zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Along the Way

Teil 2

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Jordan

In dieser Nacht, unserer ersten gemeinsamen außerhalb der Klinik, hatten wir zum ersten Mal miteinander geschlafen. Natürlich auf dem Boden, denn alle Möbel waren schon zerlegt.

Am Morgen kam Summer um sich zu verabschieden.

"Nehmt mich mit!"

"Du hast noch ein Jahr Schule vor dir."

"Als Schauspielerin brauch ich keinen Schulabschluss!"

"Ich erwarte dich nächsten Sommer, auf keinen Fall früher!"

"Darf ich euch denn nicht besuchen kommen?"

"Doch natürlich. Jederzeit. Während der Schulferien."

"Oh Mann, ich weiß gar nicht, was ich ohne dich die ganze Zeit machen soll …."

"Vor dem Spiegel Emotionen üben, wie es sich für eine angehende Schauspielerin gehört."

"Ich üb gleich mal Emotionen! Die hier heißt: Mein bester Freund geht nach L.A. und lässt mich im Stich."

Sie zog die Mundwinkel so weit es ging nach unten.

"Daran solltest du noch arbeiten …."

Der Transporter kam und all unsere Sachen wurden verladen. Vince' Auto war ebenfalls schon voll. Es war Zeit loszufahren. Ich umarmte Summer noch mal, sie ermahnte Vince, gut auf mich aufzupassen und weg waren wir.

Als wir auf die Schnellstraße einbogen, musterte Vince mich.

"Geht's dir gut?"

"Klar! Es ist nur ein seltsames Gefühl. Alles kam so anders als ich es geplant hatte."

"Ja, aber das ist nicht immer schlecht, oder?"

"Ganz und gar nicht. Im Augenblick wäre ich nirgendwo lieber als hier mit dir."

"Gut."

"Und wie geht's dir?"

"Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich war vor fünf Jahren schon mal so weit. Alles war gepackt, die Wohnung war aufgelöst und dann kam David, am Tag bevor wir aufbrechen wollten, vom Arzt nach Hause und hatte sein Ergebnis. Wir hatten Beide einen Test machen lassen, nur vorsichtshalber, aber hatten nie damit gerechnet, dass einer von uns tatsächlich positiv sein könnte. Das war so ziemlich der schlimmste Tag in meinem Leben. Und so viel erinnert mich heute daran …."

"Tut mir leid. Kann ich was tun?"

Ich legte meine Hand auf sein Bein.

"Ich komm schon klar. Steck mal deine Hand in meine Hosentasche."

"Wenn dir das hilf … ich glaub aber, dazu solltest du lieber rechts ran fahren …."

"Sehr witzig. Du sollst das Papier rausholen."

Ich zog das zusammengefaltete Blatt heraus.

"Mach es auf."

"Was ist das?"

"Ich hab letzte Woche noch einen Test machen lassen, nur um sicherzugehen. Negativ. Ich wollte, dass du es dir selbst anschaust. Nicht, dass du ein seltsames Gefühl dabei hast, mit mir zu schlafen."

"Ich hoffe, ich hab letzte Nacht nicht den Eindruck gemacht, als fände ich es seltsam."

"Naja, ein bisschen angespannt hast du schon gewirkt …."

"Aber das lag nicht dran, dass ich dachte, du wärst vielleicht doch krank."

"Woran dann?"

"Naja, es war eben unser erstes Mal. Ich wusste nicht, was auf mich zukommt …."

"Ich glaube, wir sollten mal über deine sexuelle Vergangenheit sprechen …."

"Okay. Willst du meine Tests sehen? Die sind aber schon über ein Jahr alt."

"Und in der Zwischenzeit hast du nur mit Sean geschlafen?"

"Ja."

"Okay …."

"Nein halt. Und mit Nikki."

"Nikki? Wer ist das?"

"Meine Ex-Freundin."

"Eine Frau?!"

"Ja natürlich."

"Du schläfst auch mit Frauen?"

"Ja klar. Ich dachte, das wüsstest du?"

"Nein …."

"Du tust so, als wäre das was Schlimmes …?"

"Nein, keine Ahnung, ich bin nur überrascht …."

"Hattest du nie was mit Frauen?"

"Ich hab's mal ausprobiert, klar. Aber nicht mehr seit ich 14 war, oder so. Ich meine … von wie vielen Frauen reden wir?"

"Ich mag nicht, wie sich dieses Gespräch entwickelt. Ich hab das Gefühl, ich sollte meinen Anwalt anrufen."

"Tut mir leid, ich kann das nur nicht nachvollziehen. Entweder man steht auf Männer oder auf Frauen."

"Ich würde sagen, es kommt auf den Menschen an, nicht auf den Körper in dem er steckt …."

"Okay, so seh ich das nicht …."

"Du willst mir also sagen, wenn du jemanden kennen lernst, keine Ahnung, Briefe schreibst oder so … und ihr euch total versteht und so weiter und dann trefft ihr euch und es ist eine Frau. Eine wunderschöne Frau, dann würdest du 'Nein Danke.' sagen?"

"Das müsste ich wohl, ja."

"Krass. Okay, dann bin ich froh, dass mein Körper dir zusagt …."

"Dabei geht's aber nicht nur um den Körper, es geht auch darum, wie Männer sind und wie Frauen sind. Ich hab auch nicht viele weibliche Freunde. Ich komm mit ihnen einfach nicht so gut aus. Diese Zickereien und all so was …."

"Weil schwule Männer ja nie rum zicken …."

"Ich steh ja auch nicht auf tuntige Kerle. Kannst du denn nicht nachvollziehen, was ich meine?"

"Doch, schon. Ich hab nur was dagegen, wenn Menschen in Kategorien gepresst werden. Ich entscheide lieber von Fall zu Fall, ob jemand für mich in Frage kommt."

"Okay. Na gut, wie sind wir da drauf gekommen? Ah, seit deinem letzten Test hast du also mit zwei Leuten geschlafen. Habt ihr euch geschützt?"

"Natürlich! Oh nein, Moment …."

"Verarsch mich nicht, Jordan."

"Nein, ernsthaft. Ich glaube mit Nikki hab ich kein Kondom benutzt."

"Was? Warum nicht?"

"Das war kurz bevor ich in die Klinik gegangen bin. Sie stand plötzlich da, wir haben miteinander geschlafen und dann war sie wieder weg. Ich hatte was geraucht und so …."

"Unter diesen Umständen hätte ich schon gern, dass du einen neuen Test machen lässt."

"Klar, kein Problem. Aber ich glaub nicht, dass Nikki gefährdet ist …."

"Jordan, sah David so aus, als sei er gefährdet?"

"Nein, tut mir leid. Ich mach den Test so bald wie möglich, okay?"

"Okay …."

Erstmal trat Stille ein. Nach ein paar Minuten hielt ich es nicht mehr aus.

"Das ist doch Scheiße, ich hab einen Fehler gemacht, ich geb es doch zu. Aber ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Hast du noch nie einfach den Gummi vergessen?"

"Doch, natürlich, aber jetzt muss ich schon wieder um jemanden Angst haben. Ich weiß nicht, was ich täte, wenn du auch ein positives Ergebnis bekämst …."

"Tut mir leid. Aber mach dir keine Sorgen. Es kommt bestimmt nichts dabei raus. Nikki ist normalerweise sehr vorsichtig. Ich kenn sie. Wir waren über ein Jahr zusammen. Und sie hat damals nie mit jemand Anderem ohne Gummi geschlafen."

"Als sie mit dir zusammen war? Du stehst wohl auf diese offenen Beziehungen, hm?"

"So pauschal würde ich das nicht sagen. Man sieht ja, wohin es Sean und mich geführt hat. Mit Nikki war das damals anders. Wir hingen ja Beide an der Nadel …."

"Und da sprichst du davon, dass sie nicht gefährdet ist?!"

"Nicht mehr. Sie hat aufgehört. Wegen Josh."

"Wem?"

"Ihrem Sohn, Josh."

"Eurem Sohn?"

"Nein, das nicht."

"Naja, dann hat sie wohl zumindest noch mit einem Anderen ohne Gummi geschlafen." meinte er süffisant.

"Jetzt flipp nicht aus, okay? Ich mach den Test und dann kannst du beruhigt sein. Und jetzt lass uns über was anderes reden. Erzähl mir doch mal was aus deiner Vergangenheit. Deine Eltern scheinen nett zu sein."

"Ja, klar … Meine Mum ist in Ordnung. Sie ist Kunstlehrerin."

"Ah, von ihr hast du also dein Talent?"

"Von meinem Vater jedenfalls nicht. Der, den du auf Davids Beerdigung gesehen hast, war übrigens mein Stiefvater. Meinen Vater kenn ich kaum."

"Ja, davon kann ich ein Lied singen. Aber ich dachte mir so was fast, weil keiner der Beiden dir ähnlich sah."

"Natürlich nicht. Mein Vater ist Algerier. Jedenfalls ist mein Stiefvater ganz okay. Er hat meine Mum geheiratet als ich acht war. Ich bin also quasi mit ihm als Vater aufgewachsen. Er hat keine leiblichen Kinder."

"Mein Dad hat drei jüngere Söhne. Ich hab aber nicht viel mit ihnen zu tun."

"Ich hab auch nicht so wirklich viel mit meinen Geschwistern zu tun. Meine Schwester ist die typische Vorstadt-Hausfrau, zum Kotzen. Und meine Brüder wohnen in New York und Boston. Sie waren nicht auf der Beerdigung. Ich hatte schon als Kind nicht viel mit ihnen gemeinsam."

"Und wie war es, als du deiner Familie gesagt hast, dass du auf Männer stehst?"

"So wirklich sagen musste ich das gar nicht. Ich hab halt irgendwann angefangen, Jungs mit heimzubringen. Das schien sie nicht wirklich zu überraschen. Ich war eben schon immer der Alternative in der Familie. Und nach der High School hab ich eh bald David kennengelernt. Dass er fast zehn Jahre älter war, hat meine Eltern dann doch gestört, aber was hätten sie machen sollen? Ich war zwei Jahre an der Kunsthochschule und David hat meine Bilder ausgestellt. Dann wollten wir nach L.A. Den Rest kennst du ja."

"Wie kam es, dass du dich in den zwei Jahren nicht angesteckt hast?"

"Wir haben in der Zeit ja auch noch mit Anderen geschlafen. Deshalb haben wir meistens Gummis benutzt. Der Rest war pures Glück. Danach haben wir dann natürlich nicht mehr mit Anderen geschlafen. Dann ist David krank geworden. Und er hat mir gesagt, dass ich weitermachen muss. Er hatte bemerkt, dass ich dich gern hatte."

"Damals schon?"

"Von Anfang an. Erst hab ich das natürlich nicht zugelassen. Aber als David dann krank wurde, warst du für mich da. Und als ich das letzte Mal bei ihm war, hat er mir gesagt, dass es okay ist. Er wollte nicht, dass ich allein bleibe."

"Wow, das war echt großmütig von ihm. Und so lange hattest du schon Gefühle für mich? Ich hab es nicht gemerkt …."

"Natürlich nicht. Du warst mit Sean beschäftigt. Ich dachte nicht, dass du jemals über ihn hinwegkommst, also hab ich mir gar keine Hoffnung gemacht. Und dann, nach der Kunststunde mit Owens, war ich so überdreht, dass ich's einfach gesagt hab. Ich war schon darauf vorbereitet, es als Scherz dastehen zu lassen, aber dann meintest du, ich hätte Erfolg gehabt. Wow, ich war so überrascht."

"Nicht so überrascht wie ich. Mir ist das selbst erst in dem Moment klar geworden."

"Wirklich? Naja, keine Sekunde zu früh. Jordan, ich wundere mich immer noch über letzte Nacht …."

"War ich so schlecht?"

"Nein, schlecht warst du nicht, nur teilweise so unsicher. Ich meine, du bist noch jung, ich dachte, vielleicht hast du noch nicht so viele Erfahrungen. Habt du und Sean …."

"Ja natürlich! Ich meine … so richtig haben wir nur einmal miteinander geschlafen …."

"Und mit anderen Jungs?"

"Hatte ich keine. Nur Mädchen."

"Moment, du willst mir doch nicht etwa sagen, dass Sean der erste Typ war, mit dem du was hattest?"

"Wenn rumknutschen mit 14 nicht zählt …?"

"Nein, das zählt nicht. Das heißt, letzte Nacht war erst dein zweites Mal mit einem Mann?"

"Mit Frauen hab ich mehr Erfahrung …."

"Du musst dich nicht dafür rechtfertigen. Ich bin nur überrascht. Ich dachte, ich erkenne einen Newbie wenn ich ihn sehe, aber du warst so selbstsicher und offen. Das heißt, du hast auch keinerlei Kontakt zur Szene und so?"

"Zur Szene?"

"Du weißt schon, Schwulenbars, Verein für Eltern homosexueller Töchter und Söhne, so was alles."

"So einen Verein gibt es?"

"Oh-kay, alles klar. Ich schätze ich kann dir noch viel zeigen …."

"Ich weiß nicht … Irgendwie fühl ich mich dabei etwas reduziert. Die Leute richten ja ihr ganzes Leben danach aus …."

"Oh, einer von denen bist du. Na das kann ja spannend werden."

"Was meinst du?"

"Naja, David war da eben sehr engagiert. Schwulenrechts-Aktivist und alles drum und dran. Da ich durch ihn sehr viele Leute kennengelernt hab, sind die meisten meiner Freunde in L.A. eben genau das Gegenteil von dir, platt ausgedrückt. Und die Vorstellung, wie du ihnen erklärst, dass du nicht darauf reduziert werden willst, welches Geschlecht du gerade bevorzugst … spannend. Da werd ich was zu hören kriegen."

"Okay, jetzt machst du mich nervös …."

"Nein, schon gut. Ich mag dich, deshalb werden sie dich auch mögen. Es wird eben … interessante Gespräche geben."

"Okay. Ich weiß, ich hätte dich das früher fragen können, aber wo schlafen wir heute Nacht eigentlich?"

"Der Möbellaster bringt die Sachen zu Freunden von uns. Ich meine von mir. Ich hab sie durch David kennengelernt. Tut mir leid, ich weiß, es muss seltsam für dich sein, wenn ich von David und mir immer noch als uns spreche …."

"Schon okay, wirklich."

"Jedenfalls, sie haben extra ihre Garage freigeräumt. Und wir können auch erstmal bei ihnen schlafen. Morgen ist auch schon der erste Wohnungsbesichtigungs-Termin. Aber vorher sollten wir noch was besprechen …."

"Ja?"

"Wir haben noch nicht so wirklich darüber gesprochen, wie die Wohnverhältnisse in L.A. sein werden. Ich meine, wir haben ja noch nicht mal unsere Beziehung definiert …."

"Ja ich weiß, ich bin in der ganzen L.A.-Planung keine große Hilfe gewesen. Also, was schlägst du vor?"

"Ich schlag vor, wir halten an, um was zu essen und dabei können wir in Ruhe über alles reden."

Wir fuhren bei Quartzsite von der Zehner ab und parkten vor einem ruhigen Diner.

"Das hier ist ein ziemliches Nest, hm?"

"Ich schätze, im Winter sind hier viele Touristen, aber jetzt im Sommer …."

Drinnen saßen eine Handvoll Kunden, so wie es aussah alles Einheimische. Wir setzten uns ans Fenster, einander gegenüber. Die Bedienung, eine Wasserstoffblondine Mitte 40 mit Kaugummi im Mund, die so aussah, als würde sie jeden Schätzchen nennen, legte ihre Zeitschrift beiseite und kam rüber.

"Hallo Jungs. Ich bin Gladis. Was kann ich euch Gutes tun?"

"Für mich einen Eistee und den Caesar-Salad ohne Hühnchen."

"Und ich nehme ne Sprite und Pommes."

"Jungs, ihr braucht doch Fleisch! Soll Ed euch nen Burger braten?"

"Nein, aber vielen Dank."

Wir hatten in der Klinik schon festgestellt, dass wir beide das vegetarische Essen geordert hatten. Sie brachte uns schon mal die Getränke.

"Wenn ihr schon keine Burger wollt, müsst ihr nachher wenigstens unseren hausgemachten Apfelkuchen probieren. Ist sogar noch warm. Ihr seid nicht von hier, oder?"

"Nein, wir sind auf dem Weg nach L.A." erzählte ich.

"Oh, die Stadt der Engel. Und wie lang bleibt ihr?"

"Wir ziehen hin. Ich werd dort aufs College gehen. Und Vince hier ist Maler."

"Wirklich? Wenn du mal berühmt wirst, musst du unseren Laden im Fernsehen erwähnen, ja?"

"Klar, wird gemacht."

Sie zog wieder ab, hinter den Tresen.

"So, zurück zum Thema. Also, Jordan, wie hättest du es gern?"

"Ich will bei dir wohnen. Ich such mir einen Job und versuch so viel wie möglich zur Miete beizutragen."

"Okay. Dass wir uns auf engem Raum nicht nach zwei Wochen die Köpfe einschlagen, haben wir ja in der Klinik schon festgestellt. Bleibt noch die Frage nach der Zahl der Schlafzimmer."

"Ist das dein Ernst? Eins natürlich. Warum nicht?"

"Ich meine eben, dass wir davor vielleicht mal drüber reden sollten, wie wir eigentlich zueinander stehen …."

"Okay, du fängst an."

"Toll. Okay … also ich … nein, ich will, dass du mir sagst, was du willst. Das ist deine Entscheidung."

"Warum?"

"Weil ich deine Entscheidung akzeptieren werde, egal wie sie ausfällt."

"Was denkst du denn, dass ich will? Ich will mit dir zusammen sein. Ich will bei dir wohnen, mit dir leben, alles was dazu gehört. Mir ist klar, dass das zwischen uns sehr seltsam angefangen hat und ich kann mir auch vorstellen, dass es dich verunsichert hat, dass ich wenig Erfahrung mit Männern habe. Und mir ist bewusst, dass wir Beide gerade jemanden verloren haben. Für Außenstehende könnte es wohl so wirken, als würden wir uns nur miteinander trösten. Aber so ist es für mich nicht. Ich bin dabei, mich richtig in dich zu verlieben."

"Ich bin froh, dass du das sagst, denn mir geht's genauso."

Ich griff über den Tisch nach seiner Hand.

"Also ein Schlafzimmer. Was hast du da so gefunden?"

"Dann kommen bisher zwei Wohnungen in Frage. Beide liegen in Venice Beach und beide haben ein Atelier dabei. Morgen können wir die erste anschauen."

Gladis kam mit dem Essen. Sie schaute irritiert auf unsere Hände und hatte diesmal keinen Spruch auf den Lippen. Wir hatten noch nicht annähernd aufgegessen, als sie uns schon die Rechnung brachte.

"Getrennt oder zusammen?"

"Aber was ist mit dem Apfelkuchen?"

"Schon gut Jordan, wir sollten fahren."

Vince warf einen Schein auf den Tisch und stand auf.

"Aber meine Pommes …."

Gladis kippte sie in eine braune Papiertüte.

"Einmal Pommes zum Mitnehmen."

Ich nahm sie und sah mich um. Die anderen Kunden schauten feindselig zu. Das musste ich mir doch einbilden! Vince zog mich am Arm zur Tür.

Als wir im Auto saßen, konnte ich es nicht fassen.

"Was war das denn?"

"Du gewöhnst dich dran …."

"Passiert dir so was öfter?"

"Machst du Witze? Natürlich!"

"Aber wir haben doch gar nichts getan! Und Gladis war doch erst so nett zu uns …."

"Wirklich niedlich, diese Naivität … Aber die Wahrheit ist nun mal, dass die Leute nicht mit uns umzugehen wissen und das macht ihnen Angst. Und Angst führt zu Meidung. Und wenn das nicht geht, zu Aggression. Willkommen in der Welt des offen Schwulseins."

"Das kann doch nicht sein. Am liebsten würde ich noch mal rein gehen, meinen Apfelkuchen kaufen und Gladis die Meinung sagen …."

"Sieh mal an, da steckt ja doch ein kleiner Aktivist in dir. Aber lass mich dir sagen, es würde mich nicht wundern, wenn du dann Prügel einsteckst. Hast du die Kerle da drin gesehen? Wir sollten einfach fahren."

Ich aß frustriert meine Pommes auf. Nach einer Weile meinte Vince:

"Ich sehe, dass dich das beschäftigt. Vielleicht verstehst du jetzt, warum sich die Meisten in Schwulen-Bars und so weiter am wohlsten fühlen. Da passiert dir so was nicht …."

"Ja schon … aber das ist doch auch wieder eine Art von verstecken. Und das mach ich bestimmt nicht mehr."

"Wie du meinst. Da bin ich gespannt …."

Er erzählte mir, was David und ihm schon alles passiert war und da war ganz schön heftiges Zeug dabei, wo sie teilweise auch einfach weglaufen mussten, wenn sie nicht von einer Horde Besoffener verprügelt werden wollten. Ich erzählte ihm von Willie. Er fuhr sofort die nächste Abfahrt runter und parkte bei der nächsten Gelegenheit.

"Oh mein Gott, Jordan, das ist ja schrecklich!"

"Ja, das war es, aber mittlerweile komm ich damit klar. Ich glaube, ich steh auch deshalb so aufs Boxen, weil mir so was dann nie wieder passiert …."

"Und er hat auch wirklich nicht …."

"Nein, warum sollte ich lügen? Die Anderen kamen keine Sekunde zu früh, aber auch nicht zu spät."

"Du weißt, dass du trotzdem immer noch zur Polizei gehen kannst?"

"Ja, aber ich hab mich dagegen entschieden. Und dabei bleibt es auch."

"Okay, das ist deine Entscheidung …."

"Danke."

Er beugte sich zu mir und küsste mich. Dann fuhren wir wieder auf die Zehner.

"Okay und diese Freunde, bei denen wir erst mal bleiben … erzähl mal was über sie …."

"Also, Will ist ein Freund von David. Einer seiner Besten. Er war auch auf der Beerdigung, aber du wirst dich nicht erinnern. Er ist ebenfalls Galerist. Und sein Partner Todd ist Verleger. Die Beiden wollen heiraten, sie haben schon alle möglichen bürokratischen Wege versucht, aber bisher kam noch nichts dabei raus. Sie haben auch schon versucht, ein Kind aus Äthiopien zu adoptieren, auch das hat nicht geklappt."

"Okay, das ist alles so … bürgerlich und normal."

"Natürlich. Warum nicht? Wie siehst du das denn?"

"Was?"

"Na in zehn Jahren, wie stellst du dir denn vor, dass du dann lebst?"

"Keine Ahnung. Darüber hab ich, ehrlich gesagt, noch nicht nachgedacht. Aber egal ob Frau oder Mann, ich glaub nicht, dass ich heiraten will …."

"Oh, okay …."

"Ich meine ja nicht, dass ich mich nicht fürs Leben binden will. Diese ganze Heiratsnummer ist mir einfach zu … bürokratisch. Ich weiß auch nicht. Wie siehst du das?"

"Naja, David und ich haben schon vor zwei Jahren den Antrag gestellt …."

"Ihr wolltet heiraten? Aber du bist doch auch noch viel zu jung für so was …."

"Ansichtssache."

"Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du auf so was stehst …."

"Naja, es war eben David."

"Verstehe. Hör mal, ich merkte, dass du ab und an sehr traurig bist. Du denkst viel an ihn und vermisst ihn. Das ist ganz normal. Ich will nicht, dass du meinst, du müsstest das vor mir verstecken. Ich will für dich da sein, so wie in der Klinik."

"Ich weiß. Aber irgendwie versuch ich automatisch dich das nicht merken zu lassen. Aber Danke für das Angebot."

Wir machten das Radio an und redeten über Musik. Bei den Chili Peppers konnte ich nicht anders als lauthals mitzusingen.

"Du weißt schon, wie gut du bist, oder?"

"Naja, wenn ich damit Geld verdienen will, dann sollte ich auch gut sein."

"Aber du bist ja schon so virtuos auf der Gitarre."

"Ich glaub, damit allein würd ich nicht weit kommen."

"Sing noch mehr!"

Gegen Abend kamen wir an. Wir fuhren durch ein Wohngebiet mit lauter weißen Gartenzäunen und Palmen im Vorgarten.

"Das ist ja so was von klischeehaft …."

"Ja, ich weiß. Hier gibt es sogar Richtlinien, wie lang dein Rasen sein darf …."

"Nicht dein Ernst!"

"Leider doch. Da vorne, das ist das Haus."

"Welches? Das mit dem weißen Gartenzaun?"

"Haha. Na gut, dann wollen wir mal …."

Wir bogen in die Auffahrt und schon kam jemand aus der Tür.

"Das ist Todd." tuschelte Vince mir zu.

"Okay."

Er war nicht gerade groß, hatte einen Bauchansatz und eine Sonnenbrille in seinem graumelierten Haar. Er fuchtelte überschwänglich mit den Händen.

"Vincent! Ich freu mich ja so, dich zu sehen!"

Bussi links, Bussi rechts. Oh mein Gott.

"Und du musst Jordan sein. Schön dich kennenzulernen. So, jetzt kommt doch erst mal rein. Habt ihr Hunger? Ich habe Jambalaya gemacht. Will müsste auch bald kommen. Er arbeitet zu viel. Der Möbeltransporter war schon vor zwei Stunden da. Alles ist in der Garage verstaut. Die Gästezimmer habe ich auch schon hergerichtet."

Endlich unterbrach Vince den Redeschwall.

"Vielen Dank, Todd, aber wir brauchen nur ein Zimmer."

"Natürlich. Wir waren uns nicht sicher. Was wollte ich sagen? Ah, genau, diese Maklerin hat angerufen und den Besichtigungstermin morgen Vormittag bestätigt. Oh und da fährt auch schon Will in die Auffahrt!"

Ein neuer Sebring Cabrio bog ein. Kurz darauf trat Will durch die Tür. Er war bedeutend jünger als Todd, vielleicht 35, trug eine Hornbrille und einen Leinenanzug. Sein Stil erinnerte mich an Davids.

