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Kartenhäuser

Teil 9

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Inhaltsverzeichnis

 

Die Bilder von der Wohnung waren wirklich sehr überzeugend. Chris träumte schon davon, auf dem kleinen Balkon zu sitzen, in seiner eigenen Küche zu kochen und endlich wieder in seinem eigenen Bett zu schlafen. Unabhängigkeit war einfach alles, an das er jetzt denken konnte.

Er unterschrieb den Mietvertrag und beschäftigte sich dann mit der verbleibenden Planung. Wie sollte er nach Berlin kommen? Was sollte er mitnehmen? Er hatte keine Möbel und auch kein Geld, um sich welche zu kaufen. Er hatte sich das alles wirklich nicht so kompliziert vorgestellt. Seine Zukunftspläne sahen immer so aus, dass er sein Abitur machen, studieren und von seinen Eltern bei allen finanziellen Problemen unterstützt werden würde. Aber das war vor dem Unfall.

In der Zeit, als er mit Paul zusammen lebte, hatte er sich darüber nur wenig Gedanken gemacht. Da saß Arnie ihm schließlich noch im Nacken und niemand konnte wirklich sagen, wie es weiter gehen würde. Und jetzt war er mit allem heillos überfordert.

Aber wenigstens hatten Alex und Melanie mehr Ahnung davon, wo man sich Hilfe suchen konnte. Vor allem finanzielle Hilfe. Und sie halfen ihm auch beide, wo sie nur konnten. Melanie bot bei einem Telefonat zusätzlich noch an, Chris beim Umzug zu helfen und Alex sah den langersehnten BAföG-Bescheid nach Berechnungsfehlern durch. Er war zwei Tage nach dem unangenehmen Aufwachen auf der Couch endlich angekommen. Seitdem war Chris nur noch mit einer Sache beschäftigt: rechnen. Und er kam zu dem zufriedenstellenden Ergebnis, dass er mithilfe der Waisenrente, des Kindergeldes und der Ausbildungsförderung sehr gut über die Runden kommen würde. Nach einem Job brauchte er sich gar nicht mehr umsehen. Er konnte sich voll und ganz auf die Schule konzentrieren, was nach der langen Pause wohl auch dringend nötig sein würde.

„Was willst du dann eigentlich machen?“, fragte Chris eines Abends an Alex gewandt, als sie wieder mal im Wohnzimmer fernsahen. Normalerweise vermieden sie es, über die Zeit nach ihrem Abschied zu reden, aber Chris wollte einfach nicht gehen, ohne zu wissen, was Alex mit seiner Zukunft anfangen würde.

„Ich werde wohl meinen Zivildienst machen“, kam die knappe Antwort.

„Und dann?“

Alex sah zu Chris und seine Stimme klang etwas gereizt. „Keine Ahnung. Warum willst du das wissen?“

„Nur so. Du bist doch mein Freund und ich dachte…“ Chris sprach lieber nicht weiter und sah wieder zum Fernseher. Alex schien ebenfalls nichts mehr zu dem Thema sagen zu wollen und so schwiegen sie sich wieder an.

Chris wusste, was in Alex‘ Kopf vorging. Beim Frühstück hatten sie über den Umzug gesprochen und Chris hatte Alex erzählt, wann er stattfinden sollte. In zwei Tagen. Das bedeutete, dass sie nur noch etwas mehr als 48 Stunden zusammen sein würden. Nur noch zwei gemeinsame Fernsehabende. Und dieser war einer davon. Alex ging das offensichtlich viel zu schnell, obwohl er gewusst hatte, dass es irgendwann so kommen würde. Er saß stocksteif neben Chris auf dem Sofa und sprang in jeder Werbeunterbrechung auf, um irgendwas zu holen, ins Bad zu gehen oder einfach für ein paar Minuten in seinem Zimmer zu verschwinden. Chris sprach ihn nicht darauf an.

„Was machst du morgen?“, fragte Alex scheinbar beiläufig, bevor sich jeder für die Nacht in sein Zimmer zurückziehen konnte. Er schloss die Wohnungstür ab und blieb dann vor seiner Zimmertür stehen.

„Ähm, ich wollte in den Zoo gehen. Mich verabschieden, du weißt schon.“

„Die Affen.“

„Ja, genau.“

„Willst du nicht noch mal zum Grab?“, fragte Alex überrascht.

„Nein.“

„Okay. Gute Nacht.“ Mit den Worten verschwand er in seinem Zimmer und schloss die Tür.

Chris überlegte noch einen Moment, ob er etwas sagen könnte, damit es Alex besser ging, entschied sich dann aber doch dagegen. Er ging in sein Zimmer nebenan und wünschte sich, dass der Umzug schon am nächsten Tag stattfinden würde. Noch so einen verkrampften Abend wollte er nur zu gern vermeiden, aber leider war das nicht möglich. Alex hatte sich wirklich sehr bemüht, sich normal zu verhalten, aber wer konnte ihm schon übel nehmen, dass er es nicht konnte?

