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Summer in Paradise 3

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Willkommen im dritten Band!

Lese-Reihenfolge:

Along the Way

Sommer 2006

Chinese Food (nur Nebendarsteller)

Parallel Universe (nur Nebendarsteller)

DSDMB (nur Nebendarsteller)

Sommer – Der Boden der Tatsachen

A longer Way

Threeway

Summerways

Seelendorf

Summer in Paradise Band 1-3

David

Es fällt mir echt schwer, wieder in den Flieger zu steigen, zurück nach Kalifornien. Aber es nützt nichts, wir müssen die Wohnung auflösen, Papiere beantragen, Arbeiten an der Uni fertig schreiben. Und Jordan muss vor allem eines tun: Abschied nehmen.

Die letzten Tage in Kleinding waren sehr ruhig und gemütlich. Severin und Christian sind spontan ein paar Tage in Urlaub gefahren, deshalb war nicht viel zu tun in Sachen Planung. Die Beiden hatten wohl einiges zu besprechen. Und nach allem, was Jordan erzählt hat, sind sie sich wohl nicht wirklich einig geworden, wie es weitergehen soll mit Severins Beziehung zu Eugen und Milla. Ich hoffe, sie finden eine Lösung, mit der alle glücklich werden.

Es dauert ein paar Tage, bis wir wieder richtig in der Kalifornischen Zeitzone angekommen sind. Die Kinder sind unzufrieden und fragen ständig nach Oma Mona. Jordan ist irgendwie leicht entrückt. Er steht manchmal einfach so in der Wohnung und starrt die Wandgemälde an, die Vince gemalt hat. Ich stelle mich neben ihn. Er lächelt mich an:

„Wir waren hier ziemlich glücklich, Vince und ich ...“

„Du solltest Vince öfter sehen, so lange du kannst“, schlage ich vor und nehme Jordan in den Arm.

„Ja, … und Sean.“

„Sean hast du schon lange nicht mehr erwähnt.“

„Du erinnerst mich manchmal an ihn. Weil du so vernünftig bist“, lächelt er. „Und weil du so gut bläst, wie er. … Und weil du rote Flecken auf den Wangen bekommst, wenn dir was peinlich ist“, lacht er.

Ich küsse ihn und flüstere ihm zu, was ich heute Nacht tun könnte, damit seine Wangen rot werden.

„Uh, David!“, lacht er und zieht seine Augenbraue nach oben.

„Vielleicht solltest du eine Party geben? Zum Abschied, im August?“, frage ich.

„Ich weiß nicht, mir wäre lieber, die Leute einzeln zu treffen und wirklich Zeit zu haben, mich zu verabschieden.“

„Marie hat sehr getroffen gewirkt, als wir erzählt haben, dass wir definitiv weg ziehen.“

„Das fällt mir tatsächlich am schwersten. Sie und Josh hier zu lassen.“

„Es gibt da noch was, das ich gestern gesehen habe, als wir bei deiner Mum waren.“

„Und was?“

„Männer-Duschgel in der Dusche.“

„Äh...? Du meinst …?“

„Ich glaube, deine Mum hat einen Neuen ...“

„Ich muss sie sofort anrufen!“

Damit ist er für die nächste halbe Stunde im Schlafzimmer verschwunden. Ich wage mich so lange an den Wäscheberg auf unserer Couch. Die Zwillinge spielen seelenruhig im Kinderzimmer. Cooper und Gwen verbringen das Wochenende bei Nikki. Stille. Stille hatte ich schon lange nicht mehr. Kein Drama. Kein Stress. Kein Lärm. Ich schließe meine Augen und rieche an einem Wäscheteil. Zuhause. Die Wäsche riecht nach zuhause. Nach Jordan, nach den Kindern. Nach Glück. Jordan küsst mich. Ich sinke in die Kissen zurück und ziehe ihn halb auf mich, halte ihn fest. Wir küssen uns, bis Jordan die Reißleine zieht.

„Wenn ich jetzt nicht aufhöre, kann ich nicht mehr aufhören. Du machst mich total verrückt.“

„Abendessen, Kinder ins Bett und dann machen wir hier weiter?“, flüstere ich außer Atem.

