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Along the Way

Teil 10

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Informationen

 

Nach vier Tour-Wochen kam Brian ein paar Stunden vor der Show zu mir. Ich war gerade erst aufgewacht und hatte einen ziemlichen Kater.

"Wir müssen reden. Die Anderen warten unten im Konferenzsaal."

"Was geht denn?", fragte ich gelangweilt.

"Jordan, unsere Konzerte sind nicht annähernd ausverkauft. Unsere Interviews sind eine Katastrophe und ständig taucht irgendein fertiges Bild von dir in der Klatschpresse auf."

"Rockstar, hallo?"

Auf so was hatte ich gerade echt keinen Bock.

Er deutete auf das Nachtkästchen.

"Ist das ein Dübel?"

"Der gehört mir nicht, den hat eines der beiden Mädels gestern liegengelassen …"

"Wunderbar!"

Brian regte sich furchtbar auf, war viel zu laut. Im Konferenzsaal redeten ein Dutzend Leute auf mich ein. Ich sagte erst mal gar nichts, bis es mich einfach zu sehr nervte.

"Jordan, du verlierst wieder die Kontrolle!", hörte ich zum zwanzigsten Mal.

"Nein, ich hab die Kontrolle. Ich tu einfach nur, was ich will. Ihr müsst damit zurecht kommen, oder mich feuern."

Damit ging ich. Die Jungs kamen mir hinterher. Mickey's Kopf war feuerrot. Brian sah einfach nur besorgt aus, Tom blickte irgendwie wissend von oben auf mich herab und Tobey war eben Tobey. Er hielt sich wie immer im Hintergrund. Es hagelte Vorwürfe und Drohungen.

"Okay, dann macht ihr eure Show heute Abend eben alleine!"

"Verdammt, Jordan!"

Tobey hatte endlich den Mund aufgemacht.

"Siehst du nicht, dass uns die Show scheißegal ist? Es geht uns um dich. Was ist mit dir los? Red mit uns!"

"Du willst wissen, was mit mir los ist? Ich vergesse den ganzen Scheiß, der passiert ist und genieße mein Leben, das ist alles! Versuch das auch mal, Tobey, ich weiß, dass du es kannst." Ich kam auf ihn zu und zog ihn lasziv an mich. "Die Art wie du küsst, hat dich verraten."

Er stieß mich weg und gab mir alle möglichen Schimpfnamen. Dann sagte er mir, ich könne von ihm aus in irgendeiner Gosse verrecken, er würde mich nicht aufhalten und ging.

"Verdammte Scheiße, ihr wolltet doch Ehrlichkeit! Ach fahrt zur Hölle!"

An dem Abend machte ich die Show natürlich, aber es war die mieseste in unserer Geschichte. Ich fühlte mich schrecklich, schämte mich und wollte so was bestimmt niemals wieder erleben. Mickey hätte mir fast eine verpasst, als wir von der Bühne gingen. Tammy sagte mir, dass sie nach der Tour nicht mehr für uns arbeiten würde. Ich sah es ja ein, aber niemand redete mehr mit mir. Ich ging alleine ins Bett, aber bald stand ich wieder auf. Ich ging runter und fragte nach Tobey's Zimmernummer. Vielleicht würde er meine Entschuldigung ja hören wollen. Er hatte das Zimmer neben mir. Ich klopfte und musste das eine Weile machen, bevor ich Schritte hörte. Die Tür ging auf, soweit das Vorhängeschloss es zuließ.

"Verdammt Jordan, weißt du, wie spät es ist? Verpiss dich."

Er wollte die Tür wieder zumachen, aber mein Fuß war schon in der Spalte.

"Was soll denn der Scheiß?!"

"Ich bin hier, um mich zu entschuldigen."

"Mickey redet nicht mehr mit mir. Da nutzt deine gottverdammte Entschuldigung auch nichts. Reiß dich gefälligst wieder zusammen, damit die Tour nicht in einem kompletten Fiasko endet. Und jetzt geh ins Bett."

"Bitte, nimm meine Entschuldigung an. Ich hätte das zwischen uns vor den Anderen nicht andeuten dürfen. Es ist nur so verdammt Scheiße. Niemand will zu mir stehen."

Ich war wirklich verzweifelt, denn ich hatte erkannt, wie nah ich am Abgrund stand. Und es war mir eben doch nicht egal. Tobey schaute mich eine Weile ausdruckslos an. Dann:

"Nimm deinen Fuß raus, damit ich die Tür aufmachen kann."

Ich beschloss, ihm zu vertrauen. Die Tür ging zu und für einen langen Moment nicht mehr auf. Dann öffnete Tobey die Türe doch wieder und stand in Boxershorts vor mir.

"Komm rein, lass uns reden."

Ich setzte mich auf's Bett.

"Was ist passiert, Jordan? Was hat dich so verändert?"

Ich erzählte ihm, was über Silvester passiert war. Als ich zum Ende kam, zitterten meine Hände merklich.

"Nur darüber zu reden, tut schon so verdammt weh …"

"Es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung."

"Ich kann das nie wieder. Ich kann mich nie wieder verlieben, ich halte es nicht aus, diese Angst. Ich weiß mir nicht anders zu helfen, Tobey."

Er gab mir ein Taschentuch.

"Leg dich hin."

Das tat ich, er legte sich in meinen Arm und streichelte mir leicht über den Bauch.

"Du kannst nicht alle Menschen ausschließen, Jordan. Ich verstehe, dass du Angst davor hast, wieder verletzt zu werden, aber es ist viel schlimmer, für immer alleine zu sein, ganz bestimmt. Und du musst dich für die Band zusammenreißen."

"Ich weiß. Ich tu ab jetzt mein Bestes, versprochen."

Er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute mir fest in die Augen.

"Ich wünschte, ich könnte mit dir zusammen sein und dir den Glauben an die Menschheit zurückgeben, aber ich bin einfach nicht schwul."

"Ich weiß …"

"Aber ich bin dein Freund."

"Selbst nach alldem noch?"

"Ja, selbst nach alldem noch."

"Danke."

"Lass uns einfach schlafen, ja? Morgen wirst du einen schweren Tag haben."

"Okay …"

Am nächsten Morgen frühstückte ich zum ersten Mal mit den Jungs und einigen vom Team. Sie durchbohrten mich mit ihren Blicken und straften mich mit eisigem Schweigen. Tobey saß neben mir. Unter dem Tisch drückte er meine Hand. Mickey kam dazu.

"Ja Jordan! Hast du heute Nacht etwa ausnahmsweise keine hohle Blondine gefickt und schaffst es auch mal vor Mittag aus dem Bett?"

"Guten Morgen, Mickey …", antwortete ich möglichst freundlich.

"Also, keine Eroberung gehabt? Hast du die Nacht alleine verbracht?"

"Eigentlich war er heute Nacht bei mir."

Ich schaute Tobey genau so erstaunt an, wie der Rest der Leute am Tisch.

"Hast du damit ein Problem, Mickey?"

"Warum erzählst du uns das?"

"Weil ich Jordan zeigen will, dass ich zu dem stehe, was ich tue. Und zu ihm."

Ich kann gar nicht sagen, wie gerührt ich davon war.

"Was auch immer, mir doch egal, was du mit wem machst."

"Gut, schön dass wir das geklärt haben."

Die beiden frühstückten einfach weiter. Brian stand immer noch der Mund offen. Tom schüttelte nur verwirrt den Kopf.

Ab da riss ich mich zumindest bei allem zusammen, was mit der Band zu tun hatte. Nach jedem Interview, das wir vor zehn Uhr morgens führten, klopfte Tobey mir stolz auf die Schulter. Allein sein wollte ich immer noch nicht, darum nahm ich immer noch Mädels mit ins Hotel. Aber dagegen konnte ja wohl niemand was sagen, solange ich am nächsten Morgen fit war.

Nach einer Show, als ich gerade los wollte, um das Nachtleben von … wo auch immer … unsicher zu machen, nahm mich Tobey beiseite.

"Ich wurde beauftragt, dir was mitzuteilen."

"Was denn? Was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?"

"Nichts, es geht um was anderes. Es geht um das Festival, auf dem wir nächstes Wochenende am Gardasee spielen."

"Ja, was ist damit?"

"Die O-Scars spielen da auch, direkt vor uns. Du wirst ziemlich sicher Xander über den Weg laufen."

"Was auch immer …"

"Das macht dir nichts aus?"

"Nicht mehr, nein."

"Okay … wir wollten dich nur vorwarnen."

"Ja danke, das weiß ich zu schätzen …"

Ich redete mir krampfhaft ein, wie egal mir das doch sei. Fast glaubte ich es sogar … Und dieses "Wir" störte mich auch. Die Band, das Team, alle gegen mich, ich gehörte nicht mehr dazu, aber das hatte ich mir wohl selbst zuzuschreiben.

Bei diesem Festival mischten wir uns am Nachmittag selbst unters Publikum. Wir waren keine Headliner, die Leute erkannten uns nicht. Es war echt nett, mal wieder was mit den Jungs zu unternehmen, das nichts mit Arbeit zu tun hatte. Wir hörten uns ein paar Bands an, saßen rum, genossen die Stimmung und das nicht allzu kalte Wetter. Die Mädels waren viel offener als in den Staaten, das hatte ich schon gemerkt. Bald hatte sich uns eine Clique aus fünf Mädchen aus Deutschland angeschlossen und wir zogen zusammen durch die Gegend. Ein Mädchen fiel mir besonders auf. Sie hieß Nina, studierte Politikwissenschaft und war irgendwie total heiß, obwohl sie eigentlich gar nicht mein Typ war. Sie war dunkelhaarig, nicht gerade groß, sagte ständig kluge Dinge, ihr Klamottenstil war eher durchschnittlich und sie beachtete mich kein bisschen. Mickey hatte eine von ihren Freundinnen klargemacht, worüber sie nur die Augen verdrehte. Jedes Mal, wenn ich versuchte, ein Gespräch mit ihr anzufangen, redete jemand anderes dazwischen.

Tom merkte an:

"Hey, es ist fast Sechs, die O-Scars spielen bald."

Die Mädels wollten sie auch sehen, ich war nicht sonderlich begeistert, aber der Gruppenzwang … Zum Glück standen wir recht weit hinten und sahen deshalb kaum was. Ihr Sound hatte sich irgendwie verändert. Die neuen Songs wirkten irgendwie aufgesetzt und passten gar nicht wirklich zu den O-Scars. Ich fragte mich, ob die Songs vielleicht jemand für sie geschrieben hatte. Tobey zeigte auf die Uhr.

"Wir sollten uns langsam verabschieden …"

Mickey wirkte nicht gerade begeistert, sich von seiner deutschen Blondine lösen zu müssen.

"Wie wär's, wenn wir uns später irgendwo treffen?"

Sie tauschten Nummern aus und wir machten uns davon, um nach den O-Scars für 45 Minuten auf die Bühne zu gehen.

Xander ging an mir vorbei. Sei Blick war schwer zu deuten, ich begrüßte ihn mit einem plumpen 'Hi', was ihn sichtlich verwirrte. Dann war er auch schon wieder weg und all meine Gedanken galten der Musik. Das war wirklich nicht so schlimm gewesen …

Kaum kamen wir von der Bühne, hatte Mickey schon sein Handy in der Hand.

"In zehn Minuten am Eingang zum Campingplatz. Kommt ihr mit?"

Brian hatte keinen Bock mehr, Tobey und Tom schlossen sich an. Und irgendwie zog mich diese Nina da auch hin …

Die Mädels standen schon am verabredeten Treffpunkt, aber nur noch zu viert. Mickey's Blondine gab ihm einen Klaps auf den Arm.

"Ihr hättet uns sagen sollen, wer ihr seid, wir waren total ahnungslos!"

Die beiden turtelten so vor sich hin, während die Mädels uns zu ihren Zelten lotsten. Nina unterhielt sich mit den anderen Mädels, Tobey und Tom. Ich trottete rauchend hinterher. Es gab drei Zelte. Mickey und seine Blondine verschwanden einfach so in einem. Und da war plötzlich ein Typ. Er kam wohl vom Nachbarzelt oder so und redete mit Nina etwas auf Deutsch. Wunderbar. Die Mädels heizten den Grill an, damit es nicht zu kalt wurde, holten alles, was sie an Schlafsäcken und Decken hatten und wir versammelten uns um die improvisierte Heizung. Ich setzte mich extra auf eine Bank und tatsächlich setzte Nina sich auf die gleiche Bank. Der fremde Kerl machte mir aber einen Strich durch die Rechnung, indem er zwischen uns Platz nahm. Dabei hatte ich gerade geplant, unter Ninas Decke Unterschlupf zu suchen. Jetzt musste ich wohl erfrieren. Tom hatte es bereits unter eine fremde Decke geschafft. Eins der Mädels holte eine Gitarre und spielte so was wie deutsche Kinderlieder. Die Mädels sangen lautstark mit. Tom war begeistert. Ich wünschte mich ins warme Hotelbett und zitterte wie Espenlaub.

"Brauchst du etwas Decke?"

Der Kerl neben mir bot mir das in gebrochenem Englisch an. Ich winkte ab.

"Dann wenigstens Wodka? Macht auch warm."

"Gern, danke."

Ich nahm einen kräftigen Schluck und spürte sofort die Wärme durch meinen Körper strömen, was aber nicht lange anhielt, dann war mir wieder kalt.

"Komm schon. Nimm Decke."

"Na schön … es ist echt ziemlich kalt."

"Komm, wir stellen die Bank näher an den Grill."

Nina stand auch mit auf und wir trugen die Bank so nah wie möglich ans Feuer. Tom und die Gitarrenspielerin zogen sich in das zweite Zelt zurück. Tobey und das verbliebene Mädchen tuschelten auch schon verschwörerisch rum. Lange konnte es nicht mehr dauern. Nina dachte wohl das gleiche.

"Wunderbar, wo schlafe ich dann heute Nacht?"

Ich fragte mich, warum sie das auf Englisch fragte …

"Ich hab ein eigenes Zelt. Wenn du willst, kannst du bei mir schlafen. Du natürlich auch, ehm … wie ist dein Name eigentlich?"

"Jordan."

"Also, Jordan, wo schläfst du heute Nacht?"

"Darüber hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ins Hotel werd ich wohl nicht mehr kommen."

"Also in meinem Zelt ist theoretisch Platz für vier …"

"Na gut, wenn ich euch beiden da nicht in die Quere komme … ?"

"Nein, nein. Dann schnappen wir uns den Wodka und die Decken und gehen am besten gleich hin. Ich hab eine Gaslampe und im Zelt hält sich die Wärme besser."

"Na schön."

Das Zelt war wirklich geräumig und es gab Licht und für jeden genug Decken. Wir setzten uns in einen Kreis. Nina war recht still geworden, nahm aber kräftige Schlücke vom Wodka.

"Wie heißt du eigentlich?"

"Michi."

"Okay, … Mischi."

"Woher kommst du?"

"L.A."

"Das 'ch' ist schwer für Amis. Ich komme übrigens aus Bayern, genau wie Nina und die anderen Mädels."

"Also kennt ihr euch schon?"

"Nein, wir haben uns gestern hier kennengelernt. So klein ist Bayern auch wieder nicht."

"Keine Ahnung. Geographie war noch nie meine Stärke."

Nina lachte.

"Typisch Ami, hm?"

"Keine Ahnung, schon möglich."

"Ich glaub es nicht, dass ihr Bush wiedergewählt habt", meinte sie vorwurfsvoll.

"Ja, ich weiß …"

"Warst du bei der Wahl?"

"Nein, ich …"

"Man, das wäre aber wichtig gewesen!"

"Ich hab eben nicht gedacht, dass so viele ihn wiederwählen würden …"

"Tja, das haben wir alle jetzt davon …"

"Die vier Jahre gehen auch vorbei …"

"Ist das dein Ernst? Weißt du, wie viele Leute in den vier Jahren im Irak sterben werden?"

"Wollen wir jetzt wirklich politisch werden?"

"Wieso, ist Politik etwa auch nicht deine Stärke?"

"Frieden, Nina. Er kann nichts dafür, dass er Ami ist. Lasst uns die Flasche leer machen und Flaschendrehen spielen."

Nina und ich meinten gleichzeitig:

"Ist das dein Ernst?"

"Ähm, ja klar. Warum denn nicht?"

"Also ich finde das langweilig. Wie wäre es mit Pokern? Hast du die Karten von gestern da?"

"Klar, hier. Kannst du Pokern, Jordan?"

"Ja, so einigermaßen …"

Nina überraschte mich:

"Dann aber Strippoker. … Was denn, ihr seid doch nicht etwa schüchtern, oder?"

Das ging ja in eine interessante Richtung.

"Also von mir aus …"

"Von mir aus auch."

Michi war wirklich ein miserabler Pokerspieler. Bald hatte er nur noch seine Unterhose an und wickelte sich in zwei Decken ein. Ich hielt mich eigentlich ganz gut und spielte Nina ihr T-Shirt ab. Michi schlug ein, als sie es auszog und wir ihren schwarzen Spitzen-BH bewundern konnten. In der nächsten Runde verlor ich mein Shirt und erntete Komplimente für meine Tattoos.Und dann war Michi's letztes Kleidungsstück fällig, dessen er sich allerdings unter einer Decke entledigte.

"Hey, dann mach ich das aber gleich auch, wenn mein BH dran ist!"

"Wenn du auch nackt bist, zeig ich mich schon."

"Ihr wisst, worauf das hinausläuft, oder Jungs?"

Wir taten beide recht unschuldig.

"Jaja, ich hoffe, ihr habt genügend Gummis."

Ich war von dieser Direktheit doch erstaunt.

"Was denn, prüder Ami?"

"Oh, ich bin viel, aber nicht prüde."

Ich zog die beiden Gummis aus meiner Jeans, die neben mir lag.

Michi meinte:

"Ich hab noch eine ganze Zwölferpackung."

"Also lassen wir jetzt die Spielchen und kommen zur Sache, oder wie? Ich hatte noch nie zwei Kerle gleichzeitig, also lassen wir's langsam angehen, hm?"

Sie entledigte sich ihrer restlichen Klamotten. Ihre Brüste waren einfach perfekt, in Größe und Form. Ich konnte es kaum erwarten, mir das näher anzusehen, zog mich auch aus und öffnete einen der Gummis. Michi kam unter seiner Decke hervor. Er sah ebenfalls sehr, sehr gut aus. Irgendwie war es schwierig, niemanden auszuschließen, aber uns blieb nicht wirklich eine Wahl. Bald hatte Nina genug und wickelte sich in einen Schlafsack. Ich hatte zugegebenermaßen noch nicht wirklich genug, sagte das aber nicht so offen wie Michi. Nina ließ sich aber nicht mehr erweichen.

"Wenn du willst, kannst du mich ficken."

Für einen Moment wusste Michi nicht, ob ich es ernst meinte. Aber dann kniete er sich über mich und packte einen neuen Gummi aus.

"Sicher?"

"Absolut."

"Okay …"

Nina lag auf der anderen Seite des Zeltes, aber schaute mit unverhohlenem Interesse rüber. Michi war sichtlich unerfahren.

"Ehm, musst du dich dazu nicht umdrehen … ?"

"Ich find es so besser."

Ich spreizte die Beine und zog ihn zu mir runter. Er zog eine Decke über uns und drang mit einem Ruck ein. Ich spürte sofort, dass wir gut zusammenpassten, rein anatomisch. Er fing ganz langsam an. Es fühlte sich so gut an, dass ich ihm das einfach sagen musste. Er wurde schneller. Es dauerte nicht lange und ich kam. Minutenlang, so kam es mir vor. Ich war wohl recht laut, aber das war mir so was von egal. Am Ende kam ich noch mal, fast gleichzeitig mit ihm. Er stieß sich ab und kniet sich hin. Ich konnte mich kaum bewegen, es war fast so, als würde ich immer noch kommen. Ich konnte nur noch denken 'Wow'. Doch dann sah ich sein Gesicht, voller Abscheu vor sich selbst. Und mir. Ich ahnte, was gleich kommen würde.

"Geht."

Nina setzte sich auf.

"Was?"

"Ihr müsst jetzt gehen."

"Aber es ist mitten in der Nacht …"

"Das ist mir verdammt noch mal egal! Geht endlich!" schrie er, ohne wirklich laut zu werden.

Ich zog mich schnell an, genau wie Nina. Sie krallte sich einen Schlafsack und eine Decke und machte den Reißverschluss des Zeltes auf. In der Dunkelheit sahen wir noch diverse Grillstellen.

"Komm schon, wir müssen an ein Feuer …"

Sie hakte sich unter und zog mich zur nächsten Glut. Mit einem Stöckchen, pusten und Taschentüchern entfachte sie das Feuer wieder einigermaßen. Wir kauerten uns so nah wie möglich dran. Sie breitete den Schlafsack aus.

"Wir passen da beide rein. Komm schon."

Ich legte mich so nah wie möglich zu ihr und wir zogen den Reißverschluss zu. Unsere Gesichter berührten sich fast.

"Aus der Decke machen wir eine Art Zelt …"

Sie legte die Decke über uns, auch über die Köpfe. Ich nahm ihre Füße zwischen meine und rubbelte.

"Das ist alles meine Schuld, tut mir leid …"

"Sei nicht blöd, Jordan, das ist nicht deine Schuld. Wenn Michi nicht damit umgehen kann, einen Kerl zu ficken, dann sollte er es lassen."

"Auch wahr."

"Alles okay? Ich meine, das war ganz schön krass …"

"War nicht das erste Mal, dass ein Kerl mich rausgeschmissen hat, nachdem … du weißt schon …"

"Das macht es nicht gerade besser. Wenn ich mir vorstelle, mir würde das passieren …"

"Wirklich kein großes Ding, mit so was muss man rechnen …"

"Naja, wenigstens hat es sich angehört, als hättest du Spaß gehabt."

"Oh ja, auf jeden Fall."

"Du bist gekommen, oder?"

"Zwei Mal."

"Wie?"

"Ehm … weißt du das wirklich nicht? Ich dachte, du wärst so aufgeklärt?"

"Schwuler Sex betrifft mich ja eigentlich nicht, also bitte, klär mich auf."

Sie war auch an meiner sexuellen Vergangenheit total interessiert. Am Ende nahm sie die Bemerkung über den 'prüden Ami' zurück. Wir redeten und hielten uns gegenseitig warm, bis es langsam dämmerte und wir sicher waren, vor den Zelten ihrer Freundinnen zu liegen. Langsam wurde ich ganz schrecklich müde …

Eines der Zelte ging auf.

"Jordan? Du kannst doch nicht hier draußen schlafen, du holst dir doch den Tod! Das Letzte, was wir brauchen können, ist, dass du deine Stimme verlierst!"

"Danke Tobey, ich weiß die Sorge um meine Stimme wirklich sehr zu schätzen."

"Komm schon, wir sollten dich ins Hotel bringen … Ist euer Schlafsack nicht total durchnässt? Überall liegt Tau!"

Ich machte den Reißverschluss auf, tatsächlich rieselte Wasser von unserem Schlafsack. Nina rappelte sich hoch, Tobey half mir auf und rubbelte meine Arme.

"Was machst du nur für Sachen? Ich dachte, ihr kommt bei diesem Typen unter …"

"Ja, da waren wir auch …"

"Und dann?"

"Kannst du dir das nicht denken?", entgegnete ich patzig.

"Und danach hat er euch rausgeschmissen?"

Ich nickte nur und zuckte die Schultern.

"Tut mir leid. Armer Jordan."

Er umarmte mich und rubbelte dabei meinen Rücken warm.

"So, ich glaub wir packen die Mädels ein und schauen, dass wir irgendwie ins Hotel kommen, hm?"

"Ich brauch echt ein heißes Bad."

Tobey rief Tammy an, die sofort einen Wagen losschickte. Dann rief er Mickey und Tom an, die kurze Zeit später aus den anderen beiden Zelten krochen. Alle zusammen machten wir uns auf den Weg zum Ausgang, wo der Kleinbus schon wartete. Nina hatte die ganze Zeit über noch nichts gesagt. Im Bus legte ich meinen Arm um sie.

"Alles okay? Ist dir immer noch kalt?"

"Du musst nicht nett zu mir sein, nur weil wir miteinander geschlafen haben …"

"Hey, ohne dich wäre ich heute Nacht vermutlich erfroren. Du hast mein Leben gerettet."

"Dramatisier das mal nicht …"

"Was ist denn los?"

"Schau dich um, lauter Pärchen und dabei haben wir uns alle gestern erst kennengelernt. Irgendwie armselig."

"Ich weiß genau, was du meinst. Wir kennen uns nicht mal annähernd und die Chancen stehen gut, dass wir uns für ziemliche Idioten halten würden, wenn wir uns wirklich kennen würden. Aber es ist uns egal, weil einen potentiellen Idioten im Arm haben scheinbar immer noch besser ist, als alleine zu sein …"

"Ich hab kein Problem damit, alleine zu sein."

"Ich auch nicht. Soll ich meinen Arm wegnehmen?"

"Nein, mir ist kalt."

Sie war so klein und schaute zu mir hoch, während sie so kluge Dinge sagte. Und sie war so hübsch! Ich küsste sie auf die Stirn, total ohne nachzudenken. Sie lächelte, zum Glück. Im Hotel verzogen sich alle auf die Zimmer. Nina stand noch irgendwie unentschlossen rum.

"Fühl dich nicht verpflichtet …"

"Nina, komm mit mir. Wir nehmen ein heißes Bad, trinken Kaffee und essen eine Kleinigkeit. Dann können wir noch ein paar Stunden schlafen. Am Nachmittag müssen wir eh wieder zum Festival-Gelände, um noch Pressezeug zu machen. Na, was sagst du?"

"Hört sich schon gut an …"

Ninas erster Kommentar zu meinem Zimmer war:

"Wie? Keine zertrümmerten Möbel? Was bist denn du für ein Rockstar?"

Ich bestellte Frühstück und ließ Badewasser ein. Der Zimmerservice kam genau als die Wanne voll war. Perfekt. Wir stellten alles an den Rand und zogen uns aus.

"Ehm, soll ich Gummis holen?"

Sie grinste nur und ich kramte in meinem Koffer nach der Packung.

Das heiße Wasser umspülte uns und endlich wich die Kälte aus meinen Knochen. Wir verschlangen das Frühstück, der Schinken blieb übrig. Nina schien erstaunt.

"Ja wie, magst du keinen Schinken?"

"Ich esse kein Fleisch."

"Man Jordan, du bringst echt mein Bild von euch Amis ins wanken."

"Tja, so ist das eben mit Klischees. Die überleben nicht lange."

"Darf ich dich was Persönliches fragen?"

"Ja natürlich …"

"Woher kommt die Narbe?"

"Ich wurde angeschossen."

"Jetzt verarscht du mich, oder?"

"Nein, ohne Scheiß."

"Naja, also stimmt zumindest das Klischee mit den Schusswaffen …"

"Vermutlich …"

"Absichtlich angeschossen? Ich meine, war es ein Querschläger von einem Bandenkrieg wie im Film, oder wie?"

"Nein, jemand hat absichtlich auf mich geschossen."

"Oh … okay … tut mir leid …"

"Ach, das ist ein Jahr her. Der Kerl schmort für den Rest seiner Tage im Knast."

Sie rutschte rüber und lehnte sich an mir an. Sie fand zwischen meinen Beinen so gut Platz. Ich hatte das Gefühl, ich hätte meine Arme dreimal um sie schlingen können. Sie schlief ein. Nach einer Weile wickelte ich sie in ein großes Handtuch und manövrierte sie ins Bett. Ich stellte den Wecker auf halb Zwei und schlief fast sofort ein.

Irgendwann klingelte mein Handy. Ich nahm ab und ging um eine Ecke, um Nina nicht aufzuwecken. Es war Josh.

"Hey, wie spät ist es denn bei dir?"

"Vier Uhr früh."

"Was machst du denn schon auf?"

"Ich konnte nicht schlafen, deshalb dachte ich, versuch ich mal anzurufen …"

"Alles okay?"

"Ich vermiss dich irgendwie …"

"Ich vermiss dich auch. … Ist zu Hause alles in Ordnung?"

"Jaja, Oliver und Mum sind verliebt wie eh und je und Gwen nervt ein bisschen. Sie will immer das haben, womit ich mich grad beschäftige und wenn sie's nicht bekommt, schreit sie und Mum zwingt mich, es ihr zu geben."

"So sind Zweijährige eben. Und 12-jährige müssen damit leben …"

"Ich wünschte, du wärst an meinem Geburtstag da gewesen …"

"Ich hab dich doch angerufen und gratuliert. Um Punkt Mitternacht."

"Das hat Mum nicht gefallen, am nächsten Tag war Schule."

"Tja, das geht schon mal ausnahmsweise. Ich glaube, wir sollten Schluss machen, das wird zu teuer. Bald sehen wir uns ja wieder. Ich liebe dich."

"Ich dich auch, Dad. … Bye."

Als ich mich umdrehte, stand plötzlich Nina hinter mir.

"Woah, hast du mich erschreckt."

"Du bist vielleicht nicht der typische Amerikaner, aber der typische Mann."

"Was? Warum?"

"Wie kannst du aus dem Bett aufstehen, in dem ich liege und einfach so mit deiner Freundin telefonieren?"

"Das war nicht meine Freundin …"

"Dann eben dein Freund, ist doch das Gleiche!"

"Nina, ich hab weder einen Freund, noch eine Freundin, okay? Das war mein Sohn, Josh."

"Dein Sohn? Sag mal, wie alt bist du eigentlich?"

"27. Josh ist 12."

"Krass. Teenager-Eltern sind auch so ein Ami-Klischee. Weil sie euch keine Gummis geben und dann denken, dass euch das davon abhält, Sex zu haben."

"Ganz so einfach ist es nicht …"

"Und wo ist Josh jetzt?"

"Bei seiner Mum. Wir teilen uns das Sorgerecht. In ein paar Wochen sind Ferien und er und seine Schwester fliegen mit ihrer Mum zu mir und reisen zwei Wochen lang mit."

"Zwei Kinder?"

"Gwen ist erst zwei."

"Die gleiche Mutter?"

"Ja, wir sind wieder zusammen gekommen und haben uns dann wieder getrennt. Du willst aber alles genau wissen."

"Tut mir leid, wenn ich zu neugierig bin. Ich kann mir nur überhaupt nicht vorstellen, dass du Kinder hast …"

"Nach heute Nacht musst du ein seltsames Bild von mir haben …"

"Weil ich gesehen habe, wie ein Kerl dich in den Arsch fickt? Ach Quatsch!"

Ihr schelmisches Grinsen vertrieb ich, indem ich sie mir über die Schulter warf und sie zum Bett trug. Sie kreischte, ich ließ sie auf's Bett fallen.

"Oh, musst du mir jetzt zeigen, wie männlich du bist?"

"Oh ja, jetzt zeig ich dir, wie männlich ich bin."

"Zu blöd, dass die Gummis noch im Bad liegen!"

"Oh, wie gut, dass ich welche in der Nachttischschublade deponiert habe."

"Du bist ja berechnender als jede Frau! So weiblich."

"Na warte, komm her!"

Ich hatte total männlichen Sex mit ihr, der genau drei Minuten dauerte.

"Wenn du jetzt noch einschläfst, dann zweifele ich nie wieder an deiner Männlichkeit."

"Ich könnte jetzt echt schlafen …"

"Hey, wag es nicht!"

Sie pikste mich in die Rippen.

"Schon gut, schon gut. Wir müssen ja eh bald los."

"Ich hab Hunger."

"Schon wieder?"

"Hey, das war vor vier Stunden oder so!"

"Na gut, willst du unten noch was essen?"

"Jaaaaaaaaah!"

Wir zogen uns also an und gingen runter ins Restaurant, wo wir auf einen einsamen Brian trafen, mit Handy am Ohr.

"Da drüben ist unser Drummer. Setzen wir uns zu ihm?"

"Ja klar."

"Morgen."

"Es ist fast Zwei! Lange Nacht gehabt?", fragte er grinsend.

"Kalte Nacht gehabt. Erinnerst du dich an Nina?"

"Schatz, ich ruf dich gleich wieder an …"

"Gib ihn mir mal. … Hey Sean! Solltest du nicht lernen?"

"Ich hau dich!"

"Also Geographie ist nicht meine Stärke, aber ich glaube, da ist ein Ozean zwischen uns."

"Ich finde schon einen Weg. Vielleicht beauftrage ich einfach Brian."

"Oder du lernst einfach weiter, hm? Das ist auch billiger als das ewige 'Nein ich lieb dich mehr. – Oh nein, ich dich.'"

"Neidisch?"

"Hättest du wohl gerne. Aber ich bin unhöflich zu der Dame am Tisch. Ich wollte dich eigentlich nur zurück an deine Bücher schicken. Ich meine es doch bloß gut."

"Ich hasse dich."

"Ich hasse dich mehr."

"Nein, ich dich."

"Bye Sean."

"Bye."

Ich legte auf.

"Danke Jordan, sehr freundlich", knurrte Brian.

"Hey, du willst doch nicht mit einem mittelmäßigen Arzt zusammen sein, oder? Also, er hat selbst gesagt, dass er so viel zu tun hat, für die Prüfungen …"

"Ich weiß ja, dass du recht hast. Aber ich ruf ihn nachher trotzdem wieder an. So, also Nina. Wo sind deine Mädels?"

"Äh, wart mal, … du bist also auch schwul?"

"Ähm, ja …"

"Okay … ich wusste gar nicht, dass es so viele schwule Rockmusiker gibt. … Jedenfalls sind meine Mädels irgendwo mit dem Rest der Band. Die sind wohl nicht schwul …"

"Nein, da sind deine Mädels gut bedient. … Ich nehm mal an, ihr fahrt nachher mit uns zurück zum Festivalgelände?"

"Ja, irgendwie haben wir da alles liegen und stehen lassen. Wahrscheinlich wurde die Hälfte inzwischen geklaut. Wann fahrt ihr denn?"

"Da kommt Tammy, die kann es uns sagen."

"Hallo. Na immerhin hab ich jetzt zwei von euch gefunden. Könnt ihr mir sagen, warum ihr heute Nacht nicht ins Hotel gekommen seid und ich in aller Herrgottsfrühe einen Wagen organisieren musste?"

"Heiße, willige, deutsche Mädchen für alle."

"Danke Jordan, so genau wollte ich es gar nicht wissen."

"Ich war die ganze Nacht hier", erklärte Brian musterschülermäßig.

"Und hast mit Sean telefoniert, auf Hotelrechnung?"

"Ich sag schon nichts mehr …"

"Hey, ich bin übrigens Nina."

"Heiß, willig und deutsch", ergänzte ich.

Sie gab mir einen Klaps auf die Schulter. Tammy wurde langsam unruhig.

"Wo bleiben die denn?"

"Mach doch einen Zimmerappell. Ich garantiere dir, dass alle drei in ihrem Zimmer sind."

"Ich ruf mal an …"

Eine halbe Stunde später konnten wir uns auf den Weg machen. Nina machte wieder einen Kommentar darüber, dass die anderen alle Händchen hielten und rumturtelten.

"Das hat sich erledigt, sobald wir am Gelände sind, mit der ganzen Presse."

"Sollen wir uns dann schon mal verabschieden?"

"Ich weiß nicht … Wir fliegen heute Abend weiter."

"Kommt ihr bald nach Deutschland?"

"Ich frag nachher Tammy wegen der Daten."

"Wenn ihr in München seid, dann nehm ich an, werden die Mädels hingehen wollen …"

"Du auch?"

"Ich würde mich schon mitschleppen lassen …", grinste sie.

"Gibst du mir deine Nummer?"

"Warum bekomm ich nicht deine?"

"Warum tauschen wir nicht einfach Nummern aus?"

"Okay."

Sie speicherte meine Nummer und rief mich an, damit ich auch ihre hatte.

"Na dann sehen wir uns sowieso bald noch mal …"

"Danke für … alles."

"So eine eisige Nacht im Freien schweißt irgendwie zusammen, hm?"

"Ja, irgendwie …"

"Also Mädels. Wir lassen euch hier am Eingang raus. Sagt 'Tschüss'."

"Es war interessant, dich kennenzulernen, Jordan."

"Danke. Ich werde in Zukunft versuchen, mehr Klischees zu erfüllen."

"Tu das nicht. Bleib wie du bist, so bist du toll."

Sie wurde rot, als sie das gesagt hatte, gab mir einen schnellen Kuss auf die Wange und war verschwunden.

Als die Mädels weg waren, fragte ich Tammy gleich, wann wir in München spielen würden und wie lange wir dort bleiben würden. Es war noch etwas über eine Woche hin und wir blieben dort für zwei Nächte. Mickey hatte das alles ebenfalls schon abgecheckt und mit seiner Steffi Pläne geschmiedet.

Als ich auf dem Weg ins Hotel mein Handy wieder anmachte, hatte ich eine neue SMS.

'Michi hat sich vorhin bei mir entschuldigt und auch gesagt, dass ich dir schreiben soll, dass es ihm leid tut. Er ist trotzdem ein Arsch.'

Ich schrieb zurück, dass er das doch nur tat, um sein Gewissen zu beruhigen. Und ich schrieb ihr, dass wir am ersten Mai in München ankommen würden und am zweiten Mai spielten. Sie schrieb etwas von erstem Mai und Großdemo zurück, die sie dann wohl verpassen würde. Daraus wurde ich nicht recht schlau.

