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Along the Way

Teil 6

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Informationen

 

Jordan

"Xander?"

"Jordan! Das gibt's doch nicht. So ein Zufall!"

"Ihr kennt euch? Xander ist der Gitarrist der O–Scars."

"Wahnsinn, dann lebst du jetzt also in L.A.?"

"Seit dem Abschluss, ja. Wollt ihr schon gehen? Ich glaub es nicht, dass ich dich wiedergetroffen hab!"

Scott hielt schon die Tür auf und meinte:

"Ich muss früh raus."

Ich wollte natürlich erfahren, wie es Xander weiter ergangen war. Er machte einen viel selbstbewussteren Eindruck als damals.

"Ich hätte noch Zeit, aber ich muss irgendwie heim kommen, nach Venice."

"Ich hab ein Auto, kein Problem."

"Na gut, also dann würde ich noch bleiben, wenn das okay ist."

"Sicher, ich ruf dich dann morgen an."

Scott umarmte mich und ging.

"Ist er dein Freund?"

"Nein, nicht mehr. Wir arbeiten zusammen. Er ist der Agent von Summerskin, meiner ehemaligen Band."

"Echt? Du bist der ehemalige Sänger von denen? Ich hab damals nicht mal deinen Nachnamen aufgeschnappt, geschweige denn den Namen deiner Band. Komm, setzt dich zu uns. Leute, ihr habt ja Jordan scheinbar schon kennengelernt."

Wir saßen noch eine Weile alle zusammen und redeten über Musik, was sonst? Die Vier hatten echt Ahnung, Drei von ihnen wollten nach dem College auch an die Musikhochschule, Andy allerdings wollte in die Modebrache.

Wir gingen wieder rüber, wo inzwischen ein DJ auflegte und mischten uns unter die Leute. Xander und ich suchten uns eine Nische, in der man sich unterhalten konnte.

"Wie alt bist du jetzt eigentlich?"

"Gerade 20. Damals war ich 15, ich hab dich angelogen.", grinste er.

"Das dachte ich mir fast."

"Wie alt bist du?"

"25."

"Ja, so was hätte ich geschätzt. Du hast dich kaum verändert."

"Du dich schon. Und wie ging es damals weiter? Ich hab dich in den Bus gesetzt und dann?"

"Meine Eltern waren heilfroh. Ich hab die letzten Schuljahre durchgezogen und vor zwei Jahren meinen Abschluss gemacht. Dann war ich sofort weg. L.A. ist einfach meine Stadt, das wusste ich schon immer. Ich hab damals bei deiner alten Wohnung vorbeigeschaut, aber da kannte niemand mehr einen Jordan."

"Nein, ich bin da 99 weggezogen."

"Zu Scott?"

"Nein, ihn hab ich erst 2001 kennengelernt, als es mit Summerskin so richtig losging."

"Hat dir unser Auftritt heute gefallen?"

"Ja! Ihr seid echt gut. Wir standen recht weit hinten, ich hab euch nicht gesehen, ich hatte keine Ahnung, dass du da oben warst. Aber du spielst gut."

"Danke. Ich hab dir damals nicht gedankt, oder? Nicht nur dafür, dass du mich nach Hause geschickt hast, auch dafür, dass du mir einiges an Prügel erspart hast."

"Die Kerle waren echte Idioten."

"Allerdings."

Mir fiel auf, dass er immer näher heranrückte.

"Damals wusstest du nicht so recht, ob du schwul bist. Weißt du es jetzt?"

"Ich hab mich noch nicht entschieden."

"Verstehe."

Er schaute verstohlen über seine Schulter, die Leute tanzten, niemand beachtete uns. Dann zog er mich am Kragen zu sich, er war ein paar Zentimeter kleiner als ich und küsste mich. Er hatte ein Zungenpiercing. Ich musste sofort an Janets Angebot denken und grinsen.

"Warum grinst du?"

"Ich mag Zungenpiercings."

"Gut."

Er zog mich wieder zu sich. Er küsste fast so gut wie er Gitarre spielte. Und er war so dünn, dass ich beinahe Angst hatte, ihm weh zu tun als ich meine Arme um ihn legte. Bald drückte er mich gegen die Wand hinter mir, fing an, meinen Hals zu küssen, meine Hände wanderten unter sein Shirt, seine Haut war so weich, das machte mich unglaublich an. Er drückte sich fest an mich, wir verschlangen uns fast. Er löste sich.

"Warte, langsam."

"Ich will mit dir schlafen."

"Können wir zu dir?"

"Nein, das geht nicht, ich … wohne nicht allein."

"Oh, du bist mit Jemandem zusammen."

"Nein, nichts in der Richtung. Können wir nicht zu dir?"

"Doch, ich wohne in einer WG, komm."

Er nahm meine Hand und zog mich Richtung Bühne, wo die Anderen abbauten.

"Jordan und ich fahren schon mal."

Der Bassist raffte es wohl nicht so ganz und fragte, was das sollte. Andy stieß ihn den Ellbogen in die Rippen.

"Klar, geht schon. Und vergiss den Termin morgen um Zwei nicht."

Ich rief kurz zu Hause an und sagte Janet Bescheid. Xander fuhr einen alten Toyota, ein echt uncooles Auto, aber die Musik die lief war Spitze. Nach zehn Minuten parkten wir vor einem Wohnblock.

"Ich bin hier gerade erst vor einem Monat eingezogen, davor war ich im Wohnheim. Null Privatsphäre. Komm rein. Willst du was trinken?"

"Nimm doch eine Flasche Wasser mit und zeig mir dein Schlafzimmer."

"Hier lang."

Seine Wände waren voller Poster, es war ein typisches Studentenzimmer. Ich setzte mich aufs Bett und ließ ihn auf mich zukommen. Er setzte sich auf mich und zog mein Shirt aus. Ich legte mich hin und er küsste meinen Oberkörper, wanderte immer tiefer, das machte mich verrückt. Endlich machte er meinen Reißverschluss auf, er ließ sich mit allem viel Zeit. Ich spürte sein Piercing in meinem Schritt. Ungefähr fünf wunderbare Minuten später zog ich ihm sein Shirt aus und war fasziniert von seiner weichen, milchweißen Haut. Meine Hände fuhren über ihn, als wäre er aus Seide. Als er später auf mir lag und das Bett unter uns quietschte, spürte ich, wie viel Kraft sein schlanker Körper aufwenden konnte. Erschöpft und zufrieden ließ er sich in meinen Arm gleiten. Ich küsste ihn, weil ich ihn spüren lassen wollte, dass ich ihn mochte. In dieser Nacht schlief ich wie ein Stein, was natürlich auch daran lag, dass kein Baby gefüttert werden wollte.

Als ich aufwachte war es schon Elf. Xander schlief friedlich, die Morgensonne schien auf sein Gesicht, seine ebenmäßigen Gesichtszüge hätten ihm sicher das Aussehen eines Engels verliehen, wenn nicht das verschmierte Augenmakeup gewesen wäre. Ich roch Kaffee, also suchte ich meine Klamotten zusammen und ging in die Küche. Ein Mädchen las dort Zeitung.

"Guten Morgen. Gibt's hier Kaffee?"

"Guten Morgen, klar bedien dich. Ich bin Val und du bist vermutlich der Grund für das quietschende Bett heute Nacht. Schläft July noch?"

Ein Kerl kam in die Küche und ging schweigend geradewegs zur Kaffeemaschine.

"Wer?"

"July. Bitte sag mir, dass du nicht mit ihr geschlafen hast, ohne ihren Namen zu kennen."

"Achso, nein, ich hab nicht mit July geschlafen, sondern mit Xander."

"Oh … oh! Achso."

"Ich hab dir doch gesagt, dass er schwul ist."

"Offensichtlich hattest du recht. Nimm dir jedenfalls Kaffee, ehm …"

"Jordan."

"Jordan. Das ist Cliff. Wir wohnen hier zu viert."

Xander kam in die Küche, mittlerweile abgeschminkt.

"Ah, hier bist du. Guten Morgen. Ich dachte schon, du wärst weg."

"Ich brauchte Kaffee."

"Dann bist du hier in guter Gesellschaft. Cliff ist komplett abhängig und Val entwickelt auch langsam eine Sucht, ist aber noch in der Verleugnungsphase."

"So eine Schwachsinn."

"Siehst du?"

"Sehr witzig."

"Ich sollte dann aber langsam los …"

"Klar, ich hol den Autoschlüssel."

Wir brauchten eine viertel Stunde, dann parkten wir vor dem Plattenladen.

"Danke fürs heimbringen."

"Gern. Also … wir spielen heute Abend bei einem Bandcontest auf dem Campus, wenn du Lust hast …"

"Ich kann leider nicht."

"Ach so, verstehe. Ich bin in solchen Sachen nicht so gut."

"In was für Sachen?"

"Darin, zu unterscheiden, was ein One–Night–Stand ist und was nicht."

"So war das nicht gemeint. Ich kann heute einfach nicht. Aber ein andermal gern."

"Wirklich? Achso. Gut, dann geb ich dir meine Nummer."

"Und ich geb dir meine."

Er holte Zettel und Stift aus dem Handschuhfach und wir tauschten Nummern aus.

"Okay, dann werde ich mal aussteigen …"

"Ja, gut, dann ruf ich dich an."

"Vielleicht können wir ja … also ich hätte zum Beispiel am Montagabend Zeit für Essen und Kino oder so."

"Das wäre toll."

"Gut, dann ruf ich dich bald an, um das zu besprechen."

"Schön. Ehm, darf ich dir einen Abschiedskuss geben, oder ist das irgendwie seltsam?"

Gott, wie niedlich.

Wie ich erwartet hatte, waren Josh und Gwen bei Joe im Laden. Ich bemühte mich, nicht blöd zu grinsen, aber ich hatte wirklich einen tollen Abend gehabt. Wir bestellten Pizza und Josh fragte, wo ich gewesen sei.

"Ich hab bei einem Freund übernachtet."

"Achso."

Am Nachmittag rief Scott an und erzählte, alle Verträge seien unter Dach und Fach.

"Wie war's gestern noch?"

"Sehr schön."

"Woher kennst du Xander eigentlich?"

"Lange Geschichte, lange her, damals war er 15 und alleine in der Stadt. Ein paar Typen haben ihn auf einem Konzert verprügelt, ich hab ihn mit zu mir genommen und ihm ein Busticket zurück nach Oregon gekauft."

"Sehr nobel von dir."

"Nicht wahr?"

"Hat er dich gestern gut heimgebracht?"

"Eigentlich hat er mich heute gut heimgebracht."

"Ach? Soso."

"Ja ..."

"Hast du jetzt über die Scout–Sache nachgedacht?"

"Ich hätte schon Lust drauf, aber ich muss schauen, wie ich das mit dem Babysitten hinbekomme."

"Du könntest Locations auschecken, das geht am besten nachmittags und du könntest Gwen mitnehmen."

"Das wäre ideal."

"Gut, ich geb dir gleich mal ein paar Adressen. Ich muss wissen, wie groß der Club tatsächlich ist, wie die Bühnentechnik ist, ob die Leute, die dort arbeiten, okay sind, ob die Clubs einen guten Ruf haben, Drogen vertickt werden, all so was eben."

"Das krieg ich hin."

Janet hatte sich bereit erklärt, am Montagabend auf Josh und Gwen aufzupassen, dafür sollte ich Dienstagnachmittag im Laden aushelfen, weil sie ihren geheimnisvollen Fremden treffen wollte.

Um Sechs traf ich mich mit Xander bei einem Afrikaner zum Abendessen. Er saß schon am Tisch.

"Hey. Bin ich zu spät?"

"Nein, ich bin auch gerade erst gekommen."

Er trug, wie scheinbar immer, schwarze Kleidung und dezentes Augenmakeup. Auch seine Nägel waren schwarz.

"Hier riecht es gut."

"Allerdings. Ich hab schon einen Blick in die Karte geworfen, hört sich alles sehr toll an."

"Ich hab meistens das Problem, dass alles mit Fleisch ist. Afrikaner essen viel Fleisch."

"Wie steht es mit Fisch?"

"Auch nicht."

"Mal sehen, also es gibt viel so Teig–Zeug, da finden wir bestimmt was für dich."

Es war total angenehm, wir fanden immer wieder was zu reden, vor allem Musik. Und selbst wenn wir mal nicht redeten, war es nicht diese peinliche Stille.

"Das Essen war wirklich gut."

"Ja, find ich auch. Eigentlich fehlt mir ohne Fleisch immer was, aber diesmal nicht. Willst du Nachspeise?"

"Ich hab was von Bananenplätzchen gelesen."

"Ja, die würd ich auch gern probieren."

Wir bestellten welche.

"Woher genau aus Oregon kommst du eigentlich?"

"Brookings, das ist ein Kaff an der Küste, wo das Wetter immer schön ist. Meine Eltern haben dort ein Bed&Breakfast."

"Das hört sich nett an."

"Wenn man drauf steht, dass ständig Fremde bei einem zu Hause sind. Naja, mit vier Geschwistern hatte ich eh nie viel Privatsphäre."

"Was machen deine Geschwister?"

"Mein großer Bruder studiert in Portland, meine große Schwester hat in Brookings geheiratet und betreibt ein Wildwasser–Boottour–Ding, meine kleine Schwester macht nächstes Jahr ihren Schulabschluss und mein kleiner Bruder ist erst 14, 13 Jahre jünger als meine Schwester."

"Ich bin 20 Jahre älter als meine Schwester."

"Krass, sie könnte ja deine Tochter sein."

Ich überlegte kurz, ob das ein guter Zeitpunkt war, meine Kinder zu erwähnen, entschied mich aber dagegen.

"Ja, das stimmt. Meine Mum ist erst 41."

"Dann war sie ja erst 16 als sie dich bekommen hat!"

"Sogar erst 15 eigentlich, ja."

"Dann bist du wohl bei deinen Großeltern aufgewachsen, oder?"

"Nur bis Mum 18 war. Von da an haben wir allein gelebt, bis sie 97 geheiratet hat."

"Wahnsinn, stell dir mal vor, du könntest schon ein zehnjähriges Kind haben."

"Ja … Also, wenn wir die Acht–Uhr–Vorstellung noch erwischen wollen …"

"Ich würde lieber ein bisschen spazieren gehen oder so. Im Kino kann man sich nicht unterhalten."

"Klar, wie du willst."

Ich rief die Kellnerin.

"Ich lad dich ein. Fang gar nicht erst mit Widersprechen an, du bist Student, ich würde mich nicht wohl dabei fühlen, wenn du zahlst."

"Na gut, Danke."

Wir schlenderten in der Gegend herum und entdeckten einen Plattenladen, der noch offen hatte. Xander blieb stehen.

"Ich weiß, wenn ich da reingehe, dann bin ich danach arm und der Abend ist um, aber können wir trotzdem reinschauen?"

"Klar, ich könnte auch nicht dran vorbeigehen."

Wir redeten über Musik und vereinbarten, uns gegenseitig zirka drei Dutzend CDs zu brennen. Plötzlich war es halb Zehn. Wir hatten gerade so viel Spaß, aber ich wusste, dass Josh nicht schlafen würde, bevor ich heimkam und es war Schule.

"Ich muss langsam los."

"Echt, schon?"

"Ja, tut mir leid."

"Ich hatte einen tollen Abend. Ich komm noch mit zu deinem Auto."

"Nein nein. Schau dich hier ruhig noch um, du kannst doch nicht nur drei CDs kaufen."

"Na gut, dann … was machst du morgen Nachmittag?"

"Ich muss arbeiten."

"Mist. Und am Donnerstag?"

"Auch. Da schau ich mir einem Club an, das CC."

"Das ist in der Nähe von meinem Campus. Vielleicht könnten wir was essen gehen, wenn du fertig bist."

"Das ist nicht so günstig …"

Gwen würde bei mir sein.

"Du bist echt seltsam. Ich dachte, du hattest auch einen schönen Abend und jetzt druckst du so rum."

Ich mochte diese Direktheit.

"Tut mir leid, du hast Recht. Weißt du was? Klar können wir danach was essen gehen. So gegen Sechs? Ich ruf dich dann kurzfristig noch mal an."

"Gut."

Er sah aus, als sei er wirklich sehr froh darüber. Oh, ich mochte ihn. Wir waren in der Öffentlichkeit, darum fragte ich ihn lieber:

"Darf ich dich hier küssen?"

"Natürlich. Ich halte nichts davon, mich zu verstellen. Du kannst mich überall küssen, du kannst auch immer meine Hand halten, wenn du willst."

Ich gab ihm einen Abschiedskuss und beschloss dabei, dass ich auch wieder ein Zungenpiercing haben wollte.

Josh lag zwar im Bett, las aber noch.

"Warum schläfst du denn noch nicht, es ist nach Zehn."

"Ich wollte dir noch gute Nacht sagen. Hattest du ein Date?"

"Was weißt du denn von Dates?"

"Ich bin doch keine Fünf mehr. Manche in meiner Klasse haben schon Dates."

"Wirklich? Und was machen die da so?"

"Ins Kino gehen meistens. Warst du im Kino?"

"Nein, ich war Essen."

"War es ein Date?"

"Ja, das war es."

"Hast du jetzt eine Freundin?"

"Ich glaube darüber reden wir morgen, wenn du aus der Schule kommst."

"Na gut, Gute Nacht."

"Gute Nacht."

Janet streckte sich auf der Couch.

"Er wollte wissen, ob ich ein Date hatte und ob ich jetzt eine Freundin habe."

"Und, was hast du ihm gesagt?"

"Dass wir morgen nach der Schule drüber reden."

"Und was willst du ihm dann sagen?"

"Die Wahrheit. Ich hoffe er nimmt es gut auf."

"Klar, mach dir keine Sorgen."

"So, jetzt verschwinde. Ich komm dann morgen um Eins in den Laden. Und jetzt geh und halte deinen Schönheitsschlaf für den großen Unbekannten. Ach, ich hätte übrigens gern das Zungenpiercing. Am Freitag oder so."

"Gut, kein Problem."

Am nächsten Tag wartete ich nervös im Laden bis Josh heimkam.

"Hey, es gibt Tacos, du musst sie bloß noch in der Mikrowelle hinten aufwärmen, kriegst du das hin?"

"Klar!"

Als er gegessen hatte, hoffte ich schon fast, dass er nicht mehr nachfragen würde, aber den Gefallen tat er mir nicht.

"Also, du hast gesagt, wir reden heute darüber, ob du eine Freundin hast."

"Das stimmt. Also, ich hatte jedenfalls ein Date. Erinnerst du dich noch an unser Gespräch über Vince und Collin?"

"Klar."

"Du hast mir zugestimmt, dass es nicht wichtig ist, ob man sich in einen Mann oder eine Frau verliebt, es ist nur wichtig, dass er oder sie ein netter Mensch ist. Stimmt's?"

"Ja, stimmt."

"Ich hatte gestern ein Date mit einem Mann."

"Bist du in ihn verliebt?"

"Wir kennen uns noch nicht so lange, aber ich werde ihn auf jeden Fall noch öfter treffen."

"Okay."

"Wie ist das für dich?"

"Keine Ahnung, eigentlich ist es mir egal. Ist er ein netter Mensch?"

"Ja, ich finde schon. Er spielt Gitarre in einer Band, so wie ich früher."

"Das ist cool. Wenn du dich in ihn verliebst, lerne ich ihn dann kennen?"

"Wie gesagt kenn ich ihn noch nicht so lange, aber wenn, dann lernst du ihn sicher kennen."

"Okay."

"Also hast du keine Fragen mehr?"

"Nein, erst mal nicht."

Am Donnerstag hatte ich mit Josh verabredet, dass er ab Vier alleine blieb und falls etwas war, sollte er zu Janet runter gehen. Ich machte mich mit Gwen auf den Weg zum Club, schaute mich dort eine halbe Stunde lang um, hörte mich in der Nachbarschaft noch ein wenig um und rief dann Xander an. Er wollte mich am Campus treffen. Von Gwen hatte ich ihm noch nichts erzählt. Ich wusste nicht, ob das Kribbeln im Bauch Vorfreude oder Nervosität war. Wir trafen uns vor einer Bibliothek.

"Hallo, du hast her gefunden."

"Ich hab hier selbst mal ein wenig studiert."

"Achso und wer ist das?"

"Das ist Gwen. Wollen wir uns einen Moment auf eine der Bänke da vorne setzen?"

"Klar."

"Also, was ist los?"

"Ich denke ich sollte dir erklären, warum ich manchmal so ausweichend war ..."

"Okay, also hab ich mir das doch nicht eingebildet?"

"Nein. Gwen ist meine Tochter. Ich wollte dich damit nicht verschrecken, deshalb hab ich es dir nicht gleich gesagt."

"Du bist also doch mit Jemandem zusammen?"

Ich legte meinen Arm um ihn, denn er sah wirklich beunruhigt aus.

"Nein, das würde ich niemals vor dir verheimlichen. Ich ziehe Gwen alleine groß, das heißt, ich brauche immer einen Babysitter. Und da ist noch was."

"Okay, raus damit."

"Gwens Bruder Josh wohnt auch bei mir, ich hab das Sorgerecht für ihn. Er ist schon Zehn. Und weil wir gerade dabei sind, ich hab eine vierjährige Tochter, die bei meinen Eltern lebt."

Er schluckte merklich.

"Okay … krass … das ist … überraschend."

"Kann ich mir vorstellen."

"Und die Mutter?"

"Nikki ist weg. Drogen, ich hab keine Ahnung, wo sie ist."

"Du bist also allein mit zwei Kindern? Deshalb hast du die Band verlassen?"

"Ja, es ging nicht anders."

"Und wie kommst du klar?"

"Gut, wirklich. Eine Freundin passt auf, wenn ich ausgehe. Letzten Samstag hatte sie ein Date, deshalb konnte ich nicht zu eurem Gig."

"Verstehe. Du hättest es mir sagen können, Jordan. Wovor hattest du Angst?"

"Du bist noch so jung, ich dachte das verschreckt dich vielleicht."

"Du bist auch nicht viel älter. Und so schnell kannst du mich nicht verschrecken. Ich mag dich sehr, Jordan."

Mein Herz machte einen Sprung.

"Ich mag dich auch."

"Wollen wir essen gehen, oder willst du lieber nach Hause?"

"Ich ruf Josh kurz an, er ist allein zu Hause."

Ihm ging es gut, ich sagte ihm, dass ich in zwei Stunden kommen würde.

Xander führte mich in ein kleines Campus–Café, in dem donnerstags Open–Mic–Night war. Eine Blondine sang gerade "Bitch" und begleitete sich selbst auf der Gitarre. Der Kellner kam und wir bestellten Sandwichs.

"Ich nehme nicht an, dass ihr hier Babystühle habt, oder?"

"Leider nicht."

"Könntest du die Flasche warm machen? 45 Sekunden auf niedrigster Stufe?"

"Klar, das lässt sich machen."

Ich gab Gwen die Flasche, während wir auf unsere Sandwichs warteten.

"Sie ist echt süß."

"Die Süßeste von allen."

"Sie hat deinen Mund."

"Seltsam, das hab ich jetzt schon öfter gehört, aber immer nur von Menschen, mit denen ich was hatte."

"Naja, die kennen deinen Mund wohl am besten. Darf ich sie weiter füttern?"

Das erstaunte mich.

"Klar, gern."

Ich gab sie ihm und schaute dabei zu, wie er ihr fasziniert beim trinken zusah.

"So, wer will als nächster auf die Bühne? Nur keine falsche Bescheidenheit, wir wollen Jeden hören. Eine Gitarre haben wir auch. Na, niemand? Das kann doch nicht sein, wir brauchen Unterhaltung."

Ich schaute Xander an, er wusste, was ich wollte.

"Geh schon, ich hab Gwen im Griff."

Ich stand auf, gab ihm noch einen kurzen Kuss und ging zu der kleinen Bühne.

"Danke, du bist unser Retter. Wie heißt du?"

"Jordan."

"Jordan! Und was singst du für uns?"

"Creed, One last Breath."

Ich gebe zu, mit der Songauswahl wollte ich vor allem vor Xander mein Können auf der Gitarre zeigen.

"Alles klar, hier ist die Gitarre, die Bühne gehört dir."

"Dankeschön."

[kompliziertes Gitarrenintro das Eindruck macht]

"Please come now I think I'm falling
I'm holding on to all I think is safe
It seems I found the road to nowhere
And I'm trying to escape
I yelled back when I heard thunder
But I'm down to one last breath
And with it let me say
Let me say

Hold me now
I'm six feet from the edge and I'm thinking
That maybe six feet
Ain't so far down

[ … ]

Please come now I think I'm falling
I'm holding on to all I think is safe"

(Creed – One last Breath *)

Die 30 Leute im Laden waren sichtlich angetan.

"Wow, das war klasse! Hast du eine Band? Kann man dich irgendwo noch mal live erleben?"

"Leider nicht, ich mach gerade Babypause, aber wenn ich euch einen Tipp geben darf: Die O–Scars spielen morgen Abend im Celandar's, gleich hier um die Ecke."

"Alles klar, na, wer traut sich als nächster? Keine Sorge, wir erwarten nicht, dass ihr so gut seid wie Jordan! Traut euch … Ich seh schon, du hast alle verschreckt, na gut, dann muss die Jukebox aushelfen, aber danach will ich wieder Jemanden auf der Bühne sehen!"

Ich kam wieder zurück, als Gwen gerade fertig getrunken hatte. Ich nahm sie Xander ab.

"Wow, ich wusste gar nicht, dass du auf der Gitarre so gut bist. Imposant."

"Ach, naja, der Song ist Übungssache."

"Du bist toll, du gehörst auf die Bühne, die Leute reagieren auf dich."

"Danke, aber erst mal wird daraus wohl nichts."

Unsere Sandwichs kamen. Nach dem Essen begleitete Xander uns noch zum Auto, auf der einen Seite trug ich Gwen in der Krippe, auf der anderen Seite hielt ich Xander's Hand.

"Wann können wir uns wiedertreffen?"

"Ich muss erst mit Janet reden, wann sie ihren Typen dieses Wochenende trifft."

"Na gut, aber ich muss dich bald wieder sehen, ich vermisse dich ziemlich, wenn du nicht da bist."

"Du bist süß. Ich tu mein Bestes. Aber dieses Wochenende hättest du ohnehin nicht viel von mir, ich lass mir morgen die Zunge wieder piercen."

"Echt? Wo denn? Ich such auch einen guten Piercer für die Augenbraue."

"Janet ist mein Mädchen für alles. Sie ist Piercerin."

"Kann ich morgen dabei sein? Ich schau mir die Leute gerne vorher an."

"Ehm … ich weiß nicht …"

"Jordan, nicht rumdrucksen, sag mir was dich stört."

"Josh wird vermutlich dort sein. Ich weiß nicht, ob es nicht noch zu früh ist, dass ihr euch kennenlernt."

"Oh, okay. Das ist deine Entscheidung."

"Ich hab ihm schon von dir erzählt, aber er hat mich noch nie mit einem Mann gesehen, ich weiß nicht, wie das für ihn ist und das zwischen uns ist ja auch noch recht frisch …"

"Okay. Aber du sollst wissen, also von mir aus ist es nicht zu früh, ich würde gern deine Familie kennenlernen. Ich meine, ach vergiss, dass ich was gesagt habe, das hört sich ja total blöd an. Ich wollte keinen Druck machen oder so."

"Du machst dir zu viele Gedanken. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass wir zusammenkommen. Vielleicht sollten wir einfach aufhören mit dem ganzen 'Was–ist–angebracht–Spielchen'. Ich hab die letzte Woche sehr genossen und würde gern mehr Zeit mit dir verbringen. Ich glaub wir wollen Beide dasselbe, oder?"

Er nickte und grinste.

"Gut, dann werde ich dich morgen Josh und Janet als meinen neuen Freund vorstellen, einverstanden?"

Zur Antwort bekam ich einen wunderbaren Kuss.

Zu Hause redete ich noch mal mit Josh, der die Zeit alleine gut überstanden hatte.

"Xander, der Freund von dem ich dir erzählt habe, kommt morgen vorbei. Er schaut zu, wenn Janet mir die Zunge pierct."

"Dann hast du dich jetzt in ihn verliebt?"

"Er ist jetzt mein Freund, ja."

Es fühlte sich gut an, das auszusprechen.

"Das ging aber schnell."

"Ja, ich weiß. Kommst du damit zurecht?"

"Klar."

Am nächsten Tag gegen Vier ging ich mit Josh und Gwen in den Laden.

"Hey ihr drei. Na, kann's losgehen?"

"Xander kommt noch vorbei. Er will sich dich mal anschauen, wegen einem Augenbrauenpiercing."

"Tatsächlich? Da bin ich mal gespannt."

Solange wir warteten, packten Josh und ich ein paar Kisten aus.

"Bist du nervös, Jordan?", fragte er mich.

"Schon ein bisschen."

"Warum? Wegen dem Piercing?"

"Nein. Du lernst heute Xander kennen, ich hoffe du magst ihn."

"Klar, wenn du ihn magst."

Die Türklingel schellte, Josh und ich gingen aus dem Hinterzimmer wieder in den Verkaufsraum. Da stand Xander, Janet hatte ihn sich schon gekrallt und musterte seine Augenbraue mit der Narbe von damals.

"Hey."

"Hey."

"Das hier ist Josh."

"Hallo."

"Hallo Josh. Wow, du stehst wohl auf die Dodgers, hm? Mein kleiner Bruder hat mal ein Probetraining mit ihnen gewonnen."

Sein geliebtes Baseballshirt, das er seit dem Camp kaum noch auszog, ließ keinen anderen Schluss zu.

"Echt? Hat er die Spieler getroffen?"

"Ja und alle haben auf seinem Trikot unterschrieben, er war mächtig stolz."

"Das glaub ich."

"Ich bekomme gleich die Zunge gepierct und ihr unterhaltet euch über Baseball!"

"Hey, du hast es dir selber ausgesucht.", grinste mein Freund.

"Aber ich tu das ganz selbstlos, nur für dich. Du hast mich übrigens nicht mal anständig begrüßt."

"Tut mir leid. Hallo Freund."

"Hallo."

Ich gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Janet, die ihren Koffer geholt hatte, bewies mal wieder Ohren wie ein Luchs.

"Ihr seid also offiziell zusammen? Das ging ja schnell."

"Tja, das Leben ist kurz. Was ist denn jetzt mit dem großen Unbekannten? Wann triffst du dich wieder mit ihm?"

"Morgen Abend."

"Das heißt, du könntest heute theoretisch babysitten?"

Josh mochte diesen Ausdruck überhaupt nicht.

"Ich bin kein Baby und ich kann auch alleine zu Hause bleiben. Ich kann Gwen auch die Flasche geben und so."

"Damit warten wir lieber noch zwei Jahre. Vielleicht sollte ich mich mal nach einem professionellen Babysitter umschauen, ich denke, ich werde in nächster Zeit öfters abends weg sein."

"Also das ist eine gute Idee, aber heute Abend passe ich gern noch mal auf. Ich muss Josh endlich mal in Dame schlagen."

"Keine Chance."

"Das werden wir sehen. So, also, bereit für ein Zungenpiercing?"

"Klar."

"Gut, hier ist Mundwasser, geh ausspülen."

"Okay. Kommst du mit, Xander?"

"Klar."

Wir verschwanden kurz in der Toilette.

"Ich dachte mir, du willst mich vielleicht noch mal küssen, bevor meine Zunge auf die fünffache Größe anschwillt."

"Sehr gerne."

Xander's Küsse waren so anders, so süß, genau wie er. Nachdem ich den Mund desinfiziert hatte, gingen wir wieder zu den Anderen. Ich setzte mich in den Sessel, der mittlerweile für die Piercing–Kunden im Hinterzimmer stand und streckte die Zunge raus. Josh wartete mit Gwen draußen, Xander schaute von einer Ecke aus zu. Janet überprüfte, wo die Adern verliefen und wo das Zungenbändchen war, dann setzte sie die Zange an und schob die Nadel durch, wie durch ein Stück Butter. Es tat überhaupt nicht weh. Sie schob den extralangen Steg durch und schraubte die Kugeln drauf.

"So, das war's. Bleib noch eine Weile sitzen, nur um sicherzugehen. Ich hol dir Eiswürfel."

"Tut's weh?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Zeig mal."

Ich steckte die Zunge raus.

"Es wird schon dick. Das war's wohl erst mal mit küssen."

Janet brachte mir noch mal was zum Desinfizieren und Kamillentee–Eiswürfel in einem Becher. Ich versuchte zu sprechen, ließ es aber gleich wieder bleiben, weil eh nur Kauderwelsch raus kam. Janet gab mir einen Block und einen Stift. Xander las vor.

"Xander, willst du die Wohnung sehen? –Klar, gerne.– Josh kann noch hier bleiben, wenn er will."

Josh, der mittlerweile auch meine Zunge beäugte, nickte und machte sich an die restlichen Pakete. Ich machte noch eine Dankesgeste Richtung Janet, nahm Gwen und Xander's Hand.

"Wow, ein Wandgemälde! Wer hat das denn gemacht?"

Ich schrieb es ihm auf.

"Exfreund Vince, Maler. – Eindrucksvoll."

Ich setzte Gwen auf ihre Decke und führte ihn herum. Im Schlafzimmer sagte er, ich solle mich aufs Bett setzen und machte sich daran, meine Hose auszuziehen.

Wir machten was zu Essen und riefen im Laden an, dass Josh kommen sollte. Xander und er aßen und redeten über Baseball. Ich saß dabei und konnte noch nicht mal meinen Unmut darüber zum Ausdruck bringen, ohne dass es lächerlich wirkte.

Kurz nach Sechs fuhr Xander, um sich auf den Gig vorzubereiten, wir wollten uns dann später dort treffen.

Ich nahm wieder meinen Block und schrieb für Josh:

"Na, wie findest du ihn?"

"Er ist nett. Ich find's komisch, dass er sich schminkt. Er sieht ein bisschen aus wie ein Mädchen, redet aber wie ein Junge. Ich find's cool, dass er sich mit Baseball auskennt. Du magst das ja nicht."

Ich grinste, dieses leidige Thema wieder.

Gegen Acht kam Janet und ich machte mich auf den Weg, nachdem ich noch ein paar Eiswürfel gelutscht hatte.

Die O–Scars waren schon auf der Bühne, es war mal wieder viel los, aber ich schaffte es nach vorne. Da stand auch Scott. Ich tippte ihm auf die Schulter.

"Hey Jordan, was machst du denn hier?"

Ich deutete auf Xander.

"Ach klar, verstehe. Alles okay?"

Ich zeigte ihm meine Zunge.

"Achso. Dann kannst du wohl nicht reden?"

Ich machte eine Geste, die "Ganz wenig" bedeutete.

"Siehst du sie jetzt das erste Mal wirklich auf der Bühne?"

Nicken.

"Mitreißend, oder? Andy hat's echt drauf. Und die Anderen auch."

Heftiges Nicken.

"Okay, … das ist echt seltsam. Ich würd dich ja fragen, wie deine Woche war und wie der Club war, den du dir angeschaut hast, aber ich glaube, damit warte ich, bis deine Zunge abgeschwollen ist. Wie lange dauert das denn noch?"

Zwei oder drei Finger.

"Das ist bestimmt auch eine gute Diät."

Ich verdrehte die Augen.

Die restliche Show über redeten wir nicht mehr viel, es war einfach zu blöd.

Die O–Scars bauten gleich ab, weil danach noch eine Band auftrat. Endlich kamen sie runter und wurden gleich belagert. Die Typen gruppierten sich um Andy, die mal wieder ein eher knappes Outfit gewählt hatte. Xander kam rüber zu uns.

"Hey."

Er küsste mich vorsichtig auf die Lippen. Mir entging dabei nicht der kurze, unsichere Blick, den er meinem Ex–Freund zuwarf.

"Lass mal sehen. Ach, ich glaube das ist schon weniger geschwollen als vorhin. Armer Jordan."

Er streichelte meine Wange.

"Na, wie hat's euch gefallen?"

"Ihr wart wie immer Klasse. Wer ist der Kerl bei deinen Leuten?"

"Keine Ahnung, den seh ich zum ersten Mal."

Der Typ stank förmlich nach Agent. Scott ging gleich mal rüber.

"Was hat er denn?"

Ich zuckte nur die Schultern. Xander holte sich ein Bier und brachte mir einen Becher Eiswürfel mit.

"Kannst du heute bei mir übernachten?"

Ich deutete an, dass das nicht so günstig sei.

"Na gut. Aber morgen … nein, da hat Janet ja ihr Date. Hm, am Nachmittag proben wir. Am Sonntag auch. Vielleicht willst du ja zuschauen?"

Ich bekundete, dass das eine gute Idee sei. Die andere Band ging auf die Bühne und wir retteten uns nach weiter hinten. Da standen wir also.

"Das ist echt blöd, ich hab das Gefühl, Selbstgespräche zu führen und knutschen können wir auch nicht."

Ich deutete an, dass ich auch langsam los musste.

"Dass ich mit zu dir komme, ist keine gute Idee, oder? Josh muss sich erst mal dran gewöhnen, hm? Hab ich eigentlich einen guten Eindruck hinterlassen?"

Nicken und ein imaginärer Baseball–Schlag.

"Ja, meine Brüder stehen auf Baseball, ich kam also nicht drum rum. Das kann auch nützlich sein."

Wir verabschiedeten uns am Eingang. Ich hatte die ganze Rückfahrt über dieses Kribbeln im Bauch. Xander war süß und toll. Und er war mein Freund.

Für Sonntagnachmittag musste ich ihm leider absagen, weil Janet wieder ihren Unbekannten treffen würde. Dafür mailten wir nach seinem Gig am Samstag noch ewig. Ich beschloss, im Haus und in der Nachbarschaft Flyer zu verteilen, um noch ein paar Babysitter in Reserve zu haben.

Am Montagmorgen kam eine Nachbarin vorbei, die meinen Flyer gesehen hatte.

"Hallo, ich bin Aaron Fleming, ich wohne im hinteren Block mit meinen beiden Kindern. Ich hab den Flyer gesehen und dachte mir, vielleicht könnten wir uns gegenseitig helfen. Ich bin auch allein erziehend und würde gern öfters mal abends weg. Wir könnten versuchen, uns abzuwechseln oder so."

Ich schätzte sie auf Ende 30, sie sah aus wie eine normale, blondierte Mama.

"Das wäre perfekt, komm doch rein. Josh ist natürlich gerade in der Schule, aber ich stell dir Gwen vor."

Ich machte Kaffee und wir setzten uns. Gwen wälzte sich fröhlich auf ihrer Decke herum.

"Also, wie alt sind denn deine Kinder?"

"Bobby ist Fünf und Calista ist Acht."

"Schön, das wäre echt ideal, wenn wir das hinkriegen würden. Wie wäre es, wenn ihr einfach heute Abend zum Essen kommen würdet, damit wir uns besser kennenlernen?"

"Gute Idee. Ich hätte aber noch ein paar Fragen, du darfst mich natürlich auch alles fragen, was du willst. Ich bin da immer übernervös, das weiß ich, aber ich lasse meine Kinder halt nicht gerne alleine."

"Klar, frag mich."

"Was machst du zum Beispiel beruflich?"

"Ich bin Musiker."

"Oh."

"Ich war früher in einer Band, aber seit Gwen auf der Welt ist, schreibe ich Werbejingles und schau mir für einen Agenten Clubs an, bevor seine Bands dort auftreten. Kein wildes Leben."

"Wie alt bist du?"

"25."

"Okay, du siehst jünger aus. Und du wohnst hier alleine mit den Beiden? Du bist mit niemandem zusammen?"

"Doch, aber das ist noch recht frisch, deshalb such ich ja auch Jemanden, der öfter mal aufpasst."

"Und was macht deine Freundin?"

"Mein Freund. College."

"Oooohkay, also wenn ich nur die Randdaten in Betracht ziehe, würde ich dir meine Kinder nicht anvertrauen."

"Weil ich schwul bin?"

"Beleidige mich nicht. Weil du jung bist, Musiker, mit einem jungen Studenten zusammen, gepierct, tätowiert …"

"Das stimmt alles, ja."

"Aber ich finde, du wirkst, als hättest du alles gut im Griff. Ich würde heute Abend gern mit meinen Kindern zum Essen kommen, wenn die Einladung noch steht."

"Klar."

"Gut, dann sehen wir uns heute Abend."

"Gegen Sechs?"

"Gut."

Das Essen verlief gut, die Kinder waren recht aufgeweckt, aber nicht im negativen Sinn. Josh verstand sich sofort mit ihnen. Mein Nudelauflauf kam gut an und Josh fragte sogar, warum Xander nicht da sei.

"Wer ist denn Xander?"

"Jordans Freund. Er kennt sich voll gut mit Baseball aus."

Bobby fand Baseball anscheinend auch toll.

"Wann kommt denn Xander mal?", fragte er.

Aaron stieg sofort drauf ein.

"Also ich würde ihn auch gern kennenlernen."

"Ich kann ihn ja mal anrufen, aber versprechen kann ich nichts."

"Hey."

"Hallo, schön dass du anrufst. Alles klar?"

"Was machst du denn gerade?"

"Ich mach mich auf den Heimweg vom Campus, warum?"

"Willst du vielleicht Nudelauflauf?"

"Ehm, ich soll vorbeikommen?"

"Nur wenn du Zeit und Lust hast. Ich hab doch diese Flyer gemacht und jetzt ist eine Nachbarin mit ihren Kindern da, mit der ich mich beim Babysitten abwechseln könnte. Und irgendwie würde sie dich gern kennenlernen, du bist schließlich mein Freund. Und die Jungs wollen über Baseball reden. Ich weiß, ich überfalle dich damit ein bisschen."

"Schon okay. Ich bin in einer halben Stunde da."

"Wirklich? Danke."

"Wehe ich bekomme dann keinen Nudelauflauf."

Ziemlich genau eine halbe Stunde später, die Kinder hatten gerade ihr Eis fertig, klingelte es. Da stand Xander, in olivgrünem Shirt, Jeans, ohne Schminke und ohne irgendwas in seinen Haaren.

"Wow, du siehst so …"

"Normal aus?"

"Ja genau. Ich hoffe das ist nicht, weil du denkst …"

"Nein, ich wusste, dass du das sagen würdest, aber so ist es nicht. Ich lauf heute schon den ganzen Tag so rum, manchmal hab ich einfach Lust drauf."

"Okay, ich find es auch nicht schlecht. Komm rein. Ich stell gleich mal den Auflauf in die Mikrowelle. Also, das sind Aaron und Calista, Bobby ist gerade mit Josh in seinem Zimmer und holt die Baseballkarten. Und das hier ist mein heute ganz normaler Freund Xander."

"Was meint er denn damit?"

"Normalerweise geh ich optisch eher in die Gothic–Richtung, heute hab ich mal ein Experiment gestartet und bin so in die Vorlesungen."

"Und mit welchem Ergebnis?"

"In jeder Vorlesung hat sich jemand neben mich gesetzt, den ich nicht kannte und die Leute, die ich aus der Vorlesung kannte, haben mich nicht mal erkannt."

"Sitzt du sonst öfters alleine?"

"Wenn niemand da ist, der sich meiner Subkultur zuordnet, schon, ja."

"Ich hätte nicht gedacht, dass das unter Studenten so krass ist. Unterschiedliche Leute und Meinungen kennenzulernen ist doch der Sinn von Hochschulen, oder?"

"Ganz meiner Meinung. Aber um das zu können, muss ich mich normal anziehen. Deshalb mach ich das alle paar Wochen mal."

"Und wenn jemand dich zum Beispiel gar nicht kennt, aber auch ein Goth ist?"

"Dann setzt er sich wie selbstverständlich neben mich."

"Machst du das auch so?"

"Ich bin meistens zu früh dran, also hab ich nicht wirklich die Wahl. Aber wenn, dann setz ich mich zum Beispiel nicht neben irgendwelche Testosteronklumpen, die stehen eh meistens auf und gehen weg. Da ist es schon die sicherere Variante, sich neben Jemanden zu setzt, der seine Haare auch schwarz färbt."

"Das überrascht mich echt. Ich glaub's ja kaum."

"Setzt dich einfach mal in irgendeine möglichst allgemeine Vorlesung und du wirst es sehen."

"Vielleicht mach ich das."

"So, der Nudelauflauf, wie gewünscht."

"Krieg ich Ketchup?"

"Banause. Ich hol's dir."

"Wie geht es deiner Zunge? Beim reden merkt man nichts mehr."

Aaron schaute uns fragend an.

"Neues Piercing. Seit gestern Abend esse ich wieder ganz normal."

"Zwei Tage, das ging ja schnell."

"Ich hab halt die ganze Zeit Eis gelutscht."

"Das hab ich damals auch gemacht, trotzdem hab ich nach einer Woche immer noch komisch geredet."

Die Jungs kamen mit den Baseballkarten. Josh schaute Xander erstaunt an.

"Du schaust ja ganz normal aus."

Danach war sofort wieder Baseball angesagt. Calista spielte mit Gwen und Aaron und ich unterhielten uns noch ein bisschen. Sie hatte unter der Woche abends Kurse und brauchte da immer einen teuren Babysitter. Am Wochenende hätte sie nichts dagegen, dass Gwen und Josh bei ihr blieben, gern auch mal über Nacht. Und wenn ich nachmittags Clubs begutachtete, hatte sie auch Zeit. Alles war ziemlich ideal.

Schon am nächsten Nachmittag brachte ich Gwen und Josh rüber und am Abend kamen Bobby und Calista bis Neun zu uns. Am Mittwoch kam Xander wieder zum Abendessen und blieb, bis Josh ins Bett musste.

"Also, am Freitag ist so ein Contest. Glaubst du, du kannst kommen? Vielleicht sogar mit über Nacht?"

"Ich red mit Aaron und Janet, aber ich bin zuversichtlich."

"Wollen wir mal versuchen, ob deine Zunge schon wieder küssen kann?"

Mit Freitag klappte alles und ich kam gerade pünktlich, um Xander frisch von der Bühne zu begrüßen.

"Ich hab Hunger. Da drüben gibt's Hot Dogs."

Die Band vertilgte fast ein Dutzend davon, was ich echt eklig fand. Danach gab's Bier. Ich hatte mein Auto extra abgestellt, wo es über Nacht bleiben konnte. Xander und ich verzogen uns zwischendurch immer mal wieder nach draußen, uns zog die Musik und die gute Stimmung aber bald wieder rein. Ich war schon ziemlich betrunken. Wir stießen mal wieder zur Band. Andy knutschte mit irgendeinem Typen rum. Rico, der Bassist, kam rüber.

"Na, ihr seid schon gut dabei, hm? Hey Xander, hast du noch Tabs für mich?"

"Bezahlst du auch mal was dafür?"

"Klar, ich geb's dir morgen."

"Wer's glaubt. Komm mit."

Das durfte doch wohl nicht wahr sein.

"Jordan, kommst du auch?"

"Nein, ich … ich geh mal kurz aufs Klo."

"Da gehen wir auch hin. Komm schon."

Vielleicht hatte ich mich ja verhört. Ich ging mit. Niemand war im Waschraum. Xander packte eine kleine Dose aus.

"Du gibst mir aber morgen das Geld dafür. Jordan, für dich sind die natürlich gratis. Greif zu."

Ich warf einen Blick rein. Ecstasy. Warum war mir nicht aufgefallen, dass er high war? Das war ja auch alles zu glatt gelaufen. Ich schaute immer noch auf die Tabletten und wollte so gerne einfach zugreifen. Panik stieg in mir auf.

"Nein. Ich sollte jetzt gehen."

Während ich mich umdrehte, hörte ich Rico spötteln:

"Oh Xander, hast du dir etwa einen Moralapostel angelacht?"

"Halt's Maul, Rico. Jordan, warte!"

Ich arbeitete mir einen Weg durch die Menge. Draußen holte Xander mich ein.

"Jordan, wo willst du denn hin? Du kannst nicht mehr fahren."

"Dann nehm ich eben den Bus, oder schlaf im Auto."

"Verdammt, was ist denn los? Können wir nicht reden?"

Ich schüttelte seine Hand von meinem Handgelenk.

"Warum bist du denn sauer? Wegen Rico? Er hat ein zu großes Mundwerk."

"Ich bin nicht sauer, ich will einfach nur weg."

"Wovon denn weg?"

"Von dir! Von den Pillen in deiner Tasche!"

"Verdammt, was machst du denn für ein Theater? Es sind nur ein paar Pillen, wir haben Spaß, das ist ganz normal. Du brauchst doch bloß sagen, dass du keine willst, wo ist das Problem?!"

"Ich kann nicht mit dir reden, solange du das Zeug hast."

"Okay, sieh her."

Er holte die Büchse wieder raus und ließ den Inhalt, der bestimmt 200 Dollar wert war, in den Gully rieseln.

"Gut so? Bitte red mit mir, Jordan."

"Du hast sonst nichts mehr?"

"Nein, versprochen."

Er kam langsam näher.

"Was ist denn los? Du zitterst ja total."

Ich ließ ihn mich umarmen.

"Was hast du?"

"Suchtdruck."

"Du bist abhängig?"

"Ich bin seit drei Jahren clean. Aber wenn ich was getrunken hab und ich guter Stimmung bin …"

"Das wusste ich nicht."

"Ich hätte es dir sagen sollen."

"Da vorne kommt gleich der Bus zu mir. Nehmen wir den, okay? Und dann reden wir."

20 Minuten später saßen wir auf seinem Bett. Mittlerweile hatte ich mich wieder im Griff.

"Es tut mir leid. Wenn ich das gewusst hätte, dann, du weißt schon, hätte ich das nicht vor deiner Nase gemacht."

"Hast du hier auch was?"

"Ich bewahre doch nichts zu Hause auf, bist du irre?"

"Verdienst du so dein Geld?"

"Nicht im großen Stil oder so …"

"Xander, ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn du Drogen nimmst und vertickst."

"Jetzt mal langsam. Erzähl mir davon. Was hast du genommen?"

"So ziemlich alles."

"Also Pillen und Koks?"

"Und Heroin."

"Fuck, echt jetzt? Hast du gespritzt?"

Ich nickte.

"Wie lange?"

"Das erste Mal über zwei Jahre, aber irgendwie selten, bis ich am Ende fast verreckt wäre. Und dann später noch mal ein paar Monate ziemlich exzessiv."

"Wie hast du das überlebt?"

"Keine Ahnung, pures Glück. Am Ende hat Vince mich gefunden und in eine Klinik gebracht."

"Der Maler?"

"Ja. Er ist damals nach New York gezogen. Danach ging der zweite Absturz los."

"Verdammt, warum hast du mir nichts davon erzählt?"

"Ich wollte eben keinen schlechten Eindruck machen …"

"Was muss ich denn noch tun, damit du mir endlich vertraust?"

"Tut mir leid."

"Bist du gesund?"

"Ja. Der letzte Test war kurz nach Gwens Geburt."

"Ich will die ganze Geschichte hören und wenn es die ganze Nacht dauert."

Ich erzählte ihm das, was ich Sean und Hannah damals erzählt hatte, dann erzählte ich ihm im groben von Sean und dem Klinikaufenthalt bei dem ich Vince kennenlernte, dann von der Bandgründung und Vinces Auszug, dem Wiedersehen mit Sean und am gleichen Abend der Joint mit dem alles wieder losging. Vom Sommer und Herbst 99 konnte ich ihm nicht viel erzählen, dann noch von der Klinik und dem letzten Entzug.

"Das war im Frühjahr 2000, danach ging ich wieder zu Summerskin, mit neuer Besetzung."

"Als wir uns getroffen haben, warst du also kurz vor dem Rückfall? Du hast so erwachsen gewirkt, so als hättest du alles im Griff."

"Und so hab ich mich auch gefühlt. Ich hab es überhaupt nicht kommen sehen, sowenig wie heute. Ich hätte beinahe eine genommen."

Die Sonne ging schon auf.

"Ich passe ab jetzt auf dich auf, Jordan. Jetzt schlaf erst mal ein bisschen."

Irgendwann weckte er mich.

"Guten Morgen. Es ist Zeit, wir sollten zu dir fahren."

"Wie spät ist es?"

"Elf."

"Ohjeh. Wann sind wir eingeschlafen?"

"Vor vier Stunden."

"Kaffee!"

"Dazu musst du aber aufstehen, komm schon."

Den restlichen Tag kam Xander mit zu mir, am Nachmittag spielte er im Park mit Josh Baseball, was echt seltsam aussah. Gothik–Emo–was–auch–immer und Ballsport passten einfach überhaupt nicht zusammen. Gwen und ich dösten solange ein Wenig im Schatten eines Baumes.

"Hey, Jordan, schläfst du?"

"Hm? Was? Mandy? Hey!"

"Hallo! Schön dass ich dich mal wieder sehe. Schau, das ist mein Mann, Daniel."

Ich rappelte mich auf.

"Hallo."

"Hi, ich hab schon viel von dir gehört. Dir verdanke ich, dass meine Frau sich den Nabel wieder durchlöchern hat lassen.", grinste er.

"Und das ist also Gwen? Sie ist ja fast so groß wie Eric, dabei ist sie doch zwei Monate jünger."

"Tja, die Gene. Ihre Mutter ist fast 1,80. Ihr Bruder ist zehn und schon 1,50. Da hinten ist er übrigens. Der mit dem Dodgers–Shirt. Ich glaub du hast ihn nie kennengelernt, oder Mandy?"

"Nein, er war ja im Baseball–Camp. Baseball ist echt sein Ding, hm?"

"Ja, keine Ahnung woher er das hat."

"Mit wem spielt er denn da?"

"Das ist Xander. Wir sind seit kurzem zusammen."

"Sieht interessant aus. Wie nennt man diesen Stil nochmal?"

"Das ist dieser Gothik–Emo–Mix. Sieht man jetzt immer häufiger. Aber er ist schon vor fünf Jahren so rumgelaufen."

"Die Figur für so enge T–Shirts hat er auf jeden Fall. Isst er schon regelmäßig?"

"Liebling, du lässt schon wieder die Glucke raus hängen."

"Schon okay, ich dachte mir auch sofort, ob er nicht irgendeine Essstörung hat, aber er isst echt normal und rennt danach auch nicht aufs Klo oder so. Ich hab da schon drauf geachtet."

"Gut. Und ihr seid also zusammen?"

"Ja, noch nicht lange, wir haben uns erst vor zwei Wochen zufällig wiedergetroffen."

"Ich bin froh, dass du alles gut überstanden hast."

"Naja, das Leben geht weiter."

"Ja, wir müssen langsam auch wieder los. Wir sehen uns hier ja bestimmt mal wieder."

"Okay, dann noch einen schönen Tag."

"Dankeschön, euch auch."

Ich legte mich hin und döste sofort wieder ein.

Josh konnte es kaum erwarten, bis Xander am Sonntagabend nach der Bandprobe wieder zu uns kam. Wir spielten Brettspiele und die Beiden wollten lernen Gwen zu wickeln, also zeigte ich ihnen, dass eigentlich nicht viel dabei war. Als Josh um halb Neun ins Bett ging, wollte er unbedingt, dass Xander auch am nächsten Tag beim Frühstück dabei ist.

"Xander hat bestimmt früh Vorlesungen, die kann er nicht ausfallen lassen und er braucht eine halbe Stunde von hier bis zum Campus."

"Eigentlich hab ich die erste Vorlesung um Zehn, also wenn ihr Beide wollt, könnte ich schon hier bleiben."

Josh war sofort begeistert und wollte extra früh aufstehen, damit wir Waffeln machen konnten.

Als er im Bett war, machten wir es uns auf der Couch bequem.

"Ich hoffe das war okay?"

"Klar, ich freu mich, dass du hier bleibst."

"Können wir noch mal über Freitag reden?"

"Klar."

"Ich nehme so gut wie nie selber Pillen. Ich steh da gar nicht so drauf. Ich lass es ab jetzt einfach sein. Und das Verkaufen, ich weiß das ist eine blöde Idee, aber ich bekomme von meinen Eltern eben nicht viel, die Miete muss bezahlt werden und das Auto und für einen geregelten Nebenjob bleibt neben der Band kaum Zeit … nur deshalb hab ich damit angefangen. Bist du sicher, dass wir das nicht irgendwie hinbekommen?"

"Tut mir leid, aber das ist einfach viel zu gefährlich."

"Also, wenn ich mich entscheiden muss, dann nehme ich natürlich dich und lass mir wegen dem Geld irgendwas anderes einfallen."

"Danke. Bald wirft die Band bestimmt mehr ab und hier gibt's immer Nudelauflauf für dich."

"Gut, verhungern muss ich also schon mal nicht. Wollen wir ins Bett gehen?"

"Oh ja."

Der Oktober verging, ehe ich es endlich mal auf eine Probe von den O–Scars schaffte. Sie hatten einen Proberaum in einem Jugendzentrum und probierten gerade ein paar neue Songs. Ich hielt mich betont zurück, wenn uns damals jemand reingeredet hätte, hätte uns das gar nicht gepasst. Rico und Andy stritten sich gerade über die Bassline.

"Jordan, sag doch mal was!", meinte Andy.

"Ich werde mich hüten!"

"Nein, komm schon, wir wollen das hören. Hast du eine Meinung dazu?", fragte Rico.

"Klar."

"Also?"

"Ihr seid Beide auf dem falschen Dampfer. Das Problem ist nicht die Bassline, die ist so ziemlich das einzige, was ich so lassen würde …"

"Okay, das ist hart."

"Ich halt mich einfach raus. Das ist euer Song."

"Nur mal hypothetisch. Was schlägst du vor?"

"Ich finde, der Song schreit nach Retro–Sound. 60s, ihr wisst schon, warte, gib mir mal die Gitarre. Und die Drums …"

Am Ende hörte sich der ganze Song anders an und ich hatte mich offensichtlich doch eingemischt.

Xander hatte während der ganzen Zeit nichts dazu gesagt.

"Ich hätte nie gedacht, dass das funktioniert. Ich dachte du spinnst, als du mit den 60s an kamst."

"Ja, ich hab es dir angesehen."

Andy machte eine große Geste.

"Ich sehe schon mein Bühnenoutfit vor mir, am besten mit Rollschuhen!"

Xander kannte diese Allüren anscheinend schon.

"Darüber reden wir noch mal. Also, wenn wir dann fertig sind, würde ich meinen genialen Freund jetzt zum Essen ausführen."

"Tatsächlich?"

"Ja, ich hab einen Laden gefunden, der dir bestimmt gefällt. Veganisch mit Live–Musik. Das hört sich seltsam an, ist aber fein."

Er behielt Recht. Um Elf kamen wir völlig überdreht nach Hause, wo Janet auf der Couch schlief und sich wie immer darüber beschwerte, aufgeweckt zu werden.

Im Bett wollte Xander plötzlich reden.

"Was? Worüber denn? Und warum jetzt? Ich würde jetzt viel lieber …"

"Nachher. Ich schiebe das schon den ganzen Abend vor mir her."

"Okay, es ist dir ernst, oder? Was ist los?"

In letzter Zeit hatte sich zwischen uns was richtig Bedeutendes entwickelt, obwohl keiner von uns das so richtig geplant hatte. Ich vermutete, er würde darüber reden wollen.

"Meine Eltern haben mich für Thanksgiving eingeladen."

Oder auch nicht.

"Okay, das ist doch schön."

"Ich war seit März nicht mehr daheim."

"Nur weil sie dich einladen, musst du ja nicht hin."

"Ich glaub, ich will hin."

"Ich weiß zu wenig über das Verhältnis zu deinen Eltern, um dir folgen zu können, glaub ich."

"Es geht weniger um meine Eltern, als um ein Mädchen."

"Ah, Schatten der Vergangenheit. Erzähl es mir."

"Tyler und ich sind schon in der High School zusammen gewesen. Ich glaub, nur wegen ihr hab ich es überhaupt noch in dem Kaff ausgehalten und meinen Abschluss gemacht. Es war so eine ganz große Seelenverwandtschaft, sie zog in die Stadt als wir 16 waren, war auch Goth, lebte nebenan, wir hatten so viel gemeinsam und davor waren wir Beide totale Außenseiter, danach waren wir eben gemeinsam Außenseiter. Nach dem Abschluss sind wir zusammen hierher."

"Was ist dann passiert?"

"Vor einem Jahr ist ihre Mum krank geworden und sie musste zurück. Ich wollte mitkommen, aber ich hatte die Band und das Studium. Sie hat darauf bestanden, dass ich hier bleibe. Ich hab sie Thanksgiving und Weihnachten besucht. Und auch in den Semesterferien. Im Sommer hatte ich dann mit der Band zu viel um die Ohren."

"Ihr habt euch also auseinander gelebt und so."

"Wir haben uns seit März nicht mehr gesehen. Sie kann nicht weg, weil sie sich um ihre Mum kümmern muss. Wir schreiben uns, telefonieren, chatten …"

"Moment mal, weiß sie von uns?"

"Ich wollte es ihr schon oft sagen, aber …"

"Erzählst du mir gerade, dass ihr eine Art Fernbeziehung führt?"

"Man könnte es vielleicht so nennen …"

"Ich glaub das jetzt nicht. Verdammt, du hast mich tausendmal gefragt, ob ich mit jemandem zusammen bin! Du hast mich gefragt, wann ich dir endlich genug vertraue, um dir alles über mich zu erzählen! Ich hab dich sogar meinem Sohn vorgestellt!"

"Nicht so laut, du weckst noch Gwen …"

Ich sprang auf.

"Verschwinde!"

"Nein."

"Was nein?! Verschwinde aus meiner Wohnung, oder ich schmeiß dich raus."

"Du würdest mir nie was tun."

"Geh endlich.", bat ich hilflos.

"Ich bin in dich verliebt, Jordan. Wenn es nicht so wäre, dann wäre ich einfach zu meinen Eltern gefahren und hätte Tyler besucht, ohne es dir zu sagen. Das wäre das Einfachste gewesen. Ich will ja mit ihr Schluss machen. Ich weiß nur nicht, was sie dann macht. Sie neigt dazu, sich selbst zu verletzen. Ich hab Angst, dass sie sich was antut. Deshalb kann ich das nicht von hier aus machen, ich muss dazu nach Hause."

Ich setzte mich aufs Bett. Er setzte sich auf mich, je ein Bein links und rechts von mir und umarmte mich. Ich versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eigentlich befand ich mich ja in einer ähnlichen Situation, wie er. Mit Sean.

"Ist sie wirklich deine Seelenverwandte?"

"Ich weiß nicht, das hat auch nichts mit meinen Gefühle für dich zu tun ..."

"Bitte sei einfach nur ehrlich."

"Ja, das ist sie."

"Dann darfst du nicht mit ihr Schluss machen."

"Aber ich will mit dir zusammen sein."

"Und was ist wenn wir in ein paar Monaten oder Jahre oder was auch immer Schluss machen?"

"Daran darfst du doch überhaupt nicht denken."

"Xander, ich hab auch so einen Seelenverwandten."

"Was meinst du damit? Wen?"

"Sean."

"Aber ihr habt euch damals doch gestritten, bevor du den Joint geraucht hast."

"Das ist vier Jahre her. Danach war ich bei ihm, hab richtig Scheiße gebaut und ihn erst mal nicht mehr gesehen. Er hat geheiratet, studiert Medizin und hat eine Tochter in Gwens Alter. Wir haben uns im August zufällig getroffen und zusammen den besten Tag überhaupt verbracht. Aber wir konnten nicht zusammen sein, er ist nun mal verheiratet und braucht das Geld seines Vaters, um neben dem Studium seine Familie zu versorgen … wir müssen warten, bis sein Studium beendet ist und er als Arzt arbeiten kann."

Ich spürte, wie sich seine Fingernägel in meinen Rücken krallten. Es fing langsam an, weh zu tun.

"Au, Xander, nicht!"

Ich spürte etwas in meinen Nacken tropfen.

"Weinst du?"

Ich wollte in sein Gesicht schauen.

"Nicht. Lass mich."

Irgendwas war seltsam.

"Xander, schau mich an."

Ich zwang ihn dazu, mir sein Gesicht zu zeigen. Seine Augen waren verzweifelt aber trocken. Ich fasste in meinen Nacken, meine Finger waren rot.

"Was zur …?! Wo hast du dich geschnitten? Zeig mir deine Arme!"

Drei Schnitte bluteten auf der Außenseite seines linken Unterarms.

"Wo ist die Klinge? Gib sie mir!"

Er gab sie mir und schaute mich traurig und flehend an.

"Du bist wie ich früher, Xander."

"Es tut sonst so weh, bitte hilf mir."

"Schon gut, legt dich hin."

Ich zog ihn aus. Er weinte.

"Alles ist gut, gleich vergisst du den Schmerz."

Seine Haut erschien noch weißer als das rote Blut darüber rann.

Als ich am nächsten Morgen die blutigen Laken abzog, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, was ich getan hatte, aber er hatte es so sehr gewollt. Er stand jetzt schon ewig unter der Dusche. Josh machte in der Küche bereits den Waffelteig, das hatte sich mittlerweile eingebürgert, wenn Xander über Nacht blieb. Endlich kam Xander wieder rauf. Er war in ein großes Handtuch gewickelt.

"Ich brauch ein langärmliges Shirt von dir."

"Xander, es tut mir leid."

"Nein, ich wollte es. Ich hab gesehen, wie es dir widerstrebt hat, aber du hast es trotzdem gemacht, für mich."

"Bitte verlange es nie wieder von mir."

"Okay, das werde ich nicht."

"Xander, ich glaub ich liebe dich."

"Ich weiß."

Mehr sagte er nicht, nur "Ich weiß.". Er ließ das Handtuch fallen, stand für einen Moment nackt vor mir, so dass ich die feinen Linien auf seiner Brust und den Armen sehen konnte und nahm das Shirt, das ich ihm entgegenhielt.

Er machte mit Josh die Waffeln, während ich Gwen wickelte und während dem ganzen Frühstück plauderte er fröhlich vor sich hin. Danach holten wir Bobby ab und gingen in den Park. Die Drei warfen ewig Bälle hin und her, während ich wie verrückt in mein Notizbuch kritzelte. Ich hatte eine Melodie im Ohr, der Text schrieb sich fast ganz von selbst. Ich las ihn mir nochmal durch und bekam Gänsehaut, als die Zeilen die Bilder von letzter Nacht wieder hochbrachten. Xander ließ sich neben mich ins Gras fallen.

"Was hast du geschrieben?"

"Den Text zu einem Song."

"Kann ich's lesen?"

"Der Song ist über letzte Nacht."

"Kann ich?"

"Hier."

"Das hast du alles gerade eben geschrieben?"

Er fing an zu lesen, wurde immer stiller, seine Hand wanderte an seine Brust. Als er fertig war, fing er nochmal von vorne an.

"Jordan, das ist … ich kann gar nicht glauben, dass du von mir schreibst. Das ist wunderschön. Es tut fast weh, das zu lesen. Hast du schon eine Melodie im Kopf?"

"Ja …"

"Jordan, das … das wird etwas großes! Es ist einfach genial. Du fängst genau ein, wie ich mich gefühlt habe. Du musst sofort die Melodie aufschreiben. Geh schon, nimm Gwen mit, ich pass auf die Jungs auf. Geh schon!"

Bald hatte ich die Tabs und Chords fertig und alles in mehreren Spuren aufgenommen. Ich stellte mir ein Klavier dazu vor und suchte Brians Nummer raus. Summerskin probte gerade. Sie waren damit einverstanden, dass ich gleich vorbeischaute. Ich rief Aaron an, die Zeit hatte. Xander und Josh kamen gerade zurück.

"Wir müssen los. Josh, du bleibst noch für ein paar Stunden bei Aaron."

Erst im Auto kam Xander dazu, mich zu fragen, wo wir eigentlich hinfuhren.

"In den Probenraum von Summerskin. Ich hab den Song, soweit es ging, aufgenommen, aber ich brauche mehr Instrumente. Hier, hör es dir an."

Er schob die Disk in den Player. Danach lehnte er den Kopf an meine Schulter und sagte es endlich: "Ich liebe dich auch."

Er ließ den Song immer wieder spielen und prägte sich die Tabs ein, bis wir da waren. Ein altes Industriegebäude, wir klingelten, Tobey machte auf.

"Hey, also, komm rein. Was ist los? Brian hat gesagt, du willst einen Song mit uns ausprobieren? Da vorne rechts."

Die Jungs machten wohl gerade Pause. Sie saßen rum und unterhielten sich.

"Ah, Jordan, na dann lass mal hören."

Ich gab Mickey die CD.

"Ich dachte mir, mit etwas Klavier … Vielleicht kannst du einfach was dazu improvisieren, Tobey."

Während die Jungs gebannt zuhörten, schaute Xander sich ehrfürchtig das teure Equipment an, das rumstand. Danach sagte Brian als Erster etwas.

"Wann hast du das geschrieben?"

"Heute Vormittag."

"Weißt du, wie gut das ist?"

"Deshalb bin ich hier. Ich brauch euch dazu."

"Schalt nochmal an, ich will mal was dazu versuchen."

Alle gingen an ihre Instrumente.

"Xander hat die Tabs drauf, hast du eine Gitarre für ihn, Tom?"

"Klar. Meine Fender. In der Tasche da hinten."

"Greg, vielleicht könntest du im Background ein bisschen …"

"Leck mich, Jordan, ich mach doch nicht deinen Background."

Er ließ sich demonstrativ desinteressiert auf eine Couch plumpsen. Mickey und Tobey probierten schon rum. Brian hatte an den Drums nicht wirklich was Schwieriges zu tun, nach drei oder vier Durchläufen waren alle soweit und wir versuchten es zusammen, während Greg auf der Couch schmollte. Im Groben funktionierte es und es war echt gut. Ich konnte meine Augen nicht von Xander lassen, wir spielten das erste Mal zusammen. Diese Energie, dieser schöne Schmerz. Ich fühlte es einfach. Nach den letzten Akkorden musste ich ihn einfach erst mal küssen.

"Ich bin verrückt nach dir."

Die Anderen waren auch total aufgedreht.

"Verdammte Scheiße, das ist der beste Song, den du je geschrieben hast!"

"Ich seh es ganz deutlich vor mir: 'Red Snow' auf der Eins!"

Greg stand auf und kam zu mir, es sah so aus als wolle er Frieden schließen.

"Der Song ist genial. Und der Inhalt, echt auf eine wunderbare Weise krank."

"Danke Greg."

"Und du sagst, du hast das heute geschrieben?"

"Ja, irre, ich weiß."

"Ich frag mich nur, was dich dazu inspiriert hat. Vielleicht sollten wir deinen Freund hier mit der schneeweißen Haut fragen."

Er nahm Xander die Fender ab.

"Zeig uns doch mal, was du unter diesen langen Ärmeln versteckst, zieh das Shirt aus!"

"Bist du irre, oder was?"

Brian trat nach vorne.

"Greg, was willst du damit sagen?"

"Kommt schon, glaubt ihr, dass es Zufall ist, dass Jordan einen Song darüber schreibt, aus Liebe schmerzen zu schenken und hier mit diesem Goth auftaucht? Er soll uns seine Arme zeigen, mehr verlange ich gar nicht."

"Das ist doch okay, oder? Zeig uns deine Arme, dann gibt er Ruhe."

Natürlich zögerte Xander. Greg riss ihm mit einem Ruck das ohnehin zu große Shirt über den Kopf. Er konnte gar nicht so schnell reagieren.

"Oh mein Gott. Jordan, bitte sag uns, dass das nicht du warst!"

Brian und die Anderen musterten die Verletzungen für einige Sekunden geschockt. Ich riss Greg das Shirt aus der Hand und gab es Xander zurück. Er zog sich schnell wieder an und drängte sich dicht an mich. Mickey und Tobey traten auch näher herüber.

"Verdammt, Jordan, was ist das für eine kranke Nummer?"

"Das geht euch echt nichts an."

"Also warst das du? Du hast den Jungen so zugerichtet?"