Deshalb hatte Chris auch entschieden, den letzten Tag hauptsächlich allein zu verbringen. Deshalb, und natürlich auch, weil er die Stadt nicht verlassen konnte, ohne noch einmal im Zoo gewesen zu sein. Er konnte nur hoffen, dass Matze da sein und ihm einen letzten Gefallen tun würde. Bei den Affen hatte Chris das Gefühl, sich besser verabschieden zu können als am Grab. Immerhin wollte er sich nicht von Pauls körperlichen Überresten verabschieden, sondern von dem, was er an Paul geliebt hatte und niemals vergessen würde.

„Sie vermissen ihn“, sagte Matze, als sie durch das kleine Fenster in das Affengehege sahen. „Und ich auch.“

Der Weg zum Zoo war Chris merkwürdig schwergefallen. Das alles – der Parkplatz, der Pförtner, die fröhliche Atmosphäre und all die Tiere – weckten so viele Erinnerungen, dass Chris ganz schwindelig wurde. Sein Herz schlug ungewöhnlich schnell und machte einen kleinen, erleichterten Hüpfer, als er Matze auf sich zukommen sah. Er hatte sich nicht verändert und erinnerte sich auch sofort an Chris. Er streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und nahm Chris ohne Aufforderung mit zum Affenhaus.

„Mir fehlt er auch“, sagte Chris.

„Du verlässt die Stadt?“

„Ja, woher weißt du das?“

„Na ja, das hier sieht ganz nach einem Abschied aus“, stellte Matze fest. Dann deutete er auf die Affen. „Und du willst dich bestimmt nicht nur von mir verabschieden.“

„Nein“, gab Chris mit einem kleinen Lächeln zu. „Ich hab das Gefühl, dass das hier der richtige Ort ist, um sich von Paul zu verabschieden.“

„Ja, das stimmt wahrscheinlich.“

Matze schloss die Tür auf und betrat mit Chris zusammen den großen Käfig. Er blieb allerdings an der Tür stehen und ließ Chris allein auf die scheuen Tiere zugehen. Aber auch sie schienen sich an ihn zu erinnern und trauten sich schon viel schneller in seine Nähe als bei seinem letzten Besuch. Vielleicht spürten sie auch, dass Chris aus einem ganz bestimmten Grund gekommen war. Aber dass sie ihn mit Paul in Verbindung brachten, glaubte er nicht.

„Ist bestimmt langweilig ohne Paul, oder?“, fragte er mehr sich selber als eines der kleinen Äffchen, die ungeniert in seinen Taschen nach etwas Essbarem suchten. Eine Antwort würde er ja ohnehin nicht bekommen.

Er warf einen Blick zu Matze, aber der war ebenfalls mit einem Affen beschäftigt. Mit nur einem, aber der schien dafür dreimal so anhänglich zu sein. Es sah fast aus wie ein Kuscheln.

„Ich glaube, sie liebt mich“, rief Matze schulterzuckend, als er Chris‘ Blick bemerkte. „Alle anderen sind immer zu Paul gelaufen, aber sie hängt nur an mir.“

Chris lachte und wandte den Blick wieder ab. Er konnte es sich bildlich vorstellen wie die ganze Bande auf Paul zustürmte oder sogar schon vorne am Gitter hing, wenn er vorbei ging. Es wunderte ihn nicht. Aber als er daran dachte, taten ihm die Affen leid. Paul war für sie auch etwas Besonderes gewesen. Sie haben mit Sicherheit gespürt wie wohl er sich in ihrer Nähe gefühlt hatte. Jetzt hatten sie nur noch Matze und vielleicht bald einen neuen Pfleger, der Pauls Stelle annehmen würde. Und der müsste sich ohne Zweifel wohl sehr anstrengen, um nur annähernd so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Darf ich dich mal was fragen?“ Matze hatte sich neben Chris auf den Baumstamm gesetzt und versuchte jetzt die Arme seiner anhänglichen Freundin von seinem Hals zu entfernen. Ohne Erfolg.

„Klar.“

„Du warst doch mit Paul zusammen, oder? Also, so beziehungsmäßig?“

„Hat er dir das erzählt?“, wunderte sich Chris.

„Nein, aber… ich hab’s mir halt gedacht. Und warum sollte es dir sonst so wichtig sein, noch mal hierher zu kommen?“

„Ja, wir waren zusammen.“

Eines der Äffchen saß jetzt auf Chris‘ Kopf und griff immer wieder nach seiner Nase. Der Versuch, es daran zu hindern, war allerdings genauso erfolgslos wie Matzes Kampf mit seinem Anhängsel.

„Wurde er deshalb umgebracht?“

„Nein, das war alles ein bisschen komplizierter.“

„Tut mir leid, ich wollte nicht so neugierig sein“, sagte Matze. „Ich wüsste nur gerne, warum man jemanden wie Paul umbringen will. Ich kann mir das nicht vorstellen. Er hat doch nie was gemacht, von dem er wusste, dass es falsch ist.“

„Nein, hat er nicht. Aber manchmal geht es eben auch schlecht aus, wenn man das Richtige tut.“

„Wie meinst du das?

