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Kartenhäuser

Teil 10

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort:

Es ist (schon) geschafft! Das hier ist der letzte Teil von „Kartenhäuser“. Es tut mir leid für alle, die so lange auf die Fortsetzung gewartet haben und besonders auch für die Lektoren, die jetzt wahrscheinlich noch mal in die alten Teile schauen müssen… Sorry! Da „Kartenhäuser“ meine allererste Story war, bin ich jetzt gleichzeitig froh und etwas wehmütig, dass es vorbei ist… aber so ist das nun mal. Langer Rede kurzer Sinn: Viel Spaß beim Lesen.

 

Die Wohnung war wirklich unglaublich schön. Melanie führte Chris stolz herum und gab alle wichtigen Informationen, die sie vom Vermieter erhalten hatte an ihn weiter. Und dann war sie auch schon wieder weg und ließ Chris in seinem neuen Zuhause allein. Er sah sich um, schaute noch mal in jede Ecke und stand dann mitten in einem leeren Raum, umgeben von ein paar Kartons und Tüten, die sein ganzes Leben enthielten. Viel war es nicht. Nur seine Klamotten und die Sachen von Paul. Und ein paar Kleinigkeiten, bei denen Alex darauf bestanden hatte, dass Chris sie mitnahm. Eine Tasse für den morgendlichen Kaffee, einen Bettbezug, ein Handtuch und noch weitere kleine Dinge, die Chris in dieser fremden Stadt daran erinnerten, was er zurückgelassen hatte. Freiwillig. Aber ein bisschen Reue konnte er doch spüren.

Melanie hatte Chris außerdem eine Matratze, einen Tisch mit zwei Stühlen sowie ein paar Küchenutensilien überlassen. Sie hatte hoch und heilig beteuert, dass sie diese Dinge vor Jahren gekauft hatte und sie nun nicht mehr brauchte, aber Chris hatte das ungute Gefühl, dass alles neu war. Damit musste er sich abfinden. Wenn er die Hilfe von Alex und Melanie nicht angenommen hätte, wäre das alte, knarrende Parkett in der kommenden Nacht sein Bett gewesen. Mit dem, was er nun besaß, konnte er es immerhin eine Weile in seinem neuen Zuhause aushalten.

Er schnaufte einmal, wie um sich selber Mut zu machen, und machte sich daran, die Kartons und Tüten auszuräumen. Soweit das möglich war. Nachher sah die Wohnung immer noch sehr trostlos aus, aber das würde er mit der Zeit schon ändern. Jetzt war er erst mal mit dem zufrieden, was er hatte. Die Küche und das Wohnzimmer bildeten einen großen Bereich, der durch einen kurzen Wandeinzug ohne Tür vom Schlafzimmer abgetrennt war. So viel Platz wie hier hatte er noch nirgendwo für sich allein gehabt. Balkon und Bad waren sehr klein, aber immerhin war beides vorhanden. Und der Ausblick vom Balkon entschädigte sowieso für alles.

Mit einem seltsam wehmütigen Gefühl im Bauch legte sich Chris am späten Abend ins Bett. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen. Mal wieder.

Die Schule sollte erst in zwei Wochen beginnen. Somit hatte Chris genug Zeit, sich in Berlin etwas einzuleben und seine Wohnung mehr nach einem Zuhause aussehen zu lassen. Dachte er. Nach zwei Tagen war ihm allerdings klar geworden, dass es Monate brauchen würde, sich in dieser Stadt zurechtzufinden und sie als seine neue Heimat anzuerkennen. Berlin war schön, keine Frage. Aber auch ganz anders als alles, was er bisher kennengelernt hatte. Es gab so viel zu sehen, so viele Menschen waren hier unterwegs und es würde sicherlich sehr lange dauern, bis er sich nicht mehr wie ein Tourist fühlen würde. Aber er war neugierig genug und entschlossen, sich schnell zurechtzufinden. Deshalb erkundete er täglich neue Ecken und Winkel und bekam mit der Zeit einen Eindruck davon, wo es ihm am besten gefiel. In den kleinen Parks zum Beispiel, die überall überraschend zwischen den Häuserblöcken auftauchten. Oder in dem gemütlichen Café, das gleich gegenüber seiner Wohnung lag und in dem jeder mit einem lockeren „Na, wat könn' wa für dich tun?“ begrüßt wurde.

Genau in diesem Café war er am nächsten Wochenende mit Melanie verabredet.

„Und? Wie war die erste Woche hier?“, fragte sie, als sie sich zu ihm an den Tisch setzte.

„Super“, antwortete Chris, worauf Melanie zweifelnd ihre Augenbrauen hochzog. „Okay, vielleicht auch ein bisschen…“

„Einsam?“, half sie ihm auf die Sprünge.

„Ja, schon.“

„Das ist doch ganz normal, wenn man in eine fremde Stadt zieht. Und du bist eben etwas anderes gewohnt.“

Ja, ich bin es gewohnt, dass mich immer jemand betüdelt, dachte Chris.

Sie bestellten sich einen Kaffee und ein Stück Kuchen und unterhielten sich über die Neuigkeiten aus Melanies Familie – ihre Mutter hatte wohl eingesehen, dass sie nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und versuchte jetzt, zumindest bei ihrer Tochter alles wieder gut zu machen. Für Paul kam diese Einsicht zu spät.

„Und jetzt nervt sie mich ständig mit ihren Anrufen und will am liebsten jedes Wochenende hierher kommen.“

„Hoffentlich laufe ich ihr nicht zufällig über den Weg“, sagte Chris.

„Ich glaube gar nicht, dass sie dich wiedererkennen würde.“

„So wie sie sich damals aufgeregt hat…“

„Hast du schon mit Alex gesprochen?“, fragte Melanie unerwartet.

„Nein“, nuschelte Chris zur Antwort in seine Kaffeetasse. Dieses Thema hatte er bislang gekonnt ausgeklammert. Immerhin wollte er den Abstand, nicht nur räumlich. Melanie rührte auffällig lange und schnell den Zucker in ihrem Kaffee unter.

„Aber du“, stellte er fassungslos fest.

„Er hat mich angerufen. Was sollte ich denn machen? Gleich wieder auflegen?“

Ihre Blicke trafen sich, aber Chris schaute schnell aus dem Fenster. „Ich will nicht über Alex reden.“

„Willst du nicht wissen, wie es ihm geht?“

„Kann ich mir denken.“ Er konnte sich Alex gut vorstellen wie er abends allein fernsah und vielleicht ab und zu geknickt einen Blick in das blaue Zimmer mit den Federn an der Wand warf. Die Vorstellung war schon genug.