Jordan grinst:

„Ich hab nicht vergessen, was du heute noch mit mir vorhast. Aber davor müssen wir über meine Mutter reden.“

„Okay“, lache ich. „So kann man die sexuelle Spannung auch killen.“

„Wart's ab, wenn du hörst, was ich herausgefunden habe, dann kill ich sogar noch die gute Laune.“

„Was ist los?“

„Sie ist wieder mit Klaus zusammen.“

„Was?!“

„Er hat schon einige Wochenenden bei ihnen verbracht.“

„Aber die Mädchen ...“

„Laura findet es klasse, ihren Vater zu sehen, behauptet Mum. Marie ist skeptisch.“

„Zu recht.“

„Klaus ist trocken und macht eine Therapie.“

„Aber nach allem, was passiert ist, wie kann sie ihm da einfach so verzeihen?“

„Hat sie nicht. Aber sie arbeiten an ihrer Beziehung. Ich weiß selbst noch nicht, was ich davon halten soll. Ich weiß nur, dass es anders ist als bei den Kerlen in meiner Kindheit. Mum scheint nicht abhängig von ihm zu sein. Auch nicht blind vor Liebe. Sie machen eine Paartherapie, reden viel … ich weiß auch nicht. Ich weiß nur, dass Klaus kein böser Mensch ist. Er war eigentlich immer sehr zuverlässig und … vielleicht hat er ja tatsächlich eine Art Depression durchgemacht. Vielleicht hat der Alkohol das alles verstärkt. Vielleicht bestehen wirklich Chancen, dass er seinen Scheiß aufarbeitet und dann wieder der nette, zuverlässige Klaus ist, den ich viele Jahre lang gekannt habe?“

Ich zucke mit den Schultern:

„Vielleicht. Und deine Mum muss wohl selbst entscheiden, ob sie ihm noch eine Chance gibt. Aber wie geht es dir damit, Marie in dieser Situation zu lassen?“

„Beschissen. Aber ich kann nichts ändern. Ich hab keine Rechte ...“

„Trotzdem hast du Einfluss. Du kannst mit deiner Mum im Gespräch bleiben. Du kannst in den nächsten Monaten Klaus im Auge behalten. Und Marie kann jeder Zeit anrufen, wenn sie ein schlechtes Gefühl hat, oder wenn was vorfällt.“

„Aber wenn wir in Deutschland sind, dann kann ich im Ernstfall gar nichts tun.“

„Du kannst Hilfe schicken. Scott oder sogar die Polizei ...“

„Ja, ...“

„Jordan, hast du Zweifel, was Deutschland betrifft?“

„Nein. Ich bin überzeugt, dass das Paradies unsere neuen Heimat werden soll. Und nichts kann mich davon abhalten, dich zu heiraten. Aber … ich würde am liebsten alle meine Leute mit umsiedeln.“

„Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Abschied nehmen ist schwer.“

„Ja. So, lass uns was kochen. Worauf hast du Lust?“

„Kannst du dein Risotto machen? Ich kümmere mich dann weiter um die Wäscheberge.“

„Mach ich. Wahnsinn, wie ruhig es ohne Gwen und Cooper hier ist, oder?“

„Fast ein bisschen gruselig.“

„Ich denke immer öfter über ein Baby nach ...“, gibt er zu.

„Ein bisschen Geduld brauchen wir noch ...“

„Ich weiß … Ich will Marie in den nächsten Monaten regelmäßig besuchen und ihr zeigen, dass ich für sie da bin.“

„Ich hab die Zwillinge im Griff. Nimm dir Zeit. Auch für Vince, Sean, Janet und alle, von denen du dich sonst noch verabschieden willst.“

„Danke, David.“

Jordan schreibt an seiner Promotion, macht Auftrags-Jingles und schreibt ab und zu Reden für Vuza. Er besuchte Marie, Janet und Scott regelmäßig. Er wirkt, als hätte er Energie ohne Ende. Und als wäre er sehr ausgeglichen. Ich glaube, seine Medikamente wirken endlich richtig. Und ich glaube, die Telefonate mit Severin tun ihm gut. Mir fällt es schwer, die restlichen Monate hier nicht als „Zeit absitzen“ zu betrachten. Ich versuche, mit den Zwillingen viel am Meer zu sein und ihnen möglichst viele Erinnerungen an Kalifornien zu schenken. Vermutlich werden sie sich später aber nicht mehr an die Staaten erinnern.