Die Jungs redeten von nichts anderem mehr, als den Mädels und München und was sie alles unternehmen wollten. Brian und ich schüttelten nur den Kopf darüber. … Aber jeden Abend freute ich mich, dass Nina mir eine 'Gute Nacht'-SMS schrieb. Was war eigentlich daraus geworden, dass ich niemanden mehr an mich heranlassen wollte? Ach, das war was anderes. Nach den zwei Tagen würde ich sie vermutlich eh nicht wiedersehen …

Die Mädels standen tatsächlich am Flughafen, als wir in München ankamen und Mickey und Steffi legten eine filmreife Begrüßungsszene hin. Ich machte mir die geistige Notiz, Tobey mal zu fragen, was eigentlich aus Mickey's Freundin zu Hause geworden war … Nina stand daneben und schaute sich das Ganze skeptisch an. Ich beobachtete das durch eine durchsichtige Scheibe. Sie bemerkte mich und zwinkerte mir zu. Ich ging zu ihr.

"Willkommen in München …"

"Schöner Flughafen schon mal …"

"Ich zeig dir gerne noch mehr von der Stadt. Wie ist euer Terminplan so?"

"Mickey hat den relativ freigeschaufelt. Heute steht eigentlich nichts mehr an, morgen ein paar Pressesachen und abends natürlich der Auftritt …"

"Kannst du bei mir schlafen?"

"Klar. Wenn du willst … ?"

"Jetzt tu nicht so …"

"Wie denn?"

"Als würdest du das nicht auch wollen."

"Doch, natürlich. Ich will nur nicht zu aufdringlich sein."

"Ich bin mit meinem Auto hier. Ich hatte keinen Bock, mich wieder mit den ganzen turtelnden Pärchen in einen Kleinbus zu zwängen."

"Gut. Ich auch nicht."

"Dann sag 'Tschüss und bis morgen' zu deinen Leuten."

Sie war keins von den Mädchen, die immer eine Horde Freundinnen um sich scharten, um sich sicher zu fühlen. Das gefiel mir.

"Also ich würde sagen, wir bringen erst mal deine Sachen in die Wohnung und dann zeig ich dir die Stadt. Shoppen ist nicht, heute ist Feiertag."

"Was denn für einer?"

"Tag der Arbeit."

"Schön, dass man am Tag der Arbeit frei hat …"

"Nicht wahr? Worauf stehst du? Kunst, Bildung, Theater?"

"Keine Ahnung … Ich mag Bilder …"

"Dann weiß ich schon, wo wir als nächstes hingehen …"

Sie fuhr tatsächlich einen alten VW-Käfer. Wir brauchten fast eine Stunde bis zu ihrer Wohnung. Die Straßen waren so klein und die Gegend so grün. In der Stadt sahen alle Gebäude irgendwie alt aus, aber nicht im Sinne von heruntergekommen, sondern schön alt. Sie wohnte in einem Block, im vierten Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Alles sehr klein gehalten und eher provisorisch eingerichtet.

"Ich schlaf hier nur, also …"

"Wo verbringst du deine Zeit?"

"In der Uni und um die Uni herum …"

"Wie lange studierst du schon?"

"Ich bin im sechsten Semester. Abitur 2002."

"Das heißt du bist wie alt?"

"21. November 1982."

"Okay, ich versuch es mir zu merken."

"Das ist ja interessant …"

"Was denn?"

"Du gehst davon aus, dass wir in Kontakt bleiben."

"Ist das nicht normal?"

"Hm, ja, ich war mir nur nicht so sicher, ob du das auch so siehst. Du scheinst ja eher ein wilder Kerl zu sein, was man von Steffi so hört …"

"Ich genieße mein Leben, das stimmt."

"Wenn du mit allen in Kontakt bleibst, dann musst du dir viele Geburtstage merken. … Oder bin ich etwa was Besonderes?"

"Auf jeden Fall bist du besonders direkt …"

"Du doch auch. Das mag ich an dir."

"Also, wollen wir jetzt noch lange rumstehen und uns gegenseitig Honig ums Maul schmieren, oder zeigst du mir die Stadt?"

"Folge mir."

Wir fuhren mit der U-Bahn ein paar Stationen und sie zeigte mir von außen die beiden Universitäten, die Pinakotheken, ein paar schöne Plätze und ein nettes Bistro, wo wir einen Nachmittagssnack einnahmen. Mir fiel auf, dass sie nicht mal so tat, als würde sie auch mal bezahlen wollen.

"Du hast dick Kohle und ich bin eine arme Studentin. Demnächst muss ich sogar Studiengebühren bezahlen …"

"Wie demnächst? Zahlst du noch keine?"

"Ach ihr Amis … auch wenn du mich jetzt gleich Kommunist nennst, ich bin der Meinung, dass eine Hochschulausbildung für alle zugänglich sein sollte und deshalb nichts kosten darf."

"Ich bin ganz deiner Meinung. Wenn es in Amerika keine Studiengebühren gäbe, hätte ich jetzt bestimmt einen Hochschulabschluss."

"Du meinst, du warst nicht immer stinkreich?"

"Nein, eher im Gegenteil."

"Und jetzt hast du deinen Eltern aus der Wohnwagensiedlung rausgeholt und ihnen ein nettes kleines Häuschen in Beverly Hills gekauft?"

"Nein, nicht wirklich. … Meine Mum hat sich einen reichen Kerl geangelt. Und mein Dad war noch nie arm."

"Was magst du jetzt machen? Wie wäre es mit Schwimmbad?"

"Klar, ich hab in meinem Koffer eine Badehose."

"Wie wäre es mit FKK?"

"Ist das dein Ernst?"

"Nein, das machen nur alte hässliche Leute. Aber ich wollte auch mal klischeehaft sein …"

"Puh, okay …"

"Also dann fahren wir kurz zu mir und holen unser Zeug und dann ab ins Nordbad?"

"Gern. Und du musst mir mehr deutsche Wörter beibringen, ja?"

"Gern."

Im Schwimmbad waren wir ganz klischeehaft Mädchen und Junge, die sich gegenseitig ärgerten, tauchten, anspritzten. Ich hatte echt Spaß und mir fiel auf, wie angenehm es war, nicht von allen bemerkt zu werden, wie es mir mit Jungs immer ging. Ich merkte gar nicht, wie die zwei Stunden vergingen. Danach machten wir wieder einen Abstecher in Ninas Wohnung und dann zogen wir durch die Schwabinger Kneipen und führten die typischen Kneipengespräche über Gott und die Welt.

"Ich meine, nimm mal meine Eltern, zum Beispiel. Seit 28 Jahren verheiratet, aber keineswegs glücklich."

"Warum bleiben sie dann zusammen?"

"Was würden denn die Leute sagen, wenn sie sich trennen würden? Außerdem ist das halt so, nach fast 30 Ehejahren. Ich hab mir geschworen, dass ich nie so ende."

"Ich glaube eh nicht, dass ein Mensch allein einen anderen für immer glücklich machen kann. Ich meine, natürlich wäre es toll, so jemanden zu haben, aber …"

"… man darf dabei nicht selbstaufopfernd werden."

"Ganz genau. Ich mag die Vorstellung, an jemanden für immer gebunden zu sein. Von mir aus auch in den schlechten Zeiten, gerade da braucht man ja so jemanden… aber mit diesem ganzen Besitzergreifungszeug macht man sich doch nur selbst kaputt."

"Genau! Man braucht jemanden, der in den schlechten Zeiten da ist, aber in den guten Zeiten auch mal sein eigenes Leben führt. Das wäre doch echt genial …"

"Ja, aber find mal so jemanden. Ich meine, ihr Frauen seid doch alle besitzergreifend und die Männer machen sich in den schlechten Zeiten aus dem Staub …"

"Was macht man da bloß? Mein Handy vibriert. … Hallo?"

Sie redete irgendwas auf Deutsch …

"Das war Silvie. Sie und Tobey fragen, ob wir Bock haben auf Tanzen. Was meinst du?"

"Von mir aus … ich bin betrunken genug zum Tanzen. Das deutsche Bier haut echt rein."

Eine halbe Stunde später kamen wir auf einem alten Industriegelände an. Im Getümmel eines Ladens, dessen Namen ich nie aufschnappte, fanden wir Tobey und Silvie auf der Tanzfläche.

"Hey, da seid ihr."

Die Mädels gaben sich ein Küsschen auf den Mund zur Begrüßung und bemerkten unsere begeisterten Blicke.

"Was denn? Mein Gott, wir haben uns doch nicht die Zunge in den Hals gesteckt …"

"Ach, lasst euch nicht aufhalten."

"Hey, wenn ihr es macht, machen wir es auch."

Das kam von Silvie. Nina meinte nur, dass das jetzt ein Fehler gewesen sei. Tobey zog mich zu sich und küsste mich schön lange. Oh Mann, immer noch der beste Küsser aller Zeiten. Leider stand sofort ein Türsteher da und bat uns höflich zu gehen. Die Mädels waren total geschockt davon und schämten sich für ihren Landsmann. Tobey und ich fanden es lustig und gingen Arm in Arm raus.

"Also, so was ist mir in Amerika noch nie passiert. Soviel zu den prüden Amis, hm?"

"Ich bin echt geschockt. Ich werde einen Leserbrief an die Zeitung schicken und dem Laden jede Menge schlechte Publicity machen, das dürft ihr glauben. Die Leute werden genauso schockiert sein wie ich. Das ist echt eine absolute Ausnahme."

"Ja, schon gut, ich glaub es ja, auch wenn das jetzt schon das zweite Mal war, dass ich mit den Deutschen Pech hatte. … So, und jetzt ihr Zwei, lasst es nicht umsonst gewesen sein!"

Sie zierten sich noch ein wenig, aber abgemacht war abgemacht und auch wenn ihr Kuss nicht so innig ausfiel, wie der von Tobey und mir, war er echt ziemlich heiß, das fand Tobey wohl auch.

"Wow. Wie wär's mit einem Dreier?", fragte er, während er je einen Arm um eine der Damen legte.

"Hallo? Und was soll ich solange machen?" fragte ich gekünstelt angepisst.

"Oh … ehm … sorry Jordan, aber Sex innerhalb der Band ist tabu, weißt du?"

"Tja, dann wirst du wohl auf Nina auch verzichten müssen."

"Na, wirst du jetzt besitzergreifend?", grinste sie.

"Ertappt … sorry."

"Hm, einmal lass ich das durchgehen. Ich will dich heute auch ganz für mich alleine. Lass uns heimfahren."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Wir mussten erst S-Bahn, dann U-Bahn fahren und das dauerte ewig. Ich konnte meine Finger überhaupt nicht mehr von ihr lassen, das schien sie nicht zu stören, im Gegenteil. In ihrer Wohnung schafften wir es nicht bis ins Bett. Gut dass im Gang ein Teppich lag.

Für die zweite Runde gingen wir dann doch ins Bett.

"Puh …"

"Bist du zufrieden?" fragte ich.

"Oh ja, mehr als zufrieden. Du?"

"Oh ja. Du und ich, wir haben den gleichen Rhythmus, hm?"

"Ja total. Das ist toll. Sag mal, Jordan?"

"Ja Nina?"

"Ich weiß, dass ich das frage ist klischeehaft, aber ich frage trotzdem …"

"Willst du jetzt wissen, mit wie vielen Leuten ich geschlafen habe?"

"Ist das sehr schlimm?"

"Nicht wenn du mit der Antwort leben kannst."

"Bei mir waren es auch nicht wenige. Also sag schon."

"Hm … Frauen so grob überschlagen achtzig. Vielleicht mehr. Und genau zwanzig Kerle."

"Also bekommst du die Hundert voll, nicht übel …"

"Jetzt musst du's aber auch sagen."

"Ungefähr halb so viele, naja, nicht ganz. Aber ich führe jetzt auch keine Strichliste."

"Das sind auch nicht wenige."

"Ich war noch nie länger als zwei Wochen treu, also …"

"Warum nicht? Aus Prinzip oder aus Schwäche?"

"Hm, ein bisschen was von beidem nehm ich an. Reden wir jetzt über Verflossene?"

"Ich muss eigentlich nichts darüber wissen, aber ich hab auch kein Problem damit, von ihnen zu erzählen."

"Ohja bitte!"

"Na schön. Also da hätten wir Nikki. Sie ist wunderschön, nicht auf den Kopf gefallen und charakterlich so ziemlich genau ich in weiblich. Und die Mutter meiner Kinder natürlich."

"Ich mag sie jetzt schon nicht."

"Oh nein, bist du so eine Ex-Freundinnen-Hasserin?"

"Eigentlich nicht, aber sie ist ganz klar eine Bedrohung. Hast du ein Bild von ihr?"

"Wenn du Internet hast …"

"Klar. Ich hab dich auch schon gegoogelt."

"Wunderbar, dann weißt du ja schon alles über mich."

"Haha. Also ich hol mal meinen Laptop …"

Kurz darauf gab ich die Adresse von Nikkis Magazin ein und zeigte Ihr Fotos von Nikki und Oliver.

"Der Kerl ist nicht schwul?"

"Nein, nicht dass ich wüsste …"

"Verquere Welt. Nikki ist echt hübsch. Aber etwas zu typisch hübsch für meinen Geschmack."

"Als ich sie kennengelernt habe, hatten ihre Haare fast täglich eine andere Farbe."

"Na gut, weiter!"

"Hm, dann war da Conny. Das war seltsam. Ich meine, ich kam mit ihr zusammen, kurz nachdem Nikki mich abserviert hatte. Ungesunde Beziehung. Sehr ungesund. Keine Ahnung, was aus ihr geworden ist. Naja, dann kam eh schon Sean. Brians Sean, der Medizinstudent. Er war mein erster Kerl, war für uns beide neu. Die Umstände haben uns auseinander gebracht, aber ich werde ihn insgeheim wohl immer toll finden. Er ist einfach der perfekte Kerl."

"Okay, … aber den hat sich Brian jetzt geangelt …"

"Genau. Die beiden passen auch besser zusammen, das hat schon alles seine Richtigkeit. Jedenfalls dachte ich damals, dass ich nur auf Sean stünde, nicht auf andere Kerle … und dann kam Vince … ohne ihn… keine Ahnung, wo ich ohne ihn wäre. Vermutlich tot, ohne Übertreibung. Jedenfalls … dann hatte ich mal kurz was mit Brian, aber Beziehung kann man das nicht nennen …"

"Moment, warum hast du dich von diesem Vince getrennt?"

"Er ist nach New York gegangen, ich blieb in L.A. … hör mal, Vince ist ein heikles Thema, als wenn du nicht willst, dass ich in Tränen ausbreche und die ganze Nacht heule wie ein Baby, dann …"

"Okay, dann weiter …"

"Scott. Er war mein Agent, … aber leider war er - oder ist er - nicht offen schwul. Das ist eine Zeit lang gut gegangen, aber Weihnachten hätte ich schon gerne mit ihm verbracht, weißt du? … Naja, dann kam Nikki zurück. Ich hab mit Scott Schluss gemacht und bin mit Nikki zusammengezogen. Nach Gwens Geburt ist sie abgehauen und plötzlich war ich mit zwei Kindern alleine …"

"Siehst du, ich hatte recht damit, sie nicht zu mögen!"

"Ja … jetzt kümmert sie sich jedenfalls zum Glück wieder um die Kinder, sonst würde das mit der Band auch kompliziert werden …"

"Okay, war's das?"

"Nein, Xander fehlt noch. Ich hab ihn getroffen, als Gwen ein halbes Jahr alt war. … Bald ist er bei mir eingezogen. Wir waren eine Familie, weißt du? Ich hab gedacht, ich hätte mich geirrt. Du weißt schon, vielleicht reicht einem ja doch ein Mensch ein Leben lang."

"Was ist passiert?"

"Die Schüsse. Ich weiß auch nicht so genau, was eigentlich passiert ist. Er war noch sehr jung, 20. Er musste sich um alles kümmern, als ich im Krankenhaus war. Er wusste lange nicht, ob ich wieder der Alte sein würde und so … es war sicher schlimm für ihn, aber er hat das alles toll gemeistert. Ich war schon auf dem Weg der Besserung, als er mir sagte, dass er es nicht mehr schaffte und eine Pause brauchte. Die gönnte ich ihm. Ein paar Wochen lang hab ich nichts von ihm gehört, dann hat er Schluss gemacht. Er sei noch nicht bereit, für den Mann fürs Leben, hat er gesagt. Er hat mich kalt erwischt. … Das war im Herbst."

"Du hast schon ganz schön viel einstecken müssen …"

"Lass mich gar nicht erst in Selbstmitleid verfallen …"

"Was wünscht du dir, Jordan?"

"Ich weiß nicht … es klappt ja eh nie so wie man meint. Ich will mich nicht mehr von jemandem abhängig machen. Ich will Spaß haben, aber ich will auch jemanden, mit dem ich Abends vor dem Schlafengehen über den Tag reden kann, der mich kennt, der sich auch mal um mich kümmert … der mich davor bewahrt, dass meine Mutter mich ständig besorgt anruft und fragt, ob ich denn immer noch alleine bin …"

"Wie ist deine Mutter so?"

"Cool, jung, … viel zu oft besorgt in letzter Zeit. Sie hat sich ziemlich verändert, seit ich erwachsen bin. Sie hat geheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Mädchen in einem großen schönen Haus in Phoenix. Ich seh sie vielleicht drei Mal im Jahr, aber das ist schon okay …"

"Und dein Dad?"

"Der ist für mich gestorben."

"Okay."

"So, jetzt reicht es aber mit ausfragen …"

"Ich will mich nicht übermorgen von dir verabschieden und dich dann nie wiedersehen."

"Das will ich auch nicht …"

"Ich hab noch nie jemanden wie dich kennengelernt. Wann können wir uns wiedersehen?"

"Keine Ahnung. Wir sind noch bis Anfang Juni in Europa unterwegs. Dann Japan, dann ab nach Hause …"

"Vielleicht könnte ich übers Wochenende mal zu irgendeinem Europakonzert jetten …"

"Steffi wird bestimmt auch so was planen mit Mickey. … Jetzt mach dir darüber keine Gedanken. Ich liege ja noch neben dir."

"Warum eigentlich? Dein Platz ist auf mir. Komm her!"

Am nächsten Morgen lag Nina neben mir und ich war froh. Ich wollte noch ganz oft neben ihr aufwachen. Ich stand auf und machte Kaffee. Der Duft weckte sie wohl und sie tapste in die Küche.

"Ich hab Hunger."

"Dein Kühlschrank ist leer."

"Dann müssen wir eben frühstücken gehen."

"Musst du nicht in die Uni oder so?"

"Ach, das ist schon okay. … Wann musst du weg?"

"Mittags, bis Vier oder so."

"Dann geh ich da in die Uni … und dann holst du mich ab, um viertel vor Fünf, ja?"

"Wenn ich hin finde …"

"Ach klar, das schaffst du schon. … Ich schreib dir gleich mal die Adresse auf. … Und wann musst du im Zenith sein?"

"Wo?"

"So heißt die Halle, wo ihr heute spielt …"

"Achso … so halb Acht. Du kommst doch mit, oder?"

"Klar. Ich hab mir extra ein T-Shirt gekauft, auf dem steht 'I'm with the Band'."

"Das hast du nicht."

"Nein, aber du hast es fast geglaubt!"

Wir gingen um die Ecke in einem kleinen Café frühstücken. Nina war dort wohl keine Unbekannte. Sie stellte mich dem Besitzer und der Kellnerin vor und fast jeder Kunde grüßte sie beim Reinkommen.

"Ich nehme an, dein Kühlschrank ist öfter leer, hm?"

"Kann schon sein. … Erzähl mir von deinen Kindern. Die hab ich irgendwie total verdrängt."

"Hm, also Josh ist, wie du weißt, zwölf. Er ist fast so groß wie du, würde ich sagen … er ist in der ersten Klasse Middle School und hält sich jetzt für einen von den Großen. Eigentlich ist er der typisch amerikanische Junge, verrückt nach Baseball, keine Ahnung, wo er das her hat. Sein Berufswunsch hat sich schon seit einem halben Jahr nicht mehr geändert. Musikvideoregisseur."

"Cool."

"Ja, Josh ist echt ein guter Junge. Irgendwas haben Nikki und ich wohl doch richtig gemacht. … Josh ist übrigens nicht mein biologischer Sohn. Aber seit seinem ersten Geburtstag ist er mein Sohn … und Gwen … sie ist am 03.03.03 geboren, zuckersüß, wenn auch gerade etwas schwierig. … Ich hab mich lange alleine um sie gekümmert, deshalb haben wir eine recht feste Bindung …"

"Du bist ein richtiger Papa, wenn du von deinen Kindern schwärmst."

"Ich bin durchaus stolz auf sie, das stimmt."

"Mit ihnen hast du eine Beziehung fürs Leben."

"Ja, ein beruhigender Gedanke."

"Kann aber auch Angst machen …"

"Über die Phase bin ich hinaus. … Was ist mit dir? Willst du irgendwann mal Kinder?"

"Keine Ahnung, … momentan kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich hab noch so viel vor…"

"Was denn zum Beispiel?"

"Reisen, Spaß haben, die Welt retten, das Übliche halt. … Ich war noch nie auf einem anderen Kontinent."

"Du kannst mich gerne mal besuchen und herausfinden, wie viele von deinen Ami-Klischees tatsächlich zutreffen."

"Vielleicht komm ich darauf zurück."

"Gut."

Danach schlenderten wir Händchen haltend zur U-Bahn. Sie fuhr mit mir bis zum Hauptbahnhof, von da aus musste ich das Hotel selbst finden. Das war kein Problem, so ziemlich jeder sprach englisch.

Die Anderen waren auch schon da. Mickey und Steffi hingen aneinander. Tobey fragte mich, ob ich eine gute Nacht gehabt hatte. Als ich erzählte, dass ich Nina angeboten hatte, mich mal besuchen zu kommen, war er recht erstaunt darüber.

"Also Silvie ist ja nett, aber so nett auch wieder nicht. … Hat's dich so erwischt?"

"Ach Quatsch … ich hab nur gesagt, dass sie mich besuchen kann, jetzt mach da mal keine große Nummer draus. Was ist mit Tom?"

"Ach, ich glaube er hat schon genug von seiner Deutschen, oder sie von ihm, wer weiß …"

"Und Mickey und Steffi?"

"Keine Ahnung, da misch ich mich nicht ein. Er wird schon wissen, was er tut. Anscheinend zieht er jetzt doch nicht mit Cecilia zusammen. Soll mir recht sein, dann muss ich mich nicht nach einem neuen Mitbewohner umschauen."

"Also hat er die Freundin doch noch? Das ist ja höchst interessant …"

"Tja, unser Moralapostel …"

Um halb Fünf machte ich mich mit S-Bahn und U-Bahn auf den Weg zur Universität. Nina stand mit ein paar Leuten schon am Haupteingang.

"Hey."

"Ah, Jordan, das sind Kommilitonen von mir. Wir hatten gerade eine Vorlesung über die Rolle der USA als Weltpolizei außerhalb der Vereinten Nationen."

"Oh je, dann komm ich ja gerade richtig."

"Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?"

"Ehm, … ich bin halb Italiener … ?"

"Ach echt? Das wusste ich nicht, aber deshalb Bonanno, macht Sinn."

"Rettet mich das?"

"Vorerst."

Sie verabschiedete sich auf deutsch, aber mit einem 'ciao' am Ende. Später meinte sie, dass man das auch in Deutschland sagte. Wir fuhren in die Fußgängerzone, wo sie mich begeistert durch ein überfülltes Bekleidungsgeschäft namens H&M zerrte. Zugegeben, die Sachen waren nicht übel, aber es war einfach viel zu voll, um wirklich was zu finden. Alleine bei den Umkleidekabinen hätte man eine viertel Stunde anstehen müssen, um reinzukommen. Und dann traf es mich wie ein Blitz. Ich zog Nina um die Ecke.

"Hoi, nicht so stürmisch. Was ist denn los?"

Ich spähte um die Ecke. Xander stand bei der Treppe. Keine Chance, dass wir an ihm vorbei kämen, ohne dass er uns sah. Und er war nicht alleine. Da war ein Kerl bei ihm. Groß, gut gebaut, modisch gekleidet. Sie durchforsteten gerade einen Stapel Shirts. Wie zufällig berührten sich ihre Hände dabei. Oh mein Gott, was Andy dazu wohl sagte?

"Hallo? Sagst du mir jetzt mal was los ist?"

"Siehst du die beiden Typen an der Treppe?"

"Ja, der Eine kommt mir bekannt vor. Ich glaub, den hab ich an der Uni schon öfter gesehen."

"Was? Nein, du verwechselst ihn."

"Nein nein, ich kenn die Tasche."

Ich schaute auch wieder um die Ecke.

"Du meinst den Größeren, oder?"

"Ja."

"Der Andere ist Xander."

"Was?! Was macht der denn hier?"

"Keine Ahnung. Letzte Woche hat seine Band auch am Gardasee gespielt. Die O-Scars, weißt du noch?"

"Noch ein schwuler Rockmusiker, hier muss irgendwo ein Nest sein. … Also bleiben wir jetzt hier in der Ecke stehen, bis sie uns entdecken, oder gehen wir erhobenen Hauptes an ihnen vorbei?"

"Hier bleiben und das Beste hoffen …"

"Weichei."

Sie ging geradewegs auf die beiden zu. Ich versuchte sie zurückzuhalten, aber das wäre zu auffällig gewesen.

"Hey, …"

Sie redete mal wieder deutsch. Der Kerl schien erst verwirrt, dann lächelte er und kramte in seiner Tasche rum. Während er ihr etwas aufschrieb, sprach Nina Xander auf Deutsch an. Der Typ meinte beiläufig auf Englisch:

"Oh, sorry, das ist ein Freund von mir aus Amerika, Xander."

"Oh, hallo. Ich bin Nina. Sorry dass ich euch störe. Ich brauch bloß unbedingt den Titel von diesem Buch."

"Kein Problem."

"Hey, wenn dir die Shirts gefallen, dann solltest du die an der Wand da hinten unbedingt gleich mal anschauen."

Der Kerl gab ihr einen Zettel.

"Danke. Also, geht gleich mal da lang. Ganz an der Wand hängen die."

"Okay, mal schauen."

Sie gingen in die Richtung, in die Nina gezeigt hatte und ich wollte Richtung Treppe verschwinden. Leider drehte Xander sich noch mal um. Unsere Blicke trafen sich. Ich hatte keine Wahl. Ich tat, als hätte ich ihn gerade erst entdeckt.

"Oh, Xander! Was machst du denn hier in München?"

"Wir haben gestern hier gespielt …"

"Oh, wir spielen heute. So ein Zufall. Naja, dann noch viel Spaß beim Shoppen …"

Ich drehte mich Richtung Treppe um.

"Warte Jordan."

Ich blieb betont höflich und im Small Talk Tonfall.

"Ja?"

"Wird es jetzt immer so seltsam zwischen uns sein?"

"Seltsam? Nein? Ich muss nur echt langsam los …"

"Es tut mir leid, was mit Vince war …"

"Was?! Woher … woher zum Teufel weiß du davon?!"

Meine Fassade war von einer Sekunde auf die andere abgebröckelt. Komplett.

"Von Scott. Wir hatten ein paar Probleme mit dem neuen Management und ich hab ihn um Rat gebeten. Jordan, wie geht es dir? Können wir nicht wenigstens einigermaßen in Kontakt bleiben?"

"Nein, das ist keine gute Idee. Ich muss jetzt echt los …"

"Ich vermisse Gwen."

"Sie erinnert sich vermutlich nicht mal mehr an dich, also …"

Nina stieß mich in die Rippen. Ich funkelte sie böse an.

"Was erwartet ihr denn von mir? Ich lass mich doch nicht erst wegen einer Tussi abservieren und dann mach ich einen auf Friede Freude Eierkuchen!"

"So war das nicht, lass mich das erklären."

"Spar es dir, okay Xander? Lass mich einfach in Ruhe."

Als ich meinen Satz beendet hatte, war ich die Treppen schon halb unten. Draußen holte mich Nina wieder ein.

"Wow, er hat dir viel bedeutet, hm?"

"Vergangenheit. Können wir hier bitte weg?"

"Klar. Hier lang."

Wir setzten uns in ein Straßencafé.

"Willst du drüber reden?"

"Nein, eigentlich nicht."

"Du warst ganz schön hart zu ihm …"

"Er hat mich verlassen, als ich im Krankenhaus lag, wegen einem Mädchen. Nachdem er bei mir gewohnt hat und das erste Wort meiner Tochter sein Name war."

"Tut mir leid. Ich sollte mich nicht einmischen. Es ist nur, ich hatte den Eindruck, dass du ihm durchaus noch wichtig bist und er wirklich wissen wollte, wie es dir geht. … Was war mit Vince?"

"Nicht jetzt, okay?"

"Okay. Also, teilen wir uns einen Eisbecher?"

"Schokolade."

"Sollst du bekommen."

Nachdem wir uns bei Nina umgezogen hatten, fuhren wir mit dem Auto zur Konzerthalle, die Mädels standen neben der Bühne. Und da stand auch Xander, ein Stück abseits. Er schaute mich traurig an. Ich konzentrierte mich auf die Show. Als ich das nächste Mal nach ihm sah, war er weg. Was hatte er hier gewollt?

Als ich mit der aufgeregten Nina im Auto saß, die begeistert war von den Songs, der Musik, dem Publikum, konnte ich an nichts anderes denken, als daran, was Xander wohl dort gemacht hatte.

"Alles okay?"

"Ich bin ein bisschen fertig, das ist alles."

"Oh, klar, kann ich nachvollziehen. Aber du warst echt klasse."

Das sagte sie jetzt ungefähr schon zum fünften Mal …

Zu Hause duschte ich und legte mich gleich ins Bett. Sie versuchte erst gar nicht, mit mir zu schlafen. Nach ein paar Stunden wachte ich wieder auf. Ich hatte von Xander geträumt. Ich stand auf, nahm mein Laptop und ging in die Küche. Ich las, was ich damals geschrieben hatte, bald liefen mir Tränen über die Wangen.

"Vielleicht wenn du sie siehst. Ich bin so froh, dass ich endlich wieder mit dir reden kann, Jordan."

"Wie lange?"

"Heute ist der vierte Juni. Du bist seit 28. April hier. Etwas über fünf Wochen. Ich hab dich so vermisst, Jordan. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr. … Tut mir leid, ich bin für dich momentan ein Fremder, ich weiß …"

"Wenn ich dich ansehe, hab ich Schmetterlinge im Bauch."

Er lachte und weinte, alles gleichzeitig. Ich schaffte es, ihn zu mir runter zu ziehen und spürte seine heißen Tränen über meinen Hals laufen. Ich hatte jemanden, der mich von ganzem Herzen liebte. Egal ob Mann oder Frau, das war ein schönes Gefühl. Ich spürte seine Beine neben meinen. Sein Atem wurde immer langsamer. Er war eingeschlafen.'

"Jordan? Was machst du denn auf? Weinst du? Was ist denn los?"

Nina setzte sich auf mich und nahm mich in den Arm.

"Darf ich das lesen?"

Ich nickte und sie ließ ihre Augen über die Zeilen wandern.

"Hast du das geschrieben? Das ist wunderschön."

Sie legte ihre Arme wieder um mich und hielt mich fest.

"Ich hab ihn so sehr geliebt. Und er mich auch. Wie konnte er mich bloß verlassen? Das gibt doch keinen Sinn! Und warum war er heute Abend da? Warum läuft er mir jetzt immer über den Weg?"

"Ich glaube du hast zwei Möglichkeiten. Entweder rufst du ihn jetzt sofort an und fragst ihn das alles, oder du schließt endlich damit ab und kommst mit ins Bett."

"Du hast recht. Ich räume nur noch schnell das hier alles weg, dann komm ich …"

"Bis gleich …"

"Morgen."

"Morgen."

"Konntest du wieder einschlafen?"

"So einigermaßen …"

"Was war das gestern? Wann hast du das geschrieben?"

"Im Krankenhaus. Seitdem kann ich irgendwie nicht mehr aufhören, alles aufzuschreiben …"

"Hast du auch was über mich geschrieben?"

"Vielleicht …"

"Kann ich es lesen? Alles?"

"Ich weiß nicht, … das ist quasi mein ganzes Leben seit dem letzten High School-Jahr …"

"Bitte bitte! Komm schon …"

"Okay, ich schick es dir per E-Mail …"

"Danke. Du musst bald los, hm?"

"Ja, sogar ziemlich bald …"

"Ich hatte eine schöne Zeit …"

"Ich auch. Ich hoffe, dass wir uns wiedersehen …"

"Ich melde mich bald."

"Okay …"

Ein Wagen holte mich ab und fuhr mich zum Flughafen. Am Abend bekam ich schon eine SMS, dass sie es wohl nicht schaffen würde, noch auf ein Europa-Konzert zu kommen, aber dass sie mich im Sommer besuchen kommen würde, wenn sie dürfe.

Zwei Tage später kam Nikki mit den Kindern. Die beiden schliefen bei mir und waren kaum von mir wegzubekommen. Ich war wirklich glücklich, in den zwei Wochen. Josh erzählte mir von der Schule, von Mädchenproblemen, von allem. Gwen zupfte mit Begeisterung die Saiten meiner Gitarre an, ganz vorsichtig. Ich schmiedete schon große Pläne für sie.

Natürlich mussten sie nach zwei Wochen wieder zurück. Josh hatte schließlich Schule. Der Abschied war ganz schrecklich. Josh weinte sogar, was ihm total peinlich war. Erst nach der Show an dem Abend sackte ich ab. Ich war zwei Wochen lang nicht alleine gewesen. Diese Stille war nicht auszuhalten. Ich war kurz davor, die Minibar zu plündern, als ich doch eine bessere Idee hatte. In Shorts schlich ich über den Hotelflur zu Tobey's Zimmer und klopfte. Tatsächlich machte er auf und sagte gleich, dass er gerade dabei sei, die Minibar zu plündern.

"Willst du Gesellschaft dabei?"

"Du vermisst die Bälger, was?"

"Es ist so still, da drüben …"

"Komm rein. Wodka oder Gin?"

"Muss ich mich entscheiden, oder kann ich es auch einfach Martini nennen?"

"Das ist die richtige Einstellung!"

Ich schmiss mich auf's Bett.

"Was ist der Anlass?" fragte ich.

"Brauch ich einen? Na schön. Streit mit Mickey, irgendwie … eigentlich nicht. Kompliziert und saudämlich. Fang."

"Danke."

"Bist du zum Knutschen hier?"

"Wie viel hast du denn schon getrunken?"

"Ich will knutschen."

Er ließ sich neben mich fallen.

"Jordan?"

"Hm?"

"Du knutschst einfach viel zu gut. Ich hab sogar davon geträumt … und das lässt mich echt an meiner Sexualität zweifeln."

"Willst du mehr als Knutschen?"

"Nein, natürlich nicht!"

"Dann hast du keinen Grund zu zweifeln."

"Ich mag dich. Du bist echt ein guter Kerl."

"Und du bist echt ziemlich betrunken."

"Ich weiß. … Bleibst du heute Nacht trotzdem hier?"

"Auf jeden Fall. Du trinkst jetzt noch einen Schluck Wasser und dann wird geschlafen."

"Ist wohl das Beste …"

Er kramte nach einer Flasche neben dem Bett und trank sie leer. Aber Wasser war das nicht.

"Aaaaah. Das tut gut!"

Bald darauf waren wir eingeschlafen.

Am nächsten Abend klopfte ich in der nächsten Stadt wieder an seiner Tür. Er kritzelte auf einem Notenblatt rum, während ich Musik hörte. Sachen, die man alleine genauso gut hätte machen können, aber zusammen war man dabei nicht so einsam.

Am Abend vor dem langen Flug nach Kyoto, zwei Wochen später, lag ich, wie jeden Abend, auf seinem Bett. Vierzehn mal war ich neben ihm eingeschlafen und neben ihm aufgewacht, hatte ihn geküsst, mit ihm im Bett gefrühstückt, den Tag mit ihm begonnen und ihn mit ihm abgeschlossen.

"Warum buchen wir eigentlich zwei Zimmer? Ich war noch nicht mal in meinem."

"Was ist, wenn ich mal ein Mädchen abschleppe? Soll durchaus vorkommen …"

"So? Naja, das Risiko würde ich eingehen", grinste ich.

"Haha, dann eben, wenn du jemanden mitbringst. Es gab eine Zeit, da bist du nie allein zurück ins Hotel gekommen."

"Jetzt hab ich ja dich."

"Aber was hab ich Durchschnitts-Hetero dir schon zu bieten?"

"Hm, auch wahr …"

Er widmete sich wieder seinem Laptop, an den ein kleines Keyboard angeschlossen war.

Nach einer Weile bemerkte er meinen Blick ins Leere und fragte mich:

"Worüber denkst du nach?"

"Ich versuche bloß, etwas zu verstehen …"

"Was denn, vielleicht kann ich dir helfen?"

"Warum machen alle so eine große Sache daraus, dass ich auch mit Männern schlafe?"

"Keine Ahnung, echt nicht."

"Aber für dich ist es doch auch eine große Sache."

"Nein, überhaupt nicht, wirklich."

"Aber deine eigene Heterosexualität betonst du ständig."

"Das ist nur … ich bin eben nicht wie du."

"Sei doch mal ehrlich. Mickey hat ein Problem damit und du bist auch froh, dass du 'normal' bist."

Er löste sich vom Bildschirm.

"Kannst du das nicht nachvollziehen?"

"Erklär es mir."

"Es macht einem eben Angst. Die Vorstellung, was du mit dir machen lässt …"

"Ehm, du musst glaub ich präziser werden …"

"Naja, also irgendwie geht es da um Geschlechterrollen. Beim Sex hat der Mann die Kontrolle. Natürlich kann er sie zwischendurch an die Frau abgeben, aber eigentlich hat er sie. Er ist der der gibt. Und wenn jetzt zwei Männer miteinander schlafen …"

"Es geht dabei echt darum? Um die sexuellen Praktiken? Darum, dass ich mich in den Arsch ficken lasse?"