„Okay“, sagte Melanie. „Wann fängt die Schule an?“

„Am Montag in einer Woche. Ich muss erst mal meinen Realschulabschluss nachholen, weil ich nach der neunten Klasse vom Gymnasium abgegangen bin. Ziemlich blöd.“

„Na ja, du hattest einfach andere Dinge im Kopf.“

„Ja. Aber jetzt ziehe ich das durch. Ich mache meinen Realschulabschluss, gehe wieder aufs Gymnasium und mache mein Abitur.“

„Und dann?“

„Keine Ahnung, ist ja noch ein paar Jahre hin.“

In der Nacht verfolgte Chris zum ersten Mal die Erinnerung an Alex. Es war einer dieser rosaroten Träume, aus denen man gar nicht mehr aufwachen möchte, und die am Ende viel schrecklicher sind als die fiesesten Albträume. Bei Albträumen kann man sich immerhin sagen, dass sie nicht real sind, dass mit Sicherheit kein Massenmörder auf einem fliegenden Drachen die Stadt verwüsten wird. Man wacht auf, ist noch kurz geschockt, aber danach ist alles wieder gut. Der Traum von Alex war jedoch ziemlich real, weil er tatsächlich passiert war. Und als Chris am Morgen aufwachte, war er ganz kurz glücklich. Der Horror fing erst später an. Erst dann, wenn die Schocksymptome von einem Albtraum normalerweise wieder nachlassen würden. Und er verfolgte ihn den ganzen Tag. Beim Frühstück, beim Abwasch, beim Einkaufen, essen…

Irgendwann am Abend schnappte er sich seinen Schlüssel und verließ die Wohnung. Er zwang sich dazu, an etwas anderes zu denken, während er durch die Straßen schlenderte. Was taten Leute in seinem Alter normalerweise? Er war nie der typische Jugendliche gewesen, falls es das überhaupt gab. Aber jetzt wollte er es sein. Er wollte Spaß haben und den Ernst des Lebens vergessen. Oder wenigstens für eine Weile verdrängen.

Nach ein paar Minuten lief ihm eine Gruppe von Jungs über den Weg, die so aussahen als hätten sie noch etwas Interessantes vor. Also folgte Chris ihnen, wie er glaubte, unauffällig. Manchmal musste er kurz stehen bleiben, um den Abstand zu ihnen einzuhalten, und kam sich ziemlich dämlich dabei vor. „Feigling“, flüsterte er sich selber zu.

„Hey, weiß eigentlich noch jemand, wo wir hingehen?“, fragte einer aus der Gruppe die anderen.

Na super, dachte Chris.

„Ich dachte in diesen neuen Club oder was das ist. Du weißt schon…“

„Und wo ist Kalle schon wieder abgeblieben? Schon wieder verschwunden?“

„Der findet uns schon.“

Nach einem weiteren kurzen Fußmarsch hatten sie offenbar ihr Ziel erreicht. Allerdings hatte Chris sich etwas anderes vorgestellt. So richtig wohl fühlte er sich hier nicht, in einer Seitengasse, die nicht wirklich gut ausgeleuchtet war und ziemlich verlassen wirkte. Chris blieb in einiger Entfernung zu der Gruppe stehen und beobachtete, was sie jetzt vorhatten. Diesen Sonntagabend hatte er sich doch etwas anders vorgestellt. Aber immerhin musste er jetzt nicht mehr…

„Hey“, sagte jemand dicht hinter ihm und Chris sprang panikartig einen Schritt zur Seite. „Hast du vor die Jungs zu überfallen oder warum schleichst du ihnen die ganze Zeit hinterher?“

„Ich schleiche niemandem hinterher“, versuchte Chris sich rauszureden.

„Oh doch, das tust du. Seit ungefähr 15 Minuten.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Chris den Jungen, der in etwa in seinem Alter zu sein schien.

„Weil ich dir hinterher geschlichen bin.“

„Dann sollte ich dich wohl fragen, ob du mich überfallen willst.“

Der Junge grinste. „Nein, ich gehöre zu den Pappnasen da vorne. Und du bist vermutlich neu in der Stadt?“

„Ja. Ich heiße Chris.“

„Na dann komm mal mit“, sagte er und ging auf die wartende Gruppen zu. „Ich bin übrigens…“

„Kalle“, unterbrach ihn Chris, jetzt ebenfalls mit einem Grinsen.

„Hey, Kalle, da bist du ja endlich“, rief ihnen jemand entgegen. „Wo warste denn schon wieder?“

„Wir waren die ganze Zeit hinter euch“, sagte Kalle, der Chris immer noch überrascht anstarrte.

„Und wer ist das?“

„Das ist Chris, er ist neu hier.“

Allgemeines Stöhnen und Augenverdrehen. Sehr sympathisch.

„Chris, das sind Tim, Toni, Torben und…“

„Tina?“, fragte Chris angriffslustig.

Dieses Mal erntete er allgemeines Gelächter. „Den find ich gut“, prustete Torben.

„Tja, Zahid, du wurdest gerade auf den Namen Tina getauft“, fügte Tim grölend hinzu.

Kalle warf Chris einen anerkennenden Blick zu und machte dann den Vorschlag, nicht länger vor der Tür stehen zu bleiben. Die anderen stimmten zu.

Von innen war der Club schon deutlich attraktiver als er von außen den Anschein erweckt hatte. Es war eine Art Innenraum-Beach-Bar mit Strandkörben, Sand, Palmen… Die Jungs waren wohl auch angenehm überrascht und nahmen bei der nächsten Gelegenheit zwei Strandkörbe in Besitz. Dafür, dass es Sonntag war, war noch erstaunlich viel los. Chris, der immer nur in Kleinstädten gelebt hatte, war davon ziemlich fasziniert. Er setzte sich mit Toni und Kalle in einen Strandkorb und bestellte ein Bier. Nebenan machten sich Tim und Torben immer noch über Zahid lustig, der nur genervt die Augen verdrehte, aber nach einer Weile von Torben etwas, das wie ein Versöhnungskuss aussah, akzeptierte.

Kalle beobachtete Chris währenddessen aufmerksam und verwickelte ihn dann in ein Gespräch mit den typischen Fragen wie „Wo kommst du her?“ und „Was verschlägt dich nach Berlin?“. Chris beantwortete alles ehrlich, aber mit so wenig Details wie möglich. Schließlich musste ja nicht gleich jeder wissen, was ihm in seinem jungen Leben schon alles widerfahren war. Was Kalle zu berichten hatte, war allerdings auch nicht viel besser. Seine Eltern hatten ihn, als er in der Grundschule war, in ein Heim gegeben, weil sie der Meinung waren, dass er nicht länger in ihr Leben passte. Chris musste schlucken als er das hörte.

„Aber das war schon ok“, sagte Kalle schulterzuckend. „Ich hab mich auch in meiner Pflegefamilie später sehr wohl gefühlt.“

„Tut mir leid“, sagte Chris schockiert.

„Was ist aus dir geworden, als deine Eltern gestorben sind?“

„Ähm…“ Chris senkte den Blick und knibbelte verlegen an seinen Fingern. Er wollte einerseits so offen sein wie Kalle es ihm gegenüber gewesen war, brachte aber kein weiteres Wort hervor.

„Ist schon gut, du musst es mir nicht sagen, wenn es dir unangenehm ist. Hey, willst du noch was trinken?“

„Okay.“

Sie saßen noch die halbe Nacht in dem Strandkorb und unterhielten sich über alles Mögliche. Hobbies, die Chris eigentlich gar nicht hatte, Kindheitserinnerungen mit und ohne Eltern, und die Schule. Die Jungs besuchten alle eine Berufsschule für Soziales, um später irgendwo in der Jugendhilfe zu arbeiten. Wie Chris erfuhr, hatten sie alle wenigstens ein paar Jahre in demselben Heim verbracht und anschließend alles daran gesetzt, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen. Chris bewunderte das und war heimlich erstaunt darüber, wie normal sie ihm alle vorkamen. Er selber wollte nie in ein Heim, weil er immer davon überzeugt war, dass die Kinder dort verrückt werden.