Jordan

Marie öffnet bei meinem nächsten Besuch die Tür:

„Fuck!“, mache ich, denn mein eigenes 13-jähriges Spiegelbild steht vor mir. Sie trägt ein Brauen-Piercing, Lederjacke und vor allem: einen grünen Iro.

„Warum lebst du noch? Ist Mum milde geworden?“, frage ich.

„Vier Wochen Hausarrest. Hat sich trotzdem gelohnt“, grinst sie. „Ist halt scheiße für die Band, weil die ohne Drums nicht richtig proben können.“

„Du hast eine Band?“, frage ich begeistert.

„Klar, das wüsstest du, wenn es dich echt interessieren würde.“

Sie dreht sich um und geht rein. Ich stehe leicht verdattert in der Tür.

Mum rührt in der Küche Bolognese.

„Hey.“

„Hey Schatz. Dir ist klar, dass das deine Schuld ist?“, lächelt sie fies und küsst meine Wange.

„Meine Schuld?!“

„Sie tickt genau wie du. Ihr ist völlig egal, was andere denken, sie macht nur ihr Ding. Musik, Jungs ...“

„Jungs?!“

„Willkommen in meiner Welt. So hab ich mich gefühlt, als dein Vater angerufen hat und mir gesagt hat, dass er unseren 15-jährigen Sohn nicht mit einem, sondern mit zwei Mädels im Pool erwischt hat.“

„Aber sie ist 13!“

„Will ich wissen, was du mit 13 gemacht hast?“

„Im Leben nicht. … Was ist mit Drogen?“

„Nein, das macht sie nicht. Da bin ich sicher.“

„Immerhin konnte ich da als Negativbeispiel dienen ...“

Sie umarmt mich.

„Du bist kein Negativbeispiel. Ich bin stolz drauf, wer du geworden bist, trotz allem.“

„Ich werde euch drei so vermissen, wenn ich in Deutschland bin ...“, schnaufe ich.

„Ich glaube, Marie wird dich auch sehr vermissen. Ich vermute sogar, dass ihr Aufzug was damit zu tun hat. Sie nimmt es dir übel, dass du wegziehst ...“

„Ganz ehrlich, ich würde sie auf der Stelle mitnehmen.“

Ich schlage mir die Hand vor den Mund, weil mir klar wird, dass ich gerade andeute, meiner Mutter ihr Kind wegzunehmen, oder zumindest könnte sie das so auffassen.

„Entschuldige, ich wollte nicht ...“

„Schon gut, Jordan. Ich weiß...“

„Es ist nur, ich seh so viel von mir selbst in ihr. Und es fühlt sich nicht an, als wäre sie meine Schwester ...“

„Nein, sie ist deine Tochter ...“

Ich hab einen Klos im Hals, weil Mum das noch nie laut ausgesprochen hat.

„Ich will sie dir wirklich nicht wegnehmen oder was in der Richtung. Das könnte ich gar nicht, auch juristisch nicht“, stammle ich. „Mein Herz bricht nur jedes Mal ein bisschen, wenn ich daran denke, sie auf einem anderen Kontinent zu lassen. Sie ist doch mein Kind ...“

Mum deutet hinter mich. Da stehen Laura und Marie. Marie geht. Ich muss hinterher. Sie schlägt ihre Zimmertür zu, ich mache sie auf und gehe rein.

„Spinnst du?!“, fährt sie mich an.

„Marie ...“

„Lass mich und zieh nach München!“

„Marie ...“

„Ich war dir 13 Jahre lang egal, und plötzlich interessiert es dich, wie es mir geht?!“

„Marie!“, brülle ich, um zu ihr durchzudringen. „Du warst mir noch nie egal! Du bist mein Kind und ich liebe dich!“

Für einen Moment will sie mich wieder anbrüllen, dann resigniert sie aber und lässt sich auf ihr Bett fallen. Ich setze mich zu ihr.

„Marie, es tut mir Leid, dass ich für dich kein Vater sein konnte. Es tut mir Leid, dass deine ersten Jahre so scheiße waren. Das kann ich alles nicht mehr ändern. Aber jetzt sitze ich hier und bin für dich da. So gut ich das halt hinbekomme ...“

Sie setzt sich hin, umklammert ihr Kissen.