"Man Jordan, musst du so explizit werden?"

"Krass, dazu fällt mir echt nichts mehr ein. Es ist doch nur Sex!"

"Es ist ziemlich symbolisch. Du unterwirfst dich damit, nimmst die Rolle der Frau ein …"

"Wir sind doch keine Tiere! Denken wir echt noch in solchen Kategorien?"

"Werd nicht wütend. Du hast gefragt und ich hab dir ehrlich geantwortet."

"Also geht es um Macht? Um Männlichkeit? Bin ich nicht männlich genug?"

"Doch, klar! … Ich weiß auch nicht. Das kommt ja auch nicht aus dem Kopf, sondern … keine Ahnung, daran denke ich eben, wenn ich an Schwule denke. … Ich kann ja auch verstehen, dass man sich der Person, die man liebt, hingeben will. … Ich sehe, dass du sauer bist, es tut mir leid."

"Ich bin auf jeden Fall männlich genug, um zu dem zu stehen, was ich tue und andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Und ich richte keine Pistole auf Unbewaffnete, weil ich nicht ertragen kann, was sie tun!"

"Jordan …"

"Was sagt es über jemanden aus, dass er so viel Angst vor dem hat, was ich im Bett mache, dass er mich deshalb sogar töten will?"

Das traf einfach immer noch einen Nerv. Die tief sitzende Angst, dass die Leute vielleicht insgeheim doch genau so dachten, wie mein Großvater.

"Komm her. … Ich weiß, das war die kranke Tat eines kranken Bastards. Aber du hast gewonnen. Er hat es nicht geschafft, dich klein zu bekommen."

"Sicher? Seitdem bin ich nicht mehr ich, Tobey. Ich weiß, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Ich hab es hautnah erlebt. Alles was ich will, ist ein geregeltes Leben. Aber Xander hat mich verlassen, Vince hat mich verlassen. Ich hab mit wildfremden Kerlen geschlafen. Bei Frauen ist es anders, da fühlt man sich danach nicht so benutzt. Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe. Ich weiß nur, dass ich mich noch nie im Leben kleiner gefühlt habe. Dabei will ich doch nur jemanden, den ich lieben kann und der mir Sicherheit gibt und der mich nicht nach ein paar Monaten verlässt …"

"Das wollen wir doch alle. Aber die Suche dauert eine Weile. Und währenddessen vertreibt man sich die Zeit eben mit Anderen …"

"Vince hat immer auf mich aufgepasst. In schwierigen Momenten hab ich immer gedacht 'Was täte Vince?' 'Was würde Vince mir raten?' 'Wie würde sich Vince entscheiden?'. Und Xander … verdammt, ich hab ihn so sehr geliebt und so auf ihn vertraut! … Wie soll ich denn nach solchen Verlusten jemals wieder den Mut aufbringen, mich zu verlieben?"

"Keine Ahnung, aber wenn du nicht alleine und verbittert enden willst, dann musst du es wohl versuchen …"

"Was, wenn ich mich in dich verliebe?"

Ich spürte richtig, wie ihm jede einzelne Körperstelle bewusst wurde, an der ich ihn berührte. Er setzte sich auf.

"Hast du dich in mich verliebt?"

Ich konnte nicht anders, ich musste ehrlich sein.

"Ein paar mehr Nächte wie die hier und es gibt keine Rettung mehr."

"Aber wir haben doch gar nicht …"

"Nein, wir haben nichts getan, als uns zu umarmen und manchmal zu küssen. Es geht eben nicht um Sex …"

"Es geht bei solchen Dingen doch immer um Sex. Und ich kann mit dir keinen Sex haben."

"Ich weiß. Das sagst du mir oft genug."

"Jordan … meinst du nicht, dass du dir einfach nur unbedingt jemanden wünscht, in den du dich verlieben kannst?"

"Es tut mir leid, ich hätte nicht davon anfangen sollen. Vergiss es einfach."

"Nein, das mach ich nicht. Ich lasse dich nicht allein vor dich hin brüten und darüber nachdenken, wie unglücklich du doch bist. Was wünscht du dir?"

"Ich wünsche mir, dass wir Zeit zusammen verbringen, dass alles so bleib wie es jetzt ist."

"Aber am Ende wirst du verletzt."

"Ich hab schon Schlimmeres überstanden …"

"Ja, das hast du. Aber ich will nicht daran Schuld sein, dass du unglücklich bist."

"Warum nicht?"

"Weil du mir dafür viel zu wichtig bist. In den letzten paar Wochen hab ich mich nie einsam gefühlt. Ich hab mich nicht betrunken, keine schlechten Songs in a-Moll geschrieben. … Eigentlich war es fast so, als hätte ich eine Beziehung. Nur ohne Sex."

"Und Sex können wir nicht haben, weil … ?"

"Weil ich nicht schwul bin."

"Komm her, ich zeig dir was."

"Was denn?"

Ich fing an, seinen Hals zu küssen.

"Gefällt dir das?"

"Ja …"

Meine Hände wanderten unter sein Shirt.

"Jordan … du überschreitest die Grenze …"

"Ich weiß. Du kannst jederzeit stopp sagen."

Er blieb vorerst stumm. Ich schob sein Shirt hoch und küsste seinen Bauch, wie ich es mir so oft in den letzten Wochen vorgestellt hatte.

"Das kitzelt …"

"Sorry."

Ich küsste am Bund seiner Hose entlang und merkte, wie er sich dabei verspannte, deshalb wanderte ich wieder höher und küsste ihn auf den Mund. Zwischendurch zog ich mein Shirt aus und legte mir seine Hände um die Taille. Er erkundete meinen Rücken. Ich bekam Gänsehaut.

"Ist dir kalt?"

Über diese naive Frage lächelte ich nur und fragte meinerseits:

"Darf ich dir dein Shirt ausziehen?"

"Okay …"

"Du bist wunderschön."

"Frauen machen nie solche Komplimente."

"Ist das zur Abwechslung nicht auch mal nett?"

Als Antwort küsste er mich. Ich streichelte seine Brust, seinen Bauch, seine hervorstehenden Hüftknochen, … danach küsste ich das alles zärtlich. Ich schob den Bund seiner Shorts nach unten, bis ich die ersten Haare sehen konnte. Dann wanderte ich wieder nach oben und spürte, dass er enttäuscht war.

"Willst du mehr?"

"Ja."

"Willst du, dass ich dir einen blase?"

"Ja."

Ganz langsam zog ich ihm die Unterhose aus. Tobey wand sich unter mir vor Vergnügen. Aber ich wollte schließlich auch meinen Spaß. Ich verließ Tobey, der mich gar nicht weglassen wollte, kurz und holte das Gel und die Gummis aus meinem Koffer. Tobey schien keine Einwände zu haben, also zog ich ihm das Kondom über und verteilte das Gel. Dann setzte ich mich über ihn und führte ihn in mich ein. Ich bewegte mich langsam auf und ab.

"Warte."

"Sagst du stopp?"

"Nein, ich sage warte. Ich will dir nahe sein, dabei. Ich will dir in die Augen schauen."

Er zog mich zu sich, küsste mich und streichelte mein Gesicht. Dann beugte er sich über mich und drang wieder ein.

"Mmmmh."

"Gefällt es dir so?" fragte er anzüglich.

"Oh ja."

Er wendete seinen Blick kein einziges Mal von mir ab. Immer wieder küsste er meine Stirn oder meine Nase. Er kam auch nicht einfach so, sondern wartete, bis ich kam. Danach blieb er noch eine Weile in mir und ich spürte, wie sein Herzschlag in seinem Schwanz pulsierte. Er küsste mich und sagte dann:

"Okay, ich schätze, wir können doch Sex haben."

Ich musste lachen.

"Woah, Vorsicht, ich bin doch noch …"

"Kannst du da für immer bleiben?"

"Ich sollte zumindest einen neuen Gummi benutzen …"

Dazu musste er leider kurz das Bett verlassen, aber dann war er sofort wieder da.

"Kannst du dich so auf mich setzen, dass ich dich umarmen kann?" fragte er.

"So?"

"Genau."

Keiner von uns kam noch mal, wir hielten uns nur fest und bewegten uns zusammen. Irgendwann legten wir uns hin, Tobey immer noch in mir, so schlief ich ein.

Am nächsten Morgen wachte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf, das dadurch verschlimmert wurde, dass Tobey nicht mehr neben mir lag. Es war schon fast Zehn. Tobey war nicht im Zimmer und nicht im Bad. Ich duschte erst mal. Um Zehn klingelte mein Handy. Es war Tobey.

"Hey, ich wollte dir noch ein bisschen Schlaf gönnen, du hast so friedlich ausgesehen. Aber jetzt musst du langsam aufstehen."

"Ich bin seit einer Weile wach."

"Oh nein, ich hätte doch noch einen Zettel schreiben sollen."

"Wo bist du?"

"Am Flughafen. Das Piano wird verladen, da wollte ich dabei sein. Du musst erst in einer halben Stunde los."

"Okay."

"Ich seh dich dann am Gate."

"Gut."

"Bis bald."

"Bis bald."

Ich war immer noch skeptisch. Hatte ich da nicht einen seltsamen Unterton vernommen? Hatte er das Piano vielleicht doch als Vorwand benutzt, um nicht neben mir aufwachen zu müssen? Natürlich würde jetzt alles in die Brüche gehen, so wie immer. Ich packte meine Sachen zusammen und ging nach unten, um da auf die Anderen zu warten. Ich war alleine deshalb schon angepisst, weil ich mich mal wieder in eine Situation gebracht hatte, wo ich verheimlichen musste, was ich empfand.

Tammy und Mel saßen schon unten.

"Morgen."

"Hallo Jordan. Du hast heute nicht in deinem Zimmer geschlafen."

"Was? Wie kommt ihr drauf?"

"Wir haben vorher bei dir geklopft. Weckservice."

"Ich war schon wach."

"Das geht uns überhaupt nichts an. Hauptsache du bist pünktlich."

Nach und nach trudelten Brian, Tom und schließlich Mickey ein.

"Na dann können wir ja los …"

"Was ist mit Tobey?", fragte Brian.

Mickey schnaubte verächtlich.

"Der ist schon los, um das Verladen seines geliebten Pianos zu überwachen."

"Ah für sein großes Solokonzert?"

"Ganz genau. Ich sag's euch, der startet jetzt dann eine Solokarriere, dann sind wir nur noch vier."

"Er ist echt gefragt, was man so hört. Also, ich würde ihm das durchaus gönnen …"

Ich fragte mich, warum alle so genau Bescheid wussten, nur ich nicht. Natürlich hatte ich was von einem Piano-Konzert mitbekommen, aber dass das so eine große Nummer war, hatte ich nicht gewusst.

Im Wagen wurde ich langsam nervös. Brian schaute besorgt zu mir rüber.

"Alles klar?"

"Jaja. Bloß der lange Flug …"

"Ach, wir sehen Filme und schlafen können wir auch. Das wird halb so schlimm."

Tobey saß mit ein paar Leuten aus dem Team schon am Gate. Ich setzte mich etwas abseits der Jungs und schrieb Nikki und den Kindern noch eine SMS, bevor ich das Handy ausmachte. Plötzlich stand er vor mir.

"Guten Morgen."

"Hey … guten Morgen …"

"Darf ich mich zu dir setzen?"

"Klar, natürlich. … Und, hat alles geklappt mit dem Verladen?"

"Ja, war kein Problem. Nur versichert wird es nicht. Ganz schöne Schweinerei. … Schreibst du den Kindern?"

"Ja, nur das Übliche. … Hör mal, fühl dich nicht verpflichtet …"

"Jordan, wir haben miteinander geschlafen. Natürlich fühle ich mich verpflichtet und das ist auch richtig so."

"Du fühlst dich bestimmt nicht wohl dabei …"

"Ich würde mich nicht wohl dabei fühlen, wenn wir den Jungs alles auf die Nase binden würden. Das hat aber nichts damit zu tun, dass du ein Kerl bist, sondern dass du in der Band bist und das alles bloß kompliziert macht."

"Das seh ich genauso. In unserem Fall ist Geheimhaltung okay."

"Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Jordan, ich würde nie was tun, das dich verletzt. Ich bin etwas verwirrt, wie du dir vorstellen kannst. Aber ich weiß, dass ich dich mag. Das ist doch was, oder?"

"Ja, allerdings."

"Und jetzt haben wir dann erst mal drei Tage frei, um uns an die Zeitzone zu gewöhnen und ein bisschen auszuspannen. Darauf freu ich mich. Ich hab mit Tammy geredet. Sie haben außerhalb von Kyoto ein Haus gemietet. Mit Garten und allem möglichen. Das wird bestimmt toll."

"Davon wusste ich überhaupt nichts. … Und dein Konzert, wann ist das?"

"In einer Woche. Ich werde nach unserem Konzert noch in Kyoto bleiben, ich verpasse zwei Shows, anders geht es nicht."

"Du meinst, ich kann nicht dabei sein?"

"Das ist eh besser so. Das würde mich nur nervös machen. Noch nervöser …"

"Ich bin sicher, dass du keinen Grund hast, nervös zu sein. Du hast so viel dafür gearbeitet …"

"Ich hab viel Energie gehabt in den letzten zwei Wochen, um an den Stücken zu feilen und das nur wegen dir."

"Was habt ihr denn zu besprechen?"

Mickey stand vor uns und schaute uns skeptisch an.

"Wir fragen uns gerade, ob wir uns das Geld für dein Ticket nicht sparen können, indem wir so eine Hundebox mieten", konterte Tobey.

Er zog wieder ab.

"Habt ihr immer noch Stress?"

"Nein, warum?"

"Alles klar …"

Wir redeten noch eine Weile über das Konzert und die 'Stücke' die er spielen würde, bis wir in die Maschine konnten.

Tobey ließ mich ans Fenster. Mickey schaute etwas grimmig, aber nahm dann eine Reihe weiter vorne Platz. Tobey packte sofort Decke und Kissen aus.

"Hier ist es verdammt kalt, oder?"

"Eigentlich nicht. Wirst du krank? Lass mal deine Stirn fühlen. … Normal, würde ich sagen."

"Das ist nur immer die kalte Luft von oben. Und ich bin übermüdet. Ich konnte nicht so gut einschlafen wie du. … Plötzlich warst du weggepennt."

"Ich weiß, es war einfach nur zu perfekt. Ich wünschte, ich würde jede Nacht so einschlafen …"

"Mal sehen, hm?"

"Das heißt, du könntest dir schon vorstellen, dass sich das wiederholt?"

"Ich hab es durchaus genossen …"

"Schön. … Sag mal, hast du wirklich vor, die Band zu verlassen?"

"Mickey, hm?"

"Er hat so was gesagt, ja."

"Deshalb hatten wir Streit. Du musst das verstehen. Ich bin Keyboarder in einer Rockband. Ich meine, ich stehe die meiste Zeit rum und mache Percussion oder so. Wenn das alles gut läuft, dann könnte ich meinem Kindheitstraum, Konzertpianist zu werden, erstaunlich nahe kommen. Bitte mach mir nicht du auch noch ein schlechtes Gewissen deswegen."

"Hab ich nicht vor. Ich versteh das. Aber ich würde dich vermissen …"

"So? Wie sehr denn?"

Ich fuhr mit der Hand unter seine Decke und zwischen seine Beine.

"Sehr."

"Pack deine Decke auch aus … dann können wir heimlich Händchen halten."

"Uuuuuh, wie aufregend."

"Jaaah."

Er schlief bald ein. Ich hörte Musik und hielt unter der Decke immer noch Tobey's Hand. Das hatte was.

Zum Mittagessen zwei Stunden später wachte er wieder auf. Er sah so knautschig aus, dass ich ihm am liebsten in die Wange gekniffen hätte, um ihn wach zu machen. Seine Brille war ganz auf seine Nasenspitze gerutscht und seine Haare waren elektrostatisch.

Nach dem Essen packte er seinen Laptop aus und spielte mir ein paar selbst aufgenommene Songs vor.

"Wir sollten mal einen Song für Piano und Summerskin schreiben." schlug ich vor.

"Ja, klar, gerne! Ich hab schon total viele Ideen. Live ist das natürlich schwierig, aber fürs Album wäre das echt toll. Und das wäre was, das wir zusammen machen könnten."

"Tobey?"

"Hm?"

"Du redest so, also … ach vergiss es."

"Sag schon. Bin ich zu anhänglich? Ich meine, bei Frauen kann man nicht anhänglich genug sein."

"Das ist schon okay. Es ist nur seltsam. … Ich meine, du weißt schon. … Ach egal, ich hätte nicht davon anfangen sollen. Zeig mir mehr Songs."

Nach einer Weile holte ich auch meinen Laptop raus und tippte, während Tobey an seiner Musik herumbastelte.

"Was tippst du da? Ist das das berüchtigte Buch, das du schreibst?"

"Ich wusste gar nicht, dass ich ein Buch schreibe."

"Brian hat davon erzählt. Sean hat auch was dazu geschrieben, richtig?"

"Schon eine Weile nicht mehr …"

"Es ist eine Art Biographie, oder?"

"Vielleicht könnte man es so nennen …"

"Das ist ja ein wahrer Schatz. Ich meine, ich weiß eigentlich so wenig von dir … und da steht alles drin!"

"Naja, nicht alles …"

"Ist es jetzt ein Tagebuch oder eine Biographie?"

"Keine Ahnung …"

"Dürfen andere es lesen?"

"Du meinst, ob du es lesen darfst?"

"Ja, zum Beispiel …"

"Es sind mittlerweile über 400 Seiten …"

"Steht da auch was über mich drin?"

"Natürlich."

"Dann darf es also nicht jeder lesen?"

"Nein, nur ausgewählte Leute. Du kannst es lesen, wenn du willst. … Irgendwann, wenn du Zeit hast."

"Ich hab einen Stick, kopierst du's mir?"

"Okay …"

"Danke Jordan, das weiß ich zu schätzen."

Die letzten paar Flugstunden schliefen wir beide. Als wir landeten, ging in Kyoto gerade die Sonne auf. Wir wurden in einem Kleinbus noch eine Stunde lang weiterkutschiert. Tobey machte sich Sorgen um sein Piano, weil er beim Umverladen in den Transporter nicht dabei sein konnte. Die Gegend wurde immer grüner und hügeliger, bis wir zu einer kleinen Stadt kamen. Am Rande dieser kleinen Stadt lag ein kleines Ferienhaus, wie aus dem japanischen Bilderbuch. Mit Schiebetüren und einem Zen-Garten, allen möglichen Pflanzen ums Haus, einem Gemüsebeet, von dem wir uns bedienen durften, einem Koi-Teich, einer Küche, in der man alle möglichen Zutaten fand. Alles war perfekt. Das Haus bestand eigentlich aus mehreren Häusern. Einem Wohnhaus und vier Schlafhäusern mit je zwei Schlafzimmern, alles ebenerdig und mit viel Holz. Tobey und ich würden also ein ganzes Schlafhaus für uns alleine haben, was auch gut so war, denn die Wände waren tatsächlich dünn wie Papier. Wir teilten uns ein Badezimmer, in dem wir erst mal Zähne putzten.

"Ähm, ich würde gern duschen …", sagte ich.

"Ich auch."

"Bist du schon bereit dazu, mit mir zu duschen?"

"Ich glaube ehrlich gesagt, nein …"

"Dann pack ich erst mal aus."

"Danke…"

"Kein Problem."

Als er nur mit einem Handtuch um die Hüften wieder heraus kam, war die Versuchung, über ihn herzufallen, groß.

"Ich sehe an deinem Blick, dass du leidest …"

"Sorry, ich wollte dich nicht so anstarren …"

"Nein, du wolltest mich viel lieber anfassen, richtig? Was, wenn ich aus Versehen mein Handtuch fallen ließe?"

"Quäl mich nicht so."

"Ach komm, so toll bin ich doch gar nicht …"

"Doch, bist du. Dein Körper ist wunderschön und wenn ich dich anschaue, muss ich an letzte … nein vorletzte Nacht denken."

"Hier gibt es keine Türschlösser …"

"Das hast du also schon abgecheckt, hm?"

"Kein Kommentar."

"Naja, ich geh jetzt erst mal duschen."

Es war durchaus reizvoll, Tobey zu umgarnen. Und er genoss es ebenfalls sichtlich, umgarnt zu werden …

Als ich aus der Dusche kam, war Tobey am Telefon. Sein Piano war unbeschadet im Konzertsaal angekommen.

"Okay, danke. … Ich muss jetzt Schluss machen. Danke noch mal für alles."

Er legte auf.

"Hallo Jordan."

"Hallo Tobey."

"Du siehst aus, als hättest du was vor."

"Ich hab auch was vor …"

"Was hast du denn vor?"

"Das …"

Ich zog ihn vom Bett hoch und küsste ihn. Dabei ließ ich mein Handtuch auf den Boden gleiten.

"Türschlösser, weißt du noch?"

"Glaubst du, dass jemand kommt? Die packen jetzt alle aus und schauen sich im Garten um."

"Vermutlich …"

"Darf ich?"

Ich zupfte an einer Ecke seines Handtuches.

"Frag nicht so viel um Erlaubnis. Wenn mir etwas zu viel wird, dann meld ich mich."

"Okay."

Wir standen nackt voreinander. Ich ließ mich auf die Knie sinken.

"Du weißt, dass du … mmmmh… genau so gut bläst, ooooh, wie du küsst, oder?"

"Setz dich. Und sag mir, wenn du kommst."

"Sollten wir über Krankheiten reden?"

Okay, ernstes Thema. Ich setzte mich doch erst mal neben ihn.

"Keine Sorge, ich bin immer sehr vorsichtig und lasse mich regelmäßig testen. Das letzte Mal unmittelbar vor der Tour. Alles negativ."

"Während der ersten paar Wochen der Tour warst du sehr … aktiv."

"Das stimmt, aber immer geschützt."

"Gut … ich hab Anfang der Jahres einen Test gemacht, auch alles negativ und ich war ebenfalls immer vorsichtig."

"Gut. Soll ich weiter machen?"

"Küss mich."

Ich merkte bald, dass er ein Problem damit hatte, sobald ich in der Horizontalen über ihm war.

"Wollen wir miteinander schlafen?", fragte er zu meinem Erstaunen.

"Alles Nötige ist vorne in meinem Koffer." antwortete ich überrascht.

"Okay. Bin gleich wieder da …"

Es klopfte. Tobey verschwand sofort im Bad, das die beiden Zimmer miteinander verband. Ich wickelte mir das Handtuch rum und schob die Tür auf.

"Hey Brian …"

"Oh, hallo. Hast du kein kleineres Handtuch gefunden? Ich wollte fragen, ob du Lust hast mitzukommen, alle fahren die Gegend erkunden. Ungefähr zwei Fahrstunden von hier ist ein toller Nationalpark."

"Woah nee, ich hab erst mal genug vom Autofahren, ich glaub ich bleib hier."

"Na gut, dann frag ich Tobey …"

"Der hat sich, glaub ich, hingelegt …"

"Ah, okay, na gut, dann einen schönen Tag."

"Danke, euch auch."

Als Brians Schritte nicht mehr zu hören waren, ging die Badezimmertür auf.

"Na, alles gehört?"

"Wir sollten vorsichtiger sein."

"Solange jeder klopft, ist es doch kein Problem."

"Und was wenn nicht?"

"Was schlägst du vor? Enthaltsamkeit?"

"Nein … keine Ahnung … ach fuck! … Ich werde genau so, wie ich nicht werden wollte …"

"Schwul?"

"Paranoid und geheimnistuerisch. Tut mir leid …"

"Jedes Mal, wenn ich denke 'so, jetzt kommt's, jetzt passiert das Gleiche, was immer geschieht und gleich ist er weg', dann fängst du dich und bist so … perfekt!"

"Jordan?"

"Hm?"

"Ich werde mich noch oft erst wieder fangen müssen …"

"Ich weiß. Ich hab auch mal so angefangen wie du …"

"Ich glaube, ich sollte dein Buch lesen …"

"Das ist kein Buch."

"Du weißt was ich meine …"

"Und was machen wir jetzt in den nächsten fünf Stunden, die wir sicher ungestört sind?"

"Lass uns raus gehen, den Garten anschauen, vielleicht was kochen oder so. … Bist du jetzt sehr enttäuscht?"

"Hey, du tust ja gerade so, als wollte ich nur deinen Körper! … Ich meine, natürlich will ich deinen Körper, aber … nicht nur, du weißt schon …"

"Okay … na dann zieh ich mir mal was an …"

"Und ich mir auch …"

Im Garten gab es viel zu entdecken, bis hin zu einem Gleichgewichtsparcour, den wir durchliefen. Tobey taumelte, also bot ich an:

"Gib mir deine Hand."

"Du lässt auch nichts unversucht, hm?"

"Bitte. Dann fällst du eben gleich in die Kieselsteine"

"Nein, gib mir deine Hand."

"Ich hab genug von dem Zen-Zeug, ich will Fische gucken."

"Aber danach holen wir uns frisches Gemüse und kochen was Leckeres!"

"Gut. Mit Soja-Soße und süß-scharfer Soße und allem was wir finden können."

Bei den Fischen wurde es Tobey bald viel zu langweilig, ich fand die riesigen Tiere echt faszinierend.

"Komm schon, ich hab Hunger."

Er nahm meine Hand und zog mich Richtung Beet.

"Wir halten Händchen", bemerkte ich.

"Ja, wir halten Händchen …"

"Können wir auch knutschen?"

"Wir können auch knutschen, komm her …"

Wir holten Kohl und Karotten und Bohnen aus dem Garten und fanden in der Küche noch Bambussprossen im Glas und verschiedene Gewürze. Das schmissen wir einfach in einen Wok und kochten Reis dazu. Zwischendurch sabotierte ich Tobey, wenn er umrühren wollte, indem ich ihn von hinten umarmte und seinen Nacken küsste und anknabberte. Der Reis wäre beinahe verkocht, weil wir so mit uns beschäftigt waren. Und das Beste war, dass das Essen wirklich schmeckte! Einfach so, ohne viel Aufwand, außer Gemüse schneiden.

"Lecker. Und jetzt?" fragte er.

"Bist du nicht satt geworden?"

"Ich will was Süßes."

"Ehm … ich hab noch ein Snickers vom Flughafen …"

"Jordan, bunkerst du etwa Süßigkeiten?"

"Ja, um dich zurück ins Zimmer zu locken!"

"Funktioniert."

Er schlief wieder mit mir. Danach setzten wir uns raus in die Sonne und er las was ich geschrieben hatte, während ich Musik hörte. Zwischendurch fragte er immer genauer nach irgendwas. Nach fünfzig Seiten machte er Pause.

"Und du warst davor echt total hetero?"

"Hundert Prozent. Ich hatte keine Ahnung, was noch kommen würde …"

"Und Sean, er hatte diese Freundin. Das muss ja so hart für dich gewesen sein …"

"Ja, war schon Scheiße."

"Kuss will!"

Und den bekam er. Dann las er wieder weiter.

"Hier, genau so ist es bei mir auch!"

'"Na gut, zum Beispiel: Bist du schwul?"

"Ob ich … ich weiß nicht. Ich finde dich toll. Auch körperlich. Ich hatte mit dir wirklich gute Nächte. Aber ich laufe nicht durch die Gegend und checke Typen aus oder so. Ich steh wirklich auf Frauen, weißt du?"'

"Also magst du meinen Körper?"

"Natürlich. Merkst du das nicht?"

"Du beschäftigst dich nicht wirklich viel mit meinem Körper, nur mit dem Essentiellen …"

"Dein Körper macht mir noch ein bisschen Angst …"

"Ich will dich auch nicht drängen, ich wollte es nur hören …"

"Zieh dich aus."

"Hier draußen?"

"Ich will dich bei Tageslicht sehen."

Ich ließ die Hüllen fallen.

"Du bist wirklich schön, Jordan."

Er schlich um mich, wie eine Raubkatze um ihre Beute. Dann legte er mir die Hände auf den Rücken und fing an, mich zu streicheln. Er drehte mich um und küsste meinen Hals, dann meine Brust. Er ließ die Finger über meine Narbe wandern.

"Leg dich hin …"

Ich legte mich ins weiche, kühle Gras. Er küsste meinen Bauch, meine Arme, meinen Hals. Dann zog er sich ebenfalls aus. Wir lagen aufeinander, so nah wir nur konnten.

"Ich mag deinen Körper, Jordan."

"Ich mag deinen auch. Schlaf mit mir."

"Wir haben keine Gummis hier draußen."

"Schlaf trotzdem mit mir."

"Sicher?"

"Ja."

Die Sonne schien, das Gras unter uns war so weich, es war einfach zu perfekt. Tobey küsste mich als er kam, so zärtlich und liebevoll, dass ich beinahe die drei Worte gesagt hätte. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten. Da bekam ich Panik. Ich sah meine Situation plötzlich von außen.

"Oh oh, was ist los? Du siehst aus, als würdest du am liebsten wegrennen …"

"Verdammt, das würde ich auch am liebsten. Ich hätte dir gerade fast gesagt, dass ich dich liebe!"

"Jordan, ich weiß nicht, was …"

"Lass mich aufstehen."

Er stellte sich hin und wollte mir aufhelfen. Wieso war ich plötzlich wütend? Ich ignorierte seine Hand, suchte meine Klamotten zusammen und ging zurück ins Haus, unter die Dusche.

Plötzlich stand Tobey hinter mir.

"Ich weiß was los ist. Du hast Angst. Das ist auch wirklich verständlich, nach allem, was dir passiert ist. Ich weiß nicht, wie das hier weiter geht, aber ich verspreche dir, dass du keine Angst haben musst, dass ich mich plötzlich verändere und dich weg stoße, okay?"

"Tut mir leid, … ich hab einfach nur Panik bekommen. Du bist mir so wichtig … und genau das wollte ich doch eigentlich vermeiden. Ich wollte es locker angehen. Ich meine, du bist ja nicht mal schwul. Es ist vorprogrammiert, dass ich auf die Schnauze falle."

"Keine Ahnung. Vielleicht. Aber nicht hier und nicht heute. Ich fand den Tag mit dir toll. Ich fand es schön, ganz normale Sachen mit dir zu teilen. Können wir nicht einfach so weitermachen und schauen was passiert?"

"Das sagst du so einfach …"

"Ich weiß. … Aber was kann ich machen?"

"Nichts, … du kannst es nicht ändern."

"Ich glaube, ich habe ein Auto gehört …"

"Dann holt uns jetzt wohl die Realität wieder ein, hm?"

"Danke für den Tag. Wirklich, wir sollten öfter zusammen kochen, … zu Hause."

"Und vielleicht wieder zusammen auf den Flohmarkt gehen …"

"Das wäre schön. Ich geh mich jetzt mal anziehen …"

Ich duschte zu Ende, zog mich an und ging in das zweite Schlafzimmer. Zu Hause war es jetzt kurz vor Acht abends. Ich telefonierte ein paar Minuten mit Josh, sagte kurz Hallo zu Gwen und besprach mit Nikki etwas Finanzielles. Es klopfte.

"Hör mal, ich regle das. Ich muss Schluss machen. Ja klar, bis dann. … Brian, hey. Na, wie war euer Ausflug?"

"Ehm … ich wollte eigentlich zu Tobey. Ich dachte …"

"Achso, ja, wir sind noch am überlegen, wer welches Zimmer nimmt …"

"Dein Gepäck steht ja gar nicht hier …"

"Weil wir noch überlegen, wer …"

"… welches Zimmer nimmt, schon klar. Also, der Ausflug war toll, die Gegend ist toll. Ihr habt was verpasst. Was habt ihr denn gemacht?"

"Ach, geerntet, gekocht, gefaulenzt …"

"Auch nicht schlecht. Na dann schau ich mal zu Tobey rüber."

Es wurde langsam Abend. Ich schaute mal ins Wohnhaus. Tammy stand in der Küche und suchte Dinge fürs Abendessen zusammen.

"Kann ich dir helfen?"

"Gern. Irgendwie kocht niemand, aber essen wollen alle. Der Kühlschrank ist voll."

"Ich weiß. Tobey und ich haben zu Mittag schon gekocht."

"Dann kennst du dich hier ja schon aus. Kannst du schon mal den Tisch decken? Wir sind zu acht."

"Wer ist denn außer euch beiden noch da?"

"Patrick. Du weißt schon, der kleine Blonde, der Fotos macht und Mediengestaltungszeug."

"Okay, wer auch immer …"

"Er ist seit vier Wochen immer dabei!"

"Äh sorry … keine Ahnung."

"Man, bist du eine Diva!"

"Ich hab nur kein gutes Menschengedächtnis …"

"Ich bin übrigens Tammy."

"Ja, du sagst mir immer, wo ich wann zu sein habe. Bist du meine Mama?"

"Haha! Aber schön zu sehen, dass du wieder der Alte bist …"

Ihr Tonfall war plötzlich sehr ernst, deshalb meinte ich:

"Ich hab mich noch nicht richtig entschuldigt, für den schlechten Tourbeginn, oder?"

"Schon okay. Du hattest eine schlechte Phase. Dir sei verziehen …"

"Aber wir waren mal so was wie Freunde und jetzt … ich weiß nicht mal, wann wir das letzte Mal geredet haben …"

"Du hattest viel zu tun. Erst mit diesen deutschen Mädels, dann waren deine Kinder da … und jetzt warst du zwei Wochen irgendwie auch ständig verschwunden. Was hast du die ganze Zeit gemacht?"

"Keine Ahnung … war meistens im Zimmer … hatte irgendwie nicht so wirklich Bock, auszugehen. Aber wir sollten mal zusammen das japanische Nachtleben auschecken!"

"Gerne! In Kyoto ist bestimmt am Freitag einiges geboten. Abgemacht?"

"Abgemacht."

"Also, was passiert bei dir so?"

"Keine Ahnung, … ich bin grad in einer Entspannungsphase, glaub ich. Ich verbring viel Zeit im Bett …"

"Alleine?"

"Hast du hier jemand anderen gesehen?", grinste ich.

"Wie läuft es mit deinem deutschem Mädchen?"

"Wir schreiben E-Mails. Sie kommt mich im August besuchen."

"Im September sind die Flüge billiger."

"Okay, ich schlag es ihr vor."

"Aber August und September werdet ihr viel unterwegs sein."

"Sie will auch die Staaten sehen, nicht bloß L.A."

"Ach so. Ich hab das hier vermisst, … du warst immer mein Zugang zur Band. Ohne dich fühl ich mich wie eine Bedienstete."

"Tut mir leid. Ich reiß mich zusammen."

"Komm her, Großer!"

Wir umarmten uns.

"Oh, lasst euch nicht stören."

Tobey schien das ernst zu meinen, er wollte gerade rückwärts wieder raus.

"Hey, willst du dich vorm Kochen drücken? Du bleibst schön hier. Pilze waschen", sagte ich schnell.

"Wunderbar …"

Ich musste ganz oft gegen den Impuls ankämpfen, Tobey einen Kuss in den Nacken zu geben, während er sich mit den Pilzen abmühte. Ich hackte das Zitronengras klein und spürte dabei deutlich seine Anspannung. Als Tammy wegging, um noch etwas aus dem Garten zu holen, drehten wir uns gleichzeitig zueinander um.

"Ich hab nichts mit Tammy."

"Okay, das geht mich aber echt nichts an."

"Wir sind Freunde. Mehr nicht."

"Sie ist hübsch."

"Stimmt."

"Ich war nur überrascht, das ist alles."

"Ich habe nichts mit Anderen"

"Geht mich nichts an. Wir sind ja nicht zusammen oder so."

"Aber ich will nichts mit Anderen haben."

"Und mir ist es egal."

"Hör uns reden und sag noch mal, dass wir nicht zusammen sind!"

"Ich weiß, … ich weiß, du hast recht. Ich weiß nicht, warum ich mich so verhalte …"

"Weil du mich magst?" mutmaßte ich.

"Ach sei still …"

"Du magst mich!"

"Psssst."

Ich flüsterte es ihm noch mal ins Ohr.

"Du magst mich."

"Ich mag dich."

"Küss mich."

"Hier?"

"Ja."

"Ich kann nicht. Aber ich mag dich."

"Ich mag dich auch."

Drei Sekunden später kam Tammy wieder herein.

"Ich glaube jetzt haben wir alles. … Wer deckt schon mal den Tisch?"

Nach dem Essen gingen ausnahmsweise mal nicht alle gleich ihre eigenen Wege. Wir saßen noch eine Weile zusammen und unterhielten uns. Jetzt wusste ich auch, welchen Patrick Tammy gemeint hatte. Ich hatte noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber gesehen hatte ich ihn schon. Er hatte bei einigen Konzerten auf der Bühne Fotos gemacht. Gerade unterhielt er sich mit Mel, ich unterhielt mich mit Tammy und die Jungs unterhielten sich miteinander.

"Wann hab ich es eigentlich verpasst, mich in die Band zu integrieren, Tammy?"

"Scott hat damals gesagt, du hast immer schon mehr bei ihm und der Crew rumgehangen, als bei den Jungs."

"Ja klar, als ich mit ihm zusammen war, aber das ist ja was anderes …"

"Du und Scott?"

"Oh … ehm … irgendwie dachte ich, du wüsstest das … ist lange her. Vergiss das einfach ganz schnell wieder."

"Okay, ich versuch's. Patrick ist übrigens schwul."

"Okay. Warum erzählst du mir das?"

"Er ist doch süß, oder?"

"Nicht mein Typ."

"Er kommt am Freitag mit."