Chris seufzte. Eigentlich war ihm nicht danach, diese Geschichte jetzt wieder aufzuwärmen. Aber er konnte Matze auch verstehen. Paul und er waren Arbeitskollegen gewesen. Natürlich wollte er wissen, was passiert war und warum man es ausgerechnet auf Paul abgesehen hatte.

„Er hat mir sehr geholfen, aber sich dadurch selbst in Gefahr gebracht. Sei mir nicht böse, aber ich würde lieber nicht darüber reden. Der Prozess ist gelaufen, die Schweine haben lebenslänglich bekommen und ich muss jetzt versuchen, ein neues Leben anzufangen. So wie Paul es wollte.“

„Das ist bestimmt nicht leicht“, sagte Matze verständnisvoll.

„Nein. Aber es wird besser.“ Chris versuchte sich an einem kleinen Lächeln, das nicht besonders überzeugend aussah.

„Wo geht es denn hin?“

„Nach Berlin. Pauls Schwester wohnt da auch. Sie hat mir eine Wohnung gesucht und hilft beim Umzug.“

„Ach, gleich so weit?“, fragte Matze erstaunt. „Hört sich an als wolltest du hier so schnell wie möglich weg.“

„Ja, ich muss einfach alles hinter mir lassen.“ Und jeden, fügte er in Gedanken hinzu.

Nachdem sie es nur mit Müh und Not geschafft hatten, Chris von den Affen zu befreien, lud Matze ihn noch auf ein Eis ein. Der Nachmittag war viel zu schnell vergangen und erst als Chris den Zoo durch das große Portal verließ, fiel ihm wieder ein, was der eigentliche Grund für seinen Besuch gewesen war. Er wollte sich von Paul verabschieden; er wollte ihn endgültig loslassen. Mit einem letzten Blick zurück, erlaubte Chris es kurz, sich daran zu erinnern wie Paul jeden Tag denselben Weg gegangen war. Und wie er ihn dabei beobachtet hatte.

Dann dreht er sich um, flüsterte ein scheinbar tonnenschweres „Tschüß, Paul“ und machte sich auf den Weg zurück zu Alex. Chris wollte ihn an ihrem letzten gemeinsamen Abend schließlich nicht allein lassen. Ein kurzes ‚Mach’s gut‘ vor der Abreise wäre einfach viel zu wenig. Dafür hatten sie zu viel gemeinsam durchgemacht und hingen zu sehr aneinander. Einfach würde der Abschied auf keinen Fall werden, aber Chris wollte ihn nicht noch zusätzlich unangenehm machen.

Wenn er absolut ehrlich war, hatte er schon mehr als einmal darüber nachgedacht, einfach zu verschwinden. Er wollte es Alex und auch sich selber so einfach wie möglich machen. Aber er hatte selber schon genug Erfahrung mit plötzlichen Abschieden, um zu wissen, dass es dadurch nicht einfacher wurde.

In der Wohnung roch es nach geschmolzenem Käse, Tomaten und verschiedenen Kräutern. Chris warf einen Blick in die Küche und sah, dass Alex gerade zwei Pizzen in Stücke schnitt.

„Hey, du kommst genau richtig“, sagte er fröhlich und winkte Chris zu sich heran. „Ich hab Pizza bestellt.“

„Das sehe ich.“ Genau wie an ihrem ersten gemeinsamen Abend in dieser Wohnung.

Alex drückte Chris einen Teller in die Hand und schien sich zweifellos vorgenommen zu haben, den Abend so fröhlich wie möglich zu verbringen. Sein Lächeln sah echt aus und erinnerte Chris daran, wie unbeschwert Alex am Anfang ihrer kurzen Wohngemeinschaft gewesen war. Er hatte Chris so oft davon abgehalten, sich in seiner Trauer zu verlieren. Und gleichzeitig war er immer da gewesen, wenn einfach alles zu viel geworden war und das Leben ohne Paul seinen Sinn verloren hatte. Wenn Alex sich nicht verliebt hätte, wäre es vielleicht eine ganze Weile so weiter gegangen. Oder hätte Chris auch ohne diesen Grund die Stadt verlassen?

„Wie war es im Zoo?“, fragte Alex und setzte sich an den kleinen Küchentisch. Chris tat es ihm nach.

„Schön. Ich hab mich lange mit Matze unterhalten.“

„Über Paul?“

„Ja, auch. Er wollte wissen, was passiert ist, aber ich hab ihm gesagt, dass ich nicht darüber reden will.“

Sie bissen beide von ihrer Pizza ab und stimmten stillschweigend darin überein, dass das das Zeichen für einen Themenwechsel war. Es war also doch noch möglich. Etwas von ihrer unkomplizierten Freundschaft war doch noch übrig geblieben.