"Hallo Vince. Wie geht's dir?"

Man hörte an seinem Tonfall, dass er eine Antwort wie "Naja, es muss ja weitergehen" erwartete.

"Ganz gut, etwas hungrig und ich will mich bewegen, nachdem wir den ganzen Tag im Auto saßen. Das ist Jordan."

"Hallo."

"Hallo Jordan. Ein Musiker, wie man hört. Ich kenne ein paar Leute aus der Branche. Wenn du eine Band suchst, können die dir bestimmt weiterhelfen. Ich kann dir ein paar Nummern geben."

"Das wäre toll, Danke."

"Gut, dann wollen wir eure Sachen mal hochbringen."

Will, Vince und ich schleppten je eine Tasche nach oben, mehr packten wir vorerst nicht aus. Will guckte etwas irritiert, als wir alles in ein Zimmer trugen. Mir fiel ein, dass ich meine Gitarre noch holen könnte, also wollte ich noch mal runter. Auf der Treppe bemerkte ich, dass ich keinen Autoschlüssel hatte und ging noch mal zurück. Ich hörte Will halblaut zischen:

"Du hast es wohl gar nicht mehr erwarten können!"

"Es sind jetzt über drei Monate, Will! Ich will nicht für immer alleine sein!"

"Drei Monate, hm? Du hattest ihn auf der Beerdigung dabei! Wer weiß wie lang das vorher schon ging! Deshalb warst du auch nie in der Klinik."

"Das hat David so gewollt und das weißt du auch ganz genau! Er wollte nicht, dass ich zusehe, wie er dahin vegetiert!"

"Mag sein, aber ich glaube, er wollte nicht, dass du gleich ins nächste Bett hüpft, wenn er noch nicht mal unter der Erde ist."

"So war das nicht! Damals waren Jordan und ich nur Freunde!"

"Natürlich!"

"Ach, was weißt du schon von David und mir?! Die letzten fünf Jahre habt ihr euch alle paar Monate gesehen, ich war jeden Tag bei ihm. Und er hätte das mit Jordan und mir verstanden!"

"Ja, bestimmt hätte er das. Er hat dir ja aus der Hand gefressen! Was wärst du ohne ihn? Er hat dich bekannt gemacht und jetzt hast du alles was ihm gehört hat und kannst dir mit deinem Lover ein schönes Leben machen, für dich hat sich das alles wunderbar gefügt, was?"

"Du dämlicher Idiot, glaubst du denn nicht, ich würde auf das ganze Geld mit Freude verzichten, wenn ich ihn damit zurückbekäme? Glaubst du nicht, ich wäre viel lieber mit David im stinkendsten Kuhkaff als mit Jordan in L.A.? Aber er ist tot! Und ich lebe noch! Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünschte, es wäre anders rum! Er war der Bessere von uns Beiden, glaubst du, dass ich das nicht weiß?"

Vinces Stimme überschlug sich, er weinte. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Todd stand hinter mir auf der Treppe.

"Tut mir leid, dass du das gehört hast …."

Drinnen hörte man Vince schwer atmen. Dann schrie er Will an, er solle endlich verschwinden. Der kam heraus und bemerkte mit Schrecken, dass wir alles gehört hatten. Bevor er irgendwas sagen konnte, rauschte ich an ihm vorbei ins Zimmer. Vince stand am Fenster, mit dem Rücken zu mir. Ich ging langsam auf ihn zu. Seine Schultern zuckten, er hatte die Hände vorm Gesicht und schnappte immer wieder nach Luft. Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um und weinte in meinem Arm weiter, während ich seinen Kopf streichelte. Er beruhigte sich bald wieder und ich gab ihm ein Taschentuch.

"Es tut mir leid, Jordan."

"Nein, das muss es nicht. Ich weiß wie sehr du David geliebt hast und ich erwarte nicht, dass du mich genauso liebst. Ich will einfach nur bei dir sein."

"Ich hab nicht gedacht, dass mir so was nochmal passieren würde. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen."

"Geht's wieder?"

"Ja, ich glaub schon. Ich kann Will ja auch verstehen. Er vermisst ihn eben. Und er weiß nicht, was David zu mir gesagt hat. Ich musste ihm versprechen, dich nicht gehen zu lassen, nur weil ich meine, dass es noch nicht angemessen wäre. Wenn er das alles nie zu mir gesagt hätte, dann hätte ich genauso gedacht wie Will."

"Okay, ich bin mir sicher, dass du das alles noch mit ihm klären kannst. Wollen wir runter gehen?"

"Okay …."

Als wir in die Küche kamen, saßen Todd und Will schon am Tisch. Will stand auf und trat vor Vince.

"Tut mir leid, ich weiß, du vermisst ihn. Und ich auch. Ich hätte dir nicht vorwerfen sollen, dass du dein Leben weiter lebst. David hätte das sicher gewollt. Es tut mir leid."

"Schon gut. Ich versteh dich ja. Und ich weiß, dass es seltsam für euch ist, mich mit jemand Anderen zu sehen. Für mich ist es auch seltsam. Ich weiß, dass das Timing mies ist, aber ich kann nicht meine vielleicht letzte Chance auf ein bisschen Glück vorbeiziehen lassen. Ich hoffe, ihr versteht das …."

"Ja, natürlich. Komm setz dich. Vegetarisches Jambalaya. Jetzt lasst es euch erst mal schmecken."

In dieser Nacht schlief Vince sehr unruhig. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Irgendwann wachte ich auf und hörte ihn leise weinen. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, aber er schob mich weg.

"Nicht. Ich kann nicht."

"Vince, ich kann damit leben, dass ich nicht an erster Stelle stehe, aber ich kann nicht damit leben, dass du dir von mir nicht helfen lässt. Wenn wir nur Freunde wären, dann dürfte ich dich auch trösten. Lass mich einfach nur ein Freund sein, ja?"

Er kam in meinen Arm. Ich flüsterte ihm ein "Danke" zu und schlief bald wieder ein.

Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, machten wir uns auf, die erste Wohnung zu besichtigen. Die Lage war auf jeden Fall schon mal genial. Vielleicht zehn Gehminuten vom Strand, jede Menge Shops und Restaurants in der Nähe, sogar ein winziges Kino, ein Plattenladen und eine kleine Kunstgalerie. Das Haus an sich war auch hübsch. Es bestand aus vier Einheiten und einem schönen, von der Straße aus nicht einsehbaren, Innenhof.

"Wow, ich fühl mich schon fast wie zu Hause."

Da konnte ich Vince nur beipflichten:

"Ja, ich mich auch. Hoffentlich ist die Wohnung auch so toll."

Die Maklerin empfing uns in der Wohnung, die sich im zweiten Stock befand.

Nach einer kurzen Vorstellung führte sie uns herum. Ein Traum! Hell und freundlich, gut geschnittene Zimmer und über eine Wendeltreppe kam man hoch ins Atelier. Vince war sofort begeistert. Unten gab es ein riesiges Wohnzimmer, ein großes Schlafzimmer, ein kleineres Zimmer, das man als Büro nutzen konnte, eine geräumige Küche und ein kleines aber funktional eingerichtetes Bad mit Duschwanne. Die Vormieter waren schon ausgezogen, zahlten die Miete aber bis zum Monatsende, also noch drei Wochen. Die Wohnung war überraschend erschwinglich, der Vermieter wollte schnell jemanden finden. Alles war perfekt.

"Dann können wir uns weitere Besichtigungen sparen, oder was meinst du, Jordan?"

"Ich bin begeistert."

"Sehr schön. Dann hätte ich nur noch ein paar Fragen an sie." meinte die Maklerin.

"Klar, gerne."

"Zunächst mal zur Zahlungsfähigkeit, wie sieht es beruflich aus?

"Ich bin Maler. Ich weiß wie sich das anhört, aber informieren sie sich über mich und sie werden sehen, dass ich im Monat nur ein Bild verkaufen muss, um die Miete zu zahlen. Zusätzlich hab ich eine Dozentenstelle in Aussicht und kürzlich eine größere Erbschaft angetreten. Gegen eine Kontenoffenlegung hab ich nichts."

"Gut, ich werde mich informieren. Übrigens erwägt der Vermieter auch den Verkauf, falls sie sich das überlegen wollen."

"Oh, interessant. Ich denke drüber nach."

"Und wollen sie Beide im Mietvertrag stehen?"

"Ich bin der Hauptmieter, Mr. Bonanno wird zur Untermiete wohnen."

"Der Vermieter hätte gerne alle Mieter als Hauptmieter aufgeführt. Dabei geht es um die Haftung."

"Das ist mir klar, aber Mr. Bonanno ist Student. Bei ihm wäre also so und so nicht viel zu holen. Ich denke, der Vermieter kann mit meinen Sicherheiten zufrieden sein."

"Okay, ich gebe das so weiter. Gleich bespreche ich mich mit Mr. Scottsman und setze den Vertrag auf. Wenn alles okay geht, können sie heute Nachmittag unterschreiben und schon morgen einziehen."

"Das wäre toll, Danke."

Wir schauten uns gleich noch etwas in der Gegend um und fanden einen Asia-Laden mit Restaurant, wo wir zu Mittag aßen. Dann spazierten wir zum Strand. Ich war total begeistert.

"Gott, hoffentlich klappt alles. Das hier ist es. Ich hab das Gefühl, hier soll ich bleiben."

"Ich weiß was du meinst. Hör mal, wegen heute Nacht …."

"Mir ist aufgefallen, dass du mich heute noch nicht geküsst hast. Was Will gesagt hat, ist dir sehr nahe gegangen, hm?"

"Ich hab ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, es ist irrational, aber ich kann es nicht ändern. Tut mir leid."

"Schon gut, nimm dir Zeit. Vince, schau dich um! Das hier ist Venice Beach! Und wir werden gleich um die Ecke wohnen! Ein paar Kilometer in die Richtung ist Santa Monica. Hier joggen die Stars vorbei! Und wir Beide mittendrin! Lächle mal!"

"Ja, Wahnsinn, oder? Und zur Krönung darf ich den bestaussehendsten Typen am ganzen Strand küssen."

Als wir zurück zu Will und Todd kamen, hatte die Maklerin schon angerufen.

"Es klappt alles. Ihr sollt ab Zwei in ihr Büro kommen. Das ging jetzt schnell, oder?"

"Ja, kaum zu glauben, oder? Aber die Wohnung ist einfach perfekt und vergleichsweise günstig, da haben wir gleich zugegriffen."

"Na dann, nichts wie hin."

Vince unterschrieb, wir bekamen die Schlüssel, alles war perfekt. Wir beschlossen, schon am gleichen Abend ein paar Dinge in die neue Wohnung zu bringen. Hauptsächlich Vinces Malkram, den wir ins Atelier schleppten. Will und Todd hatten zwar angeboten, uns zu helfen, aber das wollten wir lieber alleine machen.

"So, wer trägt jetzt wen über die Türschwelle?" fragte ich grinsend.

"Oh, du bist ja eine wahre Spaßkanone. Wie wär's wenn du die Kisten trägst und ich pack oben schon mal mein Zeug aus?"

"Na gut, aber dann schuldest du mir was."

"Ich bin mir sicher, dass ich mich revanchieren kann."

Sein Blick sagte alles, also ging ich allein weiter Kisten schleppen.

Auf dem Weg nach oben ging eine Tür im ersten Stock auf und eine Blondine Mitte Zwanzig schaute raus. Im Hintergrund liefen die Chili Peppers.

"Dachte ich mir doch, dass ich was gehört habe. Neuer Nachbar?"

"Ja, ganz oben. Ich bin Jordan."

"Hey, ich bin Janet. Na dann Willkommen im Haus. Wen hast du denn schon alles kennengelernt?"

"Noch niemanden, ehrlich gesagt."

"Na das wird sich sicher bald ändern. Die Leute hier wollen immer im Bilde sein. Aber sie sind auch alle echt nett. Wirst du ja sehen."

"Na dann bin ich mal gespannt. Ich hab noch überhaupt keinen Überblick."

"Ja, das dauert bestimmt noch. Also es gibt ja vier Gebäudeteile, je mit zwei Wohnungen im Erdgeschoss, zwei im ersten Stock und drei im zweiten Stock bis in den dritten Stock hoch. Das sind dann vier Mal sieben, also 28 Wohnungen. Das gibt ordentliche Gartenfeste. Nächsten Freitag findet übrigens wieder eines statt."

"Ah, gut zu wissen."

"Hey, soll ich dir mit den Kisten helfen?"

"Ach Danke! Aber es sind eh nur noch zwei unten."

"Na gut, das schaffst du. Also, man sieht sich."

"Ja und danke für die Infos."

"Gern."

Ich stellte noch die beiden restlichen Kisten ins Wohnzimmer und ging hoch ins Atelier.

Vince hatte das Meiste schon ausgepackt und im Raum verteilt.

"Das ist wohl das berühmte kreative Chaos …."

"Ja, ich weiß … aber so hab ich alles griffbereit. Hast du etwa schon alles hoch gebracht?"

"Ja natürlich. Und schon ersten Kontakt mit einer Nachbarin aufgenommen."

"Und?"

"Ja, ganz nett. Janet, Mitte 20, wohnt genau unter uns. Und am Freitag findet ein Gartenfest statt."

"Alles klar."

"Am liebsten würde ich heute schon hier schlafen …."

"Ja, aber dann müssten wir auf dem Fußboden schlafen … Dabei fällt mir ein: Wir sollten morgen ein Bett kaufen gehen. Das von David und mir hab ich nicht mitgenommen …."

"Das dachte ich mir schon, deshalb hab ich die Möbelpacker zu Mum und Klaus geschickt. Mein Bett ist so gut wie neu."

"Sehr gut. Also, was bleibt dann noch zu tun?"

"Die Wohnung muss noch eingeweiht werden …."

"Du meinst …."

"Ganz genau."

"Hast du Gummis dabei?"

"Nein … du auch nicht?"

"Nein …."

"Mach bald den Test, ja?"

"Okay, ich such morgen einen Arzt. Und ich schau in dem Plattenladen drüben vorbei. Vielleicht suchen die ja jemanden."

Wir fuhren bald zurück zu Will und Todd und gingen früh schlafen. Am nächsten Morgen kam wieder ein Umzugswagen. Den ganzen Vormittag verbrachten wir mit Kisten auspacken und Möbel zurechtrücken. Gegen Mittag machten wir Pause und ließen uns eine Pizza kommen.

"Ich werd nachher einfach mal bei einem der Ärzte hier um die Ecke vorbei schauen. Und auf dem Rückweg im Plattenladen fragen."

"Gut. Am späten Nachmittag will noch ein Freund von mir vorbei kommen."

"Okay und soll ich bis dahin wieder da sein, oder gerade nicht?"

"Was soll denn das?"

"Ich meine halt, ob du ihm schon von uns erzählen willst."

"Klar. Keine Geheimniskrämerei, weißt du noch?"

Der Arzt nahm mir kurz Blut ab und schon war ich wieder weg. Dann ging ich in den Plattenladen. Hinter dem Tresen stand ein tätowierter, glatzköpfiger Typ Ende 40, der ins Rolling Stone vertieft war.

"Hey."

"Kann ich helfen?"

"Ich wollte fragen, ob ihr gerade Jemanden sucht."

"Möglich. Ich hab dich noch nie hier gesehen …."

Der Vorhang zu einem Hinterraum wurde zur Seite geschoben.

"Jordan!"

"Oh, Janet, hey! Arbeitest du hier?"

"Jep. Der Laden gehört meinem Dad."

Sie zeigte auf den Typ.

"Wirklich? Cool. Ich hab grade gefragt, ob eine Stelle frei ist …."

"Also jetzt, nachdem El weg ist …."

"Mal langsam. Wer ist der Kerl?"

"Er ist gerade über mir eingezogen. Lass es uns mal mit ihm versuchen."

"Und was bist du für Einer?"

"Öhm … ich bin grad aus Arizona hierher gekommen und ich such ne Band."

"Was spielst du?"

"Gitarre."

"Ich hoffe, du hast auch einen Plan B?"

"College. Ab Herbst."

"Na schön. Dann lass mal hören, was du weißt.".

Er wollte meine Meinung zu so ziemlich jedem Album, das jemals erschienen ist, hören. Und nebenbei sollte ich die Regale sortieren. Langsam kam ich ins schwitzen. Von einer Sekunde auf die andere meinte er:

"Na schön. Du kannst hier anfangen. Wir machen um Zehn auf und um Sieben zu. Sei morgen früh pünktlich hier."

"Alles klar. Dann bis Morgen."

Ich konnte es gar nicht erwarten Vince davon zu erzählen, aber er war nicht in der Wohnung. Als ich mich gerade an die restlichen Kisten machen wollte, hörte ich oben jemanden reden. Ich ging die Treppe hoch ins Atelier. Vince stand vor einer Leinwand. Ein blonder Kerl in seinem Alter schaute ihm über die Schulter. Beide kicherten über das Bild. Ich räusperte mich.

"Oh, Jordan! Da bist du ja endlich! Tom, das ist er."

"Hallo. Schön, dass ich dich doch noch treffe. Ich muss nämlich schon fast wieder los."

"Hey. Also, was ist denn so lustig?"

"Ach, nichts weiter. Wir haben nur gerade unseren alten Mathe-Lehrer gezeichnet. Du müsstest ihn kennen, ums lustig zu finden."

"Ah, ihr wart also zusammen in der Schule?"

Tom grinste.

"Ja, wir waren zusammen in der Schule. Vor allem auf den Schultoiletten. Und in der Umkleidekabine und unter der Tribüne."

"Verstehe. Ihr wart also in der Schule zusammen."

"Schön gesagt. So, ich muss jetzt echt los. Also Vince, vergiss nicht, dich bei mir zu melden."

Er umarmte ihn und gab mir die Hand.

"Ich finde allein raus. Tolle Wohnung übrigens. Also, bis bald."

"So, Tom also?"

"Ja. Wie findest du ihn?"

"Er wirkt jedenfalls nicht schwul. Das find ich gut. Er wirkt eher wie der Star der Football-Mannschaft …."

"Ja, Football hat er tatsächlich gespielt."

"Und, wie lange wart ihr zusammen?"

"Ein Jahr ungefähr. Bis zum Abschluss."

"Und dann?"

"Dann wollten wir Beide unsere eigenen Wege gehen. Und bald darauf hab ich David kennengelernt."

"Und alle in der Schule wussten Bescheid?"

"Ja. Natürlich gab's die eine oder andere Reiberei, aber im Großen und Ganzen war es gar nicht so schwer. Und jetzt erzähl mir lieber, wie es bei dir gelaufen ist."

Ich berichtete ihm von meinem Job und Janets Dad und dass ich das Ergebnis des Tests am Montag abholen könnte. Den restlichen Abend räumten wir rum. Wir hatten eigentlich schon alles, was wir brauchten, bis auf das ein oder andere, das man im Supermarkt um die Ecke besorgen konnte. Vince nahm sich für den nächsten Tag vor zu streichen. Ich war schon sehr gespannt, was er sich einfallen lassen würde und machte mich um halb Zehn auf zum Plattenladen.

Als ich heimkam, waren alle Wände farbig und über der Couch pinselte Vince gerade an einem kleinen Wandbild. Ich erkannte es als Gesicht einer der Meerjungfrauen im Einkaufszentrum.

"Das ist ja cool. Ein Stück Heimat."

"Gefällt's dir?"

"Ja klar! Die ganze Wohnung sieht fantastisch aus! Und dass du das alles in neun Stunden hinbekommen hast, Wahnsinn!"

"Naja, ich hab während der High School Wände gestrichen, damit hat man nicht schlecht verdient."

"So einen Maler im Haus zu haben, ist echt praktisch …."

"Ja, nicht wahr. So, ich verhungere. Wollen wir uns was vom Chinesen bestellen?"

"Wie, du meinst du hast nebenbei nichts gekocht? Also Sean hat immer ein tolles Mahl auf den Tisch gezaubert …."

"Soso. Aber ich muss dir sagen, wenn er die Wände gestrichen hätte, wäre das nicht gut ausgegangen." Er untertreibt, wenn er sagt, dass er nicht so gut in kreativen Dingen ist.

"Na gut, dann lieber China-Food als teure Handwerker."

Als wir so über unseren Pappboxen saßen, teilte ich Vince mit, was ich mir überlegt hatte.

"Weißt du, wenn ich zurzeit in den Spiegel schau, dann seh ich gar nicht mehr mich. Ich seh aus wie aus einer Seifenoper entsprungen. Ich glaube, das letzte Mal, dass ich wirklich aussah wie ich selbst, war vor meinem Klinikaufenthalt vor einem Jahr. Und auf der Geschlossenen haben sie mir jetzt sogar mein Zungenpiercing raus …."

"Du hattest ein Zungenpiercing? Ich glaub ich hab tatsächlich noch nie jemanden mit Zungenpiercing geküsst …."

"Jedenfalls würd ich gern mein Aussehen ändern. Versteh mich nicht falsch, ich frag dich nicht um Erlaubnis. Ich sag dir einfach nur Bescheid."

"Okay, dann bin ich mal gespannt."

Am nächsten Morgen verließ Vince vor mir das Haus. Ich ging ins Bad und rasierte mir die Seiten auf acht Millimeter. Die Mitte stellte ich mir mit Haarwachs auf. Ja, jetzt erkannte ich mich im Spiegel wieder. Nach meinem ersten langen Klinikaufenthalt hatte ich mir die Haare aus Rücksicht auf meine Mum nicht mehr rasiert, danach wegen Sean. Aber jetzt wusste ich, dass ich endlich wieder aussehen durfte, wie ich wollte. Meine alten Klamotten waren beim Umzug auch wieder aufgetaucht. Bandshirts, Allstars und Röhren-Jeans. Im Supermarkt holte ich mir Blondiercreme und Lebensmittelfarbe. Ich hatte auch schon ein Piercingstudio ausfindig gemacht, wo ich mir die linke Augenbraue wieder piercen ließ. Meine Ohrringe bekam ich tatsächlich noch durch die alten Löcher. Den Ohrknorpel rechts ließ ich mir gleich auch noch piercen. Ich bekam ein Desinfektionsmittel mit und so weiter, aber das kannte ich ja alles schon. Das Haarefärben musste ich wohl auf nach der Arbeit verschieben.

Als ich um Fünf nach Zehn in den Laden kam, fragte Joe (so hieß Janets Dad) mich tatsächlich, ob er mir helfen könne. Ich stellte mich vor ihn und grinste.

"Jordan?"

"Ja?"

"Krass. Das hätte ich dir nicht zugetraut. Wie kam's?"

"Oh, da müsste ich etwas ausholen. Aber es ist jedenfalls so, dass jetzt wirklich ich vor dir stehe. So hab ich früher schon ausgeschaut. Dann kam mir das Leben dazwischen und jetzt kann ich endlich wieder aussehen wie der, der ich wirklich bin. Verstehst du?"

"Ja, man. Total. Na schön, dann mach ich dich wegen der Verspätung ausnahmsweise nicht zur Schnecke. Und vergiss nicht die Teile zu desinfizieren. Als Janet 18 wurde, hat sie sich als erstes gleich mal den Nabel piercen lassen, aber ihn natürlich nicht regelmäßig desinfiziert. Sah übel aus."

"Dad, musst du das jedem Dahergelaufenen erzählen?"

Janet kam aus dem Hinterzimmer.

"Oh mein Gott! Jordan? Krass. Ja, jetzt kann sich der Laden mit dir sehen lassen. Aber in die Haare gehört noch Farbe!"

Ich hob die braune Tüte, in der die Farbe war, hoch.

"Dad, es ist doch eh nix los. Wir machen das mal. In einer Stunde sind wir wieder da."

Sie schleppte mich aus dem Laden, bevor Joe überhaupt den Mund aufmachen konnte. Wir gingen in ihre Wohnung, wo sie tatsächlich einen Friseurstuhl stehen hatte.

"Wunder dich nicht. Ich hab Friseurin gelernt. Es gab eine Zeit, da war ich nicht so scharf drauf, bei meinem Dad zu arbeiten …."

Sie machte das ganze echt professionell und nach 45 Minuten waren meine Haare grün.

"Sehr schön, wirklich. Und ganz ohne Ansätze. So hätte ich das allein nicht hinbekommen. Danke."

"Sehr gern. So und jetzt wieder auf ans Werk!"

Als ich am Abend heim kam, saß Vince im Wohnzimmer und kritzelte auf seinem Skizzenblock rum.

"Augen zu."

Ich stellte mich dicht vor ihn.

"Okay, Augen auf."

Vince machte die Augen auf und trat erst mal einen Schritt zurück, um mich von oben bis unten zu mustern.

"Wow, ich dachte du lässt dir die Haare schneiden, oder so, aber das … krass. Okay … ich muss mich erst kurz dran gewöhnen. Ich meine, du siehst gut aus, klar … aber ich muss erst meinen Jordan wiederfinden. Da steht grad ein Fremder …."

"Vielleicht hilft dir das …."

Ich küsste ihn. Er schloss die Augen.

"Du bist immer noch mein Jordan. Du riechst auch noch wie du. Kein Zungenpiercing, hm?"

"Vorerst nicht. Mal sehen."

"Und tut das da weh?"

"Ist auszuhalten."

"Na gut. Ich hab was gekocht. Vielleicht essen wir erst mal was. Dann kann ich dich noch eine Weile anstarren."

Nach dem Essen hatte Vince sich wohl langsam dran gewöhnt, zumindest schaute er mich nicht mehr komisch an. Wir setzten uns auf die Couch.

"Und du hast früher schon mal so ausgesehen? Aber nicht als du mit Sean zusammen warst, oder?"

"Nein, um Gottes Willen. Den hätte vermutlich der Schlag getroffen."

"Okay. Oh, mir fällt ein, es hat sich was ergeben. Ich soll morgen mit ein paar schrecklich wichtigen Leuten Essen gehen. Einer davon überlegt, mein Agent zu werden. Und danach muss ich mich auf einer Vernissage sehen lassen."