"Nein, das war ich selbst. Wollen wir den Song jetzt nochmal spielen, oder was?"

Die Jungs glaubten Xander gerne. Auch wenn sie ihn von da ab eher angeekelt musterten. Wir spielen noch ein paar Durchgänge. Ich hielt es kaum noch aus, den Song zu singen und war froh, als wir endlich im Auto saßen.

"Ich fahr dich nach Haus."

"Ich bleib heute bei dir."

"Es ist schon fast Zehn und du hast morgen Vorlesungen."

"Jordan, ich geh heute nicht weg von dir. Ich merke, dass es dir schlecht geht."

"Ich glaub einfach nicht, dass ich das gemacht habe."

"Lass uns zu Hause drüber reden, ja? Soll lieber ich fahren?"

"Nein, schon okay ..."

Wir gingen zu Aaron, um Josh und Gwen abzuholen. Xander erzählte ihr ganz aufgeregt, wo wir gewesen waren und wie toll der Song war. Ich wollte eigentlich nur noch ins Bett. Die Kinder hatten gegessen, Gwen war frisch gewickelt, ich konnte also tatsächlich einfach ins Bett gehen, Xander machte den Rest.

Ich hatte den ersten Albtraum schon hinter mir, als Xander zu mir kroch.

"Warum bist du noch wach?"

"Ich hab schon geschlafen."

"Ich wollte dich nicht aufwecken, schnell schlaf weiter."

"Kann nicht, hatten einen Albtraum."

"Komm her, leg dich in meinen Arm."

"Können wir jetzt drüber reden?"

"Wenn du willst."

"Ich hab solche Schuldgefühle."

"Jordan, ich wollte es, was soll ich dir noch sagen? Das war für mich nicht das erste Mal. Es ist nichts Sexuelles, sondern etwas Emotionales. Ich schneide mich schon, so lang ich denken kann."

"Aber du hast keine Narben. Ich hätte doch Narben gesehen."

"Das liegt zum einen an einer guten Narbensalbe und zum anderen daran, dass ich mich, seit ich Tyler das letzte Mal gesehen habe, nicht mehr geschnitten habe. Sie bringt nun mal diese Seite in mir hervor. Bitte verlass mich nicht wegen letzter Nacht. Das wäre ein weit schlimmerer Schmerz."

"Ich muss mit jemand darüber reden."

"Okay, red mit mir darüber."

"Nein, ich meine mit einem Arzt oder so."

"Was soll das bringen?"

"Xander, das war so krank."

"Mach was du willst."

"Wieso bist du jetzt sauer auf mich?"

"Weil das niemanden etwas angeht."

"So was kann auch mal schief gehen."

"Ich hab das im Griff."

"Das hab ich über die Drogen auch gesagt."

"Das ist ja wohl was anderes."

"Nein, ist es nicht, aber ich kann mich heute nicht mehr streiten."

"Es ist ja nicht so, dass ich das immer noch ständig mache. Gestern war ja wohl eine totale Ausnahmesituation. Es war eh schon die Hölle, dir von Tyler zu erzählen und dann noch das mit Sean. Können wir das Ganze nicht als einmalige Krise, die in dieser Form nie wieder kommen wird, verbuchen?"

"Okay."

"Ich hab es ernst gemeint Jordan, ich liebe dich. Ich hab mich schon damals in dich verliebt und dass du dann plötzlich, nach über vier Jahren wieder vor mir standest, das kann doch kein Zufall gewesen sein. Du machst doch nicht mit mir Schluss, oder?"

"Nein. Aber ich werde zu jemandem gehen und mir Hilfe holen. Ob du mitgehst ist deine Entscheidung."

"Gut. Heute war ein wichtiger Tag. Du solltest morgen Scott anrufen, den Song muss du dir schützen lassen und so."

"Ich weiß, ich ruf ihn gleich morgen früh an."

Josh ging zur Schule, ich fuhr Xander nach Hause und rief Scott an, der kurz vor Mittag vorbeikam.

"Na dann lass mal hören."

Ich legte die Disk ein.

"Verdammt, Jordan, der Song ist klasse, wirklich. Was hast du mit ihm vor?"

"Ich weiß nicht, ich wollte ihn mit Summerskin aufnehmen oder so."

"Hm, das ist nicht so wirklich ihr Stil. Das ist eher was für eine Dark–Rock–Band oder Love–Metal oder so. Davon schießen gerade viele wie Pilze aus dem Boden. Die Firmen würden sich um einen Song wie den reißen."

"Ich weiß nicht, eigentlich wollte ich ihn nicht verkaufen …"

"Du solltest es dir echt überlegen. Du musst ihn ja nicht an den Nächstbesten verkaufen, aber ich könnte ihn mal rumschicken, wenn das mit den Rechten geklärt ist. Vielleicht ziehen wir einen Dinosaurier an Land. Nicht nur, dass du dann gut Kohle verdienen würdest, sondern der Song würde auch wirklich gehört werden. Summerskin ist gut, klar, aber ich denke, der Song hat mehr Potential. Aber ich will dich zu nichts überreden, so wie ich es bei anderen Klienten machen würde, alleine schon, wegen der Gewinnbeteiligung für mich beim Verkauf. Überleg's dir. Ich mach das mit der Lizenz."

"Gut, danke."

"Wie sieht's aus, darf ich Gwen und dich zum Chinesen an der Ecke einladen? Sonst muss ich alleine essen."

"Klar, gerne, ich packe Gwens Sachen zusammen."

Während dem Essen plapperte Gwen mal wieder vor sich hin.

"Bald wird sie ihr erstes Wort sagen. Jenna hat mit acht Monaten Daddy gesagt."

"Mich nennt niemand Daddy, also wird sie es wohl auch nicht sagen."

"Stimmt, daran hab ich gar nicht gedacht. Na das geht aber nicht. Gwen, sag Daddy, schau, das ist dein Daddy. Daddy."

"Letzte Woche dachte ich, sie hätte Gwen gesagt, aber sie hat es nicht mehr wiederholt. Und sie versucht sich schon, am Sofa hochzuziehen."

"Das geht plötzlich so schnell. Ehe du dich versiehst, läuft sie und du musst immer gucken, wo sie ist."

"Sie streckt auch schon ihre Hände in Richtung Flasche, wenn sie was will und so. Die Zeit ist so schnell vergangen, erst schüttet man nur oben rein und macht weg, was unten raus kommt und plötzlich steht sie. Ich hab das Gefühl, bald muss sie in den Kindergarten."

"Naja, das dauert noch drei lange Jahre. Zähne kriegen, die erste Mittelohrentzündung, Grenzen austesten, du wirst dir noch wünschen, sie käme früher in den Kindergarten."

"Kann ich mir gar nicht vorstellen. Gwen ist bisher echt pflegeleicht."

"Wart es ab. Und wie geht es Josh?"

"Gut, in der Schule proben sie schon das Thanksgiving–Stück, er spielt einen Indianer. Baseball ist immer noch hoch im Kurs, am Wochenende spielt er immer mit Xander."

"Verstehen die Zwei sich gut?"

"Ja, total, von Anfang an hat Josh immer wieder gefragt, wann Xander wieder zu Besuch kommt. Mittlerweile übernachtet er sogar manchmal und wir machen Waffeln zum Frühstück."

"Er hat gestern eine Bandprobe verpasst."

"Oh. Er hat überhaupt nicht gesagt, dass eine Probe wäre. Er hat es bestimmt vor lauter Aufregung über den Song vergessen. Wir waren den ganzen Nachmittag mit Summerskin proben."

"Er sollte seine eigene Band nicht vernachlässigen."

"Ich red mit ihm."

"Gut. Sonst alles okay zwischen euch?"

"Wieso hab ich das Gefühl, dass du mich das als Agent fragst?"

"Tut mir leid, du hast Recht. Ich mach mir nur Sorgen um die O–Scars. In der Phase, in der sie jetzt sind, trennen sich oft die Wege, oder es passieren andere dumme Sachen. Denk an Brian und dich damals."

"Was meinst du?"

"Die Drogen natürlich. Dadurch habt ihr über ein Jahr verloren. Ich will nicht, dass den O–Scars auch so was passiert. Deshalb wollte ich wissen, wie es Xander geht."

"Ich will da lieber Privates und Berufliches getrennt halten."

"Verstehe. Aber wenn es keinen Anlass zur Sorge gäbe, dann würdest du mir das vermutlich sagen, also ist was nicht in Ordnung. Nimmt er Drogen? Du bist doch vorsichtig, oder?"

"Nichts in der Richtung, was Privates."

"In wie fern privat?"

"Warum fragst du so viel nach? Was weißt du?"

"Du hast mich ertappt. Aber ich kann es dir nicht sagen, das muss Xander schon selber machen."

"Du weißt also von seiner Freundin zu Hause?"

"Ja, aber erst seit gestern."

"Ich auch. Woher weißt du es?"

"Ich wollte gestern bei der Probe vorbeischauen und er war nicht aufgekreuzt. Die Anderen waren natürlich nicht begeistert davon. Ich hab sie gefragt, was der Grund für sein Fernbleiben sein könnte und sie haben so rumgedruckst, also hab ich Lunte gerochen und nicht mehr locker gelassen, bis sie mir die Geschichte erzählt haben. Sie waren der Meinung gewesen, er hätte mittlerweile Schluss gemacht, aber dann hat er ihnen vorgestern von der Einladung zu seinen Eltern erzählt und gebeichtet, dass er streng genommen nie wirklich Schluss gemacht hat. Hab ich dir irgendwas Neues erzählt?"

"Nein, das hat mir Xander auch gesagt."

"Und wie ist das jetzt zwischen euch?"

"Ich hab gesagt, dass er nicht mit ihr Schluss machen soll."

"Warum nicht?"

"Die Beiden sind seit vier Jahren zusammen. Er sagt, sie ist seine Seelenverwandte."

"Aber das macht doch keinen Sinn, warum solltest du wollen, dass er sich ein Hintertürchen offen lässt? … Oh, hierbei geht es um Sean, oder? Er ist schließlich dein Hintertürchen. Oh Mann, das ist aber verfahren. In solchen Sachen bin ich nicht gut. Bin ich froh, dass Vince nächstes Wochenende kommt."

"Äh, was?!"

"Oh, ehm, das wusstest du nicht? Ich hab mich schon gewundert, warum er nicht bei dir schläft. Weil er dir noch nichts gesagt hat. Naja, das macht Sinn. Frag ihn selbst, okay?"

"Das ist ja sehr mysteriös. Was Schlimmes?"

"Nein, ganz und gar nicht. Und jetzt Schluss mit dem gegenseitigen Ausfragen."

Nach dem Essen rief ich ihn sofort an.

"Hey! Dass du anrufst ist kein Zufall, oder?"

"Der Anwalt hat geredet."

"Oh Mann, dabei wollte Summer dich so gern überraschen."

"Summer, so so?"

"Okay, also, was hat Scott dir gesagt?"

"Dass du nächstes Wochenende in der Stadt bist. Kommt Summer etwa auch?"

"Jordan, du hast mich reingelegt! Summer reißt mich in Fetzen."

"Ich war wohl zu lange mit einem Anwalt zusammen. Also, das war noch nicht alles, oder?"

"Nein, aber den Rest erzählen wir dann zusammen, wir kommen am Freitag Abend an."

"Ihr könnt auch bei mir schlafen, wenn ihr wollt."

"Gut, Summer landet um halb Acht, ich um viertel nach Acht."

"Dann hol ich euch ab. Ich bin ja echt schon gespannt. Scott hat gesagt, es ist was Gutes?"

"Ja das ist es. Bis Freitag, Jordan."

"Bis Freitag."

Josh und Xander kamen kurz nach Zwei gleichzeitig Heim. Josh berichtete schon von den letzten Probenereignissen.

"Hallo ihr Zwei. Was macht ihr denn schon hier?"

"Das Baseball–Training ist ausgefallen, voll blöd."

"Und mein Anthropologie–Prof ist auf Feldforschung."

"Habt ihr Hunger? Ich hab was vom Chinesen."

"Hab in der Schule gegessen."

"Ich in der Mensa."

"Okay, na dann … Josh, Hausaufgaben, Xander … wie steht's mit Bandprobe?"

"Andy hat bis abends Kurse. Ich hab also den restlichen Tag frei."

"Hast du heute schon mit jemandem aus der Band gesprochen?"

"Klar, ich hab mit ihnen Mittag gegessen."

"Dann weißt du ja auch, dass Scott mitbekommen hat, dass du die Probe gestern ausfallen hast lassen."

"Mann, das macht aber schnell die Runde."

"Ich hab heute mit ihm gegessen, wegen den Rechten am Song."

"Ja, stimmt. Was hat er gesagt?"

"Er kümmert sich drum und rät mir, zu versuchen ihn zu verkaufen."

"Und was hast du gesagt?"

"Dass ich drüber nachdenke."

"Willst du ihn nicht selbst raus bringen?"

"Es kann ja nicht schaden, mal über alle Alternativen nachzudenken. Jedenfalls, wegen der Bandprobe gestern, solche Sachen können eine Band ziemlich anfressen."

"Ich weiß, aber wir sind doch darin übereingekommen, dass gestern kein ganz normaler Tag war. Ich hab mich heute bei den Anderen entschuldigt und ihnen erzählt wo ich war und dass ich auf einer Fender gespielt habe. Danach konnten sie mir nicht mehr böse sein."

"Na gut. Oh, es gibt ja noch Neuigkeiten. Josh?! Komm nochmal kurz, ich muss dir was erzählen."

"Was denn?"

"Am Wochenende bekommen wir Besuch."

"Von wem denn?"

"Von Summer, von der ich dir ja schon viel erzählt habe und von Vince."

"Echt? Malt er dann noch was in mein Zimmer? Ich will was mit Baseball!"

"Frag ihn einfach, wenn er Zeit dafür hat sicher."

"Und wie lang bleibt er?"

"Übers Wochenende auf jeden Fall, aber wie lang genau, weiß ich noch nicht."

"Cool. Ich such schon mal Bilder raus, die er abmalen kann."

"Mach erst die Hausaufgaben fertig!"

Er war schon längst verschwunden.

"So, dein Ex–Freund kommt also zu Besuch? Schläft er hier?"

"Xander, machst du dir Sorgen?"

"Ach Quatsch."

"Ich hab's dir genau angesehen."

"Da hast du dich verschaut."

"Das ist echt niedlich."

Ich legte meine Arme um ihn und triezte ihn noch ein wenig damit. Danach feilten wir zusammen noch ein bisschen am Song rum.

"Willst du ihn nicht wenigstens mal mit deinen Jungs aufnehmen? Er könnte doch aufs nächste Album, deshalb kannst du ihn ja immer noch verkaufen."

"Mal schaun, aber aufnehmen würde ich ihn echt gern. Ich red mal mit den Jungs."

Sie fanden die Idee auch gut und wollten schon am Donnerstag nochmal proben, damit wir am Wochenende ins Studio konnten.

Ned rief an und fragte, ob er und Elly mit Josh über Thanksgiving in die Berge fahren könnten, er hatte Lust drauf, also machten sie Pläne dafür.

Die Probe am Donnertag verlief gut, wir waren uns ziemlich schnell einig, wie wir den Song aufnehmen wollten. Xander hielt auf der Gitarre gut mit, er machte Eindruck auf die Jungs, ich sah sogar, wie Tom sich eine Technik bei ihm abschaute.

"Und du bist bei den O–Scars? Scott hat euch mal erwähnt. Sind die Anderen auch so gut wie du?"

"Wenn wir nicht gut wären, wäre Scott nicht unser Agent geworden."

"Ich würde euch gern mal spielen hören, wo probt ihr?"

"In einem Jugendzentrum, da ist der Raum umsonst."

"Naja, mach mit Scott was aus, dann könnt ihr mal hier vorbeikommen und zeigen was ihr drauf habt. Wir suchen noch eine Vorband für die Tour, nur so ein Gedanke."

Xander schaute ihn ungläubig an. Die Tour, das war natürlich die große Chance für eine junge Band. Auf der Heimfahrt redete er von nichts anderem mehr.

"Und das erste Konzert ist genau eine Woche nach Semesterende, wenn das mal kein Schicksal ist und das letzte Konzert ist nur zwei Wochen nachdem das Semester wieder anfängt. Das heißt das Studium würde noch nicht mal großartig drunter leiden. Ich muss den Anderen heute noch davon erzählen, kannst du mich heimfahren?"

"Sicher?"

"Wir müssen proben, die neuen Songs …"

"Schon gut, ich versteh schon."

"Kommst du morgen zum Gig?"

"Ich muss Vince und Summer abholen."

"Ach, stimmt ja. Dann sehen wir uns am Samstag?"

"Kommt drauf an, was die Beiden vorhaben."

"Klar. Ich schätze eh, dass wir proben werden."

"Natürlich. Red aber erst mal mit Scott, ja?"

"Gut, ich ruf ihn gleich an, wenn ich zu Hause bin. Und dich ruf ich morgen zwischendurch an, okay?"

"Klar. Vielleicht schaffen wir es ja doch irgendwie, uns zu sehen, vor dem Studio–Termin am Sonntag."

"Das wären ja sonst drei Tage ohne dich!"

"Naja, zweieinhalb."

"Drei Nächte jedenfalls."

"Das stimmt."

Am Freitagabend blieb Gwen bei Janet, während Josh und ich zum Flughafen fuhren. Summers Maschine war schon gelandet, wir mussten nicht mehr lange warten, dann kam sie zwischen anderen Passagieren heraus. Freudig winkte sie uns von hinter der Absperrung.

"Und die hatte mal lila Haare?"

"Sie sieht ganz schön erwachsen aus, hm?"

Josh nickte.

Summer kam mit ihrem Trolli auf uns zu, umarmte mich zur Begrüßung, wunderte sich darüber, wie groß Josh war und wollte was essen, während wir auf Vince warteten. 45 Minuten später nahmen wir auch ihn und seine riesige Reisetasche in Empfang. Zu Hause gab mir Vince leise zu verstehen, dass wir erst reden konnten, wenn Josh im Bett war, so lange sah Summer sich in der Wohnung um, Vince besprach mit Josh das neue Wandbild und ich holte Gwen von Janet ab. Summer war hin und weg von ihr. Irgendwann schickte ich Josh ins Bett hoch, er würde, so lange der Besuch da war, bei mir schlafen, Summer in Joshs Bett und Vince auf der Couch.

"Okay, also, warum seid ihr in der Stadt, macht es nicht so spannend."

Vince und Summer lächelten sich vielsagend an und Summer deutete an, Vince sollte es sagen.

"Wir haben morgen einen Termin zur Voruntersuchung für eine künstliche Befruchtung."

"Öhm, wie jetzt? Ihr Beide?"

"Ja, die Adoptionsgeschichte ist aussichtslos. Summer hat sich bereit erklärt uns zu helfen."

"Also werdet ihr zusammen ein Baby haben? Wie soll das funktionieren?"

"Das Baby wird bei Vince und Collin aufwachsen, ich bin nur die coole Tante, oder so."

"Aber biologisch wird es euer Kind sein?"

"Ja."

"Ist das dann nicht seltsam für dich, Summer, wenn du zu Besuch kommst und dein eigenes Kind dich für die coole Tante hält?"

"Wie ist es für dich, wenn du Marie bei deiner Mum siehst? Du weißt, dass sie in einem liebevollen Zuhause aufwächst, dass es ihr an nichts fehlt, also ist es gut so, oder?"

"Ja, stimmt."

"Keine Sorge, wir haben uns das gut überlegt."

"Und warum macht ihr es auf die Weise? Warum schlaft ihr nicht einfach miteinander, ganz blöd gefragt?"

"Ehm, erstens: Vince ist schwul."

"Ach komm schon …"

"Na gut, aber zweitens: rechtlich gesehen ist es so günstiger und drittens würden da Collin und Nick bestimmt nicht mitmachen."

"Hm, na gut. Und wie läuft das jetzt so?"

"Morgen haben wir einen Voruntersuchungstermin und dann wird der Zyklus bestimmt und wann das Ganze am günstigsten ist. Je nachdem wann das ist, kommen wir wieder her und hoffen darauf, dass es klappt. Und neun Monate später bin ich Papa."

"Und warum L.A.?"

"Der Arzt hier hat uns Beiden am besten gefallen und war am flexibelsten mit den Terminen."

"Und wie lange bleibt ihr?"

"Sonntagabend."

Am nächsten Vormittag fuhr ich die Beiden also zum Arzt. Irgendwie fand ich die ganze Sache immer noch seltsam, aber sie schienen sich hundert Prozent sicher, dass sie das durchziehen wollten. In drei Wochen sollten sie wieder kommen. Wir aßen mit Scott zu Mittag und danach gingen wir mit den Kindern in den Park. Am Abend wollte Vince das Wandgemälde für Josh machen und bot sich zum babysitten an, so dass Summer und ich zu einem O–Scars–Konzert auf dem Campus gehen konnten.

Es war seltsam, allein mit Summer unterwegs zu sein. Wir unterhielten uns angespannt, wussten nicht so recht was zu sagen ...

"Ich weiß, ich hab mich verändert. Früher hab ich das Leben viel zu schwer genommen. Ich hab jetzt einfach das Gefühl, dass alles gut ist, wie es ist, ich muss nicht mehr rebellieren."

"Okay. Das freut mich für dich."

"Und wie kommst du klar?"

"Gut. Gwen ist das liebste Baby, das man sich nur wünschen kann, Josh ist schon recht selbstständig, hat in der Schule keine Probleme und so weiter, ich kann mich nicht beschweren."

"Und dieser Xander?"

Ich merkte, wie ich grinste, konnte aber nichts dagegen tun.

"Xander ist toll. Mir kommt es vor, als wären wir schon ewig zusammen. Ich find es toll, dass er auch Musiker ist und ich finde es toll, dass er so anders ist. Er kommt gut mit Josh aus, hat totales Verständnis dafür, wenn ich mal keine Zeit habe, wegen den Kindern und das, obwohl er erst 20 ist."

"Ich bin echt gespannt auf ihn. Ach übrigens, an Neujahr ist ein Klassentreffen, für die Klassen von 98 und 99. Du musst kommen, du bist doch dieses Jahr Weihnachten und Silvester bei deiner Mum, oder?"

"Ich denke schon, aber was ist mit Sean?"

"Du warst in der Klasse, du solltest hingehen und Ende."

Die kleine Campus–Bar war maßlos überfüllt. Es kam niemand mehr rein. Man hörte, dass die O–Scars schon spielten.

"Hier ist aber viel los."

"Ja, ich versteh eh nicht, warum sie immer noch in so kleinen Läden spielen. Die bersten regelmäßig bei ihren Auftritten."

"Und was machen wir jetzt?"

"Keine Ahnung, Scott zeigt in solchen Fällen seine Karte … vielleicht können wir einfach höflich fragen?"

"Na dann, viel Glück."

Ich ging an der Schlange vorbei zum Türsteher, Summer dicht hinter mir.

"Hallo."

"Kann man euch helfen?"

"Besteht die Chance, dass du mir glaubst, dass der Gitarrist der O–Scars mein Freund ist?"

"Eigentlich nicht."

"Dachte ich mir fast …"

"Wie heißt du?"

"Jordan."

"Gut, geht rein."

"Hä?"

"Xander hat mir schon gesagt, dass ihr kommen würdet und bestimmt zu spät dran wärt. Er hat sogar vermutet, dass du diesen naiven Versuch unternehmen würdest. Also, rein mit euch."

"Puh, Danke."

Wir schafften es irgendwie über die Flanke bis in Sichtweite der Bühne.

"Die hören sich gut an. Das Mädchen ist echt gut!"

"Andy. Ja, akustisch und optisch."

"Und das ist also Xander? Er ist ganz schön dünn."

"Ist mir aufgefallen."

"Sorry. Er ist hübsch. Könnte einer meiner Freunde auf der High School gewesen sein."

"Ja, das stimmt, er wäre dein Typ gewesen."

Wir holten uns was zu trinken und genossen die Show, unterhielten uns so gut es bei der Lautstärke ging, sprangen rum, grölten die Covers mit, hatten echt Spaß. Langsam erkannte ich meine beste Freundin wieder. Irgendwann stand Xander plötzlich da.

"Hey, warum bist du nicht da oben?"

"Ehm, da spielt mittlerweile die nächste Band …"

"Ups. Ich hab dich vermisst!"

Ich fiel ihm um den Hals und fühlte mich total betrunken, obwohl ich keinen Tropfen Alkohol angerührt hatte.

"Wer fährt euch denn heim?"

"Na ich. Ich hab nichts getrunken."

"Okay und du bist dann wohl Summer!"

"Summer, genau."

"Summer hat ganz viel getrunken."

"Dacht ich mir fast. Ich fahr heute die Band heim, also falls ich euch auch mitnehmen soll …"

"Ich hab echt nichts getrunken. Komm schon, küss mich, dann merkst du es."

Ich ließ ihn gar nicht mehr los, er fühlte sich so gut an, ich hatte ihn so vermisst, am liebsten hätte ich … Ich riss mich zusammen, er lächelte mich an.

"Gut, du hast also nichts getrunken. Ich muss nochmal nach den Anderen schauen, macht ihr einfach weiter mit dem … rumzappeln und so. Ich komm nachher wieder."

Ich spürte wieder dieses dämliche Grinsen auf meinem Gesicht, als ich ihm nachschaute.

"Mann, dich hat es voll erwischt, hm?"

"Du machst dir gar keine Vorstellung. Das einzige Mal, dass ich so verrückt nach jemandem war, war damals mit … du weißt schon."

"Mir?"

Sie grinste frech.

"Genau das wollte ich sagen. Deine lila Strähnen waren einfach unwiderstehlich."

Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es schon halb Zwölf.

"Wir sollten langsam gehen, gegen Mitternacht wacht Gwen zur zeit immer nochmal auf und außerdem muss ich morgen früh ja ins Studio."

"Ich bin schon so gespannt auf Brian. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er echt so was wie Stil entwickelt hat."

"Du wirst ihn morgen ja erleben. Wo steckt Xander bloß?"

"Geh ihn suchen, ich geh aufs Klo und warte dann am Ausgang."

Die Reihen hatten sich mittlerweile gelichtet und nach kurzer Suche sah ich die komplette Band um einen Bar–Tisch stehen und an den Lippen eines Typen im Anzug hängen, der mir durchaus als Agent bekannt war und auch Summerskin mal mit vielen, wie mir im Nachhinein aufgegangen war, unhaltbaren Versprechen hatte abwerben wollen. Eigentlich wollte ich mich mal wieder nicht einmischen, aber ich musste mich wenigstens von Xander verabschieden. Zuvor hatte ich eine Idee. Ich suchte mir den leisesten Platz, den ich finden konnte und wählte Brians Nummer. Er nahm ab und ich besprach mich kurz mit ihm, bevor ich rüber ging.

"Hey Leute."

Sie schauten allesamt ertappt und schuldbewusst.

"Mr. Bonanno!"

"Mr. Hershey."

"Ich wusste gar nicht, dass sie mit den O–Scars bekannt sind."

"Wir haben den gleichen Agenten."

Die Spitze entging ihm nicht.

"Natürlich. Wie geht es Scott?"

"Sehr gut, soweit ich weiß."

"Und ihnen? Ich habe schon lange nichts mehr von ihnen gehört."

Ich ignorierte den Seitenhieb einfach.

"Mir geht es sehr gut, danke. Ich will ihr kleines Verkaufsgespräch hier auch gar nicht lange stören, ich wollte eigentlich nur Bescheid sagen, dass ich jetzt fahre."

Wie lange dauerte das denn? Ah, Xander griff in seine Hosentasche, er hatte eine SMS bekommen.

"Oh, Leute, die ist von Brian McCormack. Scott hat ihn gebeten, uns morgen Nachmittag anzuhören, wir sollen um Drei im Studio sein, wo sie morgen aufnehmen."

Alle redeten wirr durcheinander und waren total von den Socken. Ich warf Hershey ein triumphierendes Lächeln zu, gab Xander einen Kuss und verschwand. Dann brachte ich die angetrunkene Summer nach Hause, wo ich Vince auf dem Boden neben Gwen auf ihrer Kuscheldecke schlafend vorfand.

"Jetzt schau dir die Beiden an."

"Vince wird ein toller Vater, oder Jordan?"

"Da bin ich mir sicher. So, ich bringe Gwen hoch, du schaust, dass du Vince wach bekommst."

Ich versorgte die Kleine und bevor ich mich hinlegen konnte, musste ich erst mal Josh zur Seite schieben, der quer übers Bett lag.

Als der Wecker um Acht klingelte, war er gar nicht begeistert.

"Schlaf einfach weiter."

"Geht bestimmt nicht. Hast du den Baseballspieler in meinem Zimmer schon gesehen?"

"Nein, ich schau ihn mir nachher gleich an, wenn Summer wach ist."

Mir fiel auf, dass Gwen von Eins bis Acht durchgeschlafen hatte. Vince hatte sie wohl sehr müde gemacht. Dafür war sie jetzt sehr hungrig und brauchte dringend frische Windeln. Vince kam dazu, als ich sie gerade fütterte, nebenbei selbst frühstückte, den neuen Song auf einem Ohr anhörte und mir Notizen machte.

"Ich bin schon so oft in diese Küche gekommen und hab dich hier sitzen sehen, über irgendeinem Song. Das ist so vertraut, ich hatte sogar kurz den Impuls, dir einen Guten–Morgen–Kuss zu geben, kaum zu glauben, oder? Nach all den Jahren."

"Das hier war nun mal unsere Wohnung. Aber Gwen gab es damals noch nicht."

"Ja, leider. Ich weiß noch, wie ich dich damit geschockt habe, dass ich mit 30 gerne Vater wäre. Und jetzt schau dich an."

"Ich weiß. Ich hab es mir ganz anders vorgestellt. Gwen und Josh sind aber auch tolle Kinder."

Josh kam die Treppe runter.

"Danke!"

"Hast du's doch aus dem Bett geschafft?"

"Konnte nicht mehr einschlafen, blöder Wecker. Warum klingelt der eigentlich am Samstag?"

"Ich muss um Zehn im Studio sein. Willst du mitkommen oder lieber mit Gwen zu Aaron gehen?"

"Da bleiben. Im Studio ist es immer langweilig, da hört man den ganzen Tag immer den gleichen Song."

"Wie du willst, aber Summer und Vince kommen mit."

"Oh, dann komm ich auch mit."

"Dachte ich es mir doch."

Ich rief noch Scott an und erzählte ihm vom gestrigen Abend und dass die O–Scars um Drei ins Studio kommen würden, er wollte dabei sein. Vince ging Summer aufwecken. Dann klingelte auch schon Xander.

"Kaffee!"

"Ist das nicht mein Text?"

"Sechs Stunden Schlaf sind doch eigentlich gar nicht so wenig, aber ich bin total fertig. Ich hatte nicht mal Bock, mich zu schminken."

"Du siehst jedenfalls nicht fertig aus. Wir haben ja noch eine halbe Stunde und ganz viel Kaffee."

Er setzte sich an den Tisch.

"Guten Morgen, Gwen. Aha, es gab wohl Apfelmus. Aber wie kam das an deine Stirn?"

"Oh, ehm, da hinter ihr ist ein Tuch."

Ich stellte ihm den verlangten Kaffee hin.

Er nahm Gwen auf seinen Schoß und machte sie sauber. Josh kam auch von irgendwo her.

"Xander! Wo warst du denn die letzten zwei Tage?"

"Ich musste viel mit meiner Band proben. Kommst du mit ins Studio?"

"Ja! Du auch?"

"Klar. Ich spiel Gitarre."

"Dann hast du eh keine Zeit für mich, so ist es bei Jordan auch immer."

"Mal schaun, ich denke schon, dass wir mal Pause machen. Ich war aber noch nie in einem richtigen Studio."

"Ich schon voll oft."

"Dann halt ich mich an dich."

Gwen brabbelte mal wieder vor sich hin und streckte die Hände nach ihrer Flasche aus. Xander gab sie ihr und sie hielt sie fast alleine am Mund.

"Wahnsinn, wie schnell sie sich entwickelt."

"Ja und ich bin ja immer noch der Überzeugung, dass sie Gwen gesagt hat."

"Naja, das hat sich schon recht zufällig angehört und außerdem, willst du echt, dass ihr erstes Wort ihr eigener Name ist? Das ist schon echt egozentrisch."

"Auch wahr … willst du was frühstücken? Und Josh, du hast auch noch nichts gegessen. Was wollt ihr?"

"Rice Krispies.", verlangten Beide gleichzeitig.

"Klar, warum frag ich überhaupt?"

Ich bemerkte, dass Vince in der Tür stand. Als er bemerkte, dass ich ihn bemerkt hatte, kam er rein.

"Guten Morgen Xander."

"Vince. Der große Maler."

Sie musterten sich kurz unauffällig.

"Ist Summer endlich auf? Xander muss das neue Bild anschauen.", fragte Josh.

"Ja, sie ist schon im Bad."

"Komm, du musst das sehen."

Xander gab mir Gwen und ließ sich von Josh in dessen Zimmer zerren.

"Du machst echt wacher als jeder Kaffee." hörte ich ihn auf dem Flur sagen.

Vince grinste mich an.

"Was denn? Wie lange standest du da schon?"

"Eine Weile. Lange genug, um zu sehen, wie du ihn anschaust ... Er scheint ein netter Kerl zu sein."

"Ja, das ist er."

"Er mag die Kinder."

"Und die Kinder mögen ihn."

"Er gehört zur Familie, hm?"

"Ja, das tut er."

Ich hatte geantwortet, ohne drüber nachzudenken. Vince grinste breit.

"Er ist ein bisschen wie du damals."

"Ich weiß."

Kurz nach Zehn kamen wir mit zwei Autos am Studio an. Die Jungs waren schon da und probierten schon ein paar Sachen aus. Brian kam gleich auf Summer zu.

"Jungs, das ist sie! Ihr verdanken wir unseren Namen. Das ist Summer."

Xander schaute mich fragend an. Ich flüsterte ihm zu:

"Unser alter Bassist hatte was mit ihr, so ist ihm der Name eingefallen."

Brian begrüßte auch Vince freudig, den er zuletzt ja auf Scotts Party gesehen hatte. Nachdem alle vorgestellt waren, machten es sich die Zuhörer bequem und wir fingen an. Greg war überhaupt nicht da. Es dauerte kaum eine Stunde und wir hatten alle Spuren in zwei Versionen aufgenommen. Der Studiotechniker mixte ein bisschen rum, während die Jungs vorschlugen, noch einen anderen Song aufzunehmen.

"Ich weiß nicht … das gefällt eurem Greg bestimmt nicht."

"Komm schon, nur aus Spaß, wir bezahlen das Studio eh den ganzen Tag, also."

Xander, dem man wirklich nicht angemerkt hatte, dass er das erste Mal in einem Tonstudio war, umarmte mich und ging grinsend nach draußen. Nach einer weiteren Stunde hatten wir drei weitere Songs eingesungen, unplugged. Wir waren total in Fahrt, ich spürte, wie ich die Band vermisste. Aber darauf ließ ich mich gar nicht erst ein. Durch die Scheibe sah ich Xander mit Josh Karten spielte und dachte an das kleine Mädchen, das zu Hause auf mich wartete. Bald war es Zwölf, wir machten eine Stunde Pause und Scott kam mit Pizza vorbei. Vince und Summer erzählten ihm von der Untersuchung, Xander unterhielt sich mit der Band, ich ging mit Josh raus. Er wollte heim, was ich gut verstehen konnte. Als wir zurückkamen, waren Vince und Summer auch bereit, zurückzufahren, sie mussten ja schließlich noch ihre Koffer packen und um Sechs zum Flughafen. Xander kam noch mit raus.

"Das war ein klasse Vormittag und ich hab das Gefühl, der Nachmittag wird noch besser. Danke dass du das möglich gemacht hast."

"Das war ich nicht, du hast die Jungs so beeindruckt."

"Aber ohne dich hätten sie mich vermutlich nie spielen gehört."

"Kommst du heute Abend zu uns?"

"Ja, auf jeden Fall."

"Gut. Dann wünsch ich dir noch viel Spaß."

"Danke."

Wir küssten uns und er verabschiedete sich noch von Vince und Summer, die ankündigten, in drei Wochen schon wiederzukommen.

Kaum zu Hause, ging Josh mit Freunden in den Park, Vince und Summer packten ihr Zeug zusammen und ich fuhr sie zum Flughafen. Xander kam und erzählte total aufgeregt davon, dass sie echt ihr Bestes gezeigt hatten und Summerskin ihnen bald wegen der Tour Bescheid geben wollten.

Schon am Montag überbrachte Scott den O–Scars die frohe Botschaft, dass sie in ein paar Monaten mit Summerskin touren würden.

Das Wochenende drauf war das letzte vor Thanksgiving. Xander wurde sehr still und ich wusste nur zu gut, warum. Samstagnacht kroch er weit nach Mitternacht, nach einem Gig, zu mir ins Bett. Er hatte in der letzten Woche jede Nacht dort verbracht.

"Jordan, bist du wach?"

"Eigentlich nicht."

"Gwen ist schon versorgt, die Chancen stehen gut, dass sie bis Sieben durchschläft."

"Klasse."

"Können wir reden?"

"Als du das letzte Mal spät nachts im Bett reden wolltest, kam nichts Gutes dabei raus und ich hab irgendwie das Gefühl, dass das Thema das gleiche sein wird."

"Ja."

"Okay, dann lass uns reden …"

Ich setzte mich auf, er legte das Kinn auf meine Schulter.

"Was hast du dieses Thanksgiving vor?"

"Keine Ahnung, Josh ist nicht da, du bist nicht da, Mum und Klaus fahren mit den Mädchen weg … ich schätze, ich werde Gwen pürierten Truthahn eingeben und an ein paar Songs feilen."

"Ich hab viel nachgedacht, über die verschiedenen Optionen die ich habe. Ich sollte nicht mit Tyler Schluss machen. Hör nur zu, okay? Ich kann nicht mit ihr Schluss machen, das würde ihr einfach keine Chance lassen, sie würde daran zu Grunde gehen. Und ihre Mutter braucht sie wirklich. Ich kann einfach nicht mit ihr Schluss machen. Aber ich kann meinen Eltern auch nicht absagen. Thanksgiving ist ihnen verdammt wichtig, weil wir da alle zu Hause sind, sie schließen sogar das Bed&Breakfast. Weihnachten schaffen wir es nie alle da zu sein, aber Thanksgiving ist Pflicht. Du siehst also mein Dilemma. Mit Tyler telefonieren oder schreiben konnte ich mit meinem Gewissen vereinbaren, aber wenn ich sie diese Woche sehe, dann wird sie erwarten, dass wir zusammen sind und ich werde ihr keinen Grund sagen können, nicht die ganze Zeit mit ihr zusammen zu sein. Außer … Jordan, komm mit mir."

"Was?!"

"Ich könnte dir zeigen, wo ich aufgewachsen bin und hätte einen Grund, nicht so oft mit Tyler allein zu sein."

"Wie stellst du dir das denn vor?!"

"Offiziell sind wir Freunde, du und Gwen bekommt ein Zimmer und ich zeige dir die Gegend. Ich weiß, es ist viel verlangt, vor allem, da es sein kann, dass du mich mit Tyler sehen musst, aber ich brauch dich, ich würde dich nicht fragen, wenn ich dich nicht brauchen würde. Ich meine nicht nur als Alibi, ich brauche dich dabei, ich kann das nicht, wenn ich mir darüber Sorgen machen muss, ob zwischen uns nicht alles kaputt ist, wenn ich heimkomme. Ich glaube wirklich, die beste Chance für unsere Beziehung dies unbeschadet zu überstehen ist, wenn du mitkommst, wenn ich dich nicht ausschließe, sondern du mein Vertrauter bist, wir uns verschwören, du weißt schon."

Verdammt, warum klang das so einleuchtend?

"Kann ich darüber nachdenken?"

"Klar. Wir sollten nur möglichst bald die Flüge buchen."

"Xander, bist du sicher?"

"Ja, es geht nur so, ich verspreche dir, ich mach es wieder gut."

"Okay."

"Meinst du mit okay …"

"Okay, buche die Flüge und besorge die Ohrentropfen für Gwen. Das wird ihr erster Flug."

"Danke!"

Er fiel mir um den Hals und fing mit dem Wiedergutmachen an.

Am Dienstagabend schauten wir uns Joshs Stück an und packten. Ned würde Josh am Mittwoch gleich von der Schule abholen und unser Flug würde um halb Eins gehen. Das Zeug, das man mit Gwen für fünf Tage brauchte, war doch einiges. Xander hatte bei seinen Eltern schon angekündigt, dass er jemanden mitbringen würde und gefragt, ob das Babybett noch intakt war, so ersparten wir uns zumindest das mitzuschleppen. Ich schnallte mir Gwen, wie schon lange nicht mehr, in ihrem "Beutel" vor die Brust, um beide Hände zum tragen frei zu haben. Im Flugzeug kamen mir ernsthafte Zweifel an dem Plan.

"Was hab ich mir nur dabei gedacht? Fünf Tage so tun, als wären wir nicht zusammen, vier Nächte heimlich ins Zimmer schleichen und dann noch dir und Tyler beim Turteln zuschauen."

"So schlimm wird das nicht, wir waren nie die großen in–der–Öffentlichkeit–Turtler."

"Und dann lerne ich auch noch deine Familie kennen. Das ist doof. Ich meine, du weißt schon, ich will einen guten Eindruck machen, aber gleichzeitig lüge ich ihnen was vor, das ist echt blöd. Wart mal, wissen die, dass ich dich damals in den Bus gesetzt habe?"

"Nein, ich hab ihnen deinen Namen nie gesagt. Ich kannte ohnehin nur deinen Vornamen und den hab ich für mich behalten. Nicht mal Tyler kannte ihn. Ich hab dich immer den Sänger genannt."

"Hast du Tyler erzählt, dass du mich wiedergetroffen hast?"

"Wir haben in der ersten Nacht schon miteinander geschlafen, da hielt ich es für geschickter, ihr nichts zu erzählen."

"Ja, vermutlich …"

"Also entspann dich. Meine große Schwester holt uns vom Flughafen ab, von da aus müssen wir noch eine Stunde fahren, bis nach Brookings."

"Oh ja, wie heißen deine Geschwister eigentlich?"

"Meine große Schwester heißt Alice, der große Bruder ist Adam, meine kleine Schwester ist Cloe und der kleine Bruder heißt Ryan."

"Okay, Alice, Adam, Cloe und Ryan und natürlich Mr. und Mrs. Paulson."

"Genau. Sei nicht nervös, wir machen das Beste aus den fünf Tagen, ja? Die Küste ist echt schön und die Wälder und der Fluss und es wird Gwens erstes Thanksgiving. Und nachts schleich ich mich rüber zu dir."

"Na gut, vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm …"

Gwen überstand den Flug recht gut, sie schlief die meiste Zeit, nur beim Landen weinte sie ein bisschen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir all unser Gepäck beisammen hatten. Und dann wurde es ernst. Xander gab mir noch einen letzten Kuss, bevor wir "Freunde" wurden und zu seiner Schwester im Empfangsbereich gingen.

"Da drüben ist sie."

Eine dunkelhaarige Frau winkte zu uns rüber. Ich wusste, dass sie 27 war, aber sie hätte genauso gut über 30 sein können. Im Gesicht erkannte ich etwas Ähnlichkeit mit Xander. Sie umarmte ihn zur Begrüßung, gab mir die Hand und betrachtete die schlafende Gwen.

"Hat sie den Flug gut überstanden?"

"Ja, sie hat viel geschlafen."

"Im Auto schläft sie auch immer sofort ein.", meinte Xander.

Alice schaute ihn erstaunt an.

"Wohnt ihr zusammen oder so?"

Mein Herz raste. Wie ich so was hasste.

"Ich häng oft bei Jordan rum."

"Achso. Also, ich parke da hinten."

Die Gegend war wirklich schön, überall Nadelwälder und grüne Wiesen und bald wurde die Luft salzig. Wir fuhren über eine Brücke, unter uns der Chetco River, hinein nach Brookings.

"Wow, das ist ja wohl mal echt beschaulich."

"Warte ab, bis du das Haus siehst."

Wir fuhren eine gewundene Straße hoch und hielten vor einem Haus, das fast mit dem Hang dahinter verschmolz. Es war mit dunklem Holz verkleidet und wirklich groß. Über dem Eingang hing ein Schild. "Paulson's Bed&Breakfast". Wir waren da. Große Bäume standen im Garten, man konnte von hier oben bis runter zum Fluss sehen, es war herrlich.

"Na, ich hab nicht zu viel versprochen, oder?"

Xander stand neben mir und wir genossen die Aussicht. Ich widerstand dem Impuls, den Moment perfekt zu machen und meinen Arm um ihn zu legen. Wir gingen rein, gleich beim Eingang gab es eine Art Empfangstresen.

"Xander! Willkommen zu Hause."

"Hey Mum, danke. Und das sind Jordan und Gwen."

"Willkommen."

"Danke."

Sie konnte Berufliches und Privates offensichtlich schlecht trennen.

"Ich hab schon ein Zimmer im zweiten Stock für euch hergerichtet, die Aussicht da ist toll und Xander's Zimmer ist im gleichen Flur. Ich zeig es dir, Xander, sagst du deiner Großmutter Hallo?"

Und schon waren Gwen und ich ihren Fragen ganz alleine ausgeliefert. Sie führte mich eine Treppe hoch und an das Ende des Flures.

"Und, wie lange kennt ihr euch schon?"

Meine Taktik war, so allgemein wie möglich zu antworten.

"Ein paar Monate."

"Woher denn?"

"Wir haben den gleichen Agenten."

"Ah, diesen Scott Douglas? Ich hab ihn gegoogelt. Er scheint recht seriös zu sein."

"Auf jeden Fall. Er ist schon seit zweieinhalb Jahren mein Agent und hat wirklich viel für mich … meine Karriere getan."

"Gut. Man hört ja so viele Geschichten und Xander ist alleine in der großen Stadt, manchmal überleg ich mir, wenn ihm etwas passieren würde, würden wir das gar nicht mitbekommen, erst nach ein paar Wochen würden wir uns wundern, warum er nicht anruft."

"Xander kommt gut zurecht. Er hat Freunde. Seine Mitbewohner, die Band und so weiter."

"Und dich."

"Klar, mich auch."

"So, also, bereit für die Aussicht?"

Ich nickte und sie zog die Vorhänge beiseite.

"Wow!"

"Nicht wahr? Also, ich lass euch jetzt erst mal in Ruhe auspacken. Zum Abendessen gibt es Hackbraten."

"Ehm, ich esse kein Fleisch, ich ernähre mich zu solchen Gelegenheiten hauptsächlich von Beilagen."

"Davon gibt es reichlich. Und ich dünste für Gwen etwas Gemüse ohne Gewürze. Nein, das macht keine Umstände. Normalerweise koche ich für mindestens 20 Leute, heute sind wir eh nur zu elft."

"Wirklich? So viele?"

"Nur die Familie."

"Wahnsinn. Ich bin alleine bei meiner Mum aufgewachsen."

"Dann hast du gar keine Erfahrungen mit Großfamilien?"

"Kaum, naja …"

Beinahe hätte ich mein Exfreund gesagt.

" … ein bisschen schon, ich kannte mal jemanden mit drei Geschwistern und zehn Neffen und Nichten."

"Mit Enkeln können wir noch nicht dienen. Aber ich bin schon gespannt, wie viele es werden."

"Naja, fünf mal zwei, Minimum, oder?"

"Ich weiß nicht, ich hab das Gefühl, meine Kinder haben erst mal genug von Familie, wenn sie das Haus verlassen."

"Wirklich? Den Eindruck hab ich bei Xander gar nicht."

"Nein?"

"Nein, mit meinen Kindern versteht er sich gut."

"Kinder? Mehrzahl?"

"Mein Sohn Josh ist mit seinen Großeltern in den Bergen."

"Wie alt ist Josh denn?"

"Er ist Zehn, nächstes Jahr geht er schon auf die Middle School."

"Zehn Jahre?! Wie alt bist du denn?"

"25."

"Dann hast du aber früh angefangen."

"Lange Geschichte."

"Ich wollte nicht zu neugierig sein."

"Nein, ich erzähl es gerne mal, aber halt nicht zwischen Tür und Angel."

"Verständlich. Ich denke, wir werden in den nächsten fünf Tagen schon die Gelegenheit haben, uns besser kennenzulernen."

Irgendwie fand ich den Gedanken bedrohlich. Als sie gegangen war und ich anfing, ein paar Sachen auszupacken, klopfte es, ich machte die Tür auf und es war zum Glück nur Xander.

"Warum klopfst du denn?"

"Das gehört zur Rolle. Na, war es schlimm mit meiner Mum?"

"Sie hat mich ein bisschen ausgefragt, aber war sehr höflich. Einmal hätte ich mich fast verplappert."

"Womit denn?"

"Ich hätte fast 'mein Ex–Freund' gesagt."

"Das kannst du doch sagen. So sehr brauchst du dich auch wieder nicht zu verstellen. Vor allem nicht vor meiner Mum. Sie hat mir schon mit 14 den 'Anders zu sein ist nichts Schlimmes'–Vortrag gehalten."

"Ich dachte nur, das könnte ihre Vermutungen schüren."

"Trotzdem, so wenig verstellen wie möglich."

"Sehr gerne."

Er gab mir einen flüchtigen Kuss und schaute danach wie selbstverständlich nach Gwen. Das war mir in den letzten Wochen öfter aufgefallen. Er fühlte sich für sie verantwortlich und das war etwas, dass ich ziemlich rührend fand, aber ich versuchte trotzdem, ihm nur die spaßigen Dinge machen zu lassen, um zu verhindern, dass er vielleicht irgendwann doch genervt sein würde. Er nahm sie hoch und sie lachte.

"Wollen wir noch mit ihr raus gehen, Essen gibt es schon um Fünf, in einer Stunde."

"Gern. Und ehm, wann … du weißt schon, wann siehst du Tyler?"

"Sie kommt nach dem Abendessen rüber."

Xander trug Gwen und ich eine Decke zum drauf setzen. Unten hörte man Stimmen.

"Oh, Cloe und Ryan sind wohl von der Schule heimgekommen, komm, wir sagen kurz Hallo."

"Klar, ehm … willst du Gwen nicht lieber mir geben?"

"So wenig verstellen wie möglich, weißt du noch?"

"Wie du meinst."

Wir betraten den Wohnbereich der Familie, wo neben Mrs. Paulson und Alice jetzt auch ein Teenager, Ryan, saß und Cloe, die Xander wie aus dem Gesicht geschnitten war.

Xander stellte uns vor.

"Krass, ihr seht euch echt ähnlich."

"Warum sagt das immer jeder?"

Eine Stunde lang saßen wir zu Dritt draußen in der Sonne und Gwen rupfte Gänseblümchen aus.

"Stell dir mal vor, sie würde alles in den Mund nehmen. Gwen ist echt ein tolles Kind."

"Scott meint, das kann sich ganz schnell ändern."

"Niemals!"

Er kugelte sich mit ihr über den Boden und sie quietschte vor Freude, dann hielt er sie unter den Armen und ließ sie zu mir schweben. Als ich sie zu mir nahm, berührten sich unsere Hände und auch unsere Blicke trafen sich.

"Ich bin froh, dass ihr hier seid."

"Ich auch. Fühl dich geküsst."

"Du musst mich nur so anschauen und ich fühle mich geküsst."

"Da kommt deine Mum."

"Na ihr Drei? Ich sehe, was du vorher gemeint hast, Jordan. Also, Essen ist fertig."

Schon war sie wieder weg.

"Was hat sie gemeint?"

"Ich hab nur gesagt, dass du mit meinen Kindern gut klarkommst."

"Wie seid ihr denn darauf gekommen?"

"Sie hat sich gefragt, wie viele Enkelkinder sie wohl irgendwann mal bekommt. Sie denkt, ihre erwachsenen Kinder hätten genug von Familie."

"Das stimmt, aber nur von dieser Familie, nicht von netten Kindern, so wie deinen."

"Gut."

Ein Auto fuhr in die Auffahrt.

"Das ist mein Dad, er hat Adam abgeholt."

Adam war wohl in meinem Alter und sah einfach total normal aus. Kein Sportler, kein Intellektueller, nicht groß, nicht klein, einfach wie der Typ von nebenan. Mr. Paulson hingegen wirkte sehr charismatisch, Ende 40, graumelierte, dunkle Haare, markante Gesichtszüge. Beide begrüßten Xander mit Handschlag.

Die Anderen saßen schon um den großen Tisch im Speisesaal. Gwen und ich wurden noch der Großmutter im Rollstuhl vorgestellt, dann wurde Hackbraten und jede Menge Beilagen aufgetragen. Gwen bekam einen Babystuhl, eine Schüssel mit weich gedünstetem Gemüse und Kinderbesteck, mit dem ich sie fütterte. Danach lutschte sie noch eine Brotkruste und war zufrieden. Mit ihrem Gebrabbel und Gequietsche unterhielt sie bald den ganzen Tisch.

"Hat sie ihr erstes Wort schon gesagt?"

"Da sind Jordan und ich uns nicht einig. Er behauptet, sie hätte Gwen gesagt, aber erstens war es eher ein 'Wämm' und zweitens hat sie es nur einmal gesagt und das kann auch Zufall gewesen sein."

"Lange dauert es jedenfalls nicht mehr. Deines war 'Motte', wir hatten damals ein Lebensmittelmotten–Problem und der Kammerjäger musste kommen."

"Ich dachte, das war Cloe?"

"Hm … kann auch sein. Wenn du willst, kann ich in deinem Babybuch nachschauen."

"Und die peinlichen Fotos auspacken? Nein danke."

Die Familie verstand sich scheinbar gut, ich unterhielt mich ein bisschen mit Adam, der 23 war und in Portland Biochemie studierte. Xander streute ein, dass ich früher bei Summerskin war und Adam erzählte, er sei Ende 2002 auf einem meiner letzten Konzerte gewesen. Seine damalige Freundin hatte ihn mitgeschleppt und er sei positiv überrascht gewesen. Musik sei eigentlich nicht so sein Ding. Alle unterhielten sich gut. Xander erzählte seinen Eltern gerade von der Tour.

"Und das College?"

"Passt terminlich gut rein, ich verpasse nur zwei Wochen."

"Aber, was wenn …"

Und es ging ein paar Mal hin und her, Xander betonte immer wieder, dass er schon auf sich aufpassen würde. Als ich so in die Runde schaute, fiel mir auf, dass alle außer Xander eigentlich ganz normal aussahen. Was hatte ich auch erwartet? Nach einer Stunde fragte ich mich langsam, ob nicht bald jemand den Tisch verlassen würde, aber es gab noch Obstsalat. Dann klingelte es an der Tür. Xander sprang sofort auf. Cloe meinte leicht angenervt und offenbar sarkastisch:

"Ah, ist das dein Seelenzwilling?"

Mrs. Paulson warf ihr einen bösen Blick zu und sie war still.

"Ich bin dann weg. Bis später."

Und schon war Xander verschwunden, ein paar Sekunden später schlug die Haustüre zu.

Cloe meinte:

"Tyler würde vermutlich zu Staub zerfallen, wenn sie einen Raum mit der ganzen Familie drin betreten würde."

Mrs. Paulson warf ihr wieder einen Blick zu, aber Mr. Paulson kam seiner Tochter zu Hilfe.

"Was denn? Sie hat doch recht. Das Mädchen könnte wenigstens mal 'Guten Abend' sagen."

"Ihr habt ja recht. Und Jordan ist jetzt uns ausgeliefert."

"Ach, das ist schon okay …"

Ich befürchtete, mein Blick sagte was anderes. Gwen gähnte.

"Oh, ist sie müde? Es ist doch erst halb Sieben."

"So ein Flug kann schon anstrengend sein. Ich hol mal ihre Krippe runter."

"Nein nein, bleib sitzen, ich hole sie."

Mein Handy klingelte.

"Entschuldigung, ich geh mal kurz dran."

Ich ging ein paar Schritte vom Tisch weg. Es war Josh der erzählte, wie toll die Berge seien und dass sie morgen so hoch rauf fahren würden, dass sogar Schnee läge. Ned rief ihn zum Essen.

"Und sag Xander einen Gruß und Gwen auch."

"Okay, ich sag es den Beiden."

"Kann ich mit Xander reden?"

"Morgen, er ist gerade nicht da."

"Okay, dann ruf ich morgen wieder an."

"Gut, viel Spaß, Kleiner."

"Danke, dir auch, Dad."

Ich stutzte.

"Jordan?"

"Ja?"

"Ich wollte nur mal ausprobieren, wie das ist, dich so zu nennen."

"Und?"

"Weiß nicht. Ich muss los."

"Okay, bis morgen."

Dieses Kind. Ich war plötzlich bester Stimmung.

Gwen schlief den restlichen Abend friedlich im Nebenraum und ich hing mit Xander's beiden Brüdern und der kleinen Schwester rum, sie drückten mir eine Gitarre in die Hand und ich musste ein Wunschkonzert liefern. Bald schauten auch die Eltern rein.

"Entschuldigung, zu laut?"

"Nein, überhaupt nicht. Mach weiter."

"Wie wäre es mit etwas, das alle singen können? Elvis? Kommt schon, Leute, 'Love me tender', das kriegt ihr hin."

Irgendwann während 'Summer of 69' schaute Xander zur Tür rein.

"Das gibt's doch nicht."

Er setzte sich dazu.

Nach dem Song gingen Xander und ich noch in den Garten. Die Grillen zirpten, es war dunkel, man roch das Meer.

"Du hast meine Familie dazu gebracht, zu singen."

"Das war ganz leicht."

"Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?"

"Niemals so sehr wie ich dich."

"Mann, sind wir Mädchen."

"Das hab ich auch gerade gedacht."

"Wow, wir sind Seelenverw… du weißt schon."

"Wo wir gerade von ihr sprechen, wie war's?"

"Seltsam. Ich frage mich, ob sie schon immer so seltsam war."

"Warum kam sie nicht kurz rein?"

"Sie fühlt sich unter vielen Menschen nicht so wohl."

"Aber deine Familie besteht nun mal aus vielen Menschen."

"Wir sind eben viel draußen und so. Das war schon immer so."

"Schon ein wenig seltsam."

"Ja, ich weiß. Aber ich will gerade eigentlich nicht wirklich über Tyler reden."

"Worüber dann?"

"Überhaupt nicht reden."

Er machte sich an meinem Hosenknopf zu schaffen. Meine Hände legten sich um seine Taille.

"Komm hier rüber, wenn jemand das Außenlicht anmacht …"

"Ich liebe es, wenn du mich anfasst."

"Das trifft sich, ich liebe es, dich anzufassen. Was … Xander, du kannst doch nicht … gehen wir wenigstens noch hinter die Bäume."

"Okay, komm schon."

Er schob mich weiter, ich lehnte mich an einen großen Baum und er kniete sich wieder hin.

"Schhh Jordan, nicht so laut."

"Tschuldigung, aber hey … ah …"

Das Terrassenlicht ging an.

"Verdammt, das war's wohl, hm?"

"Ja. Wir sollten zurückgehen. Versuch unschuldig auszusehen.", grinste er.

"Ich hab ja auch nichts gemacht."

Adam und Cloe setzten sich auf die Terrasse. Wir setzten uns dazu.

"Wo kommt ihr denn her?"

"Ich hab Jordan den Garten gezeigt."

"Im Dunkeln? Sehr schlau."

"Ach naja, nachts zwischen den Bäumen rumstapfen hat was. Als Kind hatten alle Angst davor, ich fand's toll. Schläft Gwen noch?"

Ich redete eigentlich nur, damit sie nicht weiter darüber nachdachten, was wir in der Dunkelheit getrieben hatten.

"Ja, wir haben sie in Hörweite gestellt und sie noch etwas zugedeckt."

"Danke."

"Rauchst du?"

"Nur Tabak und das eigentlich auch nicht mehr, seit Gwen auf der Welt ist."

"Wir rauchen traditionell in der Nacht vor Thanksgiving eine Friedenspfeife. Macht dir doch nichts aus, oder?"

"Nein, nur zu."

Adam holte von drinnen eine Wasserpfeife.

"Hast du schon mal Shisha geraucht?"

"Ja, mein … Exfreund ist zur Hälfte Algerier, bei ihm zu Hause gab es zu jeder Feierlichkeit eine Runde Shisha. Was tut ihr rein?"

"Nichts illegales, Pfirsichtabak oder Apfeltabak."

Xander fragte:

"Welcher Ex–Freund?"

"Vince."

"Das wusste ich gar nicht."

"Man sieht es ihm nicht an, ich weiß. Vince ist übrigens nur sein zweiter Vorname. Eigentlich heißt er Madjid."

"Madjid Yadis, ja das hört sich muslimisch an."

"Moment mal? Madjid Vincent Yadis? Vince Yadis?"

Xander schaute seine Schwester erstaunt an.

"Sag bloß, du kennst ihn?"

"Natürlich kenne ich ihn. Ich will in New York Kunstgeschichte studieren. Da ist es naheliegend, ihn zu kennen."

"Ich wusste gar nicht, dass er so eine große Nummer ist."

"Dafür, dass er gerade mal 30 oder so ist, schon. Und außerdem ist er süß. Und ich hab das richtig verstanden, Jordan? Du warst mit ihm zusammen?"

"Vor ein paar Jahren, ja. Wir sind damals zusammen von Phoenix nach L.A. gezogen."

"Wow!"

Adam sah grüblerisch aus.

"Moment mal, du bist also schwul?"

"Ich weiß nie, was ich darauf antworten soll. Ich bin am ehesten bisexuell, aber das trifft es auch nicht so recht. Mir ist das Geschlecht einfach egal."

"Pansensual."

Das kam von Xander.

"Ich hab das mal gegoogelt. Nicht pansexuell, das würde nämlich bedeuten, dass man auf sexuell nicht klar definierte Personen steht. Pansensual trifft mich zumindest am ehesten. Ich gehe nach Gefühl, nicht nach Geschlecht und diese Gefühle sind eben pan, was griechisch ist für alles umfassend."

"Ja, sogar diese seltsame Tyler."

"Mein Gott, Cloe, musst du immer auf ihr rumhacken? Du kennst sie doch gar nicht."

"Und dass, obwohl sie schon vier Jahre nebenan wohnt und mit meinem Bruder zusammen ist. Die Frau ist einfach total abgedreht."

"Sie ist einfach anders."

"Nein, du bist anders. Sie ist abgedreht. Ich meine, sie läuft bei über 30 Grad in langen Klamotten rum."

"Wegen ihrer Sonnenallergie."

"Klar, deshalb zieht sie ja auch tagsüber die Rollos zu und nachts macht sie sie auf. Und sie ist im letzten Jahr sogar noch dünner geworden. Ich meine, die wiegt doch keine 40 Kilo und das obwohl sie bestimmt fast 1,70 ist. Und ihre Arme, ich habe Gerüchte darüber gehört, dass sie voller Narben sind, von irgendwelchen Suizid–Versuchen."

"So, Gerüchte hast du also darüber gehört, sehr glaubwürdig."

"Stimmt es etwa nicht? Du musst sie doch schon nackt gesehen haben. Hat sie diese Narben?"

"Das geht dich wirklich nichts an."

"Das ist doch schon die Antwort. Und alle wissen, dass du mit ihr zusammen bist, ich werde deshalb sogar in der Schule verarscht und Ryan auch. Wir wären mit dem Teufel verschwägert und so weiter."

"Du weißt, dass wir mit Satanismus nichts zu tun haben!"

"Aber die Anderen glauben das."

"Du wirst es überleben."

Gwen weinte, ich sprang sofort auf, aber Xander kam mir zuvor.

"Ich mach das. Ich will hier gerade eh nicht sein."

Und weg war er.

"Ist sie echt so schlimm?"

"Ja, aber vielleicht bekommst du sie selbst mal zu Gesicht, wir nämlich eher selten."

"Wieso kümmert sich mein Bruder um deine Tochter?"

Adam schaute mich skeptisch an.

"Ich hab ihn nicht darum gebeten. Er mag sie eben und kommt gut mit ihr zurecht."

Sein Blick blieb skeptisch, aber er sagte nichts mehr dazu, sondern machte die Shisha fertig.

Xander kam zurück als die Kohle auf der Shisha soweit war.

"Alles okay?"

"Ich hab sie gewickelt und ihr die Gute–Nacht–Milch gegeben, jetzt ist sie wieder eingeschlafen, sie hat nur vielleicht ein Viertel getrunken."

"Das liegt am reichlichen Abendessen. Danke."

"Kein Problem."

Adam zog hinter seinem Stuhl eine Flasche Bourbon hervor. Eine Stunde später rauchten wir die dritte Shisha und die Flasche war zur Hälfte leer.

"Spielen wir Wahrheit oder Pflicht?"

"Ach Cloe, bitte!"

"Habt ihr Schiss?"

"Nein!"

"Na gut, ich drehe zuerst."

"Lass mich erst noch einen Schluck nehmen."

Die Flasche blieb bei Xander stehen.

"Wahrheit oder Pflicht?"

"Wahrheit natürlich."

"Okay, also: dieser Vorfall, letztes Thanksgiving, hattest du was damit zu tun?"

"Ach komm schon …"

"Du hast Wahrheit genommen!"

"Na gut, ja, okay? Ich hab das blöde Teil fallen lassen und es zurückgestellt."

"Wusste ich es doch!"

"So, ich bin dran … Adam!"

"Wahrheit."

"Hat Lilly mit dir Schluss gemacht, oder du mit ihr? Ganz ehrlich!"

"Ich nehme doch Pflicht."

"Gut, dann lauf hoch in Mum und Dad's Schlafzimmer, ohne zu klopfen."

"Okay, ich geb es zu, sie hat mit mir Schluss gemacht."

"Warum?"

"Hey, das sind zwei Fragen."

"Na gut, die Flasche bleibt schon nochmal bei dir sehen."

"Jaja, mal sehen. … Jordan!"

"Auch Wahrheit."

"Mit wie vielen Frauen warst du im Bett?"

"Hey, ich dachte solche Fragen kämen nicht. Die Anderen wurden das auch nicht gefragt!"

"Weil wir alle voneinander wissen, wie viele."

"Na toll. Dann nehme ich jedenfalls Pflicht."

"Das würde ich mir überlegen. Deine Pflicht ist ein 10–Sekunden–Zungenkuss mit Xander."

"Okay."

"Was?! Sag uns doch einfach, mit wie vielen du geschlafen hast."

"Ich küsse lieber Xander."

"Mit Zunge und mindestens zehn Sekunden lang?"

"Ich glaube er spekuliert darauf, dass Xander nein sagt.", meinte Cloe.

"Ich sag aber nicht nein."

"Verdammt."

Mein Fluch war absichtlich schlecht gespielt. Ich stand auf und ging zu ihm rüber, auch er stand auf. Meine Lippen bewegten sich langsam auf ihn zu, als ich ihn berührte, öffnete er nach und nach den Mund. Unsere Zungen trafen sich, die Piercings klackten aneinander, seine Hände berührten meinen Rücken, zogen mich an ihn.

"Okay, das waren zehn Sekunden."

Wir ließen uns Zeit, unsere Lippen verabschiedeten sich voneinander mit ein paar letzten Schmatzern, dann setzten wir uns wieder hin. Cloe blieb der Mund offen stehen.

"Das war … heiß. Ich hab noch nie zwei Typen knutschen sehen."

"Das sah nicht aus, wie euer erster Kuss, hab ich recht?" fragte Adam skeptisch.

"Jetzt bin erst mal ich mit fragen dran."

Ich nahm einen Schluck aus der Flasche und drehte sie … Cloe! Wahrheit oder Pflicht?"

"Wahrheit."

"Hm, helft mir mal, Jungs."

"Das zählt nicht!"

"Also schön. Hast du schon mal eine Frau geküsst?"

"Nein. Ich bin dran. Das war wohl nix. Adam, sieh an! Wahrheit oder Pflicht?"

"Fragst du mich bei Wahrheit nach dem Trennungsgrund? Dann nehm ich nämlich Pflicht."

"Zungenkuss, 10 Sekunde, mit dem einzigen der nicht mit dir verwandt ist, Jordan."

"Vergiss es."

Adam und Xander hatten gleichzeitig gesprochen. Adam schaute Xander überrascht an.

"Na das ist ja interessant … Jedenfalls: Lilly hat mit mir Schluss gemacht, weil sie etwas mit einem Dozenten hatte. Zufrieden? Ich bin dran. … Xander! Du hast was mit Jordan am laufen, stimmt's?"

"Ich nehme Pflicht."

"Zungenkuss mit Cloe."

"So ein Schwachsinn!"

"Dann musst du wohl die Frage beantworten."

"Ja, verdammt, wir sind zusammen, aber wenn ihr das durchsickern lasst, dann … dann werde ich doch Satanist und ihr Beide seid meine ersten Menschenopfer, klar?"

"Ich hab's gewusst! Schon beim Essen!"

"Und was ist mit Tyler?"

"Seit wann scherst du dich denn um Tyler, Cloe?"

"Ich will nur wissen, ob du schon mit ihr Schluss gemacht hast."

"Nein und ich hab es auch nicht vor."

"Aber …"

"Wenn ich mit ihr Schluss mache, tut sie sich was an."

"Das ist ja wohl echt ihr Problem, die gehört in die Klapse."

"Und ihre Mutter?"

"Gleich dazu!"

"Mir reicht's, ich geh ins Bett. Kommst du, Jordan?"

"Klar."

Xander sperrte sein eigenes Zimmer von außen zu und kam mit zu Gwen und mir. Wir legten uns hin und er ließ sich von mir in den Arm nehmen.

"Wie geht's dir?"

"Ich weiß nicht. Ich hoffe, Cloe hält ihre Schnauze. Adam wird nichts weitertratschen, da bin ich mir sicher."

"Du kannst ja morgen nochmal mit ihr reden."

"Ja …"

"Was machen wir morgen eigentlich?"

"Zu Mittag gibt es nur Salat, als Ausgleich für den Truthahn morgen Abend. Und nach dem Essen treff ich mich mit Tyler. Tut mir leid, dass ich dich schon wieder mit meiner Familie alleine lasse."

"Das ist nicht so schlimm. Sie sind ja echt nett und alles, ich meine, klar vermisse ich dich und so …"

Er gab mir einen Kuss.

" … aber mit deiner Familie wird es bestimmt nicht langweilig. Wo gehst du mit Tyler denn hin?"

"Zu so einem alten Baum im Wald. Meistens sitzen wir da rum und reden oder hören Musik."

"Ah ja …"

"Jordan …"

"Schon gut. Komm, lass uns schlafen."

"Ich muss noch den Wecker stellen, auf Sechs, damit ich mich, bevor jemand aufsteht, rüber schleichen kann."

Irgendwann hörte ich ein Piepsen und Xander stand auf. Um Acht wurde Gwen munter und ich merkte, dass ich einen Kater hatte. Ich stand auf und ging mit ihr runter in die Küche, wo Mrs. Paulson schon zu Gange war.

"Jordan! Guten Morgen. Dass du schon auf bist?"

"Gwen bekommt spätestens um Acht Hunger."

"Wenn du willst, kann ich sie füttern, du siehst aus, als wärst du spät ins Bett gekommen. Haben meine Kinder wieder Friedenspfeife geraucht?"

"Sicher nur aus historischem Interesse."

"Geh wieder schlafen, ich füttere Gwen gern."

"Danke, aber ich fange den Tag immer damit an, Gwen zu füttern. Das ist der beste Start in den Tag."

"Na gut, dann mach ich dir wenigstens Kaffee."

"Danke Mrs. Paulson."

"Marie."

"Wirklich? Meine andere Tochter heiß auch Marie."

"Drei Kinder? Also jetzt wird es Zeit, dass du mir die Geschichte erzählst."

Sie setzte sich zu Gwen an den Tisch, während ich den Brei aufwärmte und eine Banane zermanschte.

