hat, setzt er sich mir gegenüber in den Schneidersitz und legt seine Hände auf meine Knie.

"Man kann sich seine Eltern eben nicht aussuchen. Aber meine Mutter meint es ernst, dass du immer hierher kommen kannst und mich brauchst du da sowieso nicht fragen."

"Aber zurück muss ich trotzdem immer wieder. So wie morgen. Manchmal möchte ich einfach nur abhauen", gestehe ich. "Für immer."

"Versprichst du mir, dass du zu mir kommst, wenn es mal so weit ist?"

Ich sehe ihn aufmerksam an, finde aber keine Anzeichen dafür, dass er es nicht ernst meint. Das überrascht mich irgendwie. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Jedenfalls nicht diese Entschlossenheit. Irgendetwas in mir scheint wohl immer noch daran zu zweifeln, dass ich ihm wichtig bin. Ich muss das endlich mal abschalten.

"Natürlich komme ich dann zu dir. Woanders würde ich gar nicht sein wollen."

"Dann ist ja gut", sagt er strahlend.

Nach diesem aufwühlenden Gespräch machen wir es uns erst mal gemütlich. Wir kuscheln uns ganz eng aneinander und schauen irgendeinen Film im Fernsehen an, von dem wir eigentlich gar nichts mitbekommen. Ich bin einfach nur froh, dass ich bei Kai sein kann und versuche auch, jede Sekunde zu genießen. Manchmal fallen ihm schon die Augen zu, also mache ich den Vorschlag, dass wir uns langsam bettfertig machen.

"Nein, warte", sagt er allerdings und hält mich zurück, als ich gerade aufstehen wollte. "Es ist gerade so gemütlich."

"Aber du schläfst doch schon fast."

"Und wenn schon."

Seine Umarmung ist stark genug um mich bei ihm zu halten, aber trotzdem sehr angenehm. Als er merkt, dass ich mich wieder entspanne, tut er dasselbe und lächelt mich glücklich an. Offensichtlich möchte er in Jeans und T-Shirt schlafen.

"Das ist viel besser als immer nur allein zu schlafen."

"Wie lange ist es denn her?", frage ich neugierig, bedauere die Frage aber auch sehr schnell wieder.

Kai runzelt die Stirn.

"Was?"

"Ach nichts."

"Nein, ich will es wissen. Wie lange ist was her?"

"Dass jemand hier geschlafen hat."

Ich sehe ihn nicht an. Wahrscheinlich ist er jetzt sauer, dass ich das ausgerechnet heute Abend ansprechen musste.

"Hier hat noch nie jemand geschlafen. Zumindest nicht im eigentlichen Sinne."

Seine Finger streichen jetzt durch meine Haare.

"Du bist der Erste und der Einzige, der das darf. Ich hab doch gesagt, dass das bisher immer ganz anders gelaufen ist."

"Aber Tim hat doch bestimmt mal hier übernachtet, oder?"

Ich hoffe er bemerkt nicht, worauf ich hinaus will. Ob er weiß, dass Tim mir alles erzählt hat?

"Nein, absolut niemand."

"Warum nicht?"

"Weil ich es nicht wollte. Ich war hier immer lieber allein."

"Aber…"

Weiter komme ich nicht, weil Kai mich plötzlich küsst. Und er hört auch nicht wieder auf. Er legt beide Hände auf meine Schultern und drückt mich auf die Matratze. Sofort muss ich daran denken, was Theo uns gesagt hat: Macht lieber zuhause da weiter, wo wir euch unterbrochen haben. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass Kai genau das vorhat.

Ich versuche, ihn ein Stück von mir zu schieben, habe aber nicht genug Kraft. Er schnappt sich meine Handgelenke und legt sie zurück auf die Bettdecke. Soll das wieder so ein Test werden? frage ich mich und entscheide im selbem Moment, dass er dieses Mal nicht damit durchkommen wird. So leicht werde ich es ihm heute nicht machen.

Meine Hände wandern seinen Rücken entlang und schlüpfen schließlich unter den Saum seines T-Shirts. Er lässt sich nichts anmerken, also schiebe ich den Stoff langsam höher. Immer noch keine Reaktion. Sogar, als ich ihm das Shirt über den Kopf ziehen will und wir dadurch unseren Kuss unterbrechen müssen, sagt er nichts. Meint er es vielleicht doch ernst?

Er sieht mich einen Augenblick sehr genau an und dann, kurz bevor er mich wieder küsst, meine ich, etwas in seinen Augen gesehen zu haben. Oder war das nur Einbildung? Jedenfalls zieht er mir wenige Sekunden später ebenfalls das T-Shirt aus und streicht dann mit einer Hand über meinen nackten Oberkörper. Das Gefühl ist überhaupt nicht mit dem zu vergleichen, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Ich dachte, ich wüsste wie es sich anfühlen würde. Jedes Mal, wenn ich darüber in meiner Geschichte geschrieben habe, hatte ich eine genaue Vorstellung im Kopf. Wie konnte ich nur so falsch liegen?!