„Ich glaub, ich steh auf Jungs … und Mädchen ...“

Ich atme tief durch:

„Okay … das hast du dann wohl von mir ...“

„Ich trau mich nicht, darüber zu reden. Ich weiß, ich tu immer so, als wäre es mir egal, was andere denken, aber ...“

„Aber nicht als die akzeptiert zu werden, die du nunmal bist, das ist deine schlimmste Angst?“

„Ja“, nickt sie überrascht.

„Du bist definitiv mein Kind … Darf ich dich bitte in den Arm nehmen?“

Sie nickt. Ich umarme sie fest.

„Marie, ich verspreche dir, dass ich dich immer so akzeptieren werde, wie du bist.“

Sie schluchzt in meinem Arm. Das Kind in mir weint ein bisschen mit, weil ich das so gerne auch von meinem Dad gehört hätte, mit 13. Wahrscheinlich wäre mein Leben ganz anders verlaufen, wenn jemand meinem 13-jährigen Ich gesagt hätte, dass es akzeptiert wird, wie es ist.

„Ich will nicht hier bleiben, wenn Klaus wieder einzieht. Er verpestet die Stimmung in der Familie. Und ich trau ihm nicht mehr.“

„Das verstehe ich. Aber die Entscheidung, wer hier einzieht, kann nur Mum treffen.“

„Es ist scheiße, 13 zu sein.“

„Ja, ich erinnere mich ...“

„Jordan … ich weiß, dass du den Vorschlag nicht ernst nehmen wirst, weil du denkst, er kommt von einer bockigen 13-Jährigen. Aber das ist nicht wahr. Ich sag das nicht aus Trotz, oder weil ich rebellieren will. Ich will bei dir leben. Auch wenn das in Deutschland ist. Ich will, dass ich die Chance bekomme, dich als meinen Dad kennenzulernen, nicht als großen Bruder, der nur drei Mal im Jahr hier aufschlägt.“

Ich schaue sie überrascht an. Und es überrascht mich nicht nur, WAS sie sagt, sondern auch, WIE sie es sagt. Überlegt und ernsthaft, ohne Trotz, nicht wie ein Kind. Wie eine junge Frau, die weiß, was sie will.

„Würdest du Mum und Laura nicht vermissen?“

„Doch, und wenn es nach mir ginge, dann würde ich die zwei einfach einpacken und mitnehmen. Aber es geht nicht nach mir. Ich bin drauf angewiesen, dass ihr Erwachsenen eine Entscheidung für mich trefft. Aber so wie es gerade ist, ist es scheiße.“

„Ich glaube nicht, dass ich da wirklich was zu sagen habe, Marie … Ich bin im juristischen Sinne nicht dein Dad.“

„Willst du mich mitnehmen?“

Ich schnaufe:

„Darauf gibt es keine einfache Antwort. Verdreh nicht die Augen und schmeiß mich auch nicht gleich aus deinem Zimmer, sondern hör mir zu, okay?“

Sie nickt und umklammert ihr Kissen noch ein bisschen fester.

„Ich liebe dich. Und ich würde es lieben, mehr Zeit mit dir zu verbringen. Aber gleichzeitig könnte ich Mum nie so verletzen. Sie würde ihr Kind verlieren … und David müsste da auch mitmachen. So eine Entscheidung könnte ich nie ohne ihn treffen. Und auch Klaus, er ist dein Vater, vor dem Gesetz. Er hat ein Recht, dich zu sehen und ich hab keinerlei Rechte. Deshalb ist das alles kompliziert.“

„Aber du willst mich bei dir haben?“, fragt sie und ich spüre genau, wie viel Hoffnung in dieser Frage steckt.

„Ja. Wenn du nicht bei mir bist, fehlt ein Teil von mir. Genau wie bei Josh, Gwen und den Zwillingen.“

„Können wir das dann nicht irgendwie hinbekommen?“

„Ich seh grad keinen Weg, Marie ...“

Mum steckt ihren Kopf zur Tür herein.

„Darf ich?“

Marie nickt. Mum setzt sich auf die andere Seite des Bettes neben Marie.