"Na gut. Also Nikki, die Mutter der Drei, und ich haben uns 94 kennengelernt. Josh war damals schon ein knappes Jahr alt. Er ist also nicht mein leiblicher Sohn. Ich habe eine Weile bei den Beiden gewohnt, bis Nikki sich nach zwei Jahren entschieden hat, nach L.A. zu ziehen. Ich war damals noch nicht volljährig, hatte keinen Schulabschluss … also musste ich in Phoenix bleiben. Ich hab sie mal besucht und wir haben oft telefoniert. Joshs leiblicher Vater hatte Nikki gleich gesagt er wolle nichts mit dem Kind zu tun haben, ich war also das, was einem Vater am nächsten kam. 98 hatte Nikki finanzielle Probleme bekommen, vermutlich wegen Drogen. Josh zog zu seinen Großeltern nach San Francisco. Nikki ließ sich mal kurz bei mir in Phoenix blicken, naja, so ist Marie entstanden. Ich wusste nichts von ihr, bis zu Gwens Geburt. Marie war im Fürsorgesystem in Phoenix gelandet. Meine Mum und ihr Mann haben sie bei sich aufgenommen. Ich hatte auch immer guten Kontakt zu Josh und seinen Großeltern. Die beschlossen nach L.A. zu ziehen, wo ich ja mittlerweile auch wohnte, um ihre Tochter zu suchen. Nikki kam tatsächlich im Frühjahr 02 zurück und es dauerte nicht lange und Josh, sie und ich zogen zusammen. Josh war so glücklich darüber und Nikki wurde mit Gwen schwanger. Eigentlich war alles perfekt. Im letzten Drittel der Schwangerschaft war ich auf Tour, wir hatten das besprochen, Nikki fand das okay. Als ich im Januar zurückkam, lag meine hochschwangere Freundin mit Pillen zugedröhnt auf dem Bett. Ich war noch nie so wütend und geschockt wie in diesem Moment. Ich hab sie in eine Klinik gebracht. Plötzlich wollte sie das Kind zur Adoption freigeben. Ich hab mit Scotts Hilfe, der übrigens früher Anwalt für Familienrecht war, das Sorgerecht bekommen, auch für Josh. Sie hat alle ihre Rechte abgetreten und ist kurz nach der Geburt verschwunden. Ende der Geschichte."

"Oh mein Gott, das ist ja schrecklich. Was ist das nur für eine Frau?"

"Ich weiß auch nicht, ich hab es auf die Drogen geschoben, aber das wäre zu einfach. Ich bin einfach nur froh, dass sie weg ist und hoffe, dass sie nie wieder kommt. Denn wenn sie dann wieder geht …"

"Kennt mein Sohn die Geschichte?"

"Natürlich. Xander weiß so ziemlich alles über mich."

"Und du über ihn?"

"Vieles, aber er fragt mehr als er selbst preisgibt."

"Das war schon immer so. Als er 15 war, ist er von zu Hause weggelaufen, nach L.A. Ich hatte keine Ahnung, was damals in ihm vorging. Ich weiß es bis heute nicht sicher."

"Vielleicht wollte er einfach in L.A. sein."

"Er ist jedenfalls so schnell wie möglich dahin zurück."

"L.A. ist seine Stadt, sagt er."

"Ich hoffe, dass er das Ganze heil übersteht. Nimmt er Drogen?"

Die Überraschungstaktik, erst mal abfedern.

"Was soll ich denn darauf sagen?"

"Du bist ein ehrlicher Mensch. Sag die Wahrheit."

"Nicht exzessiv und auch nicht mehr seit … seit wir uns kennen. Ich will mit Drogen nichts mehr zu tun haben."

"Gut. Jordan, versprich mir, dass du gut auf deine Kinder acht gibst. Von der eigenen Mutter verlassen zu werden, das werden sie nie richtig verarbeiten können. Sie brauchen wenigsten ihren Vater."

"Ich geb mir Mühe."

"Das sehe ich."

Nach dem Essen wurden erst mal die Windeln gewechselt. Danach krabbelte Gwen munter herum, ich schnitt alle möglichen Dinge für den Salat klein und die Großmutter rollte herein.

"Guten Morgen."

"Guten Morgen. Ah, das Baby. In jedes Haus gehören Babies. Ich bin gespannt, ob ich meine Urenkel noch erlebe. Kann ich mich nützlich machen?"

"Ich hab die Karotten schon geputzt, jetzt müssen sie noch klein geschnitten werden."

"Wo ist denn meine Tochter?"

"Bringt den Müll raus."

"Meine Enkelin hat mir erzählt, du seist ein Rockstar, ich kenne mich damit heutzutage nicht mehr aus, aber früher war ich Studio–Sängerin."

"Wirklich? Hat Xander sein musisches Talent also von ihnen?"

"Vermutlich. In den 50ern war ich auf einigen bekannten Platten im Hintergrund zu hören. Ich war sogar auf einer B–Seite von Elvis. Auf Hard Headed Woman."

"Don't ask me why? Meine Großeltern hatten die komplette Sammlung. Haben sie ihn etwa kennengelernt?"

"Ich war im gleichen Raum wie er, aber vorgestellt wurde wir uns natürlich nicht …"

"Wow! Ich liebe das Lied!

Damm damm damm, damm damm damm

Damm damm damm, damm damm damm

Bamb."

"I'll go on loving you."
"Loving you."
"Don't ask me why"
"Don't ask me whyyyyyy"
"Don't know what else to do"
"Uhuuuuhu"
"Don't ask me why."

( Elvis – Don't ask me why ** )

Marie applaudierte uns.

"Bravo!"

Gwen schaute mich mit großen Augen an, wie immer wenn ich sang.

Xander's Großmutter strahlte.

"So, jetzt werden aber Karotten geschnitten."

Gegen Zehn kam Adam in die Küche und schaute mich seltsam an. Wir sollten schon mal den Tisch decken. Er ignorierte mich und knallte die Teller lieblos hin.

"Adam, hast du ein Problem?"

"Wie kommst du bloß drauf?"

"Lass uns raus gehen, dann können wir das klären."

"Von mir aus, was auch immer."

Ich nahm Gwen hoch und ging mit Adam auf die Terrasse.

"Also, was ist los?"

"Musstest du meinen Bruder vor meinen Augen küssen? Das Bild hat sich jetzt auf ewig eingebrannt."

"Hallo? Du hast mir die Aufgabe doch selbst gestellt!"

"Aber nicht so. Ich dachte du nimmst Wahrheit."

"Tja, der Schuss ging wohl nach hinten los."

"Mein Bruder ist noch jung."

"Und weiter?"

"Du hast schon Kinder."

"Das sind meine Kinder, Xander muss nichts mit ihrer Erziehung zu tun haben."

"Ja, das hab ich gesehen."

"Nur so viel wie ihm Spaß macht."

"Du mutest ihm zu viel zu."

"Geht es hier wirklich um die Kinder, oder darum, dass ich ein Kerl bin?"

"Oh bitte, ich wusste schon immer, dass Xander vermutlich irgendwann einen Kerl heimbringt."

"Adam, was ist das Problem, sag's mir."

"Das Problem ist, dass deine Kinder eine herbe Enttäuschung erleben werden. Xander und Tyler sind seit vier Jahren zusammen und so wenig uns das allen gefällt, es wird sich nie ändern. Glaub mir, wir haben es versucht."

"Ihr habt versucht, die Beiden auseinanderzubringen?"

"Du weißt nicht, was los war. Xander hatte überall Schnitte. Die Beiden hatten eine ganz kranke Nummer am laufen. Wir hatten einfach Angst um ihn. Aber sie droht ständig damit, sich umzubringen, falls er sie verlässt und das wirkt."

"Und was soll ich deiner Meinung nach machen?"

"Schütze deine Kinder davor enttäuscht zu werden."

"Dafür ist es schon längst zu spät."

"Dann tu was wegen Tyler."

"Ich werde mich da nicht einmischen. Stell dir vor, sie tut sich wirklich was an. Xander würde mich dafür für immer hassen. Noch so ein paar tolle Vorschläge?"

"Nein …"

"Glaubst du, ich hab mir darüber nicht auch schon den Kopf zerbrochen? Ich kann nichts anderes tun, als das, was ich tue. Xander ein guter Freund sein."

"Tut mir leid, vielleicht hätte ich mich nicht einmischen sollen."

"Schon gut, er ist dein Bruder. Natürlich machst du dir Sorgen, das ist schon okay."

"Na dann lass uns den Tisch nochmal richtig decken."

Xander war mittlerweile auch wach.

"Guten Morgen."

"Naja, eher Guten Mittag."

"Ich hab geschlafen wie ein Stein, tut mir leid. Aber wir haben noch eine halbe Stunde. Ist jetzt nicht Gwen–Badezeit?"

"Ich krieg das auch alleine hin …"

"Gwen baden macht Spaß!"

"Na gut."

"Nur Salat." war eine maßlose Untertreibung. Fünf verschiedene Salate mit Brot und optional Speck oder Putenstreifen zum garnieren. Gwen lutschte Brot mit Streichkäse und verschmähte fast ihre Babynahrung.

"Wir fahren nachher zum Harris Beach State Park, ihr kommt doch mit, oder?"

"Heute schon? Das machen wir doch eigentlich immer morgen."

"Alice und Rob haben morgen keine Zeit."

"Aber ich hab schon was mit Tyler abgemacht."

"Sie kann gerne mitkommen."

"Mum, du weißt, dass sie das nicht mag."

"Tja, tut mir leid, dann wirst du dich wohl entscheiden müssen."

"Ich kann ihr nicht absagen."

Er schaute mich Hilfe suchend an. Ich zuckte mit den Schultern.

"Gwen und ich kommen schon klar."

"Ich wollte aber eigentlich schon dabei sein, wenn du die Felsen siehst … ich ruf mal Tyler an …"

"Was für Felsen?"

"Du wirst schon sehen."

Als er zurückkam, meinte er:

"Ich treffe sie dafür morgen schon am Vormittag."

Wir packten Gwen gut ein, an der Küste würde es sicher windig sein und nahmen mit, was wir bis zum Abend brauchten. Wir fuhren mit drei Autos. Sogar die Großmutter wurde samt Rollstuhl mitgenommen.

Wir parkten in einer Art Rondell und ich wollt mir Gwen gerade auf den Bauch binden.

"Soll ich sie nehmen? Meine Jacke kann ich trotzdem zumachen, falls es zu windig wird, du kriegst sie in deiner nicht unter."

"Stimmt. Bist du sicher? Ich hab ansonsten auch noch eine Decke dabei."

"Ich wollte schon als ich zum ersten Mal so ein Tragetuch gesehen habe wissen, wie sich das anfühlt. Also, wie geht das denn?"

"Ich zeig es dir."

Die Anderen gingen schon mal voran.

"So, geht es, oder ist es zu eng?"

"Perfekt. Das ist echt nett, wie sie da an einem hängt. Und man hat trotzdem beide Hände frei. Daran könnte ich mich gewöhnen."

"Tu's nicht, bald ist sie nämlich zu groß dafür."

"Sie soll einfach aufhören zu wachsen. Das geht mir alles viel zu schnell. Bald läuft sie uns davon."

"Xander, du musst mir ganz ehrlich sagen, wenn es dir mal zu viel wird, mit den Kindern. Ich bin froh, wenn du mir was abnimmst, aber ich schaff es auch gut alleine."

"Das weiß ich doch, aber es macht Spaß. Ich mach nichts, das ich nicht gerne tu."

"Gut und jetzt auf zu diesen ominösen Felsen."

Es war ein sonniger Tag, die leichte Brise tat ganz gut und ich trug meine Jacke über dem Arm. Wir folgten einem kleinen Weg und plötzlich sahen wir das Meer.

"Oh mein Gott! Das ist ja total irre."

"Nicht wahr?"

Dutzende Felsbrocken, riesige Felsbrocken ragten aus dem Wasser hervor. Es sah aus, als hätte ein Riese eine Hand voll Steine achtlos hingeworfen und da lagen sie nun seit Menschengedenken.

Einige von uns setzten sich auf Decken, andere gingen noch ein Stück den Strand entlang, bis zum Arch Rock, den das Wasser zu einem Bogen zermürbt hatte. Xander ging neben mir. Ich war immer noch ganz gebannt.

"Wahnsinn. Das gibt einem ein Gefühl für die Gewaltigkeit der Natur."

"Ich weiß was du meinst."

"Man wartet nur darauf, dass ein Riese kommt und die Felsen wie Kieselsteine aufsammelt und in seiner Tasche verstaut."

"Ja, das trifft es, genau!"

Den restlichen Nachmittag saßen alle zusammen im Sand und redeten, lachten und so weiter. Marie meinte plötzlich, dass sie übrigens eine Gitarre im Kofferraum hatte, Xander holte sie, wir ließen Gwen auf der Decke rum krabbeln und sie erforschte den hiesigen Sand. Marie schaute besorgt drein.

"Isst sie den nicht?"

"Nein, sie nimmt eigentlich nie was in den Mund, was man nicht auch in den Mund nehmen sollte. Außerdem wohnen wir nur zehn Minuten vom Strand entfernt. Sand kennt sie also schon."

Xander spielte fast apathisch vor sich hin. Die Zeit verflog geradezu. Das erste Auto machte sich gegen Vier schon wieder auf den Weg nach Hause, um den Truthahn, beziehungsweise die Truthähne, in den Ofen zu schieben. Um Fünf machten sich auch Alice und Rob auf den Weg, die Ryan und Mr. Paulson mitnahmen. Damit blieben nur noch die Flaschendreh–Spieler und natürlich Gwen übrig. Xander legte die Gitarre bei Seite und machte es sich mit dem Kopf in meinem Schoß gemütlich.

"Muss das sein?"

Adam natürlich.

"Was denn?! Ich muss mich zu Hause eh wieder verstellen, lass mich wenigsten die letzte halbe Stunde hier mit meinem Freund genießen."

Ich legte meine Hände auf seine Brust.

"Das hier ist echt einer der schönsten Plätze, an denen ich jemals war."

"Was war der schönste?"

"Auf der Bühne, egal wo."

"Oh ja, das kann nichts schlagen."

"Ich glaube, der Kreißsaal bei Gwens Geburt hätte es geschlagen, aber sie kam ja per Kaiserschnitt."

Gwen krabbelte herüber und verteilte eine Hand voll Sand auf Xander.

"Sehr nett. Na komm her."

Er hievte sie hoch und tat, als wäre sie ein Flugzeug.

"Mach sie nicht zu munter, sie schläft vielleicht bald ein."

"Na was meinst du, Gwen? Nein, hm? An schlafen ist nicht zu denken!"

Er setzte sich auf und stellte sie auf die Beine.

"Sie steht schon fast alleine."

Cloe wollte sie auch mal nehmen und schlug vor, die Runde Wahrheit oder Pflicht zu beenden. Adam war gleich dabei.

"Klar! Also Jordan, warum sagst du uns nicht, wie viele Frauen der große Rockstar im Bett hatte? Weiß Xander es?"

"Er hat mich nie gefragt."

"Ich hab dich nur nach Typen gefragt, oder?"

"Ja, das hast du."

"Und das waren außer mir vier."

"Das wollten wir gar nicht wissen. Jordan, wie viele Frauen waren es denn?"

"Sag mir erst, wie viele Frauen und Männer du hattest."

"Überhaupt keine Männer natürlich und elf Frauen."

"Cloe?"

"Keine Frauen und drei Kerle."

"Xander?"

"Drei Frauen und drei Kerle, außer dir. Also Jordan, sag's uns. Wie viele Frauen hattest du?"

"Die Wahrheit ist, ich kann euch keine genaue Zahl nennen."

"So viele?!"

"Ich befürchte schon."

"Eine Schätzung?"

"60 vielleicht."

"Du verarscht uns, oder?"

"Nein, ich hatte eine wilde Zeit, naja zwei wilde Zeiten, um genau zu sein."

Adam war begeistert.

"Wie steht's mit Dreiern?"

"Ein paar."

"Du bist mein Held."

"Xander, alles okay?"

"Ja, ich … klar. Du bist Adams Held."

Ich nahm ihn in den Arm. Er schaute mich fast unsicher an.

"Und, wie schneide ich bei so viel Konkurrenz ab?"

"Wir reden nur vom Körperlichen?"

"Ja, klar."

"Auf jeden Fall Top Five."

"Wer schlägt mich denn?"

"Willst du es echt wissen?"

"Wir wollen es nicht wissen."

"Ja, ich will es wissen."

"Von den Frauen glaub ich niemand. Das können sie gar nicht, weil zu richtig gutem Sex einfach auch Gefühl gehört und die einzige Frau, in die ich wirklich verliebt war, ist Nikki. Und sie schlägt dich nun mal nicht."

"Und von den Männern?"

"Sollten wir das nicht zu Zweit besprechen?"

Cloe stieß mich an der Schulter.

"Red schon!"

"Hm, also ich kann nur bestimmte … Aspekte vergleichen. Vince hat einfach irre viel Erfahrung, aber du hast mehr … Hingabe. Scott ist selbstbewusster, aber du hast den schöneren Körper, Seans Blowjobs sind grandios, aber du fickst besser als er."

"Verdammt, ich warte am Auto."

Cloe lachte los als Adam davon trottete.

"Gute Antwort."

Cloe stand auf, nahm Gwen und ging ebenfalls zum Auto.

"Ich liebe dich, Xander."

"Mehr als die Anderen damals?"

"Mehr als Scott, mehr als Nikki, ganz anders als Vince …"

"Und nach Sean werde ich dich einfach nie fragen."

Der Strand war mittlerweile leer, alle bereiteten scheinbar zu Hause ihr Thanksgiving Dinner vor. Xander und ich waren alleine mit den Riesenkieseln.

"Wenn Sean kommt und dich zurückhaben will, dann werde ich es ihm nicht leicht machen."

Das Essen war noch reichlicher als am Vortag, bevor wir anfingen, wurde gebetet, was eher mit Tradition als mit Glauben zu tun haben schien. Nach dem Essen wurden die Brettspiele ausgepackt. Familie war toll, vielleicht sollte ich Dad doch mal wieder anrufen …

Xander schlich sich nachts wieder in mein Zimmer.

"Morgen komm ich wahrscheinlich erst spät wieder …"

"Ich weiß."

"Mit Tyler ist es nicht mehr das Gleiche. Ich denke ständig an dich, wenn ich mit ihr zusammen bin."

"Xander … was erwartest du denn jetzt?"

"Nichts, ich will nur drüber reden."

"Du musst tun, was du für richtig hältst."

"Ich will keinen Streit anfangen. Lass uns über was anderes reden …"

Der Wecker klingelte wieder um Sechs und weg war Xander. Um Acht fand ich in der Küche wieder Marie und ihre Mutter vor.

"Guten Morgen Jordan. Heute Abend passe ich auf Gwen auf."

"Was? Warum denn?"

"Am Thanksgiving–Freitag gehen die Kinder traditionell zusammen aus."

"Ah, ich weiß nicht, Xander ist vermutlich eh mit Tyler unterwegs …"

"Sogar sie war letztes Jahr dabei."

"Oh … na gut. Ehm … danke."

Na das würde ja sicher interessant werden. Xander hätte mich ruhig vorwarnen können. Und da kam er auch schon.

"Morgen."

"Hey, heute Abend lerne ich also das Nachtleben hier kennen?"

"Oh Fuck! Stimmt ja. Das hatte ich total vergessen. Tut mir leid."

"Schon gut. Das wird sicher lustig. Marie hat mir gerade erzählt, dass Tyler auch mitkommt?"

"Öhm, ja, letztes Jahr war sie dabei und nachdem ich heute Abend schon was mit ihr ausgemacht habe, wird sie vermutlich wieder mitkommen. Ist das okay?"

Marie schaute komisch rüber.

"Klar ist das okay."

"Iss noch was, Xander.", meinte sie.

"Gibt's Rice Krispies?"

Das erinnerte mich an etwas.

"Oh, Josh hat schon zweimal angerufen, vielleicht kannst du ihn mal zurückrufen …"

"Mach ich gleich."

Er ging nach nebenan und bald hörte man ihn lachen und plappern.

"Telefoniert er mit deinem Sohn?"

"Ja …"

"Die Beiden verstehen sich wohl gut, hm?"

"Rice Krispies und Baseball. Mehr braucht es nicht."

"Vielleicht sollte ich die mal wieder kaufen. Ich glaube, er hat endlich ein bisschen zugenommen."

"War er mal noch dünner?"

"Am Ende der High School musste er sogar diese Kalorien–Drinks trinken, um etwas zuzunehmen."

Xander kam zurück.

"Josh hat da oben viel Spaß. Ich soll seinem – Dad – einen schönen Gruß ausrichten und ihm sagen, wie du geschaut hast, weil er Dad gesagt hat. Er hat erzählt, er hat dich damit letztens etwas geschockt?"

"Ich hatte es einfach nicht erwartet. Das war das erste Mal, dass ich so genannt wurde. Aber ich hab mich gefreut."

"Du hast gerade auch voll geschockt geschaut."

"Sag ihm das bloß nicht. Was hat er sonst noch erzählt?"

"Ach, da ist wohl so ein Mädchen in seinem Alter und die findet ihn toll und er findet Mädchen generell eher noch nicht so toll …, aber das soll er dir selber erzählen."

"Hier gibt es keine Rice Krispies. Iss 'ne Banane, das ist gesünder. Und ich hab gehört, davon nimmt man genauso zu."

"Willst du, dass ich zunehme?"

"Schaden würde es dir nicht."

"Ich spüre den Einfluss meiner Mutter."

Marie winkte von der Spülmaschine aus herüber. Es klingelte.

"Oh, okay, das ist schon Tyler. Hab ich alles?"

Er kontrollierte eilig seine Taschen.

"Ja, scheint so, okay, dann sehen wir uns heute Abend, ich ruf an."

"Hier, nimm die Banane mit."

"Danke, hab nen schönen Tag."

Er gab mir einen Kuss auf die Wange, das hatte er bestimmt nicht geplant. Er stutzte kurz und verschwand dann. Das kam davon, dass er in den letzten Wochen immer von mir aus zur Uni gefahren war, die Routine hatte ihn eingeholt. Ich vermied es, mich zu Marie umzudrehen und schaute stattdessen nach Gwen, die fröhlich durch die Gegend krabbelte. Ein Kuss auf die Wange ließ immer noch viel Raum für Interpretationen.

Nach dem Mittagessen beschloss ich, mit Gwen in den nahe gelegenen Park zu gehen. Marie fragte, ob sie sich anschließen dürfe.

"Natürlich."

Innerlich spannte ich mich an. Warum verheimlichten wir die Sache eigentlich vor ihr? Sie würde bestimmt nicht zu Tyler rennen und petzen. Aber das war nicht meine Entscheidung, also musste ich vorerst dicht halten, egal wie sehr mir das widerstrebte.

Sie stellte mir Fragen über meine Eltern und wie ich aufgewachsen war, über die Schulzeit und über Nikki.

"Hattest du noch andere Freundinnen?"

"Eine. Conny. Aber das war seltsam. Wir waren wirklich nicht gut füreinander."

"So wie Xander und Tyler."

"Das kann ich nicht beurteilen."

Wir breiteten die Decke aus und setzten uns hin.

"Hat Xander Narben?"

"Was meinst du?"

"Du weißt, wovon ich spreche. Vom Cutten."

"Nein, alles verheilt."

"Gut. Das war schrecklich mitanzusehen. Ich verstehe einfach nicht, wie man das tun kann."

"Ich hab mich früher auch geschnitten. Mit 15 oder so."

"Warum?"

"Kontrolle. Die Art von Schmerz konnte ich kontrollieren, den seelischen nicht."

"Aber irgendwann hast du damit aufgehört. Warum?"

"Weil ich Drogen genommen habe und bald gar nichts mehr spüren oder kontrollieren konnte. Xander hat die Kurve gekriegt, du musst dir, denk ich, keine Sorge mehr um ihn machen. Ihm geht es in L.A. gut. Er ist wirklich talentiert und ehrgeizig, geht zu seinen Vorlesungen, kommt voran."

"Und was ist mit dieser Tour? Was ist das für eine Band, deren Vorgruppe die O–Scars sind?"

"Summerskin. Meine ehemalige Band. Die Jungs sind klasse. Keine Drogen, keine Exzesse, nur gute Musik."

"Und Scott Douglas? Bist du sicher, dass er okay ist? Kennst du ihn so gut?"

So wenig verstellen wie möglich, ging es mir durch den Kopf.

"Ich war ein Jahr lang mit ihm zusammen. Er ist einer von den Guten, ganz sicher."

"Ich schätze, dann weißt du, wovon du redest. Das erklärt wohl auch, warum du erst zwei Freundinnen hattest."

"Ja, seit ich 19 war, war ich nur noch mit Männern zusammen, außer Nikki natürlich."

"Du wirkst gar nicht … schwul oder so."

"Ja, ich weiß."

"Xander hat man schon früh angemerkt, dass er anders ist. Es war nicht immer leicht für ihn. Wir waren echt überrascht, als er uns eröffnet hat, dass er mit dem Nachbarsmädchen zusammen ist. Und dann haben wir sie kennengelernt, naja. Aber heute Abend wirst du sie ja selber sehen."

"Ja, kann es kaum erwarten … Oh, Gwen, das ist eine Biene, komm lieber her. Hallo."

Während Gwen schlief, spielte ich auf der Terrasse etwas auf Xander's Gitarre. Langsam wurde ich nervös. Xander und Tyler zusammen, tanzend, knutschend? Cloe kam raus.

"Also, um Sieben geht's los. Zuerst Burger und Billard, dann tanzen. Xander hat angerufen. Er und Tyler kommen nach."

"Super."

"Ziemlich Scheiße für dich, oder?"

"Allerdings."

"Alkohol hilft."

"Das ist wohl die einzige Chance, den Abend zu überstehen. Ach, keine Pillen und so für mich, ja?"

"Was ist mit Gras?"

"Auch nicht. Pass ein bisschen auf, dass ich nicht doch was nehme, okay?"

"Gut, ich tu mein Bestes."

"Warum tu ich mir das noch gleich an?"

"Weil du Xander liebst?", schlug sie vor.

"Ja, das tu ich …"

Ich ließ Gwen frisch gewickelt in Maries Obhut und wir gingen zu Fuß den Berg runter in eine Poolhall, wo man auch Essen bekam. Zu meinen Pommes trank ich jede Menge Bier. Wir trafen noch eine Freundin von Cloe, die Adam gleich anbaggerte, spielten ein paar Runden Pool, trafen noch ein paar Leute und spielten noch mehr Pool. Cloe nahm mich zur Seite.

"Hale steht auf dich, glaub ich."

"Sie ist heiß, aber du weißt ja …"

"Xander. Alles klar."

Der Alkohol stieg mir langsam zu Kopf. Gegen Neun machten wir uns auf den Weg zu einer Art Club. Es war noch nicht wirklich viel los, aber die Musik war ganz annehmbar. Mein erster Weg führte mich an die Bar. Hale hinterher. Ich bestellte ihr auch einen Drink.

"Tanzt du nachher mit mir?", fragte sie mit eindeutigem Blick.

"Klar, aber ich bin mit jemandem zusammen."

"Okay, dann nur tanzen."

Langsam wurde der Laden voller. Adam und Cloe schienen fast jeden dort zu kennen. Ich hatte mittlerweile mehr als genug getrunken und tanzte mit Hale. Es war bestimmt schon halb Elf vorbei. Xander würde nicht mehr aufkreuzen. Ich entspannte mich.

Und dann passierte es. Die Menge teilte sich für einen Moment und da waren sie. Xander küsste dieses dürre Grufti–Mädchen. Mein Magen zog sich zusammen, als hätte er einen unerwarteten Fausthieb abbekommen. Hitze stieg mir ins Gesicht und das Bier das ich gerade getrunken hatte, wollte wieder raus. Ich hielt mir die Hände vor den Mund und rannte zur Toilette. Aber ich konnte nicht kotzen, stattdessen stiegen mir Tränen in die Augen. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet … ich sperrte mich in einer Kabine ein. Der totale Flashback, ich fühlte mich wie damals, als Sean noch mit Sara zusammen war. Mein Handy klingelte. Xander. Ich nahm ab, ohne was zu sagen.

"Jordan? Hörst du mich? Wo bist du?"

Ich riss mich so gut es ging zusammen.

"Toilette."

Er legte auf. Kurz darauf ging die Türe draußen auf. Es klopfte an der Kabinentür.

"Jordan? Geht's dir gut?"

Ich schloss ihm auf.

"Oh, Jordan …"

Er kam herein und sperrte hinter sich zu. Da standen wir also. Ich fuhr mir übers Gesicht, um so unauffällig wie möglich ein paar Tränen wegzuwischen. Er kam auf mich zu. Aber das wollte ich nicht.

"Nicht."

"Es tut mir leid."

"Ich krieg es nicht hin."

"Okay."

"Ich liebe dich viel zu sehr."

"Bitte, darf ich dich festhalten?"

"Ich kann das jetzt nicht."

Dann zog ich ihn doch ein Stück an mich und griff in seine linke Hosentasche. Dort trug er immer vermeintlich heimlich eine Klinge mit sich rum. Ich nahm sie heraus.

"Was machst du?"

"Zeit, dass du dich revanchierst."

"Aber …"

"Du schuldest mir das!"

Ich schrie fast.

"Okay, gib sie mir, … zieh dich aus und dreh dich um."

Langsam gab ich ihm die Klinge, drehte mich um und zog mein Shirt aus.

"Die Hose auch."

Ich ließ sie runter und stemmte mich mit den Händen gegen die Wand. Gleich würde der Schmerz sich verändern.

Statt dem schneidenden Schmerz der Klinge spürte ich Xander mit einem Ruck in mich fahren. Die Luft presste sich aus meinen Lungen. Xander umschlang mich mit den Armen und flüsterte mir zu:

"Das ist der einzige Schmerz, den du je durch mich erfahren wirst."

Er hielt mich noch für einen Moment umklammert, dann wich er zurück und streichelte mich zärtlich.

"Komm, gehen wir nach Hause."

Als Xander die Tür aufmachte, kam uns die laute Musik wie ein Schwall heißer Luft entgegen. Cloe kam rüber.

"Jordan, du siehst nicht gut aus."

"Ich bring ihn nach Hause. Wartet kurz am Ausgang, ich komm gleich nach."

Er verschwand in der Menge und Cloe schob mich Richtung Ausgang. Die Luft draußen war frisch und salzig, ich wurde langsam wieder klarer.

"Kann ich was machen?"

"Ich will nur heim."

"Okay, Xander bringt dich ja heim."

Sie umarmte mich und da kam Xander auch schon zurück. Er legte mir die Hand in den Rücken und schob mich sanft an. Wir gingen ewig nur geradeaus, auf einen Hügel zu. Xander's Hand schob immer noch, als hätte er es eilig, weg zu kommen. Wir folgten der Straße durch ein Wohngebiet und in eine Sackgasse, gingen zwischen ein paar Bäumen durch und folgten einer anderen Straße um eine 180–Grad–Kurve immer höher. Bald kamen wir zu der langen, von Bäumen umwucherten Auffahrt des Hauses. Licht fiel noch aus einigen der Fenster. Xander sperrte die Tür auf und wir gingen direkt die Treppe hoch, in den zweiten Stock, in mein Zimmer. Ich ließ mich einfach aufs Bett fallen, Xander schloss ab und legte sich zu mir. Nach einer Weile fing ich an, ihn auszuziehen. Wir schliefen miteinander bis die Sonne schon aufging.

"Es ist nach Sechs, du solltest langsam rüber gehen."

"Ich schlafe heute hier."

"Na gut."

Um viertel nach Acht wachte ich auf. Marie fütterte Gwen bestimmt gerade in der Küche. Ich war hell wach und ausgeschlafen. Seltsam.

"Was machst du?"

"Ich schau nach Gwen. Schlaf weiter."

Ich küsste seine Nase und stand auf.

"Guten Morgen."

"Was machst du denn schon auf?"

"Ich hab die Kleine vermisst. Hallo Gwen, na, schmeckt's? Pfirsichbrei, lecker!"

Sie gluckste mich fröhlich an. Marie gab mir den Löffel.

"Na, wie war es gestern Abend?"

"Ganz okay."

"Hast du Tyler kennengelernt?"

"Flüchtig."

"Sie sieht schon irgendwie furchterregend aus, oder?"

"Das ist doch alles nur Fassade."

"Vermutlich. Wann seid ihr denn heimgekommen?"

"Ich bin schon vor Mitternacht wieder hier gewesen."

"Ach, du warst das? Ich dachte mir doch, dass ich was gehört habe. Haben meine Kinder dich etwas alleine heimgehen lassen?"

"Xander hat mich heimgebracht."

"Ah, gut. Ist er danach nochmal los?"

"Nein …"

"Seltsam … achso, verstehe. Dann hatte er heute Nacht wohl Sex, hm?"

Mit einem Platsch fiel mir der vollbeladene Plastiklöffel runter. Marie kicherte.

"Was denn? Glaubst du ich mache mir diesbezüglich was vor? Ich mag es zwar nicht, wenn er Tyler mit heimbringt, aber besser so als irgendwo anders. Einmal dachte ich, er wäre nicht da und bin in sein Zimmer, um die Wäsche zu holen und da hab ich die Beiden …"

"Ich will das echt nicht hören."

Das kam bissiger raus als geplant.

"Oh ... okay. Tut mir leid, das wusste ich nicht … Jordan, du bist in ihn verliebt, oder? Ich hatte schon so ein Gefühl …"

Ich sagte einfach gar nichts, das war auch eine Antwort.

"Weiß er das?"

Ich nickte.

"Dann kann er doch nicht … ich meine, das muss gestern Abend schrecklich für dich gewesen sein."

Ich zuckte die Schultern.

"Ist es dir ernst mit ihm? Liebst du ihn?"

Xander kam hereingetappt.

"Morgen. Ich brauche Kaffee. Hallo Gwen."

Er gab ihr ein Küsschen auf den Kopf, sie griff nach seiner Nase.

"Du riechst nach Pfirsich. Was macht denn der Löffel auf dem Boden?"

Er hob ihn auf und ging zum Waschbecken. Marie schaute mich immer noch fragend an. Ich nickte. Xander drehte sich um.

"Hab ich was verpasst? Warum seid ihr so still?"

Marie schaute ihren Sohn ein paar Sekunden an und fragte dann:

"Warum bist du schon so früh nach Hause? Tyler war nicht bei dir, oder?"

"Nein, ich … was denn? Spät heimkommen passt dir nicht, früh heimkommen passt dir nicht …"

"Bist du in Jordan verliebt?"

"Wo kommt das denn jetzt plötzlich her?"

"Xander, antworte!"

Er drückte den Rücken durch und stand kerzengerade da, als er antwortete:

"Ja, bin ich. Wir sind zusammen."

"Nein, seid ihr nicht!"

"Ehm, doch …"

"Du kannst nicht mit zwei Menschen gleichzeitig zusammen sein."

"Offensichtlich doch."

Sie stand auf und ging zu ihrem Sohn.

"Bist du verrückt? Was machst du denn?"

"Ich hab es mir auch nicht so ausgesucht."

"Solche Dinge enden immer gleich und zwar mit drei gebrochenen Herzen! Und in diesem Fall sogar noch mehr. Was wird aus den Kindern?"

"Was soll ich denn machen?"

"Klär das! Entscheide dich!"

"Lass mich in Ruhe, bitte."

"Denk nach, Xander!"

"Genau das tu ich jetzt. Zum Abendessen bin ich wieder da."

Er ging ein paar Schritte zu Tür, ich konnte gar nichts sagen. Dann kam er doch nochmal zurück, zu mir. Ich spürte seine Hand auf meiner Wange.

"Wir sehen uns heute Abend. Ich muss nachdenken, aber ich liebe dich."

Unsere Lippen berührten sich sanft. Ich spürte ihn noch, als er schon den Raum verlassen hatte.

"Was heißt das, er muss nachdenken?"

"Er kann nicht mit euch Beiden zusammen sein, Jordan."

"Aber alle haben es doch gesagt: Er wird niemals mit Tyler Schluss machen. Das bedeutet …"

"Jordan, das weißt du nicht. Und selbst wenn er sich für Tyler entscheidet, dann hätte er das früher oder später sowieso getan. Und dann besser früher. Lass uns spazieren gehen. In den Park, ja?"

Wir saßen wieder auf der Decke in der Wiese.

"Wie lange kennt ihr euch schon?"

"Wir haben uns getroffen, als Xander 99 in L.A. war."

"Moment, bist du also dieser Sänger?"

Ich nickte.

"Danke. Danke dass du ihn wieder nach Hause geschickt hast. Was war passiert? Wo kamen die blauen Flecken her?"

"Er war auf einem Konzert, ein paar Typen haben ihn beschimpft und verprügelt. Wie das angefangen hatte, weiß ich nicht. Xander will nicht drüber reden."

"Und dann?"

"Ich hab es zufällig gesehen und … ich musste eigentlich nicht viel machen, damit sie aufhören. Ich hab ihn auf die Toilette gebracht und ihn gefragt, ob er weiß, wo er schläft. Offensichtlich wusste er das nicht, also hab ich ihn mit zu mir genommen. Wir hatten nichts miteinander oder so, falls du das denkst. Er war ja noch ein halbes Kind. Am nächsten Morgen hat er rausgefunden, dass ich schwul bin und hat plötzlich auf mich gehört … ich hab ihm gesagt, er soll zurück nach Hause fahren und hab ihn zum Busbahnhof gebracht. Das war's. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich ihn jemals wiedersehe. Bis vor ein paar Monaten. Ich war mit Scott unterwegs, um mir diese junge Band anzuhören. Sie waren echt gut und wir gingen mit ihnen noch was essen, um das Geschäftliche zu besprechen. Und da stand er plötzlich."

"Er hat damals von dir erzählt. Du hast ihm Mut gegeben, weil du warst wie er und trotzdem alles im Griff hattest."

"Der Schein täuschte. Ein paar Wochen vorher musste mein damaliger Freund beruflich nach New York ziehen. Kurz danach hab ich wieder angefangen Drogen zu nehmen."

"Oh … Ist das ein Muster? Ich meine, dass du rückfällig wirst, wenn eine Beziehung zerbricht?"

"Ja, das ist schon öfter so gelaufen. Als Nikki wegzog, hab ich angefangen, es zu übertreiben und wäre fast gestorben, am Ende der Beziehung mit Sean, meinem ersten Freund, bin ich wieder in der Klinik gelandet und dann nochmal nachdem Vince weggezogen war."

"Ich hoffe wirklich, Xander entscheidet sich für dich."

Den Nachmittag verbrachte ich im Garten, Gwen schlief drinnen. Ich lag im Gras, rauchte Cloes Zigaretten und malte mir aus, was wäre, wenn Xander sich gegen mich entschied.

"Hilf mir mal runter!"

Ich drehte mich um, die Großmutter, Catherine, hatte ihren Rollstuhl auf die Terrasse gefahren und wollte jetzt weiter in den Garten. Ich ging rüber und räumte ihr den Weg frei.

"Danke."

"Klar."

"Was ist denn heute mit dir los? Normalerweise hast du immer ein Lächeln für eine Kollegin übrig."

"Tut mir leid."

"Und seit wann rauchst du?"

"Wenn ich die drei aufgeraucht habe, ist wieder Schluss."

"Bekomme ich eine?"

"Klar, hier."

"Hol dir einen Stuhl."

"Ehm … okay."

Ich setzte mich neben sie und zündete ihre Zigarette an.

"Ist es die Liebe?"

"Was?"

"Was dich heute beschäftigt."

"Achso, ja."

"Dachte ich es mir doch. Ist es was Ernstes?"

"Ja."

"Unglücklich verliebt?"

"Nein, wir sind zusammen."

"Eine Trennung?"

"Noch nicht. Aber es könnte sein, ich weiß nicht. Ich hoffe nicht …"

"Kannst du irgendwas tun, um die Entscheidung zu beeinflussen?"

"Nein …"

"Na also! Dann nutzt Trübsal blasen und grübeln doch überhaupt nichts! Lass uns über was Amüsantes reden!"

Sie fing an zu erzählen, von Berühmtheiten, denen sie begegnet war, und den Studiomissgeschicken, von den wilden Zeiten. Sie schickte mich sogar rein, ihre Fotoalben holen, die in den späten 40ern anfingen und erst vor ein paar Jahren aufhörten und sie erzählte viele kleine Geschichten dazu.

"Warum hört es hier auf?"

"Ich habe die meisten Fotos selbst geschossen. Ab 2000 war ich auf dieses dumme Ding hier angewiesen. Die Fotos taugten nichts mehr."

Sie schlug wieder das erste Album auf.

"Ich war hübsch, findest du nicht?"

"Allerdings. Irgendwelche geheimen Affären mit großen Stars?"

"Nicht doch, ich habe meinen Mann schon mit 17 kennengelernt und blieb ihm immer treu! Aber ich bin mir sicher, die Frauen liegen dir zu Füßen!"

"Ach, naja, ich hatte die ein oder andere Eroberung …"

"Deine Freundin ist bestimmt eine Schönheit, hab ich recht?"

"Ja, könnte man so sagen ... Eigentlich hab ich sogar ein Foto."

"Oh, jetzt bin ich aber gespannt! Lass sehen!"

Ich blätterte im letzten Album ganz nach hinten, ein Bild auf der vorletzten Seite zeigte Xander mit 16 oder 17, beim schminken vor einem hell–beleuchteten Spiegel. Ich legte ihr das Album auf den Schoß und deutete auf ihn. Sie schaute mich erstaunt an und forschte in meinen Augen nach einem Hinweis, dass ich scherzte. Mit einer Kopfbewegung deutete ich an, dass es mein völliger Ernst war.

"Xander?"

"Ja, Xander."

"Und du?"

Ich nickte.

"Aber ihr seid ..., dann seid ihr ja …"

Ich nickte wieder.

"Aber er hat eine Freundin … ich dachte damit wäre diese … Phase überstanden."

"Er wird sich heute zwischen uns entscheiden."

"Du darfst ihm das nicht antun."

"Was denn?"

"Du darfst ihn nicht auf diesen Pfad führen."

"Ich hoffe, ich hab das falsch verstanden."

"Das ist doch kein Leben!"

"Wie bitte? Ist das dein Ernst?"

"Er wird nie eine Familie haben können!"

"Natürlich kann er eine Familie haben! Ich hab doch auch eine Familie."

"Keine normale Familie!"

Ich atmete tief durch.

"Ich will mich wirklich nicht streiten. Du bist aus einer anderen Generation, du bist anders erzogen worden, wahrscheinlich brauchst du einfach Zeit, dich an den Gedanken zu gewöhnen. Vielleicht macht Xander aber auch heute Abend mit mir Schluss und hat dann eine magersüchtige, depressive Masochistin als Freundin, aber hauptsächlich weiblich, oder? Schau dir das Foto an, er schminkt sich! Bist du nie auf die Idee gekommen, dass er vielleicht schwul sein könnte?"

"Ich dachte, das ginge weg wenn er älter wird. Und so war es dann auch."

"Nein, war es nicht. Hallo?"

"Wenn er dich nicht kennengelernt hätte …"

"Okay, das führt zu nichts. Ich werde jetzt nicht mit Grundsatz–Diskussionen anfangen. Die Dinge sind wie sie sind und du wirst dich dran gewöhnen müssen. Und jetzt seh ich nach meiner Tochter."

Ich ging rein. Cloe und Hale standen im Flur.

"Oh, hey!"

"Hallo. Was war denn gestern los? Du warst plötzlich verschwunden."

"Ich hatte wohl zu viel getrunken."

Gwen war aufgewacht.

"Oh, ein Baby."

Ich ging sie holen.

"Das ist meine Gwen."

"Deine? Du bist Papa?"

"Ich bin Papa."

"Und die Mama?"

"Ist weg."

"Willst du vielleicht spazieren gehen?"

"Klar."

"Er ist mit Xander zusammen."

"Oh."

"Das bleibt abzuwarten."

"Was meinst du?"

"Tyler. Marie hat ihn davon überzeugt, sich zu entscheiden. Ich warte auf sein Urteil."

"Oh und wo ist er jetzt?"

"Bei Tyler vermutlich."

"Fuck. Ich möchte jetzt nicht mit dir tauschen."

Wir gingen mit Gwen etwas raus in den Wald. Cloe und Hale wollten mir den ältesten Baum in der Gegend zeigen, eine Art Mammuth–Baum, mit dem Umfang eines Autos.

"Oh, da drüben."

Ich folgte Cloes Blick. Da auf einer Bank saß mit dem Rücken zu uns Xander.

"Sollen wir rüber gehen? Tyler ist nirgends zu sehen."

"Ich weiß nicht …"

"Komm schon. Hey Xander!"

Er zuckte zusammen, kein Wunder, er hatte ja keine Augen im Rücken.

"Warum sitzt du denn hier rum … oh Scheiße."

Cloe starrte ihn an. Ich war noch weiter hinten und legte einen Zahn zu. Als ich um die Bank herum trat, sah ich es.

"Jordan, es hört nicht auf zu bluten."

"Wie lange schon?"

"Vielleicht 20 Minuten."

"Wo ist Tyler?"

"Sie holt was zum verbinden."

Ich gab Gwen zu Hale und stellte die Windeltasche ab.

"Lass mich mal sehen."

Das Blut kam von einem Schnitt an der Innenseite des Oberarms. Ich nahm ein Windeltuch raus und wischte das Blut einigermaßen ab.

"Es ist gelb, Xander. Sie hat bis ins Fettgewebe geschnitten."

"Das war keine Absicht."

"Cloe, gib mir deinen Haargummi."

Ich zurrte den Gummi ein paar Zentimeter über der Wunde fest, man merkte deutlich, wie die Blutung zurückging.

"Verdammt, warum hast du denn niemanden angerufen? Du hättest hier verbluten können!"

"Tyler ist doch schon unterwegs …"

"Sie hat nicht mal die Wunde abgebunden! Habt ihr denn keinen Plan für solche Fälle?"

"Bisher ist noch nie was passiert …"

"Solche Pläne macht man ja auch, bevor was passiert!"

Ich war so wütend auf ihn. Wenn wir nicht zufällig vorbei gekommen wären …

"Das ist eine Menge Blut. Du brauchst Flüssigkeit. Ich hab nur Gwens Tee."

Ich schraubte den Gummi ab und gab ihm die Flasche. Widerwillig nahm er sie und trank sie aus.

"Fenchel, widerlich."

"Ist dir kalt?"

"Es geht schon."

"Ich frag dich nicht weil ich mir Sorgen um die Bequemlichkeit mache, ich will wissen, ob dein Kreislauf einigermaßen stabil ist."

"Mir ist ein bisschen kalt, aber ansonsten fühl ich mich ganz normal."

Cloe lachte.

"Ganz normal? Du hast gerade schätzungsweise einen halben Liter Blut verloren und siehst aus wie tot!"

"Ich glaub, den Rest krieg ich jetzt auch alleine hin. Tyler kommt bestimmt jeden Moment zurück. Ihr könnt also jetzt gehen."

"Ist das dein Ernst? Glaubst du wirklich, ich gehe jetzt und hoffe drauf, dass die zurückkommt, die dich hier alleine und stark blutend zurückgelassen hat, statt mit dem Handy Hilfe zu holen?"

Gwen weinte. Ich schaute auf meine blutigen Hände.

"Wunderbar. Verdammt, Xander!"

"Ich weiß, okay?! Ich hab's verbockt, aber ich kann dir das jetzt nicht erklären. Bitte geht jetzt, bevor Tyler wiederkommt."

Ihm war es damit anscheinend ernst.

"Okay."

Cloe funkelte mich wild an.

"Ist das dein Ernst? Du willst ihn so hier lassen?!"

"Wenn er das so will. Xander, du musst mir versprechen, dass du mich anrufst, wenn irgendwas ist. Ich bin dann in fünf Minuten da, oder ich schicke jemand Anderen, wenn dir das lieber ist."

"Ich verspreche es."

"Gut, kommt schon, wir gehen. Cloe, kannst du die Tasche nehmen?"

Ungläubig trotteten die Beiden hinter mir her, den Weg hinunter. An einer Quelle machte ich meine Hände und die Flasche sauber und trocknete sie an meinem Shirt ab. Das blutige Tuch hatte ich schon in einem Abfalleimer entsorgt.

"Na komm her, Gwen. Ich hab leider nichts mehr zu trinken für dich. Aber gleich sind wir zu Hause."

"Dieser dämliche Idiot! Ich könnte ihn umbringen! Warum macht er den Scheiß immer wieder?"

"Keine Ahnung. Ich will jetzt einfach nur meine Tochter versorgen, der Rest ist mir egal."

"Vielleicht seid ihr ohne ihn besser dran."

"In L.A. ist er nicht so. In L.A. ist er glücklich."

"Ich hab meinen Bruder noch nie wirklich glücklich erlebt."

Zu Hause machte ich Gwen eine neue Flasche Tee und setzte mich mit ihr auf die Couch. Sie war quengelig, ohne Grund. Ich wickelte sie, auch das half nicht. Ich ließ sie rumkrabbeln, aber sie wollte sofort wieder auf meinen Arm. Tränen kullerten über ihre Wangen.

"Was hast du denn? Ich weiß nicht, was du willst, Gwen."

Das ging ewig. Sie wollte keinen Schnuller, keine Spielsachen, nicht mal Kekse. Zwischendurch schlief sie erschöpft über meine Schulter hängend ein. Ich wagte es nicht, sie hinzulegen. Nach einer halben Stunde ging es wieder los. Ich versuchte wieder alles, aber sie wollte nichts von alledem. Marie kam aus der Küche und versuchte ihr Glück ebenfalls vergeblich.

"Hm, vielleicht sind es die Zähne, ich bring mal Brotrinde. In zehn Minuten gibt es Essen."

"Okay."

Die Rinde interessierte sie kein bisschen. Ihr Kopf war schon ganz rot. Sie hatte aber kein Fieber. Ich trug sie eine Runde durch den Garten, aber sie vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter. Die Familie versammelte sich zum Essen, aber wenn jemand in Gwens Nähe kam, brüllte sie erst recht. Sie wollte sich nicht in ihren Stuhl setzen, also behielt ich sie auf dem Arm.

"Wenn sie nach dem Essen nicht aufhört, dann muss ich zu einem Kinderarzt, glaub ich."

Marie versuchte mich zu beruhigen.

"Wart es ab, vielleicht hat sie nur Bauchzwicken und es geht bald weg. Jetzt iss erst mal was, dann sehen wir weiter."

Einhändig und nervös stocherte ich im Essen rum, bis schon abgeräumt wurde. Gwen schluchzte leise vor sich hin. Plötzlich fing sie an zu zappeln und reckte die Hände hoch.

Ich drehte mich um. Da stand Xander in einem riesigen Pulli und mit trauriger Miene. Gwen wollte offensichtlich zu ihm.

"Sända, Sända."

"Hat sie gerade …?"

Er kam her und nahm sie. Sie quietschte und brabbelte weiter.

"Sie hat Xander gesagt, oder?"

Er schaute mich ungläubig an. Ich nickte und schaute Gwen zu, wie sie lächelnd nach seiner Nase griff. Ich bekam Gänsehaut. Deshalb hatte sie die ganze Zeit geweint? Weil er nicht da war? Oder weil er geblutet hatte? Aber das konnte sie doch unmöglich verstanden haben. Jetzt war ihre Laune jedenfalls plötzlich bestens, dafür wurde mir schlecht. Was, wenn er sich für Tyler entschieden hatte? Marie riss mich aus meinen Gedanken.

"Setzt dich, ich bring dir einen Teller. Was hast du denn für einen Pulli an?"

"Mir war kalt, Tyler hat mir den geliehen. Ist noch von ihrem Großvater oder so."

Er setzte sich seelenruhig zum Essen, so als wäre nichts weiter gewesen. Ich hielt das nicht aus.

"Ich geh an die frische Luft."

Auf dem Terrassentisch lag noch eine Zigarette und mein Feuerzeug, was mir gerade recht kam. Ich machte es mir im Gras gemütlich und sog den Rauch tief in meine Lungen. Ich wurde augenblicklich ruhiger und hörte einen netten Song in meinem Kopf. Plötzlich stand Xander über mir.

"Können wir reden?"

Ich setzte mich auf. Der Moment der Wahrheit. Er setzte sich mir gegenüber ins Gras.

"Ich hab mich entschieden, noch ein paar Tage länger hier zu bleiben."

"Oh … heißt das, du machst Schluss?"

"Ja."

Ich war wie von Donner gerührt. Sein Tonfall war so kühl. Ich starrte ins Leere.

"Jordan, was hast du? Ich dachte, das ist was du willst?"

"Was?! Warum sollte ich wollen, dass du mit mir Schluss machst?"

"Mit dir? Du denkst, ich mache mit dir Schluss? Nein! Natürlich nicht! Das stand doch nie zur Debatte! Ich hab den ganzen Tag darüber nachgedacht, ob ich mit Tyler Schluss machen kann und wenn ja, wie. Jordan, dachtest du etwa den ganzen Tag …"

Ich nickte ungläubig. Er umarmte mich.

"Oh Gott, das tut mir leid! Nein, Jordan, ich liebe dich. Du bist besser als alles was ich mir je erträumt habe. Ich dachte das wüsstest du. Ich … Gott, tut mir leid."

Er setze sich auf mich. Seine Beine umklammerten mich, seine Arme hielten mich. Er hing an mir, wie ein Äffchen und flüsterte mir noch eine Entschuldigung ins Ohr. Wir saßen eine Weile einfach so mitten auf dem Rasen.

"Was hast du dann jetzt vor?"

"Ich hab ihren Arzt angerufen und er wird am Montag dabei sein, wenn ich endgültig Schluss mache. Ich hab es heute schon angedeutet. Ich glaube, so konnte das Cutten auch so ausufern. Danke für deine Hilfe."

"Xander, wenn ich nach heute noch eine neue Wunde auf dir entdecke, dann …"

"Okay. Ich hab eh überhaupt keinen Bock mehr drauf. Ich hab es für Tyler gemacht. Sie war so … egal, ich regle das, aber ich brauche mehr Zeit. Bis Mittwoch oder so."

"Das versteh ich."

"Jordan, du musste endlich wirklich verstehen, dass ich nicht weggehe. Ich bleibe bei dir, solange du das willst."

Ich schluckte, denn diese Worte kamen mir bekannt von.

"Was hast du?"

"Ganz ehrlich?"

"Natürlich, was ist denn?"

"Genau dasselbe hab ich damals zu Sean gesagt … in einer sehr emotionalen Situation. Ich musste dran denken …"

"Er wollte nicht mehr mit dir zusammen sein, du hast dein Versprechen also gehalten. Aber jetzt genug von Ex–Beziehungen für heute. Wollen wir rein gehen, zusammen?"

"Du willst ihnen also jetzt sagen, dass wir zusammen sind?"

"Natürlich. Und dass ich länger bleibe, um das mit Tyler zu klären. Jetzt schau nicht so erschrocken. Sieh mich an. So eine große Überraschung kann es nicht sein, dass ich mit einem Kerl zusammen bin."

"Das dachte ich auch. Aber deine Großmutter hielt es wohl für eine Phase. Sie hat es heute Nachmittag nicht besonders gut aufgenommen … Tut mir leid, ich dachte es wäre der richtige Zeitpunkt, es ihr zu sagen, aber …"

"Schon gut. Wenn sie ein Problem damit hat, kann ich es auch nicht ändern. Lass uns rein gehen."

Er stand auf und zog mich hoch.

"Sollen wir einfach so rein gehen, oder ist das zu krass?"

"Ich würde mich schon eher vortasten. Vielleicht erzählst du erst die gute Nachr … Ich meine, tut mir leid, aber deine Familie mag Tyler nicht sonderlich …"

"Das beruht auf Gegenseitigkeit. Okay, so machen wir's."

Wir gingen in gebührendem Abstand nach drinnen, wo es gerade Nachspeise gab. Wir wurden nicht sonderlich beachtet und setzten uns nebeneinander hin. Marie gab mir Gwen, aber sie wollte lieber zu Xander.

"Ehm, Leute, ich hab euch was zu sagen …"

Es wurde augenblicklich ruhig, sehr seltsam.

"Ich hab vor, mit Tyler Schluss zu machen."

Einige konnten sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.

"Ich hab auch schon eine Vorstellung, wie ich das am besten mache. Deshalb würde ich gern noch ein paar Tage länger bleiben, wenn das okay ist."

"Natürlich, Schatz."

"Gut."

"Warum jetzt endlich doch?"

Das kam von Mr. Paulson.

"Weil ich jemand Anderen kennengelernt habe. Jemand, der mir gezeigt hat, dass verliebt sein nicht die große Tragödie sein muss und wie es ist, einfach nur glücklich zu sein."

"Na endlich, ich freu mich für dich, Xander."

"Danke. Ich … naja, was soll's."

Er griff unter dem Tisch nach meiner Hand und legte sie demonstrativ auf den Tisch.

Mr. Paulson schaute verdattert drein.

"Oh … verstehe … also doch."

Ryan schob lautstark seinen Stuhl zurück und verließ den Raum. Mr. Paulson stand ebenfalls auf.

"Wir sollten reden, Xander."

"Wir reden doch gerade."

"Unter vier Augen."

"Wie du meinst."

Xander gab mir Gwen und flüsterte:

"Schau nach meinem Bruder, ja?"

Ich nickte und er folgte seinem Dad nach oben. Alice schaute mich ganz seltsam an.

"Wenn du schwul bist, wie kamst du dann zu deiner Tochter?"

"Ich suche mir meine Partner nicht danach aus, welchem Geschlecht sie angehören … Ich sollte mal nach Ryan schaun, kann jemand Gwen nehmen?"

Marie bot sich an und zwinkerte mir aufmunternd zu.

Ich hatte zuvor noch nie direkt mit Ryan gesprochen, er war oft unterwegs gewesen oder hatte Freunde zu Besuch und verzog sich mit denen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, als ich zu ihm raus in die Einfahrt ging, wo er Körbe warf. Vor allem hatte ich keine Ahnung, was ich ihm sagen sollte. Ich erinnerte mich daran, als ich mit 14 diesen Kerl aus meiner Klasse geküsst hatte. Danach haben wir nie wieder miteinander gesprochen, so peinlich war es uns.

"Hey."

"Was willst du denn?!"

"Kann ich mitspielen?"

"Ich weiß nicht? Kannst du?"

Er passte mir scharf den Ball zu, aber ich fing ihn. Der Schulsport machte sich endlich bezahlt. Ich machte einen Korbleger und versuchte, nicht überrascht zu wirken, als ich tatsächlich traf.

"Bist du echt hier, um zu spielen?"

"Eigentlich nicht. Warum bist du weggelaufen?"

"Weil ihr … du weißt schon."

"Und du hast damit ein Problem?"

Ich wählte den Ton extra besorgt, nicht provokant.

"Du verstehst das nicht. Wenn das raus kommt … Xander verpisst sich wieder nach L.A., aber ich muss es hier noch ein paar Jahre aushalten. Ich werde eh schon ständig wegen seinem Äußeren verarscht. Die Jungs aus der Mannschaft …"

"Was spielst du?"

"Baseball."

"Ach stimmt, das wusste ich ja. Dodgers–Probetraining und so."

"Davon hat Xander dir erzählt?"

"Klar."

"Ich dachte nicht mal, dass er mir zugehört hat, als ich ihm davon erzählt habe."

"Doch, natürlich. Er hat die ganze Geschichte ausführlich meinem Sohn erzählt."

"Du hast auch noch einen Sohn?"

"Ja, Josh, er ist 10."

"Was? Du siehst gar nicht viel älter aus als Xander."

"Ich bin 25."

"Hm …"

"Also, die Jungs aus der Mannschaft ziehen dich wegen deinem Bruder auf. Und dann schämst du dich für ihn und jetzt kommt auch noch hinzu, dass er auf Typen steht und das bietet ihnen neue Munition."

"Genau. Ich bin gerade erst endlich ins Team gekommen, obwohl ich besser bin als die meisten Anderen, aber die haben mich nicht ernst genommen, wegen Xander und der irren Tyler."

"Und du erwartest von deinem Bruder, dass er sich anpasst, damit irgendwelche hirnl … ich meine, weil die Typen dich nicht danach beurteilen, wer du bist, sondern wer dein Bruder ist? Ernsthaft? Das erwartest du von ihm?"

"Ich weiß nicht, so wie du es sagst, klingt es ziemlich dämlich."

"Und überhaupt, du hast ja noch einen anderen Bruder. Adam war bestimmt der Held damals auf der High School."

"Ja, er war zumindest im Team und so, aber das ist schon viel länger her und Cloe ist mir auch keine Hilfe, sie macht voll einen auf Künstlerin und was die Anderen sagen, ist ihr egal."

"Sie kriegt aber durchaus auch mit, dass die Leute lästern. Sie gibt halt nur nichts drauf."

"Im Sommer ist sie eh weg und ich bleib als Einziger hier hängen. Das ist Scheiße, die Leute hier sind Scheiße und das hier ist ein Kaff."

"Da hast du Recht. Also denkst du nicht so wie die über deinen Bruder?"

"Er ist schließlich mein Bruder. Ich kenn ihn, er war zwar schon immer seltsam, aber er ist ganz okay. Und ich bin froh, dass diese gruslige Tyler hier nicht mehr auftaucht."

"Dafür hast du jetzt mich an der Backe."

"Das ist schon okay, glaub ich."

"Ja? Cool."

"Ich hab dich gegoogelt. Summerskin, hm? Du bist ausgestiegen, als es richtig los ging. Warum?"

"Babypause."

"Ist das nicht ziemlich hart, ich meine, du könntest jetzt dick Kohle scheffeln."

"Naja, ich bin ja noch jung."

"Wenn du berühmt wärst, dann fänden die Jungs es vielleicht sogar irgendwie cool, dass mein Bruder mit dir zusammen ist."

"Naja, vielleicht wird er ja selbst ein großer Star, immerhin geht er mit Summerskin auf Tour."

"Ja, das ist echt irre. Ich brauch unbedingt Karten für Portland."

"Klar, deine Eltern werden sicher auch hin gehen."

"Na super …"

"Kann ich dich was fragen?"

"Klar."

"Was glaubst du hat dein Dad mit Xander zu besprechen?"

"Ich weiß auch nicht, aber ich bin mir sicher er meint es gut. Willst du noch ein paar Körbe werfen?"

"Klar."

Nach ein paar Minuten gingen wir wieder rein.

"Sind sie immer noch oben?"

"Ja."

"Muss ich mir Sorgen machen?"

"Chad meint es bestimmt gut. Schau mal, ich hab gerade mit Gwen Treppen steigen geübt."

Sie hielt Gwen an beiden Händen und hob sie von einer Treppenstufe auf die nächste.

"Nicht schlecht, für den Anfang."

Adam und Cloe verzogen sich. Alice musterte mich immer noch seltsam.

"Hast du noch Fragen oder so?"

"Ich … nein, tut mir leid. Ich bin nur überrascht, das ist alles."

Catherine saß schweigend in der Ecke und brütete vor sich hin.

"Na gut, dann geh ich mal Gwen wickeln …"

Nach einer Weile klopfte es an meiner Tür. Ich machte auf, da stand Xander mit seinem Dad.

"Mein Dad meint, ich sollte einen Therapeuten aufsuchen."

"Okay und warum?"

"Wegen meiner sexuellen Verwirrung, so hast du dich ausgedrückt, oder?"

"Mein Sohn bestand darauf, dass wir dich in das Gespräch miteinbeziehen."

"Oh ja, dazu hab ich einiges zu sagen. Gwen ist gerade eingeschlafen, ich würde gern in Hörweite bleiben."

"Mein Büro ist in Hörweite."

"Vielleicht möchte Marie dazu kommen?"

Offensichtlich passte ihm der Vorschlag nicht, aber er rief sie.

Kurz danach saßen wir zu viert in einem kleinen Raum mit einem Schreibtisch und tonnenweise Papierkram. Xander's Eltern auf der einen Seite des Schreibtisches, wir auf der anderen. Das wirkte ziemlich frontal.

"Jordan, ich spüre Feindseligkeit."

"Chad, ich bin nicht feindselig, ich bin nur gespannt."

"Ich möchte vorweg sagen, dass ich nicht in Frage stelle, dass du ein guter Kerl bist, das ist nichts Persönliches …"

"Da haben wir schon das erste Problem. Es sollte nämlich etwas Persönliches sein. Du solltest mich kennenlernen und dann entscheiden, ob du es gut findest, dass Xander mit mir zusammen ist."

"Ich kann mich nicht erinnern, dir das 'du' angeboten zu haben."

"Ich dir auch nicht."

Okay, langsam wurde ich doch feindselig.

"Na schön. Sie müssen doch zugeben, dass meinen Sohn Schwierigkeiten erwarten, wenn er mit ihnen zusammen ist."

"Klar, wie gerade jetzt zum Beispiel. Das ist ein Gesellschafts–Problem. Wenn eine Muslime Kopftuch trägt, bekommt sie auch Probleme. Soll sie es deshalb lassen?"

"Das ist was anderes."

"Klar, sie kann sich ihre Religion selbst aussuchen, Xander hat sich seine sexuelle Orientierung nicht ausgesucht."

"Darüber streiten sich sogar die Experten."

"Sie meinen also, dass jeder darüber frei entscheiden kann? Das heißt, wenn sie den richtigen Mann gefunden hätten, dann …"

"Niemals."

"Doch nicht frei wählbar, hm?"

"Xander kann Hilfe bekommen."

"Oh und wie würde das aussehen?"

"Eine Psychotherapie zum Beispiel."

"Sagen sie mir Bescheid, wenn sie einen Therapeuten gefunden haben, der ihn deshalb in Behandlung nimmt, damit ich ihn bei der Ethikkommission melden kann. Die American Psychologist Association versteht da keinen Spaß. Und im Übrigen darf ich mal zusammenfassen: Ihr Sohn ist mit 15 von zu Hause abgehauen, hat eine Freundin die gedroht hat, sich umzubringen, wenn er mit ihr Schluss macht und hat offensichtlich mit ihr die Freuden des Cuttens entdeckt. Sie haben ihn nie zu einen Arzt geschickt, der ihn beraten und unterstützen hätte können. Aber heute erzählt er ihnen, dass er endlich jemanden gefunden hat, der ihn glücklich macht und sie wollen ihn zur Therapie schicken? Ich empfehle ihnen, machen sie eine Familientherapie draus."

"Was wollen sie denn damit sagen?!"

"Homosexualität ist kein Problem von Einzelnen, sondern der Gesellschaft und Leute wie sie sind ein großer Teil des Problems. Ich hätte ihnen noch viel zu sagen, aber dafür sind sie noch nicht bereit. Ich denke, sie sollten eine Nacht drüber schlafen und morgen nochmal mit ihrem Sohn reden. Ich bin mir sicher, dann schaffen sie es wenigstens, sich nicht mehr selbst zu widersprechen."

"Na hören sie mal!"

"Mr. Paulson, es ist mir wichtig, dass sie eine Sache verstehen: Ich liebe Xander, ich bin gut für ihn und ich werde nicht weg gehen. Wenn sie sich nicht mit mir abfinden können, dann wird das über kurz oder lang die Beziehung zwischen ihnen und ihrem Sohn zerstören und das wäre wirklich für alle furchtbar. Denken sie drüber nach und sagen sie heute Abend besser nichts mehr dazu. Helfen sie ihrem Sohn lieber dabei, die wirklich kranke Beziehung zu beenden."

Als er nichts mehr darauf sagte, stand ich auf und bot ihm meine Hand an.

"Und nennen sie mich Jordan."

Er schaute mich für ein paar Sekunden ausdruckslos an, dann griff er doch zu.

"Chad."

"Danke und einen schönen Abend noch."

Xander stand auch auf.

"Nacht Dad."

Kaum hatte er die Tür zugemacht, küsste er mich schon.

"Sieh an, du bist ja voll der Aktivist."

"Scheinbar. Wer hätte das gedacht?"

"Ich. Deshalb hab ich dich geholt. Er hat mir überhaupt nicht zugehört. Und als du ihn plötzlich geduzt hast, ich dachte echt, gleich bricht die Hölle los. Du warst so gut und er hat dir echt zugehört. Ich hab echt die Hoffnung, dass was angekommen ist. Die Leute hören dir zu. Auch auf der Bühne. Du musst öfter so was machen, deine Meinung sagen, du weißt schon!"

"Jetzt warte erst mal ab, ob es gefruchtet hat."

"Bei mir auf jeden Fall. Du schaffst es ständig, dass ich das Gefühl bekomme, echt okay zu sein wie ich bin."

"Du bist mehr als okay, Xander. Du bist wunderbar. Ich hab noch nie jemanden wie dich kennengelernt, so ausdrucksstark und talentiert, inspirierend und einzigartig. Du bist der tollste Mensch, den ich kenne."

"Siehst du, du machst es schon wieder."

Gwen schlief friedlich.

"Ich würde die letzte Nacht gern mit dir in meinem Zimmer verbringen. Wir könnten Gwen samt Wiege einfach rüber rollen."

"Klar. Wieso hab ich mir dein Zimmer eigentlich noch nicht angeschaut?"

Das Frühstück am nächsten Tag war seltsam. Alle redeten über irgendeine belanglose Scheiße, aber es lag deutlich eine beklommene Stimmung in der Luft. Danach badeten wir Gwen und legten uns raus ins Gras, wo die Sonne schon schien.

"Hier ist das Wetter echt immer schön. Das hast du damals gesagt, als ich dich gefragt habe, woher du kommst."

"Alice weiß genau, warum das so ist. Sie hat ein paar Semester Meteorologie studiert und kann dir einen halbstündigen Vortrag drüber halten."

"Och nö, nicht bei dem schönen Wetter."

Gwen traute sich schon immer weiter wegzukrabbeln. An einem Stuhl in ein paar Metern Entfernung zog sie sich hoch und drehte sich tatsächlich um. Sie stand ohne festhalten und machte einen Schritt, bevor sie hin plumpste. Wir krabbelten sofort Beide auf sie zu.

"Dein erster Schritt! Gratulation!"

"Und mit vorher umdrehen! Das ist schon für Fortgeschrittene."

Ich wirbelte sie durch die Luft und in Xander's Arme, der sie anstrahlte. Dann gab ich Beiden einen Kuss.

"Ich hab alles auf Video."

Auf der Terrasse saß Catherine mit einer Digitalkamera.

"Ihren ersten Schritt auch?"

"Die letzten fünf Minuten. Ich hatte schon so ein Gefühl."

"Klasse! Kann ich es sehen?"

"Natürlich. Du musst nur zuerst zurückspulen und dann hier drücken."

"Du bist ja eine Fachfrau."

Xander kam mit Gwen auch rüber. Catherine hatte tatsächlich eine recht ruhige Hand bewiesen.

"Ich brenne es und schicke es euch dann, wenn ich mit meinem Kurzfilm fertig bin."

"Xander, deine Oma kann CDs brennen."

"Natürlich, sie schickt mir regelmäßig ihre neuesten musikalischen Entdeckungen."

Mein Flug würde um halb Vier gehen, ich fing an, meine Sachen zusammenzupacken. Nach dem Mittagessen lieh sich Xander das Familienauto und fuhr uns zum Flughafen.

"Ich komme spätestens Mittwoch heim."

"Kann ich dich irgendwie unterstützen?"

"Das hast du schon, durch alles was du gesagt hast. Und jetzt lass es uns hinter uns bringen. Wir sehen uns ja in ein paar Tagen."

"Ich weiß ja, aber ich werde dich vermissen."

"Und ich euch erst. Grüß Josh und frag ihm kein Loch in den Bauch, wegen diesem Mädchen. Und üb schön mit Gwen. Wenn ich heim komme, will ich drei Schritte am Stück sehen."

"Da haben wir ja was vor."