Und während sie da saßen und Pizza aßen, merkte Chris, dass er sich merkwürdig erleichtert fühlte. Er war sich plötzlich sicher, dass es die richtige Entscheidung war, zu gehen. Und er konnte sich zum ersten Mal auch wirklich darauf freuen, was ihn nun erwartete. Alex würde es ebenfalls gut gehen, auch wenn er selber jetzt noch nicht daran glaubte. Außerdem war es ja kein Abschied für immer. Es war mehr so etwas wie eine notwendige Orientierungsphase; das Zurechtlegen der Karten, bevor man ein neues Haus bauen konnte. Die Zukunft war also endlich keine Sackgasse mehr. Und Chris war von niemandem mehr abhängig, nicht einmal mehr von Paul. Der Abschied hatte tatsächlich bewirkt, dass er ihn loslassen konnte. Zumindest als Teil seiner Zukunft. Ein Teil seines Lebens würde er trotzdem immer sein.

„Geht’s dir gut?“, fragte Alex, als sie sich gerade im Wohnzimmer auf das Sofa setzten. „Ich meine, wegen dem Abschied.“

„Ja“, antwortete Chris lächelnd. Es war das erste Mal seit Langem, dass sich ein Lächeln wieder selbstverständlich und irgendwie aufmunternd anfühlte. Es war ein tolles Gefühl.

„Aha“, sagte Alex etwas irritiert, konnte aber nicht anders als diese fröhliche Mine zu erwidern. Er streckte schmunzelnd einen Arm zur Seite aus und legte ihn Chris um die Schultern, nachdem der sich an ihn gelehnt hatte. „Freut mich“, fügte er noch hinzu und schaltete den Fernseher an. Er war wirklich froh. Auf diesen erleichterten und unbeschwerten Ausdruck auf Chris‘ Gesicht hatte er lange gewartet.

Draußen begann es zu dämmern und schon wenig später war vor dem Fenster nichts mehr zu erkennen. Der Film wurde gerade durch eine Werbung unterbrochen, also nutzte Alex die Zeit, um ein paar Lichter in der Wohnung anzumachen. Er brauchte nicht lange dafür, aber es reichte für Chris, um eine Entscheidung zu treffen.

„Alex?“, sagte er, als der sich wieder neben ihn gesetzt hatte.

„Hm?“

„Du hast doch gesagt, dass nichts zwischen uns stehen soll, wenn ich gehe.“

„Ja“, antwortete Alex und zog verwirrt die Augenbrauen hoch. „Und?“

„Gilt das für alles? Ich meine, da ist was, das ich dir nicht gesagt habe, weil ich dachte, dass es alles nur schwerer macht. Willst du es trotzdem wissen?“

Alex verdrehte die Augen. „Na, jetzt will ich es auf jeden Fall wissen, du Blödmann. Was für eine Frage.“

„Aber vielleicht bereust du es nachher.“

„Bestimmt nicht. Also spuck’s schon aus.“

Chris zögerte. „Du hast doch neulich gefragt, ob etwas zwischen uns sein könnte, wenn das mit Paul schon länger her wäre.“

Alex schwieg gespannt.

„Bis heute wusste ich es nicht, aber ich glaube die Antwort ist ja. Seit ich vorhin aus dem Zoo gegangen bin, fühle ich mich irgendwie viel leichter und ich hab das Gefühl, dass ich endlich wieder klar denken kann. Keine Ahnung wie ich es beschreiben soll, aber ich glaube, dass das jetzt wirklich ein endgültiger Abschied war. Ich muss jetzt kein schlechtes Gewissen mehr haben wegen Paul.“

Chris sah zu Alex, der sich in den letzten Sekunden keinen Millimeter bewegt hatte und ihn mit einem undefinierbaren Blick ansah. Es war so eine Mischung aus Entsetzen, Überraschung und Glück. Jedenfalls deutete Chris es so.

„Ähm…“, gab Alex schließlich von sich und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Jetzt zeigte sein Blick eindeutig Verlegenheit und auch Chris war die Situation schlagartig peinlich, als er bemerkte wie Alex seine Erklärung verstanden haben musste. Er rückte ein Stück zur Seite.

„Also, ich dachte nur, dass du das wissen solltest. Aber… äh… es ist nicht… Siehst du, jetzt bereust du es doch.“

Der Film war inzwischen vollkommen vergessen. Chris seufzte nur und wartete auf eine Reaktion.