"Aber das Gartenfest …."

"Ich weiß, aber es geht nicht anders. Du kannst mit mir mitkommen oder aufs Gartenfest gehen. Wie du willst."

"Na ich glaub da nehm ich lieber das Gartenfest …."

Am nächsten Abend stellte ich mich also allein den neugierigen Nachbarn. Janet war noch nirgends zu sehen. Ich kannte also absolut niemanden. Es gab einige Familien, ein paar ältere Leute und viele Zwanzig bis Vierzig-jährige. Nur zögerlich sprachen die Leute mich an. Was eine neue Frisur nicht alles ausmacht. Natürlich dauerte es nicht lang, bis jemand fragte ob ich alleine wohne, woraufhin ich nicht nur der Punk von ganz oben, sondern der schwule Punk von ganz oben war. Der Eine oder Andere redete dann doch mal mit mir, ein etwa zwölfjähriges Mädchen forderte mich auf, mit ihr Frisbee zu spielen. Es wurde Zehn und die Reihen lichteten sich langsam. Gegen Elf verabschiedete auch ich mich. Janet war nicht aufgetaucht.

Am Montag schaute ich vor der Arbeit beim Arzt vorbei und bekam mein, natürlich negatives, Ergebnis. Im Laden war, wie immer Vormittags, nicht viel los.

"Hey Jordan. Ich hab gehört, du warst auf der Gartenparty."

"Ja. Wo warst du denn?"

"Oh, ich geh da schon lang nicht mehr hin."

"Was? Warum nicht?"

"Ach, Nachbarn eben. Manchmal schau ich kurz vorbei, aber ansonsten hab ich Freitagabends besseres zu tun."

Joe kam aus dem Hinterzimmer und nickte nur kurz zur Begrüßung, bevor er sich in eine Zeitschrift vertiefte.

"Toll, du hättest mich ruhig warnen können …."

"Wieso, es waren doch alle nett zu dir, was beschwerst du dich? Eine Sache ist aber seltsam."

"So? Was denn?"

"Ach, es ist nur so ein Gerücht im Umlauf. Jemand hat wohl irgendwas falsch verstanden. Jedenfalls hieß es, du seist schwul und würdest mit einem Maler zusammenleben. Was die Leute sich so alles zusammenreimen …."

Joe schaute interessiert über den Rand seiner Zeitschrift.

"Das stimmt tatsächlich. Vince heißt er."

"Aber er ist nur dein Mitbewohner?"

"Nein, wir sind zusammen."

"Aber … Warum hast du das denn nicht gesagt?"

"Ihr habt nicht gefragt. Ich meine, soll ich bei jedem Bewerbungsgespräch meine sexuelle Orientierung erwähnen, oder wie?"

"Nein, aber wir sind doch Kollegen. Wir reden doch …."

"Ja und wenn ihr mich nach einer Freundin gefragt hättet, dann hätte ich auch sofort von Vince erzählt. Ihr wärt doch jetzt auch nicht so erstaunt, wenn ihr rausgefunden hättet, dass ich eine Freundin hab, oder?"

"Keine Ahnung … nein, wahrscheinlich nicht …."

"Also. Habt ihr damit ein Problem, oder so?"

Joe hatte mittlerweile seine Zeitung beiseite gelegt. Keiner sagte erst mal etwas.

"Okay … sagt was? Joe?"

"Ja, nein … es ist nur sehr … überraschend. Ich meine, ich dachte schon, ich müsste ein Auge auf dich haben, weil du früher oder später meine Tochter angräbst."

"Okay. Nein, das wird wohl so schnell nicht passieren … Janet?"

"Was? Naja, ich dachte nur nicht … du wirkst nicht so."

"Danke, glaub ich …."

Von da an war es eigentlich kein Thema mehr. Janet fing tatsächlich an, mich nach meiner Meinung zu fragen, wenn sie mal wieder unsere männlichen Kunden auscheckte. Anfangs fand ich das seltsam.

Als wir am späten Nachmittag im Hinterzimmer saßen, kam Vince in den Laden. Wir sahen ihn durch den Schlitz im Vorhang schon beim Reinkommen. Ich vermutete, er wolle sich nach meinem Ergebnis erkundigen.

"Oh und wie ist der?" fragte sie.

"Ja, der ist mein Typ." entgegnete ich grinsend.

"Ja? Ja, der hat was. Ich schau mal, ob ich ihm helfen kann."

"Nein, ich gehe."

Joe schaute uns fassungslos an.

"Wie die kleinen Kinder die sich um ein Spielzeug streiten …."

Ich betrat den Laden und blinzelte Vince zu.

"Hallo. Kann ich dir helfen?"

"Klar, ich suche irgendwas … punkiges, etwas junges."

"Männlich oder weiblich?"

"Ganz klar männlich."

"Alles klar, ich glaub da hab ich was für dich. Es heißt Jordan und ist total negativ."

"Ah, das freut mich. Na gut, das nehm ich."

Er zog mich zu sich und küsste mich. Wie erleichtert er über das Ergebnis meines Tests war, konnte ich spüren.

Janet kam aus dem Hinterzimmer.

"Nett habt ihr das gemacht. Dad habt ihr sogar dran gekriegt, aber mich nicht. Du bist also Vince, hm? Was führt dich her?"

Er hatte einen Anruf bekommen, der Typ von Freitagabend würde sein Agent werden.

Vince malte ständig, auf vielen Bildern meinte ich David zu erkennen. Er malte sogar unsere Wände an. Über dem Bett prangte bald eine große Sonne. Und das Meerjungfrauengesicht wurde zur ganzen Meerjungfrau. Er verkaufte auch einige Bilder und stellte immer wieder vereinzelt in Galerien aus.

Ein paar Wochen später kam ein Typ in den Laden und wollte ein Flyer da lassen, weil seiner Band noch ein Sänger fehlte. Ich spielte probehalber mit ihnen und wir waren uns sofort einig. Der Sound stimmte einfach. Und mit zwei Gitarren hörte sich alles noch viel voller an. Kev war Gitarrist, sein Bruder Brian spielte Drums und Damian war am Bass. In der Garage von Kev's und Brian's Eltern hatten sie einen Proberaum eingerichtet. Alle Drei studierten nebenbei, aber eigentlich wollten sie, genau wie ich, ihr Geld mit Musik verdienen und waren auch echt gut. Ich war total euphorisch und wusste einfach, dass ich die richtige Band gefunden hatte. Wir mochten den gleichen Musikstil, sie fanden meine Stimme gut und waren froh, dass ich auch noch mit der Gitarre unterstützen konnte und wir machten auch optisch was her, was beim Gigs-finden nicht schaden konnte. Ich konnte kaum erwarten heimzukommen und Vince davon zu erzählen. Er freute sich mit mir, trübte die Stimmung aber, indem er fragte, ob ich von uns erzählt habe.

"Nein, natürlich nicht. Ich hab sie heute erst kennengelernt! Wenn du eine Frau wärst, würde ich doch auch nicht mit der Tür ins Haus fallen."

"Aber ich bin nun mal keine Frau und deshalb gelten etwas andere Regeln. Zu deinem eigenen Besten solltest du möglichst bald herausfinden, wie sie dazu stehen, bevor du dich zu sehr in die Sache hineinsteigerst."

"Vince, du bist paranoid. Das sind nette Kerle, sie werden nichts dagegen haben."

"Hast du Gladis schon vergessen?"

"Ach komm, das kannst du echt nicht vergleichen! Ich hab deine Warnung zur Kenntnis genommen und jetzt lass uns feiern!"

Das war gar nicht so leicht, denn Vince trank ja keinen Alkohol mehr, sondern rauchte zu besonderen Anlässen Gras, bei mir war es genau anders herum. Am Ende feierten wir im Bett. Vince war dort besser als alle Anderen und ich hatte genug Vergleichsmöglichkeiten.

Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, machte ich mir Sorgen über die Reaktion der Band. Durch diese ganze Grübelei verpasste ich ständig die Zeitpunkte, an denen ich es ihnen hätte sagen können. Am Samstag verbrachten wir den ganzen Tag im Probenraum. Zwischendurch tauchte ein wasserstoffblondes, Minirock tragendes Mädchen um die 20 auf und hörte eine Weile zu. Danach schlich sie um Kev und Damian rum, küsste am Ende aber Brian. Als sie gegangen war, fragte ich Brian nach ihr. Damian lachte.

"Cassy ist unser erstes Groupie. Wir haben sie schon alle durch und trotzdem verschwindet sie nicht. Du bist bestimmt ihr nächstes Opfer, sie hat es aber auch immer noch auf Kev abgesehen, dabei ist der ja so gut wie verheiratet."

Ich drehte mich zu ihm.

"Wirklich?"

"Naja, nach dem Studium würde ich meine Freundin schon gerne heiraten. Aber bis dahin ist ja noch Zeit."

Ich beschloss, beim Thema zu bleiben, um endlich von Vince erzählen zu können.

"Wow und was ist mit euch Beiden? Habt ihr Freundinnen?"

Damian grinste.

"Ich bin frei und ungebunden, die Damen stehen auf Bassisten, warum sollte ich mich mit einer zufrieden geben? Und unser lieber Brian hier, nun, er ist ein Problemfall. Außer mit Cassy läuft bei ihm nicht viel. Wir vermuten fast schon, er stünde vielleicht auf Kerle."

Brian lief rot an, während die anderen Beiden wie die Hyänen lachten. Ohne nachzudenken fragte ich ihn ganz ernst.

"Und, stimmt das? Stehst du auf Kerle?"

Die Beiden hörten schlagartig auf zu lachen. Sie wussten wohl nicht so recht was mit meiner Reaktion anzufangen. Brian stammelte vor sich hin.

"Nein … natürlich nicht. Es läuft nur zurzeit nicht so toll mit den Frauen."

"Das geht jedem mal so. Aber falls du doch auf Jungs stehst, ist das auch okay, oder was meint ihr Beide dazu?"

"Öhm.. ja, ich meine … klar. Mum und Dad würden ihn vermutlich verstoßen, oder so, aber ansonsten …."

"Warum kümmert's dich, Jordan? Das ist, wenn dann eh Brian's Problem, wenn er auf Kerle steht, dann können wir ihm die ganzen Reibereien nicht abnehmen."

"Nein, aber ihr seid seine Freunde, es wäre vielleicht hilfreich, wenn er wüsste, dass ihr nur Scherze darüber macht, aber eigentlich nichts dagegen habt."

"Diese ganze Diskussion lässt sich ganz leicht beenden. Brian, sag es uns ganz ehrlich. Stehst du auf Kerle?"

"Nein …."

"Seht ihr? Also Schwamm drüber …."

"Und wenn, dann würde ich es nicht zugeben. Oder würdet ihr das zugeben?"

"Ich stehe auf Kerle."

Die Drei schauten mich erstaunt an.

"Du?!"

"Ja, ich. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Frauen und vermutlich hatte ich mehr im Bett, als ihr alle Drei zusammen. Aber ich schlafe auch mit Kerlen."

"Echt jetzt? Oder sagst du das nur, um mich dazu zu bekommen, etwas zuzugeben?"

"Nein, ich bin zurzeit mit einem Mann zusammen. Er heißt Vince und ist Maler."

Erst mal trat wieder Stille ein. Damian und Kev schauten einander forschend an, als wollten sie sich gemeinsam eine Meinung bilden. Irgendwann sagte Brian dann:

"Also, ich glaub ich steh nicht auf Kerle. Aber ich bin froh, dass ich es sagen könnte, wenn es so wäre."

"Okay. Also, wollen wir noch weiter proben, oder war's das?"

"Was meinst du?"

"Bin ich noch in der Band?"

Kev redete zuerst.

"Du bist der beste Sänger, den wir gefunden haben und wir haben den gleichen Geschmack … also Musikgeschmack."

Seine Ohren wurden rot. Damian meinte nur:

"Außerdem bleiben mehr Mädels für mich und Brian."

Neben der Arbeit im Laden und der Band machte ich auch endlich meinen Führerschein. Vince sah ich nur kurz morgens, bevor ich ging. Abends kam er meistens spät nach Hause, ständig hatte er wichtige Treffen, Ausstellungen, Interviews und so weiter. Manchmal merkte ich, dass er mir nicht in die Auge schauen konnte. Ich wusste insgeheim, dass da Andere waren, aber es machte mir zu meinem Erstaunen nicht so viel aus.

Ich telefonierte manchmal mit Mum und ich bat sie, Sean die Nummer zu geben. Summer kam für eine Woche zu Besuch und war begeistert von der Band, der immer noch ein Name fehlte und von meinem neuen/alten Aussehen. Es wurde September und ich bereitete mich auf den College-Start vor.

Ich versuchte auch immer wieder Nikki zu erreichen, aber nicht mal ihre Eltern wussten, wo sie war. Josh war jedenfalls bei ihnen und erzählte mir am Telefon stundenlang von seinen neuen Freunden in der Vorschule. Ihm ging es in San Francisco scheinbar gut.

Milo kam zu Besuch und kaufte bei der Gelegenheit den halben Plattenladen leer. Vince bekam er aber immer nur flüchtig zu Gesicht. Er mochte die Band und die Wohnung und Vinces Bilder. Zwischendrin fragte er nach Sean. Er hatte ihn tatsächlich Ende August getroffen. Sean hatte seine Schwester in San Diego besucht und er und Milo hatten einen Abend zusammen verbracht. Milo meinte, Sean würde viel über mich sprechen. Aber er hatte ja meine Nummer und sich bisher noch nicht gemeldet.


Sean

Ich arbeitete in der Firma, traf mich mit Emily und nachts weinte ich mich in den Schlaf. Ich wusste, dass ich selbst Schuld war, dass ich Jordan verloren hatte. Das machte das Ganze noch schlimmer. Ich lebte schließlich schon fast im 3. Jahrtausend. Würde sich wirklich jemand drum scheren, dass ich einen Mann liebte? Sicher gab es vereinzelt Idioten, aber der Preis war nicht zu hoch. Doch jetzt gab es Vince und gegen ihn konnte ich einfach nicht konkurrieren. Schon gar nicht aus hunderten Meilen Entfernung. Ich konnte auch mit niemandem drüber reden.

Ende August brauchte ich dringend einen Tapetenwechsel. Ich besuchte für eine Woche meine Schwester Josie in San Diego. Der Name Bonanno war dort recht bekannt. Josie warnte mich sogar vor ihnen, aus der Kanzlei wusste sie vom Verdacht auf Geldwäsche in der Firma. Natürlich traf ich mich trotzdem mit Milo.

Wir setzten uns am frühen Abend in ein Café. Er hatte schon lange nichts mehr von Jordan gehört, aber erfahren, dass er ohne mich nach L.A. gegangen war. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Milo verstand mich. Er wusste selbst, wie schwierig Jordan sein konnte. Aber er sagte auch, dass man zu dem stehen muss, was man tut und wenn ich jemals wieder mit Jordan zusammenkommen würde, dürfe ich ihn nicht mehr verstecken. Die Zeit verflog. Erst nach Mitternacht kam ich wieder zu Josie.

"Wo warst du denn so lange?"

"Das weißt du doch, ich hab mich mit einem Freund getroffen."

"Milo Bonanno. Sean, du solltest dich wirklich von solchen Leuten fern halten. Diese ganze Sippschaft hat Kontakt zum organisierten Verbrechen."

"Redest du von der Mafia?"

"Hör mal, halt dich einfach fern von denen."

"Das kann ich nicht."

"Warum nicht?"

"Weil es Jordans Familie ist."

"Jordan? Der Stiefsohn von Mr. Kamsky? Wovon redest du überhaupt?"

"Anthony Bonanno ist sein Vater."

"Ernsthaft? Dann solltest du dich von ihm besser auch fernhalten."

"Bestimmt nicht. Ich hab es satt, dass mir jeder vorschreiben will, mit wem ich zusammen sein soll!" fuhr ich sie an.

"Was? Davon hab ich doch gar nicht gesprochen …."

"Mach dir keine Gedanken. Jordan ist mittlerweile in L.A. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben." zischte ich.

"Warum denn nicht? Sean, beruhige dich erst mal wieder."

"Ich will mich nicht beruhigen, denn dann trau ich mich niemals, zu sagen, was ich sagen will. Ich war mit ihm zusammen, ich hab es geheim gehalten und dadurch hab ich ihn verloren. Ich wünsche mir nichts mehr, als wieder mit ihm zusammen zu sein. Aber wenn er mich überhaupt jemals zurücknimmt, dann bestimmt nur, wenn ich mich nicht mehr verstecke."

Ich konnte den Blick nicht deuten, mit dem sie mich anschaute. Dann nahm meine Schwester mich in den Arm.

"Sean, das tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung. Schon gut, wein ruhig. Das wird schon alles wieder, kleiner Bruder."

Josie war nicht enttäuscht von mir. Sie hörte mir zu, gab mir Ratschläge und redete mir gut zu.


Jordan

Vince und ich teilten uns zwar noch immer das Bett, ansonsten lebte jeder sein eigenes Leben, aber ich wollte keinen klaren Schlussstrich ziehen. Warum auch? Ich war sehr froh darüber, wie die Dinge gerade liefen, also sollte alles bleiben wie es war. Ich trug mich für einige Kurse ein, arbeitete nur noch Teilzeit im Laden und bekam mit der Band die ersten Gigs auf Studentenparties und ähnlichem. Wir nannten uns, auf Damians Vorschlag hin, Summerskin. Ich vermutete stark, dass meine Summer ihn bei ihrem Besuch dazu inspiriert hatte.

Neben allen Musik-Kursen die ich finden konnte, ging ich auch in die Theatergruppe und in Kunstgeschichte. Bald lernte ich einige tolle Leute kennen, zum Beispiel Carla, die sich Kunstgeschichte schon als Hauptfach auserkoren hatte und Simon, der sich der Schauspielerei verschrieben hatte. Dann gab es noch Maggie und Jay, die wie ein altes Ehepaar waren und Diane, eine Virtuosin auf der Geige. Wir aßen immer zusammen, hingen ständig beieinander, ich kam mir fast vor wie auf der High School. Aber unsere Gespräche drehten sich meistens nur um den letzten Kurs den wir besucht hatten.

Irgendwann beschloss ich, doch mal mit Vince zu reden. Als er eines Abends ausnahmsweise zu Hause war, als ich kam, aßen wir zusammen. Über den Nudeln fragte ich ihn:

"Wie geht's dir eigentlich?"

"Was meinst du? Gut natürlich."

"Gut. Ich wusste es nur nicht. Wir reden selten. Nachts kommst du ins Bett gekrochen und wir haben tollen Sex, morgens taumelst du aus den Federn wenn ich grad los muss und am Wochenende sind immer die Bandproben und deine Galerie-Sachen. Wir haben irgendwie den Kontakt verloren."

"Tut mir leid …."

"Mir auch, aber wir haben eben unterschiedliche Tagesrhythmen. Ich werfe dir nichts vor. Trotzdem möchte ich gern versuchen, etwas mehr Zeit mit dir zu verbringen, wenn du das auch willst."

"Ja. Wirklich, ich vermisse dich."

"Ich dich auch. Wie können wir das am besten anstellen?"

"Also meine erste ganz eigene Ausstellung wird nächstes Wochenende eröffnet. Da hätte ich dich natürlich gerne dabei."

"Klar, dann bin ich da."

"Und danach geht der Stress vermutlich erst richtig los. Interviews, Publicity und Kunden natürlich. Mein Agent hat mir sogar eine Assistentin besorgt, die meine Termine managt."

"Na gut, wie wäre es, wenn du mir ihre Nummer gibst und ich mach das mit ihr aus? Schau nicht so, das ist mein Ernst. So ist es am einfachsten."

Und so machten wir es dann auch. Immer wenn jemand kurzfristig einen Termin platzen ließ und ich Zeit hatte, sprang ich ein. Zum Glück hatte ich mittlerweile den Führerschein und ein altes Auto, so war ich mobil.

Zur Eröffnung war tatsächlich einiges an Presse da und auch recht viele Menschen, die sich die Ausstellung ansahen. Die Preise für die Bilder kamen mir horrend vor.

In der nächsten Woche schafften wir es tatsächlich zweimal zusammen Mittag zu essen. Es kam mir fast vor wie daten. Ich erwischte mich sogar dabei, nervös in einem Restaurant auf Vince zu warten.

Ansonsten aß ich in der Mensa mit den Anderen.


Sean

Ich nahm mir fest vor, der zu werden, mit dem Jordan zusammen sein konnte. Emily ging nach Boston. Ich bereitete mich auf L.A. vor. Carol gab mir Jordans Nummer und erzählte, dass er sich mit Vince eine Wohnung in Venice Beach gemietet hatte. Sie sagte auch, dass er einen Job, eine Band und den Führerschein hat. Er wirke sehr glücklich. Sie sei erleichtert. Wie hätte ich mich da einmischen sollen? Bevor ich mich zwischen ihn und Vince drängte, musste ich mir ganz sicher sein, dass ich die Kraft haben würde, ehrlich zu sein.

Ich zog in die Wohnung die mein Vater bezahlte, schrieb mich für Kurse ein, lernte Kommilitonen kennen. Die UCLA war klasse, aber ich konnte immer nur an Jordan denken. Er war in der gleichen Stadt wie ich, aber trotzdem war er noch so weit weg. Es war kaum auszuhalten. Ich telefonierte oft mit Carol, die mir erzählte, dass Jordans Band schon Gigs spielte. Ab und an sah ich Vince in der Zeitung.

In einem Anatomie-Kurs war mir ein Mädchen aufgefallen, das mich ständig zu beobachten schien. Sie saß immer ganz hinten, ihre Beiträge waren echt klug.


Jordan

Anfang November saßen wir mal wieder in einer Freistunde draußen auf dem Rasen und redeten über dies und das. Carla schmökerte in der Zeitung und Maggie und Jay kabbelten sich mal wieder darum, wer den meisten Abwasch erledigte. Simon, Diane und ich überlegten, welchen Film wir schon immer sehen wollten, aber noch nie gesehen hatten und drifteten in ein Filmzitate-raten ab. Carla legte die Zeitung in die Mitte.

"Diane, Maggie, wie alt schätzt ihr den Typen?"

"Zeig mal, oh, naja so Mitte 20, oder? Warum denn?"

"Hm, also ungefähr 5 Jahre älter als ich. Also könnte ich in fünf Jahren auch meine eigene Ausstellung haben. Man, ich würd echt gern wissen, wie er das geschafft hat. Ich war schon zweimal in seiner Ausstellung, aber der ist scheinbar schwer beschäftigt."

"Wer denn eigentlich?" fragte einer der Jungs.

"Ach, hier. Vincent Yadis. Ein sehr viel versprechender junger Maler. Der ist gerade in der Szene total angesagt und sogar Einer der was drauf hat, auch technisch und so. Ich dachte, an den käme man vielleicht mal ran, um sich ein paar Tricks zu holen, aber irgendwie rennt der von einem Termin zum nächsten."

Ich grinste.

"Sag mal Carla, willst du mit mir Mittag essen?"

"Was, klar, wir essen alle in der Mensa, oder?"

"Ich dachte da eher an den Inder die Straße runter. Ich weiß zufällig, dass Vincent Yadis da heute isst."

"Was, ernsthaft? Woher weißt du das?"

"Ich bin dort mit ihm verabredet. Wir sind zusammen. Siehst du auf dem Bild die Hand an seiner Taille? Das ist meine."

"Du verarschst mich, oder?"

"Ich stell euch nachher gern vor."

Sie kriegte sich gar nicht mehr ein.

Vince kam mit einer viertel Stunde Verspätung und Handy am Ohr das er erst direkt am Tisch wegsteckte. Etwas irritiert schaute er Carla an und küsste mich zur Begrüßung.

"Hallo mein Herz, du hast jemanden mitgebracht?"

"Das ist Carla. Sie ist eine aufstrebende Künstlerin und hat dich hoch gelobt. Ich dachte, ich tu was für dein Ego und stell sie dir vor."

Die Beiden hatten viel zu besprechen. Vince wollte gerne Arbeiten von Carla sehen und gab ihr Tipps, wie sie mit Galerien in Kontakt kommen konnte und so weiter. Als wir eine Stunde später gingen, war Carla total aufgedreht und konnte mir gar nicht genug danken.

Vince und ich hielten zwar unsere Dates aufrecht, aber ansonsten sahen wir uns wirklich wenig. Nachts fiel er todmüde ins Bett und morgens verließ er das Haus vor mir.


Sean

Ende November hatte ich mal wieder einen ziemlich schlechten Tag. Die halbe Nacht habe ich wach gelegen und überlegt Jordan anzurufen. Aber das war nicht der Plan. Weihnachten würde ich ihn sehen. Und wenn ich auch nur den kleinsten Hinweis finden würde, dass er immer noch etwas für mich empfand, dann würde ich ihn darum bitten, mir noch eine Chance zu geben. Ich malte mir sogar schon aus, wie wir zusammenleben würden. In der Wohnung war genug Platz für uns Beide. Ich hatte die Nacht mit Grübeln verbracht und mich dann ziemlich müde zur Vorlesung geschleppt. Danach trottete ich Richtung Mensa.

"Alles okay bei dir?"

Ich drehte mich um und da stand das Mädchen aus der Vorlesung.

"Ja, ich hab nur schlecht geschlafen."

"Du scheinst öfter schlecht zu schlafen."

"Kann schon sein."

"Gehst du essen?"

"Ja."

"Was dagegen, wenn ich mitkomme?"

"Nein, klar."

Beim Essen erzählte sie mir, dass sie hier aufgewachsen sei, Medizin studieren wollte, weil es mit ihrer Karriere im Ballett nicht geklappt hatte und noch ihre halbe Lebensgeschichte.

"Du bist nicht so gesprächig, oder?"

"Heute wohl nicht so. Tut mir leid."

"Naja, ich glaube, ich kann mir das Meiste über dich schon denken."

"So, meinst du? Na dann lass mal hören."

"Du kommst nicht gerade aus der Großstadt, aber auch nicht vom Land. Irgendein Vorort, vermutlich."

