zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Summer in Paradise - Band 1

Teil 4

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Jordan

Ich wache auf, als es gerade hell wird. Mein Rücken tut weh, deshalb schiebe ich David von mir runter und strecke mich ausgiebig. Mein Handy sagt mir, dass es kurz vor sieben ist. Wir sollten bald zurück, damit wir da sind, wenn die Zwillinge aufwachen. David streckt sich ebenfalls.

„Hey“

„Was für eine Nacht, hm?“, fragt er.

„Ja, da war alles dabei.“

„Ich weiß, wir müssen bald los zu den Zwillingen, aber ich würde gerne noch ein bisschen die Ruhe am See genießen.“

„Hört sich gut an“, finde ich.

Wir ziehen uns an und öffnen das Zelt. Die Aussicht ist wirklich wunderschön. Man sieht den ganzen See, auf dem Enten und andere Wasservögel schwimmen. Der rosa-orange Sonnenaufgang spiegelt sich auf der Wasseroberfläche.

„Wow“, mache ich.

David setzt sich auf einen Baumstamm und bedeutet mir, zu ihm zu kommen.

„Hier bin ich zu Hause“, flüstert er.

„Ich seh uns schon alt und grau hier Händchen haltend am See sitzen“, flüstere ich zurück.

Er legt seinen Arm um mich und schmiegt sich an mich. Ich will für ihn der beste Mann sein, der ich sein kann. Treu, zuverlässig und … angepasst. Der Gedanke schockiert mich fast ein wenig. Aber es ist wahr. Ich will endlich irgendwo hingehören. In eine Gemeinschaft. Zusammen mit David. Und mich selbst dabei nicht mehr so wichtig nehmen.

Wir können bei Gert und Mona noch in Ruhe Kaffee trinken, bevor das Babyphone anschlägt. Die Kinder wachen gut gelaunt auf und spielen erstmal eine Runde „Tempo, kleine Schnecke“ mit Mona. Ihr neues Lieblingsspiel. Ich mache so lange Pancakes für alle und David macht Wäsche. Zwischendurch kommt David zu mir und schmiegt sich von hinten an mich.

„Die letzten zwei Jahre hatte ich gefühlt immer ein Kleinkind auf dem Arm und du auch. Es ist ziemlich cool, spontan mal das hier machen zu können.“

Er küsst mich.

„Morgen kommt Cooper an, dann ist es mit der Ruhe gleich wieder vorbei“, grinse ich.

„Das wird der Härtetest für Oma Mona“, lacht er.

„Bist du nervös wegen Noah?“

Mit ihm werden wir uns nämlich in zwei Stunden beim Paradies treffen, um ihm zu zeigen, wie es sich dort lebt und wie unsere Pläne aussehen.

„Ein Bisschen. Aber eigentlich bin ich mir sicher, dass er begeistert sein wird. Von der Lage, von den Leuten und von der Tatsache, dass er das Restaurant-Konzept gleichberechtigt mitentwickeln kann.“

Meine Pancakes kommen natürlich super an, auch bei Gert und Mona. Ich liebe es, David mit seinen Eltern scherzen zu sehen. Und ich liebe es, die Zwillinge mit Mona zu sehen. Ich liebe es, dass ich Teil dieser Familie sein darf. Die paar Tage hier haben mich schon überzeugt. Hier in Deutschland sind wir gut aufgehoben.

David

Als Jordan oben ist, um die Zwillinge umzuziehen, mache ich mit meiner Mutter den Abwasch. Sie lächelt mich ständig an.

„Was ist?“, frage ich.

„Nichts“, grinst sie.

„Oh-kay ...“

„Es ist nur schön, dich so zu sehen.“

„Mich wie zu sehen?“

„Bis über beide Ohren verliebt.“

Ich rolle mit den Augen: „Mama!“

„Schon gut, ich freu mich einfach nur für dich.“

„Danke ...“

„Bei Max hast du das am Anfang ja nicht so zeigen können. War ja alles geheim.“

„Das war damals auch ganz was anderes. Kann man nicht vergleichen.“

„Wie war es mit Max, gestern?“

Ich erzähle von dem Treffen und von Jordans Idee, Isa im Paradies unterzubringen.

Meine Mutter schaut besorgt drein:

„Das ist keine gute Idee.“

„Ich weiß. Manchmal kommt es mir so vor, als würde Jordan sein Glück extra herausfordern.“

„Vielleicht tut er das, weil er testen will, ob es hält?“

„Da kann er viel testen. Das wird halten. Ich hab keinen Zweifel.“

Um zehn holen Jordan und ich Noah vom Kleindinger Bahnhof ab und fahren mit ihm nach Seelendorf. Im Auto erzählen wir ihm von allem, was ansteht und von allem, was wir bisher über der Paradies wissen. Es ist ein sonniger Frühlingstag, deshalb sind einige Leute im Garten und bei den Hühnern. Noah schwebt durch den Garten und ist total verzückt:

„Kuck, das Huhn! Und da, die Kinder, die spielen mit der Natur und nicht mit irgendwelchen Plastikteilen! Und schau, das Hochbeet! Ui, Amselchen, du bist aber mutig!“

„Willst du mal die Tour bekommen? Severin und Jordan führen dich gern rum. Ich mach so lange mit Christian die ganzen Termine der nächsten Wochen fest.“

„Logisch, dann zeig mir mal alles“, verlangt Noah und hakt sich bei Jordan unter.

„Severin hat geschrieben, wir sollen ihn im Speisesaal treffen. Hier lang.“

„Aber das Grundstück zeigen wir ihm nachher zusammen, ja?“, rufe ich den beiden hinterher.