„Nein, ich bereue es nicht“, sagte Alex schließlich mit einem entschuldigenden Grinsen. „Eigentlich wusste ich es schon. Ich war nur ein bisschen überrascht, weil sich das eben sehr wie eine Einladung angehört hat.“

Chris‘ Wangen fühlten sich jetzt sehr warm an. „Und woher wusstest du es?“

„Der Kuss. Ich hab zwar angefangen, aber ich hab dich nicht gezwungen.“

„Ja“, sagte Chris und rückte noch ein Stück zur Seite. „Daran hab ich es auch gemerkt. Also nicht direkt, aber heute, als ich dran gedacht habe.“

Sie sahen beide wieder zum Fernseher, aber der Ton war von der Werbung noch ausgeschaltet. Trotzdem war es angenehmer, sich für eine Weile auf etwas Anderes konzentrieren zu können. Zumindest so lange, bis die Verlegenheit Zeit hatte, sich etwas zurück zu ziehen. Das tat sie aber nicht. Sie hing vielmehr wie ein dicker Nebel in der Luft.

Alex sah ein paar Mal aus dem Augenwinkel zu Chris, traute sich aber nicht, die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge brannte. Er wollte wissen, warum Chris dieses Thema angesprochen hatte, und ob er mit dem Gedanken spielte, doch nicht nach Berlin zu gehen. Irgendetwas war da doch zwischen ihnen und das musste Chris auch wissen. Nur wie würde es jetzt weiter gehen, nachdem sie es einmal angesprochen hatten?

Nachdem sie ein paar Minuten lang, den stummen Bildschirm angestarrt hatten, brachte Alex schließlich genug Mut auf, um seine Frage zu stellen. Er konnte nicht anders.

„Gibt es das ‚Wenn‘ denn immer noch?“

„Welches ‚Wenn‘?“

„Na das ‚Wenn das mit Paul schon länger her wäre-Wenn‘.“

Die Antwort wusste Alex noch bevor Chris sie laut aussprechen konnte. Sie war deutlich in seinem Gesicht zu lesen. „Ja.“

Alex wandte enttäuscht nickend den Blick ab.

„Ich werde auf jeden Fall nach Berlin gehen“, sagte Chris. „Falls du das wissen wolltest.“ Es klang so, als würde noch ein ‚Aber‘ kommen, doch er sprach nicht weiter.

Alex hatte das unausgesprochene ‚Aber‘ allerdings auch gehört und wusste auf einmal, was er tun musste. Er rückte ein Stück näher an Chris heran und legte eine Hand vorsichtig auf sein Knie.

„Ich liebe dich“, sagte er mit einer ruhigen, sanften Stimme. Chris musste schlucken. „Und ich will nicht, dass du gehst. Aber ich weiß auch, dass du hier weg musst, um alles zu verarbeiten, was passiert ist. Das kann man nicht einfach so vergessen. Das verstehe ich. Allerdings weißt du auch genauso gut wie ich, dass trotzdem etwas zwischen uns ist. Vielleicht ist es der falsche Zeitpunkt, aber deshalb kann man es doch nicht einfach ignorieren. Sei einmal ehrlich zu dir selbst, bevor du gehst.“

„Okay“, flüsterte Chris und legte ohne zu überlegen, seine Hände in Alex‘ Nacken. Seine Augen hingen schon an Alex‘ Lippen und kurz darauf auch sein Mund.

Alex reagierte sofort. Wenn auch etwas überrascht. Er lehnte sich in den Kuss hinein und ließ seine Hand von Chris‘ Knie bis zu seiner Hüfte wandern. Er konnte nicht glauben, dass Chris tatsächlich so weit gegangen war und versuchte jetzt jede Sekunde auszukosten.

Es war eindeutig ein erlösender Kuss. Das merkten beide sofort. Die ganze Spannung war von einem Augenblick zum anderen wie weggeblasen. Es war nicht wie bei dem Kuss vor ein paar Tagen. Dieses Mal waren sie besser vorbereitet und Chris wusste mit Sicherheit, dass er das tun wollte. Er war nicht einfach überrumpelt, sondern hatte selber den Anfang gemacht. Eigentlich war es schon lange klar, dass es darauf hinauslaufen würde.

Und endlich hatte Chris nicht mehr das Gefühl, dass jemand da war, der ihn beobachtete und sein Verhalten verurteilte. Da waren nur Alex und er selber. Kein schlechtes Gewissen, nur ein angenehmes, warmes Kribbeln.

„Aha“, sagte Alex schmunzelnd, nachdem sich ihre Lippen wenige Zentimeter voneinander getrennt hatten. „Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.“

„Das kommt aber dabei raus, wenn ich ehrlich zu mir bin.“

Sie hatten beide noch die Augen geschlossen und fragten sich, Stirn an Stirn, wie es jetzt weitergehen sollte. Chris‘ Hände lagen noch in Alex‘ Nacken und Alex‘ Hände strichen inzwischen über Chris‘ Brust, Schultern und Hals. Sie konnten sich nicht einmal ein kleines Stückchen voneinander trennen, aber einen zweiten Kuss wollten sie auch nicht riskieren. Das heißt, sie wollten schon, aber mit jedem Kuss würde der Weg zurück schwieriger werden. Und den Umzug am nächsten Tag hatten sie nicht vergessen.

„Und jetzt?“, fragte Chris schließlich.