"Stimmt. Glendale bei Phoenix."

"Deine Eltern sind reich, Daddy bezahlt dein Studium. Medizin vermutlich, denn Juristen brauchen keine Anatomie-Vorlesungen."

"Meine Schwestern sind Anwältinnen, ich wollte schon immer Medizin studieren, was meine Eltern nicht gerade begeistert hat."

"Tatsächlich? Na dann hatten sie wohl andere Pläne für dich, hm? BWL und dann das Familienunternehmen?"

"Woher weißt du das?"

"Ach bitte, das alte Lied. Okay, also du hattest bestimmt die ganze Highschoolzeit über die gleiche Freundin …."

"Sarah."

"Aber sie studiert woanders und jetzt bist du Single. Du warst Klassenbester und immer in der ersten Reihe gesessen. Deine Freunde waren die Elite deiner Schule, Schulsprecher, Ballkönigin, so was eben. Eigentlich bist du ein wandelndes Klischee, aber ich komm einfach nicht dahinter, was dich so traurig macht. Denn das bist du, ich hab dich beobachtet."

"Ja, du hast Recht, mit allem was du sagst."

"Wie heißt du?"

"Sean."

"Ich bin Patricia."

"Hallo Patricia."

"Hallo Sean. Willst du mein Laborpartner sein?"

"Sehr gern. Aber warum ich?"

"Weil du berechenbar bist."

Na wenn sie sich da mal nicht irrte.

"Mein Ex-Freund war heroinabhängig, hat eine Borderline Persönlichkeitsstörung und hat sich kurz nachdem ich mich von ihm getrennt habe, mit einem Messer die Hand zerschnitten. Nach der Psychiatrie ist er mit einem Maler nach L.A. gegangen, um Musik zu machen. Er lebt in Venice Beach und hat eine Band. Jede Nacht liege ich wach und grüble, wie ich ihn zurückgewinnen kann ohne dass er den Boden unter den Füßen verliert. Ich liebe ihn so sehr und kann nicht ohne ihn sein, aber mit ihm zusammen zu sein war eine einzige Katastrophe. Das ist es, was mich so traurig macht."

Stille, dann:

"Echt jetzt?"

"Darüber würde ich keine Scherze machen."

"Okay, dann bist du wohl doch nicht so berechenbar."

"Willst du mich trotzdem noch als Laborpartner?"

"Auf jeden Fall."

Von da an aßen wir so oft wie möglich zusammen, tauschten uns über die Vorlesungen aus, arbeiteten zusammen in den Labor-Übungen und redeten über alles.


Jordan

Anfang Dezember spielte Summerskin auf einer Campus-Party. Die Stimmung war schon früh ziemlich feucht-fröhlich und nach unseren 4 Songs konnten wir es kaum noch erwarten uns unters Volk zu mischen. Damian wirkte wie immer wie ein Mädchen-Magnet. Kev hatte seine Freundin dabei und Brian verzog sich mit seinem Bier in irgendeine Ecke. Ich unterhielt mich mit einer Gruppe Chemiestudenten über Ecstasy, ließ meinen Blick mal wieder umherschweifen und plötzlich sah ich ihn. Sean, etwa 10 Meter quer durch den Raum. Er stand in einer Gruppe, hatte ein Bier in der Hand und sah viel besser aus als in meiner Erinnerung. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich verändert hatte. Schwarze Nägel, bunte Haare, Piercings. Wie würde er auf mich reagieren? Sollte ich vielleicht gar nicht zu ihm gehen? Oder hatte er mich auf der Bühne schon erkannt? Aber warum war er dann nicht zu mir gekommen. Ich war total unentschlossen und trat erst mal den Rückzug an, neben Brian in seine Ecke.

"Hey Jordan. Alles okay? Du siehst verschreckt aus."

"Gut möglich."

"Was ist denn los?"

"Willst du es wirklich hören? Ist so ein Kerl-steht-auf-Kerl-Ding."

"Damit hab ich kein Problem, also, was ist los?"

"Mein Ex-Freund ist hier. Ich hab ihn seit dem Abschlussball nicht mehr gesehen und die Trennung war alles andere als einfach. Er hat sich nie gemeldet, obwohl er seit über zwei Monaten in der Stadt ist und jetzt steht er plötzlich da und ich weiß nicht, ob ich zu ihm gehen soll. Außerdem hab ich mich äußerlich ziemlich verändert und ich glaub, nicht unbedingt nach seinem Geschmack."

"Zeig ihn mir mal."

Ich zog ihn in Blickweite und deutete rüber.

"Der Blonde der grad so nach links schaut."

"Der in der Weste? Krass, den hätte ich jetzt überhaupt nicht in dein Beuteschema gesteckt, der sieht so … normal aus."

"Siehst du? Ich kann nicht rüber gehen. Der kriegt nen Herzinfarkt."

"Ach komm, so sehr kannst du dich nicht verändert haben …."

Ich holte das Bild raus, das Nikki vor über einem Jahr von Sean und mir gemacht hatte und das ich immer noch im Geldbeutel durch die Gegend trug.

"Das bist du?!"

"Siehst du. Ich bleib einfach in der Ecke."

"Nein, das kann ich nicht zulassen. Komm schon!"

Er schob mich Richtung Sean und ließ erst locker, als ich zwei Meter hinter ihm stand. Einer der Typen aus der Gruppe beäugte mich misstrauisch. Ich wollte mich umdrehen, aber da stand immer noch Brian und mit einem Blick machte er mir deutlich, dass ich keine Wahl hatte, also ging ich auf Sean zu und tippte ihn auf die Schulter. Er drehte sich um und guckte mich irritiert an. Das Licht war schlecht und so und er erkannte mich nicht gleich. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie einige der Typen sich anspannten, als würden sie sich auf Ärger vorbereiten. Ich wollte mich gerade umdrehen und schnell wieder gehen, da hielt er mich an der Schulter zurück.

"Jordan?!"

"Hey Sean."

"Oh mein Gott, du …."

Schossen ihm tatsächlich Tränen in die Augen? Ich überlegte ob das etwas mit meinem Aussehen zu tun haben konnte. Er hatte immer noch seine Hand an meiner Schulter.

"Sean, alles okay? Wenn ich dich in Ruhe lassen soll …."

"Nein, ich kann nur einfach nicht glauben, dass du vor mir stehst. Ich merke gerade, wie sehr ich dich vermisst habe."

"Lass uns rausgehen, ja?"

Wortlos folge er mir nach draußen und um die Ecke.

"Du siehst so anders aus …."

"Ich sehe aus wie in der Zeit bevor ich dich kannte."

"Nur dass du nicht krank aussiehst, wie damals."

"Weil ich nichts nehme."

"Vier Monate haben wir uns nicht gesehen. Das ist fast so lang, wie wir eigentlich zusammen waren."

"Ja, vier Monate können eine lange Zeit sein. Du hast nicht angerufen."

"Tut mir leid. Ich hab es einfach nicht geschafft. Ich wusste nicht, was ich dir sagen sollte. Ich dachte, Weihnachten würden wir uns zu Hause eh sehen."

"Daran hab ich noch überhaupt nicht gedacht. Ich hab mit Mum noch nicht darüber gesprochen."

"Jordan, ich will dich um mich haben. Egal wie, Hauptsache du bist in der Nähe."

Er bot mir die Freundschaft an.

"Okay, ich denke so weit sind wir schon, oder?"

"Ich hab ständig an dich gedacht. Ich war in meinem Leben bisher nie so glücklich wie mit dir."

"Sean, ich glaube das geht in eine seltsame Richtung …."

"Bitte gib mir noch eine Chance, bitte."

Mir fiel dazu nichts Besseres ein als:

"Was ist mit Emily?"

"Sie studiert an der Ostküste."

"Aber Vince … ich wohne bei ihm, wir sind immer noch zusammen."

"Liebst du ihn so wie du mich liebst?"

"Das kann man nicht vergleichen …."

"Macht er dich glücklich? Ich will nur dass du glücklich bist."

"Ich bin glücklich."

"Oh … okay, dann geh ich jetzt wohl besser wieder rein …."

"Warte! Wie stellst du dir das denn vor, Sean? Was wird denn diesmal anders laufen?"

"Ich werde zu dir stehen! Ich werde es all meinen Freunden sagen und nach einer Weile vielleicht auch meinen Eltern. Und du könntest bei mir wohnen, ich hab eine kleine Wohnung, gleich hier in der Nähe."

"Aber ich hab einen Job, ich muss die Miete bezahlen."

"Bei mir nicht. Mein Dad bezahlt."

"Aber das geht doch nicht, ich kann doch nicht einfach so ausziehen und bei dir auf Rechnung deines Vaters wohnen …."

"Doch, das geht! Du kannst morgen einziehen!"

"Sean, ich muss mir das überlegen. Ich kann doch Vince nicht einfach so verlassen, nur weil du mir im angetrunkenen Zustand so ein Angebot machst."

"Der Alkohol hat uns auch damals zusammengebracht …."

"Sean, ich denke drüber nach. Gib mir deine Nummer."

Er gab mir seine Nummer und einen Kuss. Ich hatte Schmetterlinge im Bauch, es fühlte sich so richtig an. Ich war total durcheinander.

Drinnen stieß ich wieder zu den Jungs aus der Band. Brian nahm mich zur Seite.

"Und wie ist es gelaufen?"

"Ich brauche heute Nacht einen Platz zum Schlafen, ich kann nicht nach Hause."

"Du kannst bei mir bleiben. Willst du gleich gehen?"

"Wenn es für dich okay ist, schon."

An der Tür trafen wir nochmal auf Sean.

"Denk drüber nach, ja Jordan?"

Er zog mich zu sich und küsste meine Stirn.


Sean

Am vierten Dezember schleppten mich ein paar Kommilitonen mit auf eine Verbindungsparty. Wir standen zuerst recht weit weg von der Bühne. Die Musik gefiel mir aber weiter vorne gingen die Leute einfach zu sehr ab. Als die Band fertig war, arbeiteten wir uns weiter nach vorne, näher zur Bar. Ich war schon bei meinem dritten Bier, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um und sah erst mal nur einen mir fremden Punk, dann erkannte ich ihn. Mein Hals schnürte sich zu, Jordan wandte sich zum gehen. Schnell hielt ich ihn an der Schulter zurück.

"Jordan?!"

"Hey Sean."

"Oh mein Gott, du …."

Ich musste erst mal den Kloß in meinem Hals runter schlucken. Mein Jordan stand tatsächlich vor mir. Egal wie er aussah.

"Sean, alles okay? Wenn ich dich in Ruhe lassen soll …."

"Nein, ich kann nur einfach nicht glauben, dass du vor mir stehst. Ich merke gerade, wie sehr ich dich vermisst habe."

Er lächelte mich an!

"Lass uns raus gehen, ja?"

Wir gingen raus und um die nächste Ecke. Mir fielen seine schwarzen Nägel auf und Mascara trug er auch.

"Du siehst so anders aus …."

"Ich sehe aus wie in der Zeit bevor ich dich kannte."

"Nur dass du nicht krank aussiehst, wie damals."

Carol hatte mir Fotos gezeigt.

"Weil ich nichts nehme."

Meine Gedanken rasten. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass ich hier mit Jordan stand.

"Vier Monate haben wir uns nicht gesehen. Das ist fast so lang, wie wir eigentlich zusammen waren."

"Ja, vier Monate können eine lange Zeit sein. Du hast nicht angerufen."

Ich hörte einen Vorwurf. Er hätte sich also gewünscht, dass ich anrief.

"Tut mir leid. Ich hab es einfach nicht geschafft. Ich wusste nicht, was ich dir sagen sollte. Ich dachte, Weihnachten würden wir uns zu Hause eh sehen."

"Daran hab ich noch überhaupt nicht gedacht. Ich hab mit Mum noch nicht darüber gesprochen."

Ich sagte einfach das, was ich dachte.

"Jordan, ich will dich um mich haben. Egal wie, Hauptsache du bist in der Nähe."

"Okay, ich denke so weit sind wir schon, oder?"

"Ich hab ständig an dich gedacht. Ich war in meinem Leben bisher nie so glücklich wie mit dir."

"Sean, ich glaube das geht in eine seltsame Richtung …."

Alles oder Nichts!

"Bitte gib mir noch eine Chance, bitte."

"Was ist mit Emily?"

"Sie studiert an der Ostküste."

"Aber Vince … ich wohne bei ihm, wir sind immer noch zusammen."

"Liebst du ihn so wie du mich liebst?"

"Das kann man nicht vergleichen …."

Er wich aus, das war ein gutes Zeichen, oder?

"Macht er dich glücklich? Ich will nur dass du glücklich bist."

"Ich bin glücklich."

Bam! Das war's. Damit war alles klar.

"Oh … okay, dann geh ich jetzt wohl besser wieder rein …."

"Warte! Wie stellst du dir das denn vor, Sean? Was wird denn diesmal anders laufen?"

Auf diese Frage war ich natürlich vorbereitet.

"Ich werde zu dir stehen! Ich werde es all meinen Freunden sagen und nach einer Weile auch meinen Eltern. Und du könntest bei mir wohnen, ich hab eine kleine Wohnung, gleich hier in der Nähe."

"Aber ich hab einen Job, ich muss die Miete bezahlen."

"Bei mir nicht. Mein Dad bezahlt."

"Aber das geht doch nicht, ich kann doch nicht einfach so ausziehen und bei dir auf die Rechnung deines Vaters wohnen …."

"Doch, das geht! Du kannst morgen einziehen!"

Ich konnte selbst kaum glauben, dass ich das gerade gesagt hatte.

"Sean, ich muss mir das überlegen. Ich kann doch Vince nicht einfach so verlassen, nur weil du mir im angetrunkenen Zustand so ein Angebot machst."

"Der Alkohol hat uns auch damals zusammengebracht …."

"Sean, ich denke drüber nach. Gib mir deine Nummer."

Ich schrieb ihm meine Nummer auf und küsste ihn, ungeachtet der Menschen die um uns rum standen. Es war so schön, ihn wieder zu spüren, es fühlte sich an wie früher, nur dass sein Piercing nicht mehr da war. Viel zu früh drückte er mich wieder weg und ging zurück nach drinnen. Ich ging auch wieder zu meinen Kommilitonen.

"Was wollte denn der Sänger von Summerskin von dir?"

"Du kennst die Band?"

"Ehm, klar, die haben doch vorher gespielt, als wir ankamen."

"Was?! Wirklich? Das war er?"

"Kennst du den nun, oder wie?"

"Ja, klar. Wir waren zusammen in der Schule."

"Ah, achso …."

"Und wir waren zusammen."

"Wie zusammen?"

"Zusammen eben."

"Du meinst du stehst auf Kerle?"

"Ja."

"Fuck! Echt jetzt?"

"Ja."

"Leute, habt ihr das gehört?"

Die Anderen schauten mich tatsächlich leicht angewidert an. Von Anfang an hatte ich bei diesen BWL-Kerlen ein komisches Gefühl.

"Na schön, dann mach ich mich mal auf den Heimweg."

"Ja, mach das."

Als ich ein paar Meter weit weg war, fingen sie an zu lachen. Was für Vollidioten. Draußen traf ich Jordan nochmal kurz, das hellte meine Stimmung auf.


Jordan

Brian und ich machten uns auf den Weg zu seinem WG-Zimmer.

"Also dein neuer Look scheint ihn nicht abzuschrecken … Was hat er gesagt?"

"Er will, dass ich zu ihm ziehe."

"Einfach so? Und was ist mit deinem Freund?"

"Ich weiß nicht. Vince und ich … zwischen uns läuft es nicht so gut. Aber das liegt auch am Stress. Wir sehen uns viel zu selten. Aber mit Sean hat das damals so katastrophal geendet. Selbst wenn es Vince nicht gäbe, müsste ich mir gut überlegen, ob ich mich nochmal auf so was einlasse."

"Aber wen von Beiden liebst du denn?"

"Das ist kompliziert. Mit Sean war es der große Knall und schon war er der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich konnte an nichts anderes mehr denken und wollte nur noch mit ihm zusammen sein. Vince und ich waren zuerst nur Freunde, wir haben eine Scheißzeit zusammen durchgestanden. Wir sind zusammen hierher gezogen. Er ist meine Familie. Ich weiß echt nicht, was ich machen soll …."

"Vielleicht solltest du erst mal eine Nacht drüber schlafen."

Am nächsten Morgen kam Kev zur Tür herein und ging rückwärts wieder raus. Ich tat als würde ich noch schlafen, Brian stand auf und ging hinter ihm her. Ich konnte sie nicht verstehen, aber sie schienen eine Auseinandersetzung zu haben. Also stand ich auch auf und fand die Beiden samt Kev's Freundin und der anderen Mitbewohnerin am Frühstückstisch sitzen.

"Morgen."

"Morgen."

Stille.

"Was ist denn?"

"Findet ihr wirklich, dass das eine gute Idee ist?"

"Was meinst du?"

Brian verdrehte die Augen.

"Mein Bruder denkt, wir hätten heute Nacht nicht nur nebeneinander geschlafen."

"Und in wie fern geht ihn das was an?"

"Wenn die Band drunter leidet, geht mich das eben was an!"

"Wir sind aber schon erwachsen und können solche Dinge auch ohne Drama klären. Und wie dein Bruder dir vermutlich schon gesagt hat, ist eh nichts gelaufen."

"Würdest du mir denn sagen, wenn was gelaufen wäre?"

"Klar, damit hätte ich kein Problem."

Das schien ihn zufriedenzustellen und ich setzte mich mit an den Tisch.

"Warum hast du überhaupt hier geschlafen?"

"Weil ich nicht nach Hause wollte."

"Und warum nicht?"

"Weil ich Vince nicht begegnen wollte."

"Macht ihr Schluss? Und dabei haben wir ihn noch gar nicht zu Gesicht bekommen …."

Kev's Freundin Becca mischte sich ein:

"Warum war er eigentlich noch nie bei einem Gig dabei? Will er euch nicht mal spielen hören? Und die Band kennenlernen? Du verbringst schließlich deine Wochenenden mit den Jungs …."

"Er hat zurzeit viel um die Ohren, ich seh ihn selbst kaum. Im neuen Jahr wird das hoffentlich besser."

"Und was war jetzt gestern?"

"Ich hab jemanden wiedergetroffen. Und der will wieder mit mir zusammen sein …."

"Verstehe. Und das musst du dir erst mal überlegen und so lange kannst du deinem Freund natürlich keine heile Welt vorspielen, also kannst du nicht heim. Mir fällt gerade ein, nur für den Fall, wir suchen noch jemanden für Kev's altes Zimmer, er ist eh immer in meinem Zimmer."

"Danke für das Angebot. Vielleicht wäre ein bisschen Unabhängigkeit gar nicht schlecht."

Nach ein paar Stunden Bandprobe machte ich mich relativ zeitig auf den Heimweg, um vielleicht noch mit Vince reden zu können. Tatsächlich war er oben und malte.

"Hey."

"Jordan, hallo! Mit dir hab ich ja noch gar nicht gerechnet. Habt ihr heute früher Schluss gemacht?"

Warum fragte er nicht, wo ich die Nacht verbracht hatte?

"Ich dachte, wir könnten vielleicht mal reden …."

Er legte die Ölkreiden zur Seite und schaute mich ernst an.

"Oh, okay. Wollen wir runter gehen?"

Unten setzte er sich auf die Couch, ich zog mir den Sessel ran.

"Du setzt dich nicht neben mich? Was ist los? Machst du mit mir Schluss?"

Ich war total schockiert, dass er mir einfach so diese Frage stellte, dass ich erstmal nur stammeln konnte.

"Ich … Vince, ich weiß nicht, was ich sagen soll …."

"Sag einfach ja."

"Nein, ich weiß nicht, ob ich mit dir Schluss mache. Ich hab einfach nicht das Gefühl, dass du noch Interesse an mir hast."

"Nein, so nicht. Schieb mir nicht den schwarzen Peter zu, wenn du Schluss machen willst. Ich hab mich jetzt eine Zeit lang um meine Karriere gekümmert, aber diese stressige Zeit geht auch wieder vorbei. Niemand hat mich in den letzten paar Monaten viel zu Gesicht bekommen."

"Du hattest andere Kerle."

Er sah geschockt aus.

"Woher … woher willst du das wissen?"

"Vince, so was merke ich doch. Ich bin dir deshalb auch nicht böse. Wir haben nie gesagt, dass wir uns treu sein wollen. Aber die Zeit die du mit ihnen, oder vielleicht auch immer mit dem Gleichen …."

"Ich hab keine Affäre, das waren nur One Night Stands …."

"Wie auch immer, die Zeit hättest du auch mit mir verbringen können …."

"Es tut mir leid …."

"Ich will dich nicht anlügen, sie sind eigentlich nicht der Grund. Ich hab gestern Abend zufällig Sean getroffen. Er will mich zurück."

"Oh, okay. Klar, dagegen komm ich nicht an. Ich verstehe. Dann muss ich mich wohl für dich freuen …."

"Vince, ich hab noch nicht ja gesagt …."

"Was überlegst du denn? Es geht um Sean! Wenn ich die Möglichkeit hätte, wieder mit David zusammen zu sein, dann würde ich dich abservieren ohne mit der Wimper zu zucken."

In meine Brust zog sich ein Knoten zusammen.

"Warum sagst du so was?"

"Weil es die Wahrheit ist. Ich hab immer gewusst, dass der Tag kommen könnte, an dem Sean dich wieder haben will und ich wusste, dass du dann gehen würdest. Ich kann es dir nicht verübeln."

"Vince, ich will doch aber mit dir zusammen sein, aber nicht so wie es zurzeit ist. Wenn du mir wenigstens versprechen würdest, dass es bald anders wird und wenn du mir zeigen würdest, dass ich dir noch was bedeute …."

"Mein Herz, ich liebe dich, das tu ich wirklich. Ich weiß, dass es in den letzten Monaten schwierig war mit mir zusammen zu sein. Aber der größte Auflauf ist erstmal überstanden. Über Weihnachten und Neujahr können wir nach Hause fahren. Dann haben wir zwei Wochen ganz ohne den ganzen Kram und nur mit unseren Familien. Danach wird es wahrscheinlich wieder ein wenig stressig, aber ich verspreche dir, dass ich mir mehr Mühe gebe, wenn du mich nur nicht verlässt …."

Er war von der Couch gerutscht und kniete tatsächlich vor mir, drückte meine Hände und hatte Tränen in den Augen. Ich umschlang ihn stürmisch und wollte nie wieder aufhören, ihn zu küssen.

Eine Stunde später lösten wir uns im Bett voneinander.

"Jordan, wirst du wieder zu ihm gehen?"

"Nicht solang ich dich habe."

"Aber du meinst, das wird nicht ewig sein, oder?"

"Ich glaube, du wirst irgendwann jemanden wollen, der reifer ist, der heiraten will, der von einem weißen Gartenzaun träumt."

"Vielleicht, aber momentan will ich dich."

"Und momentan hast du mich auch."

"Ich muss kurz telefonieren, meinen Termin heute Abend absagen."

"Tu das nicht. Summerskin hat heute eh einen Gig."

"Oh … okay, dann komm ich einfach mit. Wird eh höchste Zeit, dass ich euch mal spielen höre. Und ich will den Abend wirklich mit dir verbringen, wenn das okay ist."

"Klar, dann lernst du auch endlich die Jungs kennen."

Ich hatte mit den Anderen schon vereinbart, dass sie sich um den Aufbau kümmerten und ich erst kurz vor Zehn kommen würde. Als Vince und ich ankamen, war gerade eine andere Band auf der Bühne und wir machten uns auf die Suche nach den Anderen.

"Ich bin echt froh dass du heute mitgekommen bist, Vince. Die Anderen haben mich schon gefragt, warum du nie zuschaust. Falls sie etwas komisch sind, liegt das daran, dass sie wissen, dass wir eine Krise hatten …."

"Okay. Ich bin wirklich froh dich zu haben und ich bin froh, dass wir endlich darüber geredet haben."

"Ja, ich auch."

Ich nahm seine Hand und zog ihn zu mir um ihn zu küssen.

"Der Laden ist nicht schlecht. Habt ihr hier schon mal gespielt?"

"Sogar schon zweimal. Hier sind laufend Bandcontests. Die Leute sind auch eine interessante Mischung."

Wir arbeiteten uns Richtung Bühne vor, wo die Meute wie wild durch die Gegend sprang. Neben der Bühne war die Tür zum Backstage-Bereich, sogar mit Türsteher.

"Hey, sind Summerskin schon hinten?"

"Ja, ihr seid als übernächstes dran."

Die Jungs saßen rum und tranken Bier. Auf Damians Schoß hatten gleich zwei Blondinen Platz genommen, Kev, Becca und die Mitbewohnerin, deren Namen ich immer noch nicht aufgeschnappt hatte, unterhielten sich und Brian saß in einer Ecke und stimmte Damians Bass. Vince hielt meine Hand ganz fest, fast so als sei er nervös, das fand ich ziemlich niedlich.

"Hey Leute, ich hab's endlich geschafft Vince mitzubringen."

Alle schauten auf und musterten ihn kurz neugierig. Die Mädels kamen rüber und stellten sich vor. Camy, so hieß die Mitbewohnerin also. Während ich mein Zeug herrichtete, unterhielt Vince sich mit den Jungs. Er schlug sich wacker und bald durften wir auch schon auf die Bühne. Danach war ich wie immer total aufgedreht. Vince stand gleich neben der Bühne. Endlich wusste ich danach wohin mit meiner Energie. Wir verschlangen uns halb. Zwischendurch sagte er, wie begeistert er von mir sei. Als ob ich das nicht schon bemerkt hätte.

Nach einer Weile gesellten wir uns zu den Jungs an die Bar, konnten aber immer noch nicht so recht voneinander lassen.

"Maaaaaan, habt ihr denn kein zu Hause?"

"Du brauchst echt nicht reden, Damian. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon zusehen durfte, wie du einer namenlosen Blondine die Zunge in den Rachen geschoben hast."