„Jaja!“

Erwartungsgemäß ist Noah begeistert. Von allem. Vor allem von Severin.

„Der Mann ist der wandelnde Ruhepol!“, behauptet er. „Und das Grundstück ist der Hammer! David, das wird soooo geil!“, freut er sich und hüpft auf mich zu.

Ich umarme ihn und fühle dabei nichts als Freundschaft. Ja, das wird klappen. Wir können zurück dahin wo wir angefangen haben. Wir können Freunde sein und Geschäftspartner. Ohne komplizierte Gefühle.

Wir fahren zu meinen Eltern, wo Noah mit mir den Mietvertrag für das Paradies durchgeht, damit ich da nicht alleine durch muss.

„Wo willst du eigentlich wohnen?“, frage ich.

„Och, ich werd mal schauen, ob es hier irgendwo eine kleine Wohnung gibt. Im Paradies direkt ist es mir zu nah an der Arbeit. Und ich hab auch gern meine eigene Küche und meine eigene Badewanne.“

„Meinst du, Dayu zieht auch hier her?“

„Er ist mehr so der Stadtmensch. Das ist aber auch ganz okay. Wir brauchen beide unseren Abstand.“

„Verstehe“, behaupte ich, was ich in Wahrheit aber nicht tue.

Denn ich könnte mir nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben als der Mensch, den ich liebe. Ich bin mehr so die Klette. Nicht der Kerl, der Abstand braucht.

Meine Mutter und Jordan haben ein vegetarisches Chili gezaubert während mein Vater die Kinder bespaßt hat.

„Ganz schön Happy Family hier, was?“, raunt mir Noah zu.

„Fantastisch, oder?“, freue ich mich und lasse mich von Jordan mit einem Probierlöffel füttern.

„Mmmmh“, mache ich.

„Fehlt noch Salz?“

„Nein, das ist perfekt.“

„Nicht zu scharf für die Kinder?“

„Ach, das geht schon. Es gibt ja Brot dazu.“

Nach dem Essen macht sich Noah auf den Weg zum Bahnhof, ich begleite ihn ein Stück. Er hakt sich ganz selbstverständlich bei mir unter, so wie früher, bevor alles kompliziert wurde.

„Dir geht’s gut, oder?“, fragt er.

„Ja, im Wesentlichen schon. Aber mir hängen die letzten Jahre schon noch nach. Zwischendurch war ich echt ziemlich am Tiefpunkt. Jordan und Dylan haben mich aufgefangen. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn sie mich nicht bei sich aufgenommen hätten, damals, als Max Schluss gemacht hat.“

„Hast du noch Kontakt zu Max?“

„Nein... das heißt, nicht absichtlich. Ich hab ihn gestern beim einkaufen getroffen und wir haben uns auf einen Milchshake zusammengesetzt. Er macht gerade eine schwere Zeit durch. Sein Vater ist gestorben, seine Mutter ist ein Pflegefall. Er hat im Wesentlich keine richtige Familie mehr ...“

„Ich hör da etwas dein Retter-Syndrom raus, David ...“

„Nein, ich hab ehrlich nicht vor, mich da einzumischen … Aber Max kennt Christian … und es steht im Raum, ob Isa vielleicht ins Paradies zieht ...“

Noah reißt sich los und schaut mich ungläubig an:

„Das ist nicht dein Ernst!“

Ich schnaufe:

„Da ist noch nichts sicher und ich kann mich da auch nicht einmischen. Das hat nichts mit mir zu tun.“

„Das glaubst du doch selbst nicht! Ich kenn dich doch. Du wirst dich dann genötigt fühlen, dich um Isa zu kümmern. Schließlich wäre sie fast deine Schwiegermutter geworden! Und Max wird sich nie blicken lassen und du wirst für ihn in die Bresche springen, so wie früher ...“

„Der alte David hätte das gemacht, da hast du Recht. Aber der neue David hat Kinder und ein Restaurant, um das er sich zu kümmern hat. Ich muss mein Leben jetzt nicht mehr mit den Problemen von anderen Leuten füllen.“

„Wow, okay. Das nenn ich Selbsterkenntnis.“

„Weißt du, ich merke erst jetzt wo ich es habe, wie sehr mir manches früher gefehlt hat. Macht das Sinn?“

„Ja“, nickt er. „Du bist jetzt in einer Beziehung, in der du nicht der Einzige bist, der investiert. Du bist jetzt Papa. Und du bist dein eigener Chef. Das steht dir alles sehr gut.“

Ich biete ihm meinen Arm wieder an:

„Und ich hab meinen besten Freund zurück.“

„Fast hätten wir das versemmelt.“

„Das passiert uns nicht wieder.“

„Kleiner-Finger-Schwur?“

„Auf jeden Fall!“

Als ich heim komme, machen die Zwillinge Mittagsschlaf und Jordan liegt auf meinem Bett und liest, die Augen nur noch halb offen.

„Müde?“

„Letzte Nacht haben wir ja nicht so arg viel Schlaf abbekommen.“

„Rutsch mal.“

Ich kuschle mich zu ihm unter die Decke.

„Reden?“, fragt er.

„Immer.“

„Gerade passiert ziemlich viel auf einmal. Ich steh die meiste Zeit ziemlich unter Strom. Aber ich bin hier echt sehr glücklich. Ich will bloß, dass du das weißt.“

Ich küsse seinen Hals.