"Tammy, was hast du vor?"

"Nichts, ich geb dir nur alle Infos. Das ist mein Job."

"Versuch ja nicht, mich zu verkuppeln. So was geht immer schief."

"Du hast doch nichts zu verlieren. Oder wird sonst dein deutsches Mädchen eifersüchtig?"

Nach einer Weile schlug Mel vor, dass wir uns noch raussetzen könnten, warm genug war es. Die Jungs blieben drinnen und ich fand mich mit den Mädels und Patrick im Garten wieder. Gefährlich nahe an der Stelle, wo Tobey und ich ein paar Stunden vorher … ich durfte jetzt gar nicht daran denken.

"Also, Jordan, du bist auch schwul, hab ich gehört?"

Er sagte das, als wäre es eine Art Religion.

"Ich hatte schon Beziehungen mit Männern, das stimmt."

"Warum hältst du das geheim?"

"Ich halte nichts geheim."

"Ich habe bisher noch nie etwas darüber gelesen."

"Ehm, ich renn damit jetzt nicht gerade zur Presse, das stimmt."

"Warum nicht? Du könntest dadurch vielen Leuten Mut machen."

"Ich glaube nicht, dass da wirklich jemand was drauf gibt."

"Da täuschst du dich. Du bist für viele ein Vorbild. Und Gerüchte gibt es eh schon viele. Vielleicht wäre es gut, wenn du mal reinen Tisch machen würdest."

"Ich habe Kinder, an die ich denken muss. Und ich habe zurzeit nicht mal einen Freund. Ich sehe also echt keinen Grund, warum ich das machen sollte."

"Dann versteck dich eben weiter, ihr seid doch alle gleich feige. Wenn ihr wüsstet, wie viele es von euch gibt …"

"Das mag ja sein, aber es gibt immer auch dieses eine Arschloch, das die Wahrheit über dich erfährt und dir daraufhin mit einer Knarre das Hirn raus pustet. So, ich werde jetzt mal zu den Jungs schauen."

Kommentarlos setzte ich mich zu ihnen an den Tisch.

"Alles okay?", fragte Brian leise.

"Natürlich. Muss was nicht okay sein, wenn ich mich zu meinen Bandkollegen geselle?"

"Nein, aber dein Blick sagt, das was nicht okay ist."

"Sehr scharfsinnig, Brian. Dieser Patrick ist ein Idiot."

"Was war denn?"

"Er hat mich gefragt, ob ich mich nicht outen will, um anderen Mut zu machen."

"Und was hast du gesagt?"

"Was denkst du wohl, was ich gesagt habe?"

"Er hat schon irgendwie recht, oder?"

"Dann oute du dich doch."

"Ich bin bloß der Drummer, mich kennt doch eh niemand. Und außerdem geht das nicht, wegen Sean's Dad, wie du sicher genauso gut weißt wie ich."

"Und ich hab Kinder, verdammt noch mal!"

"Ist ja gut, reg dich doch deshalb nicht so auf."

"Weißt du, was bei Josh in der Schule los war, als Gerüchte darüber aufkamen, warum mein Großvater das gemacht hat? Und mein Großvater, meinst du, er ist der einzige Irre da draußen, der so eine Nummer abzieht? Wenn ich der ganzen Welt mitteile, dass ich auf Kerle stehe, dann trau ich mich nicht mehr aus dem Haus. Ich meine, es ist schwer genug, den Leuten, die einem nahe stehen, davon zu erzählen."

"Okay, komm mal wieder runter."

"Was bildet der Kerl sich ein, mich feige zu nennen? Ich hab genug eingesteckt dafür, dass ich ehrlich war. Nicht nur mein Großvater! Schon in der Schule!"

"Ich weiß, Jordan, ich weiß. Da draußen laufen einige miese Menschen rum und niemand kann von dir erwarten, dass du dich denen auslieferst. Du hast recht, tut mir leid."

"Ich geh schlafen."

Tobey stand sofort auf.

"Ich komme mit."

"Schon okay, ich will jetzt einfach nur schlafen."

"Jordan, ich will nicht, dass du alleine bist …"

"Wer bist du? Sein Babysitter? Setz dich wieder, verdammt noch mal. Du hörst doch, dass er allein sein will." maulte Mickey.

Ich legte mich in das Bett im leeren Zimmer und schrieb noch eine Weile, bevor ich schläfrig wurde. Schließlich hatte ich durch den Flug eine Nacht Schlaf verpasst.

Mitten in der Nacht (oder zumindest kam es mir so vor), setzte sich Tobey zu mir.

"Jordan?"

"Hm?"

"Darf ich zu dir?"

Ich schlug die Decke für ihn zurück.

"Ich hab weiter gelesen und ich weiß, worüber du vorhin mit Brian geredet hast. Das was dir damals passiert ist, mit diesem Willie, … das tut mir so leid."

"Lange her."

"Ich will dich festhalten."

Ich kroch in seinen Arm. Er küsste mein Gesicht.

"Ich hab manchmal das Gefühl, dich überhaupt nicht zu kennen, wenn ich das alles lese. Ich würde dich am liebsten für immer im Arm halten und dich vor der Welt da draußen beschützen. Dabei müsste ich dich als erstes vor mir beschützen …"

"Was redest du denn da?"

"Ich werde dir das Herz brechen …"

"Warum?"

"Ich werde dich nie meinen Eltern vorstellen."

"Ist mir egal."

"Ich werde irgendwann eine Frau finden …"

"Vielleicht, vielleicht auch nicht."

"Ich werde die Band verlassen und in Asien bleiben."

"Was?!"

"Ich spiele schon länger mit dem Gedanken und jetzt hab ich ein tolles Angebot bekommen. … Ich könnte meinen Traum leben, die Leute hier stehen total auf diese Mischung aus Klassik und Modern, … in dem Maße gibt es bei uns dafür gar keinen Markt."

"Wie lange bleibst du noch bei uns?"

"Den Rest der Tour. Ich fliege nicht mit nach Hause."

"Seit wann weißt du das?"

"Definitiv erst seit ein paar Stunden, per E-Mail."

"Aber das ist zu weit weg."

"Ich weiß, … aber es ist mein großer Traum … Ich kann die Chance nicht verpassen …"

"Also war's das?"

"Wir haben noch ein paar Wochen … und dann werde ich auch nicht für immer hier bleiben."

"Ich will das nicht schon wieder durchmachen."

"Willst du bei mir bleiben?"

"Wenn es nur um mich ginge, dann würde ich bei dir bleiben, aber was ist mit der Band? Was ist mit meinen Kindern?"

"Soll ich es nicht machen? Wenn du mich darum bittest, dann …"

"Nein. Du musst das machen."

"Ich hab mich in dich verliebt, Jordan."

"Wirklich? So richtig?"

"Ich bin immer noch nicht schwul."

"Ich weiß."

"Aber ich bin in dich verliebt."

"Okay."

"Okay? Das ist für mich eine große Sache, weißt du? Da kannst du nicht einfach nur 'okay' sagen."

"Ich weiß. Ich bin nur einfach noch … geschockt."

"Weil ich in dich verliebt bin?"

"Weil du bald nicht mehr da bist."

"Jetzt bin ich noch da und ich will jede Sekunde mit dir genießen."

"Macht das alles nicht noch schlimmer?"

"Vielleicht, aber ich kann nicht anders."

Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass ich seinen Blick auf mir spürte.

"Was starrst du mich so an?"

"Ich will dich den ganzen Tag im Arm halten."

"Okay, dann dürfen wir das Zimmer eben nicht verlassen …"

"Warum nicht? Ich verlasse die Band sowieso. Warum müssen wir es noch geheim halten?"

"Was ist mit Mickey?"

"Jordan, es geht nur um uns beide. Und ich will, wie schon gesagt, die Zeit mit dir genießen und nicht ständig drüber nachdenken müssen, ob uns wer sehen könnte."

"Du wirkst so … verändert."

"Bald fängt für mich ein neues Leben an. Deshalb kann ich die Fesseln des alten Lebens jetzt abstreifen."

"Tobey, ich glaube du bist nicht ganz bei Sinnen …"

"Oh doch. Steh auf, lass uns raus gehen. Die Sonne scheint schon. Lass uns Fische anschauen."

"Ich dachte das ist langweilig?"

"Nicht wenn ich dich dabei im Arm halten kann!"

Die Anderen schliefen wohl noch alle, das Gras war noch feucht vom Tau. Wir schlenderten zum Koi-Teich. Tobey setzte sich auf einen Stein.

"Komm her."

Ich nahm zwischen seinen Schenkeln Platz und er legte seine Arme um mich.

"Ist dir kalt?"

"Nein, überhaupt nicht."

"Entspann dich, Jordan."

Er knetete meinen Nacken.

"Was wenn jemand kommt? Man muss hier vorbei, wenn man zum Frühstück will."

"Glaubst du ich hab nicht ernst gemeint, was ich vorhin gesagt habe? Mir ist egal, wer von uns weiß. Ich will nur bei dir sein und dich glücklich sehen. Was kann ich tun, damit du lächelst?"

"Frühstück wäre toll."

"Kommt sofort. Ist Lychee-Marmeladen-Sandwich genehm?"

Ich lächelte und er küsste mich, bevor er in die Küche verschwand und ich weiter dabei zuschaute, wie die Fische durch die Sonnenstrahlen schwebten.

"Morgen, was machst du denn schon auf?"

"Morgen Patrick. Ich beobachte die Fische."

"Spannend. Kommst du mit frühstücken?"

"Ich glaube, ich bekomme heute hier draußen Frühstück."

"Ich wollte noch sagen … ich hoffe, dass ich dir gestern nicht zu nahe getreten bin. Aber ich dachte, dass gerade du ein Interesse daran hast, zu zeigen, wer du bist und dass du dich nicht davon abbringen lässt, deine Liebe zu zeigen, nach allem, was passiert ist."

"Du suchst ein politisches Aushängeschild und das bin ich nun mal nicht."

"Ich glaube wir reden noch mal, wenn du wieder mit jemandem zusammen bist."

Wie auf Kommando kam Tobey mit zwei Sandwiches heraus.

"Das ist ja ein Service. Was muss ich tun, um auch so eines zu bekommen?", fragte Patrick grinsend.

"Mit mir schlafen." antwortete Tobey salopp und hielt mir den Teller hin. Er ließ sich wieder hinter mir nieder.

"Das ist ja interessant. Hm, ich hab gehört, du bist hier eine ziemliche Berühmtheit?"

"Ich arbeite dran."

"Wusstest du, dass es in Japan immer noch kein Antidiskriminierungsgesetz für uns gibt?"

"Uns?"

"Patrick ist so was wie ein Schwulenrechtaktivist."

"Oh, okay. Ich bin nicht schwul."

"Du bist ja eine noch schlimmere Klemmschwester als dein Freund."

"Eine was?"

"Patrick, geh frühstücken."

"Ich komme wieder."

"Eine was?"

"Ignorier ihn einfach."

"Ich wusste überhaupt nicht, dass er schwul ist. Wie kommt es, dass die Hälfte der Männer hier schwul sind?"

"Wir sind ansteckend."

"Haha. Also darüber hast du dich gestern so aufgeregt? Ich hatte den Anfang irgendwie verpasst."

"Ja. Solche Menschen tendieren dazu, mich zu nerven."

"Kennst du viele davon?"

"Ich war sogar mit einem zusammen."

"Ich bin wieder da. Was sagtest du gerade?"

Patrick machte eine große Geste und biss von seiner Banane ab.

"Kann es sein, dass du gerade viel tuntiger geworden bist, Patrick?"

"Ich fühle mich bei euch eben heimisch. Also, ich glaube, du hast gerade über mich gelästert."

"Ich habe Tobey gerade von meinem Ex-Freund erzählt, der, genau wie du, aus seiner Sexualität gerne ein politisches Thema gemacht hat."

"Wie heißt er denn? Vielleicht kenn ich ihn."

"Glaub ich nicht. Er lebt mittlerweile an der Ostküste. Vince Yadis."

"Verarsch mich! Natürlich kenn ich ihn. Und dass du mich mit ihm vergleichst, ist eine Ehre. Er hat doch diesen Fond ins Leben gerufen, für Jungs, die sich kein College mehr leisten können, nachdem ihre engstirnigen Eltern beschlossen haben, dass sie sich zwischen schwul sein und finanzieller Unterstützung entscheiden müssen. Sein Ehemann könnte bald der erste offen schwule Staatsanwalt von New York werden. Absolute Vorzeigeschwestern! Und du behauptest, mit ihm zusammen gewesen zu sein? Hingegen, die Neunziger waren eine wilde Zeit. Wer weiß … Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!"

"Bekomm deine Hände mal wieder in den Griff, bevor jemand ein Auge verliert."

"Du bist es! Du musst es sein. Du bist sein geheimnisvoller Lover, über den er nicht redet, weil er berühmt ist. Du bist auch aus Phoenix, richtig? Er erzählt oft von seinem Herz, das er in L.A. gelassen hat."

"Sag mal, wie gut kennst du Vince eigentlich?"

"Du weißt doch, wie das ist, unter Mädels. Wir tratschen eben gerne über verlorene Lieben."

"Wie lange brauche ich noch, bis ich zu Vince komme?", fragte Tobey.

"Seite 89."

"Du hast darüber geschrieben?"

"Du wirst nie was davon zu Gesicht bekommen."

"Da fällt mir ein, … L.A. 1998 und 99, richtig? Wenn ich in den richtigen Archiven suche, dann lassen sich bestimmt Fotos von Vince und seinem Herz ausgraben …"

"Dann lernst du meinen Anwalt kennen."

"Ist er süß?"

"Oh ja. Aber er kann auch ein ganz schönes Miststück sein."

"Oh, Jordan, kommt da die Schwester in dir durch? Das macht dich gleich viel anziehender. Ich weiß übrigens auch von Silvester …"

"Dafür, dass Vince nicht über mich spricht, weißt du ziemlich viel."

"Er hat noch nie deinen Namen verraten. Aber er spricht ständig von dir. Das mit dem Herz in L.A. ist nicht bloß eine Metapher. Großes Kino."

"Naja, wenn du so gut informiert bist, dann weißt du ja auch, dass er jetzt schon zwei Chancen hatte und beide Male das Herz auf den Boden geschmissen und drauf rum getrampelt hat."

"An dem Bild solltest du noch arbeiten. Aber offensichtlich bist du darüber hinweg, hm?"

Ich lehnte mich betont an Tobey.

"Ja, das kannst du ihm auch ruhig mitteilen."

"Oh Herzchen, ich sehe schon, … aber keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher."

Er beugte sich rüber und gab mir (in Tobey's Armen!!) ein Küsschen auf den Mund.

"Du gehörst zu uns. Ich mach dir das Leben nicht mehr schwer."

"Okay, danke, … glaub ich."

Und damit verschwand er.

"Was war das denn?"

"Das war eine Schwester."

"Ich bin so was von nicht schwul."

"Gemessen daran bin nicht mal ich schwul."

"Wie schwul ist Vince?"

"Du hast ihn doch kennengelernt. Das kommt immer drauf an, wer noch im Raum ist. Und wenn er mit jemandem wie Patrick redet, dann eben auf die Art."

"Hat dich das nicht gestört?"

"Er hat eben seine Rolle gespielt. Zu Hause war er nur er selbst. Damit konnte ich leben."

"Ich glaube, ich könnte damit nicht umgehen, … auch Xander, ich meine, er ist … war ein netter Kerl und ein guter Gitarrist, aber die Sache mit dem Schminken … als du zum ersten Mal mit ihm aufgetaucht bist, damals im Studio … ich war ehrlich gesagt geschockt."

"Oh mein Gott, daran hab ich überhaupt nicht mehr gedacht. Was hab ich mir dabei gedacht, dir das alles zu kopieren? Ich glaub ich brauch das noch mal zurück."

"Warum? Was soll ich denn nicht wissen? Mal sehen. Es geht also um Xander, hm? Ich hab von seiner Schminke gesprochen und vom ersten Mal, als ich ihn gesehen habe. Das war, als du uns Red Snow gezeigt hast. Greg hat damals gemutmaßt, dass …"

Ich versuchte, mein Pokerface zu behalten.

"… Jordan! Er hatte damals diese Schnitte. Greg meinte, dass du ihm die im Bett zugefügt hast. Xander hat behauptet, er sei das selbst gewesen. Geht es darum? Willst du deswegen nicht, dass ich das lese? … Sag was dazu!"

"Was soll ich denn sagen?"

"Du warst das tatsächlich? Stehst du etwa auf so nen Scheiß?"

"Nein! Überhaupt nicht. Das war ganz anders. Weißt du was? Am besten liest du es einfach. Seite 237."

"Weißt du alle Seitenzahlen auswendig?"

"Nur die wichtigsten. Unser erster Kuss ist auf Seite 420 ganz unten."

"Wie konntest du das machen? Wie konntest du jemanden, den du liebst, verletzen?"

"Hast du dich noch nie geschnitten?"

"Nein! Natürlich nicht!"

"Ich glaub, dann kann ich es dir auch nicht erklären. … Aber wichtig ist, dass du weißt, dass ich nichts getan habe, was er nicht wollte."

"Trotzdem, ich meine … wie krank das halt ist!"

"Warte ab, bist du gelesen hast, was ich geschrieben habe, ja?"

"Okay … 237, hm? Ich glaube ich geh es jetzt gleich lesen …"

"Was? Jetzt?"

"Ich bin gleich wieder da … aber das muss jetzt sein, okay?"

"Na schön …"

Während Tobey weg war, kam Tammy, holte sich Essen und setzte sich zu mir.

"Morgen."

"Morgen."

"Gut geschlafen?"

"Sehr gut, selbst?"

"Ging so. Hat Patrick dich heute noch mal genervt? Ich hatte keine Ahnung, dass er so … extrem ist."

"War schon okay, ich hab ihn gut abgeblockt, glaub ich."

"Und warum sitzen wir hier draußen?"

"Ist doch schön. Essen an der frischen Luft, Fische beobachten …"

"Manchmal bist du seltsam."

"Danke."

"Morgen Tobey."

"Morgen."

Er setzte sich zu uns. Wenn Tammy darüber irritiert war, überspielte sie es gut.

"Willst du nichts essen?", fragte sie Tobey fast mütterlich.

"Ich hab schon gegessen."

"Aso …"

"Ich muss euch allen heute was sagen."

"Oh nein, du verlässt jetzt wirklich die Band."

"Sieht so aus. Zumindest für eine Weile …"

"Wann willst du es den Anderen sagen?"

"Sobald ich sie mal auf einem Haufen erwische. Ich will es nicht jedem einzeln erklären müssen."

"Das juristische hast du ja schon geklärt, kann ich sonst noch was machen?"

"Eigentlich nicht. Außer meinen Rückflug stornieren."

"Du fliegst nicht mit zurück? Was ist mit deiner Wohnung und so?"

"Ich werde Mickey bitten, sich darum zu kümmern. Und meine Eltern."

"Klär das erst mit denen, bevor ich den Flug storniere."

"Okay."

"Noch was?"

"Könntest du mir eine Minute mit Jordan geben?"

"Klar."

Sie verzog sich in die Küche.

"Alles okay zwischen uns? Hast du es gelesen? Ich weiß, dass es ein Fehler war …"

"Ja, ich meine, ich versteh es immer noch nicht, aber … vergessen wir es einfach. Ich bin mit den Gedanken gerade eh ganz wo anders. Ich muss den Jungs heute sagen, dass ich hier bleibe. Das ist wie Schluss machen. Mickey wird so sauer sein …"

"Aber es muss sein. Besser du bringst es bald hinter dich."

"Ich brauch dich dabei."

"Ich bin bei dir. Und wenn Mickey das von uns beiden erfährt, dann relativiert das vielleicht auch die Schrecklichkeit der anderen Neuigkeit …"

"Ich benutze dich nicht als menschliches Schutzschild."

"Versteck dich ruhig ein bisschen hinter mir, dafür bin ich da."

"Lass uns rein gehen. … Die Jungs werden auch bald kommen."

Patrick und Tammy saßen am Tisch. Tobey setzte sich dazu und zog mich zu sich. Das ging, weil man am Boden saß. Tammy sah erstaunt aus, aber lächelte.

"Soso. Es gibt also mehr als eine große Neuigkeit zu verkünden."

Als erstes kamen Mel und Brian. Beide schauten irritiert. Brian sah irgendwie nicht gerade begeistert aus.

"Wie lange geht das schon?"

"Eine Weile …"

"Und wenn es vorbei ist, was ist dann mit der Band?"

"Können wir das in Ruhe besprechen? Reg dich erst mal ab, okay?"

"Mickey und Tom werden so was von … ich höre sie schon. 'Jetzt ist es offiziell. Summerskin besteht zu 60% aus Schwuchteln.'"

"So was würden sie nie sagen."

"Also ich hab dasselbe mit 40% gehört, als ich ihnen von Sean und mir erzählt habe."

"Gut, dann sind sie eben Idioten."

"Aber Idioten, mit denen wir leben müssen, Jordan."

"Was schlägst du also vor? Dürfen wir nur im stillen Kämmerchen Händchen halten?"

"Ich will nur nicht, dass ihr die Band auf's Spiel setzt, wegen etwas, das vermutlich nicht mehr ist, als eine spontane Affäre."

Tobey setzte sich aufrecht hin.

"Du hast nicht das Recht, über unsere Beziehung zu urteilen. Wenn wir sie für ernst genug halten, um euch davon wissen zu lassen, dann solltest du die Klappe halten und uns den Rücken decken, so wie ich es für dich und Sean gemacht habe."

Tobey war eine Spur zu ritterlich, fand ich. Gerade eben hatten wir nicht mal eine wirkliche Beziehung. Was bezweckte er damit?

"Das ist was anderes. Sean und ich sind seit eineinhalb Jahren zusammen und er ist nicht in der Band."

"Dafür ist er verheiratet und Jordans Ex-Freund. Das hätte auch schief gehen können."

"Das mit Jordan ist schon lange geklärt."

"Spart euch das doch alles, bis Tom und Mickey auch hier sind, ja?"

Zum Glück mussten wir nicht lange warten. Ich hatte mich inzwischen ein Stück zurückgezogen und überließ alles Weitere Tobey.

"Morgen. Ist was?"

"Es gibt Neuigkeiten."

"Was denn?"

"Setzt euch. … Ich hab ein wirklich tolles Angebot für eine eigene Konzerttour durch Japan und das Angebot auf einen Plattenvertrag."

"Nimmst du an?"

"Das hab ich schon."

"Dann war's das? Jetzt ist es soweit? Du lässt uns im Stich?"

"Mickey, ihr braucht mich doch überhaupt nicht und es ist ja auch nicht für immer. Erst mal ein Jahr oder so …"

"Du glaubst doch nicht, dass du danach einfach so zurückkommen kannst, oder? Das war's dann. Wenn du das jetzt echt durchziehst, dann gehörst du nicht mehr zu uns."

"Du bist wütend, das versteh ich …"

"Glaub nicht, dass ich deshalb nicht meine was ich sage. Und unsere Freundschaft ist dann Geschichte."

"Deswegen? Willst du mich verarschen? Ein guter Freund würde sich für mich freuen, statt mir alles zu versauen. Vor allem jemand, der mich seit der ersten Klasse kennt und weiß, dass das mein großer Traum ist."

"Ich dachte, Summerskin sei dein großer Traum."

"Das war dein großer Traum."

"Oh, klar. Jetzt komm mir nicht auf die Tour. Du wolltest in die Band und du hast in den letzten fünf Jahren jede Menge Spaß gehabt, von der Kohle will ich ja gar nicht reden."

"Und die Kontakte, die ich geknüpft habe, helfen mir jetzt, mich weiterzuentwickeln. Ich bin froh darüber, in der Band zu sein, aber jetzt brauch ich eine Pause, um diese Chance zu nutzen."

"Ich werde dich nicht aufhalten. Aber rechne nicht mit meiner Unterstützung. Wann bist du überhaupt weg?"

"Ich werde gleich hier bleiben, nach der Tour."

"Was ist mit der Wohnung?"

"Ich werde ein Jahr weg sein, mindestens …"

"Was ist mit deinen Sachen? Glaub bloß nicht, das ich mich dabei um irgendwas kümmere."

"Meine Eltern werden das schon machen."

"Gut, von mir aus. Mach doch, was du willst."

Er stand auf und ging Richtung Tür.

"Dann kann ich dir auch gleich noch sagen, dass ich schwul bin."

Mickey hielt kurz inne, ging dann aber einfach weiter.

Im Raum herrschte eisige Stille. Warum hatte Tobey das gesagt? Er lehnte sich an mich. Ich legte meinen Arm um ihn, auch wenn ich eigentlich etwas irritiert war. Tom stierte mich an.

"Missionierst du, Jordan?"

"Das ist doch Schwachsinn."

"Ja?"

"Ja."

"Tom! Wenn du ein Problem damit hast, dann lass es an mir aus."

"Warum sollte ich ein Problem damit haben? Ich meine, wenn ihr drei euch demnächst gemeinsam vor der Presse outet, dann ist es mit der Band halt vorbei. Aber anscheinend geht eh jeder seine eigenen Wege. Also, alle sind glücklich und Summerskin ist tot."

"Du dramatisierst das Ganze. Niemand hat vor, sich vor der ganzen Welt zu outen. Und Tobey nimmt sich nur eine Pause. Wir machen zu viert weiter, bis er wieder zurück ist. Das ist doch echt keine so große Sache."

"Wie siehst du das, Brian?"

"Ich sehe für Summerskin dadurch eigentlich keine Gefahr, solange Mickey sich wieder einkriegt …"

"Ich verstehe, dass er sauer ist."

"Vielleicht brauchen wir alle erst mal ein wenig Abstand. Lasst uns beim Abendessen weiterreden, ja? Komm, Jordan."

Tobey stand auf und hielt mir seine Hand hin. Was war eigentlich los? Er lotste mich in unser Schlafhaus.

"Mickey ist so ein Idiot."

"Was sollte das denn?"

"Was?"

"Warum hast du gesagt, dass du schwul bist? Warum erzählst du Brian, dass unsere Beziehung ach so ernst ist?"

"Du wusstest doch, dass ich den Jungs das sagen wollte."

"Du wolltest dich nicht verstellen müssen, ja, aber warum hast du das nicht anders formuliert? Warum hast du sie angelogen?"

"Ich hab sie doch nicht angelogen!"

"Oh bitte, Tobey! Du bist nicht schwul!"

"Offensichtlich doch!"

"Ach komm schon, du hast noch nie meinen Schwanz angefasst, geschweige denn irgendwas damit angestellt!"

"Ich schlafe mit dir!"

"Du machst mit mir nur Sachen, die du genau so gut auch mit einer Frau machen könntest. Vermutlich stellst du dir dabei sogar eine vor!"

"Du weißt, dass das nicht stimmt! Ich empfinde was für dich!"

"Möglich, aber das ist schon das Nächste! Vor Brian behauptest du, dass wir eine ernsthafte Beziehung führen, was soll denn der Scheiß?!"

"Ich dachte, das ist was du willst?"

"Ja, mit jemanden, der wirklich auf mich steht und mich nicht nur braucht, um nicht so alleine zu sein, weil gerade kein Mädchen in Sicht ist."

"Das ist echt unfair, Jordan!"

"Ja, du sagst es. Ich kann wirklich damit leben, dass wir uns gegenseitig Gesellschaft leisten und so. Aber dass du plötzlich so eine Nummer bringst, … was bezweckst du denn damit? Denkst du, wenn du den Jungs so einen Hammer auftischst und nachher doch revidierst, dann finden sie es nicht mehr schlimm, dass du eine Pause machst?"

"Ich hab einfach nicht nachgedacht, okay? Ich hab einfach das gesagt, was mir als erstes einfiel …"

"Du bist nicht schwul und wir führen keine ernsthafte Beziehung!"

"Keine Ahnung, ich bin durcheinander, okay?"

"Okay …"

"Bitte, ich kann mich nicht auch noch mit dir streiten …"

"Ich weiß, tut mir leid …"

"Ich mag dich wirklich, Jordan und das bringt einiges durcheinander."

"Okay."

"Bitte lass uns nicht streiten …"

"Okay. Komm her, leg dich zu mir."

Er lag für eine halbe Stunde in meinem Arm und starrte Löcher in die Luft. Ich konnte nichts tun, als es ihm möglichst bequem zu machen. Dann meinte er plötzlich:

"Lass uns raus gehen. Warum verstecken wir uns hier drinnen?"

Wir setzten uns ins Gras.

"Du bist echt sauer, oder?", fragte er ängstlich.

"Ich versteh dich einfach nur nicht …"

"Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich mich selbst nicht verstehe? Ich hab das gesagt, was sich gut angefühlt hat. Jordan, du bist so besonders und ich verstehe mich so gut mit dir. Wir haben beide die Musik und … ich fühl mich zu dir hingezogen. Du faszinierst mich, weil du schon so viel erlebt hast und weil du immer ehrlich und geradeheraus bist. Du bist wie mein bester Freund, nur dass ich mich von dir angezogen fühle. Ich will dir ganz nah sein, dich beschützen, dich zum lächeln bringen, dafür sorgen, dass es dir gut geht. Und der Gedanke, dass ich dich bald für eine lange Zeit nicht sehe, ist ganz schrecklich."

"Ich weiß. Aber du wirst das tun, was du am liebsten tust. Du wirst gar nicht dazukommen, irgendwas oder irgendwen zu vermissen. Die Zeit wird schneller vergehen als dir lieb ist."

"Ich will aber abends mit dir ins Bett gehen und dir erzählen, wie toll mein Tag war und morgens soll dein Gesicht das erste sein, was ich sehe. Kitschig, ich weiß, aber das wünsch ich mir nun mal."

"Ach Tobey…"

"Schau mich nicht so mitleidig an."

"Aber du bist so niedlich. … Siehst du, genau das mein ich. Als ich das gerade gesagt habe, hast du dich sofort unwohl gefühlt. Du kannst damit nicht umgehen. Du schaffst es nicht, die konservative Rollenverteilung aufzugeben."

"Ach komm schon, das ist unfair. Ich gewöhne mich doch dran …"

"Das ist aber nichts, woran du dich gewöhnen müssen solltest. Du versuchst jemand zu sein, der du einfach nicht bist. Und ich verstehe nicht, warum."

"Für dich, Jordan! Was gibt's denn dabei nicht zu verstehen?!"

"Aber warum?"

"Weil du es verdienst. Ich hab gesehen, was seit April vor einem Jahr alles mit dir passiert ist und ich will das ganze Unglück irgendwie ausgleichen."

"Aber das ist doch nicht deine Aufgabe."

"Wessen Aufgabe ist es denn? Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich dir etwas Gutes tun will und es genießen? Ich will doch nur, dass du glücklich bist."

"Das ist doch seltsam. Da muss doch irgendwo ein Haken sein."

"Kein Haken, versprochen. Ich will nur, dass dir die nächsten paar Wochen im Gedächtnis bleiben, dass du dich geliebt fühlst und daraus Kraft schöpfen kannst."

"Tobey …"

"Ach sei still und küss mich."

Ich fiel förmlich über ihn her und wir kugelten uns im Gras.

"Ich will jetzt sofort mit dir schlafen. Ich bin so verrückt nach dir."

"Okay, lass uns rein gehen …"

"Wow, das bleibt mir sicher in Erinnerung", grinste ich.

"Jetzt aber raus an die Sonne."

"Aber das bedeutet, dass du dir was anziehst. Das gefällt mir nicht."

"Deine Augen ändern je nach Licht ihre Farbe."

"Das hab ich schon öfter gehört."

"Das ist echt faszinierend."

Es klopfte.

"Moment!"

Tobey zog schnell eine Hose an und ging zur Tür, während ich die Decke hoch zog.

"Oh, hallo Patrick."

"Hallooo."

Er musterte Tobey.

"Zu schade, dass du Hetero bist."

"Was willst du, Patrick?", knurrte ich vom Bett aus.

"Ach Jordan, ich hatte dich gar nicht bemerkt. Ich wollte euch nur Bescheid sagen, dass wir in einer Stunde ein paar Fotos schießen. Der Garten bietet sich dafür ja an."

Ich wickelte die Decke um mich und stand auf.

"Du willst heute Bandfotos schießen? Hältst du das echt für eine gute Idee?"

"So viel Professionalität trau ich euch allen schon zu. Bis in einer Stunde dann. Vielleicht können wir ja auch ein paar oben-ohne-Aufnahmen machen."

"Mit der Narbe über meine Brust?"

"Ach Jordan, du kannst dich durchaus sehen lassen. Und wenn du drauf bestehst, kann ich die Narbe auch wegretuschieren, aber ich finde sie steht dir. Du solltest wieder zeigen was du hast. Du hast einen guten Körper, ich wette du trainierst viel. Alleine deine Oberarme. Wow."

"Okay, hallo? Ich bin auch noch da."

War Tobey etwa ein klein wenig eifersüchtig?

"Natürlich. Aber du siehst nicht aus als würdest du viel trainieren, aber Geschmäcker sind verschieden, nicht wahr?"

"Okay, war's das?"

"Wenn ihr mich nicht dazu bittet, dann war es das, ja."

Da platzte es aus Tobey heraus:

"Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Verschwinde, du Schwu…"

"Hey, kein Grund, unhöflich zu werden."

Tobey sah echt angeekelt aus. Patrick verzog sich, warf mir aber noch einen vorwurfsvollen Blick zu. Als er weg war, drehte sich Tobey zu mir um.

"Kannst du das glauben?"

"Nein, eigentlich nicht. Was hast du denn für ein Problem?"

"Die Tucke wollte einen Dreier!"

Ich raffte meine Klamotten zusammen.

"Was machst du?"

"Ich seh nach ihm."

"Was?!"

"Glaubst du, das alles prallt einfach so an ihm ab? Hast du nicht gesehen, dass ihn das verletzt hat?"

"Was interessiert mich das denn? Wenn er so eine Aktion bringt, dann ist er doch selbst Schuld."

"Bist du ein Arschloch! Ich bin wohl auch selbst schuld, dass auf mich geschossen wurde, weil ich einem Kerl einen geblasen habe, oder?"

"Das ist doch was anderes, … warte doch …"

"Finger weg!"

Ich fand Patrick am Fischteich sitzend. Er hatte die Arme um die Knie geschlungen und stierte ins Wasser.

"Hey …"

Sofort nahm er wieder eine Haltung ein, die sagte: "Ihr könnt mir alle gar nichts."

"Kommst du dich jetzt für deinen Freund entschuldigen?"

Das nahm mir ziemlich den Wind aus den Segeln.

"Ich … er meint es bestimmt nicht so. Er ist gerade recht durcheinander. Und du bist bestimmt Schlimmeres gewohnt …"

"Ja nun, … aus den eigenen Reihen tut es besonders weh. Du hättest mir nicht hinterher kommen sollen, das wird ihm nicht gefallen."

"Ich weiß. Wir hatten einen schlechten Start. Also lass uns einfach noch mal von vorne anfangen, ja?"

"Okay …"

"Hallo, ich bin Jordan und ich bin schwul."

"Patrick. Ebenfalls."

"Schön dich kennenzulernen. Ich hab gehört, du bist Fotograf und schießt heute Bilder von uns. Kann ich dir beim Aufbauen helfen?"

"Nun, ich könnte tatsächlich noch ein paar starke Hände gebrauchen …"

"Okay, ich spring kurz unter die Dusche, zieh was anderes an und bin in 10 Minuten wieder hier."

"Danke. Du bist echt in Ordnung, Jordan."

"Klopfst du mir jetzt gleich kumpelhaft auf den Rücken?"

"Ich bin durchaus auch dazu in der Lage, diese Rolle zu spielen, wenn ich muss."

"Sei einfach du selbst, ja?"

"Pass auf, was du dir wünschst. … Jetzt geh schon. Wir sehen uns dann bei diesem Kiesel-Zeug."

"Okay, bis nachher."

Tobey ignorierte mich, als ich ins Zimmer kam.

"Ich dusche nur kurz …"

Ich stand nackt neben dem Bett und er würdigte mich keines Blickes.

"Ich helfe Patrick beim Aufbau. … Nick wenigstens kurz oder so."

"Warum machst du das? Ist das so eine 'Wir Schwestern müssen zusammenhalten'-Nummer?"

"Red keinen Scheiß. Du warst zu hart zu ihm."

"Ich kann den Kerl einfach nicht ausstehen."

"Macht er dir Angst?"

"Komm mir nicht auf die Tour. Darum geht es nicht."

"Ich glaube doch. Wie auch immer, wir sehen uns beim Fotos schießen."

Patrick stand mitten im Zen-Garten und schauten sich versonnen um, bis er mich kommen sah.

"Hey, da bist du ja. Ist das Licht hier nicht fantastisch?"

"Öhm … keine Ahnung. Jedenfalls ist es ein schönes Fleckchen."

"Mit Tobey alles okay?"

"Ganz ehrlich? Nein. Ich kann nackt vor ihm rum springen und es interessiert ihn einfach nicht."

"Was erwartest du denn, wenn du was mit ner Hete anfängst?"

"Ich weiß auch nicht, … egal … also, wie kann ich dir helfen?"

Wir schleppten einige Aluminiumkoffer aus seinem Zimmer zur 'Location' und schraubten Stative zusammen.

"Das ging jetzt schneller als ich dachte. Stell dich mal da hin, dann kann ich gleich ein paar Einstellungen machen."

Ich fing an zu posieren, erst nur im Scherz, aber dann schoss Patrick ein paar echt gute Bilder von mir. Er deutete auf das kleine Kameradisplay.

"Das hier mag ich besonders. Dein Gesicht spiegelt total die Stimmung an diesem Ort wieder. Friedlich, nachdenklich, entspannt, frei. Du siehst wirklich gut aus."