Eine der Blondies, die ihn umgarnten, meinte plötzlich an ihn gewandt:

"Du kennst doch meinen Namen, oder?"

"Klar …."

"Und wie heiß ich?"

"Ehm, na … Cindy natürlich."

"Du meinst wohl Sandy."

"Hab ich doch gesagt …."

"Sie heißt Sandy, ich bin Melody!!"

Beleidigt zogen die Beiden ab.

"Danke Jordan."

Ich grinste nur und wandte mich wieder Vince zu. Nach einer Weile meinte er, er müsse langsam gehen. Am nächsten Tag hatte er einen Termin zum Brunch mit einem potentiellen Kunden. Ich brachte ihn noch raus und verabschiedete mich, weil ich die Jungs ja nicht auch noch beim Abbauen allein lassen konnte.

Die Anderen grinsten.

"Vince ist nett." sagte Brian.

"Und sieht gut aus." grinste Becca.

"Er kam mir so bekannt vor." meinte Kev.

"Ein Kerl stresst bestimmt nicht so rum wie die Weiber." kommentierte Damian.

"Naja, wenn ich seinen Namen vergessen hätte, vermutlich schon."

"Ihr habt euch wohl wieder versöhnt …?" fragte Becca.

"Sieht so aus, ja."


Sean

Am nächsten Tag erzählte ich Patricia von meiner Begegnung. Jetzt bereute sie, dass sie nicht mitgekommen war.

"Aber der nächste Auftritt kommt bestimmt und da gehen wir dann zusammen hin."

"Ich hab rausgefunden, wo sie heute Abend spielen. Aber ich glaube, ich geh da besser nicht hin. Ich will ihm etwas Zeit zum Nachdenken geben."

"Was dagegen, wenn ich hin gehe? Ich platze vor Neugier!"

"Nein, klar. Aber dann musst du mir Bericht erstatten."

Weit nach Mitternacht klingelte sie bei mir.

"Hey und wie war's?"

"Klasse Musik!"

"Und Jordan? Hast du ihn gesehen?"

"Er ist heiß, wirklich. Und sein Stil ist toll. Du hast einen guten Geschmack, hätte ich dir gar nicht zugetraut."

"Als wir zusammen waren, hat er sich nicht geschminkt und so. Jetzt hat er wirklich sein Inneres nach außen gekehrt. Und er macht wohl mehr Sport …."

"Ja, er hat echt einen schönen Körper. Aber ich muss dir was sagen."

"Was denn?"

"Da war dieser Typ. Längere, dunkle Haare, etwas exzentrischer Klamottenstil, sieht irgendwie französisch aus …."

"Hört sich nach Vince an."

"Ja ich dachte mir, dass er das ist. Die Beiden konnten kaum die Finger voneinander lassen. Ich hab lange überlegt ob ich dir das erzählen soll …."

"Oh, okay … also brauch ich mir wohl keine weiteren Hoffnungen machen …."

"Tut mir echt leid."

"Schon gut, hätte ich mir ja denken können. Immerhin muss ich jetzt nicht mehr neben dem Telefon warten …."


Jordan

Die nächsten paar Wochen bemühte sich Vince wirklich. Er frühstückte mit mir, rief an, wenn es spät wurde, sagte mir ständig, wie wichtig ich ihm bin.


Sean

Ich stürzte mich ins Studium und verbrachte jede freie Minute mit Patricia in der Bibliothek.

Am 23. setzte ich mich in den Nachtbus nach Phoenix, ein großer Fehler. Ich konnte keine Sekunde schlafen und war den ganzen 24. total übermüdet. Beth und Josie waren schon da, Jenny war trotzig und brüllte die ganze Zeit rum. Mein Dad stritt mit mir, als ich ihm sagte, dass ich meine Wirtschaftskurse zum Einschlafen fand. Sehnsüchtig dachte ich an letztes Weihnachten mit Jordan zurück, auch wenn seine Sippschaft für Aufregung gesorgt hatte, damals war ich glücklich. Beiläufig erwähnte meine Mum beim Abendessen, dass wir am zweiten Feiertag bei Klaus zum Essen eingeladen waren. Ich verschluckte mich an der Suppe und fing an zu husten. Als ich wieder Luft bekam, fragte ich:

"Weißt du ob Jordan auch da sein wird?"

"Ich denke schon. Carol hat gesagt, er käme über Weihnachten heim."


Jordan

Für den 24. morgens hatte Vince einen Flug nach Phoenix gebucht. Den 24. würden wir bei seiner Familie verbringen und am 25. zu Mum und Klaus fahren. Ich hatte ziemlich normale Klamotten angezogen und meine Haare Schwiegereltern-tauglich überall gleich kurz rasiert. Vinces Stiefvater John holte uns vom Flughafen ab.

"Vincent, Jordan, hallo. Hattet ihr einen guten Flug?"

Er umarmte uns beide.

"Gebt mir auch eine Tasche. In einer halben Stunde landet Ismael aus New York. Lasst uns das Gepäck schon mal zum Auto bringen."

Ismael war Vinces älterer Bruder, der in Manhattan als Investmentbanker arbeitete. Ich konnte nicht wirklich viel Ähnlichkeit zwischen den Beiden erkennen. Er sah wohl seinem Vater ähnlicher und auch sein Auftreten war ganz anders. Er trug Schlips und Kragen, hatte breite Schultern und sein Begrüßungslächeln wirkte irgendwie eingeübt. Im Auto fragte er:

"Sind Assia und Ilias schon dort?"

"Ja, sie sind gestern Abend schon gekommen, das ist leichter, wegen der Kinder."

Das Haus war groß und schön. Im Garten spielten Vinces Neffen und Nichten. Sie begrüßten ihn und Ismael stürmisch. Auch Vinces Mutter kam aus dem Haus und umarmte ihre Söhne.

"Kommt rein, kommt rein! Der Tisch ist schon gedeckt. Bald gibt es Essen. Bringt eure Sachen hoch! Ilias! Deine Brüder sind hier!"

Er trug einen schwarzen Vollbart und traditionelle Kleidung. Hinter ihm tauchte eine Frau mit Kopftuch auf. Sie hatte den Blick zum Boden gesenkt und grüßte mit einem leichten Kopfnicken. Vince stellte mich vor, woraufhin Ilias mir seltsam erhaben die Hand entgegenstreckte. Oben in Vinces Zimmer waren wir ein paar Minuten allein.

"Wow, ich hatte keine Ahnung, dass deine Familie so … traditionell ist."

"Nur Ilias und Tamima. Assia und Rob erziehen ihre Kinder christlich. Bei Ismael bin ich mir nicht sicher, wie er das später mal handhaben wird, aber immerhin ist er 28 und hat noch nicht geheiratet und ein halbes Dutzend Kinder in die Welt gesetzt, wie die anderen Beiden."

"Und die Namen … Ismael, Ilias, Assia. Wie kommt es, dass du Vincent getauft wurdest?"

"Eigentlich ist das mein zweiter Name. Aber bei meinem echten Namen ruft mich nur mein Vater, dem konnte ich es noch nicht ausreden."

"Du meinst, ich kenn nicht mal deinen richtigen Namen? Wie heißt du?"

"Madjid. Aber sogar in meinem Führerschein steht Vincent …."

"Madjid. Schöner Name. Was bedeutet er?"

"Gepriesen, ruhmreich, irgendsowas. Aber bitte fang nicht an, mich so zu nennen, ja?"

"Okay, Vince."

Unten tummelten sich schon alle um den großen Esstisch.

"Worauf warten wir denn noch?" fragte Vince.

"Es sind noch nicht alle da."

"Warum, wer fehlt denn noch?"

"Yussip natürlich."

"Was?!"

Vince wurde blass.

"Aber das hab ich dir doch erzählt …."

"Nein, du hast mir nicht gesagt, dass er hier sein würde, weil du wusstest, dass ich dann nicht gekommen wäre."

Ilias schaltete sich ein.

"Er hat jedes Recht hier zu sein."

"Klar und ich hab das Recht zu sagen, dass ich dann gehe."

"Vince, er ist schließlich dein Vater."

"Und zu seinen Festen kommst du ja auch nie."

"Natürlich nicht, wenn ich explizit ohne Begleitung eingeladen werde!"

"Na und? Dann lässt du deine Lover halt zu Hause. Dabei geht es um Familie."

"Du bist echt so ein Idiot, Ilias! Familie bedeutet nicht, möglichst schnell möglichst viele Kinder zu zeugen, sondern mit jemand, den man liebt, zusammen zu leben!"

"Willst du meine Frau beleidigen?"

"Oh Mann, jetzt komm mir nicht mit der Macho-Nummer!"

"Jetzt hört schon auf, ihr Beiden!"

Vinces Mum hatte sich vor den Beiden aufgebaut.

"Können wir nicht einmal alle Unterschiede vergessen und einfach nur eine Familie sein? Yussip kommt jeden Moment und ich möchte, dass du ihm gegenüber Respekt zeigst, Vincent. Lass dich von ihm nicht provozieren. Und Ilias, halt du dich einfach raus, ja?"

Beide nickten kleinlaut und setzten sich an den Tisch. Ich nahm neben Vince Platz. Unter der Tischkante hielt er meine Hand. Es klingelte und kurz darauf trat ein zirka 60-jähriger, dunkelhäutiger Mann mit groben Gesichtszügen und traditioneller Kleidung ein. Ilias war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.

"Talib, Tahir, kommt her und sagt eurem Großvater guten Tag. Die Mädchen begrüßte er nicht weiter. Er umarmte seine Enkel und die beiden ältesten Söhne und trat dann zu Vince, der mittlerweile aufgestanden war.

"Madjid, mein Sohn. Schön dich endlich wieder zu sehen."

Er küsste ihn auf die linke und die rechte Wange.

"Vater, ich freue mich auch, dich wiederzusehen."

Ich wurde nicht vorgestellt.

Nach dem Essen schlug jemand einen Spaziergang vor. Die Frauen fühlten sich scheinbar nicht mal aufgefordert, sondern räumten weiter den Tisch ab. Ich nahm Vince zur Seite.

"Ist es okay, wenn ich hier bleibe?"

"Ja, das ist wahrscheinlich besser. Sprich Tamima nicht an, das gehört sich nicht, wenn ihr Mann nicht zu gegen ist."

"Muss ich sonst noch was wissen?"

"Halt dich an meine Mum. Wir werden sicher bald wiederkommen."

So machten sich die Männer des Hauses, inklusive der beiden ältesten Enkel, auf den Weg. Ich ging in die Küche, um zu sehen, ob ich was helfen konnte. Ilias Frau verließ gleich den Raum.

"Entschuldigung, ich wollte nicht …."

"Schon gut, sie übertreibt das ein wenig. Tja, jetzt musst du wohl weiter abtrocknen."

"Klar Mrs. …."

"Nenn mich Christine. Es ist hier nicht immer alles so verfahren. Aber wenn mein Ex-Mann da ist, muss alles einigermaßen traditionell ablaufen."

"Verstehe. Mein Vater ist Italiener und meine Großeltern sind auch sehr traditionsbewusst. Dieses ganze Macho-Gehabe kenn ich also."

"Ja, im Endeffekt sind die Männer überall gleich. Außer mein jüngster Sohn natürlich."

"Zum Glück, ja."

"Ich bin froh, dass er wieder Jemanden hat. Er erzählt mir immer, wie glücklich du ihn machst."

"Wirklich?"

Ich konnte spüren, wie ich rot wurde.

"Du sollst nicht denken, dass du uns nicht willkommen bist, weil wir dich nicht offiziell vorgestellt haben, so ist es bloß einfacher."

"Das verstehe ich natürlich."

"Ich bekomme jetzt noch Schweißausbrüche, wenn ich daran denke, wie Yussip reagiert hat, als David vor zwei Jahren um Vinces Hand angehalten hat."

Unwillkürlich schnappte ich nach Luft.

"Oh Jordan, tut mir leid, ich plappere zu viel. Das hast du doch gewusst, oder?"

"Ja, natürlich. Ich wusste nur nicht, dass er das vor der Familie getan hat."

"Traditionell muss das so sein …."

"Traditionell hält ein Mann auch um die Hand einer Frau an."

"Natürlich."

"Und was ist dann passiert?"

"Yussip hatte wohl bis dahin gehofft, dass sein Madjid noch zur Vernunft kommen würde. Dass er einen Mann heiraten könnte, ging einfach über seine Vorstellungskraft. Sie hatten einen schlimmen Streit und beide haben Dinge gesagt, die ihnen später sicher leid taten. Seitdem haben sie nicht mehr miteinander gesprochen."

"Verstehe. Und ich dachte die Beziehung zu meinem Vater sei angespannt …."

Bald nachdem sie heimgekommen waren, verabschiedete sich Yussip wieder. Ich fragte Vince natürlich, wie es gelaufen war.

"Wir haben über nichts von Belang gesprochen, also hatten wir auch keinen Grund, zu streiten."

Abends spielten wir Brettspiele und unterhielten uns. Gegen Elf gingen alle schlafen. Ich war froh, als der Tag um war und wir in Vinces altem Bett lagen.

"Hattest du hier schon mal Sex?"

"Klar, Tom hat damals oft übernachtet. Mit David hab ich hier nie geschlafen, wir hatten es ja nicht so weit nach Hause."

"Deine Mum hat von dem Antrag erzählt …."

"Ja, das war wieder typisch für David, er musste immer den Schwulenrechtler spielen. Man hätte das meiner Familie auch schonender beibringen können. Aber darüber will ich gerade echt nicht reden."

"Okay."

"Es ist seltsam wieder in diesem Bett zu liegen. Ich fühl mich fast wieder wie in der High School und mein Vater schafft es immer irgendwie, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme …."

"Weil du schwul bist?"

"Ja …."

"Vince, das ist doch Unsinn …."

"Ich weiß das ja eigentlich auch."

"Mein Weltbild bröckelt, wenn gerade du so was sagst."

"Ich weiß, ich bin ein Heuchler. Ich tu immer so, als wäre ich so stolz darauf, wer ich bin, aber eigentlich hasse ich diese beiläufigen Blicke die kurz an uns kleben bleiben und die ständige Bereitschaft, auf verbale oder sogar körperliche Attacken reagieren zu müssen."

"Aber daran gewöhnt man sich doch irgendwann, oder?"

"Ich hab mich jedenfalls nach zehn Jahren noch nicht dran gewöhnt."

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Welt wird sich nicht so schnell ändern. Da muss man wohl durch."

"Ja. Manchmal wünschte ich wirklich, ich würde eines Morgens aufwachen und auf Frauen stehen."

"Väter können einen ganz schön fertig machen, hm? Ich verstehe langsam, warum Sean es seinem nicht sagen will."

"Ja Sean. Du wirst ihn treffen, oder?"

"Er wohnt nebenan …."

"Ich weiß. Wie machen wir das eigentlich? Wo bleiben wir die nächsten zwei Wochen?"

"Ich wäre gern bei meiner Familie. Laura ist jetzt schon fast ein Jahr alt. Ich würd gerne etwas Zeit mit ihr verbringen. Und ich will an der Beziehung zu meiner Mum arbeiten."

"Klar. Aber ich würde auch gern noch eine Weile hier sein …."

"Wir können uns ja auch mal auftrennen …."

"Damit liefere ich dich Sean aus."

"Vince …."

"Ich weiß. Ich kann es nicht ändern, wenn du es wirklich willst. Also ist es egal, wo ich bin."

"Du bist echt blöd. Komm her."

Ich zog ihn in meinen Arm, küsste ihn und schob meine Hand in seine Shorts. Die Beziehung zu Vince war einfach ganz anders als mit Sean damals, genau wie der Sex. Unkompliziert, offen und erwachsen.

Nach dem Frühstück fuhren wir mit Christines Auto zu mir nach Hause. Mum machte uns auf.

"Jordan, mein Schatz!"

Sie umarmte mich stürmisch. Wir hatten uns das letzte Mal im August gesehen und da auch eher flüchtig. Ihre Haare waren nur noch schulterlang und sie sah endlich tatsächlich aus wie Mitte 30. Laura ließ sie scheinbar jetzt auch äußerlich erwachsen werden. Sie war total aufgedreht.

"Du siehst gut aus. Deine Haare sind so kurz!"

"Ja und deine sind auch kürzer."

"Das ist einfach praktischer, mit der Kleinen. Und Vince, willkommen. Fühl dich wie zu Hause."

Auch er bekam eine Umarmung.

Drinnen wartete Klaus mit Laura, die sich an seiner Hose festklammerte und tatsächlich stand, für ein paar Sekunden, dann setzte sie sich nur halb freiwillig hin.

"Kaum zu glauben, wie groß du geworden bist!"

Ich nahm sie auf den Am und wirbelte sie herum. Das schien ihr zu gefallen. Den Tag verbrachten wir damit, Mum und Klaus von L.A. zu erzählen und mit meiner Schwester zu spielen oder spazieren zu gehen. Vince war total vernarrt in die Kleine. In meinem Zimmer stand mittlerweile ein Klappsofa, das Bett hatte ich ja mit nach L.A. genommen. Als wir so da lagen und über den Tag redeten, meinte Vince:

"Laura ist so niedlich. Ich kann es kaum erwarten, selbst Kinder zu haben."

Ich war erst mal ziemlich geschockt.

"Wirklich? Ich meine, klar, Kinder sind toll, aber wir sind noch recht jung …."

"Ich werd jetzt dann 26. Die meisten in meinem Alter haben oder planen eine Familie."

"Und wie willst du das anstellen? Ich meine, kommt dir nicht die Biologie in die Quere?"

"Es gibt doch Möglichkeiten. Adoption, Leihmütter. Für David und mich war das wegen seiner Krankheit nicht möglich, aber so langsam …."

"Vince, du machst mir Angst."

"Ich rede ja nicht davon, morgen in eine Agentur zu gehen, ich sag nur, dass ich schon gerne vor 30 eine Familie gründen würde."

"Bis dahin geh ich noch aufs College! Wie stellst du dir das vor?"

"Keine Ahnung, tut mir leid. Ich hätte nicht davon anfangen sollen. Lass uns über was anderes reden."

Dieses Gespräch gab mir wirklich zu denken. Ich liebte meine kleine Schwester und auch Josh, aber so bald eigene Kinder? Und das mit einem Mann? Ich sagte Vince natürlich nicht, dass mich dieser Gedanken total irritiere.


Sean

Am nächsten Tag stand ein fremdes Auto in der Einfahrt. Das musste er sein. Ob Vince auch da war? Aber der blieb doch bestimmt bei seiner Familie.

Beth ertappte mich dabei, wie ich wehmütig aus dem Fenster rüber schaute.

"Sean, dann geh doch rüber und red mit ihm, das kann man ja nicht mit ansehen."

"Ich kann nicht. Was wenn Vince dabei ist?"

"Davon darfst du dich nicht abhalten lassen! Es geht dir so schlecht und nur Jordan kann das ändern. Da brauchst du auf Vince keine Rücksicht zu nehmen. Wenn Jordan sich für dich entscheidet, muss er das akzeptieren. Wenn nicht, hast du's wenigstens versucht."

"Das sagst du so einfach. Ich dreh noch durch, echt! Ich vermisse ihn so und es wird mit der Zeit nur schlimmer, statt besser. Das ist doch verrückt. Es sind schon über neun Monate, doppelt so lang wie wir überhaupt zusammen waren und ich hab mich schließlich von ihm getrennt. Ich hab's versaut, an seiner Stelle würd ich nie wieder mit mir sprechen …."

Verdammt, jetzt hatte ich es geschafft, mich so sehr reinzusteigern, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich drehte mich um und tat so, als würde ich zum Fenster schauen.

"Sean, weinst du?"

"Bitte lass uns über was anderes …."

"Hey ihr zwei, Mum sagt ihr … Was ist denn los?"

"Josie, verschwinde! Das hier geht dich nichts an."

"Entschuldige mal, Sean ist genauso mein kleiner Bruder. Was ist denn? Ist was passiert?"

Ich riss mich zusammen.

"Nein, es ist nur …."

"Jordan, oder?"

Beth fauchte:

"Was weißt du denn von Jordan?"

"Ich hab's ihr erzählt."

"Was?! Und was wenn sie zu Mum und Dad rennt?"

"Wofür hältst du mich eigentlich? Glaubst du das täte ich meinem Bruder an?"

"Du hast mich auch verraten, als ich mit Kenny Fisher im Baumhaus Gras geraucht hab."

"Das ist ja wohl was anderes, da warst du 13. Aber jetzt geht es mal ausnahmsweise nicht um dich, Beth. Sean, du musst was tun, so kann das doch nicht weitergehen. Morgen musst du mit ihm reden, irgendwie."

"Ja, ich weiß."


Jordan

Am Frühstückstisch besprachen wir den weiteren Tag. Mum schlug sich die Hände vors Gesicht.

"Ach du liebe Zeit, der 26.! Ich hab ja total vergessen, euch zu sagen, dass wir heute Abend Besuch bekommen."

"Ah, wen denn?"

"Die Wittmores."

"Oh."

"Seans Familie? Jordan, ist das nicht seltsam, ich meine …." Vince schien echt besorgt.

"Ja total! Mum, …."

"Tut mir leid, aber wir müssen uns einfach mal revanchieren. Wir sind doch ständig bei ihnen eingeladen."

"Aber warum gerade wenn Vince und ich da sind?"

"Soweit hab ich noch nicht gedacht, als ich sie eingeladen habe. Tut mir leid, aber ich kann es jetzt auch nicht mehr ändern."

"Ich ruf mal Sean an, wie er sich das vorstellt."

Vince schaute mich erstaunt an als ich das Telefon von der Wand nahm und wählte.

"Hier bei Wittmore, wen möchten sie sprechen?"

"Sean, bitte."

"Sean Wittmore."

"Hey, ich bin's."

"Jordan?! Warte, ich geh oben dran."

Ein paar Sekunden Stille, dann ein Klicken

"Danke Lorraine, sie können jetzt auflegen."

Manche Dinge ändern sich wohl nie.


Sean

Am 25. kochte ich den halben Nachmittag fürs Abendessen. In der Nacht schlief ich so gut wie gar nicht. Wie sollte ich denn mit Jordan reden können, wenn meine Eltern über alles wachten?

Ich schleppte mich zum Frühstück. Als ich gerade fertig war, klingelte das Telefon. Lorraine winkte mich heran. Ich stand in der Küche vor meiner versammelten Familie.

"Sean Wittmore."

"Hey, ich bin's."

"Jordan?! Warte, ich geh oben dran."

Ich gab Lorraine das Telefon in die Hand und ging unter den erstaunten Blicken meiner Schwestern nach oben. Meine Hände zitterten und in meinem Bauch kribbelte es.

"Danke Lorraine, sie können jetzt auflegen."

"Hey Jordan! Was gibt's?" fragte ich betont lässig.

"Meine Mum hat mir gerade gesagt, dass ihr heute zum Essen kommt."

"Ja, genau."

"Du weißt, dass Vince hier ist, oder?"

"Heute Abend auch?"

"Klar."

"Oh …." Verdammter Mist, musste das denn sein?!

"Ganz genau. Wenn deine Eltern mitbekommen, dass ich schwul bin, werden sie sich bald ausrechnen können, warum wir Beide so viel Zeit miteinander verbracht haben."

"Hast du gerade gesagt, dass du schwul bist?"

"Äh, ja … warum?"

"Das hast du bloß noch nie so gesagt."

Da war er schon einen bedeutenden Schritt weiter als ich.

"Du weißt was ich meine. Und was machen wir jetzt wegen heute Abend?"

"Muss Vince denn dabei sein?"

"Sean!"

"Schon gut und ich nehme nicht an, dass ihr mal für ein paar Stunden so tun könntet, als wärt ihr nicht zusammen?"

"Echt nicht. So was fang ich gar nicht mehr an."

Verdammt, jetzt dachte er bestimmt, dass ich mich kein Stück verändert hatte.

"Dann können wir wohl nicht viel tun, oder? Sollen sie doch denken was sie wollen."

"Oh … okay. Du hast dich verändert."

Das war wie Balsam für meine Seele.

"Ich hab meine Fehler erkannt. Ich freu mich auf heute Abend."

"Ja, ich mich auch. Also dann bis später."

"Ja, bis dann."

Er freut sich auch auf heute Abend! Den restlichen Tag war ich guter Laune. Ich konnte es kaum erwarten, dass es Sechs wurde und wir rüber gehen würden.


Jordan

Ich legte auf, drehte mich um und merkte zu spät, dass ich bis über beide Ohren grinste. Vince warf mir einen düsteren Blick zu und ging nach draußen.

"Vince …."

Die Tür flog zu.

"Jordan, das war wirklich unsensibel." schimpfte mich meine Mutter.

"Ich hab nur mit Sean telefoniert!"

"Aber Vince hatte nicht davon gesprochen, dass es heute Abend für Sean merkwürdig werden würde, sondern für ihn."

"Oh, achso … verdammt."

"Kommst du wieder mit Sean zusammen?"

"Nein! Und das weiß Vince auch!

"Spiel kein doppeltes Spiel, okay?"

"Das tu ich nicht!"

"Schon gut. Geh und schau nach Vince."

Er saß auf den Randstein und steckte sich gerade eine Zigarette an.

"Vince, es tut mir leid. Ich hab nicht nachgedacht."

Ich setzte mich zu ihm und er ließ mich ziehen.

"Nein, das hast du nicht. Deine erste Sorge galt ganz automatisch Sean. Ich komme gegen ihn nicht an, obwohl ich schon doppelt so lang mit dir zusammen bin, wie er damals. Er ist einfach in einer anderen Liga. Das wusste ich damals in der Klinik schon. Nicht nur, dass er klug und freundlich ist, er sieht auch noch verdammt gut aus."

"Du siehst mindestens genau so gut aus."

"Wie auch immer, jedenfalls war er dein Erster. Ich hab damals selbst gesehen, wie sehr du ihn geliebt hast."

"Aber jetzt liebe ich dich."