„Ich bin hier auch sehr glücklich. Aber ich mach mir schon auch Sorgen.“

„Warum?“

„Letzte Nacht war … krass.“

„Ja … tut mir Leid, wenn ich dich erschreckt habe. Solche Attacken kenn ich aber von früher, von den Entzügen. Ich kann damit umgehen ...“

„Aber Panikattacken zeigen halt auch, dass es dir nicht gut geht.“

„Ich behaupte auch nicht, dass es mir gut geht. Aber es geht mir so gut wie gerade möglich. Und ich weiß, dass es immer besser werden wird. Nicht von selbst, aber in Kalifornien geh ich wieder zwei mal die Woche zur Therapie und zur Suchtgruppe. Und hier such ich mir auch jemanden.“

„Die Sache mit den Bonannos ...“

„Ich werde mich dem stellen, aber erst, wenn wir wieder in den Staaten sind. Ich arbeite dran.“

„Okay. Ich will dich damit auch nicht nerven...“

„Nein, ich verstehe, dass du da nachfragst. Würde ich auch, wenn du vor meinen Augen so ausflippen würdest.“

„Und wenn mir dieser ganze Scheiß passiert wäre, der dir passiert ist, dann würde ich wahrscheinlich keinen Fuß mehr vor die Tür setzen, weil die Angst mich total überwältigen würde. Von dem her seh ich auch in deinen schwachen Momenten, wie stark du bist.“

„Wow, du könntest aber auch gut Songwriter werden.“

„Du versprichst also, dass du vor mir nicht den Starken spielst? Ich will wissen, wie es dir geht und ich will für dich da sein.“

„Versprochen.“

„Und jetzt mag ich in deinem Arm schlafen.“

„Komm her. Ich wärme deine Füße. Die sind ja eisig!“

Kurz vor drei ist die Ruhe vorbei, weil Jake im Nebenzimmer nach uns ruft.

„Mh, noch nicht“, seufzt Jordan.

„Bleib liegen, ich hol die zwei.“

„Danke“, nuschelt er und schmiegt sich ins Kissen.

Ich widerstehe dem Drang, ihm beim Schlafen zuzusehen. Ich liebe das nämlich. Ich könnte ihm Nächtelang dabei zuschauen, weil er so friedlich dabei aussieht. So glücklich. Aber Jake ruft laut: „Paaaaapa!“

Mein Dad sitzt mit der Zeitung im Wohnzimmer.

„Vorbei mit der Ruhe“, lache ich und setze April neben ihm ab.

Jake will auf meinem Arm bleiben und hat Hunger. Also schäle ich ihm einhändig einen Banane und setze mich auf den Sessel im Wohnzimmer.

„Lust auf Tennis, heute Nachmittag?“, fragt mein Vater.

„Nur du und ich? So wie früher?“

„Ganz genau. Die Halle ist zwischen 15 und 16 Uhr frei. Ich hab nachgeschaut.“

„Das machen wir! Da müssen wir aber bald los. Wo ist Mum?“

„Müsste jeden Moment heimkommen.“

„Gut, weil Jordan noch etwas Schlaf nachholen muss.“

„Hast du ihn im Zelt nicht schlafen lassen?“, grinst mein Vater.

„Dad!“

„Ja, der Doppelschlafsack, beste Investition meines Lebens“, lacht er.

Ich hatte seit Jahren keinen Schläger mehr in der Hand, aber ich bin sofort wieder total drin.

„Du bist aber fit!“

„Bin selbst überrascht“, gebe ich grinsend zu.

„Na dann machen wir gleich ernst: Ein Satz bis 6?“

„Logisch. Du hast Aufschlag.“

Ich gewinne 6:4, was meinen Dad sichtlich frustriert. Wir setzen uns auf die Bank und trinken.

„Heute hat wirklich alles geklappt.“

„Ja, man könnte meinen, du hast in Amerika jede Woche trainiert.“

„Nein, null. Aber ich fühle mich einfach gut. Seit es Jordan wieder besser geht, hab ich so viel Energie übrig. Und auch die Kinder brauchen mich jetzt viel weniger als noch vor ein paar Monaten.“

„Dann wird es Zeit, dass der Bau los geht, hm?“

Ich muss grinsen, weil ich mich so drauf freue.

„Ja, ich kann es kaum erwarten. Aber das wird sich schon noch ziehen. Ich weiß gar nicht, wie ich noch fünf Monate in den Staaten überstehen soll. Klar kann ich per Mail schon viel vorbereiten und aussuchen und Pläne schmieden. Aber trotzdem ...“

„Und wenn du einfach schon hier bleibst? Dann würdest du dir das Geld für zwei Flüge sparen ...“

„Ja, aber die Kinder brauchen mich. Und ich halte es kaum einen Tag ohne Jordan aus. Geschweige denn Monate.“

„Er ist anders, als ich ihn in Erinnerung hatte.“

„Ja?“

„Ja, er ist erwachsener geworden. Trauriger, natürlich. Aber auch … offener, irgendwie. Nicht mehr so 'mit dem Kopf durch die Wand, weil ich hab recht.'“

„So gut hast du ihn damals aber ja auch nicht kennengelernt ...“

„Nein, aber auch das, was du früher von ihm erzählt hast ...“

„Ja, stimmt schon. Vermutlich gleichen wir uns langsam ein bisschen aneinander an. Er wird etwas kompromissbereiter und ich etwas wagemutiger.“

„Schadet euch beiden sicher nicht.“

„Wenn ich ihn nächstes Jahr heirate, hab ich also deinen Segen?“

„David, ich seh, wie froh und wie stark dich diese Beziehung macht. Ich hab mir Sorgen gemacht, darüber, dass du verletzt wirst. Ich dachte, dass Jordan vielleicht nicht zuverlässig ist. Diese Sorgen mach ich mir jetzt nicht mehr. Es ist klar, dass ihr eine Familie seid. Meinen Segen habt ihr.“

Er sieht, wie gerührt ich bin und nimmt mich kurz in den Arm. Dann fragt er:

„Noch 10 Minuten Volley-Training?“

„Logisch.“

Nach dem Abendessen, das Mum und Jordan gemacht haben, gehen wir zeitig schlafen, denn morgen früh holen wir Cooper und seine Eltern schon kurz nach sechs vom Flughafen ab und bringen sie in ihr Übergangs-Appartment in München. Cooper kommt mit uns zu meinen Eltern, damit Nikki und Oliver sich in Ruhe um alles kümmern könnten.