"Das liegt am Fotografen. Da ist echt kein Bild dabei, auf dem ich dämlich schaue."

"Was ist jetzt mit deinem Shirt? Muss das an bleiben?"

"Ich hab echt ganz schöne Komplexe wegen der Narbe …"

"Jordan, du siehst gut aus. Die Narbe gehört zu dir. Und ganz ehrlich: Sie wird dafür sorgen, dass die Fotos in Magazinen landen, in denen sie sonst nie gelandet wären."

"Ich weiß nicht …"

"Lass mich dich noch mal ansehen."

Ich zog mein Shirt aus.

"Du musst dich wirklich nicht verstecken. Ich weiß nicht, wie ich das noch deutlicher sagen kann, ohne anzüglich zu werden. Lass uns einfach mal ein paar Fotos schießen, dann kannst du dich immer noch entscheiden."

"Na gut …"

Irgendwie kam ich nicht mehr richtig rein.

"Du bist zu verkrampft, Jordan. Man sieht dir an, dass du dich nicht wohl fühlst in deiner Haut. Was mach ich bloß mit dir? Ah … Tobey, du kommst genau richtig."

"Ich wollte mich bei dir entschuldigen …"

"Vergiss das jetzt. Mach deinem Freund klar, dass sein Körper wunderschön ist und er sich nicht verstecken muss."

"Was ist denn los?"

"Ach, es sind bloß die ersten Fotos mit der Narbe drauf …"

"Komm mal her."

Er nahm mich in den Arm.

"Du wirst dich auf den Fotos gut machen. Die Narbe fällt kaum auf …"

"Wenn ein roter Kringel drum gezogen wird und in großen Buchstaben daneben steht, dass es die ersten Fotos davon sind, dann schon …"

"Selbst wenn, das ist doch nicht schlimm. Die Narbe gehört jetzt eben zu dir. Wenn du schaust, als würde sie dir was ausmachen, dann werden die Leute sie auch ganz schlimm finden, aber wenn du sie als selbstverständlich betrachtest und sie gar nicht in den Mittelpunkt stellst, dann werden die Fotos bestimmt genial."

Er gab mir einen kurzen Kuss.

"Wisst ihr, wie viel Geld ich verdienen könnte, wenn ich jetzt auf den Auslöser drücken würde?"

"Na dann geh ich lieber aus dem Bild. Du siehst gut aus, Jordan."

"Danke …"

Patrick knipste, bis Tammy und Mel dazu kamen. Als er mir die Fotos auf seinem Laptop zeigte, war ich begeistert, genau wie die Mädels. Die planten schon, an wen sie die Fotos weitergeben würden. Ich zog mein Shirt wieder an, gerade als Brian, Tom und Mickey, zu meinem Erstaunen gesammelt und irgendwie verschworen, um die Ecke kamen. Sofort war die Stimmung irgendwie frostig. Wir schossen so viele Fotos wie nötig und die Drei verzogen sich wieder.

"Ich sollte mit ihnen reden, kommst du mit?", fragte Tobey.

"Ich glaube, ich bleib besser hier und schau mir mit Patrick die Fotos durch …"

"Okay. Wie du meinst."

Tobey verschwand ebenfalls.

"Lass uns in mein Zimmer gehen, hier draußen sieht man ja kaum was auf dem Monitor", schlug Patrick vor.

"Okay …"

Patrick klickte in seinem Fotobearbeitungsprogramm rum und schon hatten wir alle die ebenmäßigste Haut. Das Gras machte er noch grüner und änderte noch ein paar andere Kleinigkeiten.

"Warum wolltest du nicht mit den Anderen reden?"

"Was sollte ich ihnen denn sagen? Eigentlich hat die ganze Sache doch nichts mit mir zu tun. Das ist Tobey's Angelegenheit."

"Aber ihr seid zusammen …"

"Wir haben vor ein paar Tagen das erste Mal miteinander geschlafen und in ein paar Wochen fliege ich zurück in die Staaten und er bleibt hier. Wir sind also nicht zusammen."

"Oh, aber irgendwie habt ihr den Eindruck erweckt."

"Ich weiß. Das ging von Tobey aus."

"Warum macht er das?"

"Keine Ahnung."

"Du solltest das klarstellen. Schließlich musst du weiter mit den Jungs auskommen, wenn Tobey weg ist."

"Ich weiß. Aber erstmal will ich etwas Zeit verstreichen lassen. Gerade sind sie für mich nicht zugänglich. Egal, ich regle das schon, spätestens wenn Tobey weg ist."

"Okay. Darf ich ein anderes Thema anschneiden?"

"Äh, klar. Was denn?"

"Vince."

"Was ist mit ihm?"

"Ich hab ihm eine E-Mail geschrieben, dass ich herausgefunden habe, wer sein Herz ist und dass ich mit dir in Japan bin. Er bittet dich, dich bei ihm zu melden."

"Das kann ich nicht …"

"Okay, … vielleicht irgendwann, ja? Ihr solltet versuchen, wieder Freunde zu sein."

"Das kann ich mir momentan wirklich nicht vorstellen …"

"Okay. Ich bin mir sicher, das wird er verstehen."

"Ich sollte langsam mal nach Tobey schauen …"

"Ja, stimmt."

"Wie lange begleitest du uns?"

"Bis wir zurückfliegen. Vielleicht auch noch auf der Tour durch die Staaten, das steht noch nicht fest."

"Ich würde mich darüber freuen."

"Das kommt auf meine Entscheidungshilfe-Liste."

"Wir sehen uns beim Abendessen."

Tobey saß mit den Anderen im Garten. Sie diskutierten eifrig. Ich ging so unauffällig wie möglich an ihnen vorbei.

"Was ist, Jordan? Gehörst du nicht zur Band?"

Ich hatte keine Wahl, also setzte ich mich dazu.

"Was denn?"

"Was denn?! Ähm, also Tobey geht weg. Was machen wir?"

"Zu viert weiter, was sonst? Es gibt auch Bands, die haben keinen Keyboarder, wisst ihr. Die schaffen das auch irgendwie."

"Findest du das lustig?"

"Irgendwie schon, ja. … Was macht ihr denn so ein Drama draus?"

"Du hast also nichts dagegen, dass Tobey weggeht?"

"Das ist sein großer Traum und ich bin froh, dass er die Chance bekommen hat."

"Darum geht es doch nicht!"

"Doch natürlich geht es darum. In der Band ist es genau wie in einer Beziehung. Man muss einander die nötigen Freiheiten lassen, sonst verliert man sich. Was ihr hier macht, trägt nicht gerade zum Bandzusammenhalt bei, oder? Wenn ihr wollt, dass ich die Band nur noch als Job ansehe und euch als meine nervigen Kollegen, dann seid ihr auf dem besten Weg dahin. Es gab mal eine Zeit, da war Summerskin wie eine Familie."

"Ja, bis hin zum Teilen von Bett und Fixbesteck, richtig?", schnappte Mickey.

Brian und ich sprangen gleichzeitig auf. Während ich eigentlich nur brüllen wollte, packte er Mickey am Kragen und zog ihn hoch. Tobey und Tom hielten ihn zurück, oder versuchten es zumindest. Brian schimpfte, fluchte und schüttelte Mickey, bis die anderen beiden ihn losreißen konnten. So hatte ich ihn noch nie erlebt, es war richtig beängstigend.

"Das war's, mir reicht's! Ich hab damals dafür gesorgt, dass du in der Band bleibst, obwohl du ein miserabler Bassist warst und nicht viel besser geworden bist! Aber jetzt ist Schluss. Ich hab die Schnauze voll davon, mir ständig deine Sprüche über meine Beziehung zu Sean anhören zu müssen und jetzt kommst du mit Dingen, die ich dir vor Jahren im Vertrauen erzählt habe. Das war's. Er oder ich, Jungs."

Und damit verschwand er. Mickey zog in die andere Richtung ab. Tom stand auf und baute sich vor mir auf.

"Worum ging es da?"

"Das geht dich nichts an."

"Es hat auf jeden Fall mit dir zu tun. Du bist das Problem in dieser Band."

"Es war gerade echt deutlich, wer das Problem in dieser Band ist und das ist Mickey mit seinem Großmaul!"

"Nimmst du Drogen?"

"Nein, natürlich nicht! Ich habe Kinder zu Hause. Das würde ich ihnen nie antun!"

Tobey stand ebenfalls auf.

"Was machen wir jetzt? Was wenn Brian das durchzieht?"

"Du bist eh raus, was interessiert es dich?", schoss Tom hervor.

"Ich bin seit fünf Jahren in der Band. Du gerade mal seit zwei."

"Willst du jetzt auch noch Streit anfangen?"

"Tobey, lass uns spazieren gehen, ja?"

Wir wanderten eine Stunde lang durch den Ort und den nahe gelegenen Wald. Tobey konnte sich seinen Frust von der Seele reden. Als wir zurückkamen, stand ein Taxi in der Einfahrt. Tammy und Mel waren ganz aufgeregt am telefonieren.

"Was ist los?"

"Brian fährt nach Kyoto. Er weigert sich, am Samstag aufzutreten, wenn Mickey am Bass ist."

"Was?! Nur wegen dem Spruch?"

"Was für ein Spruch?"

"Das kann ich euch nicht sagen."

"Jordan, wir müssen verstehen, was los ist!"

"Mickey hat etwas ausgeplaudert, das vor sehr lange Zeit passiert ist und das Brian ihm damals im Vertrauen erzählt hat. Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen."

"Kannst du bitte versuchen, mit Brian zu reden?"

"Versuchen kann ich es, ja …"

Tobey machte sich auf die Suche nach Mickey, während ich Brian in seinem Zimmer fand, beim Packen.

"Können wir reden?"

"Ich meine es ernst damit, ich hab die Schnauze voll. Weißt du, was ich mir von ihm alles anhören durfte? Jetzt ist der Punkt erreicht, wo ich das einfach nicht mehr kann. Lass mich bitte in Ruhe, okay?"

"Aber Brian, denk an all die Leute, die schon Karten für das Konzert haben."

"Dann solltet ihr euch eben schnell nach einem neuen Drummer umschauen, oder noch besser, nach einem neuen Bassisten. Einer der besser spielt als Mickey, sollte nicht schwer zu finden sein. Ich will jetzt wirklich allein sein, okay?"

"Okay."

Kaum war ich draußen, wählte ich schon Seans Nummer.

"Sean Wittmore."

"Hey, ich bin's."

"Mach das nicht, Jordan. Zieh mich da nicht mit rein."

"Aber Brian redet mit niemandem …"

"Das ist eine Band-Sache, halt mich da raus."

"Es ist wirklich ernst. Die Existenz der Band steht auf der Kippe. Ich brauche deine Hilfe."

"Und Brian braucht meine Loyalität. Tut mir leid Jordan, diesmal kann ich dir nicht helfen. Ich lege jetzt auf. Bitte sei nicht sauer."

"Okay, … ich verstehe …"

Ich ging zu den Mädels, die immer noch am Telefon hingen. Mel versuchte scheinbar gerade, ihren Job zu retten und Tammy suchte Musiker, die in zwei Tagen mit uns auftreten könnten. Tobey und Mickey waren nirgends zu finden. Tom saß im Garten und rauchte nervös eine Zigarette.

"Ganz schönes Chaos, was?"

"Das ist das Ende der Band, ich fühle es", sagte er ernst.

"Ach Quatsch, das wird schon wieder. … Mickey wird sich entschuldigen, Brian wird sich beruhigen und übermorgen stehen wir zusammen auf der Bühne."

"Da bist du echt zu naiv. Zwischen den beiden brodelt es schon so lange. Schon seit Brian uns von Sean erzählt hat."

"Davon hab ich aber nichts mitbekommen."

"Wundert dich das? Du hast ja eh die ganze Zeit über dein eigenes Ding durchgezogen."

"Wollen wir jetzt echt auch noch anfangen?"

"Nein. … Willst du ne Kippe?"

"Ja, die brauch ich jetzt echt …"

"Ich weiß, ich sollte jetzt vermutlich keine prekären Themen anschneiden, aber wir haben noch nie unter vier Augen miteinander geredet …"

Ich dachte kurz nach.

"Stimmt."

"Es war nicht so leicht mit dir, auch wenn du nichts dafür konntest, … ich meine, kaum war ich in der Band, bist du ausgestiegen wegen deiner Kinder und wir hatten diesen Idioten Greg am Hals, dann verkündest du, dass du zurückkommst, wirst aber angeschossen. … Ich weiß, ich sage ja, es war natürlich nicht deine Schuld, aber unsere war es auch nicht. Wir waren ein halbes Jahr lahm gelegt. Natürlich hatte es auch sein Gutes, das Album ist toll geworden und kam gut an. Und dann geht es endlich auf Tour nach Europa, ich meine … wow! Und dann lässt du dich so gehen. Ich habe gehört, du hattest deine Gründe, keine Ahnung. Wichtig ist, dass du dich entschuldigt hast und dich von da an zusammengerissen hast. Kaum läuft alles gut, kommt dieser Hammer mit dir und Tobey …"

"Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr euch deshalb so aufregt."

"Wenn ihr euch trennt, dann hat das bestimmt Einfluss auf die Band."

"Wir sind erwachsen, wir können das regeln. Er ist ja dann vorerst eh nicht mehr da."

"Das heißt das war's dann zwischen euch?"

"Wenn er auf unbestimmte Zeit in Asien lebt? Ja, natürlich."

"Also sehr ernst scheint es euch dann aber nicht zu sein …"

"Das ist kompliziert und auch recht persönlich …"

"Okay. Denkst du wirklich, dass er zurückkommt?"

"Für Albumaufnahmen und so bestimmt. Für eine Tour kann ich es nicht beschwören …"

"Wenn es überhaupt noch eine Band gibt, zu der er zurückkommen kann …"

"Brian ist Profi. Er wird das Konzert nicht ins Wasser fallen lassen."

"Dein Wort in Gottes Ohr …"

Brian war inzwischen abgefahren, Tobey war wieder aufgetaucht und hatte sich an Mickey offensichtlich die Zähne ausgebissen, die Mädels waren immer noch panisch. Ich zog mich zurück und mailte mit Nina über das Wetter in München und die Verschmutzung und Zerstörung von einigen Ausgaben des Korans durch Gefängnispersonal in Guantanamo. Am Rande fragte sie mich, ob ich auf Fußball stand. Nein, schrieb ich, sie meinte darauf nur: "Gut. Hier gibt es jetzt eine neue, teure Arena und niemand redet mehr von was anderem."

Irgendwann kam Tobey ins Zimmer. Es dämmerte schon.

"Da bist du ja. Was ist mit Abendessen?", fragte ich.

"Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?"

Seine Stimmung war wohl immer noch getrübt.

"Sollen wir was kochen?"

"Keinen Hunger. Mit wem mailst du?"

"Nina."

Dieser angepisste Blick!

"Tobey, ich maile nur mit ihr."

"Hast du ihr von uns erzählt?"

"Nein, aber nicht weil ich es verheimlichen will, es hat sich nur nicht ergeben …"

"Klar."

"Okay, wie du willst."

Ich tippte folgendes ein:

Ach übrigens: Tobey und ich sind jetzt irgendwie zusammen oder so, zumindest schlafen wir miteinander. Keine Ahnung. Aber leider wird er hier in Japan bleiben, um als Pianist Karriere zu machen, während Summerskin zurück in die Staaten fliegt. Gruß an Silvie von ihm.

"Na, soll ich das abschicken?"

"Nein …"

"Was ist mit dir und Silvie?"

"Keine Ahnung, wir haben ein paar Mails geschrieben, das war's."

Ich löschte den Text und schrieb stattdessen:

"Muss Schluss machen, bis bald."

Tobey schmiss sich aufs Bett. Ich beugte mich über ihn und küsste seinen Bauch.

"Ich könnte jetzt Entspannungssex gebrauchen …"

"Jordan … nicht jetzt."

"Okay, dann ganz wilden Sex."

"Jordan …"

"Dann eben nur Oralsex?"

"Hör auf damit, alles ins Lächerliche zu ziehen!"

"Okay, ich seh schon … ich such mir was zu essen. Bis später."

Die Küche war leer, ich machte mir ein Sandwich und setzte mich zu den Fischen.

"Hey Jordan … oh, Essen. Kann ich mal beißen?"

Patrick schien bester Stimmung zu sein. Er nahm einen großen Bissen von meinem Sandwich und leckte sich anzüglich über die Lippen.

"Patrick …"

"Was denn? Das ist gut."

"Warum spielst du immer die Rolle des Miststücks?"

"Vielleicht bin ich einfach ein Miststück."

"Bist du nicht."

"Wenn du mit in mein Zimmer kommst, dann beweise ich es", scherzte er.

"Führe mich nicht in Versuchung. Die Band ist schon kaputt genug, auch ohne dass ich Tobey jetzt noch bescheiße."

"Wir reden jetzt nicht über die Band, das verbreitet nur schlechte Stimmung. Und über Tobey reden wir auch nicht."

"Worüber sollen wir denn reden?"

"Wie wäre es, wenn wir einfach nur dein Sandwich essen?"

"Na gut …"

Als wir aufgegessen hatten, schaute er mich ganz seltsam an.

"Und es besteht nicht der Hauch einer Chance, dass du mit auf mein Zimmer kommst?"

"Ich muss zurück zu Tobey. Aber ich fühle mich geschmeichelt."

"Davon hab ich nur leider nichts."

"Naja, immerhin ist für dich ein halbes Sandwich rausgesprungen."

"Da hast du recht. Mein Abend ist gerettet. Gute Nacht, Jordan."

"Gute Nacht, Patrick."

Tobey war am Laptop und hatte offensichtlich nicht vor, das zu ändern.

"Dann geh ich wohl schlafen …"

"Jetzt schon?"

"Tobey, ich will einfach nur, dass dieser Tag rumgeht, ohne noch mehr Stress."

"Warum Stress?"

"Du ignorierst mich."

"Tut mir leid, aber mir geht viel durch den Kopf."

"Lass uns gar nicht erst damit anfangen, ja? Ich geh einfach nur schlafen."

"Da drüben?"

"Bei dem Licht hier kann ich nicht einschlafen."

"Okay. … Dann gute Nacht …"

"Nacht."

Als ich in dem dunklen Zimmer lag, ganz alleine, wurde mir erst klar, was heute alles passiert war und ich bekam Angst, dass Tom recht haben könnte. War das das Ende von Summerskin? Bei Brian hatte sich offensichtlich viel Wut angestaut und Mickey war wirklich zum Idioten geworden. Wollte ich überhaupt noch mit ihm in einer Band sein? Keine Ahnung. Ich fing an, mir Gedanken drüber zu machen, was passieren würde, wenn es mit Summerskin vorbei wäre. Was würde ich dann machen, jetzt wo die Kinder nicht mehr bei mir lebten und ich Single war? Konnte sich die Band eigentlich so einfach auflösen? Wir hatten doch alle Verträge unterschrieben …

Am nächsten Morgen lag Tobey neben mir, ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wie er ins Bett gekommen war. Es war fast Neun, ich gab ihm einen Kuss auf die Nase, worauf er langsam die Augen öffnete. Statt guten Morgen sagte er:

"Es tut mir leid."

"Schon okay …"

"Nein, wirklich. Ich hätte mich nicht vor dir zurückziehen sollen. Du hattest gestern wegen mir einen Scheißtag und als Krönung lasse ich dich alleine ins Bett gehen."

"Toll war das nicht, das stimmt."

"Ich will das wieder gutmachen."

Er beugte sich über mich und küsste ausnahmsweise mal nicht nur Gesicht und Hals, sondern wanderte immer tiefer, bis zum Bauchnabel. Zu meinem Erstaunen zog er mir die Shorts aus. Er hielt kurz inne, bevor er meinen Schwanz in den Mund nahm.

"Jetzt … Mhhhhmmmmmm …"

Ich zog ihn zu mir hoch und küsste ihn. Die klebrige Flüssigkeit verteilte sich zwischen uns. Ich kam langsam wieder zu Atem.

"Danke."

"Gerne."

"Darf ich?"

"Wir sollten langsam aufstehen …"

"Fünf Minuten", grinse ich.

"Na schön …"

Danach duschten wir zusammen, was noch mal eine Weile dauerte und dazu führte, dass wir zum wiederholten Mal ohne Gummi miteinander schliefen. Beim Abtrocknen meinte Tobey:

"Das entwickelt sich zur schlechten Angewohnheit."

"Ich hab das noch nie gemacht … ich meine, außer mit Nikki und Xander natürlich …"

"Was ist mit Scott?"

"Oh, und Scott."

"Vince?"

"Sein Ex-Freund ist an Aids gestorben. Würde mich nicht wundern, wenn er sogar mit Collin Gummis benutzt."

"Wir sollten das nicht mehr machen."

"Ich weiß."

"Wir müssen uns bald testen lassen", sagte er ernst.

"Kein Problem."

"Ich liebe dich."

"Was?!"

"Okay … nicht ganz die Reaktion, die ich mir erhofft hatte …"

"Tobey, ich … das ist einfach … überraschend."

"Ich erwarte nicht, dass du es auch sagst. Aber ein Lächeln wäre nett gewesen …"

"Tut mir leid, das alles kommt einfach irgendwie aus heiterem Himmel. Ich meine, was bedeutet das jetzt?"

"Ich bleibe immer noch in Japan, wenn du das meinst. Und ich bitte dich auch nicht, auf mich zu warten, oder was in der Richtung."

"Gut, so was geht nämlich immer schief. Tobey, schau nicht so traurig. Was du gesagt hast, bedeutet mir ne Menge. Ich bin froh darüber, dich zu haben. Aber das macht mir den Abschied nicht gerade leichter …"

"Mir auch nicht. Ich hab das seit fünf Jahren zu niemandem mehr gesagt, Jordan."

"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll …"

"Gar nichts. Stellen wir uns dem Tag, ja?"

"Das muss wohl sein …"

Tammy saß mit dicken Augenringen in der Küche.

"Morgen."

"Du hattest ne schlimme Nacht, hm? Können wir was tun?"

"Tobey, red noch mal mit Mickey, ja? Oder red mit Tom und sag ihm, dass er mit Mickey reden soll."

"Okay …"

"Und Jordan, nein, keine Ahnung …"

"Ich mach uns erst mal Frühstück."

"Danke."

Nach einer Weile kam Patrick, der ebenfalls aussah, als hätte er kein Auge zugetan. Die beiden zählten auf, mit wem sie alles gesprochen hatten und erwähnten, dass Mel inzwischen bei Brian im Hotel sei.

"Wir fahren heute Nachmittag. Um Zwei kommt ein Wagen, also heißt es packen."

"Schade, ich hab mich hier richtig heimisch gefühlt, … trotz allem."

Tobey und Tom kamen nach einer Weile dazu.

"Mickey redet mit keinem von uns."

"Okay, aber danke für den Versuch."

"Komm, setz dich, Kaffee?", fragte ich Tobey.

"Oh ja."

Ich goss ihm ein.

"Kuss?"

"Oh ja."

Ich küsste ihn.

"Jetzt wird in Ruhe gegessen und über's Wetter geredet, ja?"

"Okay …"

Danach packten wir unsere Sachen und verabschiedeten uns von diesem tollen Ort.

"Jordan?"

"Ja?"

"Wenn wir in zehn Jahren beide Single sind, dann müssen wir noch mal zusammen hier herkommen."

"Du wirst doch kein heimlicher Romantiker sein?"

"Ach sei still!"

"Deal. In zehn Jahren."

"Zehn Jahre sind gar nicht so lang. Mein High School-Abschluss ist zehn Jahre her."

"In zehn Jahren sind wir fast 40."

"Also zehn Jahre sind echt lang."

"Soso, plötzlich …"

"Jordan?"

"Hm?"

"Glaubst du, dass die Band das Ganze durchsteht?"

"Ja aber natürlich!"

Innerlich war ich mir da nicht mehr so sicher …

Kurz vor Zwei verabschiedete ich mich von den Fischen und wir stiegen in einen Kleinbus, der uns nach Kyoto brachte.

Tobey war ganz begeistert und es sah zugegeben echt nicht aus, wie man sich eine japanische Großstadt vorstellt, aber irgendwie hatte ich gerade keinen Blick dafür.

Im Hotel klopfte ich als erstes bei Brian. Er ließ mich tatsächlich rein.

"Hey …"

"Hallo Jordan."

"Wie geht's dir?"

"Was denkst du wohl?"

"Kann ich was für dich tun?"

"Wie wäre es mit Kartenspielen?"

"Gern."

Nach einer Weile meinte er plötzlich:

"Natürlich spiele ich das dämliche Konzert."

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

"Puuuuh. Gut, sehr gut."

"Aber ich steig aus."

"Was?!"

"Ich hab schon einen Anwalt. Er kriegt mich aus den Verträgen raus. Ich mach die Tour zu Ende und das war's."

"Aber warum?"

"In meinem Leben hat sich so viel geändert. Ich will einfach nur in L.A. sein, bei Sean und Maddy. Im Herbst fängt Sean seine Assistenzzeit an und Patricia auch. Ich will für Maddy da sein."

"Wie lange planst du das schon?"

"Ich hab mit dem Gedanken gespielt, aber den Entschluss gefasst hab ich erst gestern. Warum sollte ich mich dem noch länger ausliefern? Ich bin 30, hab genug Kohle, eine Familie, was brauch ich denn mehr? Ich hab nichts mehr zu beweisen."

"Aber was ist mit mir?"

"Ich weiß, ich lasse dich im Stich. Aber du bist einfach stärker als ich."

"Aber dann bleiben nur noch Mickey, Tom und ich. Das … ich will keine Band mit den beiden."

"Überleg dir das."

"Da brauch ich nicht viel überlegen. Da ist einfach keine Chemie. Das wird nichts. Verdammt, weißt du noch wie es war, mit Damian und deinem Bruder zu spielen? Es war einfach da."

"Ich weiß …"

"Das ist echt Scheiße, man!"

"Ich weiß …"

"Wenn du gehst, kann ich nicht in der Band bleiben …"

"Schlaf darüber, bevor du so eine Entscheidung triffst und red mit Tobey."

Der lag auf dem Bett und klickte lustlos auf seinem Laptop rum. Als er mich bemerkte, sprang er sofort auf.

"Hey, na du warst aber lange bei Brian."

"Er tritt auf."

"Ja? Grandios! Du bist grandios! Komm her, siehst du, der Laptop ist schon zu, das kann ich später auch noch machen. Jetzt wird gefeiert."

"Er steigt nach der Tour aus."

"Was?!"

"Er sagt, er hat sich nichts mehr zu beweisen und will bei Sean und Maddy sein."

"Das kann er doch nicht ernst meinen!"

"Doch. Er hat schon einen Anwalt wegen der Verträge. Er wird sich aus den meisten wohl raus kaufen müssen, nehm ich an …"

"Aber, das kann er doch nicht machen!"

"Doch Tobey, das kann er machen und ich versteh ihn. Ich hab auch aufgehört, als Gwen geboren wurde."

"Ja, weil Nikki abgehauen ist. Aber Maddy ist nicht mal seine Tochter!"

"Er wird vermutlich nie eigene Kinder bekommen, Maddy ist so gut wie seine Tochter. Er zieht das durch, ganz sicher. Und wenn er weg ist und du auch, dann gibt es für mich keinen Grund mehr, zu bleiben."

"Was?! Aber das ist dann das Ende."

"Die Band ist schon am Ende. Das ist einfach nicht mehr Summerskin. Wir sind nur noch eine Hand voll Leute, die sich kaum kennen und zusammen mit Musik ein bisschen Geld verdienen. Die Seele fehlt."

"Mach das nicht, Jordan."

"Tut mir leid. … Wo gehst du hin?"

"Raus."

"Aber …"

"Alleine."

Er schlug die Tür hinter sich zu. Ich wusste was ich wollte. Aber ich trauerte trotzdem um die Band. Ich wollte mit jemandem reden. Aber ich hatte niemanden außer Tobey und Brian. Ich wählte Ninas Nummer. Sie klang verschlafen.

"Ich hab keine Ahnung, wie spät es bei dir ist …", entschuldigte ich mich.

"Viertel nach Neun."

"Du hast noch geschlafen, ich ruf ein andermal an."

"Jetzt bin ich doch eh schon wach."

Ich hörte eine männliche Stimme eine Frage stellen und Nina antwortete auf Deutsch.

"Es ist grad ungünstig, hm?"

"Tut mir leid. Ich meine, ich hab irgendwie das Gefühl, dass …"

"Nein, das ist okay. Aber ich ruf dich wirklich lieber wann anders an."

"Okay, wie du meinst. Bis bald, Jordan."

"Bye Nina."

Wunderbar, das hatte mir gerade noch gefehlt. Jetzt war ich auch noch frustriert. Und eigentlich wusste ich auch, wen ich anrufen musste.

"Hey Scott."

"Jordan? Ehm … Hallo. Du hast Glück dass ich noch auf bin."

"Oh, die Zeitverschiebung. Sorry. Wie spät ist es bei dir?"

"16 Stunden früher als bei dir."

"Das ist ja mitten in der Nacht!"

"Halb Eins. Aber du hast sicher nicht angerufen, weil du wissen wolltest, wie spät es ist."

"Nein, ich wollte wissen, ob du wieder mein Agent sein willst. Ich könnte einen Juristen gebrauchen …"

"Was ist passiert?"

Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, auch das mit Tobey.

"Okay, ich möchte, dass du noch bis morgen darüber nachdenkst. Und morgen früh rufst du mich an und teilst mir deine endgültige Entscheidung mit."

"Okay. Danke Scott."

"Ich bin wirklich froh, dass du angerufen hast."

Tobey kam nach einer Stunde zurück und sah gar nicht gut aus.

"Hast du geweint? Komm her. … Mein armer Tobey. Bitte sei nicht traurig. Ich kann dich nicht traurig sehen. Du hast mich in den letzten Wochen so glücklich gemacht und ich mach dich traurig. … Es tut mir leid, aber ich kann nicht anders."

"Ich weiß ja, dass du recht hast, aber es tut trotzdem weh. Ich hab das Gefühl, dass das die Brücke zwischen uns war und die wird jetzt abgerissen."

"Das hat doch nichts mit uns beiden zu tun. Im Gegenteil. Jetzt habe ich ganz viel freie Zeit und kann dich hier besuchen kommen. Tobey, bitte sei nicht so traurig."

"Tut mir leid …"

Den restlichen Abend verbrachten wir auf unserem Zimmer. Ich brauchte meine Entscheidung eigentlich nicht zu überschlafen, denn ich hatte gar keine wirkliche Wahl.

Am nächsten Morgen rief ich Scott vom Badezimmer aus an.

"Hey. Ich hab meine Meinung nicht geändert. Ich bin mir sicher."

"Gut, dann mach ich mich an die Arbeit. Ich muss wissen, was du bereit bist, zu tun. Wenn die Firma zum Beispiel ein Abschiedskonzert verlangt?"

"Kein Problem. Es ist nicht so, dass ich die Jungs nie mehr wiedersehen will. Ich will nur langfristig keine Band mit ihnen."

"Okay, dann weiß ich Bescheid."

"Danke, Scott."

"Keine Ursache."

"Mit wem hast du telefoniert?", fragte Tobey.

"Mit Scott."

"Er macht das mit den Verträgen für dich, oder?"

"Ich denke, es ist für alle das Beste, wenn das schnell erledigt wird."

"Ja, da hast du vermutlich recht …"

"Ich muss es Tammy und Mel sagen."

"Soll ich mitkommen?"

"Würdest du das für mich tun?"

Er streckte mir seine Hand hin.

Die Mädels waren total geschockt. Ich musste beide abwechselnd in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass sie nichts falsch gemacht hatten. Ihr erster großer Auftrag und dann so was. Danach gingen wir zu Brian und ließen ihn wissen, dass ich meine Meinung nicht geändert hatte. Er schien fast froh darüber und umarmte mich mitfühlend. Er sagte tatsächlich:

"Dann hast du viel Zeit für deine Kinder. Hey, wir können mal zusammen mit den Kleinen was unternehmen und so …"

"Ja … ehm, klar, können wir machen …"

"Wann sagst du es Mickey und Tom?"

"… gar nicht. Mel macht das."

"Okay, ja, du hast recht, warum solltest du dich noch mit denen auseinandersetzen?"

Das Konzert am nächsten Tag verlief sehr professionell. Gleich danach rief mich Scott an und sagte mir, dass die Firma ein großes Abschiedskonzert in L.A. wollte und zwar mit uns allen fünf, eine Woche nach Tourende. Sie würden am Montag eine Pressemitteilung rausgeben, wir sollten uns also auf einen Ansturm gefasst machen. Wenn wir das Konzert machten, das zur Live-DVD werden sollte und Tom und Mickey den Namen überließen, würden sie auf Klagen verzichten.

"Das mit dem Konzert ist kein Problem, aber den Namen bekommen die nicht."

"Jordan, jetzt werd nicht nostalgisch … es ist nur ein Name."

"Nein. Brian ist bestimmt meiner Ansicht. Den Namen bekommen sie nicht. Das ist nicht Summerskin. Wir sind Summerskin."

"Hast du vor, mit Brian weiterzumachen?"

"Nicht im großen Stil, aber an dem Namen liegt mir einfach zu viel. Bitte versuch das zu regeln."

"Dann werden sie Geld sehen wollen."

"Red mit Brian. Ich bin bereit, dafür was hinzublättern, dass der Name unserer bleibt."

"Okay, ich red mal mit ihm. Bye."

Tobey kam aus der Dusche. Es war unsere letzte Nacht, bevor er eine Woche in Kyoto bleiben würde und ich zur nächsten Stadt weiterfuhr.

"Alles okay?", fragte er besorgt.

"Was mach ich nur ohne dich?"

"Wir können telefonieren …"

"Ich will dich aber anfassen. Ich liebe deinen Bauch … und deine Hüften … und deinen Rücken … und einfach alles an dir. Komm her."

Ich weiß nicht genau, wie es passierte, aber plötzlich hatte ich den Gummi und lag über Tobey.

"Alles okay?"

"Ich fühl mich so …"

"… weiblich?"

"Tut mir leid, ich weiß, du hältst mir jetzt gleich wieder einen Vortrag über Rollenklischees …"

"Nein, ich hab mich nach meinem ersten Mal mit Sean genau so gefühlt …"

"Ja, ich hab's gelesen."

"Natürlich, stimmt. Na dann weißt du ja Bescheid. Es war übrigens wirklich schön für mich."

"Gut. Das freut mich."

"Ich liebe dich, Tobey."

"Ach, kaum darfst du mich ficken, hm?"

"Tja, ich bin eben total testosterongesteuert."

"Soso, na das werde ich dir gleich mal austreiben!"

Am nächsten Vormittag gab es eine große Verabschiedungsszene in der Lobby und dann saß ich neben Brian im Bus zum Flughafen.

Wir spielten zwei Konzerte und hatten viele Pressetermine und Shootings. Die Firma wollte wohl noch den Rest aus uns herausquetschen. Ich sagte Josh und Nikki, dass Summerskin sich trennen und Josh konnte nicht gut verstecken, dass er sich freute, mich öfter zu Hause zu haben. Die Bombe platzte am Montag und von da an klingelte mein Handy alle fünf Minuten. Mum, Summer, Nina, Hanna, so ziemlich jeder, den ich kannte, rief mich an. Ich telefonierte viel mit Tobey, musste ihm vor seinem großen Abend gut zureden und so weiter und war heilfroh, als ich ihn nach einer Woche wieder in die Arme schließen konnte.

"Ich hab dich unbeschreiblich vermisst. Du darfst nicht hier bleiben, ich verbiete es!"

Er lächelte sanft und gab mir einen Kuss auf die Nase.

"Ich fliege doch mit nach L.A. Bis nach dem Konzert."

"Du machst es?"

"Ja natürlich. Wir alle fünf, das war der Deal."

"Also hab ich dich noch eine Woche länger?"

"Ich hab alle Hände voll damit zu tun, meine Sachen zu verschiffen oder einzulagern und mich von allen möglichen Leuten zu verabschieden. Also erwarte nicht zu viel."

"Du brauchst einen Platz zum Schlafen, oder?"

"Das stimmt."

"Ich hab einen Platz zum Schlafen für dich."

Die Tour dauerte noch zwei Wochen, in denen wir ständig von der Presse belagert wurden. Jeder wollte den Grund für die Trennung herausfinden. Scott hatte ein Angebot wegen dem Namen von der Firma, das er noch zu drücken versuchte. Eine Stange Geld, aber Brian und ich waren uns einig, dass Mickey den Namen nicht bekommen sollte. Er hatte einfach kein Anrecht darauf.

Dann saßen wir im Flugzeug nach Hause. Dabei würden wir die Welt zu Ende umrunden. Wir schliefen, Tobey hatte seinen Kopf an meine Schulter gelehnt, fast sechs Stunden und als ich aufwachte, dachte ich, mein Nacken würde gleich abbrechen und mein Kopf tat höllisch weh. Als wir wieder einigermaßen wach waren, meinte Tobey mit ernstem Blick:

"Wir müssen reden."

"Oh … okay. Was gibt's?"

"Wir landen in einer Stunde."

"Ja, stimmt."

"Wer holt dich ab?"

"Nikki. Die Kinder warten zu Hause. Dich?"

"Ich hab niemanden gebeten, mich abzuholen …"

"Warum nicht?"

"Weil ich nicht wollte, dass jemand aus meiner Familie von uns erfährt."

"Oh … und wie kommst du dann nach Hause? Nimmt Mickey dich mit?"

"Ich will nicht in die Wohnung, nicht mit ihm. Kann ich mit zu dir kommen?"