„Hast du einen Freund?“, fragte Kalle und sprach damit das vermutlich letzte Thema an, über das sie noch nicht geredet hatten.

„Äh…nein.“

„Das hört sich nicht an als wärst du dir sicher.“

„Doch, bin ich.“

„Kompliziert, hm?“

„Kann man sagen“, seufzte Chris und trank den letzten Schluck von seinem Bier. „Ich werd dann auch mal los.“

„Sieht man sich mal wieder?“

„Klar. Aber sprich mich das nächste Mal gleich an und schleich mir nicht eine viertel Stunde lang nach.“

„Am lustigsten war es, wenn du stehen bleiben musstest, um den Abstand zu halten.“

„Ach, und was hast du in der Zeit gemacht?“

„Dasselbe… und dich beobachtet“, gab Kalle mit einem verschmitzten Lächeln zu.

Chris grinste und stand auf. „Bis bald.“

Schule. Chris hätte sich niemals vorstellen können, dass er sie mal vermissen würde. Aber so war es. Endlich wieder Schule. Ein Stückchen Normalität in seinem chaotischen Leben. Er ging morgens hin, kam nachmittags zurück, erledigte Hausaufgaben und fiel abends müde ins Bett. Man könnte glatt meinen, die letzten Jahre wären nur ein Traum gewesen. Nur wenn er morgens die Augen aufschlug oder aus dem Fenster sah, war alles neu. Es war nichts so, wie es zuhause bei seinen Eltern gewesen war, aber auch ganz anders als bei Paul oder Alex. Es war etwas vollkommen Neues.

Am Freitagabend nach der ersten Schulwoche klingelte zum ersten Mal das Telefon.

„Hallo?“, fragte Chris angespannt.

„Hey Chris“, kam es vom anderen Ende der Leitung.

Oh gut, es ist nicht Alex, dachte Chris erleichtert. „Tom?“

„Ja, hi, wie geht’s dir da drüben?“

Chris berichtete von der neuen Wohnung, der Schule, dem Leben in Berlin und war froh, dass Tom nicht einmal nach Alex fragte. „Gibt es bei euch was Neues?“

„Ja, wir waren neulich im Zoo. Kannst du dir vorstellen, dass wir nie da waren, während Paul dort gearbeitet hat?“

„Nein, schämt euch was“, sagte Chris lachend.

„Tja, du bist der einzige, der eine Privatführung bekommen hat.“

„Da war auch viel Überredungskunst nötig.“

Eine Weile war es still, während sie sich an Pauls kleine Eigenarten erinnerten.

„Es gibt noch was Neues“, sagte Tom schließlich. „Wir wissen es schon ziemlich lange, aber… wir wollten es dir erst sagen, wenn du richtig zur Ruhe gekommen bist.“

„Ihr zieht um, oder?“

„Ja, das auch, weil… Jane ist schwanger.“

„Was?“ Chris ließ sich auf sein Bett plumpsen. „Und wie lange genau wisst ihr das schon?“

„Wir haben es einen Tag vor deinem Geburtstag erfahren.“

Ach so. „Wow, herzlichen Glückwunsch!“

„Danke“, sagte Tom hörbar stolz. „Wir freuen uns auch riesig.“

Er erzählte Chris noch ein paar Einzelheiten – wie schnell Janes Bauch gewachsen war, dass sie glücklicherweise (noch) keine fiesen Stimmungsschwankungen hatte und Schokolade in unendlichen Mengen in sich hineinstopfte – und versprach, dass er sich melden würde, wenn es etwas Neues in Sachen Baby gab. Chris freute sich für die beiden und konnte gut verstehen, dass sie sich nach einer neuen Wohnung umsahen. Trotzdem kam ihm die Vorstellung, fremde Menschen würden in Pauls Wohnung einziehen, etwas gewöhnungsbedürftig vor. Er hatte das eigenartige Gefühl, wieder etwas zurückzulassen und zu verlieren. Alex würde das verstehen.

Am nächsten Abend zog es Chris wieder nach draußen ins Nachtleben. Er versuchte es zuerst in der Beach-Bar, weil ein Teil von ihm hoffte, Kalle dort zu treffen. Und er hatte Glück. Kalle, Torben und Zahid saßen in einem Strandkorb und hatten offensichtlich unterschiedliche Ansichten davon, wie sie den Abend verbringen wollten. Zahid und Torben waren sehr miteinander beschäftigt, während Kalle etwas missmutig daneben saß und seinen Blick durch den Raum wandern ließ. Als er Chris bemerkte sprang er auf und lief direkt auf ihn zu.

„Gott sei Dank bist du da, die beiden machen mich wahnsinnig!“

„Frisch verliebt?“

„Könnte man meinen, aber nee“, sagte Kalle mit einem resignierenden Blick über die Schulter. „Tim und Toni haben mich einfach so im Stich gelassen.“

„Sind die auch zusammen?“

„Nein, die sind nicht mal schwul.“

„Und du?“, fragte Chris direkt.

„Ich sag’s dir, wenn du mein Alibi für heute Nach bist.“

„Alibi?“

Kalle schob Chris zurück auf die Tür zu und raus auf die Straße. „Falls die beiden fragen, wo ich abgeblieben bin.“

„Ach so.“

„Hey, wenn wir ein paar Stationen mit der S-Bahn fahren, zeige ich dir was. Warst du schon im Tiergarten?“

„Nein, aber… nachts?“, fragte Chris skeptisch.

„Hast du Angst, dass ich dich verschleppe und schlimme Sachen mit dir anstelle?“ Kalle legte einen Arm um Chris‘ Schulter und setzte ein schiefes, frechen Grinsen auf.

„Wer weiß das schon“, gab Chris zu bedenken, folgte Kalle aber bis zur nächsten S-Bahn-Station.

Sie stiegen am Tiergarten aus, liefen ein Stück an der Straße des 17. Juni entlang und bogen dann in den Park ein. Es war dunkel und für Chris‘ Geschmack doch etwas zu unheimlich. Allerdings bewegte Kalle sich so sicher durch die Bäume und redete die ganze Zeit auf Chris ein, dass dieses Gefühl schnell verschwand. Ein paar Mal kamen ihnen Gruppen von anderen Jugendlichen entgegen, aber die waren zu sehr mit sich und ihrer eigenen kleinen Party beschäftigt, um sie auch nur zu bemerken. Allmählich konnte Chris sich auch entspannen und musste sich nicht mehr bei jedem Geräusch erschrocken umdrehen. Sie gingen weiter über die – wie Kalle sagte – Löwenbrücke und setzten sich dahinter ans Ufer eines kleinen Bachs.

„Erzählst du mir von der komplizierten Sache mit deinem vielleicht-Freund?“, fragte Kalle.