"Und red mit den Anderen wegen der Bandprobe übermorgen."

"Ich erklär es ihnen, keine Sorge."

"Gut, also, dann geh ich mal zum Security–Check."

"Wir lieben dich."

"Und ich liebe euch. Geht schon, sonst flenn ich gleich noch. Wie schau ich denn dann aus?"

Ned und Elly brachten Josh eine Stunde nachdem Gwen und ich heimgekommen waren.

"Lernen wir jetzt endlich deinen Xander kennen?"

"Sorry, er bleibt noch bis Mittwoch bei seiner Familie."

"Oh nein, aber ich wollte ihm doch erzählen, von … also nix."

Josh bekam rote Ohren, aber ich hatte genau das richtige Thema parat, um davon abzulenken.

"Gwen hat ihren ersten ganz selbstständigen Schritt gemacht. Es gibt sogar ein Video davon. Und ihr erstes Wort hat sie auch gesagt."

"Und, was war es?"

"Sända."

"Oh nein, wie niedlich. Da hat er sich bestimmt gefreut."

"Ja, wie irre."

"Wir wollen ihn bald kennenlernen. Josh erzählt ständig von ihm."

"Okay, bald. Versprochen."

In den nächsten paar Tagen hatte ich einiges an Arbeit aufzuholen, was auch gut war, denn jede freie Sekunde vermisste ich Xander. Ich beschloss ihm einen Vorschlag zu machen, sobald er zurück war. Wir telefonierten abends, aber ich fragte nicht nach Tyler. Ich konnte ja sowieso nichts tun und wenn er darüber hätte reden wollen, hätte er es gesagt.

Am Mittwochabend konnten wir ihn endlich vom Flughafen abholen. Josh erzählte ihm ganz geheimnisvoll etwas in seinem Zimmer, wir kochten, aßen, spielten und brachten Josh um Neun endlich dazu, ins Bett zu gehen.

Eine Stunde später kam Xander unter der Decke hervor.

"Oh, das war … wow!", brachte ich heraus.

"Dankeschön."

"Und was du mit deiner Unterlippe gemacht hast, ich meine …"

"Ja? Gut, das war nämlich nur ein Versuch."

"Lass uns das bei Gelegenheit ausbauen. Ich wollte dir noch was vorschlagen."

"Was denn?"

"Naja, also, wenn ihr im Februar auf Tour geht, wie machst du das dann mit deinem Zimmer? Zahlst du die drei Monatsmieten einfach weiter, oder ziehst du aus und suchst dir danach was Neues?"

"Ich dachte schon, dass ich nicht drei Mieten zum Fenster raus werfen will. Die Leute da sind auch irgendwie seltsam."

"Wie wäre es, wenn du schon zum ersten Januar kündigen würdest und die sechs Wochen hier einziehst, um mal zu sehen wie das wäre?"

"Echt? Das wäre tatsächlich eine gute Gelegenheit."

"Wir müssten natürlich noch Josh fragen, aber wenn er nichts dagegen hat …"

"Okay, morgen beim Frühstück, ja? Ich brat ihm Speck, damit er sieht, was es für ihn für Vorteile hätte, mit einem fleischessenden Erwachsenen zusammenzuwohnen."

"Na super."

"Was ist mit Weihnachten?"

"Was ist damit?"

"Feiern wir da getrennt?"

"Ich weiß nicht, soweit hab ich noch nicht geplant."

"Weihnachten ohne dich ist doof."

Gott, dieser Blick!

"Hm, ich würde schon gern mal wieder ein Weihnachten mit Mum verbringen. Das letzte mal war 98 glaub ich. Kannst du nicht mitkommen oder so?"

"Ehm, exzessive Bandproben wegen der Tour. Ich hab meinen Eltern schon abgesagt."

"Ich überleg mir was."

Am nächsten Tag ging Xander in aller Herrgottsfrühe Speck kaufen und begeisterte Josh mit einem riesigen Frühstück. Als die Teller leer waren, fragte ich Josh.

"Sag mal, wie würdest du es finden, wenn Xander hier wohnen würde?"

"Ich hab mich schon gefragt, warum er nicht hier einzieht."

"Also fändest du das gut?"

"Auf jeden Fall! Gibt es dann öfters Fleisch?"

"Ich serviere dir eh schon einmal die Woche dein Fleisch."

"Bolognese zählt nicht."

"Wenn ich hier wohne, sorge ich für mehr Fleisch auf dem Teller.", verkündete Xander in Wahlkampf–Pose.

Später rief ich Mum an und fragte sie, ob sie nicht Klaus' Vater und die Mädchen ins Auto packen und in L.A. Weihnachten feiern wollten. Sie fand die Idee gar nicht schlecht und fügte gleich noch hinzu, dass Ernst sowieso eine Kreuzfahrt machte. Sie wollte es mit Klaus besprechen und mich zurückrufen. Kaum hatte ich aufgelegt, rief Vince an und fragte, ob Summer und er am Samstag wieder bei mir einfallen durften. Ich sagte ihm gleich, dass er dann am Samstagabend wieder babysitten müsste und rief sofort Xander an.

"Ich hab für diesen Samstag einen Babysitter. Wo spielt ihr da?"

"Nirgends. Die Anderen wollten mal einen Samstag frei. Es gibt so eine Art Haus–Party in meinem alten Wohnheim. Da wollte ich mal vorbeischauen. Kommst du mit?"

"Oh, eine Studentenfete? Lang ist's her."

"Ist das ein ja?"

"Na klar."

Danach rief ich gleich noch Scott an, um ihm zu sagen, dass ich ihm eine E–Mail mit meinen neuesten Werken geschickt hatte.

"Tust du mir noch einen Gefallen?"

"Klar."

"Find raus was Xander für einen BMI hat."

"Was?! Wozu?"

"Wenn er unter 19 hat, könnte er Probleme kriegen, auf Tour mein ich. Nicht nur, das er es vermutlich körperlich nicht durchhält, fast jeden Tag auf der Bühne zu sein. Ein paar Veranstalter weigern sich sogar, Leute zu buchen, deren BMI unter 19 ist."

"Das hab ich ja noch nie gehört."

"Bei Summerskin war das auch kein Thema. Kannst du's rausfinden und ihn vielleicht mal mit ins Fitnessstudio nehmen?"

"Da war ich selbst seit Gwens Geburt nicht mehr."

"Echt? Sieht man dir gar nicht an."

"Du hast mich schon lang nicht mehr nackt gesehen."

"Dann schadet es ja euch Beiden nicht. In den meisten Studios gibt es auch Kinderbetreuung, also schieb nicht Gwen als Ausrede vor."

"Na mal schaun."

Beim Kochen, als Josh noch bei einem Schulfreund war, näherte ich mich dem Thema an.

"Wie groß bist du eigentlich?"

"Warum?"

"Ich frag mich nur. Ich bin so 1,84. Du bist vielleicht fünf Zentimeter kleiner, oder?"

"Ziemlich genau, ja. 1,79."

"Dacht ich's doch. Und was wiegst du so?"

"Warum willst du das wissen?"

"Ich will deinen BMI ausrechnen."

"17,79. Ja, ich weiß, dass das Untergewicht ist. Hast du dafür echt meinen BMI gebraucht?"

"Du solltest zusehen, dass du vor der Tour etwas an Gewicht zulegst. Jeden zweiten Abend auf der Bühne sein ist echt anstrengend."

"Was schlägst du vor?"

"Kräftiges Essen und Fitnessstudio."

"Was ist dein BMI?"

"Keine Ahnung. Ich hab so 72 Kilo."

"Das dürfte auch nur knapp über 21 sein."

"Peile fünf Kilo mehr an, okay?"

"Von mir aus …"

"Ich hatte mal 17,13."

"Mein Minimum war 16,85."

"Okay, du hast gewonnen."

"Ich wusste gar nicht, dass du mal so dünn warst."

"Drogen, du weißt schon."

"Also kipp ich noch mehr Sahne in die Sauce?"

"Ganz genau."

"Bei was für einem Freund ist Josh eigentlich heute?"

"Einer aus seiner Klasse. Henry Mendic oder so ähnlich."

"Kennst du die Eltern?"

"Nö."

"Solltest du nicht die Eltern kennenlernen, bevor Josh zu ihnen geht?"

"Keine Ahnung … vermutlich … hm."

"Kennst du überhaupt andere Eltern aus seiner Klasse?"

"Elternabende mit Gwen sind schwierig … In der zweiten Klasse waren Nikki und ich mal auf einem. Aber das war noch auf der anderen Schule."

"Du solltest echt mal auf einen Elternabend gehen. Josh denkt sonst bestimmt irgendwas Falsches, dass es dich nicht interessiert oder so. Ich kann ja auf Gwen aufpassen."

"Vor Weihnachten ist bestimmt nichts mehr … und falls doch, werde ich nur zum Plätzchen backen verdonnert. Nein, Danke."

"Ich weiß zufällig, dass nächste Woche ein Elternabend stattfindet. Am Mittwoch um Sechs und ich werde dich zwingen, da hin zu gehen."

"So, wie denn?"

"Na gut, dann überzeuge ich dich eben ..."

Er küsste mich, hielt mich aber vernünftigerweise auf Abstand, da Josh jeden Moment heimkommen konnte.

"Ich hab übrigens entschieden, mich tätowieren zu lassen.", verkündete er stolz.

"Echt? Was denn?"

"Eine Rasierklinge. Als eine Art Abschluss."

"Und wohin?"

"Zu der zukünftigen Narbe am Oberarm."

"Wie du meinst."

"Kommst du mit zum Hand halten?"

"Klar. Was ist eigentlich mit dem Augenbrauenpiercing?"

"Das hab ich ja total vergessen. Ich frag Janet morgen, wann sie Zeit dafür hat."

Am Freitag hielt ich Xander's Hand, während er gepierct wurde und am Samstagvormittag fuhr ich ihn zu dem Tätowierer, den er sich ausgesucht hatte und schaute fast zwei Stunden dabei zu, wie der Kerl mit feinen Nadeln eine Rasierklinge entstehen ließ. Als ich den doch etwas mitgenommenen Xander bei mir abgeladen hatte, fuhr ich zum Flughafen und holte Vince und Summer ab. Sie wollten beide gerne einen ruhigen Abend mit Gwen und Josh verbringen, so dass ich tatsächlich mit Xander auf diese Wohnheimparty gehen konnte. Vince schlug sogar vor, dass wir bei Xander übernachten sollten, da dorthin Nachtbusse fuhren. Ich zögerte natürlich, aber sie meinten es ernst. Nach dem Essen ging Summer mit Gwen zu Janet runter und Vince erzählte von dem Haus, das Collin und er gekauft und schon bezogen hatten. Ich fragte, ob es einen weißen Gartenzaun habe. Auf einmal grinste Vince.

"Ach ich hab ja ganz vergessen zu erwähnen, dass ich beim Umzug unser Fotoalbum gefunden habe, Jordan. Ich dachte es sollte hier in der Wohnung sein, deshalb hab ich es mitgebracht."

"Das hast du nicht, oder?"

"Doch."

Xander war gleich Feuer und Flamme.

"Kann ich es sehen?"

"Auf keinen Fall."

"Warum nicht? Da warst du in meinem Alter und ich hab noch überhaupt keine älteren Fotos von dir gesehen."

Josh war auch sofort hellhörig geworden.

"Mum und Jordan und ich haben auch ein Fotoalbum angefangen, ich hab es unter meinem Bett. Soll ich es holen?"

"Ja, hol es Josh. Dann bekommst du auch bald wieder Fleisch zu essen."

Vince kramte ebenfalls in seiner Tasche rum und bald lagen die beiden Alben auf dem Tisch. Josh zeigte seines zuerst. Xander hatte bisher ja noch nicht mal ein Foto von Nikki gesehen.

"Deine Mum ist echt hübsch."

"Mit blonden Haare gefällt sie mir besser als mit braunen."

"Ich fand schwarz damals toll, aber daran erinnerst du dich wahrscheinlich nicht mehr, oder Josh?"

Er schüttelte den Kopf. Als wir das Album bis hin zu Nikki mit dickem Bauch und den ersten Fotos von Gwen und Josh in der Klinik durch hatten, kam Vince dran.

"Ich warne euch schon mal vor. Jordan hat damals seine Frisur ungefähr so oft gewechselt, wie andere ihre Unterhosen."

Das Schlimme war, dass er damit nicht mal übertrieb. Xander war begeistert.

"Ich find dieses Platinblond ja heiß."

"Das war nur für den Abend. Nach ein paar Tagen sah man die Ansätze und ich hab mir wieder einen Iro rasiert."

"Was war das denn für ein Abend?"

"Die Eröffnung von Vince erster eigener Ausstellung."

"Jordan, sind da deine Augen geschminkt?"

"Na klar. Wenn Vince seine Kappe nicht so tief ins Gesicht gezogen hätte, würde man sehen, dass er auch Kajal dran hat."

Das Ganze uferte dann darin aus, dass Vince und Xander jede Frisur und Farbe bewerteten und dann darüber beratschlagten, wie ich sie jetzt machen sollte.

"Wow, eine Tolle! Das ist cool! Mach dir die Haare wieder so!"

"Da müssen sie erst wieder ein Stück wachsen."

"Und dunkler sind sie da auch, oder?"

"Kastanienbraun."

"Find ich gut! Mach es wieder so."

"Ich sag es meiner Friseurin, Piercerin und Babysitterin."

"Küsst ihr euch da?"

"Ja, Josh, da küssen wir uns."

"Oh."

"Wir waren mal zusammen, weißt du?"

"Achso."

"Ein grüner Iro?"

"Den hatte ich öfter mal."

"Warum schaust du dann jetzt so normal aus?"

"Keine Ahnung …"

"Das muss sich wieder ändern! Was meinst du, Josh? Ein Papa mit grünen Haaren wäre doch hipp."

"Nein, lieber blau."

"Mal langsam! Gerade sollte ich meine Haare noch wachsen lassen, jetzt doch abrasieren, entscheidet euch erst mal und sagt mir dann Bescheid, wie ihr es gerne hättet. Ich geh mich jetzt erst mal für die 'hippe' Studentenparty umziehen."

Als ich wieder zurückkam, grinsten die Drei.

"Wir konnten uns erst nicht einigen, aber jetzt haben wir einen Kompromiss gefunden. Eine platinblonde Tolle mit blauen Strähnchen."

"Wunderbar."

Wir fuhren mit dem Auto zu Xander, wo er sich noch umzog und mich mit ein paar 'hippen' Accessoires versah. Dann machten wir uns mit dem Bus auf den Weg zu seinem ehemaligen Wohnheim.

"Ich war die Ferien über fast alleine da und im September bin ich dann in die neue Wohnung gezogen. Die meisten Leute dort sind echt ganz nett, aber man sitzt halt schon ziemlich eng aufeinander. Ich bin gespannt, wer alles da ist. Andy ja auf jeden Fall, sie wohnt da ja noch. Ob Rico und Jamie auch kommen, weiß ich gar nicht. Hab ich schon erzählt, dass Jamie jetzt anscheinend eine Freundin hat?"

Ich schüttelte den Kopf und Xander redete weiter, durchgehend, bis wir ausstiegen. Er schien sich tatsächlich ziemlich auf die Party zu freuen. Direkt bei der Haltestelle standen schon die ersten Leute mit Plastikbechern. Xander grüßte einige und nahm meine Hand.

"Ich werde dich heute Abend nicht viel zu Gesicht kriegen, oder?"

"Hier sind schon viele Leute, mit denen ich reden wollen würde."

"Na gut, aber der erste Drink und der letzte Tanz gehören mir."

"Seit wann willst du denn tanzen?"

"Seitdem es eine Gelegenheit ist, dich zu mir zu locken."

"Gut, Deal. Ah, da vorne ist Logan, den musst du kennenlernen."

So viele Namen wie Xander in den nächsten fünf Minuten runter ratterte, konnte ich mir überhaupt nicht merken. Ich holte uns was zu trinken. Kaum war Xander's Becher leer, war er auch schon auf und davon. Soviel dazu, dass er mit seinem Äußeren Schwierigkeiten hat, mit 'Normalen Leuten' in Kontakt zu kommen. Ich blieb in einem der Gemeinschaftsräume hängen, wo ein Mädchen, deren Name ziemlich sicher mit P anfing, mir etwas über die Ausbeutung der Ölvorkommen in Alaska erzählte und ihre Ausführung damit abschloss, mich zu fragen, ob ich mit auf ihr Zimmer komme.

"Danke, aber ich bin mit meinem Freund hier."

"Ach verdammt. Na dann, schönen Abend noch."

Und weg war sie. Die Party fand über zwei Stockwerke verteilt in vier Gemeinschaftsräumen und einigen der Zimmer statt. Ich beschloss mal weiter zu wandern. Irgendwann sah ich Xander nochmal, wie er sich mit ein paar Mädchen unterhielt. Er winkte mich rüber.

"Und das ist er, mein Jordan."

"Hallo."

"Und das sind …"

Ich versuchte gar nicht erst, mir die Namen zu merken.

"Na, hast du schon mit ein paar Leuten gesprochen?", fragte er.

"Ich musste einem Mädchen versprechen, dass ich mich dafür einsetzen werde, dass meine Heizung auf Holzpellets umgestellt wird und plötzlich wollte sie mit mir auf ihr Zimmer."

"Weiter so."

"Ich schau mich mal noch ein wenig um. Wo war dein Zimmer?"

"Das letzte rechts, den Gang runter."

"Na dann, bis nachher. Oh, dein Becher ist ja leer, ich hol dir was zu trinken."

"Was hast du denn vor, hm?"

"Ach, so ein bisschen Alkohol lockert unseren letzten Tanz bestimmt auf … und sorgt dafür, dass du dich morgen nicht dran erinnerst, wie schlecht ich tanze."

"Hast du dir die Leute da drüben schon mal angeschaut? Die zappeln nicht mal im Takt."

"Ich hol dir trotzdem noch was zu trinken."

Später, nach diversen Smalltalks, arbeitete ich mich eine Treppe hoch ins obere Stockwerk. Hier warteten tatsächlich einige Pärchen vor verschlossenen Zimmertüren darauf, dass ein Bett frei wurde. Am Ende des Gangs entdeckte ich eine große Glastür und steuerte darauf zu. Sie führte zu einem Balkon, einem leeren Balkon. Frische Luft und niemand in Sicht, der über irgendeinen Scheiß reden wollte. Perfekt. Ich ging raus, lehnte mich gegen die Wand und schaute in den Himmel. Die Stille währte nicht lange, da kam ein Typ auf den Balkon.

"Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?"

"Wie stehst du zum Alaska–Öl–Skandal?"

"Häh?"

"Das war die richtige Antwort."

"Zigarette?"

"Ich … ach was soll's, ja, Danke."

Das Licht war nicht besonders gut, aber der Kerl war ungefähr so groß wie Xander, er trug dunkle Klamotten, mittellange, schwarze Haare und ein Nietenarmband.

"Du bist Jordan, oder?"

"Kennen wir uns?"

"Nicht besonders gut, zumindest nicht für Brüder."

"Was? Moment, geh mal ins Licht. Oh, okay, du bist definitiv einer der drei Bonanno–Brüder."

"Lorenzo."

"Bist du schon alt genug fürs College?"

"Ich bin fast 19."

"Krass. Du hast dich ganz schön verändert."

"Du hast dich fast nicht verändert. Ich hab dich eigentlich sofort erkannt, aber ich dachte mir, das wäre schon ein Riesenzufall."

"Du studierst also in L.A.?"

"Seit einem Jahr, ja."

"Und da laufen wir uns hier über den Weg. Was für ein Zufall. Wie geht es Anthony? Und Milo? Und allen eben?"

"Milo drückt sich immer noch vorm Heiraten, aber bald hat Sandra ihn soweit, denk ich. Dad leitet die Firma, Großvater ist aber trotzdem jeden Tag dort. Mama–Maria ist das gar nicht recht, sie will doch endlich eine Reise nach Italien machen und ihre Schwestern besuchen. Peter wird bald 21. Er studiert BWL und will in die Firma einsteigen. Er ist Dad's ganzer Stolz. Tony geht noch zur Schule, ist Quarterback, bekommt wahrscheinlich ein Stipendium. Ja, die Zwei machen sich prächtig."

"Hör ich da etwa Verbitterung in deiner Stimme?"

Er rutschte an der Wand runter und setzte sich, ich tat es ihm gleich und wartete, bis er wieder was sagte.

"Du bist schwul, stimmt's?"

"Mein Freund läuft hier auch irgendwo rum, ich stell euch später vor, wenn du willst."

"Klar, … ich hab Mum und Dad Thanksgiving gesagt, dass ich schwul bin."

"Oh … und, wie haben sie reagiert?"

"Ich bin früher hierher zurückgefahren, weil sie sich überhaupt nicht mehr eingekriegt haben."

"Oh … tut mir leid."

"Wie war es bei dir damals?"

"Er war total geschockt und hat ein paar Tage Zeit gebraucht, aber bei der Verabschiedung hat er mir sinngemäß gesagt, dass ich trotzdem ein guter Junge bin. Ich schätze, von mir hat er nicht so viel erwartet, wie von dir."

"Du hättest hören sollen, wie er mich beschimpft hat. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Bald ist Weihnachten … wo soll ich denn dann hin?"

"Hast du einen Freund?"

"Nein, nicht mal das."

"Ich bin sicher, dass er sich bis Weihnachten beruhigt hat und wenn nicht, lad ich dich ein, okay? Du gehörst doch zur Familie."

"Danke. Es tut mir leid, wir kennen uns kaum und ich nerv dich hier …"

"Nein, ich bin dein großer Bruder, egal wie gut wir uns kennen und wir haben scheinbar einiges gemeinsam."

"Weißt du, am meisten hasse ich es, dass er so viel Macht über mich hat. Ich hab mich wirklich gefühlt, wie ein Stück Dreck, als wäre ich nichts wert, … als …"

Er wischte sich über die Augen.

"Nein, das darfst du nicht zulassen. Du machst nichts Falsches und mit wem du schläfst, sagt nichts über deinen Wert als Mensch aus."

"Ich weiß ja, aber er ist mein Vater …"

Ich legte meinen Arm um ihn.

"Ja, meiner auch. Ich weiß wie du dich fühlst."

Ich fühlte zum ersten Mal, dass wir wirklich Brüder waren. Ich hatte einen kleinen Bruder. Er hatte sein Gesicht an meiner Schulter und klammerte sich an mich.

"Ich bin so froh, dass wir uns hier getroffen haben."

"Ich auch."

"Anthony ist so ein Arsch."

"Das sag ich doch schon seit Jahren."

Er kicherte. Die Tür ging wieder auf. Ich guckte hoch, Lorenzo rührte sich nicht. Ihm war es sicher peinlich, dass er weinte. Es war die Blondine, die mir Xander vorher vorgestellt hatte.

"Oh, Sorry …"

Sie ging wieder nach drinnen, aber im Umdrehen fiel ihr wohl wieder ein, wer ich war und sie warf mir einen bösen Blick zu. Sie dachte ja wohl hoffentlich nicht, dass … Plötzlich stand Xander da.

"Ehm … Jordan … was zum …"

Ich hob drohend die Hand.

"Red besser nicht weiter. Lorenzo, komm schon, ist schon okay, das ist mein Freund Xander."

Zögerlich hob er den Kopf und wischte sich mit der Hand übers Gesicht.

"Hey Xander."

"Renzo?"

"Ihr kennt euch?"

"Klar, Renzo wohnt hier."

"Kennst du zufällig auch Renzo's Nachnamen?"

"Irgendwas Italienisches, oder?"

"Versuchs mal mit Bonanno. Lorenzo ist mein kleiner Bruder."

"Was, ernsthaft? Warum hast du denn nie erzählt, dass du einen schwulen Bruder hast?"

"Weil ich das selbst gerade erfahren hab. Wir haben uns Weihnachten 97 das letzte Mal gesehen."

"Okay, krass. Boa, jetzt bin ich froh, dass wir nie was miteinander hatten."

Xander ließ uns nach einer Weile wieder alleine.

"Seit wann bist du mit Xander zusammen?"

"Erst ein paar Monate."

"Hatte er nicht eine Freundin?"

"Hatte er, ja."

"Er spielt bei den O–Scars, stimmt's?"

"So haben wir uns kennengelernt, irgendwie."

Er wusste von Summerskin, aber nicht von Gwen. Ich erzählte ihm relativ ausführlich von den letzten paar Jahren und er wollte unbedingt mal vorbeikommen, um seine Nichte kennenzulernen. Weit nach Mitternacht mischten wir uns wieder unter die Leute. Um halb Drei torkelte Xander auf mich zu.

"Bereit für den letzten Tanz?", lallte er.

"Schon, aber irgendwie tanzt jetzt keiner mehr und diese komische Trance–Musik …"

"Machst du etwa einen Rückzieher?"

"Nein, genau für den Fall hab ich nämlich meinen MP3–Player dabei, schau nicht so, hier."

Ich gab ihm einen der Ohrstöpsel und drückte auf Play. Elvis ertönte und Xander lächelte. Ich legte eine Hand um seine Taille und mit der anderen hielt ich seine Hand.

"Du bist echt verrückt, Jordan."

"Das ist alles deine Schuld. Du hast mich zu so einem Weichei gemacht."

Unsere Wangen berührten sich und ich bekam Gänsehaut. Wir machten zwei letzte Tänze draus, bevor wir uns von allen verabschiedeten und ich Renzo meine Adresse und Telefonnummer aufschrieb.

Am nächsten Vormittag stand ich mal wieder bei Xander's Mitbewohnern in der Küche an der Kaffeemaschine. Bald kam er auch dazu.

"Ah, gut dass ich euch alle zusammen treffe. Es gibt etwas zu besprechen. Ihr wisst ja, dass ich im Februar ausziehen wollte. Ich hab mich entschieden, doch schon zum ersten Januar auszuziehen. Ich weiß, das ist kurzfristig, aber ich hab gestern auf der Wohnheimparty schon ein paar Leute gefunden, die ein Zimmer außerhalb des Campus suchen und ihnen die Nummer gegeben."

"Oh, okay. Dann warst du hier echt kurz. Wo ziehst du denn hin?"

"Zu Jordan."

"Echt, schon? Also, geht mich ja nichts an, aber ihr seid noch nicht so lange zusammen, oder?"

"Knapp drei Monate, das stimmt. Deshalb ist es so eine Art Probezeit vor der Tour. Mal schauen, wie es im April dann aussieht. Aber ich bin zuversichtlich, oder was meinst du, Jordan?"

Ich umarmte ihn von hinten und küsste seinen Nacken. Die drei Mitbewohner starrten auf den Boden oder aus dem Fenster.

Gegen Mittag kamen wir nach Hause, wo Summer und Vince schon gekocht hatten und ich erzählte von Renzo.

"Du solltest mal mit deinem Dad reden, find ich.", riet mir Vince.

"Ich hab seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihm geredet. Und außerdem müsste ich dazu nach San Diego, weil über das Telefon geht das ja wohl echt nicht. Ich warte erst mal ab. Vielleicht beruhigt er sich ja bis Weihnachten. Ansonsten lad ich Renzo hierher ein."

"Du bist Weihnachten nicht zu Hause?"

"Mum kommt wahrscheinlich hierher. Sie wollte mich noch zurückrufen."

Xander war begeistert.

"Das ist ja die Idee."

Summer hingegen wirkte enttäuscht.

"Also kommst du nicht auf das Klassentreffen am Ersten?"

"Oh, daran hatte ich ja überhaupt nicht mehr gedacht. Ich werde es wohl nicht schaffen. Ist glaub ich eh besser, wenn ich Sean nicht über den Weg laufe …"

"Na toll, alleine will ich da auch nicht hin."

"Nimm doch Nick mit."

"Zu meinen alten Freunden? Das glaub ich nicht."

"Dann ruf doch einen von denen an."

"Keine Ahnung, wo die sind oder ob die kommen."

Xander schaltete sich ein.

"Jamie fährt über Silvester auch heim. Vom 30. bis zum zweiten hab ich frei. Am dritten haben wir dann aber einen Gig. Mit dem Auto lohnt sich das eher nicht. Aber wenn wir fliegen würden …"

"Sicher? Du weißt, dass Sean vermutlich da ist?"

"Hey, Thanksgiving bist du auch mitgekommen."

"Warten wir mal ab, was Mum so plant."

Am Nachmittag, als Xander bei der Bandprobe war und wir am Strand, klingelte mein Handy und Mum nahm die Einladung an.

"Wir haben uns vorgestellt, am 23. gegen Abend bei dir zu sein und am 28. wieder zurückzufahren. Silvester geben wir nämlich eine Party."

"Das trifft sich gut. Ich würde über Silvester nämlich einen kurzen Abstecher zu euch machen. Summer besteht drauf, dass ich am Ersten mit zum Klassentreffen komme."

"Sean geht hin, das weißt du?"

"Ich hab es vermutet."

"Wie lang habt ihr euch nicht mehr gesehen?"

"Frag das am besten ihn."

"Kommst du alleine?"

"Nein, mindestens mit Gwen und Xander."

"Xander?"

"Du wirst ihn Weihnachten kennenlernen."

"Da bin ich gespannt."

"Summer und Vince sitzen gerade neben mir am Strand."

"Grüß sie schön."

"Mach ich. Also dann sehen wir uns am 23."

"Genau. Mach's gut, Schatz."

"Bye Mum."

"Dein blödes Klassentreffen ist gerettet."

"Danke."

"Wehe wenn du mich da alleine lässt."

"Nimmst du Xander nicht mit?"

"Zu Sean? Bist du irre? Ich würde durchdrehen, wenn die Beiden in einem Raum wären."

"Warum?"

"Du weißt, dass ich im Sommer was mit Sean hatte, oder?"

"Ja, das hab ich mitbekommen. Und?"

"Irgendwie kann es sein, dass er denkt, ich würde … enthaltsam leben, bis er mit dem Studium fertig ist und sich eine Scheidung leisten kann …"

"Was?! Häh, wie willst du das denn machen? Hab ich das richtig verstanden? In zwei Jahren servierst du Xander ab und kommst wieder mit Sean zusammen?"

"Alles wird sich irgendwie fügen. Der Plan ist, einfach nicht drüber nachzudenken, bis es soweit ist. Das wird aber schwierig, mit den Beiden in einem Raum."

"Verdammt, wie kannst du so was machen? Xander ist so toll und über beide Ohren in dich verliebt! Wie kannst du ihn so an der Nase herumführen?!"

"Summer, alles ist irgendwie von selbst so gelaufen, aber du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich Xander niemals anlügen würde. Er kennt die ganze Geschichte und wir haben stillschweigend die Übereinkunft getroffen, einfach alles passieren zu lassen. Er zieht sogar zu mir."

"Aber wie willst du dann ..."

"Einfach nicht planen. Ende. Und jetzt reden wir über was anderes."

Am Mittwoch, nach diversen Arztbesuchen, flogen die Beiden wieder zurück und Xander und ich gingen tatsächlich in ein Fitnessstudio. Am nächsten Tag hatten seine Arme gut zwei Zentimeter mehr Umfang, er war geschockt.

"Krass, warum sieht man das denn gleich so? Aber irgendwie auch cool, oder? Bei dir sieht man nicht wirklich was …"

"Warts ab, wenn ich jetzt wieder dreimal die Woche hingehe."

"Ich glaub einmal die Woche komm ich mit. Irgendwie macht das schon Spaß."

Das Ganze lief darauf hinaus, dass er beinahe jeden Tag ins Studio wollte und mich, so oft ich keine Ausrede fand, mitschleppte.

Eine Woche vor Weihnachten rief Renzo an und erzählte, seine Mutter hätte ihm nahegelegt, Weihnachten lieber nicht nach Hause zu kommen und zu warten, bis sein Vater sich beruhigt hatte, oder noch besser, diese Phase vorbei wäre.

"Glauben die wirklich, ich hätte ihnen davon erzählt, wenn ich der Meinung wäre, dass es nur eine Phase ist? Und überhaupt, mit dieser ganzen Sache wollen die doch nur Druck ausüben, um mich zu bekehren oder so!"

Er war richtig wütend und das natürlich zu Recht. Ich lud ihn für Weihnachten ein und er sagte sofort zu. Bald drauf kam Xander heim und strahlte.

"Du errätst nie, wer gerade angerufen hat!"

"Öhm, Kurt Cobain?"

"Hab ich dir erzählt, dass Tyler mal eine Séance veranstaltet hat, um mit ihm in Kontakt zu treten?"

"Oh Mann. Ich glaub ich will die Geschichte gar nicht hören. Und, wer hat angerufen?"

"Brian. Am 23. spielen sie hier ein Konzert, ein relativ großes und sie wollen uns als Vorband, als eine Art Feuertaufe. Ich hab die Anderen schon angerufen, die sind schon am durchdrehen. Wir werden in den nächsten Tagen wohl viel proben."

"Macht euch nicht verrückt, ihr seid doch schon längst so weit."

"Brian hat gefragt, ob wir noch zusammen sind, so ganz nebenbei. Ich soll dir ausrichten, dass du ihn mal anrufen sollst, wenn du Zeit hast."

"Da bin ich gespannt. Ich ruf ihn gleich mal an."

Er schlug vor, meinen Song mal live zu versuchen, weil sie überlegten, ihn aufs neue Album zu packen, falls ich einverstanden sei.

"Klar, ich klär das noch mit Scott, aber eigentlich spricht nichts dagegen."

"Dann müssen wir uns nur noch was wegen Greg überlegen, er wird dir sicher nicht gern das Mikrophon überlassen. Aber da lass ich mir was einfallen. Um Zwei ist der Soundcheck, aber das weiß Xander ja dann alles."

Wir verabschiedeten uns und ich erzählte Xander, dass wir zusammen auf der Bühne sein würden.

"Live mit Summerskin, irre. Und das alles nur, weil ich mich vor fast fünf Jahren in den Bus gesetzt habe und hierher gekommen bin, um zwei Nächte auf der Straße zu verbringen und mich verprügeln zu lassen. Wer hätte das gedacht?"

Ich rief gleich mal Mum an, um das mit ihrer Ankunft zeitlich abzustimmen. Sie würden so gegen Fünf da sein, das war ideal.

Bis zum 23. sahen wir kaum was von Xander. Abends brachte er nach und nach seine Sachen in die Wohnung, Möbel hatte er ohnehin kaum, da sein Zimmer möbliert war.

Um halb Zwei machte ich mich auf zum Soundcheck, die O–Scars waren schon durch und waren quasi schon wieder auf dem Sprung zu ihrem neuen Probenraum. Um Drei war ich auch fertig und hatte genug böse Blicke von Greg geerntet. Brian erzählte mir, was er sich überlegt hatte.

"Wenn die O–Scars durch sind, hängen wir den Song einfach gleich dran. So muss Greg dir gar nicht erst das Mikro überlassen."

"Okay, von mir aus. Mir ist das echt egal, Hauptsache ich kann mal wieder auf die Bühne."

"Hast du immer noch nichts von Nikki gehört?"

"Nein, aber das ist mir ehrlich gesagt auch lieber so."

"Ich dachte halt, wenn sie sich auch ein bisschen um ihre Kinder kümmern würde, dann könntest du vielleicht wieder einsteigen …"

"Lass das nicht Greg hören."

"Greg ist ein Arsch und er weiß, dass wir das wissen. Er nervt uns alle. Wir haben schon mit Scott drüber gesprochen, er meint, er würde es hinbekommen, dass er verschwindet. Er will sowieso lieber alleine arbeiten. Wir hätten dich echt gern zurück."

"Das wird wohl so schnell nichts. Vielleicht wenn Gwen etwas älter ist und Josh … ich weiß echt nicht, wie das funktionieren sollte."

"Denk drüber nach. Ich meine, wir reden ja nicht von heute oder morgen, aber nach der Tour könnten wir ins Studio gehen, hier in L.A. und dann in einem Jahr vielleicht für ein paar Monate nach Japan und Europa. Ich will nur, dass du drüber nachdenkst. Mit dem Geld könntest du deinen Kindern auch einiges bieten. Spiel mal mit dem Gedanken, ja?"

"Na schön. Wir sehen uns heute Abend."

Zu Hause holte ich Gwen und Josh von Aaron ab und bereitete was zum Abendessen vor. Kurz vor Fünf klingelte es, ich drückte den Türöffner und ging nach unten, um beim Tragen zu helfen. Auf halber Höhe kamen mir schon die Mädchen entgegen.

"Ich musste heute nicht in die Schule und Marie nicht in den Kindergarten! Wo ist Josh?"

"Ganz oben, die Tür ist offen."

Und weg waren sie.

Klaus kam mir mit einer Ladung Gepäck entgegen.

"Schau mal, ob wir da parken bleiben können, deine Mum hat Bedenken."

Mum räumte noch im Auto rum.

"Hey Mum! Ihr könnt da stehen bleiben, das stört hier keinen."

"Jordan! Na komm her."

Ihre Haare waren wieder länger und blond gesträhnt. Das sah gleich wieder viel jünger aus, als sie war.

Nachdem wir das Auto ausgeräumt hatten, aßen wir. Mum wunderte sich darüber, wie groß Gwen schon war und dass sie tatsächlich schon ein paar Wörter sagte. Eines davon war nach wie vor "Sända".

"Ja wo ist denn jetzt Xander?"

"Schon in der Halle. Ihr lernt ihn wohl erst morgen früh kennen."

"Von wegen. Ich komm mit."

"Zum Konzert?"

"Na klar! Ich hab dich noch nie live auf der Bühne gesehen. Ich hab mir sogar ein paar coole Klamotten eingepackt. Wehe du stellst mich als deine Mum vor!"

"Äh … okay …"

"Schau nicht so, schon als ich damals erfahren hab, dass ich schwanger bin, hab ich mir überlegt, wie genial das wird, wenn du 21 bist und ich Mitte 30. Ich hab mir ausgemalt, wie wir miteinander ausgehen und wie cool ich als Mum doch sein würde. Wir waren noch nie zusammen weg, das muss nachgeholt werden."

"Oh–kay, na von mir aus. Das wird bestimmt interessant. Klaus, kommst du mit vier Kindern klar?"

"Na klar. Mach dir mal keine Sorgen. Das ist euer Abend, von langer Hand geplant."

"Ihr hättet mich ruhig vorwarnen können. Naja, ich geh mich dann langsam mal fertig machen."

"Ich mich auch. Was ziehst du an?"

"Komm mit."

Wir gingen die Wendeltreppe hoch und ich zeigte ihr mein Iron Maiden–Shirt und eine dunkle Röhrenjeans.

"Dazu die blauen Converse unten und diversen Krimskrams. Du?"

"Ein Jeansrock und ein schwarzes Oberteil. Was denn für Krimskrams?"

"Ein anderes Piercing, ein Armband, ein Gürtel … das war's eigentlich. Und die Haare mach ich mir noch. Eine Tolle a lá Elvis. Für einen Song hält das vielleicht."

"Wie findest du mich in blond?"

"Sieht frischer aus, jünger möchte ich sagen."

"Dankeschön, dann geh ich mich mal umziehen und schminken."

"Ich komm dann auch gleich."

Als ich umgezogen war, stellte ich mich neben Mum an den großen Spiegel und schminkte ebenfalls meine Augen. Klaus fand das so lustig, dass er Fotos davon schoss. Mum kannte das noch von früher. Als wir fertig waren, staunten die Anderen nicht schlecht. Mum und ich hätten Geschwister sein können.

"Der Rock ist echt verdammt kurz, Carol. Pass gut auf deine Mum auf, Jordan. Wehe du kommst ohne sie heim."

Sie lachte nur.

Im Auto sangen wir zu Guns ‘n' Roses und den Stones. Mum war total ausgelassen. Wir kamen durch den Hintereingang, das Publikum war schon gut drauf, die O–Scars spielten gerade den Song, mit dem sie normalerweise eröffneten. Wir sahen Scott mal kurz an uns vorbei wischen, aber er hatte es wohl eilig und winkte nur kurz. Wir kamen am kalten Buffet vorbei zur Garderobe.

"Ich komm mir vor wie ein Groupie. Das ist so cool."

Ich klopfte und Brian machte auf.

"Hey, da bist du ja."

"Hey Brian, das hier ist meine … [Ellbogen in den Rippen] … das ist Carol."

"Hallo. Schaust du dir heute die Show an?"

"Ich wollte Jordan endlich mal auf der Bühne sehen."

"Kennt ihr euch schon lang?"

"Ewig."

"Kommt rein, die O–Scars haben gerade erst angefangen, wir haben also noch Zeit. Seid ihr Zwei zusammen aufgewachsen oder so?"

"So könnte man es nennen."

Wir unterhielten uns noch ein bisschen, redeten über ein paar Details am Song und machten uns langsam auf den Weg zur Bühne, wo wir den O–Scars noch eine Weile von der Seite aus zuschauten.

"Das da ist Xander."

"Ah. Hübscher Kerl, aber was anderes hatte ich von dir auch nicht erwartet."

Brian meinte nur:

"Ja, Jordan hat einen guten Geschmack. Du kennst sicher Vince?"

"Klar. Und Sean."

"Oh ja. Und Scott läuft hier auch irgendwo rum."

"Den kenn ich nur vom Telefon."

"Da drüben, der mit dem Handy am Ohr. Das ist da glaub ich festgewachsen."

"Ah. Ja, auch nicht übel."

"Alle nicht hässlich, nicht wahr?"

Ich tuschelte verschwörerisch, obwohl eh niemand in der Nähe stand.

"Hast du nicht jemanden ausgelassen, Brian?"

"Ach komm, das zählt nicht."

"Doch doch. Du zählst."

"Ihr Beide, echt?"

"Ach das war nichts weiter."

"Trotzdem zählt es."

"Also Carol, hier von der Seite aus siehst du ja gar nichts. Wenn du willst, kannst du zum Tontechniker, der hat den besten Blick."

"Das wäre klasse."

Er winkte einen Security heran, der Mum rüber brachte.

"Sie ist nett. Wie alt ist sie denn?"

"Was schätzt du denn?"

"Ein bisschen älter als Kev?"

"So in der Richtung, ja."

Langsam konnte ich es nicht mehr erwarten, endlich auf die Bühne zu dürften. Die O–Scars spielten ihren letzten Song, inzwischen alles Eigene. Sie kamen beim Publikum offensichtlich gut an.

"Und jetzt haben wir noch eine kleine Überraschung für euch. Unser Gitarrist Xander hat heute die besondere Ehre, die Bühne mit ein paar tollen Menschen zu teilen. Sagen euch Brian, Mickey, Tom und Tobey etwas?"

Das Publikum tobte. Die 1000 Leute machten Krach wie bei einem Raketenstart.

"Dachte ich mir. Und als besondere Überraschung bringen sie heute mal einen etwas anderen Song. 'Red Snow', geschrieben und gesungen von Jordan Bonanno!"

Ab da blendete ich den Lärm aus, wir liefen auf die Bühne, das Adrenalin jagte durch meinen Körper. Xander spielte die ersten Töne, die Anderen stiegen ein. Da war ich wieder, genau wo ich hingehörte. Und der Song, Xander neben mir, es war einfach alles perfekt. Die Masse sog die Stimmung auf und ging mit. Für einen Moment hatte ich Angst, wie es sein würde, wenn ich die Bühne verlassen musste ohne zu wissen, wann ich die Chance hatte, wieder auf einer zu stehen. Xander spielte sein melancholisches Solo. Ich versuchte Mum zu sehen, aber die Scheinwerfer standen ungünstig. Xander genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, bis ich die nächste Strophe sang. Ich sang über seine schneeweiße Haut und seine flehenden Augen, darüber, wie sehr ich ihm geben wollte, was er brauchte. Irgendwann nahm ich das Mikro aus dem Ständer und trat dicht hinter ihn. Meine Hand fuhr ihm über die Schulter und schob langsam den Ärmel seines Shirts nach oben, während ich die letzten Zeilen sang:

"And so I do what's worst for both of us,

anxious,

I move the blade so slow,

Red Snow."

Die Wunde stach auf seiner weißen Haut dunkelrot hervor, daneben die tätowierte Klinge. Er lehnte sich an mich, während er die letzten Töne spielte. Er zitterte. Lärm brach los, die Leute schrien meinen Namen.

"Danke. Es war toll, mal wieder auf der Bühne zu stehen. Carol, danke dass du heute hier bist. Du hast mir all das überhaupt ermöglicht. Und danke an euch, Jungs, dass ihr mich noch mitspielen lasst. Xander, das war bestimmt nicht unser letzter Song. … Und jetzt einen genialen Abend mit Summerskin!"

Die Jungs hauten rein und Greg nahm mir mit aufgesetztem Lächeln das Mikro aus der Hand.

Neben der Bühne traf ich wieder auf Xander.

"Fuck, das war … Jordan, das war total … heiß. Als du mich berührt hast … ich konnte echt kaum noch weiterspielen."

Andy kam rüber.

"Ihr Beide seid toll zusammen auf der Bühne. Man hat ja förmlich die Funken sprühen sehen!"

Langsam kam ich wieder etwas runter.

"Ich muss dir noch jemanden vorstellen … ah, da kommt sie ja."

Ein Security geleitete Mum wieder neben die Bühne. Als sie mich sah, lief sie auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Ich hob sie hoch und drehte uns einmal im Kreis, um den Schwung abzufangen. Sie lachte ausgelassen, was total ansteckend war. Ich strahlte bestimmt übers ganze Gesicht. Sie startete eine von ihren Küsschenattacken, die ich schon als Kind nicht leiden konnte, aber ich ließ es mir gefallen.

"Du warst so toll, mein Schatz! Deine Stimme, deine Ausstrahlung und der Song! Hast den wirklich du geschrieben?"

"Na klar."

"Ich wusste immer, dass du gut werden würdest, aber so gut! Mein Schatz, du gehörst auf die Bühne!"

Ich schüttelte den Kopf und fügte tatsächlich etwas verbittert hinzu, dass ich mich jetzt schließlich um zwei Kinder kümmern musste. Ihr Blick verwandelte sich von freudig in mitleidvoll. Sie wusste bestimmt gut, wie ich mich fühlte. Dieses hin und her gerissen sein und das schlechte Gewissen. Sie streichelte meine Wange und sagte so was wie: "Alles fügt sich zum Guten. Ganz bestimmt."

Xander schaute sich die ganze Szene etwas verwirrt an. Ich zog ihn in meinen Arm.

"Darf ich dir Carol vorstellen? Du findest eh raus, wer sie ist, also sag ich es gleich. Das ist meine Mum."

"Verarsch mich halt. … Ernsthaft?"

"Oh ja."

"Hallo Xander, schön dich kennenzulernen. Du warst auch toll da oben. Ihr Zwei hattet echt so ein Chemie–Ding am laufen."

"Danke."

"Dann wollen wir dir mal was zu essen suchen, hm?"

"Kaltes Buffet, die Richtung. Die Anderen sind da bestimmt auch schon."

Während die O–Scars sich über alle möglichen Salate und Sandwichs hermachten, sagte Mum mir nochmal, wie stolz sie auf mich sei und fragte mich über Xander aus.

"Und du bist dir sicher, dass ihr nach drei Monaten schon zusammenziehen wollt?"

"Ja, absolut. Er hat im letzten Monat eh fast jede Nacht bei uns verbracht. Josh findet ihn toll, Gwens erstes Wort war "Sända", das sagt ja wohl alles. Und am allerwichtigsten: Ich bin total verrückt nach ihm."

"Ich freu mich für dich, mein Schatz. Du hast echt was geschafft. Und ich bin Backstage bei einem Rock–Konzert. Davon hab ich früher immer geträumt. Als du Zwei warst, war ich mit einer Freundin auf einem Judas Priest Konzert. Wir haben bestimmt zwanzig Minuten auf den Türsteher eingeredet und wollten ihn davon überzeugen, dass ich die Tochter von Glenn Tipton bin, aber es ist am fehlenden englischen Dialekt gescheitert."

"Daran hättet ihr echt denken können."

Mum unterhielt sich eine Weile mit Andy über Schuluniformen und China. Scott rauschte mal wieder an uns vorbei. Ich hielt ihn am Arm fest.

"Halt stopp! Du bekommst ja noch einen Herzinfarkt."

"Ich muss aber …"

"Jetzt wart mal. Du nimmst dir jetzt zwei Minuten Zeit, um meine Mum kennenzulernen und dafür darfst du nachher was auf mich abwälzen, okay?"

"Na gut, du könntest mit Rudi reden wegen der …"

"Ist gebongt. Scott, du bist ja total hyperaktiv. Jetzt beruhige dich. Also, das ist meine Mum, Mum das ist Scott. Ihr habt schon oft telefoniert."

"Ja natürlich. Du hast uns wirklich sehr geholfen, mit Marie. Die Adoption wird am 1.1. rechtsgültig."

"Freut mich, das zu hören. Und, hat sie sich schon gut eingelebt?"

"Als wäre sie nie wo anders gewesen. Die Mädchen sind ein Herz und eine Seele. Wir sind noch bis zum 28. da, ich bin mir sicher, mein Mann würde dir auch gern noch danken."

"Ja, komm doch mal wieder zum Essen vorbei.", schlug ich vor.

"Danke, ich schau mal. Aber ich steck gerade bis zum Hals in Tourvorbereitungskram. Summerskin ist nur Organisationszeug, aber es ist die erste Tour der O–Scars, da steht noch einiges mehr an."

"Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst."

"Okay, darauf komm ich bestimmt zurück. Bei Xander hast du echt gute Arbeit geleistet. Nicht nur, dass ich jetzt keine Bedenken mehr haben muss, ob er die Tour körperlich durchsteht. Er hat durch die Arbeit an deinem Song auch wichtige Erfahrungen gesammelt und zieht die ganze Band mit. Das ist Gold wert."

"Ich hab echt kaum was gemacht. So und was ist jetzt mit Rudi?"

"Er ist heute am Merchandising–Stand und kriegt da was nicht gebacken. Kannst du mal vorbei schauen?"

"Klar. Und du schaltest jetzt mal einen Gang runter, ja?"

"Na gut. Ich will nur noch kurz sehen, ob das mit der Ordnereinteilung jetzt geklappt hat. Wenn wir uns nicht mehr über den Weg laufen, meld ich mich in den nächsten Tagen."

"Na gut. Aber übertreib nicht."

"Keine Sorge."

Er umarmte mich kurz und hetzte weiter. Hatte Xander die Szene gerade tatsächlich missmutig beäugt? Jetzt tat er jedenfalls so, als wäre er nur mit seinem Sandwich beschäftigt.

"Mum, ich muss kurz das am Merchandising–Stand erledigen."

"Ich komm mit. Mal gucken, was es da so gibt."

Während ich mit Rudi ein paar Sachen umräumte und die Preise durchging, fand Mum ein schickes Shirt für Klaus, das er vermutlich nie anziehen würde, und Aufkleber für die Mädchen. Auf den Rückweg fragte sie mich noch ein bisschen über Scott aus, den sie recht attraktiv fand.

"Summerskin hat ihm viel zu verdanken. Die Jungs wissen gar nicht, wie viel. Er hat sich echt ein Bein für uns ausgerissen."

"Wie lang wart ihr zusammen?"

"Ein Jahr. Und dann nach Nikki nochmal kurz. Ich hab von ihm so viel gelernt.

"Und wieso ist es auseinander gegangen?"

"Ach das war kompliziert … vor allem deshalb, weil seine Familie nichts von uns wissen sollte."

"Passiert dir so was öfter?"

"Viel zu oft. Ich hab echt Glück mit dir als Mum, weil ich mich diesbezüglich nie verstellen musste."

"Begeistert war ich trotzdem nicht davon, denn leicht war es bestimmt nicht, bis du dich damit wohl gefühlt hast, oder?"

"Ich selbst hatte eigentlich nie ein Problem damit. Gut, das erste Mal mit Sean hat etwas an meiner Männlichkeit gekratzt, aber ansonsten hatten eigentlich immer nur die Anderen ein Problem damit und das war deren Sache."

"In der Beziehung bist du deinem Vater ähnlich. Der hat auch nie was drauf gegeben, was Andere denken."

"Deshalb hat er uns auch weggeschickt, damit die Nachbarn nicht reden."

"Das waren seine Eltern. Er war damals gerade 16."

"Aber jetzt ist er über 40 und immer noch ein Arsch."

"Wann hast du das letzte Mal mit ihm gesprochen?"

"Das musste ich gar nicht. Ich hab Lorenzo letztens zufällig getroffen. Er kommt morgen Abend auch. Frag ihn, was er von Anthony hält."

"Da bin ich ja mal gespannt."

Kurz vor Mitternacht beendeten Summerskin ihre Show und kamen total fertig von der Bühne. Scott stand schon bereit und schlichtete irgendeine Auseinandersetzung zwischen Tobey und Greg. Die Anderen wünschten uns noch frohe Feiertage und verzogen sich. Sie sahen nicht wirklich zufrieden aus. Xander wurde langsam müde, die letzten Tage hatte er kaum geschlafen, vor lauter Aufregung. Wir verabschiedeten uns.

Auf dem Heimweg schlief Xander auf der Rücksitzbank ein. Mum ließ ihre Eindrücke des Abends noch mal Revue passieren und betonte, wie toll sie es fand, mit mir Zeit zu verbringen und dass wir das irgendwie öfters tun müssten.

Zu Hause machte Klaus der schluchzenden Gwen gerade eine Flasche. Xander nahm sie ihm ab und schon war sie ruhig.

Er meinte fast entschuldigend:

"Sie fremdelt gerade ein bisschen."

Mum schaute mich beeindruckt an, ich zuckte nur die Schultern. Die Mädchen und Josh hatten sich ein Matratzenlager gebaut und schliefen friedlich. Mum und Klaus legten sich im Büro auf die neue Klappcouch und Xander, Gwen und ich gingen nach oben.

Den nächsten Tag verbrachten wir mit Baum schmücken, Brownies backen und heimlich Geschenke einpacken. Ich ertappte Xander ein paar Mal dabei, wie er Marie musterte, die mir wirklich verdammt ähnlich sah. Am frühen Nachmittag fuhr er nochmal für zwei Stunden proben und kam dann wieder zurück, um mit uns das Abendessen vorzubereiten. Klaus ging mit den Mädchen und Josh noch ein bisschen raus. Das war natürlich die Gelegenheit für Mum, doch noch die Schwiegermutter zu spielen und Xander ein wenig zu löchern. Woher er denn käme und wie seine Familie so sei, was er nach dem College vorhatte und so weiter.

"Und Jordan hat deine Familie schon kennengelernt?"

"Ja, Thanksgiving."

"Wie lange wissen sie schon, dass du schwul bist?"

"Eigentlich schon immer. Aber ich hatte jetzt vier Jahre eine Freundin. Scheinbar waren sie der Meinung, dass Jungs nur eine Phase waren. Mein Dad ist alles andere als begeistert, aber das legt sich bestimmt bald wieder. Jordan war auch toll, er hat ihm ziemlich die Meinung gesagt."

Irgendwann kam das Thema auf den Schnitt auf Xander's Arm. Er log sie nicht an und das wusste sie sicher zu schätzen. Er versicherte ihr, dass er diese Angewohnheit hinter sich gelassen hatte und erklärte, dass er sich als Zeichen für diesen Abschluss auch das Tattoo hatte stechen lassen. Kaum waren Klaus und die Kinder zurück, klingelte es auch schon. Ned und Elly hatten einen Berg Geschenke dabei. Endlich konnte ich ihnen Xander vorstellen. Ned überspielte gut sein Erstaunen über Xander's Stil. Ein paar Minuten darauf klingelte auch schon Renzo. Nicht nur Xander und ich, sondern auch Mum begrüßten ihn freudig. Xander gab ihm gleich mal seine Nichte auf den Arm. Bald gab es Essen. Klaus konnte überhaupt nicht glauben, dass der falsche Hase tatsächlich fleischlos war.

"Das ist ja dann ein falscher falscher Hase."

Mum lobte meine Kochkünste, was natürlich das Highlight dieses Abends für mich war. Danach gab es die Brownies, die Josh und Xander gebacken hatten. Und dann waren in Gwens Zimmer, wie durch ein Wunder, auch schon ganz viele Geschenke aufgetaucht. Klaus schoss abermillionen Fotos, während sich die Kinder darüber hermachten. Elly half Gwen dabei, ihre Geschenke auszupacken. Mum kam rüber und hielt mir ein flaches Päckchen hin.

"Das ist für dich."

"Aber wir hatten doch abgemacht, dass nur die Kinder was bekommen."

"Du bist doch mein Kind. Und außerdem ist es nur eine Kleinigkeit. Mach schon auf."

Es waren drei Foto in einem selbst angemalten Rahmen. Das erste zeigte Mum und Dad als Teenager, wie sie mich stolz der Kamera präsentierten. Das Zweite war im Krankenhaus, kurz nach Lauras Geburt, das erste Foto von ihr mit Mum und mir. Und auf dem Dritten hatte ich Gwen auf dem Arm und Marie kitzelte ihr den Bauch.

"Laura hat den Rahmen bemalt."

"Danke. Das ist wirklich ... Danke."

"Du solltest hier echt mehr Bilder aufhängen."

"Ich hab nicht mal eine Kamera."

"Dann musst du dir eine zulegen! Du musst doch dokumentieren, wie meine Enkelin wächst und gedeiht."

Xander schaute mir über die Schulter.

"Ist das Jordan?"

"Ja, da war er fünf Tage alt."

"Und das ist Laura?"

"Genau. Mit ein paar Stunden. Die Beiden sahen fast gleich aus."

"Stimmt. Und da sind deine Haare ja richtig lang."

"Fang nicht schon wieder an, oder du bekommst nie wieder Fotos von mir zu Gesicht. Komm mit."

"Wohin denn?"

"Wirst du schon sehen."

Ich nahm seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.

"Ich hab was für dich."

"Das ist gemein, wir hatten abgemacht, dass …"

"Es ist kein Weihnachtsgeschenk. Hier."

Ich gab ihm die kleine, eingepackte Schachtel.

"Das sieht aber sehr nach einem Weihnachtsgeschenk aus, das ist sogar Weihnachtsgeschenkpapier."

"Das hatte ich eben gerade da. Mach schon auf."

Als das Papier weg war, kam eine gelbe Schmuck–Box zum Vorschein. Er klappte sie auf und starrte auf den silbernen Ring mit der kleinen Gitarre darauf.

"Das ist kein Weihnachtsgeschenk, sondern ein Geschenk zu unserem Vierteljährigen. Ich weiß, es ist erst übermorgen, aber jetzt war einfach der richtige Moment."

Er starrte immer noch in die Schachtel.

"Ein Ring?"

"Keine Sorge, ich mach dir keinen Antrag oder so. Ich hab ihn zufällig gesehen und wusste, dass er an deinen Finger gehört. Ich liebe die Vorstellung, dass du immer etwas an dir trägst, das zeigt, dass du zu mir gehörst."

Endlich lächelte er.

"Das ist eine schöne Vorstellung. Komm schon, steck ihn mir an."

Ich wählte seinen linken Mittelfinger. Der Ring passte wie angegossen.

"Danke."

"Danke dass du ihn trägst."

"Das ist ein schöner Ring und er erinnert mich an viele tolle Dinge. Ich liebe dich, Jordan."

"Und ich liebe dich."

Wir küssten uns innig.

"So und jetzt lass uns gucken, was Josh und Gwen so alles abgestaubt haben."

Josh bekam fast nur Baseball–Equipment, außer von mir. Ich schenkte ihm eine eigene E–Gitarre, die hatte er sich gewünscht. Xander und ich mussten ihm auf meiner alten Akustik–Gitarre ständig neue Griffe zeigen. Und da er auf unseren E–Gitarren nicht alleine üben durfte, bekam er jetzt eben eine eigene und dazu einige Notenbücher. Xander bestand darauf, dass er direkt von Noten, nicht von Tabulaturen, spielte, so wie er früher. Gwen bekam vor allem Stofftiere und rosa Kleidung. Bisher hatte ich darauf geachtet, kein einziges rosa Kleidungsstück für sie zu besitzen. Damit war es nun offensichtlich vorbei. Josh spielte gleich mal ein paar Weihnachtslieder und Xander zeigte ihm, wie er sie etwas rockiger klingen lassen konnte. Gwen hatte sich offensichtlich sofort in ihren neuen Elefanten verliebt und krabbelte mit ihm durch die Gegend. Laura und Marie schminkten sich gegenseitig mit ihrem neuen Schminkkoffer. Mum und Renzo hatten sich nach unten verzogen und redeten. Als ich dazu kam, erzählte er gerade von dem letzten Telefonat, kurz bevor er hierher kam. Er hatte angerufen, um seiner Familie frohe Weihnachten zu wünschen, seine Mutter hatte sich geweigert, es den Anderen auszurichten, um nicht den Frieden zu gefährden. Janet und Joe schauten vorbei und brachten auch nochmal einen Berg Geschenke. Alle versammelten sich im Wohnzimmer und probierten Janets Plätzchen. Gwen schlief irgendwann neben ihrem Elefanten auf dem Boden ein und ich brachte sie nach oben. Die Mädchen schminkten Janet und Josh probierte den Plattenspieler aus, den er von Joe bekommen hatte. Ned und Elly machten sich auf den Weg. Als Laura und Marie herausfanden, dass Janet Piercerin war, wollten sie unbedingt Ohrlöcher. Mum und Klaus waren nicht begeistert davon, aber ich machte Mum darauf aufmerksam, dass sie mir schon mit Vier ein Ohrloch stechen hatte lassen. Daraufhin gab sie sich geschlagen und machte mit Janet ab, am nächsten Tag mit den Mädchen bei ihr vorbei zu schauen. Langsam wurden alle schläfrig. Janet und Joe verabschiedeten sich und ich bot Renzo die Couch an, da er am nächsten Tag eh wieder zum Mittagessen eingeladen war. Schließlich musste neben der europäischen Tradition von "Heilig Abend" auch das amerikanische Weihnachten gefeiert werden.

Im Bett bedankte sich Xander nochmal für den Ring.

"Aber für einen Moment dachte ich echt, du würdest gleich … du weißt schon, auf die Knie gehen oder so."

"Das hat dich ziemlich erschreckt, hm?"

"Ja … ich weiß auch nicht. Versteh das nicht falsch …"

"Xander, ich versteh das nicht falsch. Du bist gerade mal 20 und kommst so gut damit klar, dass ich Kinder habe. Als ich in deinem Alter war, wäre ich deswegen schon total ausgetickt."

"Ich mag die Beiden. Klar muss man auf manche Sachen verzichten, aber andererseits, du weißt schon … gewinnt man auch viel."

"Klar, aber man muss schon große Abstriche machen …"

"Alles okay?"

"Es ist nur, wieder auf der Bühne zu stehen … naja, aber das war wohl vorerst wieder das letzte Mal."

"Es muss echt hart für dich sein. Ich stand das erste Mal vor so vielen Menschen auf der Bühne und könnte mir schon jetzt nicht mehr vorstellen, das wieder aufzugeben. Für dich war es Alltag und plötzlich musst du alleine zwei Kinder großziehen. Das scheint irgendwie nicht fair …"

"Ich liebe die Beiden."

"Das ist doch klar, aber es ist trotzdem verständlich, dass dir die Band fehlt."

"Brian hat mich gebeten, nach der Tour wieder einzusteigen."

"Was? Wann?"

"Gestern."

"Und was hast du gesagt?"

"Dass ich mir nicht vorstellen kann, dass das irgendwie funktionieren könnte, mit den Kindern."

"Und was hat er gesagt?"

"Dass ich darüber nachdenken soll."

"Und, denkst du drüber nach?"

"Ja, drüber nachdenken tu ich schon, aber Hoffnung hab ich keine. Ich meine, die Studioarbeit wäre kein Problem, das ist eh hier in L.A.. Aber was ist, wenn Summerskin auf Tour geht? Im Herbst wollen sie nach Europa und Japan, wie soll ich das denn bewerkstelligen?"

"Sollen wir mal zusammen drüber nachdenken?"

"Klar, aber ohne uns Hoffnungen zu machen, rein hypothetisch."

"Gwen könntest du mitnehmen. Du bräuchtest halt ein Kindermädchen oder so, aber das wäre sicher kein Problem."

"Aber das ständige Reisen und so."

"Ich glaube, ihr ist egal, wo sie ist, Hauptsache du bist da."

"Ich weiß nicht. Und selbst wenn, was ist mit Josh?"

"Es gibt Privatunterricht. Oder er begleitet dich nur in den Ferien und lebt die restliche Zeit bei seinen Großeltern."

"Ich hab ihm versprochen, dass wir zusammen bleiben."

"So eine Tour dauert ja auch nicht ewig. Zwei oder drei Monate."

"Und auch ansonsten müsste ich ja mal eben zum ein oder anderen Pressetermin und so weiter."

"Na und? Andere alleinerziehende Eltern müssen auch arbeiten. Und denk an das Geld, das du verdienen würdest. Davon würden die Beiden auch profitieren. Natürlich ersetzt dich das nicht, aber es ist ein Faktor, oder? Alles in allem gibt es Möglichkeiten. Die Frage ist, wie sehr du es willst."

"Wirklich sehr."

"Dann bekommen wir das hin. Lass es dir nochmal durch den Kopf gehen. Und denk daran, dass ich auch noch da bin."

"Danke, Xander."

"Gern, mein Schatz."

"So hast du mich noch nie genannt."

"Nein, so hab ich noch nie jemanden genannt."

Ich lächelte ihn dankbar an und machte es mir in seinem Arm gemütlich.

"Gute Nacht, … mein Schatz." grinste ich.

"Du machst dich über mich lustig!"

"Nein, ich muss mich nur daran gewöhnen."

"Hat dich noch nie jemand Schatz genannt?"

"Außer meiner Mum niemand, nein. Vince hat mich manchmal 'mein Herz' genannt, aber das ist ja auch schon lange her."

"Ich könnte mich daran gewöhnen, dich so zu nennen."

"Wie? Auch in der Öffentlichkeit?"

"Klar, vor allem da. Ganz laut und vor möglichst vielen Leuten, damit alle wissen, dass du zu mir gehörst."

"Willst du mir nicht lieber einfach auch einen Ring schenken?"

Er knurrte und startete eine Kitzel–Attacke.

Am nächsten Tag gab es schon wieder reichlich Essen und am Nachmittag fuhr Xander zur Bandprobe. Irgendwann klingelte das Telefon. Alice war dran.

"Hallo Jordan. Ist mein Bruder bei dir?"

"Nein, er hat eine Probe, aber sein Handy sollte er bei sich haben. Hast du es da schon probiert?"

"Nein. Jordan, hör zu, es ist was passiert. Unsere Großmutter hat sich nach dem Essen hingelegt und ist einfach nicht mehr aufgewacht. Der Arzt sagt, es war vermutlich eine Art Schlaganfall. Sie ist im Krankenhaus. Es sieht nicht gut aus. Xander sollte kommen."

"Oh … ich … das tut mir leid …"

"Kannst du es ihm sagen? Um Sieben geht ein Flug. Jemand holt ihn oder euch ab."

"Okay, ich kümmere mich um den Rest. Umarme deine Mutter von mir."

"Mach ich. Wir sehen uns heute Abend."

Ich reservierte sofort zwei Tickets für den Flug nach Medfort und sagte meiner Mum Bescheid. Sie erklärte sich gleich bereit, sich bis zum 28. und auch noch länger, falls nötig, um Josh und Gwen zu kümmern. Es war schon fast Vier. Ich redete kurz mit Josh und machte mich auf den Weg zum neuen Probenraum der O–Scars.

Sie spielten gerade einen ihrer fetzigeren Songs und waren total ausgelassen. Ich genoss es noch für ein paar Sekunden, Xander lächeln zu sehen. Er entdeckte mich.

"Schaaatz!"

Mit einem schelmischen Grinsen legte er die Gitarre weg und joggte auf mich zu. Ich küsste ihn und umarmte ihn eine Spur zu lange.

"Ist was passiert?"

"Es ist deine Großmutter. Sie ist im Krankenhaus."

"Aber ich hab doch gestern noch mit ihr gesprochen."

"Sie hatte heute Mittag einen Schlaganfall. Wir sollten hinfliegen."

"Aber sie kommt doch wieder in Ordnung, oder?"

"Ich hab nur sehr kurz mit Alice gesprochen, aber es sieht wohl nicht gut aus. Tut mir leid."

"Aber das … das gibt es doch nicht. Sie hat mir doch gestern noch erzählt, dass ihr Film fertig ist. Das kann doch nicht sein."

"Um Sieben geht unser Flug. Wir sollten nach Hause und ein paar Sachen packen."

"Okay."

Ich erzählte den Anderen, was passiert war und Xander ließ seinen Autoschlüssel bei ihnen. Zu Hause packten wir genügend Klamotten für ein paar Tage zusammen und verabschiedeten uns von den Anderen. Ich würde Gwen das erste Mal so lange alleine lassen müssen. Aber hier war sie momentan einfach besser aufgehoben.

Im Flugzeug rutschte Xander die ganze Zeit auf seinem Sitz hin und her.

"Liebling, davon fliegt das Flugzeug auch nicht schneller. Komm, lass uns Musik hören, ja?"

Ich gab ihm einen Stöpsel und drückte auf Play. Die traurigen Songs übersprangen wir.

Adam holte uns vom Flughafen ab. Im Auto erzählte er, dass Catherine an einem Beatmungsgerät hing. Wir fuhren direkt ins Krankenhaus. Alle waren da. Catherine lag in diesem riesigen Bett, mit einem Dutzend Maschinen die piepten und blinkten. Aus ihrem Mund ragte ein Schlauch. Xander umarmte seine Mutter, die dabei Catherines Hand nicht los ließ. Sie sah so klein aus. Chad ging mit Xander raus. Als sie wieder kamen, hatte Xander Tränen in den Augen. Ich nahm ihn in den Arm, er flüsterte mir zu:

"Die Ärzte wollen die Maschine abschalten. Der Hirnschaden ist zu schlimm. Mum hat schon zugestimmt. Sie haben nur gewartet, bis alle sich verabschieden konnten."

Jeder bekam nochmal ein paar Minuten alleine mit ihr. Dann kam der Oberarzt mit einigen anderen. Xander und Marie blieben im Raum, die Anderen warteten draußen. Ryans Mimik war auffällig versteinert. Er hatte während der ganzen Zeit nichts gesprochen und stand abseits von den Anderen. Ich ging zu ihm rüber.

"Kann ich was für dich tun? Willst du 'ne Cola oder so?"

"Nein."

"Soll ich dich in Ruhe lassen?"

"Nein, bitte bleib hier."

"Okay."

Ich blieb einfach neben ihm an die Wand gelehnt stehen. Nach einer Weile lehnte er seinen Kopf an meine Schulter.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis die Ärzte aus dem Raum kamen und mit Chad sprachen. Adam und er gingen hinein. Cloe und Alice saßen weinend beieinander, Rob schaute ihnen hilflos dabei zu.

"Jetzt ist sie tot, einfach so.", flüsterte Ryan neben mir.

"Tut mir leid, Ryan."

"Das ging viel zu schnell. Beim Essen heute Mittag war ihr nur ein wenig schwindlig, darum hat sie sich hingelegt. Und jetzt ist sie für immer weg."

Ich nahm ihn in den Arm. Er weinte und versuchte dabei, möglichst leise zu sein.

"Schon okay. Wein ruhig. Das ist okay."

Bald wischte er sich über die Augen und atmete tief durch.

"Wollen wir zu deinen Schwestern gehen?"

"Okay."

Ich setzte mich neben Cloe. Sie und Alice konnten scheinbar überhaupt nicht mehr aufhören, zu schluchzen. Ich streichelte Cloe über den Rücken und knetete sanft ihren Nacken. Nach einer Weile wurde das Schluchzen weniger. Ich schickte Ryan Papiertücher aus der Toilette besorgen. Eine Schwester kam und schickte für ein paar Minuten alle aus dem Krankenzimmer. Marie sah schrecklich alt aus. Sie hielt Xander's Hand. Ihr Mann und Adam trottete hinterher. Marie schickte alle nach Hause. Sie wollte über Nacht bei ihrer Mutter bleiben, eine Art Totenwache. Xander bestand darauf, bei ihr zu bleiben. Ich gab ihm einen Stapel Papiertücher, Kaffee und einen Kuss auf die Wange.