"Wirklich? Warum sagst du mir das dann nie?"

"Ich hab das doch schon oft gesagt!"

"Nein, Jordan, noch nie. Wenn ich es zuerst gesagt habe, dann kam vielleicht mal ein 'Ich dich auch.' Aber das war alles."

Ich dachte nach.

"Oh mein Gott, ich glaub du hast Recht. Ich kann mich nicht erinnern, es gesagt zu haben. Liebling, es tut mir so leid."

Ich legte meinen Arm um ihn, bevor ich weiterredete.

"Ich liebe dich so sehr. Du bist meine Familie. Ich liebe es, mit dir zusammen zu sein und ich will dich nicht verlieren."

Bereitwillig ließ er sich von mir küssen und wir gingen zusammen wieder rein.

Um Sechs standen die Wittmores vor der Tür, nicht nur Sean und seine Eltern, sondern auch Josie mit Mann und Tochter und Beth. Sean umarmte mich, genau wie Beth. Ich machte kurzen Prozess und stellte Vince gleich im Flur bei der allgemeinen Begrüßung als meinen Freund vor. Um jegliche Zweifel zu beseitigen, strich ich ihm gleichzeitig über die Haare. Ich spürte deutlich eine gewisse Spannung im Raum, die, um nicht unhöflich zu sein, schnell mit Small Talk überspielt wurde.

Das Gespräch am Tisch kam nur langsam in Fahrt. Mr. Wittmore wandte sich an Vince.

"Vincent, Jordan hat ihren Nachnamen nicht erwähnt, aber ich meine sie zu kennen."

"Sie müssen die Vergesslichkeit meines Mannes entschuldigen. Schatz, das ist Vincent Yadis, der Künstler, der das Wandgemälde in der Firmenlobby gestaltet hat."

"Ah, ja natürlich …."

Damit hatten sie erst mal ein Gesprächsthema. Mum, Klaus, Josie und ihr Mann tauschten sich über ihre Töchter aus. Blieben noch Beth, Sean und ich. Sean saß rechts neben mir. Beth erzählte irgendwas von ihrer Arbeit, nur um die peinliche Stille zu durchbrechen. Ich hörte ihr kaum zu. Ganz behutsam schob sich Seans Hand auf meinen rechten Oberschenkel. Zuerst hielt er inne, um zu sehen, wie ich reagierte. Als ich nichts tat, bewegte er sich langsam immer höher. Die Tischdecke stand weit genug über um ihn dabei zu decken. Seine Hand wanderte auf die Innenseite und langsam aber beharrlich immer höher. Plötzlich legte Vince mir seine Hand auf den anderen Oberschenkel. Unwillkürlich sprang ich auf, wie von der Tarantel gestochen, entschuldigte mich und ging nach oben. Vince folgte mir.

Oben flüsterte er mir zu:

"Tut mir leid, ich hab nicht gedacht, dass dir das unangenehm wäre …."

"Das ist es nicht."

"Was war dann?"

"Ich weiß nicht …."

"Jordan, sag schon …."

"Sean. Er hat das Gleiche gemacht wie du."

"Dieser Mistkerl."

Er wandte sich zur Treppe.

"Vince, warte! Was hast du denn vor?"

"Na ihn zur Rede stellen, was sonst?!"

"Pscht! Nicht so laut. Ich kann dich ja verstehen, aber bitte tu das nicht vor seinen Eltern."

"Was soll ich dann jetzt deiner Meinung nach machen? Mich mit ihm an einen Tisch setzen, so als sei nichts gewesen?"

"Bitte, Vince. Wir tauschen einfach den Platz, okay?"

Ich strich ihm die Haare zurück und küsste seinen Hals.

"Na schön, aber wenn er nochmal so was versucht, dann ist mir egal, wer im Raum ist."

"Er wird nichts mehr versuchen …."

Ich bemühte mich, möglichst sicher zu klingen, auch wenn ich es absolut nicht war.

Den restlichen Abend unterhielt ich mich mit allen außer Sean oder baute mit Jenny und Laura Holzklotz-Türme.


Sean

Klaus machte uns die Tür auf, Carol hatte Laura auf dem Arm. Jordan kam die Treppe runter, dicht gefolgt von Vince. Mein Herz schlug schneller. Jordan hatte kurz rasierte Haare, damit sah er total … erwachsen aus. Ich umarmte ihn, das musste ich einfach. Beth tat es mir gleich. Dann machte Jordan etwas für ihn sehr typisches. Ohne mit der Wimper zu zucken stellte er Vince vor und machte mit einer vertraulichen Geste deutlich, welcher Art ihre Freundschaft war. Meine Eltern mussten das erst mal schlucken, Josie rettete die Situation mit Geschwätz über die schöne Garderobe der Gastgeberin. Meine Eltern fassten sich wieder, warfen mir aber noch einen seltsamen Blick zu.

Am beziehungsweise unter dem Tisch beschloss ich, Jordan zu zeigen, dass ich ihn immer noch wollte. Als meine Hand auf seinem Oberschenkel immer höher wanderte, konnte ich spüren, dass es ihm nicht unangenehm war. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, sprang er auf und verließ den Raum, Vince hinter ihm her. Mein Dad schaute den Beiden skeptisch nach und rümpfte die Nase. Als sie kurz darauf wieder kamen, taten sie so als sei nichts gewesen, aber Vince setzte sich neben mich. War das Zufall oder hatte ihm Jordan etwa von meinem Annäherungsversuch erzählt? Das hätte er doch nicht getan, oder? Jedenfalls ignorierten mich die Beiden den restlichen Abend. Als wir endlich gingen, wollte ich eigentlich nur noch in mein Zimmer, um allein zu sein, aber mein Dad machte mir einen Strich durch die Rechnung.

"Sean, warte mal."

"Was denn? Ich bin müde …."

"Wusstest du davon?"

"Wovon?"

Ich wusste genau, wovon.

"Na dass Jordan … vom anderen Ufer kommt."

"Daaaaaad."

"Du weißt, was ich meine."

"Ja."

"Und? Wusstest du das?"

"Natürlich."

"Warum hast du das nie erwähnt?"

"Ich fand das nicht weiter wichtig."

"Ihr habt euch eine Zeit lang oft gesehen …."

"Und weiter?"

"Hat er jemals etwas versucht?"

"Ich geh jetzt schlafen, Gute Nacht."

Beth kam mir hinterher, die Treppe hoch.

"Ich will nicht drüber reden, okay?"

"Wir müssen nicht reden, aber ich will dich nicht allein lassen."

Ich weinte mich mal wieder in den Schlaf, Beth lag einfach bei mir.

Als ich am nächsten Tag aufwachte und rüber schaute, war das Auto nicht mehr da. Die nächsten paar Tage verbrachte ich hauptsächlich in meinem Zimmer und las. Beth und Josie versuchten abwechselnd mich aufzuheitern, ohne nennenswerten Erfolg.


Jordan

Am nächsten Tag fuhren wir wieder zu Vince und blieben dort bis Silvester um dann mit Mum und Klaus ihren ersten Hochzeitstag zu feiern.

Neujahr rief Sean am Nachmittag an.

"Ich wollte dir Bescheid sagen, dass die alte Clique heute Abend ins Zen geht. Wir sind tatsächlich alle gerade hier."

"Oh, okay, ich schau vielleicht mal vorbei."

Vince war zwar nicht gerade begeistert, aber alleine wollte er mich auch nicht losschicken. Als er aber hörte, dass Summer auch kommen würde, konnte er es kaum noch erwarten. Seitdem sie sich in der Klinik kennengelernt hatten, waren sie Freunde. Manchmal, wenn ich Summer anrief, wusste sie schon alles was ich ihr erzählen wollte von Vince.

Kurz nach Neun standen wir vor dem Zen. Bang winkte uns an der Schlange vorbei nach vorne.

"Jordan! Erzähl mir von L.A.! Erzähl mir vom College! Wie man hört, spielst du jetzt in einer Band."

"Ja, das stimmt. Summerskin. Wir sind echt gar nicht schlecht. Das hier ist übrigens Vince."

"Hey, wisst ihr was, ich komm später, wenn der Ansturm hier vorbei ist, rein, dann können wir uns in Ruhe unterhalten."

"Alles klar, dann bis nachher."

Ich wusste gar nicht, wie lange ich schon nicht mehr im Zen gewesen war, aber es hatte sich nichts verändert. In der Couch-Ecke fanden wir die Anderen. Sean umarmte mich wieder, zur Begrüßung, was Vince missmutig beäugte. Hannah erzählte mir ganz begeistert von New York. Susi, Alex und Sarah wohnten noch zu Hause und gingen hier aufs College. Es war schön alle wiederzusehen. Als ich gerade an der Bar war, sprang Summer mir plötzlich auf den Rücken. Wir fielen uns in die Arme. Sie kündigte gleich an, dass sie nach den Zwischenprüfungen wieder nach L.A. kommen würde und fragte mich auch gleich nach Damian. Zurück bei den Anderen, begrüßte sie Vince genau so stürmisch und wich ihm für den restlichen Abend nicht mehr von der Seite. Sean beobachtete mich die ganze Zeit über. Mir war mittlerweile klar, dass er sein Angebot vor ein paar Wochen ernst gemeint hatte. Das machte mich wütend. Woher nahm er das Recht, nach allem was passiert war, einfach wieder aufzutauchen und zu meinen, er könne mich einfach so zurück haben? Er hat mich betrogen und im Stich gelassen, als ich ihn dringend gebraucht hätte. Vince war für mich da, er hielt meine Hand. Und ich war noch nicht bereit ihn loszulassen. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Er hatte mich am Tiefpunkt erlebt und war nicht einfach weggelaufen.

"Jordan, alles okay? Worüber grübelst du denn nach?"

Vince schaute mich besorgt an.

"Ach, nichts weiter. Soll ich dir noch einen Saft von der Bar mitbringen?"

"Klar …."


Sean

Am Neujahrstag rief ich nachmittags drüben an und erzählte Jordan von dem Cliquentreffen. Er gab mir keine verbindliche Antwort, aber ich fieberte trotzdem dem Abend entgegen. Auch die meisten Anderen hatte ich lange nicht mehr gesehen, aber ich konnte nur an Jordan denken. Als er endlich kam, umarmte ich ihn wieder. Für diesen Moment hätte ich getötet. Er war irgendwie verkrampft. Die ganze Zeit über versuchte ich, Blickkontakt zu bekommen, aber er schaute dann immer auf den Boden, manchmal warf er mir auch einen fast bösen Blick zu. Seine ganze Körpersprache schrie förmlich, ich soll ihn bloß in Frieden lassen. Summer und Vince waren ständig um ihn herum. Ich hatte keine Chance, mit ihm zu reden. Von den Anderen merkte niemand wie es mir ging, sie waren alle so damit beschäftigt, von ihren Kursen und neuen Leuten zu erzählen. Ich blieb, bis Jordan gegangen war, in der Hoffnung, dass sich doch noch etwas ergab. Um Eins machte ich mich zu Fuß und, dank Sarahs Handtaschenminibar, betrunken auf den Heimweg. An der Tür fragte Bang mich, ob alles okay sei. Ich schüttelte nur den Kopf und ging.


Jordan

Ich war froh, dass wir am nächsten Tag wieder zu Vince fuhren und von da aus ein paar Tage später zum Flughafen. Es gelang mir endlich, nicht mehr über Sean nachzudenken. College, Bandproben, der Laden. Der Alltag hatte mich wieder.


Sean

Am nächsten Morgen war das Auto schon wieder verschwunden. Ich fuhr zurück nach L.A. und klagte Patricia mein Leid. Zum Glück standen Prüfungen an, auf die ich mich konzentrieren konnte. Ich mied meine Wohnung, da ich es nicht aushielt, allein zu sein. So oft es ging, kochte ich für Patricia. Alleine zu Essen war schrecklich. Ich kannte nicht viele Leute. Die Kerle aus BWL ignorierte ich so gut es ging und auch sonst fand ich irgendwie keinen Anschluss. Ich hatte gerade genug Antrieb, um es in die Bibliothek zu schaffen, das musste reichen. Die Zeit verging mit Lernen.

Im Februar, nach den Prüfungen, fuhr ich wieder nach Hause. Carol sagte mir, Jordan würde in L.A. bleiben, da er und Vince arbeiten mussten. Morgens ging ich in die Firma, abends kam ich nach Hause, las ein wenig und schlief ein. Einmal traf ich mich mit Alex und Susi, einmal mit Hannah und Dan. Alle meine Freunde hatten Jemanden, Pärchen waren echt zum kotzen. Einmal traf ich an einem Samstagnachmittag zufällig Summer im Buchladen.

"Sean! Hey, läufst du blind durch die Welt?"

"Oh, hey Summer."

"Wie? Heut gar keinen blöden Spruch auf den Lippen?"

"Was? Wieso …?"

"Alles okay bei dir? Geht's dir nicht gut?"

"Ich glaub, ich bekomm ne Grippe."

"Oh, dann halt Abstand. Und wie geht's dir sonst so?"

"Gut."

"Was macht das Studium?"

"Das erste Semester ist vorbei. Jetzt sind Ferien."

"Ja, das weiß ich natürlich von Jordan."

Mein Magen zog sich zusammen, bei der Erwähnung seines Namens.

"Klar."

"Ich besuche ihn nächste Woche."

"Aha …."

"Naja, dann werd ich mal weiter rumgucken."

"Okay …."

Ich merkte selbst, dass ich zu einsilbig war, aber sie hatte Jordan erwähnt.


Jordan

So verging die Zeit bis zum Semesterende. Dann arbeitete ich wieder Vollzeit, um meine Kasse aufzubessern. Summer kam und verbrachte viel Zeit mit Damian, begleitete Vince zu Ausstellungen oder hing im Plattenladen rum. Sie durchstöberte gerade die Sonderangebote.

"Ich hab Sean zu Hause getroffen, bevor ich hierher gekommen bin."

"Er ist zu Hause?"

"Klar, in den Ferien jobbt er in der Firma."

"Oh, stimmt."

"Er wirkt irgendwie unglücklich."

"Warum erzählst du mir das?"

Janet kam aus dem Hinterzimmer.

"Wer ist Sean?"

"Mein Ex-Freund."

"Der angehende Arzt? Was hat er denn?"

"Woher soll ich das wissen?"

Ich ließ sie stehen und ging zur entferntesten Regalreihe um so zu tun, als würde ich was sortieren.

"Jordan, warum reagierst du so komisch? Weißt du irgendwas?"

"Ich weiß, dass er mich im Dezember gebeten hat, zu ihm zu ziehen."

"Was?! Warum hast du das denn nicht erzählt? Weiß Vince davon?"

"Natürlich hab ich ihm im Groben gesagt, was passiert ist. Das verunsichert ihn ziemlich. Ich kann nicht mit ihm drüber reden."

"Und was hast du Sean gesagt?"

"Dass ich es mir überlegen muss …."

"Was?! Du kannst doch nicht so einfach Vince in den Wind schießen!"

"Das hab ich auch nicht vor! Sag mal, bist du meine beste Freundin, oder seine?"

"Ich dachte das geht gleichzeitig Ich wusste nicht, dass ihr auf verschiedenen Seiten steht!"

"Das tun wir doch gar nicht. Ich hab es mir ja dann überlegt und mich dagegen entschieden."

"Und hast du Sean das gesagt?"

"Ich … nicht so direkt, aber …."

"Jordan!"

"Ist ja gut, das war alles kompliziert. Ich glaube nicht, dass er davon ausgeht, dass ich noch immer drüber nachdenke."

"Auf mich hat er jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, als sei er über dich hinweg."

"Und was soll ich deiner Meinung nach tun?"

"Mit ihm reden! Mit wem soll er denn sonst drüber reden? Hast du dich mal gefragt, wen Sean eigentlich noch hat? Er ist mit niemandem zusammen, sein bester Freund war Willie, seine Freunde haben sich in alle Winde verstreut und er ist allein in eine neue Stadt gezogen."

"Dann hat er hier vermutlich neue Leute gefunden."

"Kennst du Sean? Er vergräbt sich in der Bibliothek und das war's."

"Als ich ihn im Dezember getroffen hab, war er mit ein paar Typen unterwegs."

"Wie auch immer. Dann halt nicht."

Ich beschloss, nichts zu unternehmen. Auch aus Angst, dass ich mich zu etwas hinreißen ließe.

Summerskin konnte sich mittlerweile vor Gigs kaum retten und wir mussten sogar einige ablehnen. Unsere ersten eigenen Songs waren bühnenreif. Alles lief wie geschmiert. Ich hatte tolle Leute kennengelernt, verdiente im Laden Geld und wir spielten in immer tolleren Locations. Irgendwelche Menschen im Anzug wollten uns unter Vertrag nehmen, aber jemand von einer halbwegs namenhaften Firma war noch nicht dabei. Vince sah ich so gut wie nie, aber daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt.


Sean

Ich war froh als die Uni wieder anfing, denn dann hatte ich wenigstens Patricia zum reden. Sie sagte mir ständig, ich müsse mit ihm sprechen, aber im Zen hatte er mir ja deutlich gezeigt, dass er kein Interesse hatte. Ständig hatte er mit Vince rumgemacht und ich durfte zuschauen. Wenn ich nur daran dachte, wurde mir schon schlecht.

"Sean, so kann das doch nicht weitergehen! Es geht dir immer schlechter. Ich glaube du rutscht in eine Depression."

Bamm! Da war das Wort. Darüber hatte ich natürlich selbst schon nachgedacht, in der Klinik hatte ich alle Schattierungen von Depressionen kennengelernt.

"So ein Schwachsinn …."

"Ich finde echt, du solltest dir Hilfe suchen. Du kannst doch nicht ewig so weitermachen. Du verschwendest deine College-Zeit! Das hier soll die beste Zeit deines Lebens sein."

"Ich versuch ja, mich zusammenzureißen. Lass uns heute Abend irgendwo hin gehen. Essen und ins Kino, oder so."

"Na schön …."

Meine Mutter kam für ein paar Tage zu Besuch. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Zum Glück hatte sie beruflich zu tun und ich sah sie nur morgens und abends. Ständig fragte sie mich, wie es mir geht, ob alles in Ordnung sei, ich wäre so still. Am letzten Abend ließ sie nicht mehr locker.

"Sean, du bist mein Kind, ich merke doch, wenn etwas nicht stimmt. Schon seit ein paar Monaten starrst du manchmal so ins Leere. Was geht da in deinem Kopf vor? Warum bist du so traurig?"

"Das bin ich nicht. Alles okay, wirklich."

"Hast du eine Freundin?"

"Nein."

"Hast du hier Freunde?"

"Ein paar, aber viel Zeit hab ich neben den Kursen eh nicht."

"Du darfst nicht vergessen auch manchmal das Leben zu genießen."

"Klar. Manchmal geh ich ins Kino und so …."

"Bitte Sean, ich mache mir Sorgen um dich. Nimmst du Drogen?"

"Was?! Nein! Noch nie!"

"Was ist es dann? Brauchst du Hilfe? Sollen wir dir einen Arzt suchen?"

"Einen Psychiater meinst du? Nein danke, ich werde keine Glücks-Pillen schlucken, nur weil ich mal ein Tief habe."

"Du merkst also selbst, dass es dir nicht gut geht?"

"Klar …."

"Und woran liegt das?"

"Mum … ach, keine Ahnung."

"Sean, du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst."

"Darüber nicht."

"Doch, das verspreche ich dir."

"Ich will nicht, dass Dad es erfährt."

"Gut, versprochen. Was ist es?"

" … Liebeskummer."

"Also doch, aber da muss doch jeder durch. Geht es um jemand, den ich kenne?"

"Ja."

"Emily?"

"Nein."

"Sarah?"

"Nein."

"Ich kenne sonst keine Mädchen, die du mochtest."

"Das stimmt. Mum, bitte lassen wir es gut sein. Das geht schon irgendwann vorbei. Bald ist es ein Jahr her."

"Ein Jahr? So lange geht es dir schon so? Das habe ich nicht gemerkt. Aber vor einem Jahr … da warst du schon lange mit Sarah auseinander. Du hast Praktikum gemacht und Emily kennengelernt."

"Dazwischen war ich mit jemand Anderem zusammen."

"Was? Warum wissen wir das nicht? Mit wem denn? Damals warst du doch ständig mit …oh."

Ich sah, dass sie es jetzt wusste.

"Es tut mir leid, Mum …Nein, eigentlich tut es mir nicht leid. Ich hab es damals nicht geschafft, es euch zu sagen und damit die beste Beziehung meines Lebens ruiniert."

"Aber … er musste in die Klinik. Er hat so viele Probleme. Seine Mutter erzählt manchmal davon."

"Ja, deshalb hab ich mich damals von ihm getrennt und es seitdem jeden Tag bereut."

"Sean, bist du dir da sicher?"

"Mum, bitte. Du wolltest wissen, was mich traurig macht, ich hab es dir gesagt. Wenn ich Löcher in die Luft starre, dann denke ich drüber nach, wie ich Jordan zurückbekommen könnte."

"Kind, weißt du, worauf du dich da einlässt?"

"Ja, das weiß ich Mum. Er hat mich glücklich gemacht, egal welche Probleme wir hatten. Ich halte es nicht aus, ihn mit Vince zu sehen. Ich will ihn einfach nur wiederhaben …."

Sie sagte eine ganze Weile nichts mehr.

"Ich denke ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht."

"Gute Nacht, Kind."

Als sie sich am nächsten Tag verabschiedete, war sie ziemlich eisig. Ich rief Patricia an und erzählte ihr das Ganze. Danach heulte ich ihr wieder was wegen Jordan vor. Sie wollte ausgehen, aber ich hatte einfach keinen Bock, also ging sie alleine.


Jordan

An einem Freitag bat Vince mich, mir den Nachmittag frei zu nehmen. Ich kam nach dem Mittag nach Hause, wo Vince schon wartete.

"Hey, setz dich, ich hab gekocht."

"Genial, ich verhungere gleich. Was genau hast du denn heute mit mir vor?"

"Nach dem Essen, ja?"

Als wir die Teller abgeräumt hatten, führte Vince mich auf die Couch.

"Du machst mir Angst …."

"Das wollte ich nicht. Okay, folgendes ist passiert: Ich hab ein geniales Angebot von einer renommierten Galerie bekommen, die meine Sachen ausstellen will."

"Das ist ja klasse! Gratuliere."

"Danke. Jedenfalls ist das Ganze an ein paar Bedingungen geknüpft. Kurz gesagt muss ich für sie jede Menge Publicity machen. Vor Ort. Wenn alles gut läuft, ist es das Sprungbrett. Dann würde ich in einer ganz anderen Liga spielen."

"Oh, klar, das wird sicher stressig, aber ich versteh das. Du musst das machen, es hört sich nach einer einmaligen Chance an."

"Ja, das ist es …."

"Warum schaust du denn dann so traurig?"

"Die Galerie ist in New York."

"Na gut, dann bleibst du eben ein paar Wochen in New York …."

"Jordan, die wollen mindestens drei Monate Vorlauf, damit ich mir in der dortigen Szene einen Namen machen kann. Und wenn dann alles klappt, werde ich danach noch lange dort bleiben."

"Ich … das …was ist dann mit der Wohnung? Was ist mit uns?"

"Die Wohnung muss ich wohl aufgeben, aber ich will, dass du mit mir kommst."

"Aber wie stellst du dir das vor? Ich geh hier aufs College, ich hab einen tollen Job und Summerskin. Alles läuft so gut, ich kann die Band nicht aufgeben."

"Ich hab befürchtet, dass du das sagst. Aber ich kann das Angebot nicht ablehnen."

Wir saßen nebeneinander und wussten nichts mehr zu sagen.

Nach einer Weile legte ich den Kopf in seinen Schoß und krümmte mich zusammen. Das war das Ende und es war viel schneller gekommen, als ich es erwartet hatte.

Am nächsten Tag sprachen wir über die Details.

"Die Miete ist bis Ende des Monats bezahlt. Falls du noch mehr Zeit brauchst …."

"Nein, ich denke, ich komm bei Kev und Brian unter, von dort aus sind es mit dem Auto nur zehn Minuten zum Laden."

"Okay, ich will möglichst bald fliegen. Am Montag kommt die Umzugsfirma."

"Ich werde die Wohnung vermissen."

"Ich auch. Lass uns nicht wieder anfangen, ja? Ich hab das Gefühl auszutrocknen, wenn ich noch eine Träne vergieße."

"Okay …."

"Wir können telefonieren …."

"Ich weiß."

"Wir haben als Freunde angefangen, wir werden auch wieder Freunde sein können."

"Das hoffe ich."

"Jordan, wirst du klar kommen?"

"Ich denke schon. Mach dir keine Sorgen."

"Und wenn du merkst, dass es dir schlecht geht, dann ruf mich an, bevor es zu spät ist. Dann setzt ich mich ins nächste Flugzeug."

"Ich weiß."

"Jordan …."

"Wir wollten doch nicht wieder anfangen …."

Der Gig an dem Abend war die Hölle. Natürlich fragten die Jungs mich, was los sei, aber ich konnte es einfach noch nicht aussprechen. Den Sonntag verbrachten wir mit Umzugskartons einräumen. Es kam mir noch gar nicht so lange her vor, dass wir das Alles ausgeräumt hatten. Sieben Monate waren wie im Flug vergangen. Ich war erwachsen geworden, hatte mir ein eigenes Leben mit Vince aufgebaut. Jetzt musste ich seine Hand wieder loslassen.

Am Montag, gleich nachdem ich Vince zum Flughafen gebracht hatte, fuhr ich zu den Jungs. Camy machte die Tür auf.

"Jordan, was ist denn los? Komm rein."

"Ist das Zimmer immer noch frei?"

"Ja, Kev hat sein Zeug immer noch nicht raus geschafft."

"Kann ich es haben?"

"Klar! Was ist denn passiert?"

Ich erzählte es ihr.

"Das tut mir so leid. Du kannst sofort hier einziehen. Die Anderen werden nichts dagegen haben."