„Damit du das verstehen kannst, müsste ich dir quasi mein ganzes Leben erklären.“

„Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich hab nichts weiter vor.“

Chris seufzte und erzählte Kalle alles, wirklich alles von den letzten dreieinhalb Jahren. Angefangen bei seiner Flucht nach dem Tod seiner Eltern, über Arnie, Paul bis hin zu Alex und Melanie und seinem Umzug nach Berlin. Es dauerte ewig, aber nicht weil Kalle dazwischen redete – er unterbrach Chris nicht ein einziges Mal –, sondern weil es gut tat, alles bei einem Unbeteiligten abzuladen. So wie bei Alex nach Pauls Tod. Nur war Alex ja jetzt Teil der Geschichte und stand für solche Gespräche nicht mehr zur Verfügung.

Kalle hatte einen vollkommen neutralen Gesichtsausdruck aufgelegt, nur wusste Chris nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Sicherlich hatte Kalle vorher noch nie von jemandem gehört, dass er als Kind sein Geld mit bezahltem Sex verdient hatte. Chris zupfte nervös ein paar Grashalme von der Wiese und beendete seine Geschichte damit, dass er jetzt versuchen wollte, Alex zu vergessen. Kalle rückte daraufhin ein Stück näher und gab Chris einen leichten Kuss auf den Mund.

„Nur, dass du das nicht falsch verstehst…“, erklärte er. „Das war kein Anmach-Kuss oder so, sondern einfach… ich weiß auch nicht.“

„Hat dich die Geschichte irgendwie angemacht?“, fragte Chris mit großen Augen.

„Nein! Ich sag doch, es war nicht so. Ich wollte nur sagen, dass ich mich freue, dass du es mir erzählt hast, und dass ich nicht geschockt bin oder so… na ja, ein bisschen schon…“

„Du spinnst“, entgegnete Chris und musste ein bisschen lachen. Das war mal eine ganz andere Reaktion auf seine Geschichte und er fand sie zur Abwechslung mal sehr erfrischend.“Tja, damit hat sich jetzt auch dein Geheimnis in Luft aufgelöst.“

Sie sahen sich an. „Schwul“, kam es gleichzeitig von beiden und dann krümmten sie sich vor Lachen. Sie hatten die Uhrzeit und den Ort vollkommen vergessen. Stattdessen lagen sie wie an einem sonnigen Nachmittag nebeneinander im Gras und tasteten mit ihren Händen so lange umher, bis sich ihre Finger gefunden hatten.

„Sag Bescheid, wenn das hier irgendwie komisch ist wegen Alex. Oder Paul“, sagte Kalle.

„Nein, schon gut. Denke ich.“

„Bist du… verwirrt?“

„Ein bisschen“, sagte Chris wahrheitsgemäß. „Aber nicht direkt wegen dir. Ich wollte eigentlich erst mal Zeit für mich haben. Deshalb bin ich ja nach Berlin gekommen. Ich muss erst mal rausfinden wie es weitergehen soll und was ich eigentlich will.“

„Okay, ich werde dir dabei nicht im Weg sein.“

Sie verließen den Tiergarten erst, als es schon wieder hell wurde und fuhren im Halbschlaf mit der S-Bahn zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Ein paar Straßen von Chris‘ Wohnung entfernt, trennten sie sich schließlich und Chris war froh, als er endlich in sein Bett fiel.

Kalle war nicht geplant. Chris war sich zwar sicher, dass er sich nie in ihn verlieben würde, aber er fühlte sich dennoch zu ihm hingezogen. Nicht sexuell, sondern eher wie man sich zu einem Familienmitglied hingezogen fühlte, das einem nahestand. Und er versuchte sich in den nächsten Wochen so freundschaftlich wie möglich zu verhalten, ohne irgendwelche Annäherungen zu provozieren. Das war allerdings nicht so einfach, weil die Grenze zwischen Freundschaft und mehr immer schwammiger zu werden schien. Kalle suchte ständig Chris‘ Nähe, auch wenn er dabei nie aufdringlich wurde. Er legte gerne einen Arm um Chris‘ Schulter oder lehnte seinen Kopf dagegen, wenn sie am Wochenende nebeneinander in einem Strandkorb saßen. Oder er griff wie in der Nacht im Tiergarten nach Chris‘ Hand. Chris fiel es schwer zu sagen, wo er die Grenze bei diesen Dingen setzen sollte. Das Problem war, dass er nichts davon unangenehm fand und heimlich froh war, dass er in Berlin doch nicht ganz allein dastand. Er wollte nur nicht die Geschichte mit Alex wiederholen.

„Dann sag ihm halt, was du befürchtest“, war Melanies Vorschlag. Chris hatte sie angerufen, nachdem er einen Nachmittag mit Kalle und seiner „Spezial-Sightseeing-Tour“ verbracht hatte. „Du hast ihm doch die Geschichte mit Alex erzählt.“

„Ja, aber dann denkt er doch, dass ich noch irgendwie an Alex hänge.“

„Tust du das nicht?“

„Nein.“

„Das hört sich wie eine Frage an“, stellte Melanie fest. Nachdem Chris keine Antwort gab, fügte sie hinzu: „Und selbst wenn er das denkt, wäre das so schlimm?“

„Ja, weil…“, versuchte sich Chris an einer Erklärung, konnte aber selber keine finden.

„Sag mal, weißt du eigentlich, was du willst?“

Auch darauf wusste er keine Antwort.

„Hast du jetzt endlich mal mit Alex geredet?“, fragte Melanie vorwurfsvoll. „Es sind fast zwei Monate.“

„Nein. Aber du hältst ihn ja sicher auf dem Laufenden, hm?“

„Soll ich ihm von Kalle erzählen?“

Ein kalter Schauer lief Chris den Rücken runter. „Nein.“

„Okay, ich sag dir jetzt, was du machst. Du rufst Alex an – am besten noch heute, damit er endlich mal wieder ne Nacht schlafen kann – und dann sagst du Kalle bei der nächsten Gelegenheit, was Sache ist. Danach geht es bestimmt allen besser.“

„Du bist genauso überfürsorglich wie Paul“, sagte Chris ärgerlich. „Ich bin kein Kind mehr! Ich weiß selber, was das Richtige ist und kann selber entscheiden, mit wem ich wann rede!“

„Okay, dann ruf mich doch einfach nicht mehr an“, entgegnete Melanie und legte auf.

Chris warf das Telefon auf seine Matratze und tigerte eine Weile wütend durch die Wohnung. Er wusste, dass Melanie recht hatte. So wie auch Paul meistens recht gehabt hatte. Es war eine Sache, das zu wissen, eine ganz andere aber, die Vorschläge in die Tat umzusetzen. Er hatte Angst davor, Alex anzurufen. Denn dann müsste er sich eingestehen, dass der Umzug nach Berlin nicht das bewirkt hatte, was er sollte. Chris war jetzt zwar sein eigener Herr, aber er war nicht so unabhängig und frei, wie er es sich vorgestellt hatte. Vor allem war er nicht frei von dem, was er am meisten hinter sich lassen wollte. Er war allein. Die Anonymität der Großstadt hatte ihn früher gereizt, aber jetzt kam es ihm so vor, als wäre er nichts Besonderes mehr; als wäre alles, was ihn besonders machte, verloren gegangen.