„Ich wollte nicht lauschen … aber … ich hab es trotzdem getan.“

„Mum, wir wollten nicht ...“

„Nein, Marie. Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich verstehe, dass du Angst hast wegen Klaus. Und ich verstehe auch, dass du nicht willst, dass Jordan aus deinem Leben verschwindet. Wir finden eine Lösung. Gemeinsam, als Familie. Das versprech ich euch.“

Wir vereinbaren, uns zwei Tage später alle zusammenzusetzen. Mit David – und Klaus.

Als ich heimkomme, hat David die Zwillinge schon ins Bett gebracht und sitzt mit dem Laptop auf der Couch.

„Hey ...“

„Ich such grad Fliesen aus, für den Gastraum. Unglaublich, auf was man da alles achten muss ...“, erklärt er und klappt den Laptop zu. „Hast du bei deiner Mum Abendessen bekommen?“

„Ja, sie hatte extra Bolognese gemacht, nach dem Rezept vom Mama Maria ...“

„Mh, lecker.“

„Ich muss mit dir reden ...“

„Okay...?“

„Ich weiß, das hört sich erst mal total verrückt an. Aber … Marie möchte zu uns ziehen.“

„Hierher?“

„Nein, mit nach Deutschland.“

„Äh, okay, das hört sich tatsächlich verrückt an.“

„Aus ihrem Mund nicht. Sie hat mir wirklich sehr klar gesagt, was sie will. Und ihr ist auch klar, was sie zurücklassen würde.“

„Aber … das ginge doch gar nicht, selbst wenn wir wollten, oder?“

„Nicht ohne Mums und Klaus' Einverständnis, das stimmt. Aber Mum möchte, dass wir das übermorgen bei einem Essen besprechen.“

„Äh ...“

„Ja, nein, ich hab natürlich gesagt, dass ich erst mit dir reden muss, bevor wir überhaupt in die Diskussion einsteigen können.“

„Das … aber … wie soll das überhaupt funktionieren? Wir haben im Paradies zwei Zimmer. Mehr nicht. Sie kann doch nicht bei den Zwillingen schlafen, bis die Gaststätte steht ...“

„Vielleicht könnte ich mit Severin reden und noch ein drittes Zimmer rausschlagen, ich meine, daran sollte es nicht scheitern. Es geht erst mal grundsätzlich darum, ob du dir das vorstellen kannst und ob du denkst, dass das gut für Marie wäre.“

„Ich glaube, das Paradies ist gut für jeden, also auch für Marie. Aber ich glaube nicht, dass sie ohne ihre Mutter nach Deutschland ziehen sollte. Sie ist zu jung dafür. Und wir können da kein Ersatz sein ...“

„Nein, ich will auch kein Ersatz für irgendwen sein. Ich will der sein, der ich bin: Ihr Vater.“

„Das versteh ich … aber trotzdem, ohne deine Mum halte ich das für keine gute Idee. Ich meine, grad mit 13, Pubertät und all das, da ist es wichtig, dass sie eine weibliche Ansprechpartnerin hat ...“

„Und was wenn April in dem Alter ist? Wen hat sie dann als Ansprechpartnerin? Eine Mutter hat sie jedenfalls nicht.“

„Nein … aber das ist anders, weil wir ihre Eltern sind. Sie wächst mit uns auf, das ist eine ganz andere Basis ...“

„Warum sträubst du dich so, David?“

„Ich sträube mich nicht. Ich glaube nur nicht, dass wir ihr gerecht werden können. Aber ich bin gesprächsbereit.“

„Marie hat sich vorhin mir gegenüber als bi geoutet.“

„Okay … das … das ist ein großer Vertrauensbeweis.“

„Sie ist mir so verdammt ähnlich. Ich glaube, dass sie mich brauchen wird, in den nächsten Jahren.“

„Das glaube ich auch.“

„Aber wie soll ich das machen, wenn ich auf einem anderen Kontinent lebe?!“, frage ich wütend.