Das läuft auch erstaunlich gut. Cooper gewöhnt sich schnell ein. Wir gehen auf den Spielplatz und auch den Paradies-Garten lernt er kennen, als wir die unterschriebenen Verträge vorbeibringen und etwas hängen bleiben, weil es uns allen dort einfach gut gefällt. Severin ist unterwegs, aber Christian nimmt die Unterlagen entgegen und schaut auch kurz drüber.

„Ja, das scheint alles zu passen. Sonst ist ja alles klar, oder? Notartermin habt ihr, beim Architekten treffen wir uns nächste Woche und alles andere machen wir dann per Mail aus.“

„Genau.“

„Ach, und: Habt ihr am Samstag Lust, auf Carolinas Willkommensfest dabei zu sein?“

„Was ist denn ein Willkommensfest?“

„Das ist wie eine Taufe nur ohne Kirche.“

„Okay, noch nie gehört, aber da sind wir gerne dabei.“

Den Freitag verbringen wir mit den Kindern und meinen Eltern im Zoo. Ich besuche kurz die großen Landschildkröten und denke an den Tag, an dem Dylan gestorben ist. Bisher stand immer im Vordergrund, dass Jordan seinen Mann verloren hat, und dass die Kinder ihren Vater verloren haben. Aber als mich diese alte Schildkröte anschaut, wird mir bewusst, dass auch ich einen Freund verloren habe. Dylan war für mich da, als ich ein Zuhause auf Zeit gebraucht habe. Er hat mich von Anfang an als Bezugsperson seiner Kinder ernst genommen. Er hat mir nie den Eindruck vermittelt, dass er mich nur aus Mitleid einziehen hat lassen. Er was sehr dankbar für meine Unterstützung. Und ich war sehr dankbar, dass er mich so gut aufgenommen hat, vom ersten Tag an.

Am Samstag Vormittag machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf den Weg zur Willkommensfeier. Unter dem alten Apfelbaum ist ein Bistrotisch mit weißer Husse aufgebaut. Darauf steht ein Blumengesteck und der Baum ist mit Girlanden in Pastellfarben geschmückt. Einige Bewohner sind schon da. Nina kommt gerade mit Leo – eingemummt in einen dicken Schneeanzug dazu. Sie umarmt zuerst Jordan und dann mich.

„Ist das nicht ein bisschen warm? Es hat 15 Grad“, meint Jordan.

„Er war noch nicht oft draußen, ich glaube, er friert schnell ...“

Unsere Kinder rennen im Pulli durch den Garten und brauchen uns nicht. Das ist immer wieder ungewohnt, wenn ich plötzlich Zeit habe, einfach so Jordans Hand zu halten und mich mit Erwachsenen zu unterhalten. Immer mehr Leute kommen dazu. Severin begrüßt uns freudig und stellt uns seine Tochter Kassandra vor, die etwa in Joshs Alter ist und uns in perfektem Englisch begrüßt. Sie erzählt von ihrem Gastschuljahr in England, vor zwei Jahren.

Schließlich kommt auch die, um die es heute geht. Carolina wird von ihrer Mutter herbeigetragen, direkt dahinter Christian mit Xaver. Alle klatschen, die Eltern lächeln stolz und begrüßen alle Gäste reihum. Mir fällt auf, dass auch ein relativ junger Pfarrer mit entsprechender „Uniform“ unter den Gästen ist. Aber bei der Einladung hatte es geheißen, es würde ein „freies Willkommensritual“ werden, ohne Kirche. Die Zeremonie wird von einer Frau geleitet werden, die eine regenbogenfarbene Strickjacke trägt und schon am Rednertisch steht und ihre Unterlagen durchgeht. Der Chor stellt sich auf zum ersten Lied. Sie singen „Das Apfelbäumchen“ von Reinhard Mey. Bei der zweiten Strophe kommen mir ein bisschen die Tränen, weil mir das Lied so aus der Seele spricht. Franzi singt die dritte Strophe mit Carolina auf dem Arm alleine:

„Wo vieles voller Zweifel, manches zum Verzweifeln ist,

Da macht ein Kind, dass du alle Zweifel vergisst,

Es sind in einer Welt, die ziel-und ratlos treibt,

Die Kinder doch die einz'ge Hoffnung, die uns bleibt!“

Die Menschen klatschen. Die Frau in der Regenbogenjacke räuspert sich und beginnt:

„Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Nachbarn und natürlich liebe Familie Berger: Willkommen. Dieses Wort bedeutet, dass wir einen Menschen annehmen. Dass wir uns freuen, dass er da ist. Und dass wir dafür sorgen, dass sich dieser Mensch bei uns wohl und geborgen fühlt. Ihr, liebe Franzi, lieber Christian, wünscht euch für eure Tochter, dass sie sich in eurer Familie willkommen fühlt. Und ihr wünscht euch auch, dass sie in der Gemeinschaft hier im Paradies geborgen ist. Deshalb feiern wir gemeinsam ein Fest. Ein Fest, das jedem der möchte die Möglichkeit geben wird, Carolina etwas mitzugeben auf ihrem Weg. Jeder Einzelne hier ist ein Teil der Gemeinschaft und kann frei nach seinem Gespür Segenswünsche, Rat und Liebe da lassen. Auf einer kleinen Karte, im Persönlichen Gespräch, ganz wie ihr möchtet. Fühlt euch eingeladen, jederzeit zu Carolina zu gehen, um ihr mitzugeben, was ihr euch für sie wünscht.“

Sie tritt neben Franzi und Carolina und nimmt die kleine Babyhand, dann sagt sie halb laut:

„Liebes Kind, ich wünsche dir, dass du die werden kannst, die du innerlich schon bist, und dabei Liebe und Akzeptanz erfährst.“

Franzi drückt ihr Kind an sich und flüstert ihr etwas zu. Und Christian legt ihr die Hand auf den Kopf und sagt halblaut:

„Ich wünsche dir die Freiheit, dein eigener Mensch zu sein und werde dich dabei unterstützen.“

Die Regenbogen-Jacken-Frau bedankt sich bei den Eltern und schaut kurz in die Runde.

„Niemand muss, aber jeder darf, auch zwischendrin. Ich möchte auch Pfarrer Johann Fuchseder begrüßen. Für Christian als gläubigen Christen war es sehr wichtig, dass auch Sie heute da sind. Willkommen, Herr Pfarrer.“

„Vielen Dank.“

„Der neue Dorfpfarrer“, flüstert Severin uns zu. „Er ist noch skeptisch, was er von uns Hippies halten soll“, grinst er.

„Lieber Christian, liebe Franzi. Ihr habt bereits ein Kind in eurer Familie Willkommen geheißen. Auch Xaver soll willkommen sein in dieser Gemeinschaft. Und als großer Bruder soll er in besonderer Verbundenheit mit seiner kleinen Schwester leben. Wir hören gerne dem Chor dabei zu, wie er seine Wünsche für die Geschwister zum Ausdruck bringt. Bitteschön.“

„When you're down and troubled

And you need a helping hand

And nothing, nothing is going right

Close your eyes and think of me

And soon I will be there

To brighten up even your darkest night

You just call out my name

And you know wherever I am

I'll come running, oh yeah baby, to see you again

Winter, spring, summer or fall

All you've got to do is call

And I'll be there, ye, ye, ye

You've got a friend“

„Vielen Dank für dieses wunderschöne Lied. Liebe Franzi, lieber Christian. Euch ist es besonders wichtig, sehr persönliche Worte an einen lieben Menschen in eurem Leben zu richten. Franzi?“

„Danke. Ja, Christian und ich sind schon lange verheiratet. Wir haben uns entschieden, uns zusammen eine Familie aufzubauen. Aber im letzten Jahr hat sich unsere – eigentlich recht traditionelle - Vorstellung davon, wie so eine Familie aussieht, geändert. Lieber Severin, kommst du bitte zu uns?“

Severin wirkt total überrascht. Das war offensichtlich nicht abgesprochen. Er stellt sich zu Franzi und Christian, der ihn verschwörerisch anlächelt. Franzi legt ihm die Hand an den Oberarm.

„Lieber Severin, du bist mit Christian in Liebe verbunden. Und diese Verbindung möchten wir gerne auch für unsere Tochter und dich ermöglichen. Wir laden dich ein, gemeinsam mit uns für Carolina und Xaver zu sorgen. Weil du ein Teil unserer Familie bist und wir sehr glücklich sind, dass das so ist.“

Christian legt Severin die Kleine in den Arm. Severin ist völlig überwältigt. Er drückt Carolina an sein Herz und schüttelt fassungslos den Kopf. Franzi umarmt ihn herzlich. Christian küsst und umarmt ihn ebenfalls. Die Leute klatschen. Jordan legt seinen Arm um mich und reicht mir kommentarlos ein Taschentuch.

Als es wieder still wird, sagt Severin:

„Meine Carolina, ich wünsche dir einen gesunden Körper, einen wachen Geist und eine ausgeglichene Seele. Ich liebe dich und freue mich, dass du da bist.“

„Wir hören jetzt: „Vergiss es nie: Du bist du“. Christian, Franzi, vielleicht mögt ihr während des Liedes mit Carolina zu den Leuten gehen?“

Als Christian in der Mitte des Liedes auch zu uns kommt, sage ich gerade so laut, dass nur er und Carolina es hören können:

„Sei dir sicher, auch wenn du nein zu Gott sagst, sagt er trotzdem niemals nein zu dir. Schöpf daraus Mut, zu sein, wer du sein willst.“

Nach dem Lied tritt der Pfarrer zur Regenbogen-Jacken-Frau:

„Liebes Ehepaar Berger. Ich möchte mich sehr herzlich bedanken, dass Sie mich eingeladen haben, dieses Willkommens-Fest mit Ihnen zu feiern. Und ich möchte gerne den Segen von Gott unserem Herrn überbringen.“

Christian nickt dankbar, also bekreuzigt sich der Priester:

„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“

„Amen“, antworten Einzelne.

„Guter Gott, wir bitten dich, leg deine schützende Hand über dieses Kind Carolina, ihre Familie und ihre Gemeinschaft. Halte Sturm und Unheil von ihr fern und schenke ihr ein Leben in deiner Gnade, amen. Dank sei Gott dem Herrn.“

„In Ewigkeit, amen.“

„Vielen Dank, Herr Pfarrer. Wir hören nun noch ein letztes Lied und möchten dann gemeinsam essen.“

„I see trees of green“, beginnt der Chor.