"Wenn ich bleiben soll …"

"Fahr mit den Anderen Heim, da kannst du mehr tun als hier. Wir sehen uns dann morgen früh."

Zu Hause übernahm Alice das Kommando. Sie schickte Ryan und Cloe ins Bett und holte eine Liste mit Dingen, die erledigt werden mussten. Catherine hatte scheinbar schon Vorkehrungen getroffen und so reichte ein Fax an den Bestatter und eines an den Pfarrer. Adam und ich saßen noch ein paar Stunden mit der Shisha auf der Terrasse, redeten aber kaum.

Es war seltsam ohne Xander in seinem Zimmer zu schlafen. Irgendwann am Morgen legte er sich zu mir, nur für ein paar Stunden. Um Neun klingelte der Wecker. Am Frühstückstisch trugen alle schwarz. Das Begräbnis würde am 28. stattfinden. Bis dahin gab es für uns eigentlich nicht viel zu tun.

Am Nachmittag kam Xander mit einer DVD aus Catherines Zimmer.

"Ich hab den Film gefunden. Ich denke wir sollten ihn uns alle zusammen anschauen."

Die Familie versammelte sich im Wohnzimmer. Xander schob die DVD in den Player.

Eine Außenaufnahme des Hauses, dann jedes Einzelne der Familienmitglieder, wie er oder sie in die Kamera lächelt oder winkt, gefolgt von chronologisch geordneten Fotos von der Geburt an. Im Hintergrund: Gitarrenmusik.

Dann flimmerte ein altes Video von Maries und Chads Hochzeit über den Bildschirm. Der Eröffnungswalzer.

'Damals' erschien auf dem Bildschirm, dann wurde es kurz dunkel und es erschien 'Heute'.

Die Beiden, wie sie in der Küche tanzen und sich küssen. Ein "Wääääh!" ging durchs Publikum. Marie und Chad lächelten sich nur verliebt an. Wie in einem Stummfilm erschien weiße Schrift auf einem dunklen Bildschirm. 'Manche Dinge ändern sich nie.'

Die Musik wurde noch schnulziger und man sah Alice und Rob, wie sie auf ihrer Hochzeit strahlten und weiße Tauben fliegen ließen. Es war schon echt kitschig.

Wieder erschien ein 'Damals' und ein 'Heute'.

Die Beiden auf dem Weg zum Wagen, sie hatten offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit. Alle lachten.

'Andere Dinge ändern sich zum Glück schon.'

Dann sah man ein Foto von Adam mit vielleicht 13 Jahren, wie er dem kleinen Ryan einen Ball wegnimmt.

Heute:

Ein Video der Beiden in der Auffahrt beim Körbe werfen, Ryan spielt Adam geschickt aus und punktete.

'Manchmal wäre es uns vielleicht lieber, die Dinge blieben beim Alten.'

Dann sah man Xander, ich schätzte ihn auf 15, er saß im Schatten einer Weide auf einer Bank, hatte die Arme um seine Beine geschlungen und stierte traurig ins Leere.

'Aber manchmal können wir es gar nicht erwarten, dass alles anders wird.'

Ein Video von Xander und mir, wie wir zu Highway to Hell durch den Garten hüpfen und Luftgitarre spielen.

"Ich hab gar nicht gemerkt, dass sie das gefilmt hat, oh mein Gott!"

Cloe, mit schätzungsweise Fünf, in einem viel zu großen, weißen Hemd mit Farbtupfern und einem Pinsel in der Hand.

'Veränderung bedeutet nicht immer Weiterentwicklung.'

Cloe, vor kurzem mit ihrer Staffelei im Garten, in einem mit Farbflecken übersätem Hemd, sie packt die Leinwand und wirft sie frustriert in die Büsche.

"Lacht nicht! Das war eine echte Schaffenskrise."

Dann sah man den kleinen Ryan beim Versuch des Ausblasens seiner ersten Geburtstagskerze und wie im Zeitraffer ein Foto von jedem Geburtstag bisher. Das letzte war ein Video von ihm, beim Ausblasen von 14 Kerzen und wie er dem Mädchen neben sich einen Kuss auf die Wange gibt.

'Manchmal kommt es einem aber auch nur so vor und in Wahrheit ist man längst nicht mehr der Selbe.'

Der Bildschirm wurde kurz dunkel, dann flackerte doch nochmal etwas auf. Man hörte Catherines Stimme.

'Chad'

Man sah Fotos von ihm, mit jedem seiner Kinder, als er sie gerade durch die Haustür trug, frisch aus dem Krankenhaus.

'Danke, dass du mir fünf wunderbare Enkel geschenkt hast.'

'Rob'

Ein Video, wie er und Alice am Esstisch auf irgendwelchen Landkarten rumdeuteten und sich voller Vorfreude küssen.

'Danke, dass du meiner Enkelin ein unabhängiges und freies Leben ermöglichst.'

'Und Jordan'

Ich war wie vom Donner gerührt. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Das Video von Gwens ersten Schritten und wie Xander und ich uns darüber freuen.

'Danke für meine erste Urenkelin.'

Mir schossen sofort die Tränen in die Augen. Xander nahm mich in den Arm. Man hörte immer noch Catherines Stimme.

'Das war mein erstes Filmprojekt, mit dem Titel 'Veränderung'. Ich danke meiner Familie, dass sie mal mehr, mal weniger freiwillig, ein Teil davon war. Auf Wiedersehen."

Der Abspann rollte über den Bildschirm. Sang da tatsächlich Catherine?

"When I was just a little girl
I asked my mother what would I be
Will I be pretty, will I be rich
Here's what she said to me

Que sera, sera
What ever will be, will be
The futures not ours to see
Que sera, sera

[ … ]

Now I have children of my own
They ask their mother what will I be
Will I be handsome will I be rich
I tell them tenderly

Que sera, sera
What ever will be, will be
The futures not ours to see
Que sera, sera

(Doris Day – Que sera sera ***)

Marie stand auf und verließ den Raum. Chad ging hinter ihr her. Alice und Rob hielten sich eng umschlungen. Wenn nicht das Telefon geklingelt hätte, wären wir wahrscheinlich noch ewig dagesessen und hätten auf den schwarzen Bildschirm gestarrt.

Die nächsten zwei Tage vergingen sehr langsam. Ich rief morgens und abends zu Hause an, Mum versicherte mir, alles sei okay. Am 28. würde die Beisetzung stattfinden. Catherines Schwester und andere Verwandte und Freunde kamen am Vorabend von überall her und blieben im Bed&Breakfast. Unter anderem ein älterer Mann mit Seidentuch im Kragen. Er beäugte Xander und mich während des Abendessens neugierig, obwohl wir nur ganz normal nebeneinander saßen. Nach dem Abendessen half Xander seinen Geschwistern dabei, die Zimmer fertig zu machen. Ich räumte mit Marie den Tisch ab. Der Mann blieb auffällig lange sitzen, bis nur noch er und ich da waren.

"Setz dich zu mir, Junge."

"Ehm … okay."

"Darf ich dich etwas fragen?"

"Klar."

Er flüsterte.

"Seid du und Xander … du weißt schon."

"Ja, sind wir."

"Ah, dachte ich es doch. Keine Sorge, ich werde es nicht weitersagen."

"Das weiß ich zu schätzen, aber eigentlich ist das kein Geheimnis. Xander's Familie weiß Bescheid."

"Tatsächlich? Die Zeiten haben sich ganz schön geändert, seit ich jung war, da komm ich nicht mehr mit."

Xander kam herein.

"Hey Schatz, weißt du, was mir aufgefallen ist? Wir haben gestern unseren Monatstag vergessen."

"Oh, ja stimmt. Gut dass du dein Geschenk schon bekommen hast."

"Aber du deines noch nicht. Darf ich ihn dir kurz entführen, Martin?"

"Natürlich, nur zu. Ich denke, ich geh jetzt nach oben."

Xander nahm meine Hand und führte mich in sein Zimmer.

"Hier."

Er gab mir ebenfalls eine kleine Schmuckschachtel. Ich schaute ihn fragend an.

"Nein, kein Ring. Mach schon auf."

Es war ein Zungenpiercing, die Kugel sah aus wie die schwarze Acht beim Billard, nur dass da statt der Acht ein X war.

"Ich hab das schon vor Weihnachten gekauft. Wir hatten wohl eine ähnliche Idee. Ich wollte auch, dass du immer etwas bei dir hast, das zeigt, dass du zu mir gehörst. Außerdem ist das Plastik schonender für die Zähne."

"Danke. Ich find es toll. Ich tu es gleich rein."

Danach weihten wir es mit einem langen Kuss ein … dann gingen wir auf die Terrasse, wo nicht nur Adam und Cloe, sondern auch ein paar Andere um die Shisha saßen. Lauter junge Verwandte und Bekannte.

Nach einer Weile, ich holte mir drinnen gerade was zu trinken, klingelte es. Ich machte auf. Da stand Tyler, ich erkannte sie sofort. Die schwarzen, hinten abrasierten Haare, die rot geschminkten Augen, die Narben auf den dünnen Armen.

"Hey, ich bin von nebenan. Ist Xander da?"

"Er sitzt mit ein paar Anderen auf der Terrasse."

Mit einer Geste forderte ich sie auf, reinzukommen. Sie zögerte erst, dann wagte sie es doch.

"Und du bist Cloes Freund, oder wie?"

"Nicht wirklich, nein."

Sie schaute durch das große Fenster auf die Terrasse.

"Ganz schön viele Leute hier."

"Wegen der Beerdigung morgen."

"Klar."

Sie dackelte hinter mir her, auf die Terrasse.

"Wo ist denn Xander hin?"

"Andy hat angerufen, er ist hoch, wegen irgendwas, dass er ihr vorlesen muss oder so. Tyler!"

"Hallo Cloe. Naja, dann warte ich wohl drinnen auf ihn."

Und schon war sie wieder durch die Tür. Rein intuitiv ging ich ihr nach.

"Schon gut, ich setz mich einfach solang auf die Couch."

Mir fiel auf, dass sie womöglich ganz hübsch wäre, ohne diese obskure Aufmachung.

"Warum wartest du nicht draußen bei den Anderen?"

"Xander's Geschwister können mich nicht besonders leiden."

"Warum?"

"Ist das nicht offensichtlich?"

"Du hast echt viele Narben …"

"Ich heile schlecht. Was ist das für eine Narbe in deiner Armbeuge?"

"Das sieht man doch kaum noch."

"Ich hab einen Blick für Narben."

"Da hatte ich vor ein paar Jahren eine ziemlich hässliche Entzündung."

"Was hat sich entzündet? Ein Einstich?"

"Ja …"

"Heroin?"

"Sag mal, wie zum …"

"Ein Schuss ins Blaue. Ich hab also Recht."

"Das ist lange her."

"Das mag ich an Narben. Sie erinnern uns an die schlechteren Zeiten."

"Warum soll ich mich denn daran erinnern wollen?"

"Damit du erkennst, dass gerade eine gute Zeit ist."

"Sehr tiefsinnig."

Xander kam die Treppe runter.

"Tyler!? Was zur … was machst du denn hier?"

"Ich hab erst vorhin das mit deiner Großmutter erfahren. Wie geht's dir?"

"Verstehe, du hoffst, es ginge mir total mies und ich würde mich wieder auf deine Spielchen einlassen. Aber das ist vorbei, Tyler. Ich bin damit durch. Und ich werde die Trauer um meine Großmutter nicht als Vorwand nehmen, um wieder irgendwas mit dir anzufangen."

Ich hatte fast ein bisschen Mitleid mit ihr.

"Ich … ich wollte nur eine Freundin sein."

"Ich bin versorgt, danke."

"Okay, dann geh ich einfach wieder."

Wie ein geprügelter Hund schlich sie zur Haustür. Ich deutete Xander an, er könne sie so doch nicht gehen lassen. Er zuckte nur die Schultern. Sie schloss hinter sich die Haustür.

"Bist du irre, sie geht jetzt sicher und schneidet sich."

"Ich bin nicht mehr für sie verantwortlich. Ich kann mich gerade echt nicht mit ihr auseinandersetzen."

"Wie du meinst, aber irgendwer muss es tun."

So kam es, dass ich ihr hinterher ging. Sie saß unter einer Straßenlaterne, ein Stück die Straße hoch.

"Hey, bist du irre? Du kannst dich bei dem Licht doch nicht schneiden! Du siehst doch gar nichts."

"Was willst du?"

"Gib mir das Messer."

"Und wenn nicht?"

"Dann geh ich zurück ins Haus und rufe einen Notarzt."

"Na gut, ich pack es weg, okay?"

Sie legte es in ein Ledermäppchen, das sie einsteckte.

"Du hättest dir hier im Halbdunkeln vermutlich versehentlich die Pulsadern durchgeschnitten oder so."

"Glaubst du, ich weiß nicht, wo meine großen Blutgefäße sind? Ich bin doch keine Anfängerin."

"Ja, das hat man Thanksgiving ja gemerkt. Xander wäre fast verblutet."

"Erstens ist das Schwachsinn, ich hatte alles im Griff und zweitens hab ich ihm das Risiko vorher erklärt und er wollte es trotzdem."

"Was? Wovon redest du?"

"Was denkst du denn, wovon ich red? Er wollte den Kick, ich hab ihn ihm gegeben. Warst du schon mal Blut spenden? Kennst du dieses reinigende Gefühl, wenn all das alte Blut aus dir draußen ist? Es macht einen fast high."

"Das war also eine Art Aderlass? Ihr hattet das so abgesprochen?"

"Klar. Glaubst du, ich schneide versehentlich so tief an einer Stelle, die so gut blutet?"

"Das ist ja echt krank!"

"Es ist auf jeden Fall natürlicher, als sich Gift in die Venen zu spritzen, so wie du."

"Das war auch ziemlich krank, ja. Deshalb lass ich das ja auch seit fast vier Jahren bleiben."

"Und trotzdem verraten die Narben noch, wie heuchlerisch du bist, wenn du uns als krank bezeichnest."

"Ich hab eben dazugelernt."

"Ich glaube, du hast einfach nur Angst bekommen und klammerst dich jetzt an deinem armseligen Leben fest."

"Und ich glaube, du hast keine Ahnung, wie viel besser mein Leben jetzt ist, als es mit den Drogen war."

"Das nennst du Leben? Du hast das Paradies gesehen und musst jetzt wieder mit der Realität fertig werden. Das müssen Höllenqualen sein."

Ich spürte tief drinnen den Stachel der Wahrheit.

"Du hast doch keine Ahnung."

Ich stand auf und ging Richtung Haus zurück.

"Ich kann dir helfen, wenigstens wieder einen Geschmack vom Paradies zu bekommen, ganz ohne Drogen. Na, was sagst du?"

Ich blieb stehen, ohne es eigentlich zu wollen.

"Wusste ich es doch. Na komm, wir gehen zu mir und ich zeig dir das Paradies. Wenn du erst mal einen halben Liter Gift weniger in dir hast …"

Sie kam immer näher.

" … und ich dir dann einen blase …"

Jetzt war sie nur noch einen Meter weg.

" … dann wirst du dich fühlen wie auf Heroin."

Ihre langen schwarzen Nägel fuhren über meine Brust und tiefer, über meinen Bauch.

"Na, was sagst du?"

"Ich kann nicht."

"Hast du Angst?"

"Klar. Ich vertrau dir nicht."

"Oh, vertrau mir. Ich weiß was ich tue."

"Ich geh jetzt …"

"Komm schon. Wie ist dein Name?"

"Warum?"

"Du weißt über Thanksgiving Bescheid."

"Nur über den Zwischenfall mit dem vielen Blut."

"Weißt du, dass Xander und ich zusammen sind?"

"Meinst du nicht zusammen waren?"

"Also weißt du doch mehr, als du vorgibst."

"Ich weiß, dass deine Hände da nichts zu suchen haben."

Ich machte einen Schritt zurück.

"Wer bist du?"

"Werden wir jetzt philosophisch?"

"Du lenkst ab. Das ist ja interessant."

Ich ging weiter Richtung Auffahrt. Die Frau war echt Furcht einflößend. Sie stellte sich vor mich.

"Du bist nicht zufällig Sänger, oder?"

Ich blieb gezwungenermaßen stehen.

"Warum fragst du?"

"Du weißt, warum ich frage."

"Nein, eigentlich weiß ich das echt nicht. Ich weiß nämlich nicht, wie viel du weißt."

"Ich weiß, dass Xander mit mir Schluss gemacht hat, weil er den Sänger wiedergetroffen hat."

"Und mehr weißt du nicht?"

"Jetzt schon. Jetzt weiß ich, dass er den Sänger nicht nur wiedergetroffen hat, sondern auch mit ihm zusammen ist und dass er ihn mit nach Hause gebracht hat."

"Das ist doch wieder ein Schuss ins blaue. Du weißt gar nichts."

"Ach wirklich? Was machst du beruflich?"

"Ich bin Musiker."

"Und das soll Zufall sein? Leg doch endlich die Karten auf den Tisch. Seid ihr zusammen?"

"Red mit Xander. Mich geht das Ganze nichts an."

Ich setzte mich wieder in Bewegung, diesmal wich sie aus. Sie rief mir noch hinterher:

"Frag Xander doch mal, ob er dich nicht dazu bitten will, wenn wir das nächste Mal ficken."

Ich drehte mich nicht mehr um sondern zeigte ihr nur noch den Mittelfinger.

Xander war wieder bei den Anderen auf der Terrasse.

"Wir müssen reden."

Er folgte mir nach drinnen.

"Was ist denn? Was war mit Tyler?"

"Das auf der Bank war Absicht!"

"Hat sie dir das erzählt?"

"Willst du es leugnen?"

Immerhin log er nicht, sondern schwieg einfach.

"Die Frau ist echt total irre!"

"Ich weiß."

"Wie konntest du nur mit ihr zusammen sein?"

"Das ist kompliziert. Hat sie rausgefunden, wer du bist?

"So ziemlich, ja."

"Gut. Vielleicht lässt sie mich dann jetzt endlich in Ruhe. Sie hat schon ein paar mal angerufen. Mittlerweile leg ich einfach auf. Sie ist total besessen."

"Sie hat mich angemacht."

"Wahrscheinlich hat sie schon geahnt, wer du bist und hat so versucht, zwischen uns zu kommen. Vergiss einfach alles, was sie dir erzählt hat. Sie ist echt boshaft."

"Können wir schlafen gehen?"

"Klar, gehen wir schlafen."

Die Beisetzung war um 10 Uhr Morgens, danach gab es für die Familie und enge Freunde, ungefähr 30 Leute, im Bed&Breakfast Mittagessen. Als der größte Trubel vorbei war, nahm ich Xander zur Seite.

"Wir sollten langsam drüber reden, wie lange wir noch bleiben."

"Ich würde gerne bis zum Zweiten hier bleiben. Solange macht die Band ja eh Pause. Aber ich weiß, dass du Gwen nicht so lange allein lassen kannst. Deine Mum muss ja auch wieder zurück."

"Aber ich will dich hier auch nicht alleine lassen. Mum hat vorgeschlagen, Gwen und Josh mit nach Phoenix zu nehmen. Sie würden dann eben mit zwei Autos fahren. Wir könnten am Ersten dort hin fliegen und von da aus mit dem Auto wieder zurückfahren. Dann müsste ich Summer auch nicht absagen, wegen dem Klassentreffen."

"Aber es ist Gwens erstes Silvester."

"Ich hatte doch Thanksgiving und Weihnachten mit ihr, das ist schon okay."

"Würdest du das echt für mich tun? Mir wäre wirklich wohler, wenn wir zusammen bleiben würden."

"Klar. Das funktioniert doch perfekt. Dann buche ich die Flüge am Ersten nachmittags."

Nach dem Abendessen wollte ich gerade in die Küche, hörte aber gerade noch, dass Xander da drinnen eine Auseinandersetzung mit seiner Mutter zu haben schien.

"Du könntest doch wenigstens bis Heiligdreikönig bleiben. Adam bleibt auch. Du hast doch noch bis dahin frei."

"Hier gibt es doch nichts mehr für mich zu tun und ich muss zurück zur Band."

"Ach bitte, die werden doch verstehen, dass du noch eine Woche länger bleibst."

"Nicht so kurz vor der Tour. Und selbst wenn, wir können doch Gwen nicht so lange alleine lassen."

"Wir? Xander, du hast doch nichts mit dem Kind zu tun!"

"Ich bin mit Jordan zusammen und wohne dort, Mum. Gwen ist wie meine eigene Tochter, ich hab Verantwortung für sie."

"Nein, Xander! Nicht mit 20 Jahren und nicht, wo du Jordan erst ein paar Monate kennst! Du hast genauso wenig Pflichten, wie du Rechte hast."

Ich hatte genug gehört und ging wieder zurück zum Esstisch. Dort saß nur noch dieser Martin.

"Alles in Ordnung, Jordan?"

"Ja klar."

"Leistest du mir ein wenig Gesellschaft?"

Ich setzte mich zu ihm. Er bot mir eine Zigarette an.

"Nein danke, ich versuche, nicht zu rauchen."

"Sehr vernünftig. Ich hab das in den 60ern auch mal versucht, aber es ist mir bis heute nicht gelungen."

"Woher kannten sie Catherine, Mr. …"

"Oh bitte, nenn mich Martin. Wir haben oft zusammen gearbeitet. Sie war Sängerin, ich Pianist. Wir waren Beide keine Koryphäen, aber schlecht waren wir auch nicht. In den 70ern habe ich in L.A. mein eigenes Studio aufgemacht, damit habe ich ganz gut verdient."

"Sie leben in L.A.? Xander und ich auch."

"Ah, natürlich. Catherine hat mir geschrieben, dass ihr Lieblingsenkel ebenfalls Musiker werden will. Die Gitarre ist sein Instrument, richtig?"

"Genau. Er hat eine Band, die O–Scars. Sie gehen demnächst auf Tour."

"Tatsächlich? Von welchem Größenverhältnis reden wir denn?"

"Hallen die so zwischen 500 und 2000 Menschen fassen. Allerdings nicht als Headliner, nur als Vorgruppe. Aber es ist ein Anfang."

"Wer ist Headliner?"

"Summerskin. Sie spielen so …"

"Kenn ich. Überrascht? Ich bin vielleicht seit zehn Jahren im Ruhestand, aber soweit reicht es dann doch noch."

"Ich dachte nur nicht, dass das so ihre Musikrichtung ist."

"Aber die meiner Nichte. Sie hat das Studio übernommen und hält mich einigermaßen auf dem neuesten Stand. Es gibt viele Gerüchte um die Band."

"Tatsächlich? Welche denn?"

"Dass es sie nicht mehr lange geben wird, da es … künstlerische Differenzen zwischen dem Sänger und dem Rest der Band gibt."

"Dann suchen sie sich eben einen neuen Sänger. Der ist eh gerade mal seit einem Jahr dabei."

"Da weißt du mehr als ich. Jedenfalls ist so eine Trennung vom Sänger nicht ganz unproblematisch. Er ist nun mal das Gesicht der Band."

"Sie haben es ja schon mal geschafft."

"Dir scheint ja viel am Schicksal der Band zu liegen. Bist du ein Fan?"

"Nicht direkt. Ich war bis vor einem Jahr der Sänger."

"Wirklich? Und was ist dann passiert?"

"Meine Tochter wurde geboren, meine Freundin ist abgehauen, Ende der Karriere."

Ich erzählte ihm die ganze Geschichte und auch, dass die Band mich wieder als Sänger wolle.

"Viele Künstler nehmen ihre Familie mit auf Tour. Das ist doch kein Problem. Die Kinder bekommen Privatunterricht und Kindermädchen. Klar kann das ab und an anstrengend sein, aber denk mal an Zirkusfamilien, die machen das ein Leben lang."

"Ich weiß nicht, ich hätte das Gefühl, egoistisch zu sein und meinen Kindern ein Leben aufzuzwingen, das nicht gut für sie ist."

"Wer sagt denn das?! Überleg mal, was für Möglichkeiten sie dadurch bekommen! Sie sehen die Welt, machen Erfahrungen, die sie sonst nie gemacht hätten und das Geld ist auch nicht zu verachten. Also ich würde keine Sekunde zögern."

"Ich weiß nicht … und was wäre mit Xander? Ich würde ihn vermutlich kaum noch sehen …"

"Er würde das sicher verstehen. Er ist ja selbst Musiker."

"Ja schon … aber er ist noch so jung. Ich müsste ihn schon auch mit einspannen …"

"Dazu sind Partner doch da. Entweder du hältst ihn für reif genug, mit dir eine Beziehung zu führen, mit allem was nun mal dazu gehört, oder das Ganze ist nur eine Affäre, die dir das Leben bloß zusätzlich schwer macht. Wie ist es, Jordan? Du solltest Nägel mit Köpfen machen."

"Ich weiß, es ist an der Zeit dazu, aber ich hab ehrlich gesagt Angst davor, was dabei raus kommt."

"Natürlich, das ist ganz klar. Aber du musst wissen, ob du auf ihn zählen kannst, bevor du wieder eine Verpflichtung bei deiner Band eingehst."

"Ich weiß …"

Xander kam aus der Küche.

"Na ihr Beiden. Was guckt ihr denn so komisch?"

"Was hattest du denn mit deiner Mum zu besprechen?"

"Du hast es also gehört …"

"Sie macht sich Sorgen um dich, das versteh ich. Und sie hat Recht. Warum solltest du deine Pflichten erfüllen, wenn du keine Rechte hast?"

"Weil es eben nur so funktioniert und ich bin total zufrieden damit."

"Ja, noch, weil ich dich schone."

"Darum habe ich nicht gebeten, Jordan."

"Nein, aber ansonsten wärst du vermutlich schon lang weg."

"Das ist nicht fair. Ich hab dir keinen Anlass gegeben, das zu denken."

"Du hast Recht, tut mir leid. Es ist nur … in nächster Zeit stehen ein paar große Entscheidungen an und ich muss wissen woran ich bin …"

"Du ziehst mittlerweile in Betracht, doch wieder zu Summerskin zu gehen, oder?"

"Ja, unter anderem das."

Martin stand auf.

"Xander, setz dich. Ich geh deiner Mutter in der Küche zur Hand."

"Danke. … Also, unter anderem? Was denn noch?"

"Das Klassentreffen."

"Sean also. Und was erwartest du?"

"Soll ich ihm von uns erzählen?"

"Das fragst du mich?"

"Ja, das frag ich dich. Soll ich meine Hintertür für immer zumachen?"

"Ich hab mit Tyler Schluss gemacht."

"Aber nicht nur wegen mir. Das ist was anderes."

"Vielleicht. Was willst du denn von mir hören, Jordan? Du weißt, dass ich dich und die Kinder über alles liebe und mir ein Leben ohne euch nicht mehr vorstellen kann. Ich hab dir auch schon gesagt, dass ich nicht vorhabe, dich in zwei Jahren kampflos aufzugeben. Was erwartest du denn noch? Eine Garantie? Einen Trauschein? Was denn?"

"Nein … ich weiß auch nicht. Du bist nur so …"

"Jung? Ja, daran kann ich nichts ändern. Aber du kannst auf mich zählen, wenn du dich dazu entschließt, wieder zu Summerskin zu gehen. Ich kann zum Beispiel auch mal eine Zeit lang alleine für die Beiden sorgen, wenn ich in L.A. bin und du nicht. Das trau ich mir zu. Wir kriegen das hin. Ich finde, du solltest wieder zur Band. Und was Sean betrifft: Dazu werde ich nichts sagen, es ist deine Entscheidung, so wie das mit Tyler meine Entscheidung war."

"Okay …"

"Du wirkst noch nicht sonderlich überzeugt …"

Er nahm meine Hand.

"Jordan, ich empfinde das Gleiche für dich, wie du für mich. In den letzten drei Monaten hab ich das erste Mal wirklich ich selbst sein können. Du hast mir so ziemlich alles über dich erzählt und bist für mich einfach perfekt. Ich kann mir nichts vorstellen, was uns auseinander bringen könnte, deshalb könnte ich mir gut vorstellen, für immer mit dir zusammen zu sein, es fühlt sich einfach richtig an. Du bist der eine Mensch für mich."

Ich spürte, dass er jedes Wort davon auch so meinte. Mein Herz hüpfte, mein Bauch kribbelte, meine Stimme zitterte.

"Danke Xander. Ich … ich kann gar nichts sagen …"

Er nahm mich in den Arm.

Als ich ihm in dieser Nacht beim einschlafen zusah, war er nicht mehr nur mein Freund. Er war mein Lebenspartner, der nie wieder weggehen würde und das war ein großartiges Gefühl.

Am nächsten Morgen wachten wir fast gleichzeitig auf und redeten lange darüber, wie wohl alles weitergehen würde.

Martin verabschiedete sich, gab mir die Adresse seines Studios und nahm mir das Versprechen ab, mal dort vorbeizuschauen.

Die nächsten beiden Tage pendelte Xander zwischen Wolke Sieben und der Trauer um Catherine. Wir genossen Beide die kinderlose Zeit, konnten es aber abends kaum erwarten, mit Josh zu telefonieren. Marie begann damit, Catherines Zimmer auszuräumen. Xander bekam die Digitalkamera, Cloe die Spiegelreflex. Marie legte die Fotoalben auf den Wohnzimmertisch und alle blätterten mal darin herum.

Silvester wurde natürlich nicht groß gefeiert. Die Familie saß im Wohnzimmer beisammen, Marie erzählte Geschichten von ihrer Mutter. Xander kuschelte sich an mich, etwas, das er vor seinem Vater bisher vermieden hatte. Sein Vater schaute grimmig rüber.

"Gewöhn dich dran, Dad."

Er holte Luft, als würde er gleich losbrüllen. Marie legte ihm besänftigend die Hand aufs Knie.

"Nicht heute Abend, ja Chad?"

Adam brachte uns am nächsten Tag zum Flughafen. Im Flugzeug wurde ich langsam nervös.

"Was ist los, Schatz?"

"Ich hab nur Angst davor, Sean wiederzusehen, du weißt schon …"

"Ja, ich kann es mir vorstellen. Willst du drüber reden oder Musik hören?"

"Musik hören."

"Na gut, hier."

Klaus holte uns ab. Josh kam uns schon an der Haustüre entgegengelaufen und hatte viel zu erzählen. Drinnen konnte ich Gwen endlich wieder auf den Arm nehmen, sie lachte mich an. Ich dankte Mum und Klaus tausendmal für ihre Hilfe. Sie erzählten, Renzo sei fast jeden Tag zum Essen bei ihnen gewesen und auch Scott habe mal vorbei geschaut. Nach dem Abendessen setzten Xander und ich uns noch eine Weile in den Garten und schauten Gwen bei ihren Gehversuchen zu.

"Das Haus ist echt schön. Und das ist wohl das Vordach, über das man in dein Zimmer kommt, hm?"

"Ich hab dir echt zu viel erzählt."

"In ein paar Jahren wird sich Marie darüber freuen."

"Eher in ein paar Jahrzehnten."

"Klar. Mach dir nur was vor. In acht Jahren ist sie ein Teenager. Denk mal dran, wie du mit 13 warst."

"Lieber nicht."

"Und Josh wird bald 11."

"Schluss damit. Wenn du mich damit von heute Abend ablenken wolltest, ist es dir gelungen. Ich muss mich langsam fertig machen, in einer halben Stunde kommt Summer."

"Ich bleib mit Gwen noch ein bisschen hier …"

"Mach dir keine Sorgen."

"Mach ich mir nicht."

"Lügner."

"Geh schon."

"Na gut."

Ich entschied mich dafür, mich anzuziehen wie immer. Jeans, Bandshirt, Converse. Das dauerte natürlich keine fünf Minuten.

"Was, schon fertig? So willst du gehen? Komm schon, du bist ein großer Rockstar und gehst auf ein Klassentreffen. Hol wenigstens noch deinen Nietengürtel und lackiere dir die Daumennägel oder so. Und die Haare, mach 'ne Tolle."

"Du mit deiner Tolle …"

"Die steht dir halt. Und wie kalt wird es hier nachts so? Nimmst du deine Lederjacke mit?"

"Klar."

"Immerhin … okay, wenn du das dann alles gemacht hast, lass ich dich gehen."

"Na schön, aber auf Nagellack hab ich heute echt keinen Bock."

"Ich besteh nur auf die Tolle."

"Okay, okay …"

Kurz nach Acht klingelte Summer. Gwen schlief schon, Xander wünschte mir einen schönen Abend und schon waren wir auf dem Weg.

"Coole Klamotten, fast wie früher." lobte ich sie.

"Coole Frisur."

"Danke."

"Nervös?"

"Mächtig."

"Ich auch."

"Wieso bist du denn nervös?"

"Ich hab Angst, dass ich geworden bin wie die."

"Wer die?"

"Die Anderen, du weißt schon, die die ich immer verachtet habe."

"Niemals!"

"Ach komm, genau das hast du doch damals gedacht, als wir uns auf Vinces Hochzeit gesehen haben."

"Das waren doch nur Äußerlichkeiten. Innen bist du immer noch meine Summer. Lass mich heute Abend bloß nicht im Stich."

"Wollen wir allen erzählen, dass wir mittlerweile miteinander verheiratet sind oder so?"

"Klar und fünf Kinder haben."

"Was wir zusammen schon fast hinbekommen. Deine drei und mein eines …"

"Es hat also geklappt? Du bist schwanger?"

"Ja, aber bis zur zwölften Woche kann noch viel passieren …"

"Trotzdem! Vince muss total aus dem Häuschen sein!"

"Er weiß es noch nicht. Ich geh in ein paar Tagen erst noch zum Arzt, um sicherzugehen."

"Wahnsinn. Also kein Spaß für dich heute Abend."

"Deshalb fahre ich ja …"

Bald drauf parkten wir vor dem Zen. Fünf Jahre war ich nicht mehr dort gewesen. Äußerlich hatte es sich nicht verändert. Sogar Bang stand vor der Tür. Er sah noch genauso aus wie damals und erzählte ein paar Kids gerade, dass sie morgen wieder kommen sollten, heute sei es eine geschlossene Gesellschaft.

"Oh mein Gott, das gibt's doch nicht! Jordan! Ich hatte gehofft, dass du kommst."

Er klopfte mir auf die Schulter und musterte mich.

"Gut siehst du aus, wie geht es dir? Erzähl! Ich hab dein Album zu Hause! Du hast es echt geschafft, hm?"

"Kann man sagen, aber gerade mach ich eine kleine Pause. Eine Babypause, um genau zu sein."

"Du hast ein Baby?"

"Gwen. Sie ist zehn Monate alt."

"Also bist du verheiratet oder so?"

"Das mit Nikki hat nicht gehalten …"

"Oh, tut mir leid."

"Ach, das ist Schnee von gestern. Willst du ein Foto sehen?"

"Klar!"

Ich holte meinen Geldbeutel raus und zeigte ihm ein relativ neues Bild von Gwen, das Janet gemacht hatte.

"Zuckersüß. Du als Papa, klasse!"

"Und was gibt's bei dir Neues?"

"Du wirst es nicht glauben, aber der Laden gehört jetzt mir."

"Nicht dein Ernst!"

"Doch. Ich hab drinnen das ein oder andere verändert, wirst es ja sehen. Wir sehen uns später bestimmt noch, ich will zur Begrüßung noch an der Tür stehen, der alten Zeiten willen."

Summer und ich gingen rein. Der Club war echt verändert, er erinnerte fast an die Zeit, bevor Susis Onkel ihn gekauft hatte. Die Musik war rockiger aber nicht zu laut, die Dekoration cooler und die Beleuchtung kälter und karger. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Die Couchen standen noch an der gleichen Stelle. Ein Typ kam auf uns zu.

"Summer?"

"Oh mein Gott, Dee, bist du das?"

Sie fielen sich um den Hals. Ich hätte ihn nicht wieder erkannt, wenn sie nicht seinen Namen gesagt hätte. Er war einer der Typen, die immer in Minnys Keller rumhingen und selten redeten. Ich seilte mich ab, in Richtung Couch. Da saßen tatsächlich Hannah und Alex.

"Hallo ihr Zwei."

"Jordan?! Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst!"

"Summer hat mich gezwungen."

Hannah umarmte mich. Sie war noch schöner geworden. Ihre dunklen Haare waren glatt geföhnt, sie war groß und schlank, wie eh und je. Auch von Alex bekam ich eine Umarmung.

"Und wo ist Susi?"

"Sie kommt bestimmt noch, aber wir sind nicht mehr zusammen."

"Was? Das gibt's doch nicht, du verarschst mich!"

"Nein, sie hat einen Neuen."

"Krass."

Wir tauschten die üblichen Infos aus. Hannah war in der Modebranche gelandet und lebte in New York. Alex war im Baugewerbe tätig. Was ich machte, brauchte ich ihnen nicht zu erzählen. Hannah wusste sogar schon, dass ich Vater geworden war. Als nächste stieß Tanja zu uns, dann Linda und Susi die alle umarmte, aber Alex mied. Mary, Lisa und Sarah kamen zusammen. Sarah hatte ein graues Kostüm an, wie damals zu Halloween. Zu meinem Erstaunen grüßte sie mich höflich. Und dann kam er. Die Anderen hatten ihn scheinbar auch schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, denn jeder Einzelne umarmte ihn. Ich spürte die Spannung in der Luft, als er auch mich umarmte und mir einen Kuss auf die Wange gab.

"Ich freu mich, dass du gekommen bist."

"Bedanke dich bei Summer …"

"Das werde ich."

Wir hatten die Couchecke mittlerweile verlassen und waren an der Bar gelandet. Ich unterhielt mich lange mit Hannah. Irgendwann fragte Sean mich, ob wir raus gehen könnten. Jetzt war es also soweit. Der Moment der Wahrheit. Wir gingen in die Seitenstraße, in der ich mir damals die Hand gebrochen hatte. Wie sollte ich nur anfangen? Er stand auch etwas ratlos da, anscheinend war er auch nicht zum Knutschen hier.

"Sean, warum sollte ich mit dir raus kommen?"

"Ich muss dir was sagen."

"Okay …"

"Es tut mir leid, Jordan, aber ich hab jemanden kennengelernt … es ging alles so schnell …"

"Was?!"

"Es tut mir leid …"

"Aber …"

Mein Handy piepste, ich holte es automatisch aus meiner Hosentasche. Eine SMS. Sean hatte sein Handy plötzlich auch in der Hand und drückte drauf rum. Xander hatte geschrieben: "Du hast etwas hier vergessen."

"Häh?"

Ich tastete nach meinem Geldbeutel und dem Haustürschlüssel. Alles da. Moment, hatte Sean gerade die gleiche Bewegung gemacht? Überrascht schauten wir uns an.

"Hast du gerade …"

"Ich hab nur geschaute ob ich alles dabei habe.", erklärte er.

"Du hast auch eine SMS bekommen, oder? Was stand drin?" fragte ich misstrauisch.

"Dass ich was vergessen habe …"

"Was zum … das Gleiche stand in meiner SMS."

"Ist das ein Scherz oder so?"

Mein Handy klingelte, Xander war dran. Normalerweise wäre ich nicht dran gegangen, aber unter diesen Umständen … Seans Handy klingelte auch. Wir schauten uns für einen Moment an und hoben dann ab.

"Hallo?"

"Hey Schatz! Hast du meine SMS bekommen?"

"Ja, was zum Geier ist denn da los?"

"Vertraust du mir?"

"Natürlich …?"

"Dann komm mit Sean zum Eingang."

"Aber …"

"Vertrau mir."

"Na gut."

Ich legte auf, genau wie Sean, der mich total verwirrt anschaute.

"Ich soll mit dir zum Eingang kommen."

"Ja, ich hab die gleiche Anweisung bekommen." erklärte er.

"Wer war da dran?"

"Ich hab das Gefühl, das findest du gleich eh raus. Jordan, bist du etwa auch mit jemand Anderem zusammen?"

"Ich wollte es dir heute sagen … Aber wie kann es sein, dass dein Jemand und mein Jemand …"

"Lass uns einfach mal hingehen, ja?"

"Na gut."

Schon als wir um die Ecke bogen, sah ich von weitem Xander. Neben ihm stand … das war ja wohl nicht möglich, da stand Brian.

"Sean, ist das Brian?"


Sean

Schon an meinem zweiten Tag des Klinikpraktikums traf ich Brian, den Schlagzeuger von Summerskin. Er hatte den letzten Termin des Tages beim Chefarzt.

"Guten Tag, Mr. McCormack. Heute habe ich einen Praktikanten dabei, wenn das in Ordnung ist."

Ich erkannte ihn sofort, auch wenn sich sein Auftreten sehr verändert hatte. Er erkannte mich zu meiner Überraschung auch gleich.

"Wir kennen uns, oder?" fragte er.

"Ja, über Jordan."

"Klar, du bist Sean! Gott, das ist ja ewig her."

"Ich warte dann draußen …"

"Nein, schon okay, bleib ruhig."

"Sicher?"

"Klar."

Ihm wurde Blut abgenommen, das war alles. Ich schaute extra nicht in sein Krankenblatt. Beim Rausgehen drehte er sich nochmal um.

"Sean, hast du vielleicht nachher Zeit für einen Kaffee? Du sollst die Geschichte nicht aus dem Krankenblatt erfahren …"

"Klar. Ich hab in einer viertel Stunde Schluss."

"Gehen sie schon, Mr. Wittmore."

Brian war offensichtlich ein wichtiger Patient. Normalerweise war der Chefarzt nicht so entgegenkommend.

"Oh, okay, Danke."

Ich räumte noch meinen Kittel weg und ging mit Brian in die Cafeteria.

"Also gut, ich bin hier, weil meine roten Blutkörperchen zur zeit sehr niedrig sind. Hämolyse als Nebenwirkung von Ribavirin."

"Du hast also Hep C?"

"Seit vier Jahren."

"Dann nimmst du das Zeug schon recht lange …"

"In zwei Wochen steht eine Biopsie an. Ich hoffe, dass dann Schluss damit ist. Bist du bis dahin noch hier?"

"Ja, vier Wochen insgesamt. Heute ist mein zweiter Tag."

Kurze Stille.

"Frag ruhig." meinte er plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen.

"Es geht mich nichts an …"

"Es war vermutlich eine Spritze. 99 war ein schlechtes Jahr für mich, genau wie für Jordan."

"Verstehe."

"Du studierst also Medizin? Ich glaube Jordan hat mal erwähnt, dass du das vor hast."

"Ja, ich studiere Medizin. Meine Frau auch."

"Du bist verheiratet? Entschuldige, ich dachte nur, du weißt schon …"

"Nur mit Jordan …"

"Das kenn ich."

"Was meinst du?"

Er flüsterte.

"Wir hatten was miteinander. Er war der erste Kerl für mich …"

"Aber nicht der letzte?"

"Ich hab mich lange dagegen gewehrt, tu es auch immer noch. Meine Familie weiß nichts davon …"

"Meine auch nicht. Ich meine, jetzt wissen sie es, aber jetzt ist es ja eh vorbei …"

"Gut für dich. Es ist echt nicht leicht. Meine Eltern würden es niemals verstehen."

"Meine auch nicht. Es ist schrecklich, man muss immer mit dieser Lüge leben."

"Deine eigenen Eltern dürfen dich nie wirklich kennenlernen."

"Genau. Als wäre man ein Massenmörder oder so."

"Ganz genau und dabei bin ich fast 30."

"Und ich hab selbst eine Tochter."

"Was, wirklich? Genau wie Jordan?"

"Die Beiden sind sogar fast gleich alt."

"Du hast also noch Kontakt zu ihm?"

"Hast du noch Zeit für einen Spaziergang?"

"Die nehme ich mir einfach."

Ich erzählte ihm von der Krabbelgruppe und allem was dort passiert war.

"Das muss hart für dich sein. Du kannst doch nicht mit dem Wissen leben, dass du noch zwei Jahre fristen musst und dann endlich deine Ehe beenden kannst."

"Ich hab nicht wirklich eine andere Wahl, oder?"

"Vermutlich nicht. Tut mir leid, ich muss jetzt echt los. Dann sehen wir uns am Donnerstag wieder, ja?"

"Klar."

Er streckte mir die Hand entgegen und ich schüttelte sie. Der Typ war echt in Ordnung und wir hatten scheinbar einiges gemeinsam.

Am Donnerstag hatte er wieder den letzten Termin des Tages. Seine Blutwerte waren noch im Rahmen des normalen. Nach der Untersuchung gingen wir wieder eine Runde spazieren. Er erzählte mir von der Zeit mit Jordan und ich war total geschockt darüber, dass der sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, mit Brian geschlafen zu haben. Er erzählte mir auch ein bisschen von Summerskin und den Problemen mit dem neuen Sänger. Irgendwann wunderten wir uns, wann es so dunkel geworden war und machten uns auf den Weg zu unseren Autos.

"Hey, ich passe am Sonntag auf meinen Neffen auf. Vielleicht könnten wir uns in einem Park oder so treffen … ich würde deine Maddy zu gerne mal kennenlernen."

"Klar, das wäre nicht schlecht. Patricia ist zur zeit eh froh, wenn ich die Kleine mal mit raus nehme, solange sie lernen muss. Ich geb dir mal meine Nummer."

Wir trafen uns am Sonntag nach dem Mittagessen in einem Park in seiner Nähe. Mir fiel auf, dass er ständig auf irgendwas herumtrommelte. Sein Neffe Davie war schon über ein Jahr alt und lief durch die Gegend, was Maddy dazu animierte, sich an der Bank hochzuziehen und es auch zu versuchen. Diesmal erzählte ich wieder mehr, vor allem von meinem Vater und was für ein Kampf es gewesen war, endlich Medizin studieren zu dürfen. Brians Vater war auch nicht gerade zufrieden mit seiner Berufswahl. Gegen Vier musste er los zu einer Probe und verabschiedete sich wieder per Handschlag.

Wir setzten unsere Treffen auch am darauf folgenden Dienstag und Donnerstag fort. Ich freute mich immer richtig darauf, denn mit Brian konnte ich wirklich über alles reden. Er verstand gut, dass es unmöglich war, meinem Vater die Wahrheit zu sagen, überhaupt verstand er alles. Am Wochenende war er nicht in der Stadt, aber wir telefonierten kurz, da am Dienstag seine Leberbiopsie anstand und er den ganzen Tag in der Klinik verbringen würde.

Er kam um neun Uhr morgens, sein Bruder setzte ihn ab. Der Eingriff fand um halb Zehn statt, ich war dabei. Danach sollte er acht Stunden liegen. Meine Mittagspause verbrachte ich bei ihm. Ich aß, während er erzählte, wie er zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen war, vielleicht schwul zu sein und wie schrecklich das war. Zwischendurch schaute ich so oft wie möglich nach ihm. Er las irgendeinen Fantasy–Roman, abends war er fast damit durch. Um halb Sechs durfte er nach dem Abendessen gehen und ich fuhr ihn nach Hause.

"Ich kann noch mit hoch kommen, falls du noch was brauchst."

"Danke, aber ich hab deine Hilfsbereitschaft heute schon genug ausgenutzt. Den Rest schaffe ich alleine."

"Sicher? Es wäre kein Problem …"

"Nein, schon gut. Wir sehen uns dann übermorgen."

Bis zum Ende meines Praktikums sahen wir uns drei Mal jede Woche und unterhielten uns stundenlang am Telefon. Dann musste ich wieder zur Uni und alles wurde stressiger. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn vermisste. Nicht nur unsere Gespräche, sondern ihn. Ich verdrängte den Gedanken schnell wieder. Nach der ersten Uni–Woche trafen wir uns am Samstagvormittag einfach so, zum Brunch in seiner Wohnung. Maddy und Patricia waren bei Patricias Eltern.

Schon an der Tür platzte er heraus:

"Ich hab gestern das Biopsie–Ergebnis bekommen."

"Und?!"

"Es sieht gut aus. Die Leber ist nicht dauerhaft geschädigt, ich kann die Medikamente absetzen."

"Das ist ja fantastisch!"

Ich umarmte ihn. Wir hielten uns ein paar Sekunden zu lange fest, bevor wir uns halb lösten.

"Sean, ich hab Angst vor dem hier."

"Ich auch."

"Ich schaffe es einfach nicht, auf Dauer dagegen anzukämpfen. Ich hab es wirklich versucht …"

"Ich weiß."

Er hatte Tränen in den Augen.

"Ich mag dich und ich will unsere Freundschaft nicht versauen."

"Das tust du nicht."

Ich streichelte seine Wange und hielt eine Träne auf, die sich ihren Weg bis runter zum Hals bahnen wollte.

"Komm, setzen wir uns auf die Couch."

Ich führte ihn rüber und nahm ihn nochmal in den Arm.

"Du machst nichts Falsches und es geht niemanden etwas an."

"Sean, ich mag dich so sehr."

"Ich mag dich genauso."

Er wartete offensichtlich, dass ich den ersten Schritt machte und ich machte ihn, indem ich ihn küsste und es fühlte sich gut an. So zurückhaltend wir am Anfang noch gewesen sein mochten, so leidenschaftlich wurden wir wenig später. Ich erforschte seinen Körper, er war einfach perfekt. Er hielt mir ein Kondom entgegen.

"Willst du oder kann ich?"

"Ich hab noch nie … also, du weißt schon …"

"Jordan hat dich nie …?"

"Nein."

"Okay, dann bekommst du wohl den Gummi."

"Danke."

Eine Stunde später stand ich unter seiner Dusche. Als ich ins Wohnzimmer kam, saß Brian auf der Couch, den Kopf in die Hände gestützt.

"Alle okay?"

"Ich weiß auch nicht. Danach hab ich immer ein schlechtes Gewissen …"

"Vor mir brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben und ansonsten muss niemand davon erfahren …"

"Ich weiß … ich kann auch nichts dran ändern …"

"Soll ich dich lieber in Ruhe lassen, oder …?"

"Nimm mich in den Arm."

Nach einer Weile löste er sich.

"Ich muss dir noch was sagen."

"Ja?"

"Morgen sehe ich Jordan im Studio. Er hat einen Song geschrieben, letzte Woche hat er ihn uns vorgespielt und wir wollen ihn aufnehmen."

"Okay …"

"Ich dachte nur, du solltest das wissen."

"Ja, Danke."

Wir saßen noch eine Zeit lang auf der Couch und redeten über irgendetwas unbedeutendes, bis ich langsam gehen musste.

"Meld dich bei mir, ja Brian?"

"Ja, versprochen."

Ich küsste seine Wange zum Abschied und fuhr nach Hause zu Frau und Kind.

In der Zeit bis Weihnachten trafen wir uns so oft wie möglich, manchmal nur zum essen, manchmal mit den Kindern, aber manchmal auch alleine bei ihm. Wenn er nicht in der Stadt war, telefonierten wir. Patricia bekam davon kaum etwas mit, sie war so gut wie nie zu Hause und überließ Maddy sogar der Nanny, wenn sie gar keine Vorlesungen hatte. Am 22. Dezember fuhr Patricia mit Maddy zu ihren Eltern, Weihnachten würden wir ja in Phoenix verbringen. Brian war in der Stadt, denn am 23. würde das große Konzert stattfinden, da würde ich schon in Phoenix sein. Brian erzählte von den neuesten Streitigkeiten mit Greg und dass er sich freute, wieder mit Jordan auf der Bühne stehen zu können. Bald konnte ich wieder nicht mehr anders und musste ihn küssen. Wir zogen uns aus.

"Wir müssen es ins Schlafzimmer schaffen, da sind die Gummis."

"Diesmal bist du dran."

"Wirklich? Bist du sicher?"

"Ja, ich hab mir das gut überlegt."

"Gut. Ich werde ganz vorsichtig sein, versprochen."

Und das war er wirklich. Er traf alle möglichen Maßnahmen, um es für mich leichter zu machen. Es war wirklich nicht schlimm und ich war froh, ihn glücklich machen zu können. Ich mochte ihn wirklich sehr, aber hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Jordan, den ich ja indirekt gebeten hatte, auf mich zu warten. Aber mit Brian war es einfach ganz anders. Er machte mir keinen Druck, er verstand mich. Mir graute davor, dass das unser letztes Treffen bis zur zweiten Januar–Woche sein würde. Ihm ging es genauso.

"Sean, ich hab einen Vorschlag. Summerskin hat am dritten Januar eh in Phoenix zu tun … Vielleicht könnte ich ja einfach schon früher fliegen. Ich erwarte nicht, dass du viel Zeit mit mir verbringst, aber ein Neujahrskuss vielleicht, im Motel …"

"Das würdest du machen? Aber dann sitzt du die meiste Zeit nur rum."

"Hier mach ich auch nichts anderes. Ich hab meine Musik und meine Bücher. Wenn ich dich dann zwischendurch noch kurz sehen könnte, dann hätte ich alles was ich brauche."

"Ich denke drüber nach, okay?"

"Klar. Sean … wer bin ich für dich?"

"Was meinst du?"

"Was bedeutet dir diese ganze Sache zwischen uns?"

"Ich mag dich sehr und ich mag, was wir miteinander haben."

"Den Sex?"

"Klar, auch, aber nicht nur."

"Gut."

Der Abschied fiel uns diesmal besonders schwer und dauerte bestimmt eine halbe Stunde.

"Ich würde dich gern in Phoenix sehen. Und ich muss Jordan erzählen, dass ich jemand Anderen habe. Ich werde ihm natürlich nicht sagen, dass du es bist, aber ich kann ihn nicht hinhalten."

"Er wird es verstehen, ganz bestimmt."

"Meinst du? Was macht dich da so sicher?"

"Nur so ein Gefühl."

Weihnachten mit meiner Familie war wie immer schrecklich. Mein einziger Lichtblick waren die Gespräche mit meinen Schwestern. Von Brian erzählte ich ihnen allerdings nichts. Wenn mein Vater wieder wegen irgendwas stichelte, schaltete ich auf Durchzug. Patricia war mit ihren Gedanken scheinbar auch ganz woanders. Ständig piepte ihr Handy. Sie bekam SMSen, die sie vor mir nicht las und sie achtete verdächtig penibel darauf, ihr Handy nie rumliegen zu lassen, sondern immer bei sich zu haben. Konnte es etwa sein, dass sie auch eine Affäre hatte? Ich beschloss, die Sache im Auge zu behalten.

Endlich war der erste Januar gekommen. Brian war in der Stadt. Um halb Sieben gab ich vor, schon zum Klassentreffen zu fahren, in Wahrheit verbrachte ich zwei tolle Stunden mit Brian.

"Sean, ich hab dich so vermisst. Die Feiertage ohne dich waren schrecklich."

"Ich weiß, mir ging es genauso. Aber es ging nicht anders …"

"Was machen wir bloß in sechs Wochen, wenn die Tour losgeht? Zweieinhalb Monate ohne dich halte ich nicht aus."

"Denk einfach nicht dran. Vielleicht können wir uns zwischendrin sehen. Ich versuche mein Möglichstes."

"Ich weiß … Es ist schon halb Neun, du solltest los …"

"Noch ein Kuss, komm her."

Als ich ankam, waren schon alle da und standen in der Nähe der Bar. Sarah hatte ich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen und Susi und Alex waren tatsächlich nicht mehr zusammen. Und da war Jordan. Ich umarmte ihn, so wie alle und konnte es mir nicht verkneifen, seine Wange zu küssen, um ihn lächeln zu sehen. Ich hatte wirklich Angst davor, wie er reagieren würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich in so kurzer Zeit jemand Anderen gefunden hatte, jemanden, den ich heimlich traf, so wie ich es mit ihm nicht konnte.

Nach einer Stunde bat ich ihn, mit mir raus zu gehen und hoffte, er würde nicht denken, dass ich das tat, um wieder etwas mit ihm anfangen zu können. Wir gingen nur um eine Ecke des Hauses. Nachdem ich eine Weile rumgedruckst hatte, sagte ich ihm gerade heraus, was los war. Bevor er reagieren konnte, vibrierte mein Handy und seines piepste. Komischer Zufall. Brian hatte eine SMS geschrieben. "Du hast hier etwas vergessen."

Ich tastete nach dem Haustürschlüssel und meinem Geldbeutel. Alles da. Jordan checkte ebenfalls seine Taschen. Bald darauf klingelten beide Handys und wir hoben gleichzeitig ab. Es war Brian.

"Hallo?"

"Hey, komm doch mal zum Eingang und bring Jordan mit."

"Was hab ich denn vergessen?"

"Na mich. Komm her, vertrau mir."

"Na schön …"

"Und keine Sorge, ich bin ganz diskret."

"Okay."

Ich legte auf. Jordan meinte:

"Ich soll mit dir zum Eingang kommen."

"Ja, ich hab die gleiche Anweisung bekommen."

"Wer war da dran?"

Langsam dämmerte mir, was los war, aber konnte das wirklich sein?

"Ich hab das Gefühl, das findest du gleich eh raus. Jordan, hast du etwa auch jemanden kennengelernt?"

"Ich wollte es dir heute sagen … Aber wie kann es sein, dass dein Jemand und mein Jemand …"

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Brian musste davon gewusst haben.

"Lass uns einfach mal hingehen, ja?"

"Na gut."

Vor dem Eingang stand Brian und neben ihm ein Typ in schwarzen Klamotten. Schon von weitem sah ich, dass seine Augen stark geschminkt waren. Seine Haare waren schwarz gefärbt, vorne gescheitelt und hinten aufgestellt. Bevor wir in Hörweite kamen, fragte mich Jordan

"Sean, ist das Brian?"

"Ich hab ihn zufällig wieder getroffen und alles hat sich einfach irgendwie gefügt …"

"Krass … ich meine, mir fällt ein Stein vom Herzen, aber du weißt schon …"

"Ich hab nicht vor, das Ganze an die große Glocke zu hängen, also …"

"Klar, in dem Spiel hab ich mittlerweile Übung. Selbst würde ich es zwar nicht spielen wollen …"

Jaja, das war ja Teil des Problems. Der geschminkte Typ kam auf uns zu. Das war also tatsächlich Jordans Jemand. Er erinnerte mich ein bisschen an Jordan als Vampir zu Halloween damals.

"Überraschung."

"Das kannst du laut sagen. Seit wann weißt du davon?"

Ganz nebenbei küsste er kurz seine Wange als würden nicht ein Dutzend Leute zusehen, deren Blicke wohl schon länger auf dem Kerl mit dem doch eher exotischen Erscheinungsbild lagen.

"Erst seit einer Stunde, ich schwör's."

"Na gut, also Xander, das ist Sean."

"Hey, ich hab schon so viel von dir gehört."

Er gab mir die Hand.

"Ich hab leider noch gar nichts von dir gehört …"

Jordan ging auf Brian zu, der ihn fast ängstlich anschaute. Ich sah nur, dass sie sich umarmten.

"Okay, der leibhaftige Sean Wittmore. Du hast mir in den letzten drei Monaten die ein oder andere schlaflose Nacht beschert. Als Brian mir vorher von euch erzählt hat …"

"Nicht so laut, ja?"

"Achso, Verzeihung, also, jedenfalls ist mir da ein riesiger Stein vom Herzen gefallen."

"Jordan hat dir also die ganze Geschichte erzählt?"

"Klar, du kennst doch Jordan, er hasst es, etwas zu verheimlichen."


Jordan

Ich ging auf Brian zu. Er schien fast ein bisschen Angst vor mir zu haben. Ich umarmte ihn.

"Du hast mich ganz schön auflaufen lassen. Du hättest ruhig mal was sagen können."

"Das war nicht meine Sache."

"Ich weiß, aber du hast mich doch mit Xander gesehen …"

"Ja, das war nicht so leicht vor Sean zu verheimlichen."

"Tut mir leid, dass du das musstest, aber heute wollte ich ihm die Wahrheit sagen."

"Ich weiß, das hat mir Xander erzählt."

"Na gut, wollen wir also rein gehen?"

"Klar. Der Türsteher wollte uns nur nicht reinlassen …"

"Bang ist nicht bloß der Türsteher, ihm gehört der Laden."

Ich nahm Xander's Hand.

"Bang, darf ich dir meinen Freund Xander vorstellen? Und dass ist Brian, der Schlagzeuger von Summerskin."

"Oh, Prominenz, na wenn das so ist, hereinspaziert."

"Dankeschön."


Sean

Ganz selbstverständlich nahm Jordan Xander's Hand und schien die seltsamen Blicke von den Menschen um uns rum überhaupt nicht zu sehen. Wenig später zog er ihn sogar in seinen Arm und turtelte mit ihm herum.


Jordan

"So und wenn ich dich allen vorgestellt habe, dann musst du mir die ganze Geschichte erzählen."

"Gerne."

Wir gingen rüber zur Bar, wo immer noch alle waren.

"Hey Leute! Das ist Xander und das ist Brian."

"Du bist bei Summerskin, oder?"

"Ah, bloß der Drummer …"

"Ich hab Tickets für Phoenix Ende Februar."

Susi hatte Tickets für ein Rockkonzert? Sehr seltsam. Hannah gab Xander die Hand, stellte sich vor und bemerkte, dass seine Hose einen interessanten Schnitt hatte.

"Eine Freundin von mir hat sie umgenäht, eigentlich war es eine normale Baggy–Hose."

Als sie irgendwann tatsächlich über den besten Mascara diskutierten, klinkte ich mich aus.

"Brian, ich wollte noch mit dir über etwas reden …"

"Klar, gehen wir doch an die frische Luft."


Sean

Hannah zupfte an Xander's Hose rum. Ich stand neben Linda und Sarah.

"Wo hat er denn den Kerl gefunden?"

"Am Friedhof vermutlich."

"Aber der Drummer ist niedlich. Glaubst du, der ist auch vom andern Ufer?"

"Keine Ahnung. Sean, weißt du da irgendwas?"

"Nein, keine Ahnung, Sorry."

Jordan und Brian gingen nach draußen. Ich hörte den beiden Mädchen dabei zu, wie sie noch Witze darüber machten, dass sich die Beiden jetzt vermutlich draußen vergnügten, während Xander mit Hannah über Augenmakeup fachsimpelte. Das reichte mir und ich ging die paar Schritte zu Alex, der mit Mary und Tanja über Susi redete. Irgendwo hinter uns ertönte schallendes Gelächter. Ich drehte mich um und da standen Willie und ein paar seiner ehemaligen Mannschaftskollegen. Sie musterten Xander aus der Entfernung. Er hatte wohl schon mitbekommen, dass es um ihn ging, denn er verdrehte die Augen, ignorierte sie aber ansonsten.

"Jordan steht jetzt also doch auf Mädchen, was?"

Willie legte einen Arm um Hannah, die ihn sofort abschüttelte.

"Werd erwachsen!"

"Uh, immer noch die kleine Wildkatze, hm?"

Tanja schaltete sich ein.

"Bist du betrunken?"

"Was geht dich das an, hm? Du fickst nicht mehr mit mir, also brauchst du mir auch nichts mehr vorschreiben."

"Jetzt komm doch nicht mit den ollen Kamelen."

"Dann misch dich nicht ein. Also, du bist Jordans neue Freundin, hm?"

"Wie du willst, dann bin ich eben Jordans Freundin. Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?"

"Nein danke, ich brauche keine Schminktipps."

"Na gut, dann noch einen schönen Abend." sagte Xander höflich.

Willie stand einen Moment blöd in der Gegend rum, entschied sich dann aber tatsächlich, wegzugehen. Ich trat neben Xander.

"Alles in Ordnung?"

"Ach klar. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, da bin ich Schlimmeres gewöhnt."

"Ja? Ist dir das noch nie zu viel geworden? Ich meine, hast du noch nie überlegt, dich deshalb zu verändern?"

"Wegen solchen Typen? Nein. Da stecke ich lieber ab und an Prügel ein, bevor ich zulasse, dass die entscheiden, wie ich aussehen soll und mit wem ich zusammen sein soll."

"Prügel, echt?"

"Klar, das eine oder andere Mal. Aber so hab ich Jordan kennengelernt, 99, auf einem seiner Konzerte. Er hat mich quasi vom Boden gekratzt und mir das Geld für eine Busfahrt nach Hause gegeben."

"So lange kennt ihr euch schon?"

"Wie man's nimmt. Danach haben wir uns aus den Augen verloren und durch Zufall wiedergetroffen, im September."

"So alt bist du doch auch noch gar nicht, oder?"

"20."

"Du siehst jünger aus."

"Das höre ich oft …"

"Und woher kennst du Brian?"

"Achso, stimmt, woher sollst du das auch wissen. Ich spiele bei den O–Scars, die …"

"Vorband, ja, den Namen hat er mal erwähnt. Du bist also auch Musiker."

"Nicht annähernd so talentiert wie Jordan, aber mit der Band haben wir schon einiges auf die Beine gestellt."

"Brian ist begeistert von euch, er sagt, ihr seid besser als Summerskin als sie in eurem Alter waren."

"Wirklich? Cool …"

"Dann bist du ab Ende Februar wohl auch weg."

"Ich darf gar nicht daran denken, das wird bestimmt schrecklich. Vor allem Gwen wird sich in der Zeit so verändern. Ich bin an ihrem ersten Geburtstag nicht da."

"Die Kinder kennen dich? Wie kommt Josh damit klar?"

"Prima, wir verstehen uns echt gut. Ah, da kommen die Beiden."


Jordan

"Ich wollte dich fragen, ob das Angebot ernst gemeint war."

"Dass du wieder zu uns kommst? Klar, die Jungs und ich haben schon oft darüber gesprochen, wie toll das wäre."

"Ich denke ernsthaft drüber nach. Ich müsste natürlich noch mit Scott reden und mit Josh, aber eigentlich ist es schon das, was ich will."

"Ja? Klasse! Dann red mit ihnen und sag uns bald Bescheid, ja? Greg geht sowieso nach der Tour, das ist beschlossene Sache. Wenn du zusagst, können wir aufhören, jemand Anderen zu suchen."

"Klar, ich schau ob Scott morgen Abend noch Zeit hat. … So also, du und Sean, hm?"

"Nicht so laut."

"Jaja, schon gut. Jetzt erzähl schon."

Er erzählte mir, wie sie sich wieder getroffen und irgendwann etwas miteinander angefangen hatten und wie es war, als er mich und Xander gesehen hat. Erst ab da hatte er sich wirklich auf Sean eingelassen und jetzt war er scheinbar echt bis über beide Ohren in ihn verliebt, was ich natürlich gut nachvollziehen konnte. Mit der Geheimniskrämerei hatte er überhaupt kein Problem, im Gegenteil, es war ihm sogar lieber so. Wir verabredeten noch, dass Brian am nächsten Tag zum Mittagessen zu Mum kam, um Gwen endlich mal kennenzulernen und gingen wieder rein.

"Ich nehme an, du bist mit dem Auto da?"

"Ja, ich hab Xander abgeholt. Du hättest mir echt sagen können, dass Carol deine Mum ist. Ich hab ganz schön blöd geschaut."

"Tja, dann sind wir wohl quitt. Dann hol ich gleich mal ein paar Drinks."

Xander und Sean schienen sich gut zu unterhalten. Wie ich die Beiden da so zusammen stehen sah, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Vor einer Stunde wäre das noch eine Horrorvorstellung gewesen. Ich bestellte zwei Zombies und wir gingen zur Clique.

"Hier, ich hab dir was mitgebracht."

Ich holte mir einen Kuss, bevor ich Xander den Cocktail gab.


Sean

Jordan gab Xander einen innigen Kuss und einen Cocktail. Brian schaute mir kurz in die Augen, als wolle er sagen, dass wir das alles nachher nachholen würden. Ich konnte es kaum noch erwarten, bis wir uns abseilen würden können. Ich sagte Jordan, dass Willie hier sei und wohl auch auf Ärger aus sei.

"Das war also dieser Willie, hm? Hätte ich mir ja denken können."

Xander wusste offenbar von dem Zwischenfall damals. Jordan schaute ihn besorgt an und zog ihn zu sich.

"Geht es dir gut?"

"Klar, war nicht schlimm, er hat bloß ein bisschen blöd rum gelabert, nichts weiter."

Jordan streichelte seine Wange. In seinem Blick lag so viel Fürsorge.

"Sollen wir lieber gehen? Ich weiß, dass der Typ noch zu viel mehr fähig ist."

"Nein, Quatsch. Genieße dein Klassentreffen. Was soll er vor den ganzen Leuten schon machen?"

Xander flüsterte ihm noch etwas zu und hielt dann Jordans Hand, während er wieder mit Hannah redete.

Eine halbe Stunde später verabschiedete Brian sich und kurz darauf ging auch ich und fuhr zu ihm ins Motel.


Jordan

Grinsend beobachteten wir, wie sich Brian und kurz darauf Sean verabschiedeten.

"Kannst du dir vorstellen, wie sie das aushalten?", fragte mich Xander.

"Nein, genau deshalb bin ich ja auch nicht mehr mit Sean zusammen. Aber Brian scheint damit echt kein Problem zu haben. So und erzählst du mir jetzt, was passiert ist, nachdem ich weg war?"

"Gwen hat schon geschlafen, ich hab mit Josh Dame gespielt und gegen Neun hat mein Handy geklingelt. Brian fragte, ob wir uns treffen könnten, er wolle mir etwas erzählen. Ich hab ihm gesagt, dass ich in Phoenix bin, er meinte nur 'Weiß ich, da bin ich auch.' und eine viertel Stunde später stand er da und war erst mal total geschockt davon, deine Mum zu sehen. Dann hat er mir im Garten von sich und Sean erzählt und dass Sean vor hat, es dir heute zu sagen. Ich erzählte ihm, dass du das Gleiche planst. Dann kamen wir auf die Idee, dass wir genauso gut dabei sein könnten, denn es würde sicher interessant werden. Wir sind hierher gefahren, haben gleichzeitig eine SMS abgeschickt, um dafür zu sorgen, dass ihr auch das Telefon abhebt und haben euch zum Eingang bestellt. Wir waren etwas überrascht, dass ihr nicht etwa von drinnen raus kamt. Den Rest der Geschichte kennst du."

"Wenn Brian nur früher was gesagt hätte …"

"Er war sich nicht sicher, ob Sean es dir sagen wollte. Im Endeffekt war er in der gleichen dämlichen Situation wie ich."

"Aber das ist ja jetzt vorbei. Ich kann es irgendwie noch gar nicht glauben. Oh Mann, was hat denn Willie jetzt schon wieder für ein Problem?"

Er pöbelte in einiger Entfernung Dee an, Minny stand hinter ihrem Bruder und hielt ihn am Arm zurück. Plötzlich hatte Dee Willies Faust im Gesicht und er ging zu Boden. Willie beugte sich über ihn. Alex war schon auf den Weg hinüber. Von irgendwoher tauchte Summer auf und wollte Willie zurückhalten. Er schubste sie weg, als wäre sie eine lästige Fliege. Das Baby!

"Hol Bang!"

Und schon war ich auf dem Weg zu Summer, die sich gerade wieder aufrappelte.

"Komm, halt dich an mir fest. Alles okay?"

"Ja … dämlicher Idiot."

Alex und ein paar andere hatten Willie mittlerweile ein Stück weg gezerrt und da kam auch schon Bang und eskortierte ihn nach draußen.

"Was war denn los?"

"Willie hat mitbekommen, dass Dee und Minny zusammen sind. Schon seit zwei Jahren, aber er war ja schon immer ein bisschen langsam."

"Und das ist ein Grund, auf ihn einzuprügeln?"

"Wir reden hier von Willie."

"Hast du es gut überstanden? Du solltest dich bei so was zur zeit nicht einmischen."

"Er hat gedroht, Dee umzubringen und ich hab es ihm geglaubt. Lass uns mal nach ihm schauen."

Minny umsorgte ihren Freund. Sie hielt ihm ein mit Eis gefülltes Glas ans Auge. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Xander kam von irgendwo her.