„Ich sehe, dass dich das sehr wütend macht ...“

„Komm mir nicht mit deinen Ich-Botschaften und deinem Psycho-Gelaber!“

„Okay, dann eben anders: Ich weiß auch keinen Rat und ich find es auch blöd, aber wir können gern mit deiner Mum reden – und vor allem mit Marie reden. Ich bin auf deiner Seite und ich will dir nichts böses, Liebling ...“

„Ich bin aber wütend.“

„Das versteh ich.“

„Ich bin wütend über die Gesamtsituation.“

„Ja ...“

„Ich kann sie nicht zum zweiten Mal verlassen. Beim ersten Mal wusste ich nichts von ihr, aber jetzt ...“

„Ich liebe es, dass du diese Verantwortung nicht wegschiebst, sondern für Marie da sein willst. Aber es gibt auch Skype und E-Mails und Telefonate und … du kannst trotzdem ein Teil ihres Lebens sein.“

„Ja, aber ich kann sie nicht in den Arm nehmen, wenn sie sich vor ihren Klassenkameraden geoutet hat und blöde Sprüche kassiert. Ich kann ihr kein Schoko-Eis servieren, wenn sie das erste Mal Liebeskummer hat. Ich kann nicht heimlich ihren Rucksack durchwühlen weil ich Gras rieche. Ich kann ihr nicht in die Augen schauen, wenn ich sie frage, wie es mit Klaus läuft. Ich kann nicht zu den Konzerten ihrer Band gehen ...“

„Sie hat eine Band?“

„Genial, oder?“, grinse ich stolz. „Und sie hat einen grünen Iro.“

„Warte … was?!“

„Mum hat ihr vier Wochen Hausarrest gegeben.“

„Hätte ich auch gemacht.“

„Aber ...“

„Aber du bist nicht 13“, unterbricht er mich.

„Wenn wir das irgendwie mit Mum und Klaus geregelt bekommen, dann setzen wir alles dran, dass sie zu uns kann, okay?“

„Es wird nicht an mir scheitern, das kann ich dir versprechen.“

„Ich will heute Abend mit dir ausgehen“, schnurre ich und fege die Kinderwäsche, die er gerade sortieren will, von seiner Schulter.

„Uh, echt? Und wer passt auf die Kinder auf?“

„Hm … ich organisiere wen.“

„Okay, und was machen wir?“

„Gut essen und knutschen im Kino.“

„Hört sich gut an. … Oh, nein, ich kann nicht. Telefonkonferenz mit Leon, Christian und Noah.“

„Könnt ihr das nicht verschieben?“

„Nein, wir haben eine Frist. Sorry, Liebling ...“

„Ich werd's überleben. Dann frag ich Toby, ob er Zeit hat.“

„Für Knutschen im Kino?“, grinst David.

„Hahahaha.“

Tobey hat Lust auf Pizza und Bier, deshalb treffen wir uns beim Italiener um die Ecke. Er sitzt schon am Tisch und tippt versonnen auf seinem Telefon herum.

„Hey, Fremder.“

„Oh, hey“, macht er und steht auf, um mich zu umarmen. „Alles klar?“, fragt er.

„Alles gut, bei mir.“

„Du siehst auch gut aus. Sehr entspannt.“

„Ich genieße die Ruhe vor dem Sturm“, grinse ich.

„Das Gefühl kenn ich.“

„Warum, was steht bei dir an?“

Er seufzt:

„Kind Nummer 2.“

„Echt jetzt?“

„Noch nicht akut. Aber Janet und ich haben entschieden, dass niemand ohne Geschwister aufwachsen sollte.“

„Geht das in der Wohnung?“

„Für den Anfang schon. Aber genau das ist es, was mich zögern lässt. Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren ein Haus brauchen.“

„Oder meine Wohnung?“

„Äh ...“

„Naja, wäre doch super. Nah am Plattenladen, nah an Joe. Und genug Platz hättet ihr auch.“

„In die Richtung hab ich noch gar nicht gedacht, dabei ist es so naheliegend.“

„Ihr müsst euch bloß bald entscheiden, die Wohnung ist schon ausgeschrieben, seit gestern. Ende Juli muss sie weg sein.“

„Ich red mit Janet, aber ich mag die Idee. Ich wohne gern hier in dieser Gegend. Boah, ich hab mich schon in irgendeinem Vorort gesehen. Aber das wäre echt genial.

Über der scharfen Pizza lachen wir Tränen über Geschichten von früher und beschließen, auf jeden Fall vor meinem Umzug noch mal die Jungs zusammenzutrommeln und gemeinsam Musik zu machen.