"Ja natürlich."

"Was ist mit deinen Kindern?"

"Was ist mit ihnen?"

"Sie sind dann bei dir. Willst du nicht lieber mit ihnen alleine sein?"

"Das geht schon klar."

"Ich werde auch ganz dezent sein …"

"Ich erziehe meine Kinder zu Ehrlichkeit, wenn du also damit meinst, dass du so tun willst, als sei zwischen uns nichts, dann vergiss es."

"Sicher? Ich meine, in einer Woche bin ich weg. Wie willst du ihnen das erklären? Bringt sie das nicht durcheinander?"

"Gwen ist noch zu klein um durcheinander zu sein und Josh ist alt genug, dass ich es ihm erklären kann. Mach dir mal keine Gedanken um meine Kinder, sei einfach du selbst."

"Okay … das hört sich ganz leicht an …"

Am Flughafen war Riesen-Presserummel, damit hatten wir nicht gerechnet. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis wir uns durchgekämpft hatten und endlich losfahren konnten. Nikki sah gut aus, sehr entspannt. Sie hatte das Blitzlicht besser überstanden als wir. Ich hatte immer noch das Flimmern der Blitze vor Augen und mein Kopf tat weh.

"Und ihr beide seit jetzt also zusammen?"

"Schwierige Frage."

"Oh, okay, sorry. Du kommst mit zu Jordan?"

"Ja, für eine Weile, bis nach dem Konzert, um genau zu sein."

"Und dann?"

"Dann ziehe ich nach Japan."

"Oh, okay, jetzt weiß ich, warum die Frage schwierig war. … Na gut, also der Kühlschrank ist voll, Janet sollte Gwen gefüttert haben. … Sie hat auch deinen Autoschlüssel, Jordan."

"Okay."

"Wenn was ist, ich bin zu Hause."

"Alles klar."

"Willkommen zurück, Jordan."

"Danke."

Dreieinhalb Monate. Wow. Alles sah so verändert aus. Die Luft roch salziger als sonst und die Palmen, waren die schon immer so groß gewesen? Ich fühlte mich irgendwie fremd. Das einzig Vertraute war Tobey. Er nahm meine Hand und meinte:

"Zurück in den Staaten, hm?"

"Kommt dir auch alles so fremd vor?"

"Ja, gut dass es dir auch so geht, ich dachte schon, ich bin irre …"

Nikki verabschiedete sich gleich unten. Tobey hielt sich im Hintergrund, als ich die Tür aufschloss. Josh flog mir förmlich entgegen. Janet begrüßte mich auch freudig mit Gwen auf dem Arm, die nach Geschenken verlangte. Sie verabschiedete sich bald und ließ uns auspacken.

"Erinnerst du dich an Tobey, Josh?"

"Klar, du spielst Keyboard, richtig?"

"Genau."

"Tobey wird für eine Woche hier wohnen, bis er zurück nach Japan fliegt."

"Oh, okay, willst du mein Zimmer? Ich kann bei Jordan schlafen."

"Danke Kleiner, aber ich glaube Tobey schläft bei mir …"

"Ach so, ihr zwei … ihr wisst schon … ?"

"Ja, wir sind jetzt irgendwie zusammen, aber in einer Woche fliegt Tobey, wie gesagt, nach Japan und bleibt dort."

"Okay, verstehe. Also, was hast du mir mitgebracht?"

"Das hier."

"Das ist ja … eine digitale Spiegelreflex! Die ist schweineteuer!"

"In Japan ist sie nur teuer …"

"Woah, danke Dad!"

Er fiel mir um den Hals.

"Ich bin echt froh, dass du wieder da bist."

"Ich auch."

Gwen bekam einen Stoff-Pandabär und einen kleinen Kimono, zu dem Tammy mich gezwungen hatte. Dann kochten wir das Abendessen. Tobey in meiner Küche zu sehen, war toll. Ich wünschte wirklich, dass er nicht gehen würde. Er wirkte, als würde es ihm bei uns gut gefallen. Er alberte mit Gwen herum und begutachtete mit Josh die Kamera.

Nach dem Essen klingelte es.

"Das wird Scott sein, ich muss noch ein paar Sachen unterschreiben. Macht weiter, ich will nachher ein paar Fotos von Gwen als Japanerin sehen."

"Hey Jordan."

"Hallo Scott."

"Du siehst gut aus. Du hast wohl alles heil überstanden?"

"Mehr oder weniger. Komm rein."

"Danke. … Ah, hallo beisammen. Wow, ist das eine digitale Spiegelreflex? Meine Tochter hat auch so eine."

"Echt? Cool. Wie alt ist deine Tochter?", fragte Josh.

"Jenna ist 15."

"Mist, zu alt … . Was denn? Man wird doch noch fragen dürfen …"

"Oh Mann. Also, Scott und ich haben kurz was Geschäftliches zu erledigen. Dauert nicht lange."

Wir verzogen uns ins Büro.

"Josh hat es ja faustdick hinter den Ohren."

"Und Jenna ist echt schon 15? Wie die Zeit vergeht …"

"Sie wird bald 16, macht den Führerschein, datet Kerle aus der Klasse über ihr. … Ich wünschte, sie wäre wieder zehn. … So, ich brauch auf dem ganzen Stapel deine Unterschrift, also fang mal an zu lesen. … Oben sind die dringenden Sachen, den Rest kann ich dir da lassen."

"Wie geht es Vince?"

"Verdammt, du erwischst mich echt immer kalt, … Okay, also Vince und Collin haben ein Haus im Valley gekauft. Collin hat hier eine Kanzlei gefunden und Vince eine Galerie. Der Kleine ist gesund und munter und läuft schon fast, mit seinen neun Monaten. Collin sagt, alles läuft gut zwischen ihnen, aber das sagt er immer. Und mit Vince rede ich nicht so viel."

"Okay, danke für das Briefing."

"Meldest du dich bei ihm?"

"Vorerst nicht …"

"Okay. Weiter, weiter!"

"Ja doch."

Als ich das Wichtigste unterschrieben hatte und wir schon aufstanden, um zu den Anderen zu gehen, hielt mich Scott plötzlich zurück.

"Warte, ich muss dir noch was sagen."

"Okay, schieß los."

"Ich … ich … hier."

Er gab mir einen Umschlag

"Was ist das?"

"Mach halt auf, mein Gott …"

"Okay, Tschuldigung. … Das ist eine Einladung. Eine Hochzeitseinl… Louise & Scott?!"

"Ich werde heiraten."

"Nächsten Monat?! Wer ist überhaupt Louise?"

"Du hast sie kurz mal gesehen, als du betrunken vor meiner Tür gewartet hast …"

"Die Schreckschraube? Nicht dein Ernst!"

"Ich will, dass du kommst."

"Zu deiner Hochzeit? Mit Louise der Schreckschraube? Und deine ganze Familie wird vermutlich dort sein …"

"Denk drüber nach, es würde mir viel bedeuten …"

"Okay … ich denke drüber nach. Danke für die Einladung jedenfalls."

Nachdem Gwen eingeschlafen war und Josh sich in seinem Zimmer mit der Kamera beschäftigte, gingen Tobey und ich schlafen.

"Deine Kinder sind echt toll."

"Danke."

"Und sie lieben dich sehr."

"Ja, vor allem wenn ich Geschenke mitbringe."

"Es wird bestimmt toll, dass du jetzt so viel Zeit mit ihnen verbringen kannst."

"Ich freu mich schon sehr drauf."

"Was machst du morgen?"

"Zeit mit ihnen verbringen. Sonntags gehen wir meistens in den Park oder an den Strand, danach noch was essen und so. Kannst du mitkommen?"

"Ich muss zu meinen Eltern. Ehm … und davor muss ich mein Auto abholen …"

"Kein Problem, dann fahr ich dich nach dem Frühstück zu deinem Auto."

"Okay … keine Ahnung wann ich zurückkomme. Gegen Abend, schätze ich. Voll gestopft und genervt, wie immer."

"Dann genießen wir noch den Abend zusammen, das wird schon."

Genau so machten wir es dann auch. Brettspiele-Abend und dann zeitig mit Tobey in's Bett.

"Das mit dem Monopoly war eine gute Idee. Josh hat's echt drauf."

"Ja, ein echter Hai", sagte ich mit gespieltem Stolz.

"Und morgen sind die beiden nicht da?"

"Leider nicht …"

"Weil du morgen früh diesen Termin hast, über den du nicht sprechen willst … ?"

"Ach, es ist nur eine Routineuntersuchung. Bei der Gelegenheit mach ich übrigens auch gleich den Test."

"Ah, ich hab den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. … Jordan?"

"Hm?"

"Mit dir ist doch alles in Ordnung, oder?"

"Ja klar! Siehst du, genau deshalb wollte ich darüber nicht reden."

"Es ist nur … ich hab das Gefühl, dass du manchmal verheimlichst, dass du Schmerzen hast…"

Treffer. Aber was würde es auch bringen, wenn er sich Sorgen macht?

"Ach Quatsch, ich verheimliche doch nichts! Ich heul nur nicht rum, weil es davon auch nicht besser wird."

"Was ist das für eine Untersuchung?"

"Ein CT."

"Das ist aber keine Routineuntersuchung …"

"Wenn man letztes Jahr einen Kopfschuss überlebt hat, schon."

"Okay … ich hab mein Handy immer dabei, wenn du was brauchst."

"Schön, aber ich brauche nichts."

Am nächsten Morgen verließen alle gleichzeitig das Haus. Tobey um den Möbelpackern auf die Finger zu schauen und ich um erst Josh in die Schule zu bringen, dann Gwen bei Nikki in der Arbeit abzusetzen und dann in die Klinik zu fahren. Dort wurde mir erst mal Blut abgenommen und dann kam ich in die Röhre. Das war in ein paar Minuten vorbei, das kannte ich schon.

"Mr. Bonanno? Ich bin Dr. Foley. Begleiten sie mich doch in mein Büro, um die Ergebnisse zu besprechen."

Das war neu. Ich trottete gehorsam hinter ihm her, in sein wohnlich eingerichtetes Riesenbüro.

"Mr. Bonanno, hatten sie in letzter Zeit Beschwerden?"

"Ich hatte beruflich bedingt viel Stress und deshalb ab und an Kopfschmerzen, aber das war alles. Stimmt was nicht?"

"Wir haben eine Wucherung entdeckt. Knochensplitter befinden sich noch in ihrem Gehirn, im Bereich …"

Es war wie in einem Albtraum. Ich versuchte mit aller Kraft, aufzuwachen, aber es funktionierte einfach nicht.

"Was wir also tun sollten, ist folgendes: Um die Splitter zu entfernen, ist es nötig, eine OP am offenen Gehirn anzusetzen. Anders ist die Stelle leider nicht gefahrlos zu erreichen. Wir sollten möglichst bald handeln, denn …"

Innerlich schrie ich vor Wut und Verzweiflung. Womit hatte ich das verdient? Und überhaupt: Mir ging es doch gut!

"Warum sollte ich das machen lassen? Mir geht es doch gut."

"Ich versichere ihnen, Mr. Bonanno, das wird nicht so bleiben. Sehen sie, ihr Körper reagiert auf diesen Fremdkörper wie …"

Tausend Dinge schossen mir durch den Kopf … ich konnte nicht mehr klar denken.

"Mr. Bonanno, ich sag ihnen was: Wir rufen ihnen ein Taxi, sie reden mit ihrer Familie und morgen rufen sie wegen einem Termin an."

"Okay … gut. Aber ich kann fahren …"

Er versuchte erfolglos, mir ein Taxi aufzuschwatzen. Ich verlangte noch die Ergebnisse des CTs, die auf CD gebrannt wurden. Ich bekam eine Kopie und ging. Vom Parkplatz aus rief ich Sean an.

"Hey."

"Hey Jordan, was gibt's?"

"Ich muss mit dir reden, kann ich vorbeikommen?"

"Klar, heute Abend bei Brian?"

"Wo bist du gerade?"

"Im Institut, mit ein paar Studienkollegen."

"Kann ich da hinkommen? Ich muss dir dringend was zeigen."

"Ja natürlich, hast du was zu schreiben?"

Er gab mir die Adresse und ich fand irgendwie tatsächlich hin. Ich war im Schock. Ich konnte jetzt erstaunlich klar denken, alles war wie in Zeitlupe, aber ich spürte, dass es in mir brodelte.

Sean wartete schon am Eingang.

"Hey, alles okay? Du siehst blass aus."

"Kannst du dir das anschauen?"

"Klar, komm, suchen wir uns einen PC."

Sean vertrieb ein paar Leute von einem Apple und legte die CD ein. Er schaute sich die ganzen fünf Minuten Video, von allem was auf dem Monitor zu sehen gewesen war, an und sagte dabei kein Wort. Dann fragte er:

"Wann war dein letztes CT?"

"Vor sechs Monaten."

"Und damals war nichts auffällig?"

"Niemand hat was dazu gesagt."

"Okay. Jordan, du musst dich operieren lassen."

"Aber … mir fehlt nichts."

"Vielleicht merkst du die Effekte nur nicht. Das ist oft kompliziert. Wenn das Geschwür in einem halben Jahr so viel gewachsen ist, dann dauert es nicht lange, bis du massive Effekte erlebst."

"Das ist ein Albtraum, oder?"

"Mach dir keine Sorgen. Wir holen dir den besten Chirurgen und alles wird gut gehen."

In Seans Armen konnte ich die Fassade einfach nicht mehr aufrechterhalten.

"Ich hab solche Angst und ich bin so wütend."

"Ich weiß. Aber du hast Leute, die sich um dich kümmern werden. Zwei Wochen im Krankenhaus und dann kannst du dich zu Hause erholen. Es wird nicht so wie beim letzten Mal. Kein Drama, versprochen. Alles wird gut gehen. Du hast schon ganz andere Sachen überstanden."

"Das ist ja der Punkt. Ich hab genug! Ich hab es satt, ständig etwas überstehen zu müssen. Ich schaff das einfach nicht mehr, Sean."

"Ich bin bei dir. Ich helfe dir da durch. Du musst dich um nichts kümmern. Ganz ruhig … alles wird gut … hab keine Angst."

Ich weiß nicht wie lange wir da saßen. Sean hielt mich fest, schirmte mich vor neugierigen Blicken ab, tröstete mich.

"Bitte sei ehrlich. Diese OP ist verdammt gefährlich, oder?"

"Natürlich besteht bei jeder OP ein Risiko, gerade am Gehirn. Aber du bist jung und gesund und bekommst das beste Team. Du musst dir keine Sorgen machen."

"Okay … danke. … Ich schätze ich fahr dann mal nach Hause."

"Ich fahr dich."

"Und wie soll ich Tobey erklären, dass mein Auto hier steht? Ich schaff das schon …"

"Du willst Tobey nichts davon erzählen?"

"Er würde hier bleiben und seine große Chance verpassen. Das kann ich nicht auf mein Gewissen laden."

"Aber du kannst ihm das doch nicht einfach verheimlichen …"

"Sean, danke dass du dich um alles Medizinische kümmerst, aber den Rest musst du schon mir überlassen."

"Okay. Ich ruf dich nachher an. Und ich brauche eine Schweigepflichtsentbindung für deinen Arzt. Warte, ich hab noch irgendwo ein Formular …"

Eine halbe Stunde später stand ich zu Hause unter der Dusche. Nein, ehrlich gesagt saß ich unter dem Strahl. Plötzlich ging die Tür auf. Ich stellte mich schnell hin. Tobey schien nichts bemerkt zu haben und das Wasser wusch die verräterischen Tränen weg.

"Hey Jordan. Schön dass du zu Hause bist."

"Hey. Was machst du denn schon hier?"

"Meine Sachen sind verpackt. Jetzt muss sich nur noch ein Käufer fürs Auto finden."

"Du verkaufst den VW-Bus?"

"Weißt du was es kosten würde, den irgendwo einzustellen? Mehr als er überhaupt noch wert ist. Viel mehr."

"Trotzdem … du kannst ihn doch nicht einfach verkaufen. Ich denk mir was aus."

"Okay, wie du willst."

"Kommst du rein?"

"Ich hab heute früh geduscht. Also, was hast du heute noch vor?"

"Gwen abholen, in ein paar Stunden. Sonst nichts."

"Gut, dann lass uns an den Strand gehen."

"Okay, gerne."

"Ich such schon mal ein paar Sachen zusammen. Bis gleich."

Als ich aus der Dusche kam, hatte Tobey schon das Meiste gepackt und Sandwiches zum Mitnehmen gemacht.

"Hey."

"Hey."

Wir küssten uns zur Begrüßung wie ein ganz normales Paar, nicht etwa wie zwei Menschen, die nur noch ein paar Tage zusammen hatten. Wir machten uns was vor.

"Wie war es beim Arzt?"

"Die Ergebnisse der Blutprobe bekomm ich in ein paar Tagen."

"Und das CT?"

"Äh, da bekommt man die Ergebnisse gleich."

"Ja ich weiß, ich meinte … du willst nicht darüber reden, hm? Alles okay?"

"Ja klar, nur ein Routinecheck, hab ich doch gesagt …"

"Okay. Du brauchst nur noch eine Badehose, dann haben wir alles."

"Bin gleich wieder da."

Auf dem Weg zum Strand, als ich mir gerade dieses komische Geschwür in meinem Kopf vorstellte und mir am liebsten die Kopfhaut zerkratzt hätte, nahm Tobey plötzlich meine Hand. Ich muss wohl ziemlich irritiert geschaut haben.

"Was denn? Hier kennt mich niemand und ich will deine Hand halten, also halte ich deine Hand."

Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, warum wusste ich selbst nicht. Tobey ließ sofort seine Tasche fallen und nahm mich in den Arm. Ich schob ihn halbherzig weg, was ihn nicht im Geringsten aufhielt.

"Bitte sag mir was los ist."

"Nichts, ich weiß auch nicht."

"Wenn nichts los ist, warum brichst du dann auf offener Straße und ohne ersichtlichen Grund in Tränen aus?"

"Ich kann das nicht, Tobey."

"Was?"

"Das hier, das mit uns. Ich komm nicht damit klar, Pärchen zu spielen und zu wissen, dass du in ein paar Tagen weg bist. Tut mir leid."

Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Mein Kopf tat weh und ich bildete mir ein, das Geschwür zu spüren wie es wuchs.

"Darum geht es? Du willst das hier vorzeitig beenden?"

"Tut mir leid."

"Nein, mir tut es leid, dass ich mich so aufgedrängt habe. Ich geh und packe meine Sachen. Mach's gut, Jordan."

Er drehte sich um und stapfte zurück zur Wohnung, also entschied ich mich für den Strand.

Als ich eine Stunde später nach Hause kam, war er weg und der Schlüssel lag auf dem Wohnzimmertisch, genau wie damals mit Xander. Ich hatte keine Wahl gehabt, er wäre sonst geblieben und das hätte er mir irgendwann zum Vorwurf gemacht. Er durfte es nicht erfahren. So war es besser für ihn. Das sagte ich mir immer wieder.

Eine Stunde später holte ich Gwen ab und genoss mit ihr noch ein wenig Zeit im Park. Sean rief an und sagte mir, dass ich am Montag nach dem Konzert, also genau in einer Woche, ins Krankenhaus müsse und am Dienstag sein Professor schon einen Termin freigemacht hatte, um mich zu operieren.

Als Gwen an diesem Abend schlief, durchsuchte ich das Internet und fand erschreckende Geschichten über Menschen, die nach Gehirn-OPs nicht mehr mehr waren, als ein sabberndes Stück Fleisch. Ich rief Scott an.

"Hast du diese Woche mal Zeit, ich würde gerne meine Versicherungen durchgehen und Nachlassregelungen und so was."

"Diese Woche noch? Warte doch das Konzert ab. Die Vorbereitungen werden stressig genug. Ab Mittwoch probt ihr doch dafür."

"Dann morgen?"

"Warum hast du's damit so eilig?"

"Ich will es einfach hinter mich bringen. Das ist kein angenehmes Thema."

"Okay, morgen Abend. Ich such die Unterlagen raus."

"Bei dir?"

"Lieber in meinem Büro."

"Wie du willst …"

"Louise lebt jetzt bei mir."

"Okay, dann lieber in deinem Büro. Bis Morgen."

"Bis Morgen, Jordan."

In der Nacht machte ich kein Auge zu, oder zumindest kam es mir so vor. Irgendwann morgens kam Gwen ins Bett geklettert, mit einem Bilderbuch das ich ihr 'vorlas'.

Ich ging mit ihr spazieren, spielte mit ihr, las ihr noch mehr vor, der Tag war viel zu schnell vorbei. Um Fünf kam Nikki, um sie abzuholen.

"Wir müssen reden."

"Was ist los?"

"Ich muss nächste Woche ins Krankenhaus."

"Weswegen?"

"Ein Knochensplitter, der jetzt umwuchert wird, muss entfernt werden."

"Im Gehirn?"

"Ja."

"Ist das nicht riskant?"

"Hält sich in Grenzen."

"Tu nicht so cool. Ich seh in deinen Augen, dass du die Hosen voll hast. Wo ist Tobey?"

"Wir haben das Ganze frühzeitig beendet."

"Was?! Warum? … Oh nein, du hast es ihm nicht gesagt, oder?"

Ich hasste es, dass sie mich immer durchschauen konnte. Immer schon!

"Das will ich jetzt echt nicht diskutieren. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt."

"Redest du selbst mit Josh?"

"Ja, am Freitag."

"Okay. Dann viel Erfolg bei den Proben. Und wir reden am Wochenende noch mal."

"Okay."

Um Sieben kam ich zu Scott ins Büro, der gerade erst seine Sekretärin nach Hause schickte.

"Du hast wohl viel zu tun, hm?"

"Ach, ich hab doch immer viel zu tun. Auf meinem Schreibtisch liegen die Versicherungsunterlagen und ein paar Vordrucke für Nachlassregelungen. Ich bin gleich bei dir."

"Also, willst du mir sagen was los ist? Bist du krank?"

"Du denkst an HIV, oder?"

"Ein Schuss ins Blaue. Was ist los?"

"Ich muss operiert werden. Spätfolgen. Ein Stück Schädeldecke steckt noch im rechten Frontallappen. Das muss da raus und zwar bald. So was ist immer riskant, deshalb will ich vorbereitet sein."

"Tut mir leid."

"Schon gut, ich will es einfach nur hinter mich bringen."

"Na gut, dann schauen wir das mal durch …"

Um Zehn machte ich mich mit pochenden Kopfschmerzen auf den Heimweg. Um schlafen zu können, nahm ich ein paar Aspirin.

Am Mittwoch begannen die Proben in einem Fitnessstudio mit großem Gymnastikraum, den wir gemietet hatten, um die komplette Bühne nachzustellen. Mickey und Tom würdigten mich keines Blickes, Tobey starrte mich wütend an und Brian nahm mich sofort bei Seite.

"Das ist nicht richtig, Jordan. Du hättest es ihm sagen sollen und stattdessen machst du mit ihm Schluss."

"Wir waren doch gar nicht zusammen. Und außerdem geht er nach Japan."

"Nicht wenn du es ihm sagst."

"Das ist genau das Problem. Ich darf nicht der Grund sein, warum er hier bleibt. Er hat Verpflichtungen und einen Traum."

"Glaubst du nicht, dass du ihm wichtiger bist?"

"Jetzt vielleicht, aber irgendwann wird uns seine Frustration darüber auseinander bringen. Und was hat das Ganze dann gebracht? Ich habe meine Entscheidung getroffen, also lass uns proben."

Wir legten die Reihenfolge fest und bekamen einen Plan der Kamerafahrten. Die Bühne würde am Donnerstag schon stehen, von da an konnten wir dort proben. Eine DVD, das war eine große Nummer. Alles musste perfekt sein. Wir redeten kaum, wenn dann nur beruflich.

Am Nachmittag verzog ich mich auf eine Toilette, um ein paar Schmerztabletten zu nehmen. Es klopfte an der Kabinentür.

"Alles in Ordnung, Jordan?"

Jetzt fing ich also an zu halluzinieren.

"Xander?"

"Ja, ich bin's."

Ich schloss die Türe auf.

"Was machst du hier?"

"Wir sind eure Vorband."

"Ihr seid doch schon lange keine Vorband mehr."

"Bei so einem Großevent schon. Alles okay? Du bist so blass."

"Ja, war nur alles etwas anstrengend."

"Ich hab das Gefühl, wir hätten uns viel zu erzählen. Hast du mal Lust auf einen Kaffee mit mir?"

"In nächster Zeit wird alles etwas stressig, befürchte ich."

"Naja, du hast ja noch meine Nummer", meinte er unsicher.

Die Außentür ging auf. Tobey schaute nur kurz rein und zischte:

"Na das erklärt ja einiges."

"Warte!"

Aber er ließ die Tür schon wieder zufallen. Ich wollte hinter ihm her, aber was hätte ich ihm sagen sollen? Vielleicht war es ja am besten, wenn er wütend auf mich war. Das würde ihm den Abschied erleichtern …

"Was war das denn?"

"In der Band sind die Dinge in letzter Zeit recht kompliziert geworden."

"So kompliziert, dass euch nur noch die Trennung blieb?"

"Lange Geschichte. Ich muss wieder zurück … Wir sehen uns."

… oder auch nicht.

Tobey ignorierte mich von da ab völlig. Wir machten noch eine halbe Stunde weiter, dann überließen wir den Raum den O-Scars. Am liebsten hätte ich mich schreiend und stampfend auf den Boden geschmissen. Ich war so wütend! Alles ging in die Brüche, schon wieder. Ich kam mir langsam vor wie der Kerl, dem ständig von einem Geier die Leber raus gehackt wurde.

Zu Hause besoff ich mich bis ich einschlief, wozu es mit den Schmerztabletten gemixt nicht viel brauchte. Am nächsten Tag kam ich zu spät zur Probe. Niemand sagte etwas dazu, was ich fast am allerschlimmsten fand, denn es zeigte, dass es allen egal war, dass ich allen egal war.

Die Bühne war toll. Alles war riesig. Die Show würde bestimmt genial werden. Aber was würde danach werden?

Bis zum Samstag konnten wir die ganzen verdammten 20 Songs blind spielen. Jeder wusste genau, wohin er gehen musste, wo die Kameras sein würden, wohin man sich zu wenden hatte und so weiter. Ich kam mir fast vor wie in einer Boygroup.

Vor der Show und während die O-Scars auf der Bühne waren, machten wir Pressezeug. Nikki und Josh waren hinter der Bühne. Josh machte sich große Sorgen um mich und war am Freitagabend, als ich ihm erzählt hatte, dass ich bald für eine Weile ins Krankenhaus musste, kaum zu beruhigen gewesen.

Jede meiner Gesten, jeder Gesichtausdruck, all das war geplant. Die Halle war voll, die Fans waren lauter als wir. Nach 18 Songs verabschiedeten wir uns pro forma und warteten auf die Zugabe-Rufe, um die letzten beiden Songs zu spielen. Seit der Hälfte des Konzertes waren meine Kopfschmerzen fast unerträglich. Ich war plötzlich heilfroh, dass ich nur noch das Programm abspulen musste. Als wir nach dem 18. Song hinter den Kulissen verschnauften, gab mir Sean was zu trinken und Schmerztabletten.

"Die wirken schnell."

"Sieht man es mir so sehr an?"

"Nur ich. Du hältst dich gut. Nur noch zwei Songs."

In der Mitte des nächsten Songs blendete mich ein greller Scheinwerfer. Danach war es wie bei ganz alten Röhrenfernsehern. Wenn man die ausschaltet, dann schrumpft das Bild immer mehr zur Mitte hin zusammen, bis es weg ist. Und dann war alles dunkel. Ich machte einfach weiter, weil ich zuerst dachte, es wäre eine Panne der Lichttechnik. Aber als niemand irgendwie auf die Dunkelheit reagierte, schoss eine Welle der Angst durch meinen ganzen Körper. Ich konnte nichts mehr sehen. Das Programm spulte sich einfach weiter ab. Ich musste die Panik noch für eineinhalb Songs unterdrücken. Ich fand es schwierig, mein Gleichgewicht zu halten, aber ansonsten klappte alles erstaunlich gut. Alle verabschiedeten sich von den Fans. Die Jungs kamen nach vorne, für ein paar letzte gemeinsame Fotos. Ich hatte keine Ahnung, wer neben mir stand aber umfasste eine Taille und überspielte es mit einer gemeinsamen Verbeugung. Ich flüsterte.

"Lass mich nicht los."

"Bist du irre?"

Mickey, ausgerechnet.

"Nein, lass mich einfach nicht los."

Zwischendurch winkte ich und versuchte zu lächeln.

"Bring mich von der Bühne."

Mickey tat tatsächlich, worum ich ihn gebeten hatte. Wir gingen ein paar Schritte nach links, wo die großen Banner die Sicht auf uns verdeckten. Ich gab ihm das Mikro.

"Danke. Geh wieder, jetzt komm ich klar."

Er sagte nichts dazu, keine Ahnung was er sich dachte, oder ob er verstanden hatte. Ich spürte das gespannte Banner hinter mir und wusste, dass ich noch ein Stück gehen musste. Ich spürte eine Hand auf meiner. Seans Hand, ganz eindeutig.

"Schon gut, ich hab dich."

Er hakte mich bei sich unter und führte mich ein Stück weiter.

"Bring mich hier weg. Ich will nicht, dass Josh was merkt."

"Okay. In deine Garderobe. Komm, ich führ dich."

Er dirigierte mich durch eine Tür und auf einen Sessel, der in dem Raum stand. Er kniete wohl vor mir. Ich legte meinen dröhnenden Kopf in die Hände.

"Ich rufe einen Krankenwagen."

"Nein, der Presserummel …"

"Du musst sofort behandelt werden. Alles Mögliche kann passiert sein. Wenn der Tumor auf ein Blutgefäß drückt, das zum Sehzentrum führt, dann stirbt das Gewebe dort bald ab und du bleibst vielleicht für immer blind, also scheiß auf den Presserummel, verdammt noch mal!"

Sein Tonfall war so wütend und gleichzeitig hilflos, ich hatte ihn noch nie so gehört und war fast froh, ihn nicht zu sehen. Er rief einen Krankenwagen und gleich danach rief er seinen Professor an. Dann fühlte ich seine Hände wieder auf meinen Knien. Ich spürte, wie Tränen über meinen Hals liefen.

"Okay, was hast du heute schon an Medikamenten genommen?", fragte er ruhig, aber mit deutlich zitternder Stimme.

Ich holte eine Packung aus meiner Hosentasche.

"Vier davon und die die du mir gegeben hast."

"Okay. Alkohol oder so?"

"Nein, nichts."

Er wischte mir mit der Hand über die Wangen.

"Tut mir leid, ich hab kein Taschentuch. Ich muss mit ein paar Leuten reden. Ich bin gleich wieder bei dir."

"Lass mich nicht alleine."

"Ich bin gleich wieder da."

Er umarmte mich kurz und verließ schnellen Schrittes den Raum. Ich konnte nichts tun. Ich stand auf und tastete nach dem Waschbecken, das ich vor der Show hier gesehen hatte. Ich fand es tatsächlich und wusch mir das Gesicht. Die Tür ging auf.

"Sean schickt mich. Ich soll bei dir bleiben, bis der Krankenwagen kommt."

"Was ist mit der Presse, Scott?"

"Mach dir keine Sorgen darum. Uns fällt schon was ein. Setz dich, ich zeig dir wohin."

Er nahm mich am Ellbogen und ich zog ihn einfach an mich. Er nahm mich fest in den Arm.

"Ist ja gut. Ich hab dich. Dir wird nichts passieren. Alles wird gut. In ein paar Minuten ist der Krankenwagen da. Wenn also mein Handy klingelt, dann nehm ich dich am Arm und wir gehen Richtung Ausgang. Die Ordner haben die Anweisung, die Presseleute fernzuhalten, mach dir darüber also keine Sorgen. Konzentrier dich nur darauf zu gehen. Ich lotse dich durch. Du musst einfach nur gehen, okay?"

"Okay …"

Ich spürte für einen Moment seine Lippen auf meinen. Danach herrschte Stille, bis sein Handy klingelte.

"Bereit?"

Ich nickte.

"Okay, los geht's."

Ich hörte Stimmen. Scott schob mich durch einen langen Gang bis ich frische Luft spürte.

"Okay, hier ist der Krankenwagen. Die helfen dir jetzt beim Einsteigen. Sean sitzt schon vorne drinnen. Ich fahre hinter euch."

"Guten Abend Mr. Bonanno, mein Name ist Marty. Ich helfe ihnen, kommen sie."

Kurz danach lag ich auf einer Liege und die Türe wurde mit einem dumpfen Knall geschlossen.

"Hat jemand Fotos gemacht?"

"Nein, es waren keine Reporter da. So, ich wurde über ihre Krankengeschichte bereits informiert und werde ihnen einen Kurzzeit-Blutverdünner spritzen, damit das Blut besser durch eventuelle Engstellen gelangt."

"Okay …"

"Ein kleiner Pieks, so, das war's. Wie fühlen sie sich ansonsten?"

"Kopfschmerzen …"

"Ich befürchte, ich kann ihnen nicht mehr Schmerzmittel geben, als sie schon bekommen haben. Ich würde gerne Fieber messen. Das geht im Ohr."

Er dokterte noch alles Mögliche an mir rum. Und dann waren wir scheinbar auch schon bei der Klinik. Die Liege polterte unter mir eine Weile, bis ich wieder Seans Hand auf meiner spürte.

"Du musst kurz aufstehen und dich in ein Bett legen."

Er half mir rüber.

"Der OP wird schon vorbereitet. Es müssen noch ein paar Untersuchungen an dir gemacht werden und du wirst rasiert."

"Was auch immer …"

"Ich bin die ganze Zeit über bei dir. Du wirst von den gleichen Leuten operiert, die am Montag dabei gewesen wären. Es geht jetzt bloß ein bisschen schneller."

"Wo ist Josh?"

"Bei Nikki. Sie weiß Bescheid und wird es ihm schonend beibringen. Mach dir keine Sorgen. Scott wird auch gleich da sein. Wir haben ihn an einer roten Ampel abgehängt."

Ständig kamen fremde Stimmen, wollten irgendwas wissen und zupften an mir rum. Ich bekam einen Zugang und eine Schwester rasierte mich kahl und schmierte mir kaltes Zeug auf den Kopf.

"Du musst dir das Piercing raus machen. Und diese schrecklichen Teile in deinen Ohren auch."

Bei dem Tonfall in Seans Stimme musste ich grinsen.

"Schön dass dich das amüsiert. … Jedenfalls, Scott wartet draußen."

"Sind die mit den Untersuchungen fertig?"

"Ja."

"Dann soll er reinkommen."

Bald darauf kam ich in den OP und von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Ich wachte auf und alles war dunkel. Ich fühlte nach dem Verband an meinem Kopf. Dann schlief ich wieder ein.

Und dann sah ich Licht zum Fenster reinfallen. Ich erkannte sogar, dass an der Fensterscheibe ein bunter, gebastelter Schmetterling klebte. Ich drehte meinen Kopf langsam zur anderen Seite.

"Tobey."

"Du siehst mich?"

"Nein, ich hab dich gerochen", grinste ich.

"Hast du wegen dem hier mit mir Schluss gemacht?"

Ich nickte vorsichtig.

"Du bist so ein Idiot. Was denkst du dir dabei, so eine Entscheidung für mich zu treffen?! Wenn ich hier bei dir bleiben will, dann ist das nur meine Sache!"

"Was für ein Tag ist heute?"

"Montag."

"Dann hast du deinen Flug verpasst."

"Was hast du denn gedacht? Glaubst du, ich steig in ein Flugzeug und fliege um die halbe Welt, während das hier alles mit dir passiert?"

"Du kannst hier doch eh nichts machen. Versau dir nicht deinen Traum, nur wegen mir …"

"Nur wegen dir? Jordan, du weißt, dass du für mich der wichtigste Mensch auf dem Planeten bist! Ich konnte dich nicht alleine lassen."

"Jetzt bin ich wach und kann sehen. Ich liege hier noch zwei Wochen rum und dann kann ich nach Hause. Also flieg, Tobey, darauf bestehe ich. Und wenn du mir widersprichst, dann reg ich mich so sehr auf, dass die Ärzte dich rausschmeißen und dir Besuchsverbot erteilen."

"Du bist echt unmöglich. Du hättest es mir sagen sollen. Ich hätte dich nicht auftreten lassen. Dann wäre das vielleicht alles nicht passiert."

"Haben die Leute was mitbekommen?"

"Wie lange hast du denn weitergemacht?"

"Eineinhalb Songs."

"Ernsthaft? Nicht mal wir haben was mitbekommen."

"War Mickey sehr verwirrt?"

"Brian hat uns relativ schnell erzählen müssen, was los ist. Wir mussten uns ja was für die Presse einfallen lassen."

"Was habt ihr denen erzählt?"

"Dass du so überwältigt warst von der Resonanz der Fans und bla bla."

"Aus der Not eine Tugend machen, hm? So, jetzt verschwinde. Nimm den nächstmöglichen Flug nach Kyoto und ruf mich an, wenn du gelandet bist."

"Na gut. … Eines noch: Ich liebe dich sehr und ich werde jede Nacht mit deinem Gesicht vor Augen einschlafen. Und ich werde dir so viele E-Mails schreiben, wie du sie gar nicht lesen kannst."

"Das befürchte ich auch. Danke für alles, Tobey. Du hast mir echt den Glauben an die Liebe zurückgegeben. Vielleicht schreib ich sogar mal wieder ein paar kitschige Love-Songs …"

"Nur das wollte ich erreichen, also das mit dem Glauben, nicht das mit den kitschigen Songs."