Als die später heimkamen, bestätigten sie das und Kev fing gleich an, seine Sachen zu Becca rüber zu bringen. Am Wochenende zog ich ein. Ich telefonierte jeden Tag mit Vince. Wir redeten mehr miteinander, als zuvor. Er war begeistert, alles schien sehr viel versprechend.

Es war klasse, dass jetzt Drei von uns zusammen wohnten. Wir schrieben Songs, besprachen Gigs, Kev und ich spielten zusammen Gitarre, alles sehr kreativ. Bald startete das neue Semester und ich traf Carla und die Anderen wieder. Ich war Single. Seit ich 16 war, hatte ich eigentlich immer Jemanden gehabt. Erst Nikki, dann Conny, dann kam die Klinik. Danach Sean und jetzt Vince. Natürlich hatte ich mich trotzdem austoben können, aber emotional gesehen war ich immer an Jemanden gebunden. Vielleicht war es Zeit, mal auf eigenen Beinen zu stehen. Auch wenn ich Vince vermisste, eigentlich war ich glücklich. Ansonsten lief ja alles toll. Auf der Bühne fühlte ich mich zu Hause und wir bekamen bei Auftritten schon lange mehr als nur Freigetränke. Die Kurse am College waren gut, meine Noten waren passabel, ich hatte dort Freunde, dann gab es noch den Laden und Janet und Joe. Ich telefonierte oft mit Summer und Mum und konnte mich alles in allem echt nicht beschweren.

Nach einem Gig auf einer Studentenparty wies Damian mich darauf hin, dass ein Mädchen mich anstarrte.

"Was für eine Verschwendung an dir. Die ist echt heiß."

"Da hast du Recht, ich glaub, ich geh mal rüber."

Ungläubig schaute er mir hinterher, als ich zehn Minuten später mit ihr nach Hause ging.

Bei der Probe am nächsten Tag hatte sich meine Eroberung schon rum gesprochen.

"Aber ich dachte du stehst auf Kerle."

"Kannst du das bisschen Konkurrenz nicht vertragen?"

"Pah, damit hab ich kein Problem, ich hab mich nur gewundert."

Solche Vorfälle häuften sich in der nächsten Zeit.

Nach einem anderen Auftritt, als die meisten Leute schon gegangen waren, fiel mir eine grölende Meute auf, die einen Kreis gebildet hatte. Die umstehenden Menschen schauten skeptisch hinüber.

"Was ist denn da hinten los?"

"Keine Ahnung, ein paar Besoffene die sich verprügeln, oder so."

Kev war wohl nicht stutzig geworden.

"Irgendwas ist da seltsam."

Ich ging näher hin, Kev gleich hinter mir. Jemand wurde rum geschubst. Ich sah einen großen Typen mit Football-Jacke. Er schüttelte jemanden. Jemanden der viel kleiner war. Ich strengte mich an, um zu hören, was die Leute schrien.

"Prügel die Scheiße aus ihm raus!"

"Zeig's der kleinen Tunte!"

Ich war alarmiert und drängelte mich näher dran. Gerade sah ich noch, wie die Faust des Riesen herunter krachte und etwas traf. Jemand lag am Boden. Der Typ trat auf ihn ein. Die Anderen feuerten ihn auch noch an.

"Seid ihr irre, oder was?! Verdammt! Lass ihn!!"

Ich zerrte den Riesen zur Seite, er schlug nach mir, war aber zu besoffen, um mich zu treffen. Die Zuschauer lösten sich auf und plötzlich verteilten sich auch die Kerle, die gerade noch gehetzt hatten. Die Leute tanzten wieder und kümmerten sich nicht weiter um das Häufchen Elend, das am Boden lag. Ich drehte ihn um. Er konnte höchsten 17 sein, seine Haare waren schwarz gefärbt, er trug schwarze Klamotten, ein Hundehalsband und jede Menge Augenmake-up. Seine Nase blutete, genau wie das Piercing an seiner Augenbraue. Benommen schaute er mich an und zitterte am ganzen Körper.

"Kannst du aufstehen? Musst du kotzen? Komm schon, ich bring dich zur Toilette."

Er schaffte es kaum, sich aufzusetzen. Ich legte ihm den Arm um die Taille und stützte ihn. Er bestand nur aus Haut und Knochen.

"Kev, geh zu deiner Freundin, ich komm mit ihm schon klar."

Auf der Toilette kotzte sich der arme Kerl erst mal die Seele aus dem Leib. Er zitterte immer noch wie Espenlaub. Der Schock verlor seine Wirkung und er fing an zu schluchzen.

"Ist ja gut, dir passiert nichts mehr.

Ich half ihm auf und brachte ihn zum Waschbecken.

"Wasch erst mal dein Gesicht und trink einen Schluck Wasser."

Er tat wie befohlen und beruhigte sich langsam. Mit dem verschmierten Make-up sah er aus wie ein Waschbär. Ich gab ihm Papier zum Abtrocknen. Mittlerweile stand er wieder halbwegs sicher auf den Beinen und seine Nase hatte zu bluten aufgehört.

"Lass mich mal deine Augenbraue sehen … Das Piercing muss raus, der Hautlappen ist ja halb abgerissen. Halt still."

Ich drehte es raus.

"Das wird eine Narbe geben. Kannst du eigentlich reden?"

Er nickte.

"Schön. Ich bin Jordan und du?"

Stille.

"Wohnst du hier in der Nähe?"

Er schüttelte den Kopf.

"Wie alt bist du?"

"18."

"Natürlich. Weißt du, wo du heute Nacht schläfst?"

"Meine Leute waren plötzlich weg …."

Seine Stimme war erstaunlich tief, dafür dass er so schmächtig war.

"Brauchst du eine Unterkunft für heute?"

Er nickte.

"Okay, dann kannst du mit zu mir kommen. Kannst du mittlerweile wieder gehen?"

"Ich glaub schon …."

"Okay, dann geh schon mal zum Ausgang, ich sag kurz meinen Leuten Bescheid."

"Bitte, ich will lieber nicht allein …."

"Oh, klar. Komm mit."

Ich sah Becca und sagte ihr, dass ich den Jungen mit heim nehmen würde. Sie wollte den Jungs wegen dem Abbau Bescheid sagen.

Er redete nicht viel und schlief schon im Bus ein. Zu Hause fiel er ins Bett und schlief wie ein Stein bis Elf am nächsten Morgen.

Die Anderen waren einkaufen, als er aus dem Zimmer torkelte.

"Guten Morgen! Willst du was essen?"

Er schüttelte den Kopf.

"Duschen?"

Ein Nicken.

Zehn Minuten später stand er, in ein dickes Handtuch gewickelt, wieder da.

"Auf meinen Klamotten ist überall Blut …."

"Kein Problem, die schmeißen wir in die Maschine und du bekommst was von mir."

Ich brachte ihm eine Jogginghose, die er so eng schnüren konnte, dass sie ihm nicht runter rutschte und ein Metallica T-Shirt, in das er zwei Mal reingepasst hätte.

"Isst du auch?"

"Manchmal …."

"Wie kann ich dir helfen?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Hast du eine Nummer von deinen Leuten?"

"Ich bin allein in der Stadt."

"Und wo hast du gestern geschlafen?"

"In einer Jugendherberge."

"Und wo sind deine Sachen?"

"In einem Schließfach am Bus-Bahnhof."

"Wie heißt du?"

"Xander."

"Wo wohnst du?"

"Oregon."

"Was machst du hier?"

"Ferien."

"Aber jetzt sind doch gar keine … okay, das geht mich nichts an. Soll ich dich irgendwo hin fahren?"

"Ich weiß nicht, wohin …."

"Okay. Wie steht's mit einem Arzt? Hast du Bauchschmerzen oder ist dir schwindlig?"

"Mir geht's gut."

"Na gut. Also ich esse jetzt was. Sicher dass du nichts willst? Setzt dich wenigstens dazu, ja?"

"Na gut."

Er aß ein paar Blätter Salat, das war's. Als ich den Tisch abgeräumt hatte, fragte ich ihn:

"Willst du darüber reden, was gestern passiert ist?"

"Was gibt es da zu reden?"

"Diese Idioten haben dich zusammengeschlagen und sie haben Dinge gesagt …."

"Und weiter? Willst du jetzt wissen, ob sie stimmen? Willst du wissen, ob du deine Zeit mit einer Schwuchtel verschwendest?"

Wo nahm er denn die plötzliche Energie her?

"Das ist mir egal. Ich wollte nur wissen, wie es dir jetzt geht."

"Was denkst du, wie es mir geht? Du hast doch keine Ahnung."

Die Tür ging auf und Brian und Damian kamen herein.

"Sieh an Jordan, ist das deine neue Eroberung? Bin ich froh, dass du dich wieder auf Kerle verlegt hast."

"Ach Damian, bist du etwa ein Einzelkind? Mit dem Teilen hast du's jedenfalls nicht."

"Wir lassen euch auch schon wieder alleine, Brian hat nur seinen Geldbeutel liegen gelassen."

Und schon waren sie wieder weg.

"Also, wo waren wir gerade …?"

"Du bist schwul?!"

"Ja. Überrascht dich das?"

"Äh … ja!"

"Bist du schwul?"

"Ich weiß nicht … alle denken dass ich schwul bin. Ich bin mir nicht sicher …."

"Wie alt bist du, ganz ehrlich?"

"17"

"Wissen deine Eltern, wo du bist?"

"Keine Ahnung, wahrscheinlich können sie es sich denken …."

"Ruf sie bitte an."

"Wozu denn?"

"Damit sie sich keine Sorgen machen …."

"Ich weiß nicht …."

"Warum bist du weggelaufen? Schlagen sie dich?"

"Nein, nichts in der Richtung …."

"Dann ruf an. Sie machen sich bestimmt Sorgen."

So war es dann auch. Wenig später setzte ich Xander in einen Bus nach Hause. Man, war ich alt geworden. Xander gab mir zu denken.

Am Abend klingelte das Telefon. Josh war dran und bedankte sich für das Geschenk, das ich ihm zum sechsten Geburtstag geschickt hatte und erzählte mir den neusten Klatsch aus der Vorschule.

Am Freitag drauf hatten wir wieder einen Gig in dem Verbindungshaus, wo ich Sean im Dezember getroffen hatte. Ich hatte schon ewig nicht mehr an ihn gedacht, aber irgendwie hoffte ich, er wäre da. Ich wurde enttäuscht. Ich trank überdurchschnittlich viel an diesem Abend und knutschte mit einer Blondine rum, die mich aber nach einer halben Stunde stehen ließ, weil ihre Freundin über der Kloschüssel hing.

Ein ziemlich hübsches Mädchen mit braunen Locken schaute auffällig oft zu mir rüber. Ich beschloss 'Hallo' zu sagen.

"Hey. Ich bin Jordan."

"Hey, ja, ich weiß. Du bist der Sänger von Summerskin."

"Ja. Hat's dir gefallen?"

"Ich mag die Covers. Aber eure eigenen Songs sind größtenteils so … verwirrend."

"Ja, ich weiß was du meinst. Kann ich dir einen Drink holen?"

"Ich glaube, ich trink erst mal den hier aus, aber danke. Also, wer schreibt eure Songs?"

"Die meisten sind Gemeinschaftswerke."

"Ich mochte den einen darüber, wie man man selbst sein muss, um Glück zu finden."

"Der ist Größtenteils von mir."

"Echt? Oder sagst du das jetzt bloß, um mir zu imponieren?"

"Hehe, nein, das stimmt tatsächlich."

"Was hat dich inspiriert?"

"Eine vergangene Liebe, so wie meistens."

"Ja, die Liebe kann einem Kraft geben, aber sie kann einen auch zerstören."

"Wohl wahr."

"Mein bester Freund, zum Beispiel. Seit einem Jahr trauert er jemandem hinterher."

"Wirklich? Naja, vielleicht sollte er sein Glück nochmal versuchen …."

"Das sag ich ihm auch andauernd. Aber er hat damals Schluss gemacht und jetzt hat die Person einen Neuen."

"Ja, so was passiert … tut mir leid, wie heißt du nochmal?"

"Patricia"

"Naja, Patricia, ich denke, dein Freund sollte sein Glück trotzdem versuchen, er hat ja nichts zu verlieren, oder?"

"Ich werd es Sean ausrichten."

"Was? Was hast du gesagt?"

"Tut mir leid, ich hätte dir gleich sagen sollen, wer ich bin. Ich studiere mit Sean, wir sind befreundet."

"Oh …."

Da kam meine Blondine wieder.

"Hey, hast du dir so schnell Ersatz gesucht? Das kann ich aber nicht zulassen."

Sie schob mir ihre Zunge in den Hals, nicht dass ich mich darüber beschweren wollte, aber es war eben sehr schlechtes Timing ….

"Hör mal. Ehm …."

"Donna."

" … Donna. Es tut mir leid, aber ich hab hier noch was zu besprechen. Vielleicht können wir uns ja in zehn Minuten am Ausgang treffen, was meinst du?"

"Na schön, hey, du hast doch Gummis, oder? Sonst besorg ich noch welche."

"Ich hab welche."

"Cool, also dann, bis nachher."

Patricia machte große Augen.

"Das ist aber nicht Vince."

"Gut beobachtet. Vince lebt jetzt in New York."

"Was? Seit wann?"

"Seit ein paar Wochen. Du bist also Seans Freundin?"

"Seine beste Freundin, nicht seine Freundin."

"Seltsam, du bist sein Typ. Du siehst Sarah ähnlich."

"Nein, du bist sein Typ."

"Das sah er anders …."

"Was ich vorhin gesagt habe, stimmt. Er vermisst dich sehr. Ich höre von ihm, seit wir uns kennen, nichts anderes."

"Warum erzählst du mir das?"

"Weil er denkt, er hätte eh keine Chance mehr und lieber in seiner Traurigkeit untergeht, bevor er sich aufrafft und dir klipp und klar sagt, was er fühlt und was er will."

"Und was erwartest du jetzt von mir?"

"Ich weiß nicht, vielleicht könntest du dich ja einfach mal bei ihm melden. Ihm geht es wirklich schlecht."

"Nicht so schlecht wie mir, als er mich beschissen hat."

"Ich weiß, er hat mir das alles erzählt. Aber kannst du ihn nicht verstehen? Würde es dich nicht total verunsichern, wenn du erfahren würdest, dass der Mensch, den du liebst, eine psychische Erkrankung hat?"

"Was? Wovon redest du eigentlich?"

"Na von BPS, das wurde doch bei dir diagnostiziert …."

"Borderline? Wo hast du denn das her?"

"Sean hat gesagt, dass dieser Dr. Nelson …."

"Ja, der wollte das gerne sehen. Aber für eine klare Diagnose hat das nie gereicht. In meinem Arztbrief steht nichts von BPS. Ich hab eine Weile Antidepressiva geschluckt, aber das war's."

"Ach so? Irgendwie hat Sean das anders erzählt …."

"Moment … Ist er deshalb damals so ausgetickt? Es war gar nicht das, was ich auf dem Parkplatz gesagt habe, oder?"

"Vielleicht solltest du mit ihm mal darüber reden …."

"Verdammt, warum hat er mich denn nicht einfach danach gefragt?"

"Ich glaub echt, dass du ihn das mal fragen solltest. Hör mal, Jordan, ich mach mir echt Sorgen um ihn. Er hat eine Weile immer ganz schlecht geschlafen und jetzt schläft er plötzlich teilweise elf Stunden. Ich glaube, er nimmt Schlaftabletten. Und wenn ich ihn überraschend besuche, seh ich manchmal, dass er geweint hat."

"Hört sich nach einer Depression an. Geht er zum Arzt?"

"Nein, davon will er gar nichts wissen. Er behauptet, es sei alles wegen eurer Trennung."

"Aber das war vor einem Jahr!"

"Ja und es wurde auch immer schlimmer in letzter Zeit."

"Aber was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht wieder mit ihm zusammen sein, nur damit es ihm besser geht."

"Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht könntest du ihm einfach ein Freund sein. Er hat hier nicht so viele Leute."

"Okay, ich schau mal. Hör mal ich muss langsam los. Ich will …äh …."

"Donna!"

"Genau. Ich will Donna nicht warten lassen. Also, wir sehen uns …."

"Oh Mann, du bist echt gar nicht so, wie Sean dich beschrieben hat."

"So? Tja, tut mir leid, aber im Moment hab ich einfach keinen Bock auf so eine komplizierte Scheiße. Vince ist grad mal seit ein paar Wochen weg. Wenn hier jemand depri sein darf, dann ich. Und jetzt geh ich Spaß haben."

Ich ließ sie stehen. Ich würde bestimmt nicht anfangen, mich vor Wildfremden über meine Beziehungen zu rechtfertigen.

Donna wartete schon.

"Hey, können wir los?"

"Sicher. Wie schaut's bei dir aus? Hast du eine eigene Wohnung?"

"Ich wohne mit zwei Freundinnen zusammen und heut ist es da ungünstig. Können wir nicht zu dir gehen?"

"Doch, unter den Umständen, klar. Dann müssen wir zum Nachtbus, oder 20 Minuten zu Fuß."

"Lass uns doch gehen. Ich hätte Lust auf einen kleinen Spaziergang, …."

"Gut. Dann hier entlang."

Sie hakte sich unter.

"Also, Jordan … versteh mich nicht falsch, ich will die Sache nicht unnötig kompliziert machen, aber vielleicht könntest du mir ja ein wenig über dich erzählen."

"Okay, was willst du denn wissen?"

"Woher kommst du zum Beispiel?"

"Glendale. Nicht das hier, sondern das bei Phoenix."

"Und wie lang bist du schon in L.A.?"

"Seit letztem Sommer."

"Und seitdem gibt's die Band?"

"Ja, genau."

"Dafür spielt ihr schon große Gigs. Ich hab euch schon ein paarmal gehört. Ihr seid gut."

"Dankeschön. Aber jetzt darf ich mal was fragen."

"Okay …?"

"Wie alt bist du?"

"Warum, hast du Angst, dass du dich strafbar machst? Keine Sorge. Ich bin schon durchs College und studiere jetzt."

"Echt? Was denn?"

"Immer wenn ich das jemandem erzähle, redet Derjenige nicht mehr richtig mit mir …."

"Häh? … Ah, Psychologie, hm?"

"Ja … das hast du aber schnell rausgefunden."

"Ja, ich kenn ja genügend."

Ich biss mir auf die Zunge.

"Bist du in Behandlung?"

"Ich glaub, langsam macht es uns dieses Gespräch unmöglich, unverbindlichen Sex zu haben."

"Du hast Recht, tut mir leid, es geht mich nichts an. Lass uns über was anderes reden. Eure Musik. Ich liebe eure Songs und wie du diesen einen gesungen hast, den etwas ruhigeren, als würdest du tatsächlich gerade Jemanden, den du sehr liebst erklären, dass ihr nicht zusammen sein könnt und niemand was dafür kann …."

" … Ich glaub, ich kann heute mit niemandem schlafen."

"Was? Hab ich was Falsches gesagt? Oder geht es um das Mädchen vorher?"

"Nein, … also irgendwie schon."

"Wart ihr mal zusammen?"

"Nein! Nein, ich hab sie heute erst kennengelernt."

"Dann versteh ich das nicht …."

"Tut mir leid. Ich bring dich nach Hause, wenn du willst."

"Meine Freundinnen sind ohne mich gefahren und jetzt geht auch kein Bus mehr. Jordan, ich finde, ich hab eine Erklärung verdient."

"Ja, du hast Recht. Dieses Mädchen, Patricia, sie hat mir etwas erzählt. Und wenn ich das schon vor einem Jahr gewusst hätte, dann wäre mein ganzes Leben anders verlaufen. Damals hätte mir nichts Besseres passieren können, aber jetzt mag ich mein Leben eigentlich, so wie es ist."

"Na dann lass einfach alles so, wie es ist."

"Ja, aber … jemand Anderem geht es deshalb sehr schlecht. Ich hab eine Verantwortung, glaub ich …."

"Es geht also um eine Ex-Freundin und darum, warum ihr euch getrennt habt. Und jetzt will sie dich wieder haben und heute hast du rausgefunden, dass der Grund für die Trennung ein Missverständnis war?"

"Ja, so kann man es wohl sagen."

"Du bist zu nichts verpflichtet."

"Ich weiß nicht. Es war nicht irgendeine Beziehung. Wir haben uns wirklich geliebt und ich hab danach gleich jemand Neues kennengelernt und war … in einer Klinik. Ich hab nie so recht einen Abschluss gefunden."

"Du liebst sie also noch?"

"Ich weiß nicht, ob Liebe allein reicht. Dieses Missverständnis war ja nicht ganz unbegründet. Ich war in einer Klinik und mir ging es echt schlecht. So was ist schwer für die Menschen, die einen lieben."

"Ja natürlich, aber es war doch nicht deine Schuld."

"Naja, ich hätte früher was tun können … ich hab es kommen sehen, es war ja nicht das erste mal."

"Trotzdem. Das darf dir nicht zur Last gelegt werden."

"Ich muss die Adresse rausfinden."

"Was?"

"Ich hab nur eine Telefonnummer."

"Öhm, Auskunft anrufen? Da vorne ist eine Telefonzelle. Aber was hast du denn vor? Willst du wirklich heute noch so eine Entscheidung treffen? Wart doch ab, bis du wieder nüchtern bist …."

"Ich weiß schon, was ich tue."

Von der Auskunft bekam ich tatsächlich die Adresse.

"Die Straße kenn ich. Das ist die dritte oder vierte Querstraße in die Richtung. Willst du da jetzt echt hin? Es ist fast Eins."

"Ja, jetzt. Ich kenn mich. Wenn ich nicht gleich hingehe, mach ich es nie."

"Und was hast du dann vor?"

"Ein Freund sein. Nicht mehr und nicht weniger."

Schnellen Schrittes schritt ich die Straße entlang, bis ich ein Straßenschild entdeckte. Die Hausnummer war noch ein Stück weiter. Ein Wohnblock. Es gab ungefähr 50 Klingelschilder. Die Tür war nicht abgeschlossen, ich suchte seinen Namen.

"Wie heißt sie denn?"

"Wittmore."

"Uh, hört sich nach reichem Elternhaus an. Hier, im fünften Stock. Soll ich klingeln?"

"Nein, lass uns oben klingeln."

Ich wurde nervös. Was machte ich da eigentlich? Er würde denken, dass ich wieder mit ihm zusammen sein wollte. Aber wenn es stimmte, was Patricia sagte, dann konnte ich es nicht einfach ignorieren. Jetzt war es eh zu spät um darüber nachzugrübeln. Oben drückte ich die Klingel und hörte schnell Schritte näher kommen. Ich versuchte mich zu entspannen und zu lächeln. Patricia riss die Tür auf.

"Jordan! Schnell, ich bekomm Sean nicht wach."

Sie zerrte mich ins Schlafzimmer. Sean lag auf dem Bett. Er schien zu schlafen.

"Sean? Wach auf."

Er reagierte, aber richtig wach wurde er nicht.

"Sean, verdammt! Stehen hier Pillen rum? Schaut in den Schubladen oder im Bad."

Donna fand ein verschreibungspflichtiges Schlafmittel. Viele Pillen waren nicht mehr übrig.

"Sean! Wie viele hast du genommen?"

Er regte sich und versuchte, mich davon abzuhalten, ihn zu schütteln.

"Reiß dich zusammen und sag mir, wie viele du genommen hast!"

"Mmmmh …zwei … oder drei."

"Was steht in der Packung? Wie viele soll man höchstens nehmen?"

"Hier steht was in Milligramm. Ah, nein hier … entspricht eineinhalb Dragees."

"Naja, das geht ja. Sean, komm schon. Hast du sicher nicht mehr genommen?"

Er schüttelte den Kopf.

" …bin doch nicht blöd …."

"Naja, Ansichtssache. Lassen wir ihn am besten einfach schlafen. Es sollte immer jemand bei ihm sein und seine Atmung überprüfen."

"Sollten wir nicht den Notarzt …."

"Nein. Wenn er an den falschen Arzt gerät, wird im das als Suizidversuch gedeutet und dann hat er ein echtes Problem. Er ist ja ansprechbar und ich kenn die Pillen. Wenn er die schon über ein paar Monate genommen hat, dann sind drei davon gar nichts. Vermutlich hat er Alkohol dazu getrunken. Er wird morgen einen dicken Kopf haben. Nichts weiter."

"Ich weiß nicht, Jordan … vielleicht sollten wir doch …."

"Nein, sag ich. Ich übernehme die Verantwortung. Du kannst gerne gehen."

Sie ging nicht und blieb als Erste bei Sean. Donna und ich legten uns im Wohnzimmer ein paar Decken auf den Boden.

"Du hast das Richtige getan."

"Ich hoffe es."

"Bist du okay?"

"Ich hab ganz schön Angst bekommen."

"Gut dass du unbedingt hierher wolltest."

"Ja. Ich will gar nicht drüber nachdenken. Am Montag hätte ich ihn in einer geschlossenen Psychiatrie besuchen können."

"Ihm wird es morgen ganz schön dreckig gehen, ich kenn das aus eigener Erfahrung."

"Ja, ich auch. Aber vielleicht überlegt er sich's dann nächstes Mal, bevor er Alk und Pillen mischt."

"Hat das dich jemals abgehalten?"

"Nicht wirklich."

"Was hat dich abgehalten?"

"Sean."

"Du hast die ganze Zeit von ihm gesprochen, oder?"

"Ja. Wir waren eine Weile zusammen."

"Ich denke, jetzt musst du ihn abhalten."

"Ich hätte nie gedacht, dass er der Typ für so was ist. Eigentlich denkt er immer erst über alles zehn Mal nach."

"Dann geht es ihm wohl wirklich schlecht."

"Vielleicht."

"Wir sollten ein bisschen schlafen."

Gegen Acht weckte mich Donna.

"Du bist jetzt dran. Er hat bisher ganz normal geschlafen."