„Noch ein Bier oder lieber ein Milchshake am Meer?“

„Rat mal“, grinse ich.

„Die Rechnung, bitte!“, ruft er.

Wir schlendern mit unseren Shakes über den Pier und schauen auf's Meer hinaus.

„Diesen Anblick werde ich vermissen“, sage ich am Ende des Piers.

„Bayern ist ganz schön weit weg ...“

„Ja ...“

„Weißt du noch, als wir in München aus dem Club geschmissen wurden, weil wir geknutscht haben?“, lacht er.

„Ja, ich erinnere mich. Überhaupt erinnere ich mich ziemlich gut daran, wie es war mit dir ...“, seufze ich.

„Ich war echt ganz schön verschossen in dich … Aber ich bin froh, dass wir die Kurve gekriegt haben und wieder Freunde sind“, sagt er und klopft mir etwas unbeholfen auf die Schulter.

„Ich auch.“

„Ich werde dich vermissen ...“

„Ach Tobey ...“ Wir umarmen uns. „Danke, dass du damals für mich da warst, obwohl ich so ein Arsch war ...“

„Ich danke dir. Du hast mich aus meinem Schneckenhaus geholt und warst nach langer Zeit der erste Mensch, den ich wirklich an mich rangelassen hab.“

„Wer weiß, vielleicht spielst du bald mal ein großes Piano-Konzert in München …“

„Glaub ich nicht. Meine Jet-Set-Zeiten sind vorbei.“

„Ja, meine auch … Wie die Stones das wohl aushalten?“

„Vermutlich machen die jeden Tag Yoga und trinken grüne Säfte“, lacht er.

„Könnte mir im Paradies auch blühen ...“

Als ich kurz nach elf nachhause komme, liegt David schon im Bett und schläft tief und fest. Schade. Aber ich hab keine Lust, alleine im Wohnzimmer rumzuhängen, deshalb setze ich mich mit Laptop und Headphones neben ihn. Ich liebe es, ihm beim schlafen zuzuschauen. Aber heute wirkt er irgendwie unentspannt, seine Gesichtszüge verkrampfen sich regelmäßig. Und um kurz vor zwölf fängt er plötzlich an zu strampeln und wacht mit einem Schrei auf. Aus weit aufgerissenen Augen schaut er mich an, erst mal total orientierungslos.

„David? Albtraum?“

Er fährt sich über das verschwitzte Gesicht.

„Scheiße, ich … ja.“

„Willst du drüber reden?“

Er zieht sein durchgeschwitztes Shirt aus.

„Ich muss mich erst sortieren … ich …, fuck, war das krass.“

„Hey, du zitterst ja. Ich hol dir was Warmes zum Anziehen."

„Kannst du mich einfach in den Arm nehmen?“

„Ach Schatz ...“

Ich lege den Laptop bei Seite und David schmiegt sich fest in meinen Arm.

„Was hast du geträumt?“

„Ich glaub, ich will dir das nicht erzählen.“

„Warum nicht?“

„Weil ich dich damit nicht belasten will.“

„David, ich glaub du weißt, was ich dazu zu sagen hab, oder?“

„Ja, aber … du sagst stopp, wenn du es nicht weiter hören willst. Okay?“

Ich nicke:

„Erzähl.“

„Ich hab vom Überfall geträumt. Davon, wie ich mit den vier Kindern alleine war und … plötzlich spüre ich diese drohende Gefahr und ich schaue aus dem Fenster und sehe … sehe Dylan kommen und weiß, er wird was Schlimmes tun.“

Ich verspanne mich. Damit habe ich nicht gerechnet.

„Er tritt die Tür ein, ich bin wie gelähmt. Er hat eine Waffe, eine Art Revolver. Ich höre die Kinder schreien und sehe ihre verwirrten Gesichter und wie sie mich um Hilfe bitten, aber ich kann mich nicht bewegen. Ohne zu zögern, erschießt er Cooper. In dem Moment kann ich mich wieder bewegen und will mir Gwen schnappen, aber sie stößt mich weg und sagt, ich sei ein Alien. Dylan nimmt die Zwillinge und sagt mir, dass ich sie nie wieder sehen werde. Dass er sich sein Leben zurück nimmt, das ich ihm gestohlen habe. Und dann zielt er auf mich und ich höre einen Knall und wache auf.“

David sieht mich an und wartet auf eine Reaktion von mir. Aber mich durchfluten so viele Gefühle. Ich will Dylan verteidigen, will David trösten, will die Bilder im Kopf verdrängen, will meine Kinder in den Arm nehmen, will vergessen, was war, will mich dem stellen, was war.