Josh bestand drauf, von Nikki jeden Tag zu mir gebracht zu werden. Auch Sean kam oft vorbei, meistens mit etwas zu lernen. Brian besuchte mich mit Maddy, die ich fast nicht wiedererkannt hätte. Sie redete wie ein Wasserfall und ihre Haare gingen schon über die Schultern. Brian und sie kannten und verstanden sich offensichtlich ziemlich gut. Ich konnte nicht verhindern, dass ich Eifersucht spürte. Ich hätte das für Seans Tochter sein können, was er jetzt ist. Oder für Danny. Ich hatte so viele Chancen gehabt, in meinem Leben. Mehr als man für gewöhnlich bekommt. Und keine davon hatte ich genutzt, hatte ich nutzen können.

Nach einer Woche stand Vince plötzlich in der Tür. Er trug Danny in meinem Tragetuch.

"Wenn ich gehen soll, dann brauchst du es bloß sagen …"

"Komm rein."

"Danke."

Er zog sich einen Stuhl neben das Bett.

"Ich hab lange überlegt, ob ich kommen soll. Ich konnte einfach nicht anders. Wir wohnen endlich wieder in der gleichen Stadt. Ich will dich sehen. Ich will, dass du ein Teil meines Lebens bist."

"Ich brauche Zeit. Es tut immer noch weh, dich zu sehen."

"Wie viel Zeit willst du denn noch? Es waren jetzt über sechs Monate. … Ich vermisse dich. Ich will, dass du Danny beim Großwerden zusehen kannst."

"Er ist nicht unser Sohn."

"Er ist mein Sohn. Reicht das nicht? Ich will, dass er dich von klein auf kennt. Wie einen Onkel oder so was. Bitte, denk drüber nach. Ich lass dich schon wieder in Ruhe."

"Warte. Lass ihn mich mal sehen. Er ist ja eh wach."

Vince band ihn los.

"Hallo Danny. Mann, bist du groß geworden!"

"Überanstreng dich nicht."

"Ich werde ja wohl noch ein Baby durch die Luft wirbeln können. Das macht Spaß, hm? Ich hab gehört, du übst schon laufen?"

"Komm mal her, mein Spatz. Zeigen wir Jordan mal, was du schon alles kannst."

Die beiden blieben eine Stunde, bis Danny langsam quengelig wurde, weil er Hunger bekam. Vince erzählte, dass Collin sich wirklich verändert hatte und auch endlich die Adoption durch war. Die beiden schienen die Kurve wirklich noch mal bekommen zu haben und ich zwang mich dazu, mich für Vince zu freuen.

"Dürfen wir dich wieder besuchen kommen?"

"Jederzeit."

Nach insgesamt zwei Wochen konnte ich nach Hause. Ich sollte das Bett hüten. Brian hatte meinen Kühlschrank gefüllt und kam jeden Tag nach mir sehen und auch Janet schaute oft vorbei und kochte für uns beide.

"Wir haben uns schon lange nicht mehr unterhalten", bemerkte ich beiläufig.

"Das stimmt."

"Wie geht es dir so?"

"Willst du wissen ob ich immer noch eine Affäre mit einem verheirateten Kerl habe?"

"Zum Beispiel."

"Nein, das ist vorbei."

"Ich weiß nicht ob ich 'gut' oder 'tut mir leid' sagen soll."

"Ein bisschen was von beidem."

"Wie läuft der Laden?"

"Immer gut. Joe hat das im Griff."

"Sonst irgendwas Weltbewegendes?"

"Ich überlege, lesbisch zu werden."

"So?"

"Ja. Ich hab die Schnauze voll von Kerlen."

"Naja, ich hab festgestellt, dass es doch ein paar gute Kerle gibt, irgendwo da draußen …"

"Ja? Vielleicht sollte ich dann die Hoffnung noch nicht aufgeben. Und was gibt es bei dir neues? Also außer das, was ich in der Klatschpresse verfolgen konnte und der OP?"

"Scott heiratet."

"Echt? Wen?"

"Sie heißt Louise, dürfte in seinem Alter sein und hat echt Haare auf den Zähnen."

"Na dann viel Glück, Scott."

"Die Hochzeit ist in zwei Wochen. Bis dahin muss ich einigermaßen fit sein."

"Warum willst du denn da hin?"

"Weil er mich drum gebeten hat."

Ich lag die meiste Zeit rum, schrieb an ein paar Songs, mailte mit Tobey und Nina, sah meinen Haaren beim Wachsen zu. Drei Tage vor der Hochzeit sagte ich Scott, dass ich kommen würde. Er freute sich riesig, sagte aber auch gleich, dass ich mir nicht zu viel zumuten sollte und auch nicht lange bleiben müsse.

"Aber du musst ein Date mitbringen, sonst geht unsere Tischordnung nicht auf."

"Ach komm schon, wo soll ich denn ein Date hernehmen?"

"Das dürfte ja wohl nicht so schwer sein …"

"Ich werd mich mal umhören …"

Wunderbar. Ich kannte ja kaum jemanden, der Single war. Janet. Aber ich konnte sie doch nicht auch noch darum bitten. Sie würde denken, dass ich sie nur zum Fahren brauchte. Irgendeinen alten One-Night-Stand ausgraben, würde vermutlich nur für Ärger sorgen. … Ich musste das überschlafen.

In der Nacht träumte ich von Patrick. Nur ganz nebenbei, aber eigentlich war die Idee nicht schlecht. Vielleicht war er ja in der Stadt. Vince würde bestimmt auch dort sein. Ich beschloss ihn anzurufen. Tammy gab mir seine Nummer.

"Hey Patrick, hier ist Jordan."

"Das ist nicht wahr, oder? Dass du dich tatsächlich meldest!"

"Ich hab ein Angebot für dich."

"Lass hören."

"Ich brauche ein Date für eine Hochzeit am Samstag. Im Gegenzug hättest du Gelegenheit, Vince mal wiederzusehen."

"Uh, ein Date mit dir?"

"Hochzeitsdates sind keine richtigen Dates."

"Also ich bin in L.A. und meine Pläne für Samstag lassen sich verschieben."

"Schön. Da ist noch was: Weißt du, dass ich erst vor zwei Wochen aus der Klinik gekommen bin? Kann sein, dass ich jetzt nicht so der Partykracher bin."

"Solange ich einen Tanz mit dir und ein Schwätzchen mit Vince bekomme, ist das okay."

"Und Essen und Trinken umsonst."

"Und eine rührende Vermählungsszene. Ach, auf Hochzeiten muss ich immer heulen."

"Oh-mein-Gott", war alles, was mir dazu einfiel.

"Ja, du bist bestimmt Einer von denen, die auf Hochzeiten immer ganz zynisch werden, um ihren Neid zu vertuschen. Ich bin da gleich ehrlich zu mir selbst."

"Okay, das kann ja heiter werden …"

"Wann soll ich dich abholen?"

"Es geht um Fünf los, also so gegen halb?"

Ich gab ihm noch meine Adresse. Scott hatte recht behalten. Ein Hochzeitsdate finden war gar nicht so schwer.

Am Samstag um Vier stieg ich gerade aus der Dusche, als es klingelte.

"Was machst du denn schon hier?"

"Ich wollte sichergehen, dass du dich auch gebührlich anziehst. Lass mal sehen."

Ich zeigte auf die Klamotten auf der Couch.

"Nicht dein Ernst. Wie gut, dass ich vorgesorgt habe."

Er hatte plötzlich einen Kleidersack in der Hand.

"Oh Mann, das ist jetzt nicht wahr, oder?"

"Also, ich hab hier einen Smoking, aber statt dem üblichen weißen Hemd lockern wir das Ganze mit einem normalen Shirt auf. Das da zum Beispiel. Sag mal, warum liegt hier eigentlich überall Wäsche rum? Ich mag übrigens deine Frisur. Irgendwie Matthew Fox."

"Wer?"

"Oh mein Gott, lebst du hinterm Mond?"

"Kommt wohl auf die Perspektive an …"

"Schmeiß dich in Schale, E.T."

"Dein Smoking steht dir übrigens gut."

"Dankeschön", lächelte er überrascht.

Dachte der, ich hätte keine Manieren? Dem würde ich mich heute mal von meiner besten Seite zeigen. Also eben ab in den Smoking.

"Wusste ich es doch. Steht dir blendend. So nehm ich dich mit."

"Na Gott sei Dank. Wir haben noch Zeit. Setz dich. Willst du was trinken?"

"Hast du Apfelsaft?"

"Natürlich. Gwen ist verrückt danach."

"Das ist deine Kleine, oder?"

"Ja, da drüben hängt ein Foto, das war vor einem Jahr."

"Niedlich. Hör mal, ich muss dir noch was sagen, bevor wir losfahren."

"Okay. Was denn?"

Er deutete mir an, mich neben ihm auf die Couch zu setzen.

"Ich hab Prinzipien, weißt du? Und eine davon ist es, das folgende jedem vor dem ersten Date zu sagen, auch wenn Hochzeitsdates eigentlich nicht zählen."

"Okay, was ist los?"

Er sah sehr ernst aus.

"Ich bin positiv."

"HIV-positiv?"

"Ja. Mir geht es gut, ich nehme Medikamente, meine T-Zellen sind hoch, ich lebe seit ein paar Jahren damit."

"Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir leid."

"Schon okay. Ich wollte nur nicht, dass du es vielleicht durch Gerüchte oder so erfährst."

"Wie soll ich denn darauf reagieren? Wie reagieren die Leute normalerweise?"

"Die meisten müssen nach der Vorspeise plötzlich dringend weg."

"Warum sagst du es schon vor dem Date und nicht erst beim Dessert oder so?"

"Weil die Leute sich dann hintergangen fühlen, das hab ich schon ausprobiert. Schlimmer ist es nur kurz vor dem ersten Kuss."

"Stimmt, davon wäre ich auch nicht begeistert."

"Du weißt aber, dass man sich beim Küssen nicht anstecken kann, oder?"

"Und schwanger wird man davon auch nicht, danke für den Aufklärungsunterricht."

"Vielleicht sollten wir einfach schon mal losfahren."

"Warte. Ich will nur, dass du weißt, dass ich kein Problem damit habe. Danke dass du ehrlich warst."

"Das ist ja wohl klar…"

Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und drückte ihn kurz.

"Ich hasse Hochzeiten", schnaubte ich.

"Du warst noch nie mit mir auf einer. Aber du musst mich zurückhalten, wenn es dir zu viel wird."

In seinem Auto (ein rotes japanisches Cabrio) liefen die Chili Peppers.

"Was denn? Hast du Cher erwartet?"

"So halbwegs hab ich das befürchtet, ja …"

"Ich bin kein wandelndes Klischee."

"Das merke ich auch langsam."

"Ich hab noch ein paar andere CDs im Handschuhfach. Schau mal rein."

"Respektable Auswahl."

Beim zurücklehnen stach es kurz in meinem Kopf.

"Geht's dir gut?"

"Kopfschmerzen … aber nicht so schlimm."

"Dann sollten wir bald tanzen."

"Ich glaube, die müssen erst mal heiraten, dann gibt es Essen und dann wird erst getanzt."

"Oh Mann. … Wie heißt das Brautpaar eigentlich?"

"Louise und Scott. Scott war mal mein Agent. Louise kenn ich zum Glück nur flüchtig."

"Und Vince kennt ihn durch dich?"

"Nein, durch Collin. Die beiden haben zusammen studiert."

"Scott Douglas etwa?"

"Genau, du kennst ihn?"

"Ich kenne Vince durch Collin. Wir sind im gleichen Vorort von Boston aufgewachsen. In den Ferien hat Scott ihn manchmal besucht. Ich gehe also auf die Hochzeit von Scott Douglas. Krass."

"Bist du nicht viel jünger als die beiden?"

"Meine älter Schwester war mit Collin auf der High School und unsere Eltern sind befreundet."

"Wie alt bist du?"

"Jordan, so was fragt man eine Dame nicht! … Nur ein Scherz, ich wollte bloß dein Gesicht sehen. Ich bin zwei Jahre älter als du."

"Dann feierst du ja bald einen runden Geburtstag", grinste ich.

"Vorsicht, ja?"

"Oh, welch Eitelkeit!"

"Darf ich ehrlich sein?"

"Du sollst sogar ehrlich sein."

"Als ich vor fünf Jahren das Ergebnis bekommen habe, dachte ich, ich würde meinen 30. Geburtstag nicht erleben. Ich bin froh, dass ich bald 30 werde."

"Ach Patrick …"

Ich legte ihm die Hand auf's Knie und erklärte:

"Das ist nur ein Akt des Mitgefühls. Hochzeitsdates sind keine echten Dates."

"Wie du meinst. … Oh nein, nicht schon wieder … hinter uns fährt ein Polizeiauto. Gleich halten sie uns an."

"Warum?"

"Ich werde immer angehalten. Das ist eben so."

Schon blinkte es hinter uns auf. Patrick fuhr rechts ran.

"Ich bin noch nie angehalten worden", merkte ich an.

"Du hast auch keine Regenbogenfahne am Kofferraum kleben, nehm ich an."

"Die Diskussion darüber müssen wir wohl verschieben. Da kommt er."

"Guten Tag Officer. Gibt's ein Problem?"

"Führerschein und Zulassung bitte."

Patrick hatte schon alles bereitliegen.

"Darf ich fragen, warum sie mich angehalten haben?"

"Sie haben ein Stoppschild überfahren."

"Ja, weil die Ampel grün war."

Er drehte sich kommentarlos um und ging zu seinem Wagen, um die Unterlagen zu überprüfen. Ich konnte es echt nicht fassen!

"Er hatte keine Grund, uns anzuhalten!"

"Die haben nie einen Grund, mich anzuhalten, trotzdem passiert es alle paar Wochen."

"Warum lässt du die Fahne dann drauf?"

"Du kennst die Antwort. Ah da kommt er wieder."

"Alles in Ordnung, sie können weiterfahren."

"Danke, Officer."

"Das ist echt was, das ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Der blöde Aufkleber bringt doch niemandem was."

"Weißt du, wie oft ich schon von Jungs angesprochen wurde, die die Fahne gesehen haben und mir daraufhin erzählt haben, dass sie schwul sind, aber sich nicht trauen, es ihren Eltern zu sagen. Ich hab immer ein paar Visitenkarten vom Pride-Center dabei. Ich wünschte, ich wäre als Teenie jemandem begegnet, der mir so eine Visitenkarte in die Hand gedrückt hätte."

"Was ist mit Collin? Ich meine, er ist sieben Jahre älter als du. Konnte er dir nicht helfen?"

"Er ist auf's College gegangen als ich elf war … als ich 15 war und er mal wieder zu Besuch zu Hause, hab ich ihm gesagt, dass ich schwul bin. Sein einziger Rat war, dass ich schauen sollte, dass ich aus diesem Nest rauskomme. Das war natürlich kein schlechter Rat. Ein Jahr später hab ich meinen Eltern reinen Wein eingeschenkt …"

"Wie haben sie reagiert?"

"Sie haben mich rausgeschmissen, ich hab ein halbes Jahr auf der Straße gelebt, bis so ein Kerl mich bei sich einziehen hat lassen. Ich hab ein bisschen Geld verdient und so. Mit zwanzig hab ich auf der Abendschule die Highschool nachgeholt, mit 21 hatte ich den Abschluss. Danach hab ich versucht, Geld fürs College aufzutreiben, … hat nicht geklappt. Ich bin nach New York und hab eine Ausbildung zum Fotografen gemacht. Drei Jahre später bekam ich eine schlimme Grippe, oder zumindest dachte ich das. Mein Arzt hat den HIV-Test gemacht. Noch während der akuten Infektion hab ich Medikamente bekommen. Deshalb leb ich heute noch. Anfang 2001 hab ich Collin zufällig wiedergetroffen. Ich machte für einen Artikel Fotos von Vince und er kam dazu. Mit Vince hab ich mich gleich sehr gut verstanden. Wir sind in Kontakt geblieben. Ja so war das …"

"Bei wem hast du dich angesteckt, darf ich dich das fragen?"

"Bei meinem damaligen Freund. Er ist vor drei Jahren gestorben."

"Tut mir leid."

"Wir waren nicht mehr zusammen. Er hat mir damals erzählt, er hätte sich testen lassen, später hat er zugegeben, dass das gelogen war. Da war es zwischen uns natürlich vorbei."

"Scheiße. Man denkt, man könnte jemandem vertrauen und dann so was …"

"Wann hast du dich das letzte Mal testen lassen?"

"Vor fünf Wochen."

"Wenn du mit jemandem zusammen bist, verlang trotzdem immer das schriftliche Ergebnis. Die Leute halten sich für unsterblich. Sie denken, es ist nichts dabei, wenn sie diesbezüglich lügen, weil Aids bekommen nur andere Menschen, man selbst natürlich nicht."

"Ich nehm es mir zu Herzen."

"Am besten nimmst du einfach immer ein Kondom, egal mit wem."

"Patrick, du gibst mir schon wieder Aufklärungsunterricht …"

"Sorry, aber ich mein es bloß gut."

"Ich weiß. Was ist mit deinen Eltern?"

"Ich hab keinen Kontakt zu ihnen. Sie wissen, dass ich positiv bin, das hab ich ihnen damals geschrieben. Es kam keine Antwort. Damit war die Sache für mich endgültig erledigt."

"Verständlich. Ich glaub, hier musst du abbiegen …"

"Wow, schönes Gebäude. Glaubst du, die haben echt den großen Saal hier gemietet?"

"So wie ich Scott kenne, schon…"

"Wie viele Leute kommen denn?"

"Keine Ahnung, hab nicht gefragt."

"Oh Mann, du bist echt ein typischer Kerl."

"Ich bin eben nicht so kommunikativ … das war früher aber noch schlimmer. … Wollen wir reingehen?"

"Sicher."

Es war viertel vor Fünf und der Saal schon ziemlich voll. Die Braut hatte sich wohl schon zurückgezogen. Scott begrüßte die Leute. Ich machte einen Bogen um ihn.

"Ehm, was ist los?"

"Ich stell mich doch nicht an, um Scott zu begrüßen …"

"Aber das macht man eben so. Verheimlichst du was?"

"Nein, ich weiß auch nicht. So viele fremde Menschen … Scotts Familie und so … das macht mich irgendwie nervös …"

"Dann suchen wir uns einfach schon mal einen Platz, hm?"

"Das wäre mir am liebsten, ja."

"Sie haben uns noch nicht gesehen, aber da drüben sind Collin und Vince. Willst du dich zu ihnen setzen?"

"Ja, ich denke das sollten wir gleich hinter uns bringen."

"Hast du noch nicht mit Vince gesprochen seit … du weißt schon … ?"

"Doch, er hat mich im Krankenhaus besucht. Aber ich hab keine Ahnung wie Collin reagiert …"

"Na mal sehen."

"Hallo ihr drei."

"Jordan! Du hast es geschafft zu kommen! Schön."

"Ich glaube, ihr kennt Patrick."

Begrüßungsküsschen wurden ausgetauscht, was ich wie immer befremdlich fand. Danny schlief in seiner Tragetasche am Boden. Lucy und Dennis saßen ein Stück weiter und grüßten etwas verhalten. Patrick übernahm den Smalltalk, wofür ich ihm sehr dankbar war. Die Reihen füllten sich. Musik, Einmarsch, Zeremonie, schniefende Menschen um mich, es ist doch echt bei jeder Hochzeit das Gleiche. Patrick schmachtete vor sich hin und tuschelte ständig mit Vince. Ich war froh als der Spuk vorbei war und es Essen gab. Patrick plapperte mit den wildfremden Menschen an unserem Tisch und hatte scheinbar wirklich Spaß. Jemand tippte mir auf die Schulter. Da stand die kleine Jenna, nur viel erwachsener.

"Hi. Erinnerst du dich an mich?"

"Natürlich. Du bist Jenna, Scotts Tochter."

"Mir ist langweilig und ich kenne irgendwie kaum jemanden, außer meiner Verwandtschaft. … Kann ich mich hier rein quetschen?"

"Klar, da drüben ist ein Stuhl frei."

Sie zog ihn sich rüber.

"Zeig mal die Narbe."

Ich beugte meinen Kopf runter.

"Hat sich die Band deshalb getrennt?"

"Nein, dass ich operiert werden muss, hab ich erst nach der Trennung erfahren."

"Ist das dein Freund?"

"Nein, nur mein Hochzeitsdate. Patrick, darf ich dir Jenna vorstellen? Scotts Tochter."

"Wir sind uns begegnet. Allerdings warst du da noch ein kleines, rothaariges Baby. Dein Dad hat mit dir zusammen Collin besucht."

"In Peabody? Da sind wir jeden Sommer hingefahren, bis ich fünf war."

"Ich bin 92 weggezogen. Damals warst du noch keine drei. Dein Dad mochte es gar nicht, wenn ich angefangen habe, deine Sommersprossen zu zählen."

"Das machen die Leute ständig! Woher kennt ihr beiden euch?"

"Von der Arbeit. Ich bin Fotograf. Ich hab die Bilder von Summerskin in diesem asiatischen Garten gemacht, war in allen Teenie-Magazinen."

"Ja, ich kenne die Fotos, die waren echt heiß."

"Lag an den Motiven. Isst du denn gar nichts?"

"Ich wurde zum Essen neben die Braut gesetzt, da faste ich lieber."

"Bedien dich ruhig, wo du schon mal hier bist. Also magst du die Braut auch nicht?"

"Wer mag sie denn sonst noch nicht?"

"Jordan hat so was durchklingen lassen …"

"Wirklich? Sie ist seltsam, stimmt's?"

"Ich hab sie noch überhaupt nicht richtig kennengelernt, keine Ahnung. … Und du solltest deine Meinung auch noch mal überdenken. Du wirst wohl mit ihr auskommen müssen."

"Das werden wir ja sehen. … Ich hab das Gefühl, dass mein Dad sie nur aus Frust heiratet. Ich glaube, die Person, die er wirklich haben wollte, hat nicht das Gleiche für ihn empfunden. Und jetzt mit fast 36 nimmt er, was er kriegen kann …"

"Ach Schätzchen, das ist ja schrecklich. Wer war es denn?", fragte Patrick im Plauderton.

Mir wurde heiß.

"Wenn ich das wüsste. Er redet nicht darüber. Jetzt ist es wohl sowieso zu spät. … Naja, danke für das Asyl. Ich gehe dann mal wieder zu meiner Sippe."

"Tolles Mädchen, findest du nicht?"

"Hm, was?"

"Alles okay? Sollen wir lieber fahren?"

"Nein, schon okay, … es ist nur das, was sie gesagt hat, … ich frage mich, ob es stimmt."

"Sie ist seine Tochter, sie wird es wohl wissen. Hast du eine Ahnung, mit wem Scott vorher zusammen war?"

"Ich kann darüber nicht reden, das will er nicht."

"Ich kann ja mal einfach so drauf los raten und du zwinkerst einfach, wenn ich nah dran bin."

"Ich hab keine Lust auf solche Spielchen …"

"Na schön. … Du isst nichts mehr, hm?"

"Ich hab irgendwie keinen rechten Appetit …"

"Willst du eine Runde spazieren gehen, ein bisschen frische Luft schnappen?"

"Gute Idee."

Wir steuerten durch die Tische, ich musste ein paar Leute grüßen, die ich von der Arbeit mit Summerskin oder aus dem Studio kannte. Zwischendurch warf ich einen Blick auf Scott's Verwandtschaft. Eigentlich wirkten die alle ganz nett, aus der Ferne.

Draußen dämmerte es schon.

"Das Licht wäre gerade perfekt, um Fotos zu machen."

"Stimmt, irgendwie hat bisher noch niemand Fotos gemacht."

"Die meisten Paare machen das vor der Zeremonie."

"Bringt das nicht Unglück?"

"Besser als keine guten Hochzeitsfotos zu haben. … Du bist wunderschön in diesem Licht."

"Patrick, ich …"

"Aus mir spricht der Ästhet, der ich berufsbedingt bin. Ich wollte dir keine Avancen machen."

"Gut. Ich könnte damit gerade nämlich wirklich nicht umgehen."

"Was hat dich so verstört? Das was Jenna gesagt hat?"

"Ich kann nicht darüber reden."

"Wenn du nicht darüber redest, dann zerfrisst es dich innerlich."

"Ich mache mir einfach nur Sorgen um Scott. Ich hoffe, dass er glücklich ist."

"Ihr seid also mehr als Kollegen. So was wie Freunde?"

"Ja, so was wie Freunde, das trifft es ziemlich gut."

"Bist du diese Person? … Schau Jordan, ich weiß, warum du mir so was nicht sagen willst. Ich bin zwar politisch und versuche, die Leute davon zu überzeugen, sich zu outen, aber ich würde nie selbst jemand anderen outen. Wenn du mir etwas als Freund erzählst, dann bleibt es unter uns. Versprochen."

"Ich sehe schon, der heutige Abend endet im Soulstrip …"

Ich erzählte ihm von mir und Scott und woran es gescheitert war. Und von dem ständigen hin und her.

"Du hattest keine Wahl. Hättest du dich ständig verstecken sollen? Er hat die Entscheidung getroffen, nicht du."

"Ich weiß, … aber vielleicht hätte er sich anders entschieden, wenn ich geduldiger gewesen wäre …"

"Noch geduldiger? Jetzt hör aber auf. Du bist nicht für sein Glück verantwortlich, Jordan. Er hat sich entschieden, den Schwanz einzuziehen und den bequemen Weg zu nehmen. Und Ende. Du lässt dich oft auf solche Kerle ein, oder?"

"Was für Kerle?"

"Heteros, oder welche, die sich dafür halten."

"Ich mag diese Kategorien nicht …"

"Aber du wirst doch genau so in eine Kategorie gesteckt, also arrangier dich besser damit."

"Ich sehe mich nicht als schwul. An dem Wort hängt ein ganzer Lebensstil, den ich nicht teile, im Gegensatz zu dir zum Beispiel."

"Okay, dann erzähl mir mal was über meinen Lebensstil", forderte er schnippisch.

"Du hast diese Attitüde, du weißt schon, … diesen Stolz, dieses Schnippische, Schlagfertige. Du bist politisch engagiert in einer Gemeinschaft von Schwulen …"

"Ich will eben irgendwo hingehören, das ist alles. Will das nicht jeder?"

"Aber das ist doch alles nur Fassade …"

"Die Unterstützung ist echt. Weißt du Jordan, nicht jeder von uns hat das Glück, eine Familie zu haben. Manche von uns wären sonst alleine."

"Ich weiß … aber selbst wenn es meine Kinder nicht gäbe … warum muss man sich unbedingt darüber definieren, mit wem man schläft?"

"Tu ich doch nicht. Ich hab in den letzten fünf Jahren kaum Sex gehabt. Ich definiere mich über Lebensumstände, habe Kontakt zu Menschen, die ähnliches erlebt haben und mit denen ich Erfahrungen austauschen kann. Es geht überhaupt nicht um Sex, es geht um Identität."

"Wow. Ich … wir haben einfach eine ganz andere Sichtweise der Dinge. Für mich ist das Ganze eben nicht identitätsstiftend. Es ist nur ein Zufall. Wenn ich mich in einen Mann verliebe, dann ändert das nichts daran, wer ich bin, verstehst du?"

"Aber das wird doch alleine schon von außen an dich herangetragen. Du kannst dich mit einem Mann zum Beispiel nicht ohne Probleme in der Öffentlichkeit zeigen."

"Da fehlt mir die Sensibilität, glaub ich. Und ich hab festgestellt, dass ich öfter Probleme habe, wenn ich in Punk-Kluft durch die Gegend laufe, als wenn ich mit einem Mann Händchen halte."

"Da hab ich andere Erfahrungen gemacht. … Naja, wie auch immer, wir sollten langsam wieder reingehen …"

Drinnen wurde gerade die Torte angeschnitten und Fotos geschossen.

"Oh bitte, aus dem Blickwinkel bekommt der niemals ein annehmbares Bild der Braut!"

"Entspann dich. Du bist nicht zum arbeiten hier. … Da drüben ist Vince. Lass uns mal rüberschauen, ja?"

Als der Trubel um die Torte sich gelegt hatte, kam Scott rüber.

"Jordan! Ich hab dich noch gar nicht gesehen. Danke dass du gekommen bist, das weiß ich wirklich zu schätzen."

"Ach, du weißt doch, wie sehr ich Hochzeiten mag …"

Mein Tonfall triefte vor Ironie.

"Ja natürlich. Aber das ein oder andere Mal lohnt es sich doch, auf Hochzeiten zu gehen. Manchmal lernt man dort interessante Leute kennen."

"Du musst wissen, Patrick, dass die beiden sich auf unserer Hochzeit kennengelernt haben", erklärte Vince.

"Ah, danke Vince. Wo ich den Bräutigam schon mal da habe: Wann eröffnet ihr denn den Tanz?"

"Wir kennen uns, oder?"

"Das ist der kleine Patrick Livingston. Erinnerst du dich?", fragte Collin.

"Aus Peabody, natürlich! Wie hat es dich denn auf meine Hochzeit verschlagen?"

"Ich bin Jordans Date. Wir kennen uns von der Arbeit. Ich bin Fotograf."

"Die Welt ist klein, nicht wahr? So, dann denke ich, ist es bald Zeit für den ersten Tanz. Die Band macht sich schon fertig. Wir sehen uns bestimmt noch."

Zehn Minuten später musste ich, wie versprochen, mit Patrick tanzen. Danach war er zufrieden.

"Wie geht's dir?"

"Ehrlich gesagt werden die Kopfschmerzen immer schlimmer …"

"Dann bring ich dich jetzt nach Hause."

Wir verabschiedeten uns noch von Vince und Collin und winkten Scott, der gerade eingespannt war, aus der Ferne.

Im Auto schlief ich wohl ein und wachte erst auf, also wir vor dem Haus standen und Patrick mir ganz leicht ins Ohr pustete.

"Tut mir leid. Das passiert zurzeit häufiger."

"Schon okay. Ich bring dich noch hoch, ja?"

"Mach dir keine Umstände …"

"Ich will nicht, dass du die Nacht im Treppenhaus verbringst. Komm schon."

Ich hakte mich bei ihm unter. Mir war etwas schwindlig.

An der Wohnungstür verabschiedeten wir uns.

"Du bist sicher, dass du klar kommst?"

"Mach dir keine Sorgen."

"Die Wohnung ist nicht gut in Schuss."

"Ich soll so wenig wie möglich aufstehen …"

Und außerdem hatte ich irgendwie nicht die Energie, irgendwas zu tun. Nicht mal Gitarre zu spielen.

"Ich komme morgen vorbei und lebe meine Putzlust aus."

"Das könnte ich nicht zulassen."

"Putzen ist wirklich ein Hobby von mir und ich will mich revanchieren, weil du mich auf die Hochzeit mitgenommen hast."

"Aber hier herrscht das totale Chaos."

"Genau deshalb steh ich morgen um Neun vor deiner Tür. Bis dann, Jordan."

Er gab mir einen Kuss auf die Wange und war weg, bevor ich ihm widersprechen konnte.

Am nächsten Morgen stand er tatsächlich kurz nach Neun vor der Tür und fegte, wischte und räumte zwei Stunden lang durch die Wohnung, während ich auf der Couch saß und meinen schmerzenden Kopf stützte. Er setzte sich neben mich.

"Brauchst du einen Arzt?"

"Der kann auch nichts machen. Ich hab schon das Maximum an Schmerzmitteln intus."

"Leg dich hin, ich geb dir eine sanfte Kopfmassage. Mal sehen, ob das was bringt."

Es fühlte sich an, als würde der Druck aus meinem Kopf entweichen. Ich schlief sogar ein.

Als ich aufwachte, war es nach Drei und es roch gut.

"Bist du wach?"

Ich nickte.

"Hungrig?"

"Ein bisschen …"

"Gemüseauflauf. Ich hab schon gegessen. Ich bring dir einen Teller"

Die Wohnung war blitzblank.

"Du wärst echt eine gute Ehefrau."

"Ich weiß. Das hab ich von meiner Mutter. Die ist auch ein Putzteufel. Deine Wohnung ist übrigens sehr schön. Und so groß, vor allem für einen alleine."

"Ich hoffe, dass meine Kinder bald wieder öfter hier sein werden. Josh kommt nächste Woche aus seinem Baseballcamp zurück."

"Verzeih mir, dass ich so direkt bin, aber du solltest hier nicht alleine wohnen, zumindest nicht in den nächsten Wochen. Ich hab einen Vorschlag. Im Zentrum tauchen immer wieder Jungs auf, die knapp über 18 sind und von zu Hause rausgeschmissen wurden. Einige gehen noch zur Schule, oder sie sind auf dem College. Die brauchen meistens sehr schnell eine Unterkunft für ein paar Wochen, bis die Eltern sich beruhigt, oder sie was Eigenes gefunden haben. Wäre das nicht eine Idee?"

"Ich soll jemand wildfremden hier wohnen lassen?"

"Nicht irgendjemanden. Du kannst mal mit ins Zentrum kommen und mit ein paar Jungs reden. Einige übernachten dort, aber das ist nicht das gelbe vom Ei und recht überfüllt."

"Ich weiß nicht, Patrick …"

"Ich hab dich damit jetzt überfallen. Lass es dir durch den Kopf gehen und fahr mit mir am Dienstag ins Zentrum. Dann kannst du dich immer noch entscheiden."

"Okay."

"Iss auf, bevor es kalt wird."

Den Montag verschlief ich fast komplett. Am Dienstag holte Patrick mich um Fünf ab.

"Heute wird mexikanisches Essen gekocht. Ich schieß ein paar Fotos für die Webseite."

"Lass mich bloß nicht alleine."

"Mach dir keine Sorgen. Die Leute dort sind sehr offenherzig. Sie werden dich gut aufnehmen."

"Ich will ja gar nicht aufgenommen werden …"

"Du könntest echt gut ein paar Freunde gebrauchen."

"Aber keine … du weißt schon … tuntigen Aktivisten die keine anderen Themen kennen, als die großen Divas und den nächsten Christopher Street Day."

"Du bist zu oberflächlich, Jordan. Jeder von ihnen hat eine Geschichte die ihn zu dem gemacht hat, wer er ist. Lern die Leute erst mal kennen, bevor du urteilst und vor allem die Jungs. Viele davon stehen auf Messers Schneide. Einige gehen auf den Strich, viele haben Drogenprobleme, keiner hat ein richtiges zu Hause, niemand kümmert sich um sie. Für die Fürsorge sind sie zu alt, aber zu jung, um auf sich selbst aufzupassen. Und alles fängt damit an, dass sie ihren Eltern sagen, dass sie schwul sind."

"Bist du damals auch auf den Strich gegangen?"

"Ich hatte keine andere Möglichkeit, genügend Geld zu verdienen. Das wollen wir diesen Jungs ersparen. Wir helfen ihnen, so gut wir können, aber es sind einfach zu viele."

"Das ist dir verdammt wichtig, oder?"

"Ich will mit meinem Leben etwas anfangen, weißt du?"

"Okay, ich hör auf zu nörgeln."

Diese Pride-Center war genau wie man es sich vorstellt. Nicht groß, in einer miesen Gegend, aber innen freundlich und farbenfroh eingerichtet, ein bisschen wie eine Kinderarztpraxis. Es gab eine Empfangsdame, ein paar Sitzgelegenheiten, weiter hinten eine Küche und ein abgetrenntes Büro. In der Küche herrschte reges Treiben. Ein älterer Kerl in einer Schürze fuchtelte mit einem Pfannenwender herum, ein anderer im Hawaii-Hemd kreischte. Die anderen drei waren alle viel jünger, aber genau so schrill. Am liebsten wäre ich rückwärts wieder rausgegangen. Patrick schob mich weiter. Irgendwas roch verbrannt.

"Hallo zusammen. Das riecht aber sehr interessant."

"Niemand hat an ein Rezept gedacht. Jetzt versuchen wir gerade Maismehl-Pfannkuchen. Aber das Zeug klebt ständig fest und verschmort."

"Das ist übrigens Jordan."

Der Kerl in der Schürze ließ alles stehen und liegen, um mich zu begrüßen.

"Ah, endlich lernen wir dich kennen. Du hast recht, Patrick. Er hat was von Matthew Fox."

"Ich glaube, das brennt schon wieder an, Malvin …", meinte einer der Jüngeren.

"Verflixt noch Mal. Kann einer von euch beiden kochen?"

"Schaut nicht mich an, ich mach bloß Fotos."

"Habt ihr es mal mit mehr Öl versucht?", schlug ich vor.

"Bist du verrückt? Das geht doch direkt auf die Hüften!"

"Ich befürchte, so werdet ihr den Maisfladen verkohlt essen müssen. … Was macht ihr denn dazu?"

"Dosenmais und Dosenbohnen. Und Salsa natürlich."

"Na das sollte ja dann nicht mehr so schwer sein."

Ich machte mich nützlich, wurde ein bisschen ausgefragt, ob ich denn Single sei und auf der Suche, bejahte das erste, verneinte das zweite. Die Leute waren wirklich nerviger als ich gedacht hatte. Sie diskutierten gerade über das Ende von Sex & the City, als ein junger Punk reinkam. Er ging zwei Schritte durch die Tür, hörte Malvin über irgendwas kreischen und ging rückwärts wieder raus. Malvin schickte den Kerl im Hawaii-Hemd hinter ihm her. Durch ein großes Fenster sah ich ihn gestikulieren, der Punk wich immer weiter zurück.

"Ich geh mal eine rauchen."

Ich stellte mich auf die andere Seite der Tür und beobachtete, wie der Typ im Hawaii-Hemd auf den Jungen einredete.