Neu und alt

Chris hatte Alex an dem Abend nicht mehr angerufen. Er konnte nicht. Bei Melanie wollte er sich auch entschuldigen, brachte es aber nicht fertig. Stattdessen ließ er die Tage an sich vorbeiziehen, ohne mit einem seiner Freunde zu sprechen, bis das Schuldbewusstsein so groß war, dass er das Telefon nicht einmal mehr ansehen konnte. Abends vergrub er sich in Pauls Decke und versuchte eine Antwort auf die Frage „Was will ich wirklich?“ zu finden. Manchmal konnte er danach ruhig einschlafen, manchmal nicht. Nur in einem Punkt war er sich sicher: Er konnte nicht zurück.

An einem Freitagnachmittag klopfte jemand an seine Wohnungstür. Chris öffnete sie unbehaglich und war erleichtert, Kalle zu sehen.

„Hey Stubenhocker, ich hab eine Überraschung für dich“, sagte er und schob sich an Chris vorbei in die Wohnung. „Steck ein bisschen Geld ein und dann geht’s los.“

Chris blieb wenig begeistert an der Tür stehen. „Und wohin?“

„Auf einen Flohmarkt. Deine Wohnung sollte langsam mal nach einer Wohnung aussehen, findest du nicht?“

Eigentlich war die Idee gar nicht so schlecht, dachte Chris. Vielleicht würde es ihm mit ein bisschen Gemütlichkeit und ein paar eigenen Dingen in der Wohnung schon viel besser gehen. Dann würde es zumindest den Anschein haben, dass er hierher gehörte.

„Na gut. Lass uns gehen.“

Als sie beim Flohmarkt ankamen, stellte Chris fest, dass fast nur Möbel verkauft wurden. Sie stammten wohl alle aus verschiedenen Haushaltsauflösungen. Das sei hier so üblich meinte Kalle und schob Chris durch die aufgetürmten Möbelberge. Sie fanden ein günstiges, kleines Sofa, das sie mit Kleinigkeiten wie einer Lampe, einem winzigen Couchtisch und ein paar Küchenutensilien beluden und zurück zu Chris‘ Wohnung trugen. Es war ein warmer Tag für Ende September, deshalb mussten sie zwischendurch mehr als eine Pause einlegen und waren froh, als sie endlich auch das Treppenhaus hinter sich hatten. Sie gaben dem Sofa einen letzten Schubs, räumten nur noch die Sitzfläche frei und ließen sich prustend darauf fallen.

„Ich bewege mich keinen einzigen Millimeter mehr“, stöhnte Kalle und fächerte sich mit den Händen Luft zu.

„Ich auch nicht.“

„Sollen sich die Jungs halt einen anderen Dummen suchen, der ihnen beim Knutschen zuschaut.“

„Wart ihr verabredet?“, fragte Chris.

„Ach, die werden sich schon denken, dass ich irgendwo mit dir rumhänge.“

„Hm“, machte Chris nachdenklich und sprang erschrocken auf, als das Telefon klingelte. Das konnte eigentlich nur Tom sein, oder Melanie. Oder… Sofort bekam Chris schwitzige Handflächen.

„Äh, ich geh mal eben auf den Balkon“, sagte Chris zu Kalle und schnappte sich das Telefon.

„Hallo?“, meldete er sich vorsichtig, als er die Balkontür hinter sich geschlossen hatte.

„Ich bin’s.“

Oh nein, oh nein, oh nein…

„H-Hi“, stammelte Chris.

„Ich wusste nicht, ob du mit mir reden willst, aber ich konnte nicht mehr warten.“

„Okay.“ Chris fiel nichts ein, worüber er mit Alex reden könnte, deshalb sagte er erst mal gar nichts.

„Bist du irgendwie sauer auf mich?“, fragte Alex schließlich.

„Nein, wieso sollte ich?“

„Keine Ahnung. Du hast dich nicht gemeldet und…“

Chris setzte sich auf den Boden, mit dem Rücken an die Glasscheibe und versuchte, sich irgendwie zusammenzuhalten. Er hatte gewusst, dass Alex verletzt sein würde, aber es jetzt so deutlich durchs Telefon zu hören, war ihm zu viel.

„…deshalb dachte ich, ich rufe mal an. Du… fehlst mir.“

Chris antwortete nicht. In seinem Kopf passierte gerade das, von dem er gewusst hatte, dass es passieren würde, wenn er zum ersten Mal wieder mit Alex redete. Deshalb hatte er den Anruf hinausgezögert. Er wollte nicht an Alex denken. Nicht so. Nicht so, wie in den ersten Tagen in Berlin. Nicht so, wie auf der Autofahrt hierher mit Melanie. Nicht so, wie in den letzten Stunden in Alex‘ Wohnung.

„Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken, Alex“, brachte er schließlich hervor.

„Warum nicht?“

„Weil… Ich hab’s dir doch erklärt.“

„Das war vor zwei Monaten“, sagte Alex vorwurfsvoll. „Hat sich in der Zeit nichts geändert?“

„Nein.“

„Dann war es eine scheiß Idee, nach Berlin zu gehen.“

Nicht schon wieder, dachte Chris. „Ich bin nicht zum Spaß umgezogen, falls du das vergessen hast.“

„Nein, du bist weggelaufen, weil du Angst hattest, dich nach Paul wieder auf jemanden einzulassen.“

Chris schnappte nach Luft und wollte etwas antworten, aber stattdessen legte er einfach auf. Seine Finger zitterten, als er das Telefon auf dem Boden ablegte und sich schwer atmend durch die Haare fuhr. Scheiß Idee? Ja, vielleicht war es eine scheiß Idee nach Berlin zu ziehen. Das hatte sich Chris in den letzten Tagen oft gefragt. Aber damals kam es ihm richtig vor. Er musste die Stadt verlassen, in der ihm so viel Schreckliches passiert war. Das hatte nichts mit Angst zu tun. Er mochte Alex. Und er vermisste ihn. Manchmal sogar so sehr, dass er am liebsten die Koffer packen und zurück fahren würde. Aber dann wäre er keinen Schritt weiter gekommen. Dann wäre er wieder zurück in seinem alten, chaotischen Leben, das keinen Sinn hatte. Nein, es war die richtige Entscheidung, nach Berlin zu kommen.

Hinter ihm klopfte es leise an die Scheibe und Kalle öffnete die Tür ein Stück. „Alles ok?“, fragte er.

Chris nickte.

„Was hat Alex gesagt?“, fragte Kalle und setzte sich neben Chris.

„Woher weißt du…?“

„Das war offensichtlich.“

Chris blieb stumm. Er wusste nicht, was er Kalle sagen sollte. Oder ob er überhaupt mit ihm darüber sprechen wollte.

„Er will, dass du zurückkommst, hm?“

„Er wollte, dass ich überhaupt nicht wegfahre.“

„Aber du musstest erst mal allein sein, oder? Kann ich verstehen“, sagte Kalle.

„Echt?“ Chris sah ihn überrascht an.

„Na klar. Wenn man jemanden geliebt hat, will man nicht gleich einen Ersatz. Das war bei meinen Eltern genauso. Ich habe sie geliebt, auch wenn sie mich nicht wollten. Also hab ich mich geweigert, in eine Pflegefamilie zu gehen.“

„Wie lange?“

„Bis die richtigen gekommen sind“, sagte Kalle grinsend. „Klingt kitschig, oder?“

„Ja, allerdings.“

Er rückte etwas dichter an Chris heran und legte wie gewöhnlich einen Arm um seine Schulter.

„Ähm…“, machte Chris nur und Kalle zog sich sofort wieder zurück.