Alle schwelgen in der Musik und in der Stimmung. Ich bin wirklich ganz hingerissen davon, wie Christian und Franzi es hinbekommen haben, Tradition und Überzeugungen zu verbinden. Und ich freue mich, dass wir hier im Paradies diese Gemeinschaft gefunden haben.

„Die haben gesagt, dass es gleich Essen gibt, oder?“, wispert Jordan mir zu.

„Ja, Schatz, du musst nicht mehr lange aushalten“, grinse ich. „Du hast nicht viel von der Zeremonie verstanden, oder?“

„Nein, aber die Stimmung war toll.“

„Lass uns essen gehen.“

„Warte kurz. Die Kinder spielen grad so vertieft und ich wollte noch mit dir reden.“

„Okay …?“

„Der Tag morgen … ich … ich kann ihn nicht verbringen wie jeden anderen Tag.“

„Dein Hochzeitstag ...“

„Ja. Es fühlt sich nicht richtig an, ihn mit dir zu verbringen. Noch nicht ...“

Ich bin darüber nicht wütend. Aber etwas überrascht schon.

„Was willst du dann morgen machen?“

„Severin hat angeboten, mit mir in die Berge zu fahren. Das Wetter soll trocken bleiben und ich glaube, über den Wolken könnte ich ganz gut den Kopf frei bekommen … und Abstand finden … Wie wäre das für dich, wenn ich das Angebot annehmen würde?“

„Ich … ich finde es okay. Ich glaube, du weißt oft sehr genau, was dir gut tut. Du solltest auf dein Gefühl hören.“

„Okay, danke, David. Ich weiß, das fällt dir nicht leicht. Ich weiß, ich hab dir versprochen, dass ich dich mir helfen lasse, wenn es mir schlecht geht...“

„Und ich helfe dir, indem ich dir den Rücken frei halte. Ich fahre morgen mit den Kindern noch mal in den Zoo. Vielleicht haben Nikki und Oliver ja auch Lust. Dann könnten sie auch etwas Zeit mit Cooper verbringen.“

„Klingt gut ...“

„Jordan, schau nicht so schuldbewusst. Mach, was dir gut tut. Das ist okay.“

„Ich liebe dich, David.“

„Und ich liebe dich. Und jetzt lass uns die Kinder vom Sand befreien und dann gibt es Essen.“

Im Speisesaal ist der Tisch schon gedeckt mit allen möglichen feinen Sachen. Antipasti, Flammkuchen, frischem Weißbrot und Käse. Dazu gibt es eine Auswahl an frischen Säften. Für die Kinder liegen Picknickdecken am Boden. Cooper und April sind sofort begeistert und schnappen sich Käsewürfel, Karottensticks und Gurkenscheiben. Jake möchte lieber bei uns sitzen.

„Ich würde mich gern zu Nina setzen, wenn das okay ist?“, fragt Jordan.

„Klar.“

Da bei ihr nur noch ein Platz frei ist, suchen Jake und ich uns woanders einen Stuhl. Ich schaue in die Runde und bemerke, dass neben Pfarrer Fuchseder noch auf beiden Seiten frei ist. Die Leute scheinen ihn ein bisschen zu meiden. Deshalb beschließe ich, mich zu ihm zu setzen.

„Herr Pfarrer? Ist bei Ihnen noch frei?“

„Ja bitte, gerne.“

Ich setze mich, Jake möchte nicht auf den freien Stuhl neben mir, sondern bleibt auf meinem Schoß.

„David Lenz. Und das ist Jake.“

„Johann Fuchseder. Ich bin der Neue“, grinst er.

„Sie haben den ganzen Pfarrverband übernommen, oder? Also auch Kleinding?“

„Ja, die Pfarrverbände werden immer größer und die Priester immer weniger.“

„Ich bin in Kleinding aufgewachsen. Ich war bei Pfarrer Deuter Ministrant.“

„Ach wirklich? Ich hab ihn bei der Übergabe kennengelernt. Sehr beeindruckend, wie er die Gemeinde 30 Jahre lang geleitet hat. Vor allem als Seelsorger war er sehr beliebt unter den Menschen.“

„Das stimmt. Er war immer da. Zumindest was man hört. Ich hab bei ihm meine erste Beichte abgelegt. Eigentlich hab ich bei ihm alle meine Beichten abgelegt. So viele waren es allerdings nicht.“

„Gehen Sie noch zur Kirche?“

„Nein, nicht mehr, seit ich aus der Schule bin.“

„Darf ich fragen, warum?“, fragt er vorsichtig.

„Ich hab mich in der Kirche nicht mehr willkommen gefühlt. Ich bin schwul.“

„Verstehe ...“

„Fast hätte ich das Herrn Pfarrer Deuter mal gebeichtet. Dann habe ich mich doch nicht getraut.“

„Was denken Sie, hätte er daraufhin gesagt?“

„Vermutlich, dass ich viel beten muss, damit diese Gefühle weggehen. Und dass Gott mich auf die Probe stellt, oder sowas.“

„Ich würde Ihnen sagen, dass Gott alle Menschen liebt. Und dass Sie sich immer sicher sein können, dass er auch Sie liebt.“

„Auch wenn du nein zu Gott sagst, er sagt nie nein zu dir, sowas in der Richtung?“, frage ich.

„Genau. Vielleicht kommt es nicht so sehr darauf an, wen Sie lieben, sondern WIE Sie lieben?“

„Damit gehen Sie aber nicht mit der Mehrheit Ihrer Kirche konform.“

„Es ist nicht meine Kirche. Es ist UNSERE Kirche. Und die Kirche lernt. Langsam, aber sie tut es.“

Jake will jetzt doch von meinem Schoß.