"Bang fragt, ob er die Polizei holen soll."

Minny schaute Dee flehend an, bis der den Kopf schüttelte.

"Na gut, ich sag's ihm … Alles okay bei dir, Summer?"

"Klar."

Ich ging mit Xander raus, wo Willie tatsächlich mit dem Gesicht auf dem Asphalt lag, Bang auf ihm. Xander schüttelte nur den Kopf. Resignierend stand Bang auf und Willie rappelte sich hoch.

"Das wird euch noch allen leid tun!"

Und so stapfte er davon.

"Das waren für heute genug alte Zeiten, ich glaube, wir sollten Summer einsammeln und zurückfahren."

Summer kam uns schon entgegen.

"Wir müssen Dee und Minny noch zu Hause absetzen."

"Okay, ich verabschiede mich noch kurz von allen, wir sehen uns am Auto."

Xander schaute mich im Bett besorgt an.

"Das war ein ereignisreicher Abend, hm?"

"Allerdings."

"Hast du alles gut überstanden?"

"Klar."

"Das mit Willie macht dir nicht zu schaffen?"

"Doch, schon, aber darüber reden ändert es auch nicht."

"Na gut. Ich verstehe nicht, dass der schon so lange mit dem Scheiß durchkommt."

"Ich bin damals auch nicht zur Polizei, also."

"Warum eigentlich nicht?"

"Zum einen war es mir peinlich …"

"Aber …"

"Ja, ich weiß. Und zum anderen hätte ich dann Sean mit rein gezogen. Willie hätte bestimmt ausgepackt …"

"Das ist wieder genau das. Mit dieser dämlichen Heimlichtuerei macht man sich bloß angreifbar."

Gwen weinte.

"Ich mach das.", meinte Xander sofort.

"Nein, das ist meine Aufgabe."

"Jordan, ich will, dass es genauso meine Aufgabe ist, okay?"

Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm damit ernst war.

"Okay … Danke."

Am nächsten Tag kam noch Brian zum Essen und um Eins packten wir Gwen und Josh ins Auto und verabschiedeten uns. Mum nahm mich nochmal zur Seite.

"Du hast tolle Kinder. Ich bin wirklich stolz auf dich, wie du das alles hinbekommst. Aber wenn du irgendwann mal etwas brauchst, wir sind für dich da."

"Das weiß ich doch, aber Xander und ich kommen klar."

"Euch ist es ernst miteinander, oder?"

"Ja Mum. Könnte gut sein, dass er der Eine ist."

"Schön. Ich bin froh, dass du nicht allein bist. Auf Scott kannst du dich auch verlassen, das weißt du, oder?"

"Ja Mum …"

"Und pass ein bisschen auf Renzo auf, er braucht eine Familie."

"Ich weiß, Mum. Ich ruf ihn bald an."

"Gut. Also schön, dann fahrt vorsichtig und meldet euch, wenn ihr gut angekommen seid."

"Ja machen wir."

"Ich lieb dich, mein Schatz."

"Das weiß ich doch. Danke nochmal für eure Hilfe."

Nach der Umarmung schob sie mich Richtung Auto und blieb winkend in der Auffahrt stehen, bis wir außer Sicht waren.


Sean

Am nächsten Tag schaffte ich es auch nochmal eine Stunde zu Brian. Als ich nach Hause kam, überraschte ich Patricia im Schlafzimmer, als sie telefonierte. Sie kicherte gerade vor sich hin. Als sie mich sah, wurde sie kreidebleich und stammelte etwas von:

"Sie haben die falsche Nummer."

Schnell packte sie ihr Handy weg.

"Liebes, hast du etwa eine Affäre?"

"Mach dich nicht lächerlich."

"Schon gut. Meine Mum lässt dir ausrichten, dass heute Frauenabend ist. Josie will euch irgendein neuen Spa zeigen."

"Schön."

Ich konnte es kaum fassen. Sie hatte tatsächlich auch eine Affäre. Das Ganze erleichterte es mir sehr, mich heimlich mit Brian zu treffen, denn Patricia war eh kaum noch zu Hause. Manchmal nahm sie Maddy mit, aber meistens ließ sie sie beim Kindermädchen. Wann immer wir konnten, trafen Brian und ich uns. Wir redeten stundenlang, schliefen miteinander, kochten, spielten mit Maddy. Oh Gott, alles war einfach perfekt, oder zumindest so perfekt es eben sein konnte. Ich saß in der Uni und konnte nur an ihn denken. Ich lebte nur noch für unsere Treffen.


Jordan

Zu Hause rief ich als erstes Scott an.

"Hey, ich weiß, es ist Freitag Abend, aber ich müsste was mit dir besprechen."

"Wenn du mitkommst auf ein Konzert."

"Ich sag dir in fünf Minuten Bescheid."

Xander und Josh packten schon fleißig das Auto aus.

"Ehm … Xander, mein allerliebster Liebling …?"

"Was willst du? Sag schon."

"Scott schaut sich heute eine Band an. Wenn ich also noch mit ihm reden will, dann …"

"Geh schon. Josh und ich schaffen das."

"Wirklich? Danke! Ich mach es wieder gut. Ich lad euch Beide morgen Abend ins Kino ein!"

"Danke, aber morgen haben wir einen Gig."

"Oh … na gut, dann am Nachmittag in den Zoo."

"Bandprobe."

"Mittagessen wo auch immer ihr hin wollt?"

"Ich muss irgendwann lernen, die Semesterprüfungen …"

"Am Vormittag?"

"Da muss ich noch das restliche Zeug aus dem Zimmer holen."

"Ich seh schon, der Alltag hat uns wieder, was?"

"Sieht so aus. Jetzt ruf schon Scott zurück, sonst geht er ohne dich."

"Na gut."

Eine viertel Stunde später holte Scott mich ab.

"Du hast doch so viel Stress mit den Tourvorbereitungen, warum schaust du dir eine neue Band an?"

"Ich schau mir eigentlich nicht die Band an, sondern den Soundtechniker und die Beleuchtung. Wir könnten nämlich noch etwas Verstärkung für die Tour gebrauchen."

"Mein Angebot, dir was abzunehmen, steht übrigens noch."

"Ich weiß, ich hab dich auch schon bei ein paar Sachen eingeplant, das können wir ja nachher mal durchsprechen. Wie geht es Xander? Hat er alles gut überstanden?"

"Ja, schon. Es dauert bestimmt noch seine Zeit, aber er kommt ganz gut zurecht."

"Und er wohnt jetzt bei euch?"

"Ja, seit dem ersten Januar ganz offiziell."

"Dann muss ich mich wohl langsam an den Gedanken gewöhnen, dass die Sache mit uns Beiden durch ist, hm?"

"Ach Scott …"

"Schon gut. Ich weiß. Als Freunde sind wir besser."

"Scott, du brichst mir das Herz, wenn du so redest."

"Tut mir leid … Ich hör schon wieder auf."

"Du weißt, wie wichtig du mir bist, oder?"

"Lass uns über was anderes reden. Was wolltest du denn besprechen?"

"Brian hat erzählt, dass Greg die Band verlassen will …"

"Nach der Tour, ja. Das ist für alle das Beste."

"Und ihr sucht einen neuen Sänger?"

"Ja, ich hab mir schon einige angehört, aber es war noch nicht mal jemand dabei, den ich den Jungs zeigen hätte wollen."

"Brian hat mir angeboten, wieder zurückzukommen."

"Ich hab auch schon mit dem Gedanken gespielt. Ich meine, die Tour macht Greg ja noch mit und danach geht es ans dritte Album. Die Aufnahmen sind hier in L.A. Wenn es erscheint, ist die Schule eh schon fast um und du könntest Josh und Gwen mitnehmen auf die Promotion–Tour und ein paar Festivals. Wir könnten uns mit den Terminen sogar an den Schulferien orientieren. Gwen kannst du auf Tour immer mitnehmen, das ist überhaupt kein Problem. Die Band würde bestimmt sogar für ein Kindermädchen aufkommen, das immer mitreisen könnte. Schwierig wird es mit Josh auf der Europa– und Asien–Tour. Er kommt im Herbst auf eine neue Schule, wäre da dann vielleicht einen Monat und dann erst mal drei Monate weg. Ich weiß nicht, ob das gut für ihn ist. Er könnte natürlich Privatunterricht bekommen, aber das Einfügen in die Klassengemeinschaft wäre sicher schwierig …"

"Wow, du hast dir darüber echt Gedanken gemacht, hm?"

"Natürlich, Jordan. Du gehörst zu Summerskin. Du gehörst auf die Bühne. Was sagst du?"

"Ich muss noch mit Josh reden, aber wenn er es sich vorstellen kann, dann gerne."

"Ja? Großartig! Es wäre so toll, wieder richtig mit dir zu arbeiten. Wir waren ein tolles Team. Ohne dich wäre Summerskin nie so groß geworden."

"Ach komm, das verdanken wir doch alles dir. Ich weiß was du alles für uns getan hast und du hast mir so viel beigebracht."

"Jordan, das wird genial, ich fühle es. Die Sponsoren werden begeistert sein. Dieser eine Typ von der Plattenfirma hat schon zu mir gemeint …"

Er hörte die restliche Fahrt über nicht mehr auf, euphorisch von all den Möglichkeiten zu erzählen, die sich uns auftun würden und wie großartig alles werden würde. Wir schauten uns die Bühnentechnik an und redeten nach der Show mit den Leuten. Scott stellte mich als Jordan Bonanno von Summerskin vor und machte ihnen das Angebot, ein Drittel der Konzerte auszustatten. Am Montag wollten sie den Papierkram erledigen. Gegen Mitternacht kam ich wieder nach Hause. Gwen wurde gerade wach und bekam gleich ihre neuen Windeln und eine Flasche, dann legte ich mich zu Xander, der heute zum ersten Mal nicht mehr nur zu Gast war.

Nach dem Frühstück, als Xander weg war, redete ich mit Josh.

"Hör mal, es hat sich etwas ergeben. Ich hätte die Möglichkeit, wieder mit meiner alten Band zu spielen."

"Cool. Dann wirst du wieder berühmt, oder?"

"Höchstwahrscheinlich."

"Und reich. Dann können wir zu allen Auswärtsspielen fahren."

"Zu ein paar, wenn du willst. Aber das Ganze hat auch einen Nachteil. Ich wäre viel unterwegs."

"In den Ferien?"

"Ja, aber auch mal für ein paar Monate während der Schulzeit, nächsten Herbst und Winter."

"Und was ist mit Gwen und mir?"

"Ihr könnt mitkommen, wenn ihr wollt. Nach Europa und nach Japan. Das wäre doch cool, oder?"

"Klar! Aber was ist mit der Middle School?"

"Das ist eben die Frage. Es wäre wohl so, dass du einen Monat dort wärst und dann drei Monate weg. Wenn du das nicht willst, dann könntest du auch bei deinen Großeltern bleiben. Vielleicht ist auch Xander hier."

"Aber du hast versprochen, dass ich für immer bei dir bleiben kann."

"Natürlich, das kannst du auch. Wir sind eine Familie. Du darfst es dir aussuchen. Entweder du kommst mit auf Tour, oder du bleibst vorübergehend hier und jemand passt auf dich auf, oder aber ich sag der Band ab. Du kannst darüber nachdenken, ja?"

"Okay …"

Die nächsten Tage war Xander ständig unterwegs oder musste lernen. Ich hatte selber einiges zu tun. Scotts Liste war lang.

Als ich am Mittwoch heim kam, saßen Josh und Xander am Esstisch.

"Hey Schatz. Josh hat dir was zu sagen."

Ich setzte mich zu ihnen.

"Okay?"

"Also, ich glaub, ich will dass du das machst. Ich bleibe dann hier. Am liebsten bei Xander, aber der weiß ja noch nicht, ob er dann in L.A. ist. Aber als Gegenleistung verlange ich, dass wir die Weihnachtsferien in den Urlaub fahren. Ich überleg mir noch wohin. Geht das?"

"Ich glaub das lässt sich einrichten. Ich ruf gleich Scott an. Danke mein Kleiner."

Scott sagte sofort, dass das ginge und noch am selben Abend fuhr ich in den Proberaum der Jungs und erzählte ihnen davon. Sie waren begeistert. Greg zog nach ein paar Minuten ab. Wir fingen sofort an, Songideen auszutauschen, bis es kurz vor Mitternacht war. Zu Hause kümmerte ich mich um Gwen und ging ins Bett.

"Na, haben sie sich gefreut?"

"Und wie. Sorry, dass es so lang gedauert hat. Wir haben irgendwie die Zeit vergessen. Die Jungs hatten so viele tolle Ideen fürs Album."

"Schon okay. Ich hab das hier alles toll hinbekommen. Ich konnte sogar noch eine Stunde lernen. So, in sechs Stunden klingelt mein Wecker …"

"Achso, dann schlaf schnell wieder ein."

"Ich dachte eher daran, dass wir vielleicht noch kurz … feiern könnten."

"So? Gerne …"

Xander ging wieder in Vorlesungen, Josh in die Schule und Gwen und ich waren wieder alleine. Ich beschloss, wieder mal in die Krabbelgruppe zu gehen, hatte Termine und schrieb an ein paar Songs. Mein Geburtstag kam und ging, nichts Besonderes mehr. Ende Januar begannen Xander's Semesterprüfungen und nebenbei bereiteten sich die O–Scars auf ihre erste Tour vor. Wir versuchten, wenigstens immer zusammen Abend zu essen.

"Josh hat einen Brief mit nach Hause bekommen. Die Klassenlehrerin will alle Eltern kennenlernen und bittet, dass jeder einen Termin vereinbart, der bisher noch nicht dort war.", erzählte Xander.

"Was soll denn das für ein Schwachsinn sein?"

"So läuft das eben. Ich hab's an den Kühlschrank gehängt. Du kannst ja morgen mal in der Schule anrufen."

"Ich weiß nicht …"

"Jordan, du bist vor Weihnachten auch nicht zu dem Elternabend gegangen. Es wird dich nicht umbringen."

"Ich hasse Schulen."

Josh pflichtete mir bei.

"Schule ist echt blöd. Ich mag auch nicht gern hin, aber ich muss. Irgendwie ist das nicht fair …"

Xander warf mir einen bösen Blick zu.

"Schon gut, ich ruf da morgen an."

Am nächsten Abend fragte mich Xander sofort danach, als er heimkam.

"Hast du in der Schule angerufen?"

"Klar."

"Und, wann sollst du kommen?"

"Morgen früh, in der Pause."

"Soll ich Gwen nehmen?"

"Wenn du Zeit hast?"

"Klar, ich kann sie mit zur Lerngruppe nehmen. Wir treffen uns bei jemandem zu Hause, ganz in der Nähe. Du könntest nach deinem Termin noch einkaufen gehen und sie dann abholen."

"Okay, dann dürfen wir morgen früh nur nicht vergessen, den Kindersitz in dein Auto zu tun."

"Genau. Gut, so machen wir es."

Am nächsten Morgen machten Xander (mal wieder in "normalen" Klamotten) und Gwen sich also auf den Weg zur Lerngruppe und ich fuhr zu Joshs Schule. Er wartete schon am Haupteingang und deutete wild durch die Gegend.

"Und da drüben sind die Sportplätze. Und da geht's zum Sekretariat. Und das zweite Klassenzimmer rechts ist meines. Da vorne ist Henry. Und jetzt zeig ich dir das Büro von Mrs. Nickson."

Ich klopfte an der Tür und Josh klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Eine süßliche Stimme bat mich herein. Hinter einem dunklen Schreibtisch saß eine Frau, die ich auf Ende 40 schätzte, mit kurzen Haaren und strengem Blick. Ich kam mir sofort vor, als wäre ich wieder in der Schule und hätte etwas angestellt.

"Mr. Cooper, nehme ich an?"

"Bonanno. Josh hat noch den Namen seiner Mutter, aber der Antrag auf Namensänderung läuft bereits."

"Mr. Bonanno also, Guten Tag, bitte setzen sie sich. Schön sie endlich einmal kennenzulernen. Mein Name ist Nickson, ich bin die Klassenlehrerin ihres Sohnes."

Als wüsste ich das nicht …

"Guten Tag. Also, gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?"

"Ich möchte einmal im Schuljahr gerne mit allen Eltern gesprochen haben, egal ob es Probleme gibt oder nicht. Aber es gibt da tatsächlich etwas, worüber ich mit ihnen sprechen möchte."

Wunderbar, eine Vorwarnung wäre nett gewesen.

"Wirklich? Und worüber?"

"Josh erzählt, sie seinen homosexuell, ist das richtig?"

"Darum geht es? Hören sie, ich glaube wirklich nicht, dass das für Josh ein Problem darstellt. Also wenn das alles war …"

Ich stand auf.

"Mr. Bonanno, ich möchte für Josh gerne einen Termin bei der Schulpsychologin vereinbaren. Ich sage nicht, dass er ein Problem damit hat, aber ich hätte gerne, dass er mit jemanden darüber sprechen kann. Er ist erst Zehn, es kann sein, dass er früher oder später doch ein Problem damit bekommt, vielleicht wird auch etwas von Außen an ihn herangetragen. Bitte, setzen sie sich wieder."

Ich setzte mich widerwillig.

"Mr. Bonanno, es kann sicher nicht schaden, dass unsere Psychologin mit ihm spricht."

"Mrs. Nickson, sie müssen verstehen: Ich will keine große Sache aus meiner sexuellen Orientierung machen. Wenn Josh deshalb zu einer Psychologin muss, denkt er vermutlich, es sei doch eine große Sache. Außerdem ist die Frau für mich eine Fremde."

"Ich kann ihre Sorge ja verstehen, aber ich lege ihnen trotzdem ans Herz, mich einen Termin vereinbaren zu lassen."

"Nur wenn ich die ganze Zeit über anwesend bin und wenn ich den Eindruck bekomme, die Frau pflanzt ihm irgendwelche fixen Ideen ein, dann breche ich das Ganze sofort ab."

"Ich denke das ist fair. Ich kann ihnen versichern, Mrs. Drew ist sehr professionell. Ich rufe sie gleich mal an, wegen einem Termin."

Sie wählte eine kurze Nummer und vereinbarte einen Termin für den nächsten Tag nach dem Unterricht. Als ich das Büro verließ, fühlte ich mich irgendwie total überrumpelt. Ich beschloss, Gwen gleich abzuholen und bei der Gelegenheit Xander zu erzählen, was passiert war.

Eine viertel Stunde später klingelte ich bei der Adresse, die Xander mir gegeben hatte, der Türöffner surrte und ich stapfte hoch in den vierten Stock. Ein sportlicher Kerl in Xander's Alter wartete an der Wohnungstür.

"Hey, ich bin Jordan, ich wollte meine Tochter abholen."

"Ah, klar, komm rein, wir machen eh gerade Pause."

An einem runden Tisch saßen zwei Mädchen und schauten von irgendeinem Magazin auf, auf dem Balkon rauchten zwei Typen und Xander kam gerade mit Gwen auf dem Arm aus der Küche.

"Jordan, was machst du denn schon hier?"

"Ach, irgendwie ist das in der Schule nicht so gelaufen, wie ich gedacht hatte …"

"Was war denn?"

Wir setzten uns zu den Mädels an den Tisch und ich nahm Gwen, die mich anstrahlte, als sei meine Nase ein Keks.

"Ich hab dich ja auch vermisst. Na, hast du was gelernt?"

"Sie hat sich alle Bilder in meinem Psychologie–Buch angeschaut. Das menschliche Gehirn fasziniert sie sehr. Also, was war jetzt in der Schule?"

"Diese seltsame Mrs. Nickson hat mir gleich zu Beginn eröffnet, dass sie mich nicht grundlos sehen wollte und mich gefragt, ob es stimmt, dass ich 'homosexuell' bin."

Die beiden Mädchen schauten auf. Xander setzte einen skeptischen Blick auf.

"Bitte sag mir, dass sie dich nicht deshalb zu sich zitiert hat."

"Doch. Sie findet, Josh sollte mal mit der Schulpsychologin darüber reden."

"Das ist doch wohl nicht wahr!"

"Ich hab ihr gesagt, dass ich nicht den Eindruck habe, Josh hätte damit ein Problem."

"Ganz und gar nicht!"

"Sie hat die Befürchtung geäußert, dass das vielleicht noch kommt, da er ja erst Zehn ist und sie hat auch so was gesagt wie, dass Andere ihm vielleicht was einreden könnten und dass sie es gut fände, wenn die Psychologin mal mit ihm darüber reden würde."

"Du hast ihr dann natürlich gesagt, was das für eine dämliche Idee ist und dass sich die Psychologin lieber um die Kinder kümmern soll, die damit ein Problem haben."

" … eigentlich hab ich sie für morgen einen Termin vereinbaren lassen …"

"Was?!"

"Ich weiß auch nicht, sie hat mich damit irgendwie überrumpelt, aber ich hab darauf bestanden, dass ich die ganze Zeit anwesend bin und das Gespräch jeder Zeit beenden kann."

"Aber dadurch bekommt Josh doch erst den Eindruck, dass es vielleicht doch ein Problem gibt!"

"Ja, das hab ich auch gesagt … aber die Psychologin soll echt professionell sein und so …"

"Du kennst sie doch überhaupt nicht. Jordan, das ist eine schlechte Idee."

"Ich weiß … jetzt hab ich aber schon zugesagt."

"Wer sagt es Josh?"

"Ich weiß nicht, vielleicht sagt ihm Mrs. Nickson gleich Bescheid."

"Wir müssen nachher unbedingt mit ihm darüber reden. Er soll nicht den Eindruck bekommen, dass das Ganze eine Art Strafe oder was weiß ich ist."

"Ja, das können wir ja machen. Er kommt um Drei."

"Ich bin dann zu Hause. Jordan, ich hab echt ein schlechtes Gefühl bei der Sache …"

"Ich weiß, aber es ist nur ein Gespräch und ich bin ja dabei."

"Schon … naja gut. Willst du Gwen noch hier lassen, damit du in Ruhe einkaufen kannst?"

"Nein, ist schon okay. Einkaufen macht ihr ja Spaß."

"Na gut, dann sehen wir uns um Drei zu Hause."

Er gab mir noch einen kurzen Kuss, ich merkte, dass die Jungs auf dem Balkon schnell auf den Boden starrten. Josh bekam solche Dinge bestimmt auch mit. Vielleicht musste er ja doch mal mit jemandem darüber reden …

"Oh, wir müssen noch den Kindersitz umsiedeln."

Am Nachmittag erklärten wir Josh schonend, dass die Psychologin sich gerne mit ihm über seine Familie unterhalten würde und wie es ihm so gefiele. Ich erklärte ihm, ich würde die ganze Zeit dabei sein und dass er nicht zu lügen oder etwas beschönigen brauchte, sondern einfach erzählen sollte, wie es ihm so ging. Er fand das ganz okay.

Am nächsten Tag fuhr ich zu seiner Schule und wartete vor seinem Klassenzimmer, bis die Stunde aus war. Mrs. Nickson und Josh kamen als Letzte heraus.

"Ah, Mr. Bonanno. Ich bringe sie zu Mrs. Drews Büro."

Sie führte uns über den Hof und durch einen Korridor.

"So, hier wären wir. Ich denke, Mrs. Drew spricht gerade mit einem anderen Schüler, aber sie sollte bald soweit sein. Wir sehen uns dann morgen, Josh. Auf Wiedersehen Mr. Bonanno."

Wir setzten uns auf die Wartebank.

"Kennst du Mrs. Drew schon?"

"Sie hat sich in der Klasse mal vorgestellt. Ich glaub sie ist nett."

"Gut. Wie war der Unterricht?"

"Ich hab in Mathe bloß eine Zwei bekommen."

"Eine Zwei ist doch gut."

"Ja, aber irgendwie dachte ich, es würde eine Eins werden."

"Hast du alles noch mal durchgeschaut?"

"Klar. Ich hab gar nicht viele Fehler, aber irgendwie hat Mrs. Nickson diesmal strenger benotet …"

"Naja, mit einer Zwei kannst du jedenfalls auch zufrieden sein."

Die Tür ging auf, ein Mädchen kam raus und verschwand Richtung Hof. In der Tür stand eine Blondine Mitte 20, die mir gleich bekannt vorkam. Sie schaute mich ein paar Sekunden an.

"Jordan, richtig?"

"Ja … wir kennen uns … ehm …"

"Donna. Donna Drew."

Oh mein Gott, das war die Blondine, die ich damals mit zu Sean geschleppt hatte!

"Ja klar. Das ist ja ewig her. Stimmt, du hast erwähnt, dass du Psychologie studiert hast."

"Jetzt kommt erst mal rein. Hallo Josh. Setzt euch. Also, Mrs. Nickson hat einen Termin abgemacht. Josh, weißt du warum?"

"Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Jordan hat gesagt, dass sie wissen wollen, wie es mir zu Hause gefällt und ob ich irgendwas auf dem Herzen habe."

"Genau. Und, wie ist es?"

"Ich find es zu Hause toll. Jordan und Gwen und ich sind eine Familie und jetzt wohnt Xander auch bei uns und er spielt mit mir und kocht auch mal Sachen mit Fleisch. Mein Zimmer ist toll, alles ist toll."

"Also gibt es nichts, was dich stört?"

"Nichts Schlimmes, nein. Ich hab vielleicht ein bisschen Angst, wie es wird, wenn Jordan wieder bei der Band ist, aber Xander und er haben mir versprochen, dass sich immer jemand um mich und Gwen kümmern wird. Ich freu mich auch schon auf den Urlaub und so."

"Na gut. Also, hilf mir mal ein bisschen. Wer wohnt alles bei dir zu Hause?"

"Also: Ich und Jordan und Gwen und Xander."

"Wer ist denn Gwen?"

"Meine kleine Schwester, sie hat bald ihren ersten Geburtstag."

"Ah und wie ist es so mit einer kleinen Schwester?"

"Lustig. Nachts weint sie manchmal, aber das hör ich in meinem Zimmer kaum. Und mittlerweile kann man schon richtig gut mit ihr spielen. Ich freu mich schon, wenn sie so richtig laufen kann. Nach ein paar Schritten fällt sie immer noch hin und krabbelt weiter."

"Na das wird schon noch. Und wer ist Xander?"

"Das ist Jordans Freund. Er ist auch Musiker und studiert nebenbei und trotzdem hat er noch Zeit, mit mir über alles Mögliche zu reden oder zu spielen."

"Und wie ist das so für dich, dass Jordan keine Freundin hat, sondern einen Freund?"

"Ganz normal. Hauptsache er ist ein netter Mensch."

"Und die Kinder in deiner Klasse?"

"Manche sagen schon mal blöde Sachen über Schwule, aber das ist mir egal. Die kennen Jordan und Xander ja gar nicht."

"Das stimmt. Na gut, willst du noch über irgendwas reden?"

"Ich rede immer gern über Baseball."

"Oh, ich befürchte, da bin ich nicht unbedingt eine Fachfrau. Aber falls du irgendwann mal über etwas reden willst, das dich bedrückt, brauchst du bloß an meine Tür zu klopfen."

"Okay."

"Na gut, dann danke für das Gespräch, Josh. Magst du dich noch kurz auf die Bank draußen setzen, während ich mit deinem Dad rede?"

"Klar. Dann, Auf Wiedersehen."

Er zog die Tür hinter sich zu.

"Wow, Jordan, es ist lange her. Ich wusste gar nicht, dass du so einen großen Sohn hast."

"Er hat bis vor zwei Jahren bei seinen Großeltern gelebt."

"Und wie geht es dir? Du hast dich nie gemeldet …"

"Ich weiß, aber das damals war der Beginn einer seltsamen Zeit."

"Was ist aus Sean und dir geworden?"

"Nichts. Er hat Patricia geheiratet, sie haben eine kleine Tochter."

"Ernsthaft? Die Patricia? Ich hätte es wissen müssen. Sie hat viel zu oft betont, dass sie nur gute Freunde sind. Und du? Was hast du so gemacht?"

"Erst mal einen kräftigen Absturz, dann einen Entzug und dann bin ich wieder zu meiner Band zurück. Summerskin, sagen dir die was?"

"Klar, vom Hören, krass, das wart ihr damals? Das hab ich überhaupt nicht gewusst."

"Naja, die Besetzung war ziemlich anders. Jedenfalls blieb ich bei ihnen, bis meine Tochter geboren wurde, jetzt hab ich ein Jahr Babypause gemacht und im Frühsommer geht's wieder los."

"Ah, das meinte Josh also."

"Ja, aber er weiß, dass er und Gwen an erster Stelle stehen."

"Gut. Ich verstehe übrigens nicht ganz, warum die Nickson Josh bei mir angemeldet hat."

"Ich weiß auch nicht, sie kann sich wohl nicht vorstellen, dass es sein kann, dass Josh tatsächlich kein Problem damit hat, dass sein Vater mit einem Kerl zusammen ist."

"Ich denke ich werde nochmal mit ihr reden. Na gut, dann noch einen schönen Tag, Mr. Bonanno."

"Dankeschön, Mrs. Drew, ebenfalls und Auf Wiedersehen."

"Ja, wer's glaubt wird selig."

Sie zwinkerte mir zu und hielt mir die Türe auf. Na das war doch gut gelaufen.

Abends im Bett erzählte ich Xander die ganze Geschichte und er lachte sich halb schlapp, als mir tatsächlich der Vorname schon wieder nicht mehr einfiel. Was war das nur mit diesem Namen?

"Donna!"

"Ja, ist ja schon gut."

"Donna, Donna, Donna."

"Ja–ha, ich versuch ihn mir zu merken. Also, wie war deine Prüfung?"

"Keine Ahnung, ich kann es echt gar nicht einschätzen. Aber die Bandprobe war der Hammer. Wir werden einfach immer besser und wir müssen schon gar nicht mehr viel vereinbaren, sondern spielen einfach zusammen, weißt du? So wie bei dir und den Jungs. Das ist Magie, irgendwie."

"Ich muss euch mal wieder zuhören."

"Sehr gerne. So und jetzt? Morgen hab ich den Vormittag frei, ich kann also noch stundenlang wach bleiben."

Er schob die Hand in meine Hose.

"Stundenlang, hm? Na mal sehen …"

Ich machte die Nachttischschublade auf und holte die Großpackung Kondome heraus, während Xander sich schon seiner Klamotten entledigt hatte.

"Oh–oh."

"Was oh–oh?"

"Hier sind nur noch leere Verpackungen drin."

"Oh–oh."

"Sag ich doch. Hast du noch irgendwo welche?"

"Nein …"

"Naja, dann gibt es heute wohl nur Blümchensex."

"Warum denn eigentlich, Jordan?"

"Wie warum denn? Weil wir keine Gummis mehr haben."

"Wie lange willst du denn die Dinger noch verwenden?"

"Bis wir uns Beide testen haben lassen. Und zwar mindestens sechs Wochen nachdem wir das letzte Mal mit Anderen geschlafen haben."

"Hast du in den letzten sechs Wochen mit jemand Anderem geschlafen?"

"Nein, aber du."

"Was?"

"Na gut, eher acht oder neun Wochen, aber du hast dich noch nicht testen lassen, oder?"

"Redest du von Tyler? Woher willst du wissen, dass ich Thanksgiving mit ihr geschlafen habe?"

"Ich will es gar nicht wissen, aber ich gehe davon aus. Und selbst wenn nicht, du hast dir mit ihr eine Klinge geteilt. Also, lass dich testen, dann brauchen wir keine Gummis mehr. Zumindest nicht mehr die paar Wochen vor der Tour."

"Was soll das denn heißen?"

"Das soll heißen, dass danach eh ein neuer Test ansteht."

"Ich hab nicht vor, in den zehn Wochen mit jemand Anderem zu schlafen."

"Hör mal, Xander, ich glaub dir, dass du es nicht vorhast, aber ich weiß, was für Möglichkeiten du haben wirst. Ich will darüber danach gar nichts wissen, aber ich will, dass du dich testen lässt, so oder so. Denn ansonsten läuft es drauf hinaus, dass du dich nicht testen lässt, um mir zu beweisen, dass du treu warst, verstehst du?"

"Ja schon, aber …"

"Ich will sechs Wochen nach der Tour einen Test oder Gummis für immer."

"Na gut … Und was ist mit dir?"

"Wenn du willst, lass ich mich dann auch nochmal testen."

"Hast du vor, während ich weg bin, mit Anderen zu schlafen?"

"Nein, genauso wenig wie du."

"Gut …"

"So und jetzt komm her zu mir."


Sean

Die Zeit verging viel zu schnell, bald wurde es Mitte Februar, noch weniger als zwei Wochen bis zum Tourbeginn. Das Schlimmste war, dass Brians Familie ihn total vereinnahmte, so dass er neben den Tourvorbereitungen kaum noch Zeit für mich hatte. Er fing an, sich darüber zu beschweren, dass er seinem Bruder nicht sagen konnte, warum er lieber mit mir zusammen wäre.

"Ich hatte noch nie Geheimnisse vor ihm. Ich fühl mich schlecht dabei …"

"Das ist wohl nicht zu ändern, oder?"

"Sean, ich hab mich wirklich in dich verliebt. Du bist mir so wichtig. Etwas so Wichtiges kann ich doch nicht vor ihm geheim halten …"

"Was redest du da? Willst du ihm etwa von uns erzählen? Brian, er weiß, dass ich verheiratet bin. Er wird es nicht verstehen, das gibt nur Ärger."

"Ich muss es ihm sagen. Ich halt es so nicht aus. Niemandem sonst. Nur ihm und Becca."

"Becca auch?!"

"Er würde es ihr sowieso erzählen, die Beiden sind verheiratet. Sie haben keine Geheimnisse voreinander."

"Ja denke, ich hab den Seitenhieb gespürt."

"So war das doch nicht gemeint. Sean, es könnte uns die Dinge sogar einfacher machen, wenn sie Bescheid wüssten. Dann müsste ich vor ihnen keine Alibis mehr erfinden. Bitte denk drüber nach, ja?"

"Da brauch ich nicht erst drüber nachzudenken, ich finde, das ist eine schlechte Idee. Aber es ist deine Familie und damit deine Entscheidung."

"Gut. Ich will es ihnen noch vor der Tour sagen, aber so kurz wie möglich davor, damit sich die Wogen dann erst mal glätten können."

"Wie du willst …"


Jordan

Die Zeit bis Ende Februar verflog gerade so. Renzo kam ein paar Mal zum Essen vorbei, Xander schleppte mich mit zum Einkaufen für Bühnenoutfits und er ließ sich von Janet ein Lippenpiercing verpassen. Am Mittwochabend klingelte das Telefon.

"Hey, ich bin's, Kev."

"Wow, hey! Ich wollte mich schon lang mal bei dir melden!"

"Ja, ich weiß, man denkt öfter dran, aber wirklich machen tut man es nie. Jedenfalls haben wir eine kleine Grillparty bei uns, diesen Sonntag. Als eine Art Abschiedsfest für Summerskin. Wir dachten, das wäre eine gute Möglichkeit, dass wir uns mal wiedersehen, was meinst du?"

"Ja, klar, wir haben noch nichts vor."

"Gut, dann pack deine Kids ein und wir sehen uns am Sonntag um Fünf. Hast du was zu schreiben, dann geb ich dir die Adresse."

Xander kam sich etwas seltsam dabei vor, als einziger von den O–Scars eingeladen worden zu sein, aber er sagte nicht nein dazu, mich und die Kinder zu begleiten. Gwen und ich fuhren pünktlich um Fünf hin, Xander würde Josh bei seinem Baseball–Spiel zuschauen und dann mit ihm gegen Sieben nachkommen. Ich fuhr durch eine nette Wohngegend, bis ich zur richtigen Hausnummer kam, wo schon einige Autos parkten. Ich ging mit meinem Schokopudding und Gwen auf dem Arm gleich ums Haus. Das erste was ich sah, war ein riesiger Grill mit jeder Menge Fleisch. Kev stand mit einer Zange dahinter. Becca entdeckte mich. Sie hatte ein Baby auf dem Arm und sah total aus wie eine Mama. Sie hatte sogar ein paar Pfunde zugelegt.

"Jordan! Schön dass du gekommen bist! Ja hallo, du musst wohl Gwen sein."

Gwen winkte ihr zu.

"Und das hier ist Indiana, oder Ana."

"Ehm, ihr wisst, dass das die Abkürzung für …"

"Ja, das haben wir mittlerweile auch rausgefunden, danke. Oh Dessert! Gute Idee. Wie haben mittlerweile nämlich schon ein halbes Dutzend verschiedene Nudelsalate. So, also, mal sehen, bisher sind nur Nachbarn da und Brian und Sean."

"Sean ist hier?"

"Ja. Er und Brian haben sich in einer Klinik getroffen. Maddy und Davie verstehen sich so gut, deshalb haben wir sie und Sean eingeladen. Das ist doch okay für dich, oder?"

"Klar, Sean und ich haben Frieden geschlossen."

"Gut. Irgendwie hab ich gar nicht mehr daran gedacht, dass er mal dein Sean war …"

"Ist Patricia etwa auch hier?"

"Nein, sie hat es leider nicht geschafft. Ich hab sie noch nie zu Gesicht bekommen."

"Doch klar, sie war mal auf einer Probe …"

"Ja, ich meine natürlich, seit sie mit Sean verheiratete ist. Na gut, also, ich stell das solange in den Kühlschrank. Fühlt euch wie zu Hause."

"Danke."

Ich überlegte kurz, ob ich zu Kev gehen sollte, aber da standen mittlerweile zwei andere Kerle und tauschten sich über die beste Grilltechnik aus. Fleisch und Testosteron, nein, lieber nicht. Ich ging also rüber zu den Bänken, wo hauptsächlich Frauen saßen und den Kindern beim Spielen im Sandkasten und der Schaukel zusahen. Ich wollte mich gerade dazu setzen, als ich Maddy entdeckte, wie sie sich eine Ladung Sand in den Mund stopfen wollte. Ich nahm sie hoch und putzte ihre Hände ab. Sean und Brian waren nirgendwo zu sehen, sehr seltsam. Mir fiel auf, dass man durch ein kleines Tor im Zaun zu einer alten Gartenhütte gehen konnte. Gwen, Maddy und ich sahen uns das näher an. Ich lugte um eine Ecke, ja, da waren die Beiden, wild knutschend.

"Sean, deine Tochter ist hungrig."

Die Beiden sprangen auseinander, Sean bekam sofort seine roten Flecken im Gesicht.

"Fuck, Jordan! Du hast mich zu Tode erschreckt."

Auch Brian sah total geschockt aus. Ich lachte los.

"Das kommt davon, wenn man sich heimlich davonschleicht. Also, ich will euch auch gar nicht weiter stören, ich wollte nur sagen, dass Maddy schon Sand isst vor Hunger."

"Oh Gott, wie spät ist es?"

"Viertel nach Fünf."

"Schon?! Tut mir leid, meine Kleine, ich mach dir gleich was. Danke Jordan."

"Schon gut …"

Er nahm sie mir ab und verschwand.

"So, Brian, Dauerknutschen, hm?"

"Wir sehen uns jetzt dann zehn Wochen nicht, es sollte also anhalten. Hey Gwen! Na, freust du dich schon auf deinen ersten Geburtstag?"

"Na und wie. Wir sind bloß ein bisschen traurig, dass Xander dann schon weg sein wird …"

"Maddy hatte vorgestern Geburtstag. Ich hab ihr sogar gratulieren können."

"Und wie hast du es geschafft, Sean hierher zu bringen?"

"Offiziell sind wir Freunde. Dass er verheiratet ist, ist eine grandiose Tarnung. ... Also, wollen wir mal schauen, wie weit Kev am Grill ist?"

"Von mir aus."

Aus irgendeinem Grund zog es alle Männer zum Grill und die Frauen saßen bei den Kindern. Ich kam mir vor, wie bei einem Stamm im Urwald und beschloss, mein eigenes Lager zu gründen, an einem leeren Tisch etwas abseits gab ich Gwen etwas Nudelsalat. Es dauerte nicht lange und eine Frau Ende 20 setzte sich mit einem Kleinkind zu mir.

"Da sieht man mal wieder die klassische Rollenverteilung, was?"

Überrascht lächelte ich sie an.

"Ja, genau deshalb sitze ich hier. Aus Protest."

"Richtig so. Ich bin Tara und das ist mein Sohn Paul."

"Jordan und Gwen. Und welches von diesen Alpha–Männchen ist deines?"

"Keines, zum Glück. Das da drüben ist meine Partnerin Lydia. Die Rothaarige."

"Oh, okay …"

"Ach komm schon, jetzt dachte ich gerade, du wärst ein netter Kerl …"

"Sorry, es ist nur, ich verstehe es einfach nicht. Wenn ich eine Frau wäre, dann würde ich definitiv auf Kerle stehen. Ich meine, schau dir mal die Frauen an, nichts für ungut, aber irgendwie wirken sie alle verkniffen und abgespannt. Und keine sieht wirklich selbstbewusst aus."

"Dafür führen sich die Typen auf wie eine Affenherde. Ich meine, hör mal, was für Geräusche die machen, wenn die Flammen hoch züngeln. Als hätte der Feuergott persönlich ein Wunder vollbracht. Und einige von denen sind doch etwas zu selbstbewusst. Okay, zugegeben, ein paar sind dabei, die wirklich ganz ansehnlich sind, aber das ist auch eher die Ausnahme …"

"Aber dieses Affenherden–Phänomen tritt nur auf, wenn sie sich ums offene Feuer versammeln, das kann man ja vermeiden."

"Na gut, vielleicht schneiden die Männer hier tatsächlich besser ab als die Frauen, okay jetzt definitiv."

Da kam Scott ums Haus. Er trug wieder mal eine seiner gut sitzenden Jeans und ein Hemd. Die perfekte Mischung aus Seriosität und Sex.

"Genau. Damit kann keine Frau hier mithalten."

"Oh nein, er geht zum Grill. Jetzt zeigt er gleich sein wahres Gesicht."

Scott begrüßte kurz Brian und Kev und schaute Sean verwundert an. Dann entdeckte er mich und kam rüber.

"Hey, ehm … was macht Sean denn hier?"

"Das willst du nicht wissen. Scott – Tara, Tara – Scott."

"Hallo."

"Hallo. Ich glaube ich setze mich zu euch. Irgendwie ist hier so ein archaisches Geschlechterding am laufen, oder?"

"Sieht so aus. Aber sei gewarnt, es scheint als müsse man sich dem entweder fügen oder sich hier an den Homosexuellen–Tisch retten."

Tara schien erstaunt.

"Du meinst du bist schwul?"

Scott lachte.

"Ich würde sagen, Jordan hatte schon ein Drittel der Männer hier, ich werde aber nicht sagen, wen. Korrigiere, jetzt sind es Vier von Zehn, da kommt Xander."

Ich schaute mich um.

"Oh Mann, du hast recht, Vier von Zehn. Krass."

Josh rannte sofort zum Grill, Xander schaute ihm kopfschüttelnd hinterher und kam rüber.

"Hey Schatz. Ich glaube, wir haben Josh an die echten Kerle verloren. Er hat heute auf dem Spielfeld sogar bei einer Prügelei mitgemischt."

Er gab mir einen Kuss auf die Wange.

"Was? Was war denn los?"

"Ach, die Gegner haben mies gespielt und faule Tricks versucht. Der Schiedsrichter war wohl blind oder so, jedenfalls war das Ganze plötzlich scheinbar nur noch mit Fäusten zu regeln. Josh war sofort dabei, das Spiel wurde abgebrochen, deshalb sind wir auch schon da. Ich hab ihm schon eine Standpauke gehalten."

"Oh Mann. Naja, ich denke, ich red später nochmal mit ihm …"

"Ist das Sean, da am Grill?"

"Ja. Brian hat ihn mitgebracht … inkognito natürlich."

Scott horchte auf.

"Wie, ihr meint, die Beiden …"

"Ganz genau."

Tara kicherte.

"Die Beiden haben was miteinander? Schon ist die Welt wieder in Ordnung."

"Aber pscht. Die Beiden sind natürlich 100% hetero.", erklärte ich schmunzelnd.

"Und Jordan weiß wovon er redet, das sind nämlich Nummer eins und zwei."

"Ja, das dachte ich mir. Und Nummer vier ist ja offensichtlich. Fehlt also noch Nummer drei, aber das bist dann wohl du."

"Hey, ich bin genauso 100% hetero."

"Mein Gott, Jordan, was hast du nur mit diesen Schein–Heteros?"

"Frag lieber, was die mit mir haben …"

"Naja, du bist wohl auch irgendwie zu deinen Kindern gekommen, oder?"

"Ich behaupte ja auch nicht, 100% irgendwas zu sein. Wer ist das schon? So und jetzt reicht es wieder mit diesem ganzen Hetero–Homo–Männer–Frauen–Ding. Der Nudelsalat ist echt gut."

"Netter Versuch, aber ich finde es echt faszinierend, wie sich die Menschen hier aufteilen. Oh, seht, wer da kommt."

Sean und Brian kamen rüber und wollten sich gerade zu uns setzen. Xander prustete los und Tara setzte ein bedauerndes Gesicht auf.

"Oh, tut mir leid, dieser Tisch ist für Lesben und Schwule reserviert, oder gehört ihr etwa zum Club?"

Scott nahm Sean Maddy ab.

"Setzt euch einfach. Hallo Maddy, lerne ich dich auch mal kennen. Du musst doch jetzt schon ein Jahr alt sein."

"Ja, seit vorgestern.", erklärte der stolze Papa.

"Alles Gute nachträglich!"

Taras Freundin Lydia setzte sich auch noch zu uns und wurde von ihr erst mal aufgeklärt, was es mit unserer kleinen Runde auf sich hatte. Mein Handy klingelte, Xander holte es aus meiner hinteren Hosentasche.

"Das steht Vince Handy."

"Natürlich, der fehlt ja als einziger noch. Hallo?"

"Hey Jordan, du bist echt schwer zu erreichen, ich hab es schon zu Hause versucht."

"Ich bin auf einer Grillparty."

"Oh, Scott ist auch nicht zu erreichen."

"Kein Wunder, der sitzt mir gegenüber."

"Collin und ich sind in der Stadt, aber nur noch bis morgen. Wir bräuchten einen Platz zum schlafen …"

"Klar. Wo seid ihr jetzt? Wollt ihr hier vorbeikommen? Wir sind bei Kev."

"Der von Summerskin?"

"Genau der. Es ist so eine Art Abschiedsfeier. Morgen brechen die Jungs ja auf."

"Ja also wenn es okay ist, dann würden wir vorbeischauen."

"Gut, ich geb dir die Adresse."

Als ich aufgelegt hatte, meinte Sean:

"Vince kommt auch noch?"

"Sieht so aus."

"Ist dir klar, dass dann jeder Typ mit dem du mal was hattest hier ist … ehm, zumindest soweit ich weiß …?"

"Ja, das stimmt. Ich weiß echt nicht, wie ich das finde …"

Scott grübelte vor sich hin.

"Hat Vince gesagt, warum sie so überraschend vorbeikommen?"

"Nein, ich hab aber auch nicht gefragt.", hatte aber so eine Ahnung.

"Glaubst du … ich meine, es würde doch Sinn machen … glaubst du, Summer ist schwanger?"

"Wart es ab, sie werden es uns schon sagen."

Sean verstand offensichtlich nur Bahnhof.

"Ehm, Summer? Schwanger? Und was hat das mit Vince zu tun?"

"Du studierst doch Medizin. Was brauchen zwei schwule Männer um ein Kind zu bekommen?"

"Du meinst sie ist ihre Leihmutter?"

"Ganz genau."

"Okay, das macht Sinn …"

"Ah, da kommen Tobey und Mickey."

Die Beiden blieben am Grill hängen, was an unserem Tisch natürlich für Gelächter sorgte. Irgendwann gab es dann also Fleisch für alle und ich war froh über die acht verschiedenen Nudelsalate, die es gab. Tom kam irgendwann auch und bald ging es wieder nur noch um Musik und die Tour. Sean brachte Gwen und Maddy zum schlafen ins Haus. Als ich mich mal wieder umschaute, redete er mit Scott. Irgendwie waren es mir langsam zu viele Ex–Freunde auf einem Haufen. Und genau dann kamen Vince und Collin ums Haus. Ich ging rüber und begrüßte sie, Scott kam auch sofort hinterher.

"Also ihr Beiden, was führt euch in die Stadt?"

"Wollen wir uns nicht erst mal hinsetzen oder so?"

"Oh mein Gott, ich hab es gewusst. Ihr bekommt ein Baby!"

"Jetzt hast du uns die Überraschung verdorben …"

"Das ist toll! Lasst euch umarmen. Wann ist es denn soweit?"

"Mitte September."

Wir setzten uns an den Tisch und sie erzählten von den Vorbereitungen, die sie noch zu treffen hatten und so weiter. Die Zeit verflog geradezu. Die meisten Nachbarn verabschiedeten sich und bald war unser Tisch der einzige, der noch besiedelt war. Kev und Becca setzten sich dazu und ein Nachbar, der noch übrig war.

"Wo ist eigentlich Josh abgeblieben?"

"Der tauscht nebenan mit meinem Sohn Baseballkarten. Al Mitchell. Ich wohne gegenüber."

Er gab mir die Hand, ohne aufzuhören, zu reden.

"Wir haben uns noch nicht kennengelernt, ich war die ganze Zeit so mit dem Grill beschäftigt."

Tara und Xander prusteten los und taten dann so, als amüsierten sie sich über etwas anderes.

"Ja, stimmt, am Grill, da sind wir uns natürlich noch nicht begegnet. Ich hab mich den ganzen Abend kaum von dem Tisch hier wegbewegt."

"Hier war es zwischendurch recht laut, ihr hattet wohl Spaß. Sind das alles Kollegen von Kev?"

"Einige, ja, von früher."

"Also nicht von Aero–Flight?"

"Äh von was?"

"Na der Firma für die er arbeitet."

"Achso, nein, ich rede von seiner ehemaligen Band.

"Ach ja, so was hat er mal erwähnt. Ihr seid sogar relativ berühmt, hab ich mir sagen lassen."

"Ja, die Jungs können gut davon leben. Ich mach gerade Babypause. Meine Tochter wird diese Woche ein Jahr alt."

"Das ist korrekt von dir. Warum sollten sich immer nur die Frauen um die Kinder kümmern?"

"Richtig …"

"Also wer hier am Tisch ist jetzt aus der Band?"

"Tom da drüben spielt Gitarre, Tobey ist am Keyboard oder was gerade anfällt, Mickey spielt Bass und Kevs Bruder Brian ist Drummer."

"Dann bleibt für dich noch Gesang."

Ich nickte. Er tuschelte weiter.

"Und wer sind die Anderen? Lydia und Tara kenn ich natürlich. Und die beiden Kerle? Die sind zusammen hier, oder?"

"Vince und Collin? Ja, sie sind verheiratet."

"Miteinander?!"

"Ja, miteinander."

"Oh … okay … und der Blonde?"

"Das ist Sean, ein Freund von Brian. Und bevor du gleich in irgendein Fettnäpfchen trittst, mir gegenüber, der Geschminkte, das ist mein Freund."

"Verstehe … na gut, ich werd dann mal heimgehen."

"So plötzlich?"

"Ich … ich schicke deinen Sohn gleich rüber. Morgen ist schließlich Schwul äh Schule."

"Na gut. War nett dich kennenzulernen."

"Ja, man sieht sich."

Irgendwie sah es schwer nach Flucht aus. Scott, der immer noch mit Vince und Collin über Babies redete, schaute mich fragend an. Ich zuckte nur die Schultern. Mir fiel auf, dass Sean und Brian relativ ernst dreinschauten, ihnen gegenüber saßen Becca und Kev. Josh kam rüber gelaufen und setzte sich zu uns. Er lehnte sich an Xander und war kurz darauf eingeschlafen.

"Ich denke, das heißt, es ist Zeit zu gehen, hm Xander?"

"Was?"

Ich deutete auf Josh, Xander drehte sich nach ihm um.

"Oh. Ja, ganz klar. Zeit zu gehen."

Ich ging rein, um Gwen zu holen. Draußen verabschiedeten wir uns, ich sah, dass Xander Taras Nummer bekam. Vince und Collin würden bei Scott übernachten. Ich kam mir reichlich seltsam dabei vor, mich nacheinander von Vince, Sean, Brian und Scott zu verabschieden.


Sean

Am Tag vor der Abfahrt gaben Kev und Becca ein Grillfest. Natürlich war ich auch eingeladen, denn dass Brian und ich Freunde waren, wussten sie ja. Wir verzogen uns für eine Weile, weil er mit mir reden wollte.

"Heute ist die letzte Gelegenheit, es ihnen zu sagen."

"Aber es werden ständig ein Dutzend Leute um uns rum sein."

"Das vermeidet, dass sie uns eine Szene machen."

Wir diskutierten eine Weile darüber, aber Brian war es ernst damit. Wir schoben es den halben Abend vor uns her, uns kam einfach immer was dazwischen. Aber als es dunkel geworden und die Runde stark zusammengeschrumpft war, setzten sich Kev und Becca uns gegenüber. Die Anderen waren alle in Gespräche vertieft, es war der bestmögliche Zeitpunkt. Kev und ich redeten über irgendwas, bis Brian sich einschaltete. Er redete gerade so laut, dass er nicht die Aufmerksamkeit der Anderen auf sich zog.

"Leute, ich muss euch etwas sagen."

"Okay, was denn?"

"Ich steh auf Kerle."

Kevs Gesicht war schockiert, Becca versuchte aufmunternd zu lächeln, sagte aber nichts.

"Vor allem auf Sean."

Kevs Blick wanderte zu mir.

"Aber, du bist verheiratet."

"Das ist kompliziert."

"Ich sag es euch, weil es ein großer Teil meines Lebens ist und ich noch nie Geheimnisse vor euch hatte. Ich erwarte keine Reaktion. Ich wollte nur, dass ihr es wisst."

Jordan und Xander verabschiedeten sich. Und kurz darauf auch der Rest. Kev murmelte irgendwas und ging ins Haus. Brian wollte ihm hinterher, aber Becca fand, er solle ihm Zeit geben.

"Komm Brian, lass uns fahren."

Ich holte die schlafende Maddy und fuhr Brian nach Hause.

"Ich finde, das ist gar nicht so schlecht gelaufen …" versuchte ich ihn aufzumuntern.

"Keine Ahnung …"


Jordan

Zu Hause brachten wir die Kinder ins Bett und legten uns auch hin.

"Na, hattest du einen schönen Abend?"

"Ja. Tara ist so lustig. Wenn ich wieder zurück bin, muss ich sie unbedingt mal anrufen. Und wie war der Abend für dich so? Irgendwie ziemlich surreal, oder? Das ist wie in manch einem Albtraum, wo plötzlich alle Ex–Partner in einem Raum sind."

"Ja, es war schon seltsam, aber irgendwie hätte ich es mir schlimmer vorgestellt. Naja, jetzt ist es jedenfalls vorbei. Wir sollten uns lieber auf den Abschied konzentrieren. Heute ist deine letzte Nacht hier für 10 Wochen."

"Ich werd dich so schrecklich vermissen."

"Wenn du 40 Shows spielst in 69 Tagen, dann hast du genug zu tun und Pressetermine und so weiter stehen ja auch an."

"Dann werd ich dich eben nachts vermissen."

"Wir können ja telefonieren."

"Du kommst mich doch mal besuchen, oder? Scott fliegt ja auch immer hin und her."

"Wenn du willst. Ich schau mal, wie es mit den Kindern klappt."

"Von neunten bis zwölften April ist Ostern."

"Ja, mal schaun. Aber wir sollten uns keine allzu große Hoffnungen machen und uns lieber drauf einstellen, dass wir uns 10 Wochen nicht sehen …"

"Willst du mich nicht sehen, oder was?"

"So ein Schwachsinn. Aber ich will mich nicht auf etwas freuen, dass zu 80 % eh nicht klappt, gerade weil ich es so sehr will, verstehst du? Ich tu mein Bestes, ja?"

"Na gut. Ich bin nur irgendwie nervös …"

"Ihr werdet toll sein, mach dir keine Sorgen."

"Und von 28. bis 30. April sehen wir uns ja eh."

"Genau. Wir kriegen die Zeit schon rum."

"Am liebsten würde ich euch einfach mitnehmen."

"Ich weiß, aber so funktioniert das nun mal nicht."

Er schmiegte sich an mich und ich sah ihm beim Einschlafen zu. Wie ich das vermissen würde.

Am nächsten Tag packte Xander seine restlichen Sachen zusammen und wir gingen nochmal mit den Kindern an den Strand. Um Fünf brachten wir Josh und Gwen zu Janet, alle verabschiedeten sich. Josh verdrückte sogar ein paar Tränen. Am Flughafen trafen wir den Rest der O–Scars und meine Jungs. Seltsamerweise standen sie nicht etwa beieinander, sondern ein paar Meter auseinander, so dass Xander erst kurz stutzte, dann aber natürlich zu seiner Band ging. Jamies Freundin war auch da und war ganz traurig. Ricos Mutter, eine kleine, rundliche Latina, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand. Andy stand total unter Strom und spielte die ganze Zeit mit dem Reißverschluss ihres Rucksacks rum bis er abriss.

"Verdammt!"

Ich ging zu meinen Jungs, die keine Verwandtschaft im Schlepptau hatten.

"Na, was macht die Flugangst, Mickey?"

"Danke, dass du mich daran erinnerst …"

"Wie lange habt ihr noch?"

"So zehn Minuten. Scott klärt gerade das mit dem Transport der Instrumente."

"Immer das Gleiche, hm?"

"Tja … und Greg ist bisher auch noch nicht aufgetaucht. Aber der soll ruhig wegbleiben, dann packen wir einfach gleich dich mit ein."

"Da kommt er."

Er hatte drei Mädels im Schlepptau und eine riesigen Sonnenbrille auf. Oh Mann. Er ging ohne zu warten durch den Security–Check und war verschwunden.

"Ich hoffe er meint nicht, dass seine Groupies jetzt schon Flugtickets von uns gesponsert bekommen. Mann, ich kann es echt kaum erwarten, dass der weg ist.", zischte der sonst so friedfertige Tobey.

"Naja, ich schau mal wieder zu Xander. Passt mir gut auf ihn auf."

"Klar. Ist er eigentlich schon alt genug um zu trinken? Er sieht nämlich bestenfalls aus wie 18. Du machst dich doch nicht strafbar, oder Jordan?"

"Nein Mickey, aber danke für deine Sorge …"

Ich nahm Xander noch eine Weile in den Arm und hoffte, dass die zehn Minuten nie vergehen würden.

"Da kommt Sean."

"Tatsächlich."

Brian hatte ihn auch schon gesehen und konnte sich seinen seligen Gesichtsausdruck offensichtlich nicht verkneifen. Sie umarmten sich so lange, wie es gerade noch hetero war und gingen zu den Jungs. Xander, den ich immer noch eng umschlungen hielt, flüsterte mir zu:

"Kannst du dir vorstellen, was in ihnen vorgehen muss? In so einem Moment auch noch schauspielern zu müssen …"

"Sie haben es sich so ausgesucht."

"Nein, haben sie nicht, Jordan. Sie haben keine Wahl."

"Man hat immer eine Wahl. Niemand hat Sean gezwungen zu heiraten und niemand zwingt Brian dazu, geheim zu halten, wer er ist."

"Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, wie du es darstellst und selbst wenn: Gerade jetzt tun sie mir schrecklich leid."

"Ja, mir auch. Aber jetzt tu ich mir erst mal selbst leid. Mein Freund geht mit seiner Band auf Tour und lässt mich ganz alleine."

"Stimmt nicht, du hast die Kinder. Und du kannst mich besuchen kommen. Und schon sind die 10 Wochen um."

Scott kam und alle setzten sich in Bewegung.

"Ich liebe dich, Xander."

"Und ich liebe dich, mein Schatz. Ich ruf dich an, sobald wir gelandet sind."

"Versprochen?"

"Klar. In zwei Stunden hören wir uns schon wieder, also sei nicht traurig."

"Na gut, dann muss ich dich wohl jetzt loslassen, hm?"

"Ich befürchte schon …"

"Dann geh. Aber wehe, wenn du nachher nicht anrufst."

Er ging ein paar Schritte rückwärts und versprach es nochmal, bevor er sich umdrehte. Ich winkte allen hinterher und dann standen nur noch Jamies weinende Freundin, Sean und ich da. Das Mädchen verschwand gleich auf einer Toilette.

"Alles okay, Sean? Willst du noch einen Kaffee trinken oder so?"

"Gern, wenn du noch Zeit hast …"

"Klar. Janet passt auf die Kinder auf."

Wir suchten uns den nächsten Coffeeshop und setzten uns rein.

Sean rührte lustlos in seinem Kaffee rum.

"Ich weiß echt nicht, wie ich die zehn Wochen überstehen soll …"

"Eigentlich sind es gar keine zehn Wochen. Am 28. April kommen sie ja für ein paar Tage heim."

"Dann sind es eben acht Wochen oder so … das ist auch ewig. Tut mir leid, ist das okay, wenn wir über Brian reden?"

"Klar. Sonst hätte ich nicht gefragt, ob wir noch was trinken gehen. Zwischen euch hat es richtig gefunkt, hm?"

"Ja, ich weiß selbst nicht, wie genau das passiert ist. Ich weiß nur, dass ich ständig an ihn denken muss und ihn viel zu selten sehe. Und wenn ich ihn dann sehe, dann müssen wir uns meistens verstellen …"

"Kann man daran denn nichts ändern?"

"Vorerst nicht, das weißt du doch …"

Seans Handy klingelte.

"Hey, endlich meldest du dich. Habt ihr einen Termin? Der 24. April? Ja, das ist gut, denk ich, ich sag dir aber nachher nochmal Bescheid, ich bin am Flughafen. Ach, ich hab einen Freund verabschiedet. Ehm, Jordan sitzt gerade neben mir … ja? Na gut. Milo will mit dir reden."

"Mein Milo?"

"Klar, hier."

"Hallo?"

"Hallo Neffe. Dein Onkel heiratet endlich. Du musst kommen."

"Was? Wirklich? Wahnsinn! Klar komm ich!"

"Und bring meine Großnichte mit! Dein Dad weiß noch nicht mal was von ihr. Der wird ausflippen."

"Klar, ohne Gwen und Josh geh ich nirgendwo hin. Wann denn eigentlich?"

"Das Wochenende vom 24. April."

"Gut, ehm … was ist mit Renzo?"

"Ich lade ihn ein, ob er kommt ist seine Entscheidung. Du weißt also Bescheid?"

"Ja. Na gut, … willst du nochmal Sean sprechen?"

"Nein, sag ihm, ich melde mich nächste Woche wieder. Also, dann sag ich allen, dass du kommst?"

"Ja, warn sie schon mal vor. Also bis dann."

"Bis dann."

"Milo heiratet also tatsächlich … Wahnsinn."

"Lange genug hat es ja gedauert. Sandra ist toll, du wirst sie mögen. Woher weißt du das mit Renzo?"

"Er war Weihnachten bei uns. Nach Hause konnte er ja nicht."

"Blöde Geschichte. Ich hätte deinen Dad anders eingeschätzt."

"Tatsächlich? Ich nicht. Warte mal, der 24.?"

"Ja, warum?"

"Ab 26. müssten unsere Jungs auch in San Diego sein und danach ja gleich in L.A. . Na das kann man sicher irgendwie nutzen."

"Du auf jeden Fall. Ich sollte wohl spätestens am Montag wieder zu Hause sein."

"Vielleicht kannst du ja deine Schwester vorschieben, oder so. Naja, jetzt freuen wir uns erst mal für Milo."

Wir saßen noch eine Weile rum und redeten über Renzo und den Rest der Familie. Sean erzählte auch noch ein wenig von seinem Studium und dann fragte er mich nach Xander.

"Er wohnt bei dir? Das ging jetzt ziemlich schnell."

"Kam mir aber irgendwie nicht schnell vor. Irgendwie fühlt es sich an, als seien wir schon ewig zusammen, aber auf eine gute Art."

"Du liebst ihn wirklich, oder?"

"Willst du es echt wissen?"

Er nickte.

"Er ist der Eine. Ich spüre es. Es ist anders als jemals zuvor. Ich hab ihm alles über mich erzählt und ich meine alles. Auch die jämmerlichsten Geschichten aus meiner Drogenzeit und er liebt mich trotzdem. Wir haben keine Geheimnisse mehr voreinander. Wir lieben beide Musik, die Kinder betrachten ihn schon als Teil der Familie, wir haben die gleiche Einstellung zum Paar–Dasein in der Öffentlichkeit, er ist so anders, so einzigartig. Ich könnte mir nicht vorstellen, was an ihm noch besser sein könnte, er ist einfach perfekt. Klingt das zu kitschig?"

"Nein, ich versteh das. Ich freu mich wirklich für dich, Jordan."

"Danke … So, ich glaube ich sollte langsam mal los. Ruf einfach mal an, wenn du Lust auf einen Kaffee mit mir hast, oder die Krabbelgruppe."

"Gut, mach ich bestimmt."


Sean

Die Zeit in der Brian nicht da war, war schrecklich. Wir telefonierten so oft es ging, schrieben E–Mails und so weiter, aber ich vermisste es so sehr, ihn im Arm zu haben. Ich musste ihn sehen, aber die erste Möglichkeit war San Diego. Patricia hatte zum Glück keine Lust mitzukommen. Außerdem fiel der Geburtstag ihrer Mutter auf den Montag drauf. Ich hatte ihr schon erzählt, dass ich über Brian Jordan wiedergetroffen hatte und dass er mittlerweile in einer ganz festen Beziehung war. Sie machte sich scheinbar keine Sorgen darüber, dass ich mit ihm zusammen fahren und auch noch ein paar Tage nach der Hochzeit bleiben wollte.


Jordan

Kaum war ich zu Hause und hatte die Kinder abgeholt, klingelte auch schon das Telefon und Xander erzählte, dass sie in San Francisco gerade auf das Gepäck warteten. Ich erzählte ihm gleich von Milo und wir schmiedeten Pläne, wie wir unsere Zeit zusammen maximieren könnten.

Am nächsten Tag rief er mich zwischen zwei Terminen an und hatte nicht viel Zeit.

Am dritten gratulierte er Gwen am Telefon, das sie falsch rum hielt. Zum Glück hatte ich mit Catherines Kamera ein Video davon gemacht und auch von der kleinen Tortenschlacht die sie am Abend, als Janet, Joe, Aaron und deren Kinder da waren, anzettelte.

Nach einer Woche beschwerte Xander sich schon das erste Mal über das "aus dem Koffer"–Leben.

Die ersten beiden Wochen ohne ihn überstand ich ganz gut. Ich hatte ein paar Termine für Scott übernommen, ging mit Gwen in die Krabbelgruppe, traf mich mit Mandy im Park und schrieb an Songs für Summerskin. Ich dachte auch darüber nach, was aus "Red Snow" werden sollte. Scott hatte recht, es war nicht Summerskins Stil. Ich beschloss, mit ihm darüber zu reden, den Song zu verkaufen, wenn er mal weniger um die Ohren haben würde.

Nach dem Konzert in Indianapolis telefonierte ich die halbe Nacht mit Xander. Ich vermisste ihn so sehr, dass ich hätte schreien können. Und da waren noch nicht mal 20 Tage um.

Scott kam nach Hause, um auch mal wieder seine anderen Klienten zu vertreten. Ich erzählte ihm, dass ich "Red Snow" jetzt doch verkaufen wollte und er wollte sich nebenbei mal ein wenig umhören. Er merkte mir natürlich an, dass ich Xander ziemlich vermisste …

Am Morgen des 23. stand Scott plötzlich vor der Tür.

"So, ich hab schon mit Janet gesprochen. So viel Herzschmerz kann ja kein Mensch aushalten. Du fliegst mit mir nach New York. Da wollen dich eh ein paar Leute kennenlernen. Um Zwei geht der Flieger, pack genug für drei Tage ein."

"Aber Gwen …"

" … ist bei Janet in guten Händen. Überleg nicht lange. Heute Abend siehst du deinen Xander wieder, also mach schon."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Josh schrieb Xander einen Brief, während ich packte. Eine halbe Stunde später war ich startklar und verabschiedete mich von den Kindern. Janet stand schon parat.

"Danke, du bist echt eine gute Fee oder so."

"Ach quatsch. Das mach ich doch gerne. Dafür sind Freunde doch da. Und wenn du dich revanchieren willst, dann plant doch nach der Tour wieder so eine Signierstunde im Laden ein."

"Klar, kein Problem, oder Scott?"

"Das ist sogar eine ganz tolle Idee."

"Gut. Also grüß Xander von mir und hab viel Spaß."

"Danke."

Mit einer kleinen Startverzögerung, dem Gepäckband und dem üblichen Stau wurde es fast Sieben, bis wir in das Hotel kamen, wo die Jungs abgestiegen waren. Natürlich fragte ich an der Rezeption gleich nach Xander's Zimmernummer. Der würde sicher Augen machen, wenn ich plötzlich vor der Tür stand. Scott rief mir noch hinterher, dass ich den Brunch mit den wichtigen Leuten am nächsten Vormittag nicht vergessen sollte und schon war ich bei den Treppen. 413, oder doch 431? Ich war mir ziemlich sicher dass es 13 war und klopfte. Die Tür ging auf und ein vielleicht 18–jähriges Mädchen stand vor mir, in Unterwäsche.

"Oh, ich hab mich wohl in der Tür geirrt, tut mir leid."

"Wolltest du zu Xander?"

Na das war ja interessant!

"Ja genau."

"Er müsste gleich wiederkommen, er holt nur was zu essen. Du kannst hier drinnen warten."

Ich schluckte erst mal. Sie deutete mein Zögern wohl fälschlich als Schüchternheit.

"Keine Angst, wir beißen nicht. Kannst du pokern?"

"Ehm, nicht wirklich."

"Gut. Komm schon, du kannst solange für Xander spielen."

Ich ging durch die Tür und stellte meine Tasche ab. Auf dem Boden neben dem Bett saßen noch zwei halbnackte Mädels und ein Stapel Karten lag rum.

"Strippoker, hm?"

"Mit verschärften Regeln."

"Welchen denn?"

"Der der als Erster ausscheidet, muss den Gewinner küssen oder aber gleich zwei Kleidungsstücke ausziehen. Na, spielst du mit?"

"Hat Xander wirklich mitgespielt?"

"Ja, aber er gewinnt ständig. Wenn du mitspielen willst, musst du mindestens drei Kleidungsstücke gleich mal ausziehen."

"Das wären dann wohl die Jacke und die beiden Schuhe."

"Das zählt nur als zwei."

"Dann eben noch der Gürtel."

Die Drei schauten sich mit gespieltem Ernst an und nickten.

"Na schön, dann kannst du einsteigen. Ich bin Penny, das sind Lindsay und Kate."

"Jordan."

"Der Jordan? Oh mein Gott, du bist es! Deine Haare sind ganz anders, deshalb hab ich dich nicht erkannt. Mädels, das ist der neue / alte Sänger von Summerskin!"

Die Beiden wurden ganz hysterisch und zückten einen Fotoapparat. Groupies, es gab nichts abtörnenderes. Penny wies sie tatsächlich zurecht und meinte, sie sollen sich nicht aufführen wie hysterische Fans. Das gefiel mir. Penny gab aus. Alle Drei hatten nicht mehr viele Klamotten abzulegen. Kate hatte das schlechteste Blatt, Lindsay das beste.

"Tja Kate, ich nehme nicht an, dass du dich schon von deiner Unterwäsche trennen willst, also bleibt dir wohl nur …"

Ich hatte den Satz noch nicht beendet, da hingen die Beiden auch schon aneinander.

"Oh–kay."

Das nächste Spiel verlor ich und trennte mich von meinem Pullover und den Socken. Während Kate gerade das dritte Spiel ausgab und Penny eine Flasche Wodka aufmachte, ging die Tür auf. Ich wusste, dass Xander mich erst als Letzten sehen würde, so wie wir saßen.