„Sorry, das ist wohl nicht der richtige Moment.“

„Vielleicht sollten wir auch mal über uns reden“, schlug Chris verlegen vor.

„Uns? Du glaubst doch nicht, dass ich was von dir will, oder?“

„Na ja…“

Jetzt lachte Kalle laut. „Mit Freundschaften kennst du dich wohl nicht so gut aus, hm?“

Wo er recht hat… Chris zuckte mit den Schultern. Er hatte tatsächlich nie einen Freund gehabt, der „nur“ ein Freund war. In der Schulzeit hatte er sich nie besonders für seine Klassenkameraden interessiert und bei Arnie konnte man auch keine richtigen Freundschaften knüpfen. Bei Alex hatte es am Anfang so ausgesehen, als könnten sie nur Freunde sein, aber… na ja. Tom war wahrscheinlich der einzige, den Chris als Freund bezeichnen würde.

„Hey, wenn ich das hier mache…“, Kalle legte seinen Arm wieder um Chris‘ Schulter, „…heißt das nicht, dass ich dich sofort vernaschen will. Du bist eher sowas wie ein lange verschollener Bruder für mich.“

„Ehrlich?“ Chris fiel ein Stein vom Herzen. Endlich mal ein Problem weniger.

„Na klar. Außerdem… ist mein Herz genauso wenig frei wie deins.“

„Ach, wieso weiß ich davon nichts?“

„Weil ich mir eigentlich geschworen habe, es niemals jemandem zu erzählen.“

„Und warum jetzt doch?“

„Damit du dich besser fühlst, Knalltüte!“, schnaufte Kalle und schüttelte Chris leicht.

„Es ist aber keiner von den Jungs, die ich kenne, oder?“

Kalle warf Chris einen vielsagenden Blick zu.

„Torben oder Zahid?“

Kalle schüttelte den Kopf.

„Aber dann…“ Tim oder Toni.

„Jap, er ist nicht schwul. Und mehr wirst du aus mir nicht herausbekommen.“

Chris lehnte seinen Kopf an Kalles Schulter und dann saßen sie noch eine Weile auf dem Balkon, bis Kalle sich auf den Weg nach Hause machte. Chris hatte ihm noch von dem Telefonat mit Alex erzählt und Kalle meinte, dass Chris noch mal zurückrufen sollte. Also saß er jetzt auf seinem neuen Sofa und starrte das Telefon an. Eigentlich wollte er ja auch wissen, wie es Alex ging und was er den ganzen Tag machte. Er wollte nur nicht bereuen, dass er nach Berlin gegangen war. Nicht jetzt, wo er doch endlich eine eigene Wohnung mit einem eigenen Sofa und sowas wie einen Bruder hatte.

Als er sich schließlich dazu durchgerungen hatte Alex‘ Nummer zu wählen, nahm niemand ab.

Am nächsten Tag versuchte er wieder, Alex zu erreichen, aber es klingelte nur endlos. Bestimmt war er eingeschnappt, weil Chris ihn am Tag zuvor abgewürgt hatte oder er musste einfach arbeiten. Vielleicht hatte er aber auch schlichtweg keine Lust, mit Chris zu sprechen und saß jetzt genervt neben dem Telefon und wartete darauf, dass das Klingeln endlich aufhörte. Chris tat ihm den Gefallen und machte sich erst mal ein Frühstück. Er konnte es ja später noch mal probieren. Aber auch beim dritten und vierten Versuch hörte er nur ein langes monotones, sich ständig wiederholendes Tuuuut. Und dann fing er an, sich Sorgen zu machen. Er konnte nicht genau sagen warum und auch nicht, was hätte passiert sein können, aber er hatte plötzlich ein unangenehmes Kribbeln im Magen.

Am frühen Abend nahm er noch mal seinen Mut zusammen und rief Melanie an. Wenn jemand wusste, was bei Alex los war, dann vermutlich sie. Und wahrscheinlich war es sowieso an Chris, sich bei ihr zu melden und sich zu entschuldigen. Auch hier klingelte es lange, aber dann wurde er endlich erlöst, als er Melanies Stimme hörte.

„Hey Chris.“

„Hey, du… es tut mir leid, dass ich dich neulich so angefahren habe.“

„Ist schon gut. Ich weiß ja eigentlich, dass du es nicht magst, wenn man dich bevormundet. Ich hab mir nur Sorgen um Alex gemacht und war ein bisschen stinkig, weil du dich nicht bei ihm gemeldet hast.“

Gemeldet hast? Also wusste sie schon, dass er am vorigen Tag mit Alex gesprochen hatte. „Hast du mit ihm gesprochen?“

„Ja, gestern Abend kurz.“

„Wollte er heute wegfahren oder so?“, hakte Chris nach.

„Keine Ahnung. Wieso?“

„Weil ich ihn nicht erreichen kann und…“

„Du machst dir Sorgen.“

„Ja“, gab Chris zu und war durch Melanies Antwort nicht gerade beruhigt. „Sagst du mir Bescheid, wenn er sich bei dir meldet?“

„Okay.“

Chris legte auf und wählte noch mal Alex‘ Nummer. Keine Antwort. Es ist bestimmt nichts passiert, du drehst nur ein bisschen durch, sagte er sich. Aber anstatt sich auf seine Hausaufgaben zu konzentrieren, ertappte Chris sich dabei, wie er an die Decke starrte oder aus dem Fenster oder an die Wände und sich vorstellte, was Alex wohl aus dieser Wohnung machen würde. Dann schüttelte er energisch den Kopf und widmete sich wieder seinem Schulbuch. Dieses Mal wurde er dadurch abgelenkt, dass er sich über sich selber ärgerte. Er musste lernen, ohne Alex klarzukommen. Deshalb war er hier. Er war zum ersten Mal richtig frei und konnte selber bestimmen, wohin es ihn treiben würde. Und trotzdem dachte er nur an Alex. Alles hatte seinen Preis.

Als es langsam dunkel wurde, klingelte endlich das Telefon.

„Alex?“

„Nein, ich bin’s“, sagte Melanie.

„Hast du was von ihm gehört?“, fragte Chris hoffnungsvoll.

„Ja.“ Aber ihre Stimme klang irgendwie merkwürdig. „Er wird mich wahrscheinlich dafür hassen, aber… ich dachte, du solltest es vorher wissen. Damit du wenigstens ein bisschen vorbereitet bist.“

„Was willst du mir sagen?“, fragte Chris nervös.

„Alex stand vor ungefähr zwei Stunden vor meiner Tür und… ist jetzt auf dem Weg zu dir.“

„Was?!“

„Aber schick ihn nicht gleich weg. Er kann gerne bei mir schlafen, aber vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn ihr vorher mal miteinander redet, ohne dass einer auflegen kann.“

„Vielleicht lasse ich ihn gar nicht erst rein.“

„Chris“, sagte Melanie mit Nachdruck. „Er ist den weiten Weg gefahren, um dich zu sehen. Und so wie es aussieht… hat er seine Wohnung aufgegeben.“

„Was?!“, kam es wieder von Chris, gerade als es an der Tür klingelte.

„Ich rufe später noch mal an“, sagte Melanie und legte auf.