Mein Atem wird immer schneller und unregelmäßiger und ich rechne schon damit, dass Kai das Ganze jeden Moment abbricht. Er kann sich doch nicht so plötzlich umentschieden haben. Ohne ein Wort darüber zu verlieren. Erst heute Nachmittag hat er mir noch erklärt, warum er noch warten möchte und ich habe es akzeptiert. Also hat er entweder doch eine zweite Persönlichkeit oder er hat sich spontan dafür entschieden, es doch zu versuchen. Aus welchem Grund auch immer. Ich kann nur sagen, dass es mir in diesem Moment reichlich egal ist.

Er macht auch nicht den Eindruck, als wolle er in nächster Zeit wieder von mir ablassen, während seine Lippen über meinen Hals und meine Brust gleiten. Meine Finger versuchen sich verzweifelt irgendwo an seinem Rücken festzuhalten und hinterlassen wahrscheinlich ein paar Spuren, von denen Kai jetzt noch nichts zu merken scheint. Die Bettdecke ist längst am Fußende des Bettes gelandet und hindert meine Beine nicht mehr daran, sich um Kais Hüften zu schlingen. Es ist, als würde mir gerade erst bewusst, worauf das Ganze hier hinaus läuft. Ich bin so versunken, dass ich erst gar nicht bemerke wie Kais Finger meine Hose öffnen und langsam hineingleiten. Erschrocken reiße ich meine Augen auf und atme geräuschvoll aus. Kai sieht mich ebenso erschrocken an.

"Alles in Ordnung?", fragt er.

"Ja, ich… ja."

Ich ziehe ihn wieder zu mir runter und küsse ihn. Wie gesagt: So leicht kommt er mir heute nicht davon.

Zuerst scheint er etwas zu zögern, aber dann erwidert er meinen Kuss. Und wie er das tut. Offensichtlich hat ihn die Leidenschaft wieder eingeholt und zieht mich jetzt auch in ihren Bann. Entschlossen richte ich mich auf und werfe Kai auf den Rücken. Er grinst.

An dieser Stelle schaltet sich mein Gehirn irgendwie aus. Alles, was danach kommt, nehme ich zwar wahr, erinnere mich aber erst später wieder daran.

Als ich mitten in der Nacht aufwache, bin ich müde und hellwach zur gleichen Zeit. Mir gehen so viele Bilder durch den Kopf, dass ich unmöglich wieder einschlafen kann. Das Komische ist nur, dass ich mich auf den Bilder selber sehe, und deshalb ernsthaft überlege, ob ich nicht doch alles nur geträumt habe.

Mein Blick fällt auf Kai, beziehungsweise auf das, was ich in der Dunkelheit von ihm sehen kann. Er liegt auf dem Bauch, die Bettdecke nur bis zu den Hüften hochgezogen. Als ich mit einer Hand über seinen Rücken streiche, spüre ich etwas, das mich sogar hier, mitten in der Nacht, rot werden lässt. Das sind eindeutig Kratzspuren. Und die waren vor ein paar Stunden noch nicht da. Schnell ziehe ich meine Hand wieder zurück und lege mich auf den Rücken. An der Decke sollte eigentlich nichts zu sehen sein, aber für mich läuft da ein ganzer Film. Mit Vorspann, Hauptteil und Ende. Einer der beiden Jungen sieht mir verdammt ähnlich, aber er tut Dinge, die ich mir nie zugetraut hätte. Trotzdem muss ich grinsen. Egal wie es dazu gekommen ist, und egal wie unwirklich es mir jetzt vorkommt, ich fühle mich… toll.

Keine Ahnung, wann die Müdigkeit die Oberhand bekommen hat, aber als ich das nächste Mal die Augen öffne, scheint die Sonne bereits ins Zimmer.

Dank meiner nächtlichen Grübelei weiß ich sofort wo ich bin und mit wem. Müde bin ich allerdings immer noch. Und wie. Hoffentlich hat es Kai nicht so eilig mit dem Aufstehen. Ich möchte viel lieber noch hier liegen bleiben und den Moment genießen. Dass daraus wohl nichts wird, merke ich allerdings ziemlich schnell, als ich mich umdrehe und sehe, dass das Bett neben mir leer ist. Ich fasse es nicht! Er hat mich einfach um das unbezahlbare Gefühl gebracht, neben ihm aufzuwachen! Aber warum?

Verwirrt und enttäuscht steige ich aus dem Bett und ziehe mich an. Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Es ist, als ob etwas nicht stimmt, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum das so sein sollte.

Langsam, fast schleichend, gehe ich die Treppe runter und achte dabei auf jedes Geräusch, das ich höre. Wo könnte Kai sein? Es ist vollkommen still im Haus. Zuerst schaue ich ins Wohnzimmer und dann in die Küche. Kai steht mit dem Rücken zu mir am Fenster und dreht sich erst um, nachdem ich ein leises "Hey" über die Lippen gebracht habe.

"Hey", erwidert er tonlos und schaut wieder aus dem Fenster. Er beachtet mich überhaupt nicht, stelle ich geschockt fest und wünsche mir zum ersten Mal, dass doch alles nur ein Traum war.

Anmerkung der Autorin:

So, es geht weiter (endlich). Vielen Dank für die lieben Rückmeldungen! Ich freue mich jedes Mal riesig, wenn ich das Wort "Feedback" im Betreff einer Mail lese! Also, wenn Euch diese Geschichte gefällt, schreibt mir. Und wenn nicht, dann auch ;) Ich werde mich auch bemühen, dass der nächste Teil mal etwas länger ausfällt…

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