"Also, ich hab jede Menge Chips und Himbeereis, wie gewünscht."

Ich sah ihn von der Seite. Er war nicht geschminkt und trug Jeans. Er wollte sich gerade hinsetzen, als er mich um die Ecke erspähte.

"Überraschung …"

Er ließ die Tüte aus halber Höhe auf den Boden fallen und stand sofort wieder kerzengerade da. Dann schaute er schuldbewusst auf die halbnackten Mädchen. Ich verkniff mir ein 'Ich hab's dir ja gesagt.' und stand auch auf. Ich versuchte, ihn anzulächeln und er kam langsam zu mir rüber.

"Ich bin froh, dass du da bist."

"Ja?"

"Natürlich, Jordan. Du hast mir gefehlt."

"Du hast dir doch die Zeit mit Kartenspielen vertrieben …"

"Mädels, schaut doch wieder zu Rico, er vermisst euch bestimmt schon."

"Na gut, kommt Mädels, lassen wir die Jungs alleine."

Als sie draußen waren, sperrte Xander die Tür ab.

"Es tut mir leid …"

"Ich hätte vorher anrufen sollen."

"Es ist nichts …"

"Sei still. Ich will das nicht hören."

Ich war selbst überrascht, wie schroff ich plötzlich klang.

"Jordan, ich will es dir doch bloß erklären."

"Da gibt es doch nichts zu erklären … Scott wartet auf mich, ich sollte also gehen."

"Oh, okay … dann kommst du später wieder hierher?"

"Ich ruf dich dann an."

Ich nahm meine Klamotten und brauchte drei Versuche bis ich das Türschloss aufbrachte, weil meine Hände so zitterten. Immer wieder sagte ich mir, dass vermutlich nichts passiert war, aber was wenn ich nicht vorbeigekommen wäre? Andererseits, ich hatte doch schon mit der Möglichkeit gerechnet, dass so was passieren könnte. Aber es mit eigenen Augen zu sehen, das war schon nochmal was anderes. Ich zog mich wieder an, fragte an der Rezeption nach Scotts Zimmer und ging in den zweiten Stock, um bei ihm zu klopfen.

"Jordan, was ist denn?"

Bevor ich wusste was ich tat, drückte ich ihm schon einen Kuss auf die Lippen. Er schob mich zurück, nahm mich in den Arm und machte die Tür hinter mir zu.

"Was ist passiert?"

"Kann ich heute Nacht bei dir bleiben?"

"Jordan, das geht nicht und das weißt du auch. Xander …"

"Keine Sorge, er hat Gesellschaft."

"Oh … tut mir leid. Aber Jordan, du weißt wie das ist. Er ist noch jung und so ein Tourleben bietet viele Möglichkeiten, das muss nichts bedeuten."

"Ich weiß, aber es tut trotzdem weh."

"Na komm, wir bestellen uns was vom Zimmerservice und schauen uns 'Catch me if you can' an, ja?"

"Okay …"

Er bestellte etwas zu essen und Wein. Ich machte es mir auf dem Bett bequem.

"Ich muss unbedingt noch duschen. Machst du auf, falls der Zimmerservice schneller ist als ich?"

"Klar."

Fünf Minuten später kam er mit einem Hotelhandtuch um die Hüften wieder heraus. Ich zappte gerade lustlos durch die Programme, als endlich das Essen kam.

"Nichts geht über essen in Hotelbetten."

"Findest du? Also ich kann mich an ein paar Dinge erinnern, die das toppen. Wir Beide in einem New Yorker Hotelbett …"

"Jordan, hör auf damit. Du bist nur wütend auf Xander, das ist nicht fair."

"Was meinst du damit?"

"Damit meine ich, dass ich es grausam finde, wie du mit mir umgehst. Du weißt, dass ich noch was für dich empfinde …"

"Tut mir leid, ich bin heute nicht zurechnungsfähig."

"Und ich darf das nicht ausnutzen. Deshalb reicht es jetzt auch mit dem Wein."

Nach dem Essen schaltete Scott den Film frei.

"Kann ich wenigstens in deinen Arm? Daran ist ja wohl nichts verwerflich."

"Na schön."

Ich muss wohl schon nach ein paar Minuten eingeschlafen sein. Der Abspann lief über den Bildschirm, als Scott mich weckte.

"Du musst jetzt gehen."

"Warum?"

"Weil ich dich sonst küssen muss. Geh schon."

"Nein, ich will hier bleiben. Bei dir fühl ich mich sicher."

"Jordan, das könnte böse enden. Bitte, ich meine es ernst."

"Du wirfst mich raus? Wo soll ich denn schlafen?"

"Das hier ist ein Hotel, Jordan. Nimm dir ein Zimmer."

Ich trottete also runter zur Rezeption, da entdeckte ich die Hotelbar und ging rüber.

Zwei Drinks später tippte mir jemand auf die Schulter. Es war diese Penny.

"Hey. Wie wäre es mit Gesellschaft?"

"Eigentlich lieber nicht."

"Okay, dann lasse ich einfach einen Barhocker zwischen uns frei."

Sie setzte sich hin und bekam tatsächlich sofort einen Drink hingestellt.

"Der Herr dort hinten möchte ihnen den gerne spendieren."

Sie drehte sich um und prostete ihm lächelnd zu. Bei zurückdrehen nuschelte sie so was wie 'Warum gibt es nur überall solche alten, geilen Böcke?' … Jordan, kann ich rüber rutschen? Sonst kommt der Kerl gleich her."

"Na schön …"

"Also, was ist los?"

"Ich will echt nicht drüber sprechen, schon gar nicht mit dir."

"Du kennst mich doch überhaupt nicht."

"Ich weiß genug. So, ich muss mich langsam mal um ein Zimmer kümmern."

"Du hast kein Zimmer hier?"

"Nein, noch nicht."

"Wo wolltest du denn eigentlich heute schlafen?"

"Dreimal darfst du raten."

"Oh, verstehe. Ihr Beide seid also … zusammen? Deshalb …"

"Deshalb was?"

"Deshalb macht er die Tür nicht mehr auf. Ich hab gar kein Himbeereis bekommen."

"Das tut mir echt leid für dich."

"Und du bist jetzt sauer wegen dem Strippoker?"

"Wärst du das nicht?"

"Aber es ist doch noch gar nichts gelaufen."

"Ja, noch."

"Ach komm schon, führe dich nicht auf wie ein Mädchen."

"Spinnst du, oder was? Was hätte ich denn machen sollen? Einfach mitspielen und eine Orgie feiern?"

"So weit wäre es nicht gekommen. Wir haben nur ein bisschen rumgeknutscht, das war alles. Wir sind doch nicht in den 70ern …"

"Wie auch immer, ich lass mir jetzt ein Zimmer geben."

"Sei nicht sauer auf Xander, wegen so einem Scheiß."

"Gute Nacht, Penny."

"Hallo, ich hätte gern ein Zimmer."

"Natürlich, wie ist denn ihr Name?"

"Jordan Bonanno."

"Ah, dann hab ich eine Nachricht für sie. Hier bitte."

Ich faltete den Zettel auf und erkannte Xander's Handschrift.

'Du hast hier schon ein Zimmer. 413. Bemerkst du nicht, dass du in alte Muster zurückfällst? Immer wenn die Dinge gut für dich laufen und nur die kleinste Wolke aufzieht, … du weißt dass ich Recht habe. Komm ins Bett.'

Ja, ich wusste, dass er Recht hatte. Irgendwie beendeten Xander's Zeilen den Spuk. Ich hatte mit meiner Reaktion alles nur noch schlimmer gemacht.

"Danke, Gute Nacht."

"Aber ihr Zimmer …"

"Ich hab hier schon ein Zimmer. Dankeschön."

Ich ging nach oben in den vierten Stock und klopfte an Xander's Tür. Langsam machte er auf. Ohne ein Wort legte er zärtlich den Arm um mich und führte mich zum Bett. Er zog mich aus und wir legten uns hin. Er küsste meine Stirn und zog mich in seinen Arm. Er streichelte mein Gesicht bis ich eingeschlafen war. Als ich in der Dämmerung aufwachte, hielt er im Schlaf meine Hand. Er war so wunderschön. Ich lag noch eine Weile einfach so bei ihm, bis er sich langsam regte und mich an sich zog.

Um halb Zehn musste ich aufstehen. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass wir die ganze Zeit über kein Wort gesprochen hatten.

"Ich muss um 10 unten mit ein paar Leuten brunchen und noch duschen und so …"

"Okay. Kommst du danach wieder ins Bett?"

"Musst du nicht auch irgendwo hin?"

"Erst um Zwei."

"Okay, dann komm ich danach wieder ins Bett."

Kurz vor Zehn klopfte ich bei Scott und wir gingen in das Hotel–Restaurant. Scott erwähnte den Vorabend nicht und ich tat es ihm gleich. Bald kamen zwei Herren im Anzug und setzten sich zu uns. Eine Stunde lang unterhielten wir uns. Meistens war es nur Smalltalk, aber sie fühlten mir auch auf den Zahn, ob ich wirklich vor hatte, bei der Band zu bleiben und ob ich mit den Kindern flexibel genug sein könnte. Ich schlug mich, laut Scott, ganz gut und konnte kurz nach Elf wieder zu Xander ins Bett schlüpfen.

"Ich hab dir Obst und Käse mitgebracht."

"Danke, ich hab echt Hunger."

"Sollen wir dir noch was Richtiges bestellen?"

"Nein, das ist perfekt. Danke."

Um halb Zwei musste er sich losreißen um zu duschen und zum Soundcheck zu gehen. Danach standen noch ein paar Interviews an und dann begann quasi schon die Show. Bis dahin lief ich ein bisschen in der Gegend herum und rief zu Hause an, wo, wie immer, alles in Ordnung war. Als ich wieder zurück in mein Zimmer wollte, begegnete ich auf dem Gang Brian.

"Jordan? Ich wusste gar nicht, dass du kommst!"

"Spontanbesuch."

"Cool. Willst du heute Abend mit auf die Bühne?"

"Scott meint, das würde nur für noch mehr Unfrieden mit Greg sorgen."

"Vermutlich, aber das ist mir echt egal."

"Normalerweise würde ich nicht nein sagen, aber heute ist irgendwie ein seltsamer Tag. Und den Soundcheck hab ich ja auch verpasst."

"Na gut, aber morgen bist du auch noch hier, oder?"

"Ja …"

"Dann morgen Abend, keine Widerrede. Ich rede schon mit Scott."

"Na gut."

"Aber du schaust dir die Show heute schon an, oder?"

"Die O–Scars auf jeden Fall. Danach kann es sein, dass Xander und ich uns gleich verziehen."

"Ah, ja klar. Hast du Sean gesehen?"

"Nicht mehr seit dem Flughafen, aber er hat dir von der Hochzeit meines Onkels erzählt, oder?"

"Ja, aber er glaubt nicht, dass er noch ein paar Tage in San Diego dranhängen kann. Er will aus irgendeinem Grund Maddy nicht so lange alleine bei Patricia lassen."

"Dann soll er sie halt mitnehmen. Ich hab Gwen auch dabei. Josh hat schon geäußert, dass er die paar Tage lieber hätte, dass seine Großeltern bei ihm zu Hause bleiben."

"Ich schlag es ihm mal vor. Dann bis heute Abend."

Gegen Sieben kam Xander zurück, um sich für die Show umzuziehen. Ein Bus brachte alle zur Konzerthalle, auch die drei Mädels vom Vorabend. Xander schaute mich besorgt an, als sie einstiegen und legte sich meinen Arm um die Schultern.

"Schon okay, Xander."

Ich gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und er lächelte mich an, aber seine Augen blieben besorgt.

Das erste was Andy sagte, als wir ankamen, war:

"Ich könnte mich echt dran gewöhnen, Andere den Auf und Abbau machen zu lassen."

"Sie wird langsam zur Diva, wir müssen uns bald was überlegen, um sie auf dem Boden zu halten."

"Hey, ihr schreibt mir schon vor, welche Schuhe ich zu tragen habe, reicht das nicht?"

Ich schaute Xander fragend an.

"Nichts mit Rollen dran und keine Absätze über acht Zentimeter. Wir wollen schließlich nicht, dass sich unsere Frontfrau auf der Bühne ein Bein bricht."

"Das klingt vernünftig."

"Ich hasse es, dass ich das einzige Mädchen bin. Hoffentlich suchen Summerskin sich nach Greg eine Sängerin."

"Da muss ich dich enttäuschen. Sie haben sich schon für einen Kerl entschieden. Mich."

"Was, echt? Du steigst wieder ein?"

"Ich dachte eigentlich, das hätte sich schon rumgesprochen …"

"Ach, du kennst doch Scott. Noch ist nichts auf dem Papier, also ist noch alles offen." meinte Xander.

"Dann sollten wir es vielleicht langsam aufs Papier bringen. Ich rede nachher gleich mal mit ihm."

Während die O–Scars auf der Bühne waren, schnappte ich mir Scott.

"Hast du kurz Zeit?"

"Ja, ich bin ganz entspannt."

"Äh … oh–kay, … jedenfalls wollte ich fragen, wo ich unterschreiben muss."

"Hm?"

"Damit ich wieder zu Summerskin gehöre …"

"Achso, ich hab zu Hause schon alles vorbereitet. Ehrlich gesagt, hab ich noch auf das Okay von den Beiden heute früh gewartet."

"Warum das denn?"

"Die sind vom Label und damit die Hauptgeldgeber …"

"So wichtig war das heute? Das hättest du mir aber sagen können!"

"Ich kenn dich. So hinterlässt du den besten Eindruck. Und es hat ja geklappt."

"Trotzdem. Manipuliere mich nicht."

"Tut mir leid, ist so eine Angewohnheit."

"Ja, ich weiß, so arbeitest du. Aber nicht mit mir, okay?"

"Okay, es tut mir leid, Jordan. Warum bist du denn deswegen plötzlich sauer?"

"Das ist ja wohl mein gutes Recht, wenn du mich anlügst."

"Schwachsinn. Es geht um heute Nacht, oder? Was hätte ich den tun sollen? Glaubst du, es ist mir leicht gefallen, dich vor die Tür zu setzen? Komm hier rüber."

Er zog mich um eine Ecke, wo niemand uns sah.

"Jordan, versteh mich doch. Ich wollte dich nur beschützen."

"Wovor denn?"

"Vor dir selbst. Stell dir vor, wir hätten miteinander geschlafen. Was wäre dann aus dem Treffen geworden?"

"Darum ging es? Deshalb wolltest du nicht? Sag mal, hörst du eigentlich nicht mal im Bett auf, mein Agent zu sein?"

"Okay, wenn es das ist, was du willst, dann bin ich jetzt mal nicht dein Agent, ich denke nicht mehr an die beruflichen Konsequenzen, sondern bin nur noch dein Ex–Freund. Jordan, du bist nicht nur der einzige Mann, mit dem ich je eine Beziehung hatte, du bist außerdem der Mensch, der es am längsten mit mir ausgehalten hat. Ich bin in dich verliebt, schon seit wir uns vor drei Jahren zum ersten Mal begegnet sind. Morgens denke ich als erstes an dich und abends als letztes. Ich will mich um dich kümmern, ich will, dass es dir und den Kindern gut geht und du das tun kannst, was dich glücklich macht. Ich hab alles in meiner Macht stehende dafür getan und ich glaube, es hat funktioniert, zumindest beruflich. Aber privat hab ich es nicht geschafft. Ich musste dich loslassen und das tut weh. Immer wenn ich dich mit Nikki gesehen habe, oder jetzt mit Xander, dann muss ich mir selbst sagen, dass es besser so ist. Die Hauptsache ist, dass du glücklich bist. Aber in letzter Zeit werde ich egoistisch, Jordan. Ich will auch ein Stück vom Kuchen. Ich will der sein, der dich glücklich macht. Ich habe so oft davon geträumt, dass du, so wie gestern Abend, vor meiner Tür stehst, weil es dir schlecht geht und du mich brauchst. Ich weißt, das ist so egoistisch, aber es waren schöne Träume …"

"Warum hast du nichts getan?"

"Es hätte mich glücklich gemacht, ja, aber wie lange? Am nächsten Morgen wärst du zurück zu Xander gegangen. Es hätte dich unglücklich gemacht und unsere Arbeitsbeziehung zerstört. Sobald irgendetwas zwischen uns passiert, kann ich weder Summerskin, noch die O–Scars weiter vertreten …"

"Verstehe … das ist es wohl nicht wert …"

Scott schaute mich ganz seltsam an, seine Augen waren feucht.

"Doch Jordan, das ist es wert."

Er legte eine Hand in meinen Nacken und kam langsam näher. Ich schloss die Augen. Er schmeckte wie früher. In meinem Kopf waren wir wieder im Jahr 2001. Ich spürte, wie er mich mit starken Armen an sich zog und mich ganz fest hielt. Sein stoppeliges Kinn rieb an meiner Wange, er flüsterte mir zu, mitzukommen. Er ging den Gang entlang, zu einer Garderobe. Drinnen saßen die drei Mädels.

"Geht. Wir müssen hier was besprechen."

Er sperrte die Türe hinter ihnen zu und schob mich rüber zur Couch, wo er mich wieder küsste und mich auszog.

"Ich habe deinen Körper so sehr vermisst. Du bist wunderschön."

Ich ließ ihn einfach machen, denn was er machte, fühlte sich gut an.

Danach hielt er mich im Arm, bis wir die ersten Takte des letzten Songs der O–Scars hörten.

"Es ist Zeit, ich muss gehen."

"Ich weiß. Jordan, kannst du dir vorstellen, dass wir vielleicht doch noch eine Chance haben?"

"Du weißt, dass das nicht funktionieren würde."

"Ich wollte nur ganz sicher gehen …"

"Scott, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll …"

"Schon gut. Sag mir einfach, dass du glücklich bist, wie es ist."

"Das bin ich und das verdanke ich zum Großteil dir, das werde ich dir nie vergessen."

"Du wirst deinen Weg machen. Du brauchst mich nicht mehr. Nach der Tour wird euch jemand Anderes betreuen. Ein Team, Leute, die sich im internationalen Geschäft auskennen."

"Das musst du nicht machen, nicht wegen heute."

"Ich kannte den Preis und hab ihn gerne bezahlt. Jetzt zieh dich an und geh."

Ich gehorchte. Er blieb einfach sitzen.

Die O–Scars kamen gerade von der Bühne. Ich stellte mich zu ein paar Leuten, die die Show von der Seite aus gesehen hatten und fühlte mich plötzlich alles andere als gut.

"Hey Schatz, na, wie fandest du's?"

"Toll, wie immer."

Xander umarmte mich und wollte sofort was zu essen. Wir nahmen uns ein Taxi und aßen im Hotelrestaurant, bevor wir aufs Zimmer gingen. Kaum war die Tür zu, war Xander kaum noch zu bremsen.

"Warte, ich will noch duschen …"

"Du riechst wunderbar."

"Trotzdem, jetzt warte doch."

"Ich helfe dir doch nur beim ausziehen …"

"Danke, aber das bekomme ich schon hin."s

"Ehm, okay …?"

"Leg dich doch schon mal hin, ich komm gleich …"

"Eigentlich könnte ich auch eine Dusche vertragen. Was dagegen, wenn ich mit dusche?"

"Du kannst auch zuerst, wenn du willst."

"Okay, also, was ist los?"

"Nichts, warum?"

"Jordan, ich sehe, dass etwas nicht stimmt. Bitte sag mir, was es ist."

"Nein."

"Wie nein?"

"Nein, ich will es dir nicht sagen."

"Warum nicht? Seit wann haben wir Geheimnisse voreinander?"

"Keine Ahnung. Du hättest mich bestimmt gleich nach der Partie Strippoker angerufen und mir alles erzählt, hm?"

"Geht es immer noch darum?"

"Nein."

"Egal was es ist, sag es mir."

"Du wirst nachher sagen, du hättest es lieber nicht gewusst."

"Das nehm ich in Kauf. Sag es mir, bitte."

"Ich hab mit jemandem geschlafen."

"Was?! Wann?"

"Heute."

"Aber … mit wem?"

"Das kann ich nicht sagen."

"Also kenn ich ihn oder sie."

Ich reagierte nicht. Er wurde zum ersten Mal seit ich ihn kannte, laut.

"Mein Gott, jetzt sag schon. Reicht es nicht, dass du mir fremdgehst, musst du jetzt auch noch dieses entwürdigende Ratespiel mit mir veranstalten?"

"Mit Scott."

Xander wich einen Schritt zurück.

"Oh, bitte nicht …"

"Es tut mir leid …"

Er ging zur Tür.

"Du kannst das Zimmer haben."

"Warte doch!"

"Lass mich in Ruhe."

Er schlug die Tür hinter sich zu. Ich schmiss mich ins Bett. Er brauchte jetzt erst mal Abstand, das konnte ich verstehen. Wenn ich es ihm nur vorher erklären hätte können …

Eine Stunde später bekam ich eine SMS, dass er bei Jamie blieb, also machte ich den Fernseher aus und versuchte zu schlafen.

Ich wusste nicht, ob die O–Scars am nächsten Vormittag einen Termin haben würden, deshalb setzte ich mich ab Acht ins Restaurant, wo Xander früher oder später frühstücken würde. Eine Stunde lang kam niemand, den ich kannte, dann kamen Brian und Tom.

"Guten Morgen."

"Morgen."

"Hast du schon gegessen? Warum sitzt du noch hier?"

"Ich warte auf Xander …"

"Achso. Also, Scott hat gesagt, du hast die Plattenbosse beeindruckt?"

"Es hat zumindest gereicht."

"Dann unterschreibst du zu Hause den Papierkram und gehörst wieder zu uns?"

"So wird es wohl laufen …"

"Alles okay? Du wirkst irgendwie niedergeschlagen."

"Ja? Nö, alles okay …"

"Und heute Abend?"

"Was?"

"Singst du ein paar Nummern vom ersten Album mit uns?"

"Ich weiß noch nicht …"

"Okay, also, was ist los?"

"Ich hatte nur Stress mit Xander."

"Was ernstes?"

"Keine Ahnung …"

"Ach, das wird schon wieder."

"Habt ihr irgendeine Ahnung, wie es heute mit den Terminen der O–Scars aussieht?"

"Boah, wir sind froh, wenn wir uns unser Zeug merken können. Da kommt Scott, frag ihn."

Scott schaute kurz rüber und machte sofort kehrt.

"Okay, das war seltsam. Was hat der denn nun wieder?", fragte Brian skeptisch.

"Vielleicht hat er was vergessen oder so …"

"Vermutlich."

Als die Beiden gegessen hatten, kam Andy herein. Sie setzte sich an einen anderen Tisch. Den Jungs schien das nicht seltsam vorzukommen.

"Ehm, warum setzt Andy sich nicht hierher?"

"Warum sollte sie? Wir haben kaum drei Sätze gewechselt."

"Aber ihr seid seit drei Wochen zusammen auf Tour …"

"Du weißt doch wie das ist. Wenn man so was erst mal anfängt, dann hat man die Leute ständig an der Backe und geht sich nach ner Zeit tierisch auf die Nerven."

"Ich geh mal rüber …"

Andy schaute von ihrem Modemagazin auf.

"Morgen."

"Morgen."

"Was steht bei euch heute so an?"

"Wir sind ziemlich ausgebucht. In einer Stunde geht's los. Wo ist Xander?"

"Er kommt vermutlich bald frühstücken."

Sie wusste also von nichts. Brian und Tom gingen, also blieb ich bei Andy sitzen. Als sie aufgegessen hatte, kamen Jamie, Rico, Xander und die drei Mädchen. Er ignorierte mich einfach, sie holten sich was vom Frühstücksbuffet und setzten sich an einen anderen Tisch. Andy schaute mich irritiert an.

"Ärger im Paradies?"

"Xander ist sauer auf mich."

"Zu Recht?"

"Oh ja, völlig."

"Dann werde ich mich mal rüber setzen …"

"Nur zu."

"Ich lass dir was zu lesen da."

"Ganz toll, danke."

Ich blätterte in dem Modemagazin rum, bis Xander anscheinend aufgegessen hatte und sich zu mir setzte.

"Warum, Jordan?"

"Ich weiß auch nicht … es war so seltsam …"

"War es aus Rache?"

"Nein, so war es nicht. Ich meine, irgendwie hatte es schon was mit vorgestern zu tun, aber … nicht aus Rache. Ich bin vorgestern zu Scott gegangen, aber er hat mich vor die Tür gesetzt und gesagt, ich solle mir ein eigenes Zimmer nehmen. Ich war deshalb sauer auf ihn und hab ihn gefragt, warum er das gemacht hat. Er hat mir gesagt, dass er noch Gefühle für mich hat, eins hat zum anderen geführt und ich hab es geschehen lassen. Das war ein Fehler, das weiß ich … Ich wollte dir nicht wehtun."

"Wie soll ich noch mit ihm arbeiten können, nach der Sache? Und wie soll ich zulassen können, dass er noch mit dir arbeitet?"

"Das wird er nicht. Er wird nach der Tour nicht mehr der Agent von Summerskin sein. Vermutlich auch nicht von den O–Scars."

"Was?! Verdammt, Jordan, wir brauchen ihn aber. Ich hoffe, die Nummer war es wert. War er gut?"

"Nicht so laut. Xander, es tut mir leid. Ich denke aber, dass er diesen Entschluss schon vorher gefasst hatte …"

"Natürlich! Schöne Scheiße! Also ich muss mich jetzt fertig machen. Schönen Tag noch."

Er rauschte ab. Die Anderen schauten ärgerlich rüber, sie hatten bestimmt mitbekommen, dass es um Scott ging. Den Rest konnten sie sich vermutlich ausmalen. Das hieß wohl, ich würde den Tag im Hotel verbringen. Da fiel mir ein, dass ich in New York war. Ich kannte Leute in New York. Ich rief Vince an, der den Tag über total ausgebucht war, dann versuchte ich es bei Hannah. Sie hatte auf dem Klassentreffen erwähnt, dass ihre Handynummer immer noch dieselbe war. Das stimmte tatsächlich.

"Hey, ich bin's, Jordan."

"Hey! Schön dass du dich mal meldest."

"Hör mal, ich weiß es ist kurzfristig, aber ich wollte es mal versuchen. Ich bin in New York und ich hab den ganzen Tag nichts zu tun. Deshalb wollt ich fragen …"

"In einer Stunde am Haupteingang vom Central Park Zoo. Schaffst du das?"

"Ja, denk ich schon."

"Gut, wenn nicht, ruf einfach kurz an."

"Okay, dann bis nachher."

Ich machte mich gleich auf den Weg zur U–Bahn, zwanzig Minuten später stieg ich aus und musste laut Plan noch vier Blocks bis zur 64. Straße laufen. Vor dem Haupteingang setzte ich mich noch auf eine Bank und rief zu Hause an. Danach beobachtete ich die Familien die hineinströmten. Dann sah ich Hannah kommen. Sie trug High Heels und ein geblümtes Kleid im Hippy–Look, dazu eine Jeansjacke und eine riesige Ledertasche.

"Jordan! Du bist echt hier."

"Klar. Wow, du siehst gut aus."

"Dankeschön. Und du hast immer noch die gleiche Lederjacke."

"Die hab ich schon seit über zehn Jahren und sie ist so gut wie neu."

"Naja, vielleicht kommt sie ja irgendwann mal wieder in Mode."

"Du bist die Fachfrau. Mit den Schuhen bist du echt so groß wie ich."

"Ich liebe hohe Schuhe, aber ich muss bei der Männerwahl echt drauf achten dass kein Tom Cruise dabei ist … Also, willst du in den Zoo gehen?"

"Klar!"

"Na dann los."

Wir liefen durch die Gegend, schauten uns ganz nebenbei die Tiere an und tauschten aus, was in den letzten fünf Jahren so los war. Die Zeit verflog geradezu. Nach drei Stunden hatte Hannah noch einen Termin und ich machte mich auf den Heimweg. Irgendwie fragte ich mich, wie sich die Dinge zwischen uns wohl entwickelt hätten, wenn ich damals nichts mit Sean angefangen hätte. Warum beschäftigten mich solche Dinge zur zeit? Wahrscheinlich bekam ich kalte Füße, weil es mit Xander so ernst wurde. Selbst nach der Sache mit Scott hatte ich keine Angst, dass er mit mir Schluss machen könnte.

Ich fuhr zurück ins Hotel und zog mich um. Xander war nicht da. Ich ging zu Brian, um zu erfahren, wann der Bus fuhr.

"Was ist denn los, warum fragst du nicht Xander? Immer noch Stress?"

"Ja …"

"Wollt ihr wirklich so die paar Tage verbringen, die ihr zusammen habt? Ihr seht euch jetzt dann für einen Monat nicht mehr."

"Ich weiß …"

"Tu was, Jordan."

"Ich weiß nicht mal, wo er gerade ist."

"Weit kann er nicht sein. Schau doch mal bei seinen Bandkollegen nach."

"Na schön …"

Ich klopfte erst mal bei Jamie. Niemand machte auf, also ging ich zu Ricos Zimmer. Penny machte mir auf, in Unterwäsche.

"Déjà vu."

"Komm rein."

Als erstes roch ich Gras, dann sah ich Rico mit einer Pfeife, dann die beiden halbnackten Mädchen und Xander, noch gut bekleidet, beim Kartenspielen.

"Hey Jordan. Na, willst du mitspielen?"

"Klar."

Xander schien überrascht. Lindsay gab aus. Ich schmiss meine beiden Asse weg und behauptete, nichts zu haben und hoffte daraus, dass Xander gewinnen würde. Dass machte ich dreimal und trennte mich von Schuhen, Socken, Pulli und Gürtel. Das dritte Spiel gewann Xander endlich.

"Ich denke, diesmal nehm ich den Kuss."

"Ich denke, ich spiel nicht mehr mit."

"Tja, ich hab die Regeln nicht gemacht."

"Lass mal sehen, was du hattest. Das waren deine Karten, oder? Das ist eine Straße. Du hättest gewonnen."

"Oh, das hab ich wohl übersehen."

"Natürlich …"

"Xander, komm schon, es tut mir leid."

"Und du glaubst, damit ist das erledigt? Du hast nicht mit irgendjemandem geschlafen, der dir nichts bedeutet!"

"So war das nicht. Es war eher wie ein Abschied. Weil es jetzt endgültig und für immer vorbei ist. Das musst du mir glauben, Xander. Es ist nur … die Vorstellung, dass wir für immer zusammen bleiben … das ist natürlich toll, aber irgendwie macht es mir auch Angst."

"Ja toll, was soll ich denn sagen?"

"Ich weiß, tut mir leid. Du musst mir jedenfalls glauben, dass es nichts bedeutet hat. Nichts außer Abschied. Bitte, wir sehen uns jetzt dann einen Monat lang nicht."

"Und deshalb darf ich jetzt nicht sauer sein, dass du mit deinem Ex–Freund schläfst?"

"Doch, klar … ich will nur mit dir zusammen sein. Ich will es wieder gut machen. Ich will in Ruhe mit dir drüber reden. Bitte. Geh heute nach der Show mit mir essen, ja?"

"Ich denk drüber nach."

"Okay. Ich bin dann jetzt in unserem Zimmer …"

Ich hob meine Klamotten auf und ging zur Tür. Die Anderen starrten mir hinterher.

"Warte."

Xander kam zur Tür.

"Schwörst du, dass du nie wieder etwas mit ihm anfangen wirst?"

"Ich schwöre es."

"Okay. Weißt du, für mich ist das alles auch nicht einfach. Mit 20 schon den Menschen fürs Leben zu finden hat Vor– und Nachteile."

"Ich weiß und ich schwöre dir, ich hab die Phase mit den kalten Füßen hinter mir. Es tut mir leid. Ich mach es wieder gut. Ich tu was du willst."

"Sei einfach immer ehrlich zu mir und schlaf mit keinen Ex–Partnern mehr, dann bin ich schon zufrieden. Ich fände es noch nicht mal schlimm, wenn du bedeutungslosen Sex mit jemandem hättest, den du dann nie wieder siehst. Ich hab einfach nur schreckliche Angst dich zu verlieren …"

"Das wirst du nicht. Niemals, egal was kommt."

Ich streckte die Hand nach seiner Wange aus, er ließ es zu, kam sogar näher und umarmte mich.

"Hast du ein Glück, dass ich nicht mehr ohne dich leben kann."

"Ich weiß. Ich hab dich gar nicht verdient."

"Das stimmt nicht. Bisher warst du immer der beste Freund den man sich wünschen kann."

"Und das werde ich auch wieder. Versprochen."

"Lass uns rüber gehen, ja?"

Eine Stunde später saßen wir im Bus zur Konzerthalle und konnten einfach nicht aufhören, uns zu küssen. So hätte es von Anfang an sein sollen, nachdem wir uns drei Wochen nicht gesehen hatten.

Xander hatte noch über eine halbe Stunde, bevor er auftreten musste. Plötzlich standen Vince und Collin neben der Bühne, bei Scott. Ich unterdrückte den Impuls rüber zu gehen, unter Anderem weil Xander meine Hand ungewöhnlich fest hielt. Die Drei schauten betont in eine andere Richtung und Collin legte den Arm um Scott. Wussten sie etwa Bescheid?

Nach ein paar Minuten schien es Vince doch zu blöd zu werden und er kam rüber.

"Hey ihr Beiden …"

Wie üblich gab er mir zur Begrüßung ein Küsschen auf die Lippen, woraufhin Xander abrupt meine Hand losließ.

"Ich geh dann mal zu den Anderen …"

"Warte doch!"

Er reagierte nicht, erst als Vince ihm hinterher ging, nachdem er mich tatsächlich böse angefunkelt hatte.

"Warte Xander …"

Erstaunt drehte der sich um.

"Tut mir leid. Wenn du nicht willst, dass ich Jordan so begrüße, dann lass ich es in Zukunft."

"Was … nein … Oh Mann, jetzt ist es mir peinlich … es hat nichts mit dir zu tun, Vince."

"Ich weiß."

"Scott hat es euch erzählt?"

"Collin ist sein bester Freund."

"Na schön, dann verstehst du mich ja."

"Absolut."

"Okay, ich geh dann mal zu den Anderen …"

"Ich bin schon gespannt drauf, dich mal auf der Bühne zu sehen. Ihr sollt ja echt klasse sein."

"Ach, für eine Vorband sind wir gar nicht so schlecht. Bis nachher."

"Ja, bis dann."

Xander verschwand und Vince kam zu mir zurück.

"Ich hoffe du weißt, wie groß die Scheiße ist, die du gebaut hast."

"Ich konnte mit Xander alles regeln …"

"Ja, das hab ich gesehen. Du hast ihm scheinbar ganz schön weh getan."

"Das musst du mir nicht sagen, Vince. Aber ich kann es nicht mehr ändern."

"Und Scott? Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast es echt ganz schön versaut, Jordan."

"Vielleicht kann er ja doch weiter mit uns arbeiten …"

"Nein, wirklich nicht. Das war vorher schon schmerzhaft genug für ihn, aber nach der Sache geht das echt überhaupt nicht mehr."

"Jetzt lassen wir erst mal die Tour vergehen, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist …"

"Glaubst du echt, was du da redest? Drei Jahre, Jordan. Meinst du echt, dass ein paar Wochen daran was ändern?"

"Es ist nun mal passiert. Was kann ich denn jetzt noch machen?"

"Nichts, das ist ja der Punkt. Scott hat keine Wahl mehr."

"Aber, …"

"Nichts aber. So, ich geh jetzt wieder rüber. Halt einfach Abstand. Das ist das Beste, das du von jetzt an machen kannst."

So sauer hatte ich Vince noch nie erlebt. Ich stand für ein paar Sekunden ziemlich blöd in der Gegend rum, dann ging ich zu Xander.

Nach der Show gingen wir zusammen essen und danach spielte mir Xander einen Song vor, den er geschrieben hatte.

"Das ist nicht übel. Jetzt brauchst du bloß noch einen Text."

"Hab ich schon, aber ich werd bestimmt nicht singen."

"Ach komm, im Bad singst du auch manchmal. So schlecht ist es gar nicht. Mit ein bisschen Übung …"

"Ja, aber ich muss ja nicht vor dir üben. Ich hab den Text hier, wenn du es mal versuchen willst."

"Aber das ist doch dein Song …"

"Und du bist mein Sänger, schon vergessen?"

Ich sang also den Refrain in der Melodie, die er mir vorgespielt hatte.

"Wow, du kannst das echt einfach so vom Blatt!"

"Naja, das war nicht gerade bühnenreif …"

"Trotzdem. Wo hast du denn eigentlich das musikalische Gehör her?"

"Ich hab schon immer gesungen … mit Mum zum Beispiel. Und auch mit meiner Großmutter väterlicherseits. Sie wollte mir so immer Italienisch beibringen."

"Und, hat's geklappt?"

"Ein paar Brocken sind vielleicht hängen geblieben. Wenn sich jemand auf Italienisch unterhält kann ich so einigermaßen folgen, aber selber reden geht gar nicht."

"Schade, das wäre bestimmt sexy. Aber singen ist auch sexy."

"Als ich Fünf war, wurde ich von Mum gezwungen Flöte zu lernen. Das durfte ich erst mit Zehn aufhören, als ich mit Gitarre angefangen habe. Mum hatte zwar kaum Geld, aber ein Instrument musste sein."

"Dann spielst du ja schon länger Gitarre als ich. Kein Wunder, dass du so gut bist. … Warum erzählst du eigentlich nie was aus deiner Kindheit?"

"Was willst du denn wissen?"

"Nichts Konkretes. Nur so allgemein … war es eine glückliche Kindheit?"

"Mum hat sich bemüht."

"Das ist keine Antwort."

"Nicht besonders glücklich, nein."

"Warum nicht?"

"Wir hatten kaum Geld, meine Mum hat sich auf die falschen Kerle eingelassen, meine Großeltern mütterlicherseits haben versucht, mich ihr wegzunehmen, deshalb hatten wir zu ihnen kaum noch Kontakt, mein Dad hat geheiratet und mich von da an quasi ignoriert. Und so weiter …"

"Was für Kerle?"

"Kerle die gerne mal zugeschlagen haben zum Beispiel."

"Haben sie dich auch geschlagen?"

"Die ein oder andere Ohrfeige zu Erziehungszwecken hab ich schon bekommen. Aber das Meiste hat Mum abbekommen. Als ich Acht war, musste sie sogar eine Woche im Krankenhaus bleiben. Niemand sollte davon erfahren, deshalb durfte ich in der Zeit nicht zu meinen Großeltern. Ich blieb alleine zu Hause."

"Mit Acht? Eine Woche lang?"

"Das ging schon. Essen bekam ich in der Schule und ansonsten brauchte ich ja nicht viel …"

"Krass, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss!"

"Eigentlich ganz normal. Seit ich Fünf war, hat meine Mum ganztags gearbeitet. Ich war es also gewohnt, am Nachmittag alleine zu sein."

"Mit Fünf?!"

"Es ging eben nicht anders. Wir brauchten das Geld. Wir sind damals aus dem Ein–Zimmer–Apartment in eine Drei–Zimmer–Wohnung gezogen."

"Aber ein fünfjähriges Kind, jeden Tag für Stunden alleine zu Hause … Was hast du denn da so gemacht?"

"Gespielt, Musik gehört, so was eben. Es war wirklich nicht so schlimm …"

"Jetzt scheint Carol so eine tolle Mum zu sein."

"Jetzt ist sie auch 20 Jahre älter und hat genug Geld. Eine furchtbare Mum war sie nie, es waren nur die äußeren Umstände. So, genug von meiner Kindheit. Spiel den Song noch mal …"

Kurz nach Mitternacht schaute Xander auf die Uhr und grinste mich an.

"Alles Gute zu unserem Halbjährigen, mein Schatz."

"Stimmt! Heute ist der 26. Danke, das wünsche ich dir auch."

Am nächsten Morgen ging mein Flug zurück relativ zeitig, deshalb verabschiedeten wir uns im Bett.

"Oh, ich hab ja noch einen Brief von Josh für dich."

Ich kramte ihn aus meiner Tasche und Xander legte ihn geheimnistuerisch bei Seite.

"Willst du ihn nicht gleich lesen?"

"Hättest du wohl gerne. Das ist privat."

"Oh Mann …"

"Du musst jetzt eh langsam aufstehen."

"Ich weiß. Fast ein Monat, ich glaub das halt ich nicht aus."

"Vielleicht kannst du ja mit den Kindern über Ostern nach Jackson und so kommen?"

"Das wäre echt klasse …"

"Jetzt steh schon auf!"

"Ich will nicht."

Eine halbe Stunde später saß ich im Taxi zum Flughafen.

Zu Hause lief mir Gwen gleich entgegen, ich nahm sie hoch und machte Josh gleich mal den Vorschlag, über Ostern zu Xander zu fahren. Er war begeistert.

Am nächsten Tag rief mich Scotts Sekretärin an und bat mich, in den nächsten Tagen vorbei zu kommen, um wie besprochen, alles zu unterschreiben.

Zwei Wochen später flogen die Kinder und ich nach Jackson. Wir und die beiden Bands kamen fast gleichzeitig am Flughafen an, begrüßten uns dort und fuhren zusammen zum Hotel. Josh wich Xander überhaupt nicht mehr von der Seite, zum Glück hatten die O–Scars an dem Tag keine Termine mehr. Vier Tage lang waren wir wieder zu viert. Josh war sogar bei der Show dabei, während ich mit Gwen im Hotel blieb. Wenn Xander Termine hatte, ging ich mit den Beiden in den Zoo oder den Park. Der Abschied fiel uns nicht mehr ganz so schwer, denn in zwei Wochen würden wir uns ja schon wiedersehen.

Am 21. April hatte Josh Geburtstag, Xander zwang mich dazu, mir mit ihm ein Baseballspiel anzuschauen.

In der Zwischenzeit hatte ich mit Sean und Renzo vereinbart, dass wir zusammen nach San Diego fahren würden und zwar schon am 23. . Sean würde Maddy nun doch bei Patricia und ihren Eltern lassen und bis nach der Show bleiben. Er richtete von Brian aus, dass die Jungs keine Ausrede mehr akzeptieren würden und darauf bestanden, dass ich in San Diego mit ihnen auf die Bühne ging. Renzo war schon Tage bevor wir losfuhren ein nervliches Wrack und ich konnte ihn nur mit Müh und Not davon überzeugen, nicht im letzten Moment doch noch zu kneifen. Ned und Elly richteten sich mal wieder für ein paar Tage häuslich bei uns ein, da Josh ja die Geburtstagsfeier seines Kumpels Henry nicht verpassen wollte und zusätzlich noch ein wichtiges Spiel anstand.

Am Freitagnachmittag packten wir also Gwen in Seans Auto, holten Renzo, der brave Klamotten an hatte und sich die Haare schneiden hatte lassen, ab und los ging es nach San Diego. Durch das ständige Renzo–Mut–zusprechen vergaß ich fast, dass ich selbst auch nervös sein sollte, da ich meinen Dad und seine Familie seit über sechs Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie wussten noch nicht mal von Gwen. Und sie würden in ein paar Tagen Xander kennenlernen, was sicher auch interessant werden dürfte. Sean erzählte, dass er sich mittlerweile sicher war, dass Patricia eine Affäre hatte und fand das scheinbar urkomisch.

Er kannte den Weg zu dem Haus, das Milo gekauft hatte und wo wir zum Abendessen eingeladen waren. Ich erkannte die Gegend. Zum Haus meiner Großeltern und nebenan dem meines Vaters konnte es nicht weit sein. Ja, langsam wurde ich nervös. Gwen bemerkte das wie immer und wurde ebenfalls unruhig. Zum Glück parkten wir schon in der Auffahrt eines charmanten kleinen Häuschens.

"Und es ist definitiv niemand Anderes aus der Familie zum Essen da?" fragte Renzo zum wiederholten Mal.

"Ich hab Milo drei Mal danach gefragt. Ganz sicher."

"Na gut, dann haben wir wohl noch Schonfrist …"

Kurz nachdem wir geklingelt hatten, machte uns eine wirklich hübsche, italienisch aussehende, junge Frau die Tür auf.

"Da seid ihr ja. Hast du wieder gut her gefunden, Sean?"

"Diesmal sogar ohne Umweg, glaub ich."

Die Beiden umarmten sich. Sie schienen sich relativ gut zu kennen. Renzo schaute immer noch ängstlich drein.

"Ach Renzo, es ist niemand hier, schau nicht so. Und ob du nachher mit rüber gehst, ist deine Entscheidung. So und du musst dann wohl Jordan sein. Ich bin Sandra. Schön dich endlich mal kennenzulernen."

"Danke, gleichfalls. Und das hier ist Gwen."

"Ja hallo. Bist du ein hübsches Kind. Eine Blondine!"

Wir gingen rein und es roch fast wie bei meiner Großmutter, nach Tomatensoße und italienischen Gewürzen. Alles war total gemütlich eingerichtet, ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Milo kam die Treppe herunter. Er war viel erwachsener geworden. Seine Haare waren recht kurz und er ließ sich einen dünnen Bart stehen. Er sah Anthony ähnlicher als früher, nur dass er strahlte und uns herzlich begrüßte. Sandra und er trugen Essen für Zehn auf und wir ließen es uns schmecken, während wir sie über die Hochzeit ausfragten. Als der Tisch abgeräumt war, war die Stimmung irgendwie seltsam.

"Also … Anthony und die Großeltern wissen Bescheid, dass ihr hier seid. Wir sollen nach dem Essen rüber kommen …"

"Gilt das nur für Jordan, oder meinen sie tatsächlich mich?"

"Sie wissen, dass du dabei bist, aber dazu haben sie nichts gesagt."

"Komm schon, Renzo. Wir gehen zusammen rüber, ja?"

"Das sagst du so einfach …"

"Ich wickle noch kurz Gwen und dann kann's los gehen."

Ich zog sie auch noch frisch an, sie lernte heute schließlich ihre Urgroßeltern und ihren Großvater kennen.

Wie ich vermutet hatte, wohnten die nur eine Straße weiter. Gwen lief den ganzen Weg selbst.

"Ganz ruhig, kleiner Bruder. Wir können jederzeit einfach gehen."

Auch Sean klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Für meinen Ex–Freund war es bestimmt auch seltsam, meine Familie wiederzutreffen, mein Dad hatte ihm damals ja ganz schön zu schaffen gemacht. Carmen machte auf. Irgendwie sah sie viel älter aus. Und mit einem knalligen Lippenstift wollte sie wohl von den Fältchen um ihre Augen ablenken.

"Kommt rein."

Mehr sagte sie nicht. Ich musste Renzo fast durch die Türe schieben. Die Familie saß im Wohnzimmer. Ich hatte ein paar Sekunden, um alle zu mustern. Peter trug einen Anzug, der aussah, als hätte er ihn sich von seinem Vater geliehen. Tony Jr. war ein Schrank geworden. Meine Großeltern wurden, mit Mitte 60, langsam alt. Und dann war da mein Dad. Er stand auf und kam rüber, frisch aus dem Ei gepellt, wie immer. Irgendwie traten alle um mich herum einen Schritt zurück. Anthony stand vor mir.

"Du hast dich kaum verändert. Außer das Metall im Gesicht."

"Du hast dich auch kaum verändert, obwohl, sind das graue Haare?"

Er grinste. Gwen hing an meinem Bein und wollte hochgenommen werden.

"Und wer ist das?"

Ich nahm sie hoch.

"Das ist meine Tochter Gwen."

Anthonys Gesichtsausdruck hätte nicht erstaunter sein können. Meine Großmutter sprang auf und sagte etwas über Gott auf italienisch. Sie nahm mir Gwen ab und bewunderte ihre blonden Haare. Dann küsste sie mich freudig.

"So eine Überraschung! Ich bin Urgroßmutter. So ein hübsches Bambina!"

"Ich will eines aber gleich klarstellen. Ich bin nicht verheiratet und steh immer noch auf Männer."

"Warum tust du das Jordan?"

"Was denn?"

"Warum versuchst du immer, uns zu schocken? Warum sagst du solche Dinge, wenn deine Großeltern im Raum sind?"

"Ich will nur klare Verhältnisse schaffen, das ist alles."

Maria legte versöhnlich den Arm um mich.

"Jetzt setzt euch doch erst mal."

Renzo schlich rein, als wäre er hier nicht zu Hause.

Maria setzte Gwen meinem Großvater auf den Schoß und er betrachtete interessiert ihr Elvis–T–Shirt. Sean und Renzo setzten sich neben mich auf die Couch.

"Also, Jordan. Wer ist die Mutter?"

"Nikki. Du erinnerst dich bestimmt noch an sie."

"Die, die dir damals das Kind anhängen wollte?", fragte mein Vater unüberhörbar zynisch.

"So war das nicht, wie du weißt. Josh lebt übrigens auch bei mir. Er ist mittlerweile Elf."

"Und wo Nikki?"

"Das wissen wir nicht und es ist uns auch egal."

"Verstehe. Also, was wollt ihr trinken?"

Carmen brachte Wein und Wasser, dazu Trauben und Cracker. Sandra ging ihr zur Hand. Gwen beschäftigte sich mittlerweile mit dem Fernsehprogramm, das sie unterm Tisch gefunden hatte. In letzter Zeit war es viel schwieriger geworden, immer auf sie aufzupassen.

"Also Sean, Milo hat erzählt, du studierst tatsächlich Medizin."

Sean war für einen Moment irritiert darüber, dass mein Vater ihn ansprach.

"Ja … seit 2001. Im Sommer 2005 sollte ich fertig werden."

"Das ging ja schnell. Und wo würdest du gerne arbeiten?"

"Innere Medizin."

"Sehr gut. Und man hört, du bist verheiratet."

"Ja, auch seit 2001. Ich habe eine kleine Tochter in Gwens Alter."

"So ein Zufall. Na wer hätte das gedacht?"

Mein Dad blieb beim Smalltalk. Er erkundigte sich, wie Sean wohnte und irgendwann auch, wie ich wohnte und was ich beruflich jetzt weiter vorhatte. Ich erzählte, dass ich bei der Band schon wieder unterschrieben hatte. Und dass die Jungs in ein paar Tagen in der Stadt sein würden. Milo und Sandra verabschiedeten sich zeitig, sie hatten morgen ihren großen Tag vor sich. Die Frage, wo wir übernachten würden, kam auf.

"Wir haben unser Zeug im Auto gelassen und werden uns nachher irgendwo ein Zimmer suchen."

"Seid nicht albern, ihr könnt doch hier schlafen. Tony kann bei Peter schlafen und schon ist ein Zimmer frei."

"Klar, das kann dann Sean haben und Gwen und ich schlafen bei Renzo. Wäre das okay?"

"Klar, von mir aus."

"Na gut, dann machen wir das so."

"Dann hol ich gleich mal das Auto."

Schon war Sean verschwunden. Wahrscheinlich wollte er noch mit Brian telefonieren, bevor der auf die Bühne ging. Als er wieder kam, holten wir unser Zeug aus dem Auto. Ich ging in die Küche, wo sich die Frauen um den Abwasch kümmerten.

"Ich bräuchte heißes Wasser für Gwens Milch."

"Natürlich, setzt dich, ich mach das."

Zwei Minuten später war die Flasche fertig. Ich setzte mich mit Gwen auf die Terrasse, wo sie zuerst begierig trank und dann immer müder wurde. Kurz vor Schluss schlief sie dann ein. Die Terrassentür ging auf und mein Vater kam heraus. Er flüsterte.

"Schläft sie?"

Ich nickte. Er zog sich einen Stuhl heran.

"Willst du sie nicht hinlegen?"

"Noch nicht. Ich will das noch ein bisschen genießen. Früher ist sie jeden Abend auf meinem Schoß eingeschlafen, aber mittlerweile hält sie es dort kaum noch aus, weil es so viel zu entdecken gibt."

"Kinder werden viel zu schnell groß und man muss es aufgeben, zu versuchen, sie vor allem zu beschützen. Als du ein Baby warst, hab ich dich den ganzen Tag herum getragen. Ich wollte dich überhaupt niemand Anderem überlassen, aus Angst, dass die nicht gut auf dich aufpassen. Aber irgendwann wollen Kinder nicht mehr ständig beschützt werden und man kann nur beten, dass ihnen nichts Schlimmes widerfährt …"

"Ich weiß, es ist ganz fürchterlich die Kontrolle abgeben zu müssen. Ich meine, ich weiß einfach, dass ich am allerbesten für die Kleine sorgen kann, aber man kann nicht immer da sein."

"Es ist bestimmt nicht leicht für dich, Vater zu sein."

"Warum?"

"Du hattest kein Vorbild, du hast keine Frau an deiner Seite …"

"Ich hab seit einem halben Jahr Xander."

Ich konnte sehen, dass es meinem Vater unangenehm war, über dieses Thema zu sprechen. Er versuchte irgendeinen plumpen Themenwechsel.

"Dad, wir müssen irgendwann darüber sprechen."

"Warum denn?"

"Weil das ein großer Teil meines Lebens ist. Und auch Renzo's Leben."

"Wir werden jetzt nicht über deinen Bruder sprechen."

"Dann sprechen wir eben erst mal über mich und Xander. Er ist Gitarrist bei der Vorband, die mit Summerskin auf Tour ist. Das bedeutet, er ist bald in der Stadt und ich will, dass er meine Familie kennenlernt."

"Wozu denn?"

"Wenn ich dir ein Mädchen vorstellen wollen würde, würdest du das nicht fragen."

"Das ist was anderes."

"Warum?"

"Weil solche Beziehungen nicht halten. Schau Sean und dich an."

"Die wenigsten High School–Beziehungen halten. Ich versichere dir, das zwischen Xander und mir wird halten. Er ist der Eine für mich, Dad."

"Das ist doch Schwachsinn. Zwei Männer können doch nicht …"

"Nur weil du es dir nicht vorstellen kannst, heißt es nicht, dass es nicht möglich ist. Wenn ich mir anschaue, wie … klassisch die Rollenverteilung in diesem Haus ist, kann ich mir allerdings vorstellen, warum du es nicht für möglich hältst. Denn ohne die Frauen, die für euch kochen und den Haushalt schmeißen, könntet ihr vermutlich nicht überleben."

"Ich könnte auch gut für mich selbst sorgen. Allerdings muss ich zugeben, dass es mir wirklich imponiert, dass du Gwen alleine großziehst."

"Mit dem Jahr Pause, in dem ich eh nur zu Hause gearbeitet habe, hat das alles gut funktioniert. Ich hoffe, dass alles gut geht, wenn ich wieder mit der Band arbeite."

"Ich würde dich gerne mal auf der Bühne sehen."

"Am 27. hast du die Chance dazu. Spätestens dann lernst du auch Xander kennen."

"Dann hab ich wohl keine andere Wahl."

"Nein. Dad, ich weiß, du willst nicht drüber reden, aber Renzo macht das Ganze wirklich zu schaffen."

"Das geht dich nichts an."

"Das seh ich anders. Warum behandelst du ihn so?"

"Das würdest du ohnehin nicht verstehen."

"Erkläre mir doch mal, warum du so zwischen uns unterscheidest."

"Ich unterscheide zwischen euch? Sehe ich nicht so."

"Du hast ihn quasi verstoßen, du ignorierst ihn und zu Weihnachten durfte er nicht nach Hause kommen."

"Und weiter?"

"Warum?"

"Um ihm die Flausen auszutreiben."

"Und wenn es keine Flausen sind? Was, wenn er einfach nur schwul ist?"

"Schwachsinn."

"Ich hab viel mit ihm geredet und er ist sich sicher."

"Mein Sohn ist nicht schwul, Ende der Diskussion."

"Was ist denn so schlimm daran?"

"Ich werde nicht mit dir drüber diskutieren."

"Na schön. Ich bringe jetzt meine Tochter ins Bett."

Ich stand auf und ging Richtung Tür. Mein Vater schlug einen versöhnlichen Ton an.

"Ich will nicht, dass du schon wieder wütend auf mich bist. Du bist immer so wütend auf mich."

"Wundert dich das? Ehrlich gesagt hab ich auch keine Lust mehr, wütend auf dich zu sein. Deshalb ist mir mittlerweile einfach egal, was du von mir hältst. Ich weiß, was ich mit den Kindern und der Band geleistet habe und ich bin stolz darauf, Xander meinen Freund nennen zu dürfen. Leider ist es aber Renzo wichtig, von dir akzeptiert zu werden. Nur deshalb diskutiere ich überhaupt noch mit dir."

"Versteh mich doch. Ich will doch nur sein Bestes."

"Momentan bist du aber sein größtes Problem. Du kannst doch nicht von ihm verlangen, dass er sich sein Leben lang verstellt. Das geht nicht lange gut."

"Er soll sich nicht verstellen. Er soll normal werden."

"Das kann er sich doch nicht aussuchen! Als nächstes schickst du ihn zu einer Elektroschock–Therapie, oder wie? Warum kannst du ihn nicht einfach akzeptieren, wie er ist?"

"Was für ein Leben wäre das denn?"

"Auf jeden Fall besser, als sich ein Leben lang verstellen müssen und jemanden zu heiraten, den man gar nicht wirklich liebt, so wie Sean."

"Du willst doch bloß nicht wahr haben, dass Sean sich verändert hat."

"Weißt du was? Geh und frag ihn. Ich bringe jetzt meine Tochter ins Bett."


Sean

Als wir nach dem Essen bei Milo zum Haus von Jordans Dad gingen, war mir richtig mulmig. Väter. Zu meiner Überraschung fragte Anthony mich nach dem Studium und was ich danach vor hatte. Er hatte seinen Sohn sechs Jahre nicht gesehen, aber fragte mich aus. Als Sandra und Milo gingen, boten Anthony und Carmen uns an, bei ihnen zu bleiben. Das war natürlich naheliegend, aber ein Motel wäre mir doch lieber gewesen. Während ich das Auto holte, telefonierte ich ein paar Minuten mit Brian. Das reichte, damit ich mich besser fühlte. Als wir das Auto ausgeräumt hatten, setzte Jordan sich mit Gwen nach draußen, ich half in der Küche beim Abwasch. Als ich wieder zurückkam, hatte der Großvater sich eine Pfeife angesteckt und ließ Peter und Tony ziehen. Anthony saß tatsächlich bei Jordan auf der Terrasse. Durch das Fenster konnte man sehen, dass sie sich unterhielten. Das ging offensichtlich nicht lange gut. Bald stand Jordan auf, aber sein Vater hielt ihn zurück. Sie wechselten noch ein paar Sätze, dann kam Jordan herein und brachte die schlafende Gwen nach oben. Anthony steckte den Kopf durch die Tür.

"Sean, warum kommst du nicht und leistest mir Gesellschaft? Ich zeige dir unseren Gemüsegarten."

Ich schaute Renzo verwundert an und ließ ihn alleine auf der Couch zurück.

"Also Sean. Ich bin sicher, dein Vater ist sehr stolz auf dich. Angehender Arzt, verheiratet und eine Enkelin hast du ihm auch schon geschenkt."

Wir gingen ein paar Schritte einen Kiesweg entlang, an dem Solar–Gartenleuchten schienen.

"Ja, das sagt er mir oft. Und er fragt, wann er einen Enkelsohn bekommt. Ich sage ihm immer, dass meine Frau und ich erst mal zu Ende studieren wollen."

"Sehr vernünftig. Carmen hat sich damals um die Jungs gekümmert, sonst hätte ich auch nicht studieren können. Sie hatte ja schon ein paar Jahre für meinen Vater gearbeitet und sich einiges zusammen gespart. Was studiert deine Frau?"

"Ebenfalls Medizin."

"Lohnt sich das, wenn ihr bald noch mehr Kinder wollt?"

"Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass wir noch ein Kind bekommen werden."

"Aber, warum denn nicht?"

"Weil unsere Ehe vermutlich nicht viel länger halten wird als bis dann, wenn wir beide finanziell unabhängig sind."

"Redest du etwa von Scheidung?"

"Ich fürchte ja."

"Aber das verstehe ich nicht. Wie kann es sein, dass eine Ehe nur so kurz hält?"

"Wir hätten einfach von Anfang an nicht heiraten sollen. Sie war meine beste Freundin und jetzt halten wir es kaum im gleichen Raum aus. Wir haben es nicht geschafft, einander glücklich zu machen."

"Aber warum hast du sie dann geheiratet?"

"Für meinen Vater. Ich wollte, dass er stolz auf mich ist. Und dann kam meine Tochter. So war das alles nicht geplant. Natürlich liebe ich sie und bin froh, dass sie auf der Welt ist. Aber ich kann ihr keine heile Familie bieten."

"Wenn ihr es nur genug versucht ..."

"Das habe ich, das können sie mir glauben. Aber es funktioniert einfach nicht. Ich war in meinem Leben erst zwei Mal wirklich glücklich und das war, als ich mit Jordan zusammen war und jetzt, seit ich Brian kenne."

"Du hast eine Affäre mit einem Mann?"

"Ja und meine Frau hat ebenfalls jemand Anderen. Sie weiß nicht, dass ich es weiß, aber ich bin mir sicher. Jeden Tag bin ich gezwungen zu lügen. Wenn mein Vater davon erfahren würde … ich darf gar nicht daran denken. Ich würde meine Familie verlieren. Ich würde ihm das Herz brechen. Ich werde nie vergessen, wie er auf mich losgegangen ist, als er von Jordan erfahren hat."

"Er hat dich verprügelt?"

"Ich konnte mich nach dem ersten Schlag in der Toilette einsperren. Die Zeit danach war die schlimmste in meinem Leben. Und wenn ich jetzt Renzo anschaue, dann bricht es mir das Herz."

"Ich würde nie Hand an ihn legen."

"Die Prügel waren nicht so schlimm, es war die Verachtung in seinem Blick. Ich seh es manchmal heute noch, wenn er mich anschaut, obwohl seitdem Jahre vergangen sind und er keine Ahnung hat, wer ich wirklich bin. Es tut mir leid, ich kann jetzt wirklich nicht mehr darüber reden …"

Ich musste erst mal den Kloß in meinem Hals runter schlucken. Wann würde mich das endlich nicht mehr so berühren?

"Lass uns rein gehen."

Er sah durchaus betroffen drein. Als wir wieder zu den Anderen kamen, schaute Jordan mich schuldbewusst an.

"Du hast ihn also auf mich angesetzt."

"Tut mir leid … und, wie ist es gelaufen?"

"Ich hab ihm in Kurzfassung alles erzählt. Ich glaub, es hat ihm zu denken gegeben."

"Na mal sehen was noch so kommt."


Jordan

Renzo saß neben uns und schaute unsicher in die Runde. Unser Großvater ließ sich von Peter gerade alles über das College erzählen. Tony hörte ebenfalls gebannt zu und Carmen hatte stolz die Hand auf der Schulter ihres Ältesten.

Mama Maria kam aus der Küche.

"Jordan, du musst morgen mit mir singen!"

"Ehm, okay … was denn?"

"Lass uns die Plattensammlung durchschauen."

Sie zerrte mich mit rüber ins Nachbarhaus, wo die riesige Sammlung, genau wie schon vor 20 Jahren, immer noch in der Schrankwand im Wohnzimmer stand.

"Also, mal sehen, was wir da haben."

Sie schaute sich die Umschläge der Platten an, auf der Suche nach einem Duett.

"Darf ich einen Vorschlag machen?"

"Natürlich, Tesoro."

"Ich erinnere mich, dass wir Nancy und Frank Sinatra gesungen haben …"

"Aber natürlich, dass ich darauf noch nicht gekommen bin! Perfetto! Ich rufe gleich mal Angelo an."

Das war scheinbar jemand aus der Band, die auf der Hochzeit spielen würde.

"No Problema, sie können uns begleiten. Wir müssen üben."

Wir hörten uns den Song zweimal an und sangen ihn zweistimmig mit.

"Ah, sehr gut, wirklich. Du bist sehr gut geworden."

"Dankeschön und du hast nichts verlernt."

"Lass uns rüber gehen. Ich muss deinen Großvater ins Bett bringen. Wir müssen früh aufstehen. Um Zehn beginnt der Gottesdienst und bis dahin ist noch viel zu tun."

Drüben machten sich alle langsam bettfertig, dabei war es noch nicht mal Zehn. Xander, der gerade in Phoenix war, rief an und ich erzählte ihm von dem Abend.

"Ich würde dich zu gerne mit deiner Großmutter auf der Bühne sehen."

"Ich freu mich auch schon drauf. Und falls wir uns morgen nicht sprechen, grüß Mum und die Anderen von mir. Und denk dran, schau ob du Susi siehst, sie hat ja bekanntermaßen Karten für das Konzert morgen und will ja vielleicht Backstage. Du musst mir dann unbedingt erzählen, was das für ein neuer Typ ist ..."

"Ja, ich weiß. Das hast du alles schon mal gesagt. Gib Gwen einen Kuss von mir. Ich hab übrigens schon zu Hause angerufen. Alles in Ordnung."

"Gut, na schön … dann hören wir uns vermutlich erst übermorgen wieder."

"Und über–übermorgen sehen wir uns."

"Ja. Ich kann es kaum noch erwarten. Ich vermisse dich."

"Und ich dich. Mach's gut, mein Schatz. Ich liebe dich."

"Ich liebe dich. Ciao."

"Ah, der Italiener kommt durch. Sexy."

"Si, ti amo molto."

"Uuuuuh."

Renzo wollte natürlich noch reden. Ich beruhigte ihn und sagte, dass ich den Eindruck hatte, dass Dad bald auf ihn zukommen würde. Am nächsten Tag fütterte ich Gwen wie immer um kurz nach Acht. Niemand war in der Küche. Erst als ich fast fertig war, kam Peter herein.

"Oh Sorry."

Er wollte tatsächlich rückwärts wieder raus.

"Warte, was denn?"

"Ich wollte euch nicht stören."

"Quatsch. Das ist schließlich eure Küche."

Er holte sich einen Schluck Saft aus dem Kühlschrank und wollte wieder abziehen.

"Wo sind denn alle?"

"Die sind schon los. Wir sollen spätestens um halb Zehn in der Kirche sein. Renzo kennt ja den Weg. Ich muss mich jetzt fertig machen und meine Freundin abholen."

"Okay …"

Maaaaaaann. Ich hatte echt das Gefühl, ich hätte eine ansteckende Krankheit oder so. Um halb Neun klopfte ich bei Sean, er rief mich herein, lag aber noch im Bett.

"Morgen."

"Guten Morgen ihr Zwei. Na, hast du schon gefrühstückt, Gwen?"

"Haferschleim. Yummie. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass wir in einer Stunde in der Kirche sein sollen."

"Was?! Okay, dann ist es wohl Zeit, aufzustehen …"

"Gut, ich geh dann mal Renzo wecken …"

Ein paar Minuten später trafen wir uns alle im Bad. Sean und ich drängten uns ums Waschbecken und stießen uns die Ellbogen in die Rippen, genau wie früher. Wir schmissen uns in Schale. Das was Sean trug, war vermutlich sein Hochzeitssmoking. Auch Renzo sah klasse aus. Gwen trug ihr grünes Kleid und dazu Turnschuhe. Sean bestand darauf, ihr eine dämliche Frisur zu verpassen, die scheinbar ach so niedlich war. Ich überlegte kurz, ob ich mir gleich den Iro scheren sollte, denn ich hatte ohnehin vor, Xander damit in ein paar Tagen zu überraschen. Leider hatte ich dafür keine Zeit mehr. Vielleicht auch besser so. Als ich fertig war, musterte Sean mich skeptisch.

"Okay, dass du keine Fliege trägst, seh ich ja ein, aber nicht mal ein Hemd?"

"Immerhin passt der Frack zur Hose. Ich werde nichts tragen, was einen Kragen hat, klar?"

"Wie du willst. Aber Chucks?"

"Ich hab nur die oder dieselben in blau dabei."

"Na gut, dann lieber die schwarzen."

Wir fuhren um zwanzig nach Neun los und kamen pünktlich um halb Zehn an. Mama Maria wies uns einen Platz in der zweiten Reihe zu. Milo hampelte nervös herum und Sandra war nirgendwo zu sehen. Ich gab Gwen zu Sean und ging zu Milo.

"Na, bekommst du kalte Füße? Ein Wort und ich klau Seans Autoschlüssel und wir sind über alle Berge."

"Gut zu wissen, dass ich die Möglichkeit habe, aber ich glaub, ich zieh das jetzt durch. Vorausgesetzt, meine Braut ist nicht heimlich aus dem Toilettenfenster geflohen."

"Ich hab gehört, sie hat lange auf diesen Tag hingearbeitet. So kurz vorm Ziel wird sie nicht mehr aufgeben."

"Hoffentlich. Ich glaub, ich schnapp noch ein bisschen frische Luft."

"Aber nicht abhauen, ohne mir Bescheid zu sagen."

"Haha. Bring mich nicht auf Ideen …"

Langsam füllten sich die Reihen und pünktlich um Zehn fing die Messe an. Ich holte meinen MP3–Player heraus und wollte mir geraden einen Stöpsel ins Ohr stecken, da bekam ich Seans Ellbogen in die Rippen.

"Untersteh dich."

"Oh Mann. Das kenn ich doch alles schon …"

Seine Miene blieb eisern und er setzte mir Gwen wieder auf den Schoß. Ich hatte also keine Wahl und hörte mir die Orgelmusik, die Bibellesung, die Predigt und das ganze Zeug an. Gwen fand das alles anscheinend total unterhaltsam, während ich am liebsten eingeschlafen wäre. Dann kam das übliche Werfen von Reis und das Gratulieren und so weiter. Dann gab es erst mal Mittagessen in einem riesigen Saal. Danach mussten wir ein paar Reden erdulden. Dann kam im Garten noch eine zweite Hochzeitszeremonie, das Gruppenfoto und das Brautstraußwerfen.

"Ich schwöre hiermit feierlich, dass ich nie im Leben heiraten werde."

"Ach komm schon, so schlimm ist es doch gar nicht, Jordan."

"Doch, so schlimm ist es."

Mama Maria holte sich Gwen, stellte sie irgendwelchen Verwandten vor und pflückte mit ihr Blumen. Ab und an wurde ich auch von irgendwelchen Bonannos angesprochen, aber offiziell vorgestellt wurde ich, wie immer, nicht. Als man sich wieder drinnen versammelte, um die Hochzeitstorte anzuschneiden, sah ich meinen Großvater und seine Kumpanen in einer Ecke sitzen und Zigarren rauchen. Mit ihren Nadelstreifenanzügen und den Hüten sahen die alten Herren aus, wie einem Mafia–Film entsprungen. Ich teilte diesen Gedanken Sean mit, der das aus irgendeinem Grund nicht witzig fand.

"Wo ist eigentlich Renzo?", fragte ich, mehr aus Langeweile als aus Interesse.

"Der hat ein paar Freunde getroffen."

"Na toll, dann sind wir jetzt wohl nur noch zu Zweit."

"Willst du dich nicht ein bisschen unter die Leute mischen? Das meiste sind vermutlich irgendwelche Verwandten, von denen du noch gar nichts wusstest."

"Nasen vergleichen kann ich auch aus der Ferne. Und ansonsten sind die für mich eh nicht interessant."

"Warum führst du dich heute auf wie ein Idiot?"

"Ich will die Erwartungen meiner Familie nicht enttäuschen."

"Verstehe, das Ganze macht dir also doch mehr aus, als du zugibst und das ist deine Art, damit umzugehen."

"Sicher, dass du nicht den falschen Studiengang gewählt hast, Dr. Freud?"

"Lass uns einfach Kaffee trinken, ja?"