„Keine Ahnung. Ich nehme mal an, dass sich an deinen Plänen nichts geändert hat?“

„Ja.“

„Dann bleibt wohl alles wie vorher.“

„Hm.“

Kurz darauf stand Chris auf, um seine letzten Sachen zusammen zu packen. Alex sah ihm hinter her und schaltete dann den Ton des Fernsehers wieder an. Mittlerweile lief eine Talkshow, der er kurz zuhörte und schließlich entschied, dass er schon mal die Wohnungstür abschließen konnte. Immerhin war es schon spät geworden und offensichtlich wurde auch alles gesagt, was es zu sagen gab.

Von da an lief alles so ab, wie es sonst auch immer gelaufen war. Sie verschwanden nacheinander im Bad und schauten danach in der Küche und im Wohnzimmer nach, ob alle Lichter aus waren. Dann würden sie sich im Flur wieder treffen, um sich eine gute Nacht zu wünschen und jeder in seinem Zimmer zu verschwinden. An diesem Punkt war dann allerdings doch etwas nicht so wie sonst.

„Wann kommt Melanie morgen?“, fragte Alex, eine Hand schon am Griff der Tür zu seinem Zimmer.

„Irgendwann mittags.“

Das sind jetzt die letzten paar Stunden in dieser Wohnung, sagte eine Stimme in Chris‘ Kopf. Die letzten paar Stunden mit Alex. Welchen Schaden kannst du jetzt schon noch anrichten?

„Na dann… schlaf gut“, sagte Alex mit einem halbherzigen Lächeln und öffnete die Tür.

Mach schon!

Chris machte einen Schritt auf Alex zu. Hielt ihn am Arm fest. Und küsste ihn. Stürmischer als er es geplant hatte, aber Alex zögerte ebenso wenig und zog Chris mit in sein Zimmer. Sie stolperten etwas herum, bis Chris gegen das Bett stieß und sich auf die Matratze fallen ließ. Er zog Alex mit, der sich über ihn beugte und wieder nach seinen Lippen suchte.

Chris schloss die Augen und spürte die Schwere dieses anderen Körpers auf seinem. Es war schwer, aber auch warm und so willkommen, dass ihm mehrere Schauer über die Haut huschten. Als er hier eingezogen war, hatte er sich gefragt wie es wäre, von Alex im Arm gehalten zu werden; von Alex, dessen Lächeln allein schon so umwerfend war. Jetzt wusste er es. Er wusste es eigentlich schon eine ganze Weile. Es war das beste Gefühl, das er sich vorstellen konnte. Ganz anders als bei Paul, aber nicht besser oder schlechter. Alex war einfach Alex und er würde Paul nie ersetzen. Niemand konnte das. Aber Chris wusste jetzt, dass es wieder jemanden geben konnte, der ihm ebenso wichtig sein würde. Und dass das nicht das Ende der Welt war.

„Bleibst du heute Nacht hier?“, fragte Alex nahe bei Chris‘ linkem Ohr. Sein Atem und seine Lippen streiften dabei Chris‘ Wange.

„Ja.“

Und das tat er auch. Sie blieben die ganze Nacht zusammen, schliefen miteinander und schließlich nebeneinander ein.

Es war alles zu schön, um wahr zu sein, und doch zu grausam, um wirklich schön zu sein. Als Chris aufwachte, wusste er, dass Alex neben ihm lag, noch bevor er den Arm auf seinem Bauch spürte. Er grinste unwillkürlich und dreht sein Gesicht in Alex‘ Richtung. Dessen Augen waren ebenfalls geöffnet und er lächelte, aber da war auch noch etwas Anderes. Etwas Bitteres. Sein Blick sagte das, was sie letzte Nacht vergessen hatten. Oder vergessen wollten. Sie hatten keine Zeit mehr.

Die Stimme in Chris‘ Kopf war verschwunden und er war froh darüber. Wohlmöglich hätte sie ihm noch eingeredet zu bleiben, aber das konnte er nicht. Nicht einmal für Alex. Und nicht einmal für das, was er so sehr vermisst hatte, und was er eigentlich auch brauchte.

„Können wir bitte erst nach dem Frühstück darüber reden?“, fragte Alex, der zu wissen glaubte, was Chris dachte.

„Okay.“

„Darf ich dich küssen?“

Chris kicherte. „Natürlich.“

Sie schmiegten sich dichter aneinander und ihre Lippen berührten sich. Nicht zum letzten Mal, aber es war schon fast ein kleiner Abschied.

Das Aufstehen dauerte ziemlich lange, weil keiner von beiden den Fuß auf den Boden der Tatsachen stellen wollte. Und als sie es erst mal geschafft hatten, das Bett zu verlassen, wichen sie sich nicht mehr von der Seite. Nicht einmal im Badezimmer, das sie sonst immer nacheinander benutzt hatten. Das Frühstück bereiteten sie gemeinsam vor und unterhielten sich über Alex‘ Schwester Anika, die vor ein paar Tagen eine Postkarte geschickt hatte.