Ich setzte mich zu Sean ans Bett und beobachtete seinen Brustkorb dabei, wie er sich langsam hob und senkte. Ewig saß ich so da und prägte mir seine Gesichtszüge ein. Er sah irgendwie traurig aus, selbst im Schlaf. Es war schon längst hell draußen, man hörte Vögel zwitschern. Um halb Zehn beschloss ich, dass die Gefahr vorbei war. Ich war hundemüde und der Boden war ja nicht gerade bequem gewesen. Ich legte mich neben Sean und betrachtete ihn weiter. Vor ziemlich genau einem Jahr war ich in der Klinik. Ich schaute auf die Narben an meiner Hand. Seitdem war so viel passiert. Ich fühlte mich gesund. Vielleicht, wenn er sich dazu entschließen würde, allen ehrlich zu sagen, was zwischen uns war und sich offen mit mir zeigen könnte … Ich verwarf den Gedanken wieder. Vince war erst seit drei Wochen weg. Ich musste erst mal lernen auf mich selbst aufzupassen, bevor ich mich um Sean kümmern konnte. Und das brauchte er jetzt, jemand, der sich um ihn kümmert. Er drehte sich um und schmiegte sich, wie zufällig, ganz eng an mich. Eine angenehme Wärme ging von ihm aus. Ich legte meinen Arm um ihn, so war es bequemer und schlief ein.

Als ich aufwachte, nahm ich als erstes war, dass ich Sean im Arm hatte und seine Hand auf meinem Bauch lag. Er schlief noch immer und schaute so zufrieden aus. Patricia schlich ins Zimmer. Sie schaute kurz verwundert, aber ich gab dem Impuls, meinen Arm wegzuziehen, nicht nach.

"Morgen."

"Morgen. War er schon mal wach?"

"Nein, noch nicht."

"Wie geht's dir?"

"Das hier ist seltsam."

Ich rappelte mich nun doch auf und kroch aus dem Bett. Wir gingen in die Küchennische.

"Willst du was essen?"

"Nein, aber Kaffee wäre toll."

"Ich hab schon welchen gemacht. Hier."

"Du scheinst dich in der Küche gut auszukennen."

"Ich bin hier oft zum essen."

"Kocht er immer noch ständig?"

"Allerdings und zwar die ausgefallensten Sachen."

"Ihr seid gute Freunde, oder?"

"Ja, sehr gute."

"Warum ziehst du nicht hier ein? Platz genug ist doch."

"Aber nur ein Schlafzimmer …."

"Und was ist das da hinten für eine Tür?"

"So eine Art Büro, zu klein für ein Schlafzimmer."

"Er sollte jedenfalls nicht allein leben."

"Das sag ich ihm auch ständig. Eine WG wäre ideal und auch viel billiger."

"Aber?"

"Sein Vater will, dass er sich aufs Lernen konzentrieren kann."

"Natürlich."

Wir saßen eine Weile schweigend über unserem Kaffee. Irgendwann meinte sie:

"Willst du nicht wissen, was aus Donna geworden ist?!"

"Oh, doch, klar. Hat sie ihre Nummer da gelassen?"

"Ja. Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass dieses Mädchen stundenlang neben Sean gesessen hat, damit du noch eine Weile schlafen kannst? Das alles hier ging sie eigentlich nichts an, sie hätte einfach gehen können. Das solltest du echt zu schätzen wissen."

"Ja, danke für die Belehrung, aber das ist mir durchaus klar."

"Deshalb hast du auch nicht mal nach ihr gefragt …."

"Ich bin doch kaum wach! Nach dem Kaffee wäre es mir schon noch aufgefallen. Ich hab nen Kater, also bitte mach nicht mehr Stress als nötig, okay? Sei froh, dass ich gestern überhaupt vorbeigekommen bin."

Ich konnte sehen, dass ihr eine wüste Beschimpfung auf der Zunge lag, aber die Schlafzimmertür ging auf. Sean rieb sich verschlafen die Augen und streckte sich. Erst danach bemerkte er uns.

"Was zum … Jordan?! Wie kommst du denn hier her?"

"Kannst du dich nicht mehr erinnern?"

Er schüttelte den Kopf und stapfte zu uns herüber.

Patricia fragte:

"Wie fühlst du dich?"

"Als hätte ich eine Flasche Wodka intus."

"Und was hast du tatsächlich getrunken?"

Die verhielten sich wie ein altes Ehepaar, da hielt ich mich besser raus.

"Ein paar Gläser Wein …."

"Selbst Schuld, wenn du danach Schlaftabletten einnimmst."

"Ja, ich weiß, aber sonst kann ich nicht abschalten."

"Sean, du weißt, dass du auf dem besten Weg in eine Sucht bist."

"Übertreib mal nicht. Ich hab das schon unter Kontrolle."

Patricia platzte der Kragen.

"Hör dich mal selber reden! Das ist doch wie aus dem Lehrbuch! Du brauchst Hilfe! Du musst zu einem Arzt!"

"Woher meinst du, dass er die Schlaftabletten hat?" mischte ich mich dann doch ein.

"Halt du dich da raus!"

"Hey, du wolltest, dass ich hierher komme, jetzt bin ich da, also mische ich mich auch ein."

"Wenn ich gewusst hätte, was für ein Idiot …."

"Moment! Könntet ihr mir jetzt mal erklären, was ihr überhaupt in meiner Wohnung macht?!"

"Na ich wollte dir gestern noch von meinem Abend erzählen. Ich hab meinen Schlüssel benutzt, um dich nicht aufzuwecken, falls du schon schläfst. Als ich ins Schlafzimmer geschaut habe, bin ich gestolpert und du hast nicht einen Mucks gemacht. Das kam mir komisch vor. Ich hab versucht, dich aufzuwecken, aber das ging nicht. Dann hat Jordan geklingelt."

"Okay und warum das?"

"Weil sie mich gestern nach dem Auftritt drum gebeten hat, mal bei dir vorbeizukommen."

"Du hast was? Du hast gar nicht gesagt, dass du zu Summerskin gehst!"

"Ich wollte ihn mir nochmal aus der Nähe betrachten. Und er hat mich angesprochen. Irgendwie hat sich das Gespräch von ganz alleine entwickelt …."

"Ich glaub ich muss …."

Sean schaffte es gerade noch so zur Kloschüssel. Nach einer Weile ging ich zu ihm und tätschelte seinen Rücken.

"Kommt noch mehr?"

"Ich glaub nicht."

"Na dann komm, stell dich erst mal unter die Dusche."

Ich half ihm beim aufstehen und zog ihm sein T-Shirt über den Kopf. Dann besann ich mich darauf, Abstand zu halten.

"Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich."

"Danke."

"Schon gut."


Sean

Ich fand, wie so oft, keine Ruhe, also machte ich eine Flasche Wein auf. Als die leer war und meine Gedanken immer noch nicht aufgehört hatten, sich um die Reaktion meiner Mutter zu drehen, beschloss ich mal wieder zu Pillen zu greifen. Schon kurz nach Neujahr war ich wegen meiner Schlaflosigkeit zu einem Arzt gegangen. Unter der Woche war ich müde genug, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu finden, aber am Wochenende brauchte ich die Pillen. Ich bemerkte, dass eine schon kaum noch half, also nahm ich dieses Mal 2. In Verbindung mit dem Alkohol würde das auf jeden Fall reichen. Innerhalb von wenigen Minuten schlief ich ein. Ich hatte einen seltsamen Traum. Patricia kam darin vor, aber vor allem Jordan. Ich träumte, er läge neben mir, hielte mich im Arm, so wie früher. Ich war fast enttäuscht, als ich alleine aufwachte. Mein Kopf tat höllisch weh und mein Magen verkrampfte sich. Aber das war mir der erste tiefe Schlaf diese Woche wert. Ich torkelte aus dem Schlafzimmer und traute meinen Augen nicht.

Jordan verhielt sich wie früher. Seine Berührungen waren so vertraut. Er zog mir mein T-Shirt aus, dann schien ihm die Spannung plötzlich auch aufzufallen und schon war er aus dem Bad verschwunden. Verdammt, auf solche Spielchen hatte ich echt keine Lust. Ich duschte erst mal. Dann fiel mir auf, dass alle großen Handtücher in der Wäsche waren. Ich hatte die Wahl, die alten, versifften Klamotten wieder anzuziehen, oder mir notdürftig ein kleines Handtuch um die Hüfte zu wickeln.


Jordan

Ich wartete mit der stinksauren Patricia im Wohnzimmer. Ein paar Minuten später kam Sean, nur mit einem kleinen Handtuch bedeckt, heraus, was sie dazu brachte, verschämt auf den Boden zu starren. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er sah wirklich gut aus.


Sean

Als ich Jordans Blick sah, bereute ich meine Entscheidung, nicht wieder die alten Klamotten anzuziehen. Ich wollte nur auf dem schnellsten Weg ins Schlafzimmer zu meinem Kleiderschrank. Ich zog das erste an, das ich fand und dann ging ich schnell wieder nach draußen. Jordan stand tatsächlich in meiner Wohnung. So oft hatte ich mir das gewünscht. Ich musste dafür sorgen, dass er noch eine Weile blieb, deshalb fragte ich:

"Also, wollt ihr jetzt den ganzen Tag hier rumsitzen und Löcher in die Luft starren oder wollen wir was unternehmen?"

"Fühlst du dich dazu fit genug?"

"Vom Rumsitzen wird es jedenfalls auch nicht besser."

Jordan zögerte:

"Also ich müsste auch mal duschen und so …."

"Ja und dich abschminken …." meinte Patricia schnippisch.

Warum war sie so feindselig?

"Danke für den Hinweis, Patricia. Sean, ich nehme nicht an, dass du Make-Up-Entfernungstücher zu Hause hast?"

"Nein …."

"Dann fahr ich wohl nach Hause. Wir wollten heute Nachmittag auch noch proben."

"Oh … okay."

Das war's dann wohl …Patricia redete in zischendem Tonfall. Ich hatte schon fast Angst, sie würde ihn vergraulen.

"Schmink dich halt mit irgendeiner Creme ab, das funktioniert doch genau so. Und die Probe wird ja nicht ewig dauern. Vielleicht können wir ja zuschauen."

"Ehm, ja, wenn ihr wollt. Klar …."

Ich war ihr so dankbar …

Jordan duschte, ich gab ihm Wäsche von mir. Natürlich bekam er die Shorts, die er schon immer von mir bekommen hatte. Während Patricia duschte, konnten wir uns kurz unterhalten. Das Shirt, das ich ihm gab, spannte an manchen Stellen. Er war so viel kräftiger geworden, im letzten Jahr, was ihm gut stand. Er hatte meinen Blick ohnehin schon bemerkt, also konnte ich es genauso gut ansprechen.

"Da könnte man ja fast neidisch werden."

"Ich tu eigentlich gar nichts mehr dafür, das hat sich irgendwie verselbstständigt."

"Naja, auf der Bühne musst du dich vermutlich auch ziemlich viel bewegen."

"Ja, das stimmt allerdings."

"Also, was wollt ihr denn jetzt machen? Wie lang noch bis zur Probe?"

"Keine Ahnung, wie spät ist es denn?"

"So Eins rum."

"Wir fangen meistens gegen Drei an. Um Sieben müssen wir los, um aufzubauen. Ein Bandcontest in Venice."

"Dann würde es sich vielleicht anbieten, noch was essen zu gehen."

"Du hast grad vor einer halben Stunde gekotzt und jetzt redest du von Essen?"

"Ich könnt schon was vertragen. Am besten irgendwas Ungesundes. Burger, oder so."

"Wie du willst. Du wolltest mich doch immer zu McDonalds zerren, heute ist der Tag."

"Dass ich das noch erleben darf!"

"Genieße es, denn so schnell wird das nicht wieder vorkommen."

Als Patricia fertig war, machten wir uns auf den Weg zur nächsten McDonalds-Filiale. Ich aß doch einiges, was die Anderen verwunderte. Patricia und Jordan schauten mir fassungslos dabei zu, wie ich zwei Big Macs verdrückte und danach noch Eis wollte.

"Wahnsinn! Wo isst du das denn alles hin?"

Dann drängte ich die Beiden weiter, um zu verhindern, dass Jordan sich doch noch abseilte.

"Wir haben noch eine Stunde. Was machen wir denn noch? Wollt ihr in den Park?"

"Klar, warum nicht?"

"Ich muss noch kurz für kleine Mädchen."

"Gut, wir warten draußen, dann kann ich noch eine rauchen."

Das hatte er also immer noch nicht aufgegeben. Aber Jordan hatte ein gutes Argument:

"Hey, ich war mit dir bei McDonalds. Eigentlich solltest du dafür mit mir rauchen. Das ist bestimmt auch nicht ungesünder."

Darauf konnte ich nicht wirklich was erwidern.


Jordan

Draußen steckte ich mir die Zigarette an. Sean nahm sie mir aus dem Mund, ich dachte, um sie auszudrücken, aber stattdessen zog er daran. Ich konnte sehen, wie er sich das Husten verkniff.

"Bah, immer noch widerlich, genau wie damals als ich 13 war. Hier."

"Ich weiß, aber mit der Zeit schmeckt es immer besser."

"Warum fangen die Menschen dann überhaupt damit an?"

"Gehirnwäsche durch Werbung, vermute ich."

"Ja, da könntest du Recht haben. Jordan, darf ich dir etwas zeigen?"

"Klar."

Er nahm mit seiner rechten meine linke Hand. Menschen gingen an uns vorbei und warfen uns die üblichen irritierten Blicke zu. Sean schaute mir fest in die Augen.

"Ich bin bereit dazu, jeden wissen zu lassen, wer du für mich bist."

"Sean …."

"Nein, bitte triff die Entscheidung nicht so schnell. Wir sollten uns erst nochmal neu kennenlernen. Bist du damit einverstanden?"

"Ich denke schon."


Sean

Mein Herz hüpfte. Alles würde wieder gut werden. Als Patricia herauskam, spürte ich, wie Jordans Hand zuckte, aber ich hielt sie einfach fest.

"Hey ihr Zwei, wenn ihr den restlichen Tag lieber alleine …."

Jordan stieß viel zu schnell hervor:

"Nein! … Ich meine … nein, danke, aber ich muss mich nachher eh auf das Musikmachen konzentrieren."

Das war wie ein Schlag ins Gesicht.


Jordan

Natürlich ließ er daraufhin meine Hand los. Das gab mir ein schlechtes Gefühl, obwohl ich doch genau das gewollt hatte.

Danach spazierten wir noch eine halbe Stunde durch den Park. Sean und Patricia redeten über irgendwen aus der Uni und ich grübelte so vor mich hin. Ständig hatte ich eine Melodie im Kopf und war nicht sicher, ob ich sie kannte oder sie mir gerade ausgedacht hatte.

"Ich glaub wir sollten langsam los."

Patricia fuhr und um kurz nach Drei kamen wir in die Garage von Brian's und Kev's Eltern. Die Anderen waren schon da und diskutierten, wie öfter in letzter Zeit, über das Mieten eines richtigen Proberaumes. Ich stellte Sean und Patricia beiläufig vor und sie verzogen sich auf die Couch, auf der Becca bereits Platz genommen hatte.


Sean

Beim Spaziergang durch den Park redete ich nur mit Patricia, aber Jordan schien gar nicht zu merken, dass ich ihn ignorierte. Bei der Probe unterhielt ich mich flüchtig mit Becca, aber sie fragte nicht, woher ich Jordan kenne. Die Band war gut, wirklich gut. Jordan sang mit so viel Herzblut. Einfach so, aus dem Stand.


Jordan

Die nächsten zwei Stunden dachte ich an nichts außer die Musik, bis Damian meinte, er wolle meinen Schnulz-Song nochmal durchgehen.

"Heute nicht."

"Aber der läuft bei Auftritten noch nicht richtig und heute Abend wollen wir ihn auch spielen."

"Trotzdem, heute nicht. Ich hab jetzt keinen Bock auf den Song."

"Was zickst du denn plötzlich so rum?!"

Es wäre einfach zu viel gewesen, diesen Song jetzt vor Sean zu singen. Er würde sofort verstehen, dass er an ihn gerichtet war. Das ging jetzt einfach nicht, aber wie sollte ich das den Anderen begreiflich machen? Sie hatten keine Ahnung, wer Sean war. Aber da hatte ich Brian vergessen.

"Ich glaub es liegt an den Drums, dass der Song live nicht ideal ist. Aber ich denk ich hab's jetzt raus. Wir können also was spielen, das es dringender braucht."

Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu. Er nickte kaum merklich.

Um halb Sechs beendeten wir die Probe, um noch was essen zu können. Auch bei den Nudeln langte Sean kräftig zu. Danach räumten wir alles in den Transporter und fuhren mit drei Autos los. Ich fuhr mit Kev, da er noch was technisches besprechen wollte.

Beim Club angekommen, holten sich alle erst mal ein Bier, außer Sean und Patricia. Um halb Acht hatten wir aufgebaut und langsam trudelten die ersten Leute ein. Sean und Patricia hatten es sich an einem Tisch bequem gemacht.

"So, ich mach mich jetzt mal fertig für die Show."

"Kann ich zusehen?"

"Wenn ich mich umziehe?"

"Ich würde gern deine Verwandlung verfolgen. Außerdem hab ich dir schon tausend Mal beim Umziehen zugeschaut."

Mir fiel kein Grund ein, der dagegen sprach also nahm ich ihn mit.

"Du ziehst dich in der Besenkammer um?"

"Hier gibt es keine Garderobe. Zum schminken geh ich rüber auf die Toiletten."

"Lass mal deine Klamotten sehen."

"Nichts Besonderes. Eine Jeans mit Löchern. Ich piekse mich ständig an den Sicherheitsnadeln, aber ohne die fällt die Hose mittlerweile auseinander. Naja und ein Band-Shirt. Ich hab die Unterhose, die du mir gegeben hast, übrigens erkannt."

"Das dachte ich mir … Denkst du manchmal an damals, Jordan?"

"Ja, natürlich."

Er kam näher und legte seine Arme um mich, dann fuhr er mir durch die Haare, die mittlerweile an den Seiten wieder auf sechs Millimeter waren und in der Mitte noch aufgestellt werden mussten.

"Die Stoppeln fühlen sich lustig an. Früher waren deine Haare so lang dass du sie fast hinten zusammenmachen konntest. Ich find es jetzt besser."

"Danke."

Er trat wieder einen Schritt zurück.

"Na dann verwandle dich mal weiter."

Wir gingen zu den Toiletten, wo ich die Haare aufstellte und meine Augen schminkte. Außerdem tauschte ich den Augenbrauenring gegen einen Stecker in Stachel-Optik.

"Tut das eigentlich weh?"

"Beim Stechen natürlich schon, aber danach nicht mehr wirklich, es sei denn man bekommt eine Infektion, aber das konnte ich bisher vermeiden. Ich bin übrigens fertig."

"Sieht gut aus. Ganz anders."

"Ja, ich weiß."

"Darf ich dich was fragen?"

"Klar …."

"Du hast Vince den ganzen Tag nicht erwähnt. Und über Nacht warst du nicht zu Hause."

"Vince ist in New York. Wir mussten uns trennen, vor drei Wochen."

"Oh, das tut mir leid."

"Nein, tut es dir nicht."

"Doch, Jordan. Ich weiß dass er dir sehr viel bedeutet. Und ich weiß wie es ist, wenn man durch äußere Umstände von jemanden getrennt wird, den man liebt."

"Wir sollten irgendwann noch über ein paar Dinge reden, aber nicht jetzt, ich muss in 10 Minuten auf die Bühne."

Während des Auftritts sah ich Sean neben der Bühne stehen. Ich konnte nicht drum rum, er würde unseren Song hören. Es war der letzte Song vor der Zugabe. Ich spielte selbst Gitarre und sang gleichzeitig. Jedesmal fühlte ich mich sehr in den Song ein, aber diesmal ganz besonders. Vor allem nachdem ich erfahren hatte, dass es alles umsonst war, ein Missverständnis. Wenn wir nur darüber gesprochen hätten. Ich konnte nur manchmal einen Blick auf Sean werfen. Er schaute mich mit einem schwer zu deutenden Blick an. Zur Zugabe musste ich nochmal Vollgas geben, was mit meiner inneren Stimmung kaum zu vereinbaren war. Verdammt, mir fielen all die guten Gründe nicht mehr ein, die dagegen sprachen, es mit Sean nochmal zu versuchen.

Ich ging ihm und Patricia erst mal aus dem Weg, indem ich mich mit den Jungs über den Auftritt austauschte. Becca war begeistert von der Performance bei meinem Song. Brian schaute mich wissend an. Ich holte mir erst mal einen Doppelten und leerte ihn. Den nächsten ebenso. Dann ließ es sich nicht mehr vermeiden, dass ich zu ihm ging.

"Na ihr Zwei, hat es euch gefallen?"

"Klar, ihr wart toll."

Sean sagte nichts dazu. Jemand tippte mir auf die Schulter. Ein Mädchen, das ich letzte Woche kennengelernt hatte. Oh Mann, das würde keinen guten Eindruck machen.

"Oh, hey!"

Ich nahm sie etwas beiseite.

"Hallo Jordan. Guter Auftritt. Und dieser ruhige Song, das war wirklich bewegend. Um wen geht es darin?"

"Lustig, dass du das gerade jetzt fragst, denn die Person ist heute hier und es könnte sein, dass … jedenfalls kann ich heute leider nicht an letztes Mal anknüpfen, wenn du weißt was ich meine …."

"Oh, achso … na gut. Wir sehen uns bestimmt."

"Klar, du weißt, wo du mich finden kannst."

Und weg war sie. Ich atmete auf.

"Wer war denn das?"

"Das geht dich wirklich nichts an, Patty."

"Ich hasse Abkürzungen. Nenn mich bitte Patricia."

Langsam merkte ich den Alkohol. Ich brauchte frische Luft. Spontan krallte ich mir Sean und ging mit ihm nach draußen.

"Jordan, dieser Song …."

"Hat er dir gefallen? Ich hab ihn für dich geschrieben."

"Ja, das hab ich bemerkt. Ich hoffe du weißt, dass ich mittlerweile ich selbst sein will."

"Ja. Aber das war ja nicht der Hauptgrund für unsere Trennung. Ich weiß, dass du von der BPS gehört hast."

"Das … ja aber auch damit komme ich, denk ich, mittlerweile klar."

"Das musst du nicht. Nelson ist ein Arsch. Er wollte mich reinreiten und hat ständig nach Symptomen gesucht. Aber niemand sonst war seiner Ansicht. Du kannst meinen Arztbrief lesen. Depressionen, ja. Sucht, offensichtlich. Aber keine Borderline-Diagnose."

"Oh Mann … weißt du was das bedeutet? All das hätte nie passieren müssen! Ich hätte dich nur fragen müssen. Ich hab versucht diesen Idioten zu schützen. Und dabei hat er mir nicht mal die Wahrheit gesagt. Verdammt, warum hab ich dich nicht einfach gefragt?"

"Egal. Hauptsache wir Beide kennen jetzt die ganze Geschichte."

"Und wie geht es jetzt weiter?"

"Sean, ich glaube ich werde gleich deine Hand nehmen, dann werde ich dich ganz nah zu mir ziehen und dich küssen."

"Okay …."


Sean

Langsam kam er näher. Das war der Moment auf den ich so lang gewartet hatte. Er roch so gut und war so zärtlich. Endlich würde alles wieder gut werden. Ich hielt ihn endlich wieder im Arm und ließ ihn meinen Hals küssen, mein Gesicht, gleich auch meine Lippen.

"Tut mir leid, es geht nicht."


Jordan

Ich ließ mir Zeit, fuhr ihm durch die Haare, küsste seinen Hals, spürte seine Hände auf meinem Rücken. Ich dachte an unseren letzten Kuss, nachdem er mich gebeten hatte, zu ihm zu ziehen, Vince zu verlassen. Vince …nein, ich konnte das nicht. Kurz bevor unsere Münder sich berührten, wich ich aus und umarmte Sean stattdessen nur.

"Tut mir leid, es geht nicht."

Er trat einen Schritt zurück.


Sean

Das war doch pure Gemeinheit! Im letzten Moment gab er mir eine freundschaftliche Umarmung. Das war's. In diesem Moment machte es klick. Wenn ich ihn weiter so mit mir spielen ließe, dann wäre das mein Ende.

"Verdammt, Jordan!"

"Es tut mir leid, okay?!"

Mehr fiel ihm dazu nicht ein? Patricia hatte Recht, als sie mir gesagt hatte, er würde nicht die Lösung meiner Probleme sein, sondern sie nur noch schlimmer machen.

"Vergiss es!"

Weg! Ich musste endlich von ihm loskommen.

"Warte doch …."

Drinnen schnappte ich mir Patricia und unsere Sachen und richtete dem verwirrten Drummer aus, dass Jordan sich von mir fernhalten sollte. Patricia war toll. Sie hörte mir zu, verstand, tröstete mich. Ich hatte irgendwie endlich eingesehen, dass ich nicht mehr diese Spielchen spielen wollte. Ich wollte normal sein und dafür entschied ich mich jetzt.


Jordan

Er rauscht ab, wieder nach drinnen. Fuck. Das hatte ihn getroffen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, es soweit kommen zu lassen? Ich ging auch wieder rein. Er war nirgends zu sehen, genau so wenig wie Patricia. Brian kam auf mich zu.

"Hey, ich soll dir sagen, dass sie gefahren sind und …."

"Was noch?"

" …und dass du dich fernhalten sollst."

"Wer hat das gesagt? Patricia?"

"Nein, Sean. Kann ich was tun? Willst du reden?"

"Schon gut, ich brauch erst mal nen Drink. Was rauchst du da? Ist das Gras?"

"Pscht! Ja, aber nicht so laut."

"Ich würde mir keine Sorgen drüber machen, wer das hört, sondern wer es riecht. Darf ich?"

"Klar, hier …."

Ich nahm einen tiefen Zug und fühlte sofort diese angenehme Wärme überall in mir.

Lesemodus deaktivieren (?)