„Jordan?“

Ich nicke und nehme ihn fest in den Arm.

„Es tut mir Leid“, flüstert er.

„Du musst dich nicht entschuldigen ...“

„Doch, ich hätte es nicht erzählen sollen.“

„Hattest du den Traum schon öfter?“

„Seit ein paar Wochen immer wieder.“

„Ich will zu den Zwillingen...“

„Ich auch.“

„Wollen wir kurz mal nach ihnen sehen?“

„Dringend.“

Wir schleichen ins Kinderzimmer. Die beiden schlafen ruhig und friedlich. Eine Weile schauen wir ihnen dabei zu. Dann schleichen wir wieder hinaus.

„Ich bin froh, dass du mir von deinem Traum erzählt hast. Vor allem, weil du ihn schon öfter hattest. Das bedeutet was.“

„Ja, vermutlich ...“

„Darf ich jetzt mal der Therapeut sein?“, frage ich grinsend und deute auf die Couch.

David legt sich hin, ich setze mich dicht neben ihn.

„Was glaubst du, bedeutet der Traum?“, frage ich.

„Ich hab das Gefühl, Dylans Leben zu leben“, antwortet er prompt.

„Okay, … ich bin ein scheiß Therapeut, aber ich muss dir sagen, wie ich das sehe.“

„Okay …?“

„Du bist nicht einfach ein Ersatz für Dylan. Absolut nicht. Unsere Beziehung hat eine ganz andere Dynamik. Und selbst wenn Dylan noch leben würde, wäre ich nicht mehr mit ihm zusammen. Er hätte mich nicht gelassen, weil er sich weiter hinter Mauern verschanzt hätte. Das hätte ich nicht ausgehalten, auf Dauer.“

„Aber seinen Platz bei den Kindern hab ich eingenommen. Er sollte sie beim Aufwachsen begleiten, nicht ich.“

„Ja, aber du hast ihn nicht krank gemacht. Du hast ihn nicht umgebracht. Du hast ihm nichts weggenommen. Und ohne dich wäre diese Familie nicht mehr zusammen.“

„Glaubst du wirklich?“

„David, ohne dich würde ich in irgendeiner abgefuckten Bude hausen und high sein. Und die Kinder wären …. ich will gar nicht drüber nachdenken. Im Heim oder bei Verwandten oder sonst wo. Ohne dich hätte ich die letzten zwei Jahre nicht durchgehalten, David. Du hast uns alle gerettet und du verdienst es, bei uns zu sein.“

Er hält sich die Hände vor's Gesicht.

„David, du musst dich nicht verstecken.“

Er schmiegt sich in meinen Schoß.

„Du musst fragen, warum ich glaube, dass gerade Cooper erschossen wurde“, flüstert er.

„Okay … warum glaubst du, dass gerade Cooper erschossen wurde?“

„Weil er aus meinem Leben gerissen wurde. Wir sehen ihn kaum noch, seit es Nikki wieder gut geht. Und ich vermisse ihn ...“

Ich streiche über seine Locken:

„Wir müssen ihn öfter zu uns holen. Spätestens in Bayern.“

„Ja ...“

„Schokoeis?“

„Du bist der beste Therapeut, den ich je hatte“, schnieft er.

„Na, da hab ich ja auch noch nicht viel Konkurrenz.“

Ich erzähle ihm von meinem Abend mit Tobey und von der Idee, ihm und Janet die Wohnung zu verkaufen. Das findet er einen ziemlichen Geniestreich.

Im Bett liege ich eine Weile wach, bis ich David tief und gleichmäßig atmen höre. Ich ahne, dass er jetzt dran ist mit dem Aufarbeiten und dass ich jetzt stark für uns beide sein muss. Aber ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich krieg das hin. Und es gibt da noch was, das ich hinkriegen muss. Ein Treffen mit Mama Maria …

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