„Papa, wo ist April?“, fragt er auf Deutsch, als hätte er nie eine andere Sprache gesprochen.

„Da vorne. Schau. Traust du dich alleine?“

„Ja!“

Und weg ist er.

„Ein lieber Junge.“

„Ja, ich bin sehr froh, ihn zu haben.“

„Sie leben also in einer Partnerschaft?“

„Ja.“ Ich deute auf Jordan, der schräg gegenüber in ein Gespräch mit Nina vertieft ist. „Das ist meine bessere Hälfte.“

Der Pfarrer grinst:

„So? Ich hab ihn erkannt, von den Postern meiner Schwestern früher. Ich wusste nicht, dass er in Deutschland lebt.“

„Wir leben noch in Kalifornien. Aber im Herbst ziehen wir hier ein. Wir werden nebenan das Grundstück bebauen mit einer Gaststätte und einem Veranstaltungssaal.“

„Sowas fehlt hier tatsächlich noch! Ich bekomme oft Anfragen von Autoren, die Lesungen und Vorträge halten wollen, aber halt nicht nur für 20 Leute im Pfarrsaal.“

„Ich würde mich freuen, wenn wir ab Ende nächsten Jahres öfter mal zusammenarbeiten können.“

„Ja, das wäre schön.“

„Vielleicht komme ich im Herbst auch mal wieder in die Kirche. Ich möchte schon, dass meine Kinder die Werte mitbekommen, die ich aus der Kirche mitgenommen habe. Bewahrung der Schöpfung, Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn.“

„Ich würde mich freuen, Sie dort zu sehen.“

„Wie war es für Sie heute, hier zu sein, bei einer freien Taufe?“

Er überlegt.

„Ich fand es sehr ehrlich von dem Ehepaar Berger, dass sie nicht – wie so viele – einfach zur kirchlichen Taufe kamen, weil man das halt so macht. Das respektiere ich sehr. Aber … es ist auch schwierig für mich zu begreifen, nach welchen Werten hier gelebt wird. Die Ehe ist für mich heilig.“

„Ich verstehe diesen Standpunkt. Aber dann muss die Ehe auch gleichberechtigt für alle Menschen eine Option sein. Zumindest die standesamtliche Trauung. Alles andere halte ich für Diskriminierung. Weil man sich nicht aussucht, ob man homo- oder heterosexuell auf die Welt kommt. Also darf man dadurch keine Nachteile erfahren.“

„Für die weltliche Ehe mag das stimmen, aber die kirchliche Ehe wird so schnell nicht für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden.“

„Das ist mir klar. Da würde mir schon reichen, wenn wir akzeptiert werden würden.“

„Ich fände es jedenfalls sehr schade, wenn Sie sich Ihren Glauben von weltlicher Politik verderben lassen würden.“

„Naja, leider sind nicht alle Kirchenvertreter so modern wie Sie, da fällt das schwer.“

„Nicht alle haben einen schwulen Bruder. Sonst würden viele wahrscheinlich ihre Grundsätze überdenken.“

„Verstehe.“

Christian klopft mit dem Löffel gegen ein Glas. Alle werden still.

„Liebe Freundinnen und Freunde. Dankeschön für diese wunderschöne Feier. Ich wünsche euch allen guten Appetit.“

Alle greifen zu, auch der Pfarrer und ich. Die Kinder essen auf ihrer Picknickdecke. Ich kann also tatsächlich ohne Ablenkung einfach nur das Essen genießen. Jordan hingegen hat Leo auf dem Arm, damit Nina mal wieder zwei Hände zum Essen hat. Ich beobachte ihn dabei, wie er das Baby ganz versonnen anschaut und den kleinen Kopf streichelt. Er scheint meinen Blick zu spüren und schaut mich an. Ich forme aus meinen Fingern ein Herz, weil ich den Anblick von ihm mit einem Baby auf dem Arm liebe. Er grinst schief, rollt dann aber die Augen. Ich weiß, wie er sich fühlt. Noch ein Baby. Gerade führt da einfach kein Weg hin.

Nach dem Essen setzt sich die Regenbogen-Jacken-Frau auf die andere Seite neben den Pfarrer und ich schaue mal nach den Kindern.

„Die beiden gehören zu dir, oder?“, fragt eine Frauenstimme hinter mir.

Ich drehe mich um und sehe eine Frau mit Dreadlocks, etwa in meinem Alter.

„Ja, und der wilde Kerl da auch. Cooper, die Radieschen sind für alle da. Teilen!“

„Wow, drei Kinder in dem Alter. Du hast anstrengende Jahre hinter dir, oder?“

„Das kann man wohl sagen.“

„Ich bin Susa. Da hinten ist meine Tochter Lilli. Ich hab nur die eine, aber das ist schon anstrengend genug.“

„Wie alt ist sie?“

„Vier. Schläft aber immer noch nicht durch.“

„Oh je, das zehrt an den Kräften ...“

„Deine sind?“

„Cooper ist auch vier. Die Zwillinge sind drei. Beziehungsweise werden es übermorgen.“

„Du bist David, richtig?“

„Ja, David Lenz, genau.“

„Ich dachte es mir doch. Wir waren zusammen in der Grundschule.“

„Wirklich? Warte … Susanna Friedrichs?!“

„Genau.“

„Mensch, dich hätte ich im Leben nicht mehr wieder erkannt. Bist du nicht damals weggezogen oder so?“

„Nein, ich bin nur nach der vierten auf die Montessori-Schule gegangen. Und dann hab ich in Regensburg studiert. Weiter weg war ich nie“, grinst sie.