Chris stapfte zur Tür und machte sich gar nicht erst die Mühe die Gegensprechanlage zu benutzen. Er drückte gleich auf den Knopf daneben und hörte zu, wie im Erdgeschoss die Haustür mit einem Klacken geöffnet wurde. Er stellte sich in die offene Wohnungstür und wartete. Die Arme hatte er klassisch vor der Brust verschränkt, fühlte sich aber trotz Melanies Warnung nicht vorbereitet. Er spielte sämtliche Szenarien für das Kommende im Kopf durch, fand aber keines befriedigend genug. Und als Alex schließlich vor ihm auftauchte, konnte er sich an kein einziges mehr erinnern.

Chris sah Alex an, dass er verwirrt war. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass Chris ihn erwarten würde und blieb etwas verunsichert auf dem oberen Treppenabsatz stehen.

„Hi“, sagte er vorsichtig und schaffte es, ein wenig zu lächeln.

„Hi“, entgegnete Chris kühl.

„Woher wusstest du, dass ich es bin?“

„Melanie.“

Alex nickte resignierend mit dem Kopf. „Na toll. Du bist offensichtlich sauer auf mich und hattest jetzt auch noch Zeit, dir eine schöne Rede zu überlegen. Oder?“

„Nein, sie hat gerade erst aufgelegt. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich dich reingelassen hätte, wenn sie mich nicht vorgewarnt hätte.“

Eine Weile standen sie sich schweigend gegenüber, bis Alex einen Schritt auf Chris zu machte. Chris wich automatisch zurück, als er merkte, dass sein Herz sich bei dem Anblick fast überschlug.

„Kann ich nicht erst mal reinkommen?“, fragte Alex.

Chris überlegte, trat dann aber einen Schritt zur Seite, um Alex durchzulassen.

„Was willst du hier?“

„Dich besuchen“, antwortete Alex, während er sich umsah.

„Besuchen? Dann hast du deine Wohnung also nicht aufgegeben?“

„Hat Melanie dir auch irgendwas nicht erzählt?“

„Hast du deine Wohnung aufgegeben, ja oder nein?“, fragte Chris stur.

„Ja, hab ich.“

„Sag mal, spinnst du?“, schrie Chris ihn jetzt an. „Und wo willst du wohnen? Hier? Bei Melanie? Du tauchst hier einfach auf und alles ist Friede-Freude-Eierkuchen?“

„Ich dachte eigentlich, dass du dich freust, mich zu sehen.“

„Unter den Umständen? Nein.“

Das war nicht ganz ehrlich. Natürlich freute er sich, Alex zu sehen, aber im Moment war das Verlangen ihn anzuschreien erst mal größer. Nur wusste Chris nicht, wo er anfangen sollte. Er war sauer, dass Alex ohne Vorwarnung bei ihm aufgetaucht war, obwohl Chris ihn gebeten hatte, ihm Zeit zu lassen. Er war sauer, dass er sich Sorgen um Alex gemacht hatte; dass Alex seine Wohnung verlassen hatte; dass er sich einbildete, Chris würde ihn mit offenen Armen empfangen und alles wäre gut.

Alex hatte sich inzwischen auf das Sofa fallen lassen. Vor seinen Füßen lag eine Reisetasche, die Chris vorher nicht wahrgenommen hatte.

„Du glaubst nicht wirklich, dass du hier einziehen kannst, oder?“

„Ich kann sonst nirgendwo hin. Ich bin quasi obdachlos.“

„Du kannst zu Melanie“, sagte Chris und verschränkte wieder die Arme.

„Nein.“

„Du kannst hier nicht bleiben, Alex! Hast du eigentlich irgendwas von dem verstanden, was ich dir damals erklärt habe?“

„Ja, ich hab verstanden, warum du umgezogen bist. Falls du dich erinnerst: ich habe es genauso gemacht. Aber ich hatte keine Angst davor, mich neu zu verlieben.“

„Wer sagt, dass ich…“

„Hast du nicht?“, unterbrach Alex ihn. „Wenn du keine Angst hast, warum konnte ich dann nicht mitkommen?“

„Wer sagt, dass ich in dich verliebt war?“ Gleich nachdem Chris die Worte ausgesprochen hatte, bereute er sie schon. Er hatte nicht nachgedacht und einfach irgendetwas gesagt, das Alex verletzen würde. Aber Alex schien aus irgendeinem Grund darauf vorbereitet gewesen zu sein.

„Ich sag das.“

Chris widersprach nicht. Er fühlte sich mittlerweile etwas verunsichert und wollte nur noch allein sein. „Du kannst hier nicht bleiben“, wiederholte er deshalb.

„Ich weiß. Aber ich bleibe trotzdem. Melanie hat mir gesagt, dass du dir Sorgen um mich gemacht hast. Und ich hab mir in den letzten zwei Monaten ständig Sorgen um dich gemacht. Das geht so nicht weiter, also bleibe ich hier.“

„Was ist mit deiner Wohnung?“, fragte Chris, der auf einmal nicht mehr das Bedürfnis hatte, zu streiten.

„Eine Woche nachdem du weg warst, hab ich dem Vermieter Bescheid gesagt, dass er sich einen neuen Mieter suchen muss. Und gestern hab ich dann die Schlüssel abgegeben.“

Chris sagte nichts. Er stand weiterhin vor der Wohnungstür und vermied es, Alex anzusehen. In die bunte Wohnung, die er so geliebt hatte, konnte er also auch nicht mehr zurück. Genauso wenig wie in Pauls Wohnung. Alles löste sich nach und nach in Luft auf. Es war alles, wie er es gewollte hatte. Er wollte doch gar nicht zurück. Aber trotzdem machten ihm diese Veränderungen zu schaffen. Er hatte das Gefühl, dadurch einen wichtigen Teil von sich selbst zu verlieren.

„Wenn ich verspreche, den absoluten Maximal-Abstand einzuhalten, setzt du dich dann endlich hier aufs Sofa?“, fragte Alex, der Chris’ Stimmungswechsel bemerkt hatte.

„Das Versprechen hast du schon mal gebrochen“, erinnerte ihn Chris.

„Aber nur, weil ich eingeschlafen bin.“

„Es ist schon dunkel.“

Alex sah Chris herausfordernd an.

„Na gut“, sagte Chris schließlich und setze sich ans andere Ende der Couch.

„Die Wohnung passt zu dir. Ein bisschen chaotisch und planlos.“

Sie unterhielten sich eine Weile über die Wohnung, die Schule und das Leben in Berlin und langsam taute Chris wieder ein wenig auf. Neben Alex auf der Couch zu sitzen, war zu vertraut, um sich dabei unwohl zu fühlen. Und es half auch, dass er sich nicht mehr so allein und verloren fühlte. Alex war im Moment alles, was ihn mit seinem früheren Leben verband. Von allem anderen hatte er sich nach und nach verabschieden müssen. Vielleicht konnte er es sich nicht leisten, auch noch Alex zu verlieren. Woher soll ich wissen, was richtig ist?, fragte er sich und zuckte erschrocken zusammen, als das Telefon klingelte.

„Das ist bestimmt Melanie“, sagte Chris.