"Vergiss es, ich weiß echt nicht, was ich mir gedacht habe. Ich gehör hier nicht her."

Er drehte sich um. Der Hawaii-Kerl hatte anscheinend aufgegeben. Er ging wieder rein.

"Warte." rief ich.

Spontane Eingebung.

"Was denn, versucht jetzt jeder von euch sein Glück?"

Ich sah, dass er für einen Moment auf mein Ramones-Shirt schaute.

"Ich gehöre nicht hier her. Also ich meine … ich arbeite hier nicht oder so was. Ein Freund hat mich mitgeschleppt. Willst du eine Kippe?"

"Ich nehme keine Geschenke an. Die Leute erwarten immer eine Gegenleistung."

"Da hast du vermutlich recht. Aber ich hab heute meinen sozialen Tag. Also?"

"Na schön."

Er nahm sich eine und steckte sich eine zweite hinters Ohr. Dann ließ er sich an der Wand runter gleiten und saß auf dem Gehsteig.

"Hast du auch Feuer?"

"Klar."

Ich setzte mich neben ihn und gab ihm das Feuerzeug.

"Also, wohnst du hier in der Gegend?"

"Siehst du, du willst als Gegenleistung Antworten."

"Eigentlich will ich mich nur unterhalten. Ich hab keinen Bock, da wieder rein zugehen."

"Was machen die da eigentlich?"

"Maisfladen."

"Stinkt ziemlich."

"Sie benutzen zu wenig Öl, jetzt brennt ihnen ständig was an, aber sie lassen sich nicht belehren."

"Ich hab heute noch nichts gegessen."

"Den Maisfladen würde ich dir nicht empfehlen."

"Ist er umsonst?"

"Ich hol mir nachher ne Pizza. Du kannst die Hälfte haben, wenn du willst."

"Also, was willst du?"

"Ich will einem Freund einen Gefallen tun. Ihm liegt viel an dem Center. Aber ich kann mit den Leuten da drinnen nichts anfangen. Deshalb versuche ich dich zu bearbeiten, mit reinzukommen, dann hätten wir beide was davon."

"Willst du diesen Kerl ins Bett kriegen, oder was läuft da?"

"Wir sind Freunde, oder so was. Er hat mir geholfen und jetzt will ich meine Dankbarkeit zeigen."

"Aber du bist schwul, oder?"

"Ja, bin ich."

"Ich kenne nicht viele Schwule."

"Woher kommst du?"

"Phoenix."

"Hey, ich auch. Aus Glendale."

"Peoria."

"Seit wann bist du in L.A.?"

"Seit ein paar Wochen, seit ich den Abschluss habe."

"Du hast den Abschluss, das ist schon mal gut."

"Wie alt bist du?"

"27 und du?"

"18"

"Bist du wirklich 18?"

"Gestern war mein Geburtstag. Willst du meinen Führerschein sehen, oder was?"

"Nimmst du Drogen?"

"Dafür hätte ich überhaupt keine Kohle."

"Warum bist du hier hergekommen?"

"Keine Ahnung, ich dachte, vielleicht springt eine Übernachtung dabei raus, oder so. Aber lieber schlaf ich auf der Straße."

"Und was ist dein großer Plan?"

"Ich hab keinen großen Plan."

"Warum bist du dann nach L.A. gekommen?"

"Zu Hause konnte ich nicht mehr bleiben, nachdem meine Mum mich mit einem Kerl im Bett erwischt hat. Wenn ich schon auf eigenen Beinen stehen muss, dann wenigstens in einer coolen Stadt."

"Und das klappt nicht so gut, hm?"

"Ich hab kaum noch Geld und weiß auch nicht, wo ich welches hernehmen soll. Ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung."

"Ich glaube echt, dass die Leute da drinnen dir helfen können. Du bekommst Essen und eine Unterkunft für ein paar Tage. Und jede Menge Broschüren und so."

"Bullshit."

"Ja, du hast recht. Aber du hast keine Wahl, glaub ich, es sei denn, du willst auf den Strich gehen …"

"Ich hab schon darüber nachgedacht. Aber alleine die Vorstellung …"

"Versuch doch noch mal mit deiner Mum zu reden."

"Das hat keinen Sinn, glaub mir. Ach, das ist doch alles Scheiße."

"Ja, das stimmt."

"Wie war es bei dir damals?"

"Was? Nach L.A. kommen oder meiner Mum sagen, dass ich was mit nem Kerl habe?"

"Nach L.A. kommen."

"Ich hatte einen Plan und einen Freund, der mich unterstützt hat."

"Und, hat alles so funktioniert, wie du es dir vorgestellt hast?"

"Im Leben läuft es doch nie, wie man es sich vorstellt. Aber ich kann mich nicht beklagen."

"Wie heißt du?"

"Jordan. Und du?"

"Jerry."

"Wollen wir rein gehen?"

"Glaub nicht, dass du mich mit der Psycho-Nummer dran gekriegt hast. Ich geh da rein weil ich Hunger hab."

"Natürlich", grinste ich.

Die Anderen waren inzwischen auch auf die Idee gekommen, Pizza zu bestellen.

"Sollte jeden Moment geliefert werden."

Patrick stellte alle reihum vor und Jerry sagte auch artig seinen Namen. Dann kamen schon die Pizzen. Auch die Empfangsdame mit dem Regenbogen-Halstuch aß mit. Danach drückte sie Jerry ein Formular in die Hand, das er ausfüllen sollte und ließ sich seinen Führerschein zeigen. Ich ging nochmal eine rauchen. Jerry kam mir hinterher.

"Die sagen, ich soll mit diesen anderen drei Sissys da drinnen campen."

"Warum erzählst du das mir?"

"Weil sie auch gesagt haben, dass du dir überlegst, einen von uns bei dir wohnen zu lassen. Wenn dann ja wohl mich, oder?"

"Es gibt da ein paar Regeln. Wenn du mit denen einverstanden bist, dann kannst du ein paar Tage bei mir bleiben."

"Okay, lass hören."

"Also erstens: Keine Drogen. Wenn ich irgendwas bei dir finde, dann schmeiß ich dich nicht nur raus, sondern bring dich direkt zur nächsten Wache."

"Kein Problem."

"Ich werde deine Sachen durchschauen."

"Wenn du drauf stehst, in alten Unterhosen zu wühlen, bitteschön."

"Du bringst niemanden mit heim. Keine Eroberungen, keine Saufkumpanen, niemanden."

"Ist das nicht ein bisschen hart?"

"Ich hab zwei Kinder, ein fremder Kerl in meiner Wohnung ist schwer genug zu erklären, vor meiner Ex, die nur darauf wartet, das alleinige Sorgerecht einfordern zu können."

"Kinder? Wohnen die bei dir?"

"Nein, aber sie kommen so oft es geht zu Besuch."

"Wie alt sind sie?"

"Josh ist zwölf und Gwen ist zwei."

"Okay, ich bringe niemanden heim, ohne ihn … oder sie dir vorher vorzustellen, ist das okay?"

"Na gut. Warum hast du das 'sie' so betont?"

"Ich bin etwas unentschlossen, manchmal. So wie du anscheinend auch."

"Okay. Dann noch was: Natürlich kannst du umsonst bei mir wohnen, aber ich erwarte schon, dass du dich nützlich machst."

"Kein Problem."

"Und dass du dir einen Job suchst und einen Plan machst. Du kannst nicht ewig bei mir wohnen."

"Ich weiß."

"Was willst du machen? Worin bist du gut?"

"Journalismus. Ich war bei der Schülerzeitung und so. Aber fürs College muss ich erst mal Geld verdienen. Wie ich das machen soll, keine Ahnung."

"Das sehen wir schon. Hauptsache du bist mal weg von der Straße und machst was halbwegs Sinnvolles …"

"Was ist eigentlich mit deinem Kopf?"

"Da wurde eine Wucherung entfernt."

"Krebs?"

"Nein, was Gutartiges. Es musste aber trotzdem raus, weil es die Blutzufuhr zu wichtigen Teilen im Gehirn unterbrochen hätte. Aber das ist überstanden."

"Okay. Bist du mit den Regeln durch?"

"Vielleicht fallen mir später noch welche ein."

"Hast du einen Freund?"

"Nein, ich bin Single."

"Ich auch."

"Das ist gleich die nächste Regel. Zwischen uns wird nichts laufen."

"Du bist mir eh viel zu alt."

"Hallo?! Ich bin grad mal 27!"

"Dein Sohn ist nur sechs Jahre jünger als ich."

"Na schön, wie auch immer. Wo sind deine Sachen?"

"In einem Schließfach an einem Busbahnhof."

"Okay, dann fahren wir da nachher vorbei. Lass uns mal schauen, wie lange Patrick noch hier bleiben will …"

Er hatte genügend Fotos und wir konnten los. Jerry hatte einen großen Rucksack voll Zeug, das war alles.

Wir bogen in meine Straße ein.

"Da vorne muss doch schon der Strand sein, oder?"

"Zehn Minuten zu Fuß."

"Genial. Und all diese Läden hier."

"In dem Plattenladen da drüben hab ich gejobt, als ich gerade hier hergezogen war."

"Cool. Das wäre auch was für mich."

"Morgen können wir mal rüberschauen."

Wir stiegen aus.

"Ich komme noch mit hoch."

"Ach Patrick, ich fall schon nicht die Treppe runter."

"Keine Widerrede."

"Na schön."

Auf den Treppen war ich froh, dass ich mich an seinem Arm festhalten konnte. Immer kurz vor Janets Wohnungstür wurde mir schwindlig.

"Du legst dich jetzt dann gleich hin, ja?"

"Ich muss Jerry noch alles zeigen."

"Das kann ich auch machen."

"Das sind nur diese vielen Stufen …"

Nachdem ich ein wenig durchgeatmet hatte, ging es auch wieder. Ich zeigte Jerry die Klappcouch im Büro, das Bad, räumte ihm eine Schublade frei und so weiter. Patrick verabschiedete sich und nahm Jerry nochmal kurz bei Seite, vermutlich um ihn als meine neue Krankenschwester einzuweisen. Und danach ging der erst mal duschen.

Ich döste auf der Couch, als er aus dem Bad kam.

"Hast du vielleicht eine Jogging-Hose für mich?"

"Kommt sofort."

"Soll ich sie holen?"

"Es reicht, wenn Patrick mich bemuttert. Fang du nicht auch noch an."

"Okay, wie du willst."

"Also, dann lass mich mal deine Sachen sehen …"

Ich kippte das ganze Zeug auf den Boden und machte gleich mal einen Haufen mit Klamotten, die in die Wäsche mussten. Dann schaute ich in alle Innentaschen des Rucksacks. Auch alle Taschen der Kleidungsstücke sah ich durch. Nichts zu finden, ich gab mich zufrieden.

"Du hast was übersehen."

Er gab mir ein paar zusammengeknüllte Socken in die Hand. Darin fand ich ein kleines Tütchen Gras.

"Das hab ich noch von zu Hause, als Notgroschen. Ich spül es sofort das Klo runter."

"Danke für deine Ehrlichkeit."

"Mir gefällt es hier, das will ich nicht auf's Spiel setzen."

Ich checkte meine E-Mails und hatte was von Nina.

"Kann ich Musik rein tun?"

"Klar, nur denk an die Nachbarn."

"Zimmerlautstärke, alles klar. Kann ich nachher auch meine E-Mails checken?"

"Klar."

"Hast du Skype oder ICQ oder so was?"

"Eine Freundin von mir drängt mich schon ewig, dass ich mir dieses Skype runterladen soll. Aber irgendwie …"

"Ich kann es dir installieren, wenn du willst. Dann könnte ich mal mit ein paar Leuten zu Hause reden. Die haben auch schon seit Wochen nichts mehr von mir gehört …"

"Okay, mach dich gleich mal ran, ich ruf kurz mal meine Ex an und frag ob alles okay ist."

Eine viertel Stunde später telefonierte Jerry am PC schon mit einer Freundin aus Phoenix.

"Wie machst du das? Ich hab doch gar kein Mikro."

"Ist in deinem Laptop eingebaut, genau wie eine Webcam. Wink mal meiner Freundin Garland."

"Krass … ehm … hallo. Interessanter Name."

"Meine Mum war ein großer Fan. Weißt du, wem du ähnlich siehst?"

"In letzter Zeit hab ich oft gehört, dass ich mit der Frisur aussehe wie ein gewisser Matthew Fox."

"Hm, ein bisschen vielleicht, aber ich meine jemand Anderen. Den Sänger von Summerskin."

Oh.

"Jerry, mir ist noch eine Regel eingefallen."

"Okay, welche?"

"Unter vier Augen."

"Lanny, ich ruf dich nachher nochmal an."

Der Laptop machte ein seltsames Geräusch.

"Ist sie jetzt weg?"

"Ja, was ist denn?"

"Hast du ihr erzählt, dass ich schwul bin?"

"Wir haben grad mal drei Sätze geredet, natürlich nicht."

"Okay, neue Regel. Du erzählst keinem deiner Freunde, dass ich schwul bin."

"Warum nicht? Wissen deine Leute nicht Bescheid?"

"Doch, meine Familie und Freunde schon. Das ist mir auch wichtig. Aber ich will nicht, dass irgendwas zur Presse durchsickert."

"Zur Presse?"

"Ich seh nicht nur aus wie der Sänger von Summerskin. Ich bin der Sänger von Summerskin, oder war es, bis zur Trennung vor ein paar Wochen."

"Ich muss dich kurz googeln."

Er gab Summerskin und Jordan ein, dann klickte er auf Bildsuche und da waren zehn Seiten Ergebnisse.

"Das bist du."

"Ja. Mann, schau ich da dämlich …"

"Warum hast du nichts gesagt?"

"Ehm, … ' Hallo, ich bin Jordan. Du kennst mich vielleicht, ich bin ein Rockstar.' Deshalb."

"Okay … aber ich kann meinen Leuten sagen, wer du bist, oder?"

"Solange du den Teil mit dem schwul sein weglässt, klar."

"Und du willst nicht, dass das jemand erfährt, weil … ?"

"Muss ich dir das wirklich erklären? Du hast es doch am eigenen Leib erfahren. Man weiß nie, wie die Leute reagieren. Ich muss an meine Kinder denken, sie wären die Leidtragenden."

"Okay, das ist deine Entscheidung. … Ich ruf dann mal Lanny zurück …"

"Okay. Und nachher zeigst du mir, wie das alles funktioniert, ja?"

"Klar."

Wieder eine viertel Stunde später fügte ich meine ersten Kontakte zu meinem neuen Skype-Account hinzu. Nina bestätigte sofort und rief an.

"Du hast dir endlich Skype besorgt!"

"Hey Nina. Du hast kürzere Haare."

"Du auch."

"Das ist Jerry. Er hat dieses transkontinentale Gespräch möglich gemacht. Wie spät ist es bei dir?"

"Halb Acht morgens."

"Was machst du denn schon auf?"

"Noch auf. Ich werde mich jetzt dann hinlegen. … Hey, dann haben wir den gleichen Schlaf-Wach-Rhythmus. Wenn ich aufwache, bist du gefälligst online, ja?"

"Mal sehen."

"Ich schick dir noch die Kontaktdaten von Silvie und Steffi. Ach und von Tobey."

"Tobey ist bei Skype?"

Da taten sich ja ganz neue Möglichkeiten auf!

"Silvie hat ihn überredet. Also, gut Nacht ihr beiden."

Sie winkte in die Kamera und dann kam wieder das Plopp-Geräusch. Dann ging ein anderes Fenster auf und ich bekam die Kontaktdaten der Mädels und Tobey. Keiner von ihnen war gerade online, also ließ ich Jerry wieder an seinen Account.

"Und diese Nina ist Deutsche?"

"Ja. Sie kommt mich vielleicht bald besuchen. Mal sehen."

"Sie scheint nett zu sein und ganz ansehnlich ist sie auch."

"Ja, das stimmt. Ich glaub, ich geh ins Bett. Mach nicht mehr allzu lange. Wir schauen morgen noch vor Zehn im Plattenladen vorbei."

"Okay. Gute Nacht. Und danke, dass ich hier bleiben kann."

"Hey, du hast mir Skype installiert. Das ist als hättest du mir das Feuer gebracht."

"Ja, nenn mich Prometheus."

"Okay, du imponierst mir. Lass uns zusehen, dass wir dich auf ein College bringen, ja?"

"Ich hab eine Zusage, aber ich hab keine Kohle."

"Ab morgen hast du einen Job, dann bekommst du auch Kohle. Und wohnen tust du ja vorerst eh umsonst. Aber darüber können wir morgen noch reden, ich bin jetzt echt müde …"

"Okay. Wenn du noch was brauchst, dann …"

"Danke. Nur mein Bett."

Oben legte ich mich hin, musste aber, um einschlafen zu können, doch noch zwei Pillen schlucken.

Am nächsten Morgen ging ich mit Jerry in den Laden. Joe gab ihm sofort ein paar Schichten, Janet war so mit der Eröffnung eines Piercing-Studios beschäftigt, dass er dringend Hilfe gebrauchen konnte. Von da an war Jerry acht Stunden am Tag im Laden. Die Arbeit schien ihm zu gefallen. Abends redete er oft mit Lanny oder ich mit Nina. Am Freitagabend brachte Nikki die Kinder vorbei und wunderte sich nicht schlecht darüber, dass ich ihr eröffnete, dass Jerry jetzt bei mir wohnte. Joshs einzige Frage war, ob er Baseball spielen könne. Abends zog Jerry um die Häuser, aber erst nachdem er ganz vorbildlich die Spülmaschine eingeräumt und die Küche saubergemacht hatte.

Am Samstag gingen wir mit den Kindern einkaufen. Oder vielmehr ich mit drei Kindern. Von Gemüse hielten alle nicht viel, dafür von Schokoriegeln. Danach gingen wir an den Strand, wo ich alle drei ständig ermahnen musste, im Schatten zu bleiben. Ich übte mit Gwen und ihren Schwimmflügeln, was ihr sichtlich Spaß machte. Sie hatte absolut keine Angst vor dem Wasser. Erst als wir hungrig wurden, gingen wir zurück und holten uns was vom Chinesen. Josh löcherte Jerry noch ein bisschen mit sehr privaten Fragen, während Gwen und ich ein Nickerchen machten. Als ich aufwachte, fand ich einen Zettel. 'Sind im Park ein paar Bälle werfen.'

So lang ich die Kids um mich hatte, war ja alles okay, aber am Sonntagvormittag holte Nikki sie wieder ab und ich hatte ein Stimmungstief.

"Ach komm schon, jetzt kannst du dich wieder entspannen und musst nicht ständig hinter den Kids her wuseln. Dafür, dass du eigentlich noch Bettruhe brauchst, warst du eh viel zu viel unterwegs."

"Ich glaub, ich leg mich ein bisschen hin …"

"Okay, ich putze solang irgendwas oder so."

"Schau ruhig online, … ich glaub ich bleib gleich hier auf der Couch …"

Nach einer Weile hörte ich die Türklingel, aber ich war so müde. Ich hörte Jerry mit Jemandem reden, … dann spürte ich Atem im Gesicht. Ich machte die Augen auf.

"Überraschung."

"Tobey! Oh mein …"

Den Rest konnte ich nicht mehr aussprechen er küsste mich schon. Ich zog ihn auf mich, hielt ihn fest, spürte ihn.

"Was machst du hier?"

"Ich hab noch ein paar Dinge zu erledigen und wollte dich überraschen."

"Ich hab dich so schrecklich vermisst!"

"Ich vermisse dich auch, jede Sekunde."

"Ich bin so alleine ohne dich .", flüsterte ich.

Er drückte mir wieder einen Kuss auf die Lippen.

"Ich liebe dich so sehr, Jordan."

"Und ich dich. Wie lange haben wir?"

"Bis morgen früh."

"Das ist viel zu kurz!"

"Ich weiß …"

Sein Blick sagte das Gleiche wie meiner: 'Lass uns nach oben gehen.' Wir standen auf. Jerry grinste uns an.

"Oh, ach so. Das ist Jerry. Er wohnt für eine Weile hier … und das ist Tobey."

"Hallo, schön dich kennenzulernen."

"Gleichfalls."

"Also, ehm … schönen Sonntag noch …"

Die ersten acht Stunden verbrachten wir nur im Bett.

"Ich brauch was zu trinken", verkündete ich schließlich.

"Soll ich was holen?"

"Ich geh schon, ich will auch mal nach Jerry schauen."

"Stimmt, du musst mir die Geschichte noch erzählen."

"Da kann ich dir auch eine E-Mail schreiben. Solange du da bist, will ich mit dir schlafen, … aber erst hol ich was zu trinken."

Ich zog mir was an und ging runter.

Es war fast Sieben. Jerry saß vor dem PC. Als er mich kommen hörte, drehte er sich um.

"Du kannst also auch lächeln", meinte er grinsend.

"Ich befürchte, ich werde eine ganze Weile nicht mehr aufhören können, zu lächeln. Ich hol nur kurz was zu trinken."

Ich trank einen halben Liter, ging kurz ins Bad und holte dann noch eine Flasche Wasser für Tobey aus dem Kühlschrank. Jerry grinste mich nur an und bedeutete mir, dass ich endlich wieder verschwinden sollte.

"Danke."

"Gern geschehen."

"Und was macht dieser Jerry?"

"Ist am PC."

Ich fing an, seinen Oberkörper zu küssen.

"Brauchst du nicht mal eine Pause?"

"Ich hatte jetzt lange genug Pause."

"Na gut, ich brauch eine Pause."

"Kein Problem … dann bleib einfach so liegen …"

Mitten in der Nacht wachte ich auf.

"Hey, Tobey … wir sind eingeschlafen."

"Hm? Ja, schlafen …"

"Aber wir haben nicht mehr lange!"

"Aber schlafen …"

"Wann musst du los?"

"So um Neun. … Wie spät ist es?"

"Halb Fünf. Warum bist du in L.A.?"

"Willst du es echt wissen? Ist ein ziemlicher Stimmungskiller …"

"Was ist los?"

"Meine Großmutter liegt im Krankenhaus. Ich bin hier, um mich zu verabschieden."

"Tut mir leid …"

"Siehst du, Stimmungskiller. Ich will mit dir einfach nur ein paar glückliche Stunden erleben. Lass uns über was anderes reden, … oder noch besser: Gar nicht reden."

Wir lösten uns voneinander, als es hell wurde.

"Ich kann dich nicht wieder gehen lassen."

"Ich versuche, über Weihnachten hier zu sein, aber versprechen kann ich nichts."

"Und nachher fährst du ins Krankenhaus?"

"Ja, ich war gestern schon dort, aber da hat meine Großmutter geschlafen."

"Wann fliegst du zurück?"

"Morgen früh."

"Wo schläfst du die nächste Nacht?"

"Bei meinen Eltern. Die wollen auch noch was von mir haben."

"Och Mann …"

"Ich ruf dich an."

"Ich hab jetzt Skype."

"Ein Wunder ist geschehen."

"Jerry war's."

"Der Junge ist praktisch. Woher hast du ihn?"

"Aus dem Pride-Center."

"Der ist schwul?"

"Unentschlossen und obdachlos."

"Du hast also deine soziale Ader entdeckt?"

"Ach Quatsch, ich hab mir nur einen Haussklaven angeschafft, der putzt, auf die Kinder aufpasst und PC-Zeug für mich regelt."

"Sehr praktisch."

"Sollen wir frühstücken gehen?"

"Klar. Du hast in den paar Wochen ziemlich viel abgenommen …"

"Ach, das pendelt sich schon wieder ein …"

Als wir beim Frühstück saßen, kam Jerry dazu.

"Oh, sorry, ich wusste nicht, dass ihr auf seid. Dann verzieh ich mich mal wieder …"

"Ach Quatsch, wir waren jetzt lange genug alleine. Komm frühstücken. Du musst doch in einer halben Stunde im Laden sein."

"Na gut, danke."

"Also, du wohnst jetzt hier?"

"Ja, seit Dienstag. … Und du bist Jordans … Freund?"

"Gute Frage. Ich lebe zurzeit in Japan, also wohl eher sein Ex-Freund, oder so. Jordan, sag doch auch mal was dazu!"

"Ich bin auch nicht schlauer als du …"

"Was machst du denn in Japan?"

"Eine Piano-Konzert-Tour. Danach nehm ich ein Album auf und im Frühjahr steht schon die nächste Tour auf dem Programm."

"Wow, du bist also auch Musiker."

"Ich war in Jordans Band am Keyboard."

"Wozu braucht eine Band wie Summerskin denn ein Keyboard?"

"Das ist eine gute Frage. Du stellst wirklich viele gute Fragen. … Ich sollte langsam duschen, ich muss bald los."

"Ich komm mit."

Unter der Dusche versprach er mir, dass er mich anrufen würde, sobald er aus dem Krankenhaus kam und sich auf den Weg zu seinen Eltern machte. Als wir wieder trocken waren, musste er auch schon los.

Jerry war schon verschwunden. Ich saß alleine in der Wohnung und hatte plötzlich diese Eingebung für einen Song über eine Fernbeziehung und 22 Stunden des Wiedersehens. Es hatte mich mal wieder gepackt, seit sehr langer Zeit. In den letzten Wochen war ich nicht sehr kreativ gewesen.

Als das Telefon klingelte, wollte ich schon fast nicht abnehmen, aber es war schon nach Zwölf. Vielleicht war es ja Tobey. Tatsächlich.

"Hey. Bist du zu Hause?"

"Ja, warum?"

"Dann bin ich in 20 Minuten bei dir."

"Du hörst dich so komisch an, alles okay?"

"Ich erzähl dir gleich alles."

"Okay, bis gleich dann."

Ich beschloss, nicht weiter drüber zu rätseln, was los war und mich lieber wieder dem Song zu widmen und schon klingelte es. Tobey sah recht mitgenommen aus.

"Was ist passiert? Ist deine Großmutter …"

"Nein. Können wir uns setzen?"

"Sicher."

Wir setzten uns auf die Couch.

"Weißt du, ich bin ihr jüngster Enkel. Ich hab immer meine Ferien bei ihr verbracht und auf dem alten Klavier in ihrem Wohnzimmer gespielt. Heute war sie wach und wir haben geredet. Sie hat gesagt, dass sie sich Sorgen um mich macht, weil ich die Band verloren habe und meinen besten Freund. Und jetzt bin ich alleine in einem fremden Land und so weiter. Sie hat gesagt dass sie sich nichts sehnlicher wünscht, als alle ihre Enkel glücklich zu wissen, wenn sie geht. Die Anderen sind alle verheiratet, haben Kinder … nur ich nicht. Es war ihr wirklich wichtig, dass sie mich nicht unglücklich zurücklässt. Sie hat mich gefragt, ob es nicht doch irgendein Mädchen gibt, mit dem ich zusammen sein wollte. Du hättest die Verzweiflung in ihren Augen sehen sollen …"

"Was hast du gesagt?"

"Ich hab ihr gesagt, dass es da jemanden gibt und dass ich mit dieser Person sehr glücklich bin. Sie war wirklich erleichtert und wollte das Mädchen unbedingt kennenlernen, sie ließ sich nicht davon abbringen."

"Und wen stellst du ihr jetzt vor?"

"Dich natürlich! Ich wollte sie nicht anlügen, deshalb hab ich ihr gesagt, dass ich in dich verliebt bin."

"Wie hat sie reagiert?"

"Sie war natürlich überrascht. Aber sie hat sich für mein Vertrauen und meine Ehrlichkeit bedankt und weiterhin drauf bestanden, dich kennenzulernen."

"Hältst du das echt für eine gute Idee? Ich bin nicht gerade ein Vorzeige-Schwiegersohn …"

"Meine Großmutter weiß wer du bist. Sie will dich kennenlernen und ich will ihr diesen Wunsch erfüllen."

"Was ist mit dem Rest deiner Familie?"

"Die werden nicht dort sein."

"Und was sagen wir deiner Großmutter? Ich meine, heute Morgen konnten wir nicht mal unsere Beziehung definieren und jetzt stellst du mich deiner Großmutter als Ehefrau-Ersatz vor."

"Werd nicht zynisch, ich weiß, dass das alles nicht optimal ist. Aber ich muss das Beste draus machen. Ich hab ihr nur die Wahrheit gesagt. Dass ich dich liebe und dass du mich glücklich machst. Also, kommst du mit? Tust du das für mich?"

"Natürlich."

Wir machten uns gleich auf den Weg. Im Auto erzählte Tobey mir noch, dass seine Großmutter Lymphdrüsenkrebs im Endstadium habe. Er erzählte von seinen Ferien als Kind bei ihr und davon, wie sehr er Krankenhäuser hasse.

"Ich weiß noch, als wir ins Krankenhaus kamen, kurz nachdem du angeschossen wurdest. Ich erinnere mich, wie ich Xander da sitzen habe sehen und wie sehr Sean sich eingesetzt hat. Ich dachte mir damals, was für ein Glück du doch hast, Menschen zu haben, die dich so sehr lieben. Ich war fast neidisch … also wenn du nicht gerade angeschossen worden wärst. Und dich so daliegen zu sehen … Als ich mit Brian zurück nach San Diego kam, hab ich das mit Sean und ihm herausgefunden, im Krankenhaus. Sean war so fertig, dass er die Tarnung nicht mehr aufrechterhalten konnte."

Das Thema stellte mir immer noch die Haare im Nacken auf.

"Erzähl mir lieber was von Japan …"

Er schwärmte mir von Landschaft, Essen, Menschen, Sitten und Gebräuchen vor, bis wir vor einer Privatklinik parkten.

"Schick. Du stammst also aus keiner armen Familie …"

"Nein, das nicht gerade. Na dann wollen wir mal."

Seine Körpersprache vermittelte mir deutlich, auf Abstand zu gehen. Seltsamerweise grüßten ihn viele, als wir durch die Eingangshalle gingen. Eine Schwester sagte sogar:

"Guten Tag, Mr. Sandman."

Er grüßte höflich zurück.

"Sag mal, war deine Großmutter schon öfter hier, oder wie?"

"Während ihrer ganzen Behandlung, ja …"

"Okay …"

"Ich muss dir da, glaub ich, was erklären, komm mit."

Er zweigte in einen Gang ab, ich konnte gerade noch das Schild "Klinikleitung" lesen. Er zeigte auf ein Türschild.

"Chefarzt Dr. Sandman?!"

"Mein Onkel. Die Klinik gehört meiner Familie. Mein Großvater und sein Bruder haben das hier alles aufgebaut."

"Krass! Warum hast du das denn nicht gesagt?"

"Ich weiß auch nicht …"

"Geld zu haben, ist keine Schande."

"Selbstverdientes Geld, … aber wenn man mit dem goldenen Löffel im Mund aufwächst … ist ja auch egal. Lass uns zu meiner Großmutter gehen."

Irgendwie war mir jetzt noch mulmiger. Das war einfach nicht meine Welt, nicht meine Liga.

Mrs. Sandman lag im zweiten Stock, schon im Gang sah man durch die Fenster ein großartiges Panorama der Stadt. Bevor er klopfte, drehte sich Tobey noch mal nach mir um.

"Alles okay?"

"Ja, naja … wird schon."

"Kopfschmerzen?"

"Ich bin fast high, so viele Pillen hab ich intus."

"Darüber sollten wir nachher mal reden."

"Ich weiß. Aber jetzt erst mal das hier."

"Okay. Danke Jordan. Ich weiß, das ist dir sehr unangenehm …"

"Mach schon."

Er klopfte, wartete drei Sekunden und drückte die Klinke.

"Hallo Nanny."

"Tobey! Du warst ja gar nicht lange weg."

"Und ich hab Jordan mitgebracht."

Die alte Frau setzte sich im Bett auf. Eine Wand des Zimmers bestand fast nur aus Fenstern, der Ausblick war grandios.

"Guten Tag Mrs. Sandman."

"Ach bitte, nenn mich Nanny. Komm her zu mir, lass dich anschauen."

Mir wurde die löchrige Jeans bewusst, die ich trug. Neben dem Bett standen keine technischen Gerätschaften, nur eine Infusion, die schon durchgelaufen war. Sie sah gar nicht so krank aus. Ich trat näher.

"Du siehst genau so gut aus, wie auf den Fotos der Band. Hol dir einen Stuhl von da hinten. Ich habe ein paar Fragen an dich."

"Nanny, mach ihm keine Angst."

"Keine Sorge, Jordan, es gibt keine falschen Antworten, ich möchte dich nur kennenlernen und ich habe nicht mehr so viel Zeit dazu", erklärte sie in bedeutendem Tonfall.

Mir fielen ihre hochgesteckten, langen, gepflegten Haare auf. Sie sah wirklich nicht wie eine Sterbende aus.

"Na gut, was möchten sie denn wissen?"

"Wie lange kennt ihr beide euch?"

"Seit 2000, seit Tobey in der Band ist."

"Und seit wann seid ihr zusammen?"

"Das ist schwierig zu sagen. Seit letzten Herbst sind wir mehr als Freunde."

"Und ihr wollt zusammenbleiben?"

"Tobey lebt auf einem anderen Kontinent, das macht alles etwas kompliziert. Aber wir lieben uns."

"Wie stehst du zu Treue?"

"Ich halte viel von Ehrlichkeit. Ich würde Tobey nie hintergehen."

"Du antwortest sehr diplomatisch."

"Ich will eben nicht lügen."

"Was für ein Verhältnis hast du zu deiner Familie?"

"Meine Mutter lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Phoenix. Ich telefoniere mit ihr, sehe sie an Feiertagen und so weiter. Zu meinem Vater und seiner Verwandtschaft habe ich keinen Kontakt."

Sie nickte wissend.

"Und dann sind da noch meine beiden Kinder. Sie leben bei ihrer Mutter in den Hills, ich sehe sie in den Ferien und an Wochenenden, oder auch mal zwischendurch. Wir haben keine feste Regelung. Josh ist zwölf, Gwen ist zwei. Das Verhältnis zu ihnen ist toll."

"Welchen Bildungsstatus hast du?", fragte sie einfach so, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.

"Ich hab nur einen mittelmäßigen High School-Abschluss und eineinhalb Semester College. Aber ich überlege, das nachzuholen. Jetzt, nach der Band, hab ich sowohl die Zeit als auch das Geld dafür."

"Was würde dich denn interessieren?"

Sie wirkte etwas skeptisch aber überspielte das und ich tat, als würde ich es nicht bemerken.

"Ach, alles. Von allem ein bisschen. Musik, Kunst, Psychologie, Biologie, Sozialwissenschaft, Kulturwissenschaft, Politik …"

"Dann solltest du das machen. Na gut. Ich weiß es zu schätzen, dass du hier her gekommen bist. Ich denke, ich habe einen Eindruck davon bekommen, wer du bist."

Irgendetwas in ihrem Tonfall gefiel mir nicht.

"In drei Minuten? Vermutlich eher nicht."

"Zumindest sehe ich, wen Tobey sich ausgesucht hat. Er war schon immer ganz anders als meine anderen Enkel. Ein Künstler. Ich habe nicht erwartet, dass er heiratet und in einen Vorort zieht, aber dass er den Rahmen der Konventionen derartig sprengt, hätte ich nicht gedacht."

Tobey fand den Unterton wohl auch nicht toll.

"So, ich glaube das reicht, … so sehr hast du Tinas Freunden nie auf den Zahn gefühlt."

"Offensichtlich liegen die Dinge hier ein bisschen anders. Ich will doch nur sichergehen, dass du weißt was du willst."

"Nanny, ich bin erwachsen."

"Ich weiß, … na schön. Hauptsache du bist glücklich."

"Ich bin glücklich. Und jetzt solltest du dich ein wenig ausruhen. Ich seh dich morgen früh, bevor ich zum Flughafen fahre."

"Auf Wiedersehen, Mrs. Sandman."

"Gib mir gut auf meinen Tobey Acht", sagte sie in fast bedrohlichem Tonfall.

"Ich brauche niemanden, der auf mich Acht gibt, ich brauche jemanden, zu dem ich nach Hause kommen kann und einfach nur ich selbst sein kann, jemand der mich auch als Musiker versteht und jemand, für den ich mehr bin als der Sohn vom Chef. Können wir es bitte dabei belassen?"

"Natürlich, wie du willst."

"Bis morgen, Nanny."

"Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen, ihr beiden."

Tobey machte die Türe hinter uns zu.

"Tut mir leid."

"Schon okay …"

"Nein, ich hätte dich nicht in diese Situation bringen dürfen."

Aber es war ja nicht seine Schuld, es war meine.

"Tobey, es war nicht so schlimm. Ich nehm es ihr nicht übel. Mal ehrlich, ich bin kein guter Fang für jemanden wie dich."

"Für jemanden wie mich?! Siehst du, genau das wollte ich vermeiden! Ich bin wie du, Jordan. Ich bin Musiker, ich will kein normales Leben, ich will dich."

"So war das ja auch nicht gemeint. … Es ist nur … ich will eben doch ein normales Leben, weil mein Leben noch nie normal war. Und dein Leben war anscheinend zu normal und du siehst in mir jemand besonderen. … In Wahrheit wünsche ich mir inzwischen nichts mehr, als jemanden, der mit mir eine ganz normale Beziehung führen will, mir hilft, meine Kinder großzuziehen, jemand, mit dem ich den Alltag teilen kann. Ich will nicht mehr alleine sein."

"Und ich kann nicht dieser Jemand für dich sein, darauf willst du doch hinaus, oder?"

"Ich wünschte, du könntest es sein, aber da würden wir uns nur was vormachen …"

"Ich denke, ich sollte dich jetzt nach Hause bringen und wir telefonieren morgen, bevor ich fliege noch mal, ja?"

Die Rückfahrt über redeten wir nicht, aber wir beide wussten, dass es aus war.

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