„Und du wohnst jetzt hier?“

„Seit der Eröffnung, ja. Ich bin Sozialarbeiterin und kümmere mich nebenbei um die Behördensachen der Geflüchteten, die hier leben.“

„Ach cool. Und, wie geht es euch hier?“

„Lilli und mir gefällt es hier richtig gut. Wir waren die letzten Jahre allein, sind aber beide vom Typ her Menschen, die gern in Gesellschaft sind. Deshalb freuen wir uns immer sehr auf die gemeinsamen Mahlzeiten. Sag mal, du bist doch mit Paul und Jana damals auf's Gymnasium gegangen, oder? Wie geht es denen?“

„Wir waren während der ganzen Schulzeit ziemlich gut befreundet, aber danach ist der Kontakt eingeschlafen. Ich hab eigentlich mit niemandem aus der Schulzeit noch was zu tun ...“

„Wirklich? Schade.“

„Klara ist Journalisten. Paul arbeitet für einen Verlag. So viel weiß ich ...“

„Und was hast du die letzten Jahre so gemacht?“

Ich gebe ihr einen kurzen Abriss meiner Biografie. Bis Cooper und Jake aneinandergeraten und ich dazwischengehen muss. Dann kommt der Pfarrer um sich zu verabschieden. Er redet auch noch kurz mit Susa über die Familie aus Eritrea und wünscht mir viel Erfolg bei meinem Projekt.

„Nicht übel, für einen Pfarrer, der Kerl“, findet Susa, als er weg ist.

„Ja, finde ich auch.“

„Das ist übrigens der Bruder von Ferdi Fuchseder.“

„Wem?“

„Der aus der Castingshow. DSDMB. Aus der Staffel damals, so um unser Abi rum glaub ich. Der, der sich in der Liveshow damals geoutet hat.“

„Ah, das hab ich so am Rande mitbekommen, ja. Das ist sein Bruder?“

„Ja, die zwei sind wohl recht unterschiedlich“, grinst sie. „Ich kenn ihn ein bisschen, weil er in Regensburg oft mal aufgetreten ist. In so einem Punkschuppen. Das war voll lustig, weil er da halt eigentlich gar nicht reingepasst hat. Aber gute Musik ist halt gute Musik. Egal. Du hast grad erzählt, dass du dein Studium abgebrochen hast und nach Amerika gegangen bist.“

„Ja, mit meinem damaligen Freund. Max Weller.“

„Sagt mir nichts.“

„Kann sein, er ist erst während der Gymnasiums-Zeit nach Kleinding gezogen. Jedenfalls hat die Beziehung nicht gehalten. Drüben bin ich dann mit Jordan zusammengekommen. Ich hab ein bisschen studiert und mich ansonsten hauptsächlich um die Kinder gekümmert. Und im Herbst geht es jetzt mit der ganzen Familie hierher zurück. Das geplante Projekt kennst du ja sicher. Christian hat es euch ja vorgestellt.“

„Ja, total die coole Sache. Ich bin in der Regensburger Musikszene ganz gut vernetzt, da wollen bestimmt einige Bands auch mal hier die Provinz beglücken“, grinst sie.

„Ich hab so das Gefühl, ich muss mir über die Auslastung des Veranstaltungssaals erst mal keine allzu großen Gedanken machen.“

April wird langsam unleidig. Sie reibt sich schon müde die Augen. Jordan steht plötzlich da, als würde er riechen, dass die Stimmung bei den Kindern kippt. Das macht er oft.

„Zeit für den Mittagsschlaf?“, fragt er mich.

„Sieht so aus. Das ist übrigens Susa. Wir waren zusammen in der Schule. Sie wohnt hier mit ihrer Tochter Lilli.“

„Hey Susa. Ich bin Jordan.“

„Du bist Jordan Bonanno … Hallo!“

„Ich sammle schon mal die Kinder ein und verabschiede mich. Sehen wir uns in zehn Minuten am Auto?“, frage ich, weil ich weiß, dass Susa jetzt gleich die typischen Fan-Fragen stellen wird und Jordan das alles geduldig beantworten wird.

„Ja, bis gleich“, sagt er, gibt mir einen kurzen Kuss und wendet sich wieder Susa zu.

Es sind immer noch gut dreißig Leute da, obwohl schon viele gegangen sind. Ich versammle die Kinder um mich, sammle die Spielsachen ein und mache mit den dreien eine schnelle Abschiedsrunde. Severin passt mich im Flur noch kurz ab:

„David?“

„Hm?“

„Ich wollte kurz noch mit dir über morgen reden.“

„Morgen? Ach richtig, du fährst mit Jordan in die Berge.“

„Ist das okay für dich?“

„Ja sicher, warum nicht?“

„Er meinte, es könnte sein, dass es dich verletzt, dass er den Tag nicht mit dir verbringt …?“

„Nein, also … ja, sicher. Aber ich verstehe das. Ich glaub, es ist gut, wenn Jordan den Tag in den Bergen verbringt. Und ich verstehe, dass es kompliziert ist, an Dylan zu denken während er mit mir zusammen ist. Aber ich hoffe, dass das mit der Zeit einfacher für ihn wird. Aber jetzt muss ich echt die Kinder zum Auto bringen, bevor sie mir in alle Richtungen davon laufen ...“

„Ja, sicher. Dann guten Mittagsschlaf.“

„Danke, und vielen Dank für die Einladung.“

Lesemodus deaktivieren (?)