„Vielleicht besuche ich sie mal“, sagte Alex schulterzuckend. „Ich hab sie wirklich lange nicht mehr gesehen.“

„Ja, das ist ne gute Idee“, stimmte Chris zu. „Wenn du sie so vermisst.“

„Früher hab ich das nie, wenn sie mal im Urlaub war. Aber seitdem wir beide zuhause ausgezogen sind, fehlt sie mir immer mehr.“

„Würde mir bestimmt auch so gehen, wenn ich Geschwister hätte.“

Alex seufzte. „Wenn man solange zusammen gelebt hat, gewöhnt man sich eben daran, dass der andere immer da ist.“

Sie senkten beide den Blick, griffen nach ihrer Kaffeetasse und nippten daran. Sie konnten dem Thema, über das sie eigentlich sprechen mussten nicht länger aus dem Weg gehen. Die Stimmung kippte schon langsam.

„Können wir ins Wohnzimmer gehen?“, fragte Chris.

Alex sah zu ihm auf und warf dann einen Blick auf die Uhr. Dann schluckte er und nickte. Auf dem Weg durch den Flur nahmen sie zum ersten Mal an diesem Morgen die Tüten wahr, in die Chris alle seine Sachen gestopft hatte. Verdrängen war jetzt eindeutig nicht mehr möglich. Sie hatten nicht viel mehr als eine Stunde übrig.

Alex nahm auf dem Sofa Platz und Chris setzte sich auf seinen Schoß.

„Was…?“, fragte Alex verwirrt, war aber ganz froh, dass Chris die Nähe gesucht hatte.

„Es ist einfacher, wenn ich dich nicht ansehen muss.“ Er vergrub sein Gesicht an Alex‘ Schulter und spürte im nächsten Moment zwei Hände auf seinem Rücken.

„Es tut mir leid, dass ich es noch schwerer gemacht habe“, begann Chris.

„Hast du nicht. Ich hab ja selber gesagt, dass du ehrlich sein sollst.“

„Also bist du nicht sauer auf mich, weil ich trotzdem gehe?“

„Nein“, antwortete Alex und strich durch Chris‘ Haare. „Aber ich hab mich was Anderes gefragt.“

Jetzt hob Chris doch neugierig den Kopf und sah Alex an. „Was denn?“

Einige Sekunden verstrichen, bevor Alex antwortete. „Kann ich nicht mitkommen?“

„Was? Nein!“ Chris schüttelte energisch den Kopf und stellte daraufhin erschrocken fest, dass Alex etwas verletzt den Blick abwandte. „Du bist doch erst umgezogen und hast jetzt diese Wohnung hier“, fügte er deshalb schnell hinzu.

„Das ist doch egal. Ich dachte nur, dass wir so vielleicht doch…“

Chris verzog etwas verzweifelt das Gesicht und seufzte. Die ganze Zeit war Alex so verständnisvoll gewesen und hatte ihn bei allen Entscheidungen vollkommen selbstlos unterstützt. Und jetzt – etwa eine Stunde vor ihrem Abschied – schaffte er es, Chris‘ schlechtes Gewissen noch mal ordentlich anzufachen. Perfekter Zeitpunkt.

„Ich hab dir doch erklärt, dass ich erst mal Abstand brauche. Das ‚Wenn‘ gibt es immer noch. Auch nach dem, was gestern war und was ja jetzt irgendwie auch noch da ist.“

„Also willst du auch gar nicht, dass ich dich besuche?“, fragte Alex.

„Erst mal nicht“, antwortete Chris vorsichtig. „Es ist einfach viel zu früh. Ich kann mich jetzt nicht wieder so festlegen.“

„Ach so.“ Alex versuchte sich an einem verständnisvollen Lächeln, hatte damit aber keine Sekunde lang Erfolg.

Chris wollte die Stimme in seinem Kopf am liebsten anschreien, dass er sehr wohl noch mehr Schaden angerichtet hatte. Und dann wollte er Alex schütteln und ihm sagen, dass er nicht immer so verdammt rücksichtsvoll sein sollte. Aber kein einziges Wort kam aus seinem Mund. Er fand einfach nicht die richtigen Worte. Stattdessen stand er auf und lief eine Runde durch das Zimmer. Das half allerdings auch nichts, also ging er schließlich zurück in die Küche und machte sich einen Tee.

Alex kam wenige Minuten später nach und setzte sich auf einen Stuhl. „Weißt du, ich dachte nur, dass sich doch etwas geändert hat“, sagte er.

„Hat es auch.“

„Und warum kann ich dann nicht mitkommen? Du hast gesagt, dass du wegen Paul kein schlechtes Gewissen mehr haben musst.“

„Das hab ich auch nicht“, antwortete Chris und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank. „Aber für mich selbst ist es einfach noch zu früh. Ich brauche erst mal eine Pause nur für mich.“

„Und wie lange?“

„Kann ich dir nicht sagen.“

„Sehen wir uns überhaupt mal irgendwann wieder?“, fragte Alex und in seiner Stimme lag jetzt zum ersten Mal etwas Trotziges.