„Dann lass mich mit ihr reden. Ich hab noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen.“

„Okay.“

Alex nahm das Telefon und ging damit auf den Balkon. „Hallo Melanie… nein, nur fast… Aber ich bin gespannt zu hören, warum du mir unbedingt meine Überraschung versauen musstest.“

Alex schloss die Balkontür hinter sich, sodass Chris nur noch anhand seiner Mimik erahnen konnte, wie das Gespräch verlief. Es schien nicht allzu ernst zu sein, weil Alex schon nach kurzer Zeit wieder lächelte und sich entspannt gegen das Geländer lehnte. Chris beobachtete ihn und war überrascht, als er bemerkte, was dieses Lächeln in ihm auslöste. Alex‘ Lächeln hatte ihn schon immer irgendwie gefangen genommen und es jetzt wieder zu sehen, setzte die ganzen verdrängten Gefühle wieder frei: Das Gefühl neben Alex fernzusehen, neben ihm einzuschlafen, sich mit ihm zu streiten und über alles Belastende zu reden… ihn zu umarmen und ihn zu küssen. Und ihn zu vermissen. Alex war der einzige, der Chris wirklich verstehen konnte. Er war sein bester Freund. Und… dann eben auch nicht nur ein Freund.

„Hey“, sagte Alex, als er wieder reinkam. „Melanie hat gesagt, dass ich bei ihr schlafen kann, also mache ich mich jetzt auf den Weg. Tut mir leid, dass ich dich so überfallen hab.“

Chris nickte. „Ist schon gut.“ Er wollte noch mehr sagen, fand aber nicht die richtigen Worte.

Alex ging auf die Wohnungstür zu und griff nach der Klinke. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich einfach morgen noch mal wieder kommen?“

„Ja. Okay“, antwortete Chris und ging ein paar Schritte auf Alex zu.

„Gut, dann bis morgen“, sagte Alex, zog die Tür auf und wollte gerade gehen, als ihm einfiel: „Halt, meine Tasche.“ Er lief an Chris vorbei in die Wohnung und schulterte die große Reisetasche, die immer noch vor dem Sofa gelegen hatte. Als er zurückkam und Chris mit einem breiten Lächeln verkündete, dass darin sein ganzer Besitz sei, gab Chris der Wohnungstür einen Schubs, zog Alex zu sich heran und küsste ihn. Er hatte sich endlich entschieden: Er wollte Alex nicht verlieren. Ganz egal, welchen Preis er dafür wieder würde bezahlen müssen.

Die Tür fiel mit einem lauten Knall zu, gerade als Alex seine Tasche fallen ließ und seine Arme um Chris schlang.

„Hast du dir das überlegt?“, fragte Alex, ohne seine Lippen ganz von Chris‘ zu trennen.

„Nicht so richtig.“

„Also wirfst du mich morgen wieder raus?“

„Wer sagt denn…“

„Dass ich bis morgen hier bleibe? Ich sag das“, erklärte Alex atemlos und küsste Chris wieder.

Sie klammerten sich aneinander, stolperten über Alex‘ Tasche und blieben kichernd und keuchend am Boden liegen.

„Dir ist klar, dass du mich nicht mehr los wirst, oder?“, kam es von Alex. Er strich Chris eine Haarsträhne aus dem Gesicht und legte seinen Kopf auf Chris‘ Brust ab. Sie machten keine Anstalten, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, sondern blieben einfach so auf dem Boden liegen.

„Damit kann ich leben.“

Epilog

Etwa 8 Monate später – an Chris‘ Geburtstag – wurde es voll in der kleinen Wohnung in Berlin, die dank Alex endlich auch nach einer Wohnung aussah. Melanie, Kalle und Tom und Jane mit ihrer kleinen Tochter standen zusammengedrängt auf dem Balkon und unterhielten sich fröhlich über alles Mögliche. Das Baby quietschte und sabberte – vorzugsweise auf Kalles T-Shirt, was wiederum alle zum Lachen brachte. Trotzdem hatte niemand vergessen, dass dieser Tag auch Pauls erster Todestag war. Besonders nicht Chris. Er hatte sich am Vormittag, während Alex einkaufen war, kurz mit Melanie darüber unterhalten, ein bisschen geweint und sich dann aber dafür entschieden, den Tag zu genießen. Seine kleine Familie war schließlich genau dafür gekommen.

„So süß die Kleine auch ist…“, sagte Kalle halb schimpfend, halb lachend, als er sich auf dem Weg ins Bad sein Shirt über den Kopf zog, „… wenn sie mich noch einmal anspuckt, brauche ich ein neues T-Shirt.“

„Wenn du dir dann wieder was anziehst“, nuschelte Alex und schlang demonstrativ seine Arme um Chris‘ Bauch.

Chris gab ihm schmunzelnd einen kurzen Kuss auf den Mund und trommelte dann alle zum Kuchenessen zusammen. Seit ihrer ersten Begegnung war Alex eifersüchtig auf Kalle, obwohl er – davon war Chris überzeugt – genau wusste, dass weder Kalle noch Chris ihm jemals einen Anlass dafür liefern würden. Deshalb machte sich Chris auch keine Sorgen. Zwischen Alex und ihm lief alles so gut, dass er sich auf gar keinen Fall über solche Kleinigkeiten aufregen wollte. Und im Gegensatz zu Alex verstand sich Melanie mit Kalle ganz ausgezeichnet. Chris genoss es, die beiden um sich zu haben, weil er dann besonders das Gefühl hatte, Teil einer Familie zu sein. Melanie war wie eine große Schwester, Kalle wie ein Bruder für Chris. Und Tom und Jane gingen mittlerweile so in ihrer Elternrolle auf, dass sie das auch gerne mal auf alle anderen übertrugen.

Als später alle gegangen waren, machten Alex und Chris es sich auf dem Sofa gemütlich und sahen noch ein wenig fern.

„Duhu?“, fragte Chris und lehnte sich an Alex‘ Schulter.

„Nein, wir gehen morgen nicht mit Kalle zum Sightseeing. Gibt es überhaupt noch irgendein Fleckchen, zu dem er uns noch nicht geschleift hat?“

„Ja, in den Zoo.“

„Ich finde, da sollten wir allein hingehen“, meinte Alex.

„Warum?“

„Weil das für dich was besonderes ist. Da stört der Typ nur.“

„Du meinst, dich stört er.“

„Ja, das auch.“

„Aber du wolltest ja nicht mit mir hingehen.“ Chris grinste und ließ seine Hand unter Alex‘ Shirt wandern und über seinen Bauch streichen. Er wusste, dass Alex jetzt eigentlich nur noch eine Wahl blieb.

„Okay, dann gehen wir eben morgen in den Zoo“, seufzte Alex und stand auf. „Und mit wir meine ich dich und mich. Alleine.“

Er warf Chris Pauls Decke zu und begann mit dem Ritual, das sie schon in der alten Wohnung jeden Abend durchgezogen hatten. Er ging zur Wohnungstür, um sie abzuschließen, während Chris die Balkontür schloss. Alex löschte das Licht in der Küche und Chris knipste die Lampe neben dem Sofa aus. Der einzige Unterschied war, dass sie sich hier nicht in verschiedene Schlafzimmer zurückzogen, sondern sich nebeneinander auf das große neue Bett fallen ließen, sich eng aneinander schmiegten und so einschlafen konnten. Und das war immer noch etwas Besonderes.

„Ich liebe dich“, sagte Chris.

„Ich dich auch.“

ENDE

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