Danach ließ auch Sean mich im Stich und unterhielt sich mit wildfremden Menschen, als würden sie sich schon ewig kennen. Ich hatte keine Wahl. Ich musste Anschluss suchen. Erst mal schaute ich nach Gwen und verpasste ihr gleich noch eine neue Windel. Sie hatte den ganzen Tag nicht geschlafen, war aber keine Spur müde, sondern wollte gleich wieder durch die Gegend laufen. Ich hatte meinen Frack mittlerweile ins Auto gebracht. Es hatte über 30 Grad, wie hielten die Leute das nur aus? Ich erntete mit meinem schwarzen Shirt zwar ein paar komische Blicke, vor allem weil ein paar Sonnenstrahlen unter den relativ kurzen Ärmeln hervorlugten, aber besser als einen Hitzschlag bekommen. Ich suchte gleich nochmal Gwen und verpasste ihr eine dicke Schicht Sonnencreme. Meine Großmutter beäugte mich leicht missmutig, sagte aber nichts. Ich wünschte wirklich, Xander wäre hier, dann würde bestimmt keiner mehr auf mein Äußeres achten. Als ich Renzo etwas abseits mit ein paar Gleichaltrigen auf einer Bank sah, ging ich rüber.

"Hey Jordan. Kennst du noch Cousin Donnie? Und das sind Anita, Kaylie und Dean."

Ich setzte mich dazu und fand heraus, dass alle zusammen zur Schule gegangen waren.

"Und Jordan ist Musiker. Er löst bald diesen komischen Kerl als Sänger bei Summerskin ab."

"Echt? Das ist aber eine ganz schön große Nummer. Die sind mittlerweile recht bekannt. Meine Schwester hat sogar Karten für das Konzert in ein paar Tagen. Und warum steigt der jetzige Sänger aus?"

"Weil er eher nicht so der Team–Player ist. Außerdem war es anfangs eh so gedacht, dass er nur ein Jahr oder so bleibt, bis meine Tochter aus dem Gröbsten raus ist."

"Ach, du steigst also nicht ganz neu ein?"

"Nein, ich bin ein Gründungsmitglied, sozusagen."

Wir unterhielten uns noch eine Weile und setzten uns beim Abendessen zusammen. Sean stieß ebenfalls zu uns. Über dem kalten Buffet stellten wir fest, dass Anita und Dean ein Paar waren, genau wie Kaylie und Cousin Donnie.

"Nur für unseren Renzo konnten wir noch keine auftreiben."

Ich schaute Renzo an, er rollte die Augen.

"Dean, ich weiß deine Sorge wirklich sehr zu schätzen, aber wie dir bekannt ist, bin ich schwul."

"Ach, mit der richtigen Frau …"

"Fang nicht wieder davon an, du hörst dich an, wie mein Vater."

"Vielleicht solltest du auf deinen Vater hören. Jordan, was meinst du als großer Bruder dazu?"

"Ich befürchte, was ich dazu zu sagen habe, wird dir nicht gefallen."

Ich hielt ihn meinen standardmäßigen Vortrag und schloss, nachdem ich per Blickkontakt Seans Erlaubnis eingeholt hatte, damit ab, zu erwähnen, dass wir mal zusammen waren. Dean und Donnie schluckten merklich, die Mädchen waren gleich interessiert.

"Echt, ihr Beide? Wie lange denn?"

"Ein paar Monate, während der High School."

"Und jetzt?"

"Jetzt bin ich mit Xander zusammen. Er ist auch Musiker und spielt mit seiner Band als Eröffnungsact für Summerskin."

"Und wie lange seid ihr schon zusammen?"

"Übermorgen werden es sieben Monate. Aber das ist erst der Anfang."

"Und du bist so richtig schwul? Was ist mit Mädchen?"

"Mädchen mochte ich auch, aber jetzt mag ich nur noch Xander."

"Süß."

Er dauerte nicht lange und die Fragen wurden noch persönlicher. Die Jungs rutschten nervös auf ihren Stühlen rum. Peter und seine Freundin setzten sich zu uns. Als sie mitbekamen, bei welchem Thema wir waren, überlegten sie offensichtlich sofort, wie sie sich dezent zurückziehen konnten. Die Freundin stand einfach auf und ging, was ihr ein paar Sprüche einbrachte und Peters Männlichkeit herausforderte. Somit blieb er. Dean und Donnie zogen ihn noch ein bisschen damit auf, ob er nicht mannsgenug sei, um sich das alles anzuhören. Er musste auftrumpfen.

"Na gut, Jordan, erzähl mal. Bläst du deinem Freund auch manchmal einen?"

"Leckst du deine Freundin?"

"Natürlich nicht!"

"Okay … arme Freundin …"

"Wir warten mit dem Sex bis wir verheiratet sind."

"Ernsthaft?! Auch mit dem Oralsex? Du willst mir erzählen, dass du mit 21 noch nie irgendeine Form von Sex hattest?"

Er nickte.

"Krass."

"Das ist hier so üblich."

Anita und Kaylie nickten.

"Wie, ihr alle nicht?"

Alle schüttelten den Kopf.

"Eigentlich solltest du das wissen, schließlich bist du auch katholisch."

"Nein, bin ich nicht. Und im Übrigen, wenn sich Dad daran gehalten hätte, dann säße ich heute nicht hier."

"Was willst du denn jetzt damit sagen?"

Mittlerweile spielte die Band und Milo und Sandra eröffneten den Tanz. Die Tanzfläche füllte sich.

"Damit will ich nur sagen, dass Dad wohl einiges zu beichten hätte."

Peter wurde rot und laut.

"Mein Vater ist ein guter Katholik. Deine Mutter hat ihn verführt und hätte damit fast sein Leben zerstört. Jetzt hat er als Strafe Gottes etwas wie dich als Sohn."

"Hat dir das deine Mutter eingepflanzt?"

"Nein, unser Großvater. Das bist du für ihn. Eine Strafe Gottes!"

Mein Hals schnürte sich zu. Wir standen gleichzeitig auf, wenn Sean mich nicht zurückgehalten hätte, hätte ich ihm vermutlich die Nase gebrochen.


Sean

Der Tag der Hochzeit fing schon stressig an und wurde nicht besser. Jordan war echt nervig, aber ich konnte schon verstehen, warum. Beim Abendessen hielt er dem Tisch einen Vortrag darüber, dass Schwulsein nicht das Problem war, sondern der Umgang damit in der Gesellschaft. Er hatte sich ganz schön verändert. Früher hätte er mit solchen eher politischen Themen nichts zu tun haben wollen. Dann gab es auch noch Diskussionen über Sex vor der Ehe, was für Peter offensichtlich ein heikles Thema war. Das Ganze drohte zu eskalieren, ich wusste es nicht anders zu verhindern, als mit Jordan zu tanzen, auch wenn seine Familie das bestimmt nicht gerne sah, aber besser, als eine Prügelei zwischen den beiden Ältesten. Außerdem war Jordan echt getroffen von dem, was Peter gesagt hatte und ich wollte ihn aufmuntern.


Jordan

"Jordan, nicht. Das ist der ganze Scheiß doch nicht wert. Komm, lass uns tanzen."

Ihm war es scheinbar ernst damit. Er nahm meine Hand und führte mich auf die Tanzfläche, ein Saxophon spielte Moon River. Sean zog mich heran und wir tanzten, wie damals auf unserem Abschlussball. Die Leute um uns gingen ein paar Meter auf Abstand und schauten grimmig rüber.

"Sieh mich an, Jordan. ..."

Er strich mir über die Wange.

"Du bist wunderbar und jeder Großvater sollte froh sein, einen so talentierten Enkel wie dich zu haben. Deine Besonderheit macht dich nicht zur Strafe Gottes, sondern im Gegenteil, zu einem Segen, für mein Leben, für das von Vince und Xander. Für alle, die mit dir zusammen sein durften. Das meine ich ernst Jordan. Wo wäre ich heute ohne dich? Lass den Scheiß nicht an dich ran."

Er nahm mich in den Arm.

"Danke …"

Jemand klopfte mir auf die Schulter. Da stand Anita.

"Abklatschen."

Ich beendete den Tanz mit ihr, Sean tanzte die letzten paar Takte mit Kaylie. Danach gingen die Beiden mit uns direkt zum Ausgang, wo mein Dad schon wartete.

"Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Wie soll ich denn meinen Geschäftspartnern erklären, dass mein ältester Sohn mit einem Mann tanzt?"

"Sag ihnen einfach, ich sei eine Strafe Gottes für deine Sünden mit meiner Mutter. Keine Sorge, du hast genug gebüßt, ich verschwinde schon aus deinem Leben, ich hole nur noch meine Tochter."

"Jordan …"

Ich sah Gwen am Tisch meiner Großmutter und ging rüber, mein Vater hinterher. Gerade als ich sie hochnahm, hörte ich Renzo's Stimme durchs Mikrophon.

"Entschuldigung, dürfte ich kurz um eure Aufmerksamkeit bitten?"

Er stand bei der Band auf der Bühne.

"Also, zuerst möchte ich natürlich meinem Onkel Milo zu seiner wunderbaren Frau gratulieren."

Applaus.

"Und dann habe ich noch eine Überraschung für meine Eltern. … Ich habe den diesjährigen Bernhardt–Mill–Förderpreis für Architektur bekommen."

Beifall. Dad stand neben mir und blickte überrascht, aber stolz nach allen Seiten.

"Das bedeutet, ich bekomme ein volles Stipendium, eine erhebliche monatliche Summe zur Beschaffung von Arbeitsmaterialien und ein Praktikum bei einem der bekanntesten Architekten an der Westküste."

Noch ein Applaus.

"Danke … und eines wollte ich euch allen noch sagen: Ich bin schwul."

Ein Raunen ging durch die Menge. Beim Anblick von Dad's Gesicht musste ich einfach loslachen.

"Was hast du nur getan, um diesen Sohn zu verdienen?"

Die Leute, die schon am Bühnenrand gewartet hatten, um Renzo zu gratulieren, waren sich plötzlich nicht mehr so sicher. Mit einem triumphierenden Lächeln nahm Renzo die Glückwünsche entgegen und winkte mir zu. Ich winkte zurück und machte mich wieder auf den Weg zum Ausgang. Als ich lächelnd um die Ecke bog, stand mein Großvater plötzlich vor mir. Ich wollte an ihm vorbei, aber er trat mir in den Weg.

"Was denn? Ich gehe, was willst du denn noch?"

Ich hatte bestimmt seit ich 16 war nicht mehr direkt mit ihm gesprochen.

"Ich erwarte Respekt."

"Respekt? Wofür denn? Dass ihr meine Mum und mich weggeschickt habt und nicht mal sichergestellt habt, dass sie genug Geld hat, um mich zu versorgen, oder dafür dass du in meiner schwersten Zeit lieber in der Firma warst, als zu versuchen, zu mir durchzudringen? Oder doch dafür, dass du mich als Strafe Gottes betrachtest? Für dich Respekt zu haben, würde bedeuten, den Respekt vor mir selbst zu verlieren. Und jetzt lass mich vorbei."

Endlich trat er zur Seite und ich konnte gehen. Sean hatte schon das Auto vorgefahren. Gwen und ich stiegen ein und weg waren wir.

"Wohin?"

"Irgendein Motel."

Zum Glück war Gwens Wickeltasche im Wagen, so dass wir für die Nacht gerüstet waren, ohne die restlichen Sachen holen zu müssen. Gegen Zehn sperrte ich mich im Bad ein und erzählte Xander, was passiert war.

"Es tut mir so leid, Schatz. Ich wünschte, ich könnte jetzt bei dir sein … Deine Mum sitzt neben mir, willst du sie sprechen?"

"Okay."

Als ich Mum erzählt hatte, was passiert war, war sie so wütend, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Ich konnte mein Schluchzen nicht mehr verbergen.

"Mein Liebling, nicht weinen. Diese Menschen wissen einen Scheißdreck. Du musst sie nie im Leben wiedersehen. Xander und ich kommen zu dir. Schon übermorgen, ganz früh."

"Okay …"

"Und jetzt legt dich schlafen, ja?"

"Okay."

Am nächsten Morgen fuhr Sean unsere Sachen holen.

"Und, wen hast du gesehen?"

"Nur Carmen. Wir haben nicht viel geredet. Die Anderen haben, glaube ich, noch geschlafen."

Es war Sonntag, wir beschlossen, Sightseeing zu machen. Der Balboa–Park und der San Diego–Zoo waren unser Ziel. Wir gingen Essen und versuchten, eine gute Zeit zu haben. Sean wurde langsam hibbelig, schließlich würde er am nächsten Tag Brian wiedersehen. Am Abend scherte ich mir die Haare und färbte sie erst blond, dann grün. Sean verdrehte nur die Augen, als ich aus dem Bad kam. Gwen fand es offensichtlich lustig.

Und dann war es endlich soweit. Wir checkten aus unserem Motelzimmer aus und fuhren zum Flughafen. Es dauerte ewig bis beim Flug aus Phoenix endlich nicht mehr "Gelandet" sondern "Gepäck" stand. Und dann dauerte es nochmal eine viertel Stunde, bis erst mal Rico und Xander heraus kamen. Gwen lief gleich auf ihn zu. Dann war ich dran. Ich küsste ihn bestimmt zwei Minuten lang, denn in dem Moment, in dem er mich berührte, wusste ich ganz sicher, dass die Familie meines Vaters Unrecht hatte. Xander fuhr über meine Haare und war offensichtlich begeistert. Mittlerweile war auch Brian da. Sean und er standen beieinander und redeten. Und da kam meine Mum. Sie ließ ihren Trolli einfach stehen und lief mir entgegen.

"Mein Baby!"

"Hey Mum."

Sie ließ mich erst wieder los, um Gwen zu begrüßen. Der Bus stand schon bereit, Xander fuhr dort mit und Brian fuhr mit uns, damit Sean und er sich auf der Rücksitzbank vernünftig begrüßen konnten. Sie küssten sich wie zwei Teenager und flüsterten einander immer wieder etwas zu. Mum saß neben mir und grinste, Gwen beäugte die Beiden neben sich vom Kindersitz aus.

Der Tag war für die Bands gespickt mit Terminen, deshalb verbrachte ich ihn mit Mum und Sean. Mum war immer noch schrecklich wütend auf die Bonannos und ich wollte nicht auch noch Öl ins Feuer gießen, indem ich ihr sagte, dass mir die Sache tatsächlich zu schaffen machte. Erst abends um Sechs hatte ich Xander ganz für mich alleine. Nach dem Essen verzogen wir uns auf unser Zimmer. Gwen blieb bei Mum. Sie hatte sogar drum gebeten, dass Gwen bei ihr schlafen könnte, damit sie nicht so alleine war.

"Morgen hab ich mehr Zeit für dich. Da steht nur der Soundcheck an, aber da bist du ja eh dabei."

"Ja, endlich wieder auf die Bühne, ich freu mich schon."

"Willst du über deinen Vater reden?"

"Es gibt nicht mehr viel zu sagen, glaub ich."

"Aber es geht dir ziemlich an die Nieren …"

"Sag es nicht meiner Mum. Diese dämlichen Katholiken …"

"Soll ich dir den Schwulen–Stolz–Vortrag halten? Nein, ich weiß was Besseres. Okay, also ich hab im Internet ein Video von so einem Typen gesehen. Irgendein Professor … und der hat einen Vortrag darüber gehalten, warum die Gesellschaft Schwulsein als moralisch anstößig empfindet. Er hat dabei halt immer irgendwelche Argumente vorgebracht und die dann widerlegt. Und ein Bischof hat zum Beispiel mal gesagt, dass Homosexualität die Gesellschaft zerstört, denn wenn alle schwul oder lesbisch wären, gäbe es bald keine Gesellschaft mehr. Dazu meinte der Typ nur: 'Tja, wenn alle römisch–katholische Priester wären, auch nicht.'."

Am nächsten Morgen ging es mir wieder gut. Es war kurz vor Acht und Xander schlief nackt neben mir. Ich betrachtete ihn. Sein Körper hatte sich verändert. Er hatte Muskeln bekommen. Nicht viele, aber er war bei weitem nicht mehr so schlaksig wie vor einem halben Jahr. Seine Haare waren ebenfalls kürzer als damals, aber immer noch der gleiche Stil. Hinten kurz, vorne gescheitelt und länger, auf einer Seite übers Auge. Tagsüber strich er sich alle paar Minuten die Haare aus dem hübschen, symmetrischen Gesicht mit den großen Augen, die jetzt offen waren.

"Was machst du?"

"Ich schau dich an."

"Warum?"

"Weil du wunderschön bist."

"Ach du … komm her."

Um viertel nach Acht klopften wir bei Mum und gingen mit Gwen frühstücken. Mum wollte noch eine Weile ausschlafen.

Der Speisesaal war noch fast leer, ich genoss es, Xander und Gwen dabei zuzusehen, wie sie fröhlich zusammen eine Banane aßen.

"Willst du auch noch Kaffee?"

"Klar."

Als ich zurückkam, hatten die Beiden ganz klebrige Hände und schauten mich schuldbewusst an.

"Gwen wollte es selber mal versuchen …"

"Naja, Übung macht den Meister. Aber, dass du noch keine Banane essen kannst, ohne dich voll zu kleckern, macht mir schon irgendwie Sorgen …"

"Haha. Also, was machen wir heute?"

"Die Stadt anschauen, einkaufen gehen, so was eben, dachte ich mir …"

"Ja, hört sich gut an. Dann sollten wir auch bald los. Um halb Drei ist der Soundcheck. Willst du nicht noch mit den Jungs absprechen, welche Songs und so?"

"Das reicht um halb Drei doch auch noch."

"Dann lass uns mal deine Mum aufwecken gehen."

Den Vormittag über spazierten wir durch die Innenstadt, kauften etwas für Josh und seine Großeltern, fanden einen ziemlich coolen Laden für Kinderkleidung und ein paar andere Geschäfte, in denen es tolle Sachen gab. Mit einigen Tüten gingen wir gegen Eins essen. Langsam wurde Gwen quengelig. Es wurde eh Zeit zurückzufahren. Wir legten Gwen in Mum's Zimmer schlafen, dann zogen Xander und ich uns um und gingen in die Lobby. Ich war Mum so dankbar, dass sie mitgekommen war und sich kümmerte. Bald waren wir vollzählig und fuhren los. Im Bus besprachen wir die Songs und waren uns, wie immer, schnell einig. Der Soundcheck war schnell vorbei und wir hatten noch jede Menge Zeit vor der Show. Deshalb fuhr der ganze Bus gleich mal an den Strand und ich rief Mum an, dass sie mit Gwen und Sean nachkommen sollte.

Dann wurde es Zeit, sich auf die Show vorzubereiten. Ich hatte dieses Kribbeln im Bauch. Erst gingen die O–Scars auf die Bühne. Sie waren inzwischen total professionell geworden. Sean, Mum, Gwen und ich standen neben der Bühne. Gwen versuchte ständig, sich ihre Ohropax herauszupuhlen. Die O–Scars spielten ihren letzten Song, bedankten sich und dann kündigte Andy eine besondere Überraschung an. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommen würde. Summerskin in neuer–alter–Besetzung. Es war wie heimkommen. Drei Songs lang gab ich wirklich alles, denn ich musste mir die Energie ja nicht einteilen, wie bei einer ganzen Show. Ich hörte, dass einige Leute die Texte sogar mitsangen. Nach dem dritten Song war ich fast high und wäre am liebsten einfach auf der Bühne geblieben, aber Greg kam schon, um das Mikro für sich zu beanspruchen.

"Danke San Diego! Wir sehen uns wieder. Und danke an die beste Mum auf der Welt, die extra aus Phoenix eingeflogen ist. Lieb dich. Und jetzt wieder wie ihr es gewohnt seid. Einen großartigen Abend mit Summerskin!"

Ich lief direkt in Mum's Arme.

"Mein Liebling, ich bin so stolz auf dich. Ich lieb dich auch."

Xander strahlte mich an. Er hatte Gwen auf dem Arm. Im Geist trat ich einen Schritt zurück und schaute mir dieses Bild an. Dieser Musiker mit den schwarz gefärbten Haaren, den vielen Piercings und den dunkel geschminkten Augen, der offensichtlich noch nicht lange von der Bühne war und dieses kleine blonde Mädchen auf seinem Arm, das süßer nicht sein hätte können. Ich prägte mir dieses skurrile Bild gut ein, denn das war meine Familie.

"Du warst wirklich ganz toll. Das fanden wir alle."

Die Kleine klatschte und kicherte und wollte unbedingt zu mir.

"Na komm her."

Einer der Securityleute kam auf mich zu.

"Sorry, ich wollte nicht stören, aber da ist so ein Typ, der behauptet, dein Vater zu sein."

"Italiener, teuer aussehender Anzug?"

"Ja genau."

"Ja, das ist er …"

"Dann sag ich den Jungs, sie sollen ihn rein lassen?"

"Nein. Ich schau erst mal, was er will."

"Okay. Hier lang."

Mum wollte mitkommen aber ich deutete ihr an, dass ich das schon hinbekommen würde, also ging sie mit Gwen und Xander essen. Ganz vorne an einem Seitenblock mit Sitzplätzen stand tatsächlich Anthony. Wir kamen im Security–Durchgang auf ihn zu. Die Leute in der Arena hatten ganz offensichtlich eine Menge Spaß, der Seitenblock allerdings war fast leer. Es war ziemlich laut, deshalb musste ich fast brüllen.

"Was willst du?!"

"Mit dir reden. Können wir irgendwo hin, wo es nicht so laut ist?"

"Warum sollte ich noch mit dir reden wollen?"

Ein paar Leute aus dem Block hatten mich wohl erkannt und machten mit ihren Handys Fotos.

"Na schön, dann komm mit …"

Er kletterte erstaunlich geschickt über die Absperrung und folgte uns hinter die Bühne. Kaum waren wir dort angekommen, sprach mich einer der Beleuchter an.

"Sorry, ich müsste mal jemanden von der Organisation sprechen, aber es ist niemand auffindbar."

"Was gibt's denn?"

"Dieser Rudi–Typ, irgendwie bringt der mir alles durcheinander. Vielleicht könnte er so lange was anderes machen …"

"Ich red mal mit ihm … Ich bin gleich wieder zurück, Anthony."

Ich war vielleicht fünf Minuten weg. Xander erzählte mir später, was ich verpasst hatte. Anthony hatte sich wohl ein bisschen umgesehen und dabei war ihm Gwen über den Weg gelaufen, die Mum und Xander ausgebüxt war. Er nahm sie hoch, da kam Xander schon um die Ecke.

"Ah, da bist du. Danke, sie gehört zu mir."

Anthony musterte ihn, wie man sich vorstellen konnte, sehr skeptisch.

"So? Sie behaupten, das sei ihr Kind?"

"Das behaupte ich, ja. Geben sie sie mir."

"Das ist nicht ihre Tochter, das ist meine Enkelin."

"Oh … natürlich. Italiener, teuer aussehender Anzug … da hätte ich auch drauf kommen können. Ich bin Xander."

"Das ist jetzt nicht wahr, oder?"

"Jordan wird sich freuen, dass sie mal wieder bewiesen haben, wie tolerant und weltoffen sie sind …"

"Du hörst dich ja an wie er."

"Das nehm ich als Kompliment."

"Tut mir leid. Ich bin Anthony."

Ich kam dazu, als sie sich gerade die Hand reichten.

"So, ich bin wieder da. Ihr habt euch also schon kennengelernt."

Ich drückte Xander einen kurzen Kuss auf die Lippen und nahm Anthony Gwen ab.

"Ich bin hungrig. Kannst du das, was du zu sagen hast, auch beim Essen sagen?"

"Wie du willst."

Wir setzten uns zu Mum, die gleich aufstand.

"Mit dem setzte ich mich nicht an einen Tisch."

"Jetzt hört euch doch wenigstens an, was ich zu sagen habe."

"Mum, ich will es hören, okay?"

"Na schön."

"Jordan, so vieles ist schief gelaufen, wir haben alle viele Fehler gemacht. Aber trotzdem bist du mein Sohn und darüber bin ich sehr froh. Ich war heute Abend sehr stolz auf dich und die Anderen vermutlich auch, sie haben alles im Lokalfernsehen angeschaut …"

"Ah, das war also die Kamera … Okay, ich hab gehört, was du gesagt hast. Ich bin also doch keine ganz so schlimme Strafe Gottes, solange ich dabei ordentlich Ruhm und Kohle ernte."

"Ich hab das nie gesagt. Und wenn mein Vater so etwas jemals von sich gegeben hat, dann vermutlich damals, als du 16 warst. Jordan, du bist mein Ältester, ich liebe dich und bin froh, dass es dich gibt. All die Dinge, die du schon durchstehen musstest, hätte ich nicht durchgestanden. Und jetzt sieh dich an. Du hast es geschafft. Die Drogen konnten dich nicht kaputt bekommen, die Menschen die dich nicht akzeptiert haben, konnten dich nicht kaputt bekommen und ganz nebenbei hast du eine Familie gegründet und dir eine Karriere aufgebaut. Ich habe nicht das Recht dazu, deshalb auf dich stolz zu sein, denn ich habe nichts dafür getan. Das habt ihr Beide ganz alleine hinbekommen. Carry … es tut mir leid, ich hätte für euch da sein müssen …"

Meine Mum streckte ihre Hand nach seiner Wange aus und blinzelte eine Träne weg. Ja, 'hätte müssen', das sah ihm mal wieder ähnlich.

"Dann mach nicht den gleichen Fehler bei Renzo. Mehr kann ich dir dazu echt nicht sagen. War's das?"

"Kommt morgen zu uns. Zum Mittagessen. Deine Großmutter will noch mit dir singen und sich von Gwen verabschieden. Xander, du bist natürlich auch willkommen."

So schnell ließ ich ihn nicht vom Haken.

"Ich denk drüber nach."

"Okay. Wir essen um Zwölf. Ich würde mich freuen, wenn ihr alle kommt."

Damit ging er. Meine Mum konnte es gar nicht abwarten.

"Und, gehen wir hin?"

"Ich weiß nicht … ich muss drüber nachdenken …"

Die Jungs waren nach der Show total aufgedreht und wollten noch feiern gehen. Mum fuhr mit Gwen in Seans Auto zurück. Greg seilte sich ab. Der Bus brachte uns gleich zu einem genialen Laden, der nicht zu voll war, gute Musik spielte und so ziemlich jedes alkoholische Getränk verkaufte, das man sich nur vorstellen konnte. Andy war übermäßig begeistert. Xander erklärte es mir damit, dass sie bisher noch nie mit meinen Jungs weggegangen seien und in Clubs wie diese normalerweise gar nicht reinkämen, da keiner von ihnen 21 war.

"Krass, stimmt ja, das hab ich ja ganz vergessen. Ehm versucht sie da gerade … ja. Andy ist gerade auf den Bar–Tresen geklettert …"

"Oh, naja, wenn es ihr Spaß macht … komm schon, tanzen."

"Muss das sein?"

"Allerdings! Auf der Bühne schaffst du's doch auch, dich zur Musik zu bewegen, ohne dass es dämlich aussieht!"

"Das ist was anderes …"

"Jetzt komm schon!"

Widerstand war, wie immer, zwecklos. Nach drei Songs brauchte ich erst mal noch ein Bier. Xander hatte offensichtlich immer noch nicht genug und tanzte mit Andy weiter. An der Bar beäugten mich ein paar Mädels neugierig.

"Du kommst mir bekannt vor …"

"Ja? Ich befürchte, ich kenn dich nicht."

"Woher kommst du?"

"L.A."

"Dann verwechsle ich dich wohl …"

"Vermutlich …"

"Jetzt kommt der Teil, wo du mich fragst, ob ich was trinken will …"

"Oh, dann kommt jetzt der Teil, wo ich dir sage, dass ich vergeben bin …"

"Dann kommt jetzt der Teil, wo ich mich komplett blamiert zurückziehe."

"Dann kommt jetzt der Teil, wo ich dir in aller Freundschaft doch einen Drink anbiete."

"Sicher?"

"So verlangt es das Protokoll."

"Wenn das so ist: Wodka–O."

"Kommt sofort."

"Also, ich bin Rita und das sind Gabby und Marisa."

"Jordan. Schön euch kennenzulernen."

"Ganz unsererseits."

"Und ihr kommt von hier?"

"Si, aus Bonita."

"Ah, Bonita , hm? Ihr hört bestimmt viele Sprüche darüber, wie passend das ist."

"Jedes Mal. Ah, que Bonita … blabla. Ah, schau wer da kommt, Marisa. Der Kerl baggert sie schon den ganzen Abend an."

"Hallo meine Bonitas!"

Die Drei lachten los. Ich drehte mich um und traute meinen Augen kaum.

"Damian?"

"Oh Mann, Jordan! Das gibt's doch nicht! Was machst du denn hier? Außer mir meine Mädels ausspannen, mein ich. Lass dich umarmen!"

"Summerskin hat heute Abend in San Diego gespielt. Ich hatte keine Ahnung, dass du in der Stadt bist."

"Ich wohne seit zwei Jahren hier. Wow … Summerskin … das ist eine Ewigkeit her. Wie geht's den Jungs?"

"Kev und Becca haben ein Haus und zwei Kinder und Brian … frag ihn selbst, er ist hier irgendwo."

"Wahnsinn, wo?"

"Keine Ahnung, lass ihn uns suchen."

"Daher kamst du mir bekannt vor! Klar, Summerskin …!"

Jetzt war der Groschen bei Rita also gefallen.

"Damian hier war Gründungsmitglied. Er hat der Band den Namen gegeben."

"Wirklich?"

Plötzlich schienen die Drei sehr interessiert an ihm und hängten sich an uns, als wir Brian suchen gingen. Wir drehten ein paar Runden und fanden zumindest Mickey, Tom und Tobey.

"Wo ist denn Brian?"

"Keine Ahnung, wohin der verschwunden ist, Sean ist auch schon eine Weile nicht mehr aufgetaucht …"

Alles klar.

"Naja, die tauchen bestimmt bald wieder auf. Also Jungs, das hier ist Damian. Dein Vorgänger, Mickey."

"Ach der Damian? Cool. Dir verdanken wir den Namen."

Wir unterhielten uns eine Weile, bis Brian und Sean wieder angeschlichen kamen.

"Damian?!"

"Hey Brian!"

"Verdammt, wo kommst du denn her?"

Die Beiden freuten sich riesig, sich wiederzusehen. Wir erzählten Geschichten, von der Zeit, als wir noch in irgendwelchen Jugendzentren auftraten und all der tollen Dinge, die wir zusammen erlebt hatten. Irgendwann spürte ich eine Hand im Nacken.

"Hier bist du."

"Xander, du wirst nicht glauben, wer das hier ist."

"Damian."

"Ja, woher …"

"Du bist der Kerl, der verprügelt wurde." meinte Damian.

"Und du bist der Kerl, der sich beschwert hat, dass Jordan ihm zu viele Mädels wegschnappt."

"Ach, ja richtig, ihr seid euch damals kurz begegnet …"

"Und ihr Beide seid jetzt … zusammen?"

"Seit ein paar Monaten, ja."

"Gut. Also Bonitas, haltet euch an mich."

Die Drei verdrehten nur die Augen und hielten sich eher an Tom, Tobey und Mickey.

"Sag mal Damian, kann es sein, dass deine Nummer langsam nicht mehr zieht?"

"Jaja, ich weiß es selber … sag mal, Sean und Brian, sind die Beiden … du weißt schon …"

"Wie kommst du darauf?"

"Schau sie dir doch an, wie sie miteinander reden. Und dass Beide auf Kerle stehen, weiß niemand besser als du. Jetzt schau nicht so, glaubst du, ich hab damals nicht mitbekommen, was zwischen dir und Brian gelaufen ist?"

"Na gut. Aber Brian will nicht, dass es jemand erfährt und Sean hat eine Frau, also …"

"Meine Lippen sind versiegelt. Und du und Xander, hm? Wie alt ist er überhaupt?"

"Alt genug, keine Sorge. Das damals ist schließlich über fünf Jahre her."

"Da fällt mir ein, es gab Gerüchte, dass du die Band verlassen hast, weil du Vater geworden bist."

"Stimmt. Gwen ist fast 14 Monate. Deshalb beende ich auch meine Pause und steig weder ein."

"Wahnsinn, Alter."

Ich unterhielt mich ewig mit Damian. Er erzählte von seinen Rückfällen, seinem Umzug nach San Diego, seinem Job bei einer Plattenfirma und so weiter. Und er wollte alles über Gwen wissen. Anscheinend konnte er es kaum erwarten, selbst eine Familie zu gründen, aber irgendwie fand sich einfach nicht die richtige Frau dazu. Wir kippten ein Bier nach dem anderen und stiegen irgendwann auf härtere Sachen um.

Gegen Drei machte der Bus sich auf den Weg zurück ins Hotel. Ich war rotzbesoffen und Xander hatte seine liebe Not, mich davon abzuhalten, gleich im Bus über ihn herzufallen. Wir saßen ganz hinten, ich hatte ihn auf meinen Schoß gezogen und ihm schon einen Knutschfleck im Nacken verpasst.

"Jeder soll wissen, dass du zu mir gehörst. Ich finde, wir sollten uns das gleiche Tattoo stechen lassen."

"Darüber reden wir, wenn du nicht sternhagelvoll bist."

"Hey, ich weiß schon, was ich sage. Das ist mein Ernst. Ich will für immer mit dir zusammen sein und das wäre das Symbol dafür. Ich würde dich ja heiraten, aber Hochzeiten sind echt die Hölle."

"Du redest dich noch um Kopf und Kragen. Sei lieber still und küss mich."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und es dauerte nicht lang und meine Hände waren wieder an seiner Hose.

"Schatz … wir sind doch gleich im Hotel. Lass es langsam angehen …"

"Ich will jetzt sofort mit dir schlafen. Genauso. Ich liebe es, wenn du auf mir sitzt."

"Schhh. Zehn Minuten, dann sind wir da."

"Mach dich auf was gefasst, wenn wir erst mal im Bett sind!"

Im Zimmer schmiss ich mich sofort aufs Bett, während Xander noch kurz ins Bad ging.

Ich wachte auf, weil mir die Sonne ins Gesicht schien. Es war halb Neun. Ich war eingeschlafen. Oh Mann. Ich setzte mich auf, mein Kopf dröhnte. Schlimmer noch, ich musste kotzen.

Nachdem ich Zähne geputzt und einen halben Liter Wasser getrunken hatte, legte ich mich wieder ins Bett. Xander war mittlerweile aufgewacht.

"Geht's dir so schlecht? Du hast auch echt viel getrunken. Willst du eine Aspirin?"

"Nein, ich leg mich einfach noch eine Weile hin. Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin …"

"Schon okay. Dann dusche ich jetzt mal und geh mit Gwen und deiner Mum frühstücken."

"Danke, mein Herz."

Er lächelte mich an, schlug die Decke zurück und ging nackt ins Bad. Eine viertel Stunde später kam er angezogen und geschminkt wieder heraus.

"Du siehst gut aus."

"Danke."

Er setzte sich zu mir ans Bett.

"Jordan, du musst bald entscheiden, ob du zu den Bonannos gehen willst …"

"Ich weiß. Ich denke, wir sollten mal vorbei schauen."

"Okay, dann sag ich das deiner Mum. Was ist mit Sean und Brian?"

"Frag sie auch, wir brauchen eh das Auto …"

"Gut. Also dann erhole dich gut, ich bring dir Kaffee mit."

"Du bist ein Engel!"

"Ich glaub nicht, dass Engel so aussehen."

"Doch, genau so. Ich liebe dich. Und was ich gestern im Bus gesagt habe, war mein Ernst."

"Okay, ich denk drüber nach."

"Gut."

Eine viertel Stunde später quälte ich mich doch unter die Dusche. Danach ging es mir deutlich besser. Ich zog mich an und ging zum Speisesaal.

"Uh, Gwen, da kommt Daddy."

"Daddy!"

"Sie hat's gesagt! Hallo, meine Kleine."

Ich gab ihr ein Küsschen auf den Kopf und ließ mich auf einen Stuhl plumpsen.

"Morgen Mum."

"Ohjeh, da hat wer zu tief ins Glas geschaut …"

"Kaffee."

"Hier, nimm meinen. Du hast ihn nötiger als ich."


Sean

Am nächsten Tag beim Frühstück sah ich Jordan nur kurz. Er hatte einen Kater und sah total gerädert aus. Brian und ich lehnten die Essenseinladung bei den Bonannos ab und vereinbarten, dass wir uns gegen Fünf alle in der Lobby treffen würden, um loszufahren, wenn der Bus fuhr. Den restlichen Tag verbrachten wir im Bett.


Jordan

Sean und Brian wollten, wenig überraschend, lieber im Hotel bleiben, aber wir konnten das Auto haben. Als wir uns umzogen, kam Xander abgeschminkt, in Jeans und normalem Shirt aus dem Bad.

"Was soll denn das?"

"Ich will keinen unnötigen Stress …"

"Und ich will dich genau so, wie du bist. Mir ist egal, wie die das finden."

"Mir aber nicht. So fühl ich mich wohler und das ist meine Entscheidung."

"Aber ich seh nicht ein, dass …"

"Jordan, Schluss damit!"

"Bitte, wie du meinst."

Kurz vor Zwölf fuhren wir in die Auffahrt der Bonannos. Mir war recht mulmig zumute, deshalb griff ich nach Xander's Hand. An der Tür ließ er los.

"Xander, jetzt reicht es langsam."

"Warum willst du es ihnen unnötig schwer machen?"

"Das ist nicht unnötig. Ich bin aufgeregt, deshalb brauch ich deine Hand. Bitte mach du es mir nicht unnötig schwer."

"Okay …"

Er legte seine Hand wieder in meine, fühlte sich dabei aber sichtlich unwohl. Mum wollte auf die Klingel drücken.

"Warte! Das war doch ein Fehler."

"Was? Jetzt stehen wir doch schon vor der Tür."

"Mir egal. Xander, schau uns an. Plötzlich zanken wir über etwas, worüber wir uns immer einig waren und das ist erst der Anfang. Ich hab es erlebt. Diese Familie hat Sean damals dermaßen zu schaffen gemacht, dass er ins Zweifeln kam und nicht mal mehr mit mir reden wollte."

"Ich bin aber nicht Sean, verdammt! Ich zweifle nicht an meiner Sexualität, ich zweifle nicht an unserer Beziehung, ich will einfach nur behutsam vorgehen, aus Respekt vor …"

"Respekt!? Oh Mann, das war's! Macht, was ihr wollt, aber ich geh da nicht rein. Ich warte im Auto."

Ich stapfte los, Xander hinter mir her. Wir setzten uns auf die Rücksitzbank und er legte den Arm um mich. Aus seinen großen braunen Augen schaute er mich an.

"Schatz, ich versteh dich ja, aber ich finde wirklich, dass du reingehen solltest. Gib ihnen diese Chance. Ich meine, deinem Vater würde es viel bedeuten. Und denk an deine Großmutter. Komm mit rein. Ich bin bei dir. Mach dir keine Sorgen. Die Geschichte wird sich nicht wiederholen. Ich weiß, wer ich bin und ich weiß, was du mir bedeutest. Tut mir leid, dass ich ein bisschen durchgedreht bin. So ist das halt mit Familie."

"Ich hasse Familie."

"Das meinst du nicht ernst. Und jetzt gib mir deine Hand, ja?"

Wir gingen zurück zu Mum, Gwen und der Klingel, auf die Xander drückte, nachdem ich genickt hatte.

"Denk dran, ich liebe dich, Jordan."

Er gab mir einen Kuss, kurz bevor die Tür aufging und Carmen uns gleichgültig herein bat, nachdem sie Mum skeptisch gemustert hatte. Dad kam herbei und schüttelte mir freudig die Hand.

"Ich bin froh, dass ihr gekommen seid. Das Essen ist so gut wie fertig. Setzt euch."

Er nahm Mum Gwen ab und machte mit ihr den Eskimo–Gruß. Dass er das immer mit mir gemacht hatte, war eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen. Es klingelte wieder und meine Großeltern kamen herein. Schon musste mein Dad Gwen wieder hergeben. Mein Großvater verzog sich ohne ein Wort gleich in seinen Sessel. Ich nuschelte so vor mich hin

"Ja, soviel zum respektvollen Umgang miteinander …"

"Was sagst du, Tesoro?"

"Ehm, das hier ist Xander, mein Freund. Und das ist meine Großmutter, Maria."

"Hallo, schön sie kennenzulernen."

Als sie sich die Hand schüttelten, streckte Gwen wie immer sofort die Arme nach Xander aus und quietschte ein 'Sända'. Er nahm sie und spielte mit ihr Flugzeug. Ihr Lachen war so hoch, dass es fast wehtat. Dann ließ er sie wieder bei meiner Großmutter landen. Es klingelte, Milo und Sandra waren da. Ich stellte sie vor und kurz darauf kamen auch Peter und seine Freundin die Treppe runter. Dann Tony Jr. und zuletzt Renzo, der Xander freudig begrüßte, schließlich hatten sie sich seit vor der Tour nicht mehr gesehen. Peter fragte erstaunt, ob sie sich kannten.

"Mal abgesehen davon, dass ich ja Weihnachten bei den Beiden verbracht habe, hat Xander ein Jahr lang in meinem Wohnheim gewohnt. Er kannte da Jordan sogar schon, aber wusste nicht, dass wir Brüder sind, naja, Zufall jedenfalls."

Carmen rief uns zum Essen. Über der Pasta redeten wie immer alle durcheinander, meine Großmutter und meine Mum erzählten mal wieder die Geschichte, wie sie mir wegen des Eisenmangels Bolognese in allen verschiedenen Variationen vorgesetzt hatten. Xander erzählte, dass ich immer noch kein anderes Fleisch aß, obwohl Josh und er sich schon alles Mögliche überlegt hatten. Mein Dad fütterte Gwen mit Tomatensoße, die sie bis zu den Ohren verteilte. Nach dem Essen stand Mum mit den anderen Frauen ganz selbstverständlich auf und räumte den Tisch ab. Xander's und mein Blick trafen sich und wir standen gleichzeitig ebenfalls auf.

"Lasst doch. Bleibt sitzen."

"Kommt nicht in Frage. Meine Eltern betreiben ein Bed&Breakfast. Den Tisch abräumen ist schon fast ein Reflex bei mir."

"Na gut, aber Jordan, du bleibst sitzen. Keine Widerrede."

"Na schön."

Ich blickte in die Runde. Mein Großvater steckte sich gerade seine Pfeife an, Dad, Peter und Milo redeten mit ihm über Firmenkram. Tony und Renzo rutschten zu mir rüber.

"Wie lange habt ihr Zeit?"

"Der Bus fährt erst heute Abend, also schon eine Weile. Warum?"

"Ein paar Leute kommen nachher vorbei, wir haben den Pool endlich wieder sauber gemacht."

"Oh ja, der Pool …"

Das weckte Erinnerungen. Tony grinste.

"Du hast damals mal irgendeine Tussi nachts mit heimgebracht und Dad hat dich mit ihr im Pool erwischt."

"Also, erstens war das nicht eine Tussi, sondern zwei. Und zweitens: damals warst du Acht, oder so."

"Sieben. Ich hab ja auch nicht verstanden, warum Dad sich darüber so aufgeregt hat, erst später hat es mir gedämmert …"

"Naja, jetzt wäre er vermutlich froh darüber, mich mit zwei Tussis im Pool zu erwischen … Oh Xander … wie lange stehst du da denn schon?"

"Lange genug. Oh Mann, du hast echt nichts anbrennen lassen, hm?"

"Das ist zehn Jahre her. Na, was meinst du zu einer kleinen Pool–Party?"

"Gern. Wenn Renzo eine Badehose für mich hat?"

"Klar."

Nachdem alles in der Küche erledigt war, gab es noch Nachspeise. Dann wedelte Mama Maria plötzlich mit der Sinatraplatte.

"Wir schulden Sandra und Milo noch einen Song zur Hochzeit. Leider haben wir jetzt keine Band mehr."

"Ich hab meine Akustikgitarre im Auto …"

Überrascht schaute ich Xander an.

"Was denn? Ich hab sie schon mal rein, weil sie im Bus bestimmt kaputt gehen würde."

"Kannst du 'Something stupid' spielen?"

"Natürlich. Hast du meine Großmutter vergessen?"

"Alles klar. Ideal wären natürlich zwei Gitarren …"

"Ich hab auch eine, aber spielen kann ich kaum."

"Echt Tony? Kann ich sie mir ausleihen?"

"Klar, ich hol sie."

Kurz darauf hatten sowohl Xander als auch ich eine gestimmte Gitarre. Mama Maria brachte sich in Diva–Position, Xander spielte das spanisch anmutende Intro und dann die Rythmusgitarre. Ich machte nur die Begleitakkorde und das Zwischenspiel, was neben dem zweistimmigen Singen viel Konzentration erforderte.

"I know I stand in line, until you think you have the time
To spend an evening with me
And if we go someplace to dance, I know that there's a chance
You won't be leaving with me

[ … ]

The time is right your perfume fills my head, the stars get red
And oh the nights so blue
And then I go and spoil it all, by saying something stupid
Like: I love you."

(Frank Sinatra – Something stupid ****)

Wir bekamen Applaus, sogar von meinem Großvater. Mama Maria drückte Xander und mir je einen Kuss auf die Wange und hörte sich die Komplimente der Familie an. Gwen klatschte etwas verspätet ebenfalls in die Hände. Mein Dad klopfte mir auf die Schulter. Dann legte Maria Elvis auf, als Hintergrundmusik. Xander erzählte, dass seine Großmutter mit dem King gearbeitet hatte, was natürlich Eindruck machte. Alle setzten sich raus an den Pool. Xander und ich liehen uns Badehosen aus und Mum bekam von Carmen einen hässlichen, unförmigen Badeanzug. Ich erntete natürlich mal wieder böse Blicke wegen meiner Tattoos, was ich einfach ignorierte. Gwen bekam ihren Hut auf und viel Sonnencreme. Carmen brachte sogar Schwimmflügel und so plantsche die Kleine bald vergnügt mit Xander herum. Ich entschied mich erst mal dafür, es mir auf einem Liegestuhl bequem zu machen. Meine Großmutter zog sich einen Stuhl heran.

"Ohne diese Dinger würdest du mir besser gefallen."

"Mhm …"

"Ich habe gelesen, wenn Menschen sich tätowieren lassen, dann kommt das daher, dass sie selbst bestimmen wollen, wie sie aussehen und wer sie sind. Auch das mit den grünen Haaren kommt vermutlich daher. Das passt jedenfalls zu dir."

"Okay …"

"Es tut mir leid, was auf der Hochzeit passiert ist. Aber du darfst nicht denken, dass dein Großvater das wirklich denkt."

"So? Redete er deshalb nicht mit mir?"

"Er ist eben ein alter Kauz mit festgefahrenen Vorstellungen. Er kann nicht raus aus seiner Haut. Wir sind einfach ganz anders aufgewachsen."

"Du redest immerhin mit mir."

"Ich habe erkannt, dass du eigentlich auch nichts anderes willst, als wir alle. Eine Familie, einen Menschen, der für immer bei dir bleibt. Und wenn das Xander ist, freue ich mich für dich."

"Danke."

"Es war nur früher schwierig. Du hast dich an keine Regeln gehalten, du hast Mädchen gehabt, die du kaum kanntest … das kann ich mit meinen Werten nicht vereinbaren. Und als Renzo uns gesagt hat, dass er schwul ist, da war klar, dass er Erfahrungen haben muss, um das so sicher sagen zu können. Er ist doch noch ein halbes Kind …"

"Er ist 19. Und Erfahrungen sammeln ist ganz normal. Woher soll man sonst wissen, was einen glücklich macht?"

"Misst du da dem … Beischlaf nicht zu viel Bedeutung zu? Wichtig ist doch, dass man sich versteht, dass man gemeinsame Ziele hat und so weiter. Renzo stimmt mir da zu, aber er kann mir nicht erklären, warum er dann nicht auch mit einer Frau zusammen sein kann."

"Das kann ich dir auch nicht erklären. Ich hätte mir das gut vorstellen können. Ich hab in den letzten Jahren eben einige Männer getroffen und mich in sie verliebt. Und jetzt bin und bleibe ich mit Xander zusammen. Weil wir uns verstehen und die gleichen Ziele haben … wenn du das so sagen willst."

"Also willst du sagen, wenn du nur die richtige Frau getroffen hättest, wärst du jetzt nicht schwul?"

"Irgendwie wäre ich schon auch schwul, aber bevor ich Xander kennengelernt habe, hätte ich auch mit einer Frau glücklich werden können. Jetzt kann mich allerdings nur noch er glücklich machen."

"Aber ihr werdet immer gezwungen sein, in wilder Ehe zu leben."

"Kirchlich heiraten kann ich ihn nicht, das stimmt. Aber normal könnte ich ihn schon heiraten."

"Zwei Männer können heiraten?"

"Mit diversen juristischen Kniffen, aber damit hab ich mich noch nie beschäftigt. Mein Ex–Freund Vince ist mittlerweile drei Jahre mit einem Anwalt verheiratet."

"Hast du mit diesem Ex–Freund auch geschlafen?"

"Ehm, Maria …"

"Sag schon."

"Wir haben zusammen gewohnt, also …"

"Wie viele noch?"

"Du meinst Männer?"

"Und Frauen."

"Warum willst du das wissen?"

"Ich möchte, dass du zur Beichte gehst."

"Äh … das ist aber nicht mein Ding."

"Nachher kommt Pater Vendesso. Red mit ihm."

"Was? Ist das dein Ernst?"

"Bitte Jordan."

Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hatte tatsächlich Angst um meine Seele oder so was.

"Na okay … wie du willst …"

Das würde ich sicher noch bereuen, genau wie damals, mit 16, da hatte sie es schon genauso gemacht.

Ich sprang in den Pool und spielte ein bisschen mit Gwen und Xander. Dann trocknete ich die Kleine ab und Mum nahm sie mit rein. Ein paar Freunde von Tony und Renzo schauten vorbei, auch die beiden Pärchen von der Hochzeit. Alle 'Erwachsenen' zogen sich zurück. Das war auch besser so, denn Dean und Anita knutschten bald wild herum. Ich erzählte Xander leise von ihrer angeblichen Enthaltsamkeit.

"Na lang wird das nicht mehr anhalten … Cremst du mir den Rücken ein?"

"Sehr gern."

Er drehte sich um und ich setzte mich auf ihn. Xander's Haut war so weich und so ebenmäßig. Am liebsten hätte ich mich runter gebeugt und jeden Quadratzentimeter seines Rückens geküsst. Stattdessen cremte ich ihn nur ein, beugte mich aber etwas vor, damit er spürte, wie sehr er mir gefiel. Er wandte seinen Kopf und lächelte mich an.

"Ich mag dich auch."

Ich gab ihm einen Kuss und riss mich wieder zusammen.

Danach unterhielt ich mich ein bisschen mit Kaylie.

"Die Beiden gehen aber ganz schön ab …"

"Tja, der Geist ist willig und so weiter. Also das ist dein Freund? Er ist hübsch, fast auf eine weibliche Art."

"Ich weiß, was du meinst …"

"Oh …"

"Was?"

Ich drehte mich um. Ein etwa 30–jähriger, gut aussehender Typ in weißem Hemd und dunkler Hose kam auf uns zu.

"Shit … das ist Pater Vendesso …"

"Ernsthaft? Na da geht man doch gerne zur Beichte …"

Er sah gar nicht italienisch aus.

"Guten Tag zusammen."

Dean und Anita sprangen auseinander. Der Pater setzte einen gespielt strengen Blick auf.

"Ich denke, ich sehe euch Beide bald zur Beichte."

Ich grinste und stand auf, um mich vorzustellen. Er gab mir die Hand und musterte mich tatsächlich kurz. Das hatte ich mir doch nicht eingebildet, oder?

"Ihre Großmutter sagt, sie hätten gerne ein Beichtgespräch."

"Na wenn sie das sagt … aber nur, wenn es ihnen keine Umstände macht."

"Natürlich nicht. Das ist mein Job. Ich würde dabei gerne das schöne Wetter genießen. "Maria hat angeboten, dass wir uns rüber in ihren Garten zurückziehen können."

Xander kam dazu.

"Gute Idee. Darf ich ihnen gleich mal meine erste Sünde vorstellen? Meinen Freund Xander Paulson. Das ist Pater Vendesso. Ich geh mal kurz beichten."

"Gerade wenn ich denke, dich endlich durchschaut zu haben, schaffst du es wieder, mich zu überraschen."

Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und überlegte kurz, ob ich mir etwas zum Anziehen holen sollte, nahm dann aber nur ein Handtuch mit. Wir schlenderten durch den Garten nach nebenan.

"Also … ich war, seit ich 16 war, nicht mehr bei der Beichte und in Badeklamotten hab ich sowieso noch nie gebeichtet. Ich hab also keine Ahnung, wie das läuft …"

"Ein Beichtgespräch ist ein ganz normales Gespräch, ohne Formalien, aber mit Beichtgeheimnis natürlich."

"Also fang ich jetzt nicht an, meine Sünden runter zu beten?"

"Nur wenn sie wollen."

"Wie alt sind sie? Darf ich das fragen?"

"Natürlich. Ich bin kürzlich 30 geworden."

"Und, fühlt man sich danach anders?"

"Es ist ein Abschnitt, klar. Aber ich habe so ziemlich alle meine selbst gesteckten Ziele erreicht."

Wir setzten uns auf eine von Büschen umwucherte Bank im Garten meiner Großeltern. Hier konnten wir in Ruhe reden.

"Welche zum Beispiel?"

"Ich leite meine eigene Gemeinde. Und viele Kleinigkeiten. Wie alt sind sie?"

"26."

"Und, haben sie Ziele für die nächsten vier Jahre?"

"Eigentlich hab ich schon alles ins Rollen gebracht und muss meinen Traum nur noch leben. Ich hab zwei wunderbare Kinder, verdiene mein Geld mit Musik, hab Xander. Es könnte nicht besser laufen."

"Ihre Großmutter hat mir erzählt, sie hatten in ihrer Jugend viele Probleme."

"Das kann man so sagen, ja. Ich hab lang gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Ich habe scheinbar gefunden, was ich gesucht habe."

"Und was war das?"

"Ach, das würde abgedroschen klingen …"

"Ah bitte, sagen sie schon."

"Inneres Gleichgewicht vielleicht. Die Ruhelosigkeit und der Weltschmerz sind weg."

"Und wie sind sie an diesen Punkt gekommen?"

"Durch Menschen, vor allem Männer, die mich geliebt haben und durch die ich den Mut hatte, einfach zu sein, wer ich bin. Ich dachte immer, mit mir würde etwas nicht stimmen, weil meine eigene Familie mich weggeschickt hat und meine Mutter ihre Zeit lieber mit irgendwelchen Schlägern verbracht hat, als mit mir. Das ist aber alles lange her. Ich hab meinem Körper viel Schlechtes angetan, hab das alles aber unbeschadet überstanden, hab mit einigen Männern und vielen Frauen geschlafen, hab geliebte Menschen aus den verschiedensten Gründen verloren. Unter anderem die Mutter meiner Kinder, die uns verlassen hat und jetzt vermutlich in irgendeiner Crackhöhle liegt. Ich hab mir eine Band aufgebaut, nach vielen Hochs und Tiefs sind wir recht erfolgreich. Und ich habe eine Familie. Keine Bilderbuch–Familie, aber das hab ich auch nie angestrebt. Ich liebe meinen Freund und werde mir von niemand einreden lassen, dass irgendwas daran falsch ist. Ich hab lange gebraucht, um zu erkennen, dass nicht ich das Problem in dieser Familie hier bin, sondern die antiquierten Moralvorstellungen der hier Herrschenden. Vieles davon kommt von der katholischen Kirche."

Ich bremste mich, fast hatte ich vergessen, mit wem ich redete.

"Nein, bitte, reden sie weiter."

"Es ist nur, … manchmal hab ich das Gefühl, dass diese Religion mehr verängstigt, als wirklich hilft …"

"Das verstehe ich, gerade in ihrer Situation."

Sein Blick wanderte schon wieder für einen Moment an mir herunter. Er hatte bemerkt, dass ich es bemerkt hatte und schaute beschämt zur Seite.

"Wie funktioniert das für sie, Pater?"

"Was meinen sie?"

"Wie können sie ihr Leben in den Dienst einer Organisation stellen, die zutiefst verurteilt, wer sie sind?"

"Ich weiß nicht, was sie meinen … also, ich denke sie wollen gar nicht beichten und mein Zuspruch würde ihnen ohnehin nichts bedeuten. Wir können also genauso gut wieder rüber gehen …"

Als er aufstehen wollte, legte ich ihm reflexartig die Hand aufs Knie, zog sie aber sofort wieder weg.

"Sie können mit mir darüber reden. Ich werde niemandem davon erzählen."

"Es gibt nichts zu reden. Ich wünschte nur, sie hätten sich etwas angezogen."

Er schlug sich die Hand vor den Mund, als hätte er etwas ganz schreckliches gesagt. Oh Mann, was für ein Klischee.

"Sie sind also schwul?", fragte ich ruhig.

"Nein! Wie kann ich denn schwul sein, wenn ich keinen Sex habe!?"

"Ist es die Sache wirklich wert?"

"Ich weiß es nicht. Es ist das einzige Leben, das ich kenne. Ich hab nie einen Mann angefasst."

"Wollen sie?"

"Was?! Gerade haben sie mir von ihrem Freund erzählt."

"Er hätte nichts dagegen. Kommen sie, niemand sonst muss davon erfahren."

"Ich wüsste es. Und Gott."

"Der weiß eh, dass sie es wollen und vergibt ihnen doch, wenn sie es beichten, so läuft das, oder? Ich finde, sie sollten wissen, was sie verpassen."

Ich hatte es nur halb ernst gemeint, aber er drehte sich tatsächlich zu mir. Ich legte das Handtuch zur Seite und setzte mich aufrecht hin. Dann nahm ich seine Hand und legte sie auf die Sonne an meiner Schulter. Langsam fuhr er mit zittriger Hand an meinem Arm nach unten bis zu den Fingerspitzen und wieder nach oben. Dabei hatte er den Blick seitlich auf den Boden gerichtet. Seine Hand wanderte weiter, über meine Brust, Richtung Bauch, so dass ich Gänsehaut bekam. Ich legte eine Hand unter sein Kinn und brachte ihn dazu, mich anzusehen. Am Bund meiner Badehose machte er Halt. Er schaute mich an, als wüsste er nicht, wie es weitergehen sollte, wollte aber, dass es weiter geht.

"Lehn dich zurück."

Das tat er sofort. Ich beugte mich zu ihm, öffnete vorsichtig die Knöpfe seines Hemdes und fuhr über seinen Oberkörper. Noch nie hatte jemand so intensiv auf meine Berührungen reagiert. Er zitterte, atmete schwer und legte seinen Kopf zurück. Ich öffnete seinen Hosenknopf und er ließ es zu. Ich kniete mich vor ihn und zog seine Hose ein Stück nach unten. Obwohl ich alles ganz langsam machte, dauerte es keine Minute, bis er seine Fingernägel in meine Schulter krallte und mit einem unterdrückten Stöhnen kam. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und zitterte immer noch. Ich war gespannt, was er weiter tun würde und spuckte ins Gras, bevor ich mich wieder neben ihn setzte. Er legte die Hände auf seinen Bauch und atmete immer noch schwer. Nach ein paar tiefen Atemzügen wandte er den Kopf zu mir. Er lächelte.

"Das war … ich hab so was noch nie … ich meine offensichtlich … ich … Danke."

"Gern geschehen."

Er zog die Hose hoch und knöpfte sein Hemd zu. Dann setzte er sich wieder aufrecht hin.

"Alles okay?" fragte er.

"Das fragst du mich? Ist bei dir alles okay?"

"Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich kann nicht aufhören zu lächeln."

"Das ist ganz normal."

"Aber ernsthaft, Jordan. Ist bei dir alles okay?"

"Wie ist dein Vorname?"

"Paolo."

"Paolo, schöner Name. Meine größte Sorge ist, ob du das alles hinbekommst."

"So was war längst überfällig. Ich hab nur Angst davor … aber ich komm klar."

"Ich geb dir meine Nummer, wenn du mal reden willst."

"Jordan, das ist meine Aufgabe. Ich bin der Seelsorger hier."

Er lächelte mich sanft an.

"So und jetzt sollten wir dieses Beichtgespräch wirklich beenden …"

"Kein priesterlicher Rat mehr?"

"Das wäre alles heuchlerisch. Ich bin froh, dass du so bist, wie du bist."

"Danke."

Drüben ging er gleich ins Haus. Xander und die Anderen waren immer noch am Pool. Ich trank einen Schluck Wasser und nahm Xander bei Seite.

"Na, wie war die Beichte?"

"Die fängt gerade erst an …"

"Häh?"

"Ich hab ihm einen geblasen."

"Haha."

"Kein Scherz. Ich hab ihm einen geblasen."

Zu meinem Erstaunen lachte er los.

"Das ist echt wahr, oder?"

Ich nickte.

"Das schaffst nur du. Wo ist er?"

"Drinnen …"

"Wie verkraftet er es?"

"Scheinbar gar nicht schlecht. Also bist du nicht sauer?"

"Du hast einen Erzfeind bekehrt, da kann ich echt nicht sauer sein. Aber küssen werd ich dich erst wieder, wenn du Zähne geputzt hast …"

Nach einer viertel Stunde wurden wir zum Kaffee gerufen. Paolo war ebenfalls noch da. Xander saß ihm gegenüber und grinste vor sich hin bis ich ihm einen bösen Blick zuwarf und ihm Gwen zum Füttern auf den Schoß setzte.

"Jordan, wollen wir nachher nochmal was zusammen singen?", fragte meine Großmutter.

"Klar, wenn du willst."

Sie entschied sich für Moon River und dann noch eine Elvis–Imitation, 'Can't help falling in Love'. Dann wollten die Leute noch was Eigenes hören. Ich spielte einen älteren Summerskin–Song, den Damian und ich geschrieben hatten. Der Pater verabschiedete sich bald danach und Mum musste zum Flughafen. Peter und seine Freundin brachten sie hin. Xander planschte noch ein bisschen mit Gwen im Pool, während mein Dad mich und Renzo bat, noch drinnen zu bleiben.

"Ich wollte euch sagen, dass ich stolz auf euch Beide bin, auch wenn ihr andere Wege gewählt habt und ich meine nicht nur, mit wem ihr zusammen sein wollt, ich meine auch, dass ihr nicht in der Firma arbeitet. Ich kann das verstehen. Es ist ein hartes Geschäft und man ist sehr von seinem Ruf abhängig. Ich wollte euch das nur gesagt haben, bevor ihr wieder nach L.A. aufbrecht."

"Danke, Dad."

"Ja, Danke."

Er bot uns seine Hand an, aber Renzo umarmte ihn.

"Ich weiß, dass dir das nicht leicht fällt. Ich bin dir sehr dankbar."

Ich verstand nicht ganz, was daran schwer gewesen sein sollte, aber ich verstand die meisten Gesetzmäßigkeiten in dieser Familie nicht.

Renzo ging wieder raus. Ich zögerte aus irgendeinem Grund.

"Hast du noch was, Jordan?"

"Ich weiß auch nicht … es ist nur … manchmal hab ich das Gefühl, dich überhaupt nicht zu kennen."

"Wir haben nicht viel Zeit zusammen verbracht und wenn dann meistens mit streiten."

"Ich hab es dir alles andere als leicht gemacht …"

"Du warst noch ein halbes Kind."

"Das stimmt. … Wieso hat Großvater so was gesagt?"

"Ich weiß es nicht. Ich hab es ihn nie sagen hören und er wusste schon, warum. Wenn ich das gehört hätte, wäre der Haussegen gründlich schief gehangen. Vielleicht solltest du einfach mal mit ihm reden."

"Das geht doch nicht. Ich kann nicht einfach so mit ihm darüber reden."

"Doch. Er ist dein Großvater. Geh und rede mit ihm. Er sitzt bestimmt in seinem Büro und überprüft die Bücher. Geh einfach rüber."

"Na wenn du meinst …"

Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und schob mich zur Tür.

Ich ging rüber, die Haustür war nicht abgeschlossen, die Bürotür im ersten Stock war nur angelehnt, er telefonierte, deshalb wartete ich.

"Natürlich war das ein Missverständnis. … Nein, keiner von meinen Leuten würde das wagen. Ja natürlich, ich hab schon einen Mann darauf angesetzt. Das mit dem Geld wird kein Problem sein. Natürlich, wie immer ein Vergnügen, mit dir Geschäfte zu machen. Grüß die Familie. Ach, nein, nichts Neues. Ja gut, arrividerci."

Ich wartete ein paar Sekunden und klopfte dann.

"Ja?"

"Hey, … ich … ich weiß eigentlich gar nicht so recht, was ich hier mache …"

"Komm rein, setz dich."

"Danke."

Ich setzte mich erst mal und suchte nach Worten.

"Ich weiß nicht, ob du gehört hast, was genau bei der Hochzeit passiert ist ..."

"Du hast dich mit deinem Bruder gestritten."

"Er hat etwas gesagt, was mich ziemlich aus der Fassung gebracht hat. Naja, eigentlich hat er angeblich dich zitiert."

"Und was war das?"

"Er hat mir erzählt, dass du der Meinung bist, ich sei die Strafe Gottes dafür, dass mein Vater mit meiner Mutter gesündigt hat. Ist das wahr?"

"Ich habe das gesagt, daran kann ich mich erinnern."

Ich musste erst mal schlucken.

"Okay, gut … dann … verdammt, glaubst du das echt?"

"Was soll ich darauf sagen? Ich glaube eben, dass all unsere Handlungen Konsequenzen haben. Und wenn ich so was sage, dann meine ich nicht dich als ganze Person, sondern all die Probleme, die du gemacht hast und auch noch machst."

"Ich mache immer noch Probleme? Welche denn?"

"Auf der Hochzeit zum Beispiel. Musstest du unbedingt öffentlich mit einem Mann tanzen? Was du hinter verschlossenen Türen, oder im Kreis der Familie machst, geht niemanden etwas an. Aber auf diese Art hast du mich vor meinen Geschäftspartnern bloßgestellt. Was denken sie denn von mir, wenn ich nicht mal meinen eigenen Enkel im Griff habe?"

"Deine Geschäftspartner? Was geht denn die das an?"

"Das hast du noch nie verstanden. Ich bin auf meinen guten Ruf angewiesen. Ohne ihn ist die Firma so gut wie bankrott. Glaubst du, ich bin gerne immer noch in der Firma? Aber meine Söhne haben es noch nicht geschafft, sich bei unseren Partnern durchzusetzen."

"Das ist doch nicht normal, dass es so läuft …"

"Davon verstehst du nichts."

"Ja, das stimmt und darüber bin ich auch froh."

"Hast du noch Fragen?"

"Wäre es dir lieber, wenn ich nicht mehr hierher kommen würde?"

"Am liebsten wäre es mir, wenn du dich diskret verhalten würdest oder dir eine Frau suchst."

"Das wird beides nicht passieren."

"Dann wäre es im Interesse aller, wenn du nicht mit uns in Verbindung gebracht werden würdest."

"Das ist dein Ernst, oder? Was ist mit deiner Urenkelin?"

"Ein bildhübsches Mädchen, ich wünschte, du könntest auch eine bildhübsche Mutter für sie vorweisen."

"Ich denke, das hier führt zu nichts …"

"Was hast du denn erwartet, Junge? Dass ich dir die Absolution erteile? Dass ich dir sage, dass ich stolz darauf bin, dass du auf einer großen Bühne besoffene Leute mit kranker Musik unterhältst? Oder dass du es geschafft hast, ein Kind zu zeugen? Gratuliere. Das hat vor dir bestimmt noch keiner geschafft."

"Das hier war ein Fehler."

Ich wollte aufstehen.

"Nein, du bleibst sitzen."

Sein Blick sagte mir ganz deutlich, dass ich besser tat, was er verlangte.

"Du willst uns weismachen, dass du dich geändert hast, dass du sesshaft geworden bist, ein normales Leben willst, nur eben mit einem Mann an deiner Seite? Schwachsinn. Du bist noch genauso verdorben wie damals."

"Du weißt doch überhaupt nichts."

"Ach nein?"

Er stand auf, trat um den Schreibtisch und zog mich grob am Arm hoch.

"Schau aus dem Fenster."

Er deutete nach links unten.

"Oh nein."

Da stand die umwucherte Bank. Man sah sie recht deutlich, hinter ein paar dünnen, blattlosen Zweigen.

"Oh doch. Ich hab dich und den Priester gesehen."

Was hätte ich darauf sagen sollen? Also blieb ich still.

"Ich habe gesehen, wie du vor ihm auf die Knie gegangen bist, wie ein unterwürfiger Hund. Und dabei kanntest du den Mann gerade fünf Minuten! Und schlimmer, er ist Vito's Sohn. Ich habe deine Großmutter gewarnt, sie solle sich nicht mit einem Vendesso einlassen, 'Aber er ist Priester' hat sie gesagt. Glaubst du, dass das Zufall war? Die wollten nur etwas gegen mich in der Hand haben. So was wie dich hat nicht mal dein Vater verdient! Er hätte dir schon längst eine ordentliche Tracht Prügel verpassen sollen, dann wärst du vielleicht nicht ganz so missraten. Aber dafür war er nie Manns genug. Solche Dinge musste immer ich für ihn übernehmen."

"Was hast du vor? Willst du mich verprügeln? Ich bin einen Kopf größer als du."

"Du würdest zurückschlagen, dass du so respektlos bist, daran habe ich keinen Zweifel. Nein, bei dir nützt keine Prügel mehr."

Er kramte in seiner Schreibtischschublade und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand.

"Was zum … was hast du vor? Willst du mich erschießen?"

"Ich will, dass du mir bei dem letzten bisschen Ehre das in dir ist, schwörst, dass du dir eine Frau suchst und sie heiratest."

"Das kann ich nicht."

"Das ist deine letzte Chance, schwör es! Schwör es!"

Es lag etwas Zischendes in seiner Stimme. Langsam bekam ich wirklich Angst.

"Ich bin trotz allem dein Enkel. Du kannst mich nicht erschießen."

"Plötzlich würde Familie dir etwas bedeuten, ja? Du hast unsere Ehre mit Füßen getreten. Die meisten meiner Geschäftspartner hätten das Problem schon lange gelöst. Ich war viel zu nachsichtig, aber damit ist jetzt Schluss. Jetzt muss getan werden, was nötig ist, um die Familie zu beschützen. Sei ein Mann und dreh dich um."

"Drehst du jetzt durch oder was? Was ist das hier? Eine Mafia–Fehde?"

"Die Geschäfte haben dich nie interessiert, nicht wahr? Jetzt geh rüber auf den Teppich. Ich will nicht, dass deine Großmutter stundenlang das Blut ihres Enkels aus dem Boden schrubben muss."

In dem Moment kam die Realität in meinem Kopf an. Mir wurde klar, dass er wirklich schießen würde.

"Okay, ich schwöre es, ich suche mir eine Frau und heirate. Bitte, leg die Waffe weg."

"Zu spät."

Mir war, als sähe ich die Kugel in Zeitlupe auf mich zukommen und ich erinnere mich, dass ich mich noch geärgert habe, dass ich mir nichts Richtiges angezogen hatte. In einer bunten Badehose zu sterben, hatte wirklich keinen Stil. Dann kam das Gefühl, als bekäme ich einen Tritt in den Brustkorb. Ich hörte noch das Knacken meiner Rippen, dann wurde alles um mich herum dunkel.



*

Creed – One last breath

Komponist und Textdichter: Scott Stapp und Mark Tremont

Originalverleger: Dwight Frye Music IN

Originalverleger: Tremonti Stapp Music

Sub–Verleger: State Three Music Edition

**

Elvis – Don't ask me why

Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved

***

Doris Day – Que sera sera

Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved

****

Frank Sinatra – Something stupid

Komponist / Textdichter: C. Carson Parker

Originalverleger: Greenwood Music Company

Sub–Verleger: Chappell And Xo LTD (London)

Sub–Verleger: Chappell Co GMBH CO KG

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