„Wenn du das dann noch willst…“

„Natürlich will ich das“, platzte es auf einmal aus ihm heraus. „Ich weiß nur gerade nicht so genau, was du eigentlich willst. Wenn sich wirklich was geändert hat zwischen uns, warum ist dir das dann so egal?“

„Es ist mir nicht egal“, sagte Chris leise. Die Hände hatte er in seine Hosentaschen gesteckt und den Blick auf den Boden gerichtet. Vor ein paar Minuten hatte er sich noch gewünscht, dass Alex endlich den Mund aufmachen und sagen würde, was in ihm vorging. Aber sich jetzt vor ihm zu rechtfertigen, war doch unangenehmer, als Chris es sich vorgestellt hatte. Und er war sich sicher, dass Alex ihn nicht verstehen würde, egal, was er sagte. „Mir wäre es auch lieber, wenn ich einfach hier bleiben und mit dir zusammen sein könnte, aber das kann ich nicht. Du hast gesagt, dass du das verstehst.“

„Ich verstehe, warum du hier weg musst, aber nicht, warum du mich nicht mehr sehen willst.“

„Ich will einfach nur eine Zeit lang allein und unabhängig sein. Das ist alles.“

Alex stand auf und stellte sich dicht vor Chris. Die Hände legte er locker auf Chris` Brust und sah ihm direkt in die Augen. „Ich will aber nicht alleine sein. Und ich hab auch kein gutes Gefühl dabei, wenn du allein bist.“

Chris nahm seine Hände aus den Hosentaschen und legte sie an Alex` Hüften. „Du musst dir keine Sorgen mehr um mich machen.“

„Als ob ich das so einfach abschalten könnte“, sagte Alex und lächelte schwach. „Gibt es keine Möglichkeit, dich noch umzustimmen?“

„Nein.“

Alex lehnte sich noch ein Stück vor und legte seine Lippen auf die von Chris.

„Das ändert auch nichts.“

„Hab ich mir fast gedacht.“

In dem Augenblick klingelte es an der Tür.

Nichts Besonderes

Melanie warf Chris immer wieder prüfende Blicke zu. Er starrte seit über einer Stunde schweigend aus dem Fenster und rührte sich nicht. Eigentlich hatte er sich auf die Fahrt gefreut, aber der Abschied von Alex und seiner bunten Wohnung war ihm dann doch schwerer gefallen, als er gedacht hatte. Vielleicht war es doch falsch zu gehen? Aber der Gedanke daran, weiterhin in dieser Stadt zu leben, als ob nichts gewesen wäre, war noch viel unangenehmer. Jetzt hatte er das, was er immer wollte: seine Freiheit. Und dass man für jeden erfüllten Wunsch einen Preis zahlen muss, wusste er vorher schon. Dieses Mal war der Preis der Abschied von Alex. Und so schwer der auch zu zahlen war, es ging nicht anders.

Prioritäten waren manchmal einfach unheimlich schwer zu setzen. Vor allem, wenn man auf zwei Dinge, die absolut nicht zusammen passten, nicht verzichten mochte. Und eigentlich auch nicht verzichten konnte. Liebe und Sicherheit gegen Freiheit und Unabhängigkeit; für jemanden etwas Besonderes sein gegen das ersehnte Untertauchen in der Großstadt; Alex gegen Berlin. Chris wollte beides. Und je länger er mit Melanie unterwegs war, desto mehr wollte er bei Alex sein. Er fühlte sich jetzt schon allein und obwohl er es war, der gegangen war, fühlte er sich verlassen. Hätte Alex sich nicht mehr anstrengen können, um ihn zurückzuhalten? Nein, das wäre auch nicht richtig gewesen. Er seufzte.

„Darf ich dich was fragen?“, kam es vorsichtig von Melanie.

„Hm.“

„Du und Alex… wie geht das jetzt weiter?“

„Gar nicht“, antwortete Chris ohne seinen Blick von der Landschaft abzuwenden, die an seinem Fenster vorbei zog.

„Warum nicht? Wegen Paul?“

„Nein. Meinetwegen. Man kann einfach nicht immer alles haben, was man sich wünscht.“

„Aber man muss auch nicht immer auf alles verzichten. Manchmal muss man sich einfach nur trauen, glücklich zu sein.“

„Das hab ich auch schon mal versucht. Und es ist nicht gut ausgegangen.“

Melanie lächelte leicht. „Du bist nicht der einzige Mensch auf der Welt, der Entscheidungen trifft. Also bist du auch nicht immer an allem alleine schuld. Paul wusste, was er tut. Und Alex auch.“

„Aber ich brauch jetzt Zeit für mich.“

„Wie du meinst“, sagte Melanie und sie fuhren schweigend weiter.

Nach zwei weiteren Stunden erreichten sie Berlin.

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