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Der dämonische Pianist

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Vorwort

Hallo Ihr Lieben. Ich weiß, ich habe lange nichts von mir hören lassen, aber die meisten wissen ja auch warum. Die AGA ist endlich überstanden und zur Feier gibt’s hier eine kleine neue Story von mir, bestehend aus zwei Teilen. Hoffentlich gefällt sie Euch, da es sonst nicht meine Art ist, reine Liebesgeschichten zu schreiben. Aber irgendwie ist es einfach so passiert. ^^ Für Feedback jeglicher Art bin ich wie immer offen. Und nun viel Spaß bei meiner Story. Liebe Grüße… Hyen

 

Der dämonische Pianist

Ich stand hier nun schon seit einer halben Stunde am Eingang eines großen Saals und lauschte den Klängen des jungen Pianisten, der brav für eine ganze Rentnerhorde spielte. Irgendwie klang das sogar richtig gut. Trotzdem wollte ich langsam weiter. Maike hatte gesagt, dass sie Punkt 18 Uhr an der Kasse des Hauses Feierabend machen würde. Nun war es schon 18:30 Uhr! Weiber. Wäre sie nicht meine beste Freundin, hätte ich mich längst verzogen. Ich hasse es zu warten. Aber was soll´s. Sie wollte sich halt etwas neben ihrem Studium verdienen, was ich ganz gut fand. Nur auf Vater Staats Kosten war auch blöd zu leben.

Eigentlich hatte ich das auch vor. Also neben meinem Chemiestudium Geld zu verdienen, nur hatte ich bisher nichts Passendes gefunden. Ich hatte keine Lust mich einengen zu lassen, weswegen die meisten Jobs schon durch mein Raster rutschten. Ich wollte während meines Studiums einfach mein Leben genießen. Pausenlos schuften würde ich danach noch lange genug.

Gegen den Türrahmen gelehnt lauschte ich weiter den Klängen des Klaviers, die nun langsam abebbten. Es wurde heftig applaudiert, manche standen sogar auf. Der junge Pianist erhob sich, trat vor den Flügel und verbeugte sich leicht vor der Menge. Er war bestimmt nicht älter als sechzehn, hatte seine schwarzen Haare stark zurück gegelt und einen schicken Anzug an. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Hoffentlich musste ich nie so steife Klamotten tragen. Lockere Shirts und Stoffhosen mit Seitentaschen an den Beinen passten besser zu mir.

Mein leicht spöttisches Lächeln erstarb allerdings sofort, als der junge Pianist mich direkt anblickte. Er starrte regelrecht zu mir hinüber, und ich konnte nur mit größer werdenden Augen zurück schauen. Tausend kleine Blitze jagten durch meinen Körper hindurch und machten jede Bewegung unmöglich. Meine Nackenhärchen stellten sich wie elektrisiert auf und mein Herz begann lautstark gegen meine Rippen zu schlagen. Zwar konnte ich die Augenfarbe des Jungen nicht erkennen, aber dieser unheimliche Blick durch seine schmalen Schlitze ließ mich erschauern.

„Da bin ich!“, rief mir auf einmal jemand von der Seite zu und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich glaubte indes an einem Herzinfarkt zu sterben.

„Was ist denn mit dir los? Sonst bist du doch auch nicht so schreckhaft“, grinste mich Maike belustigt an.

Leicht zitternd wandte ich meinen Kopf wieder der Bühne zu, doch der Pianist hatte diese bereits verlassen.

„Thilo?“ Verwirrt drehte ich mich zu meiner Freundin, die mich besorgt zu mustern begann.

„Lass uns gehen“, meinte ich nur und steuerte den Ausgang des kleinen Opernhauses an. Maike fragte nicht weiter nach, da sie wusste, dass ich nicht gerne über das sprach, was in mir vorging.

„Was hattest du eigentlich heute genau vor?“, fragte ich sie, um auf andere Gedanken zu kommen.

„Ich brauche ein Kleid für diese Benefizveranstaltung, auf die mich Markus am Wochenende mitnimmt.“

Ihr fragt euch jetzt sicher, warum Maike nicht einfach eine Freundin mitschleppt und mit ihr shoppen geht, schließlich ist das doch so ein Frauending. Die Wahrheit ist, dass Maike niemand anderes hatte. Ihr Medizinstudium nahm sie voll und ganz ein. Sie war einfach wie geschaffen für diesen Job, weswegen sie sich zweihundertprozentig reinhing. Dazu kam noch ihre Arbeit als Empfangsdame bei Konzerten im kleinen Opernhaus. Irgendwie war sie immer unterwegs.

Wir hatten uns nur zufällig kennen gelernt, weil unsere Fahrräder direkt vor der Uni kuscheln mussten. Sprich, sie ist mir mit voller Wucht in die Seite gefahren, und weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, wurde ich zu einem Cappu eingeladen, wo wir dann merkten, dass wir uns richtig gut verstanden. Wir lagen halt auf einer Wellenlänge. Lustigerweise war sie nicht mein Typ und ich nicht ihrer. Ich stand nicht unbedingt auf die megaschlanken Blondinen und sie nicht auf einen langhaarigen Kerl mit Ziegenbart. Und was passiert, wenn Männlein und Weiblein einander nicht anziehend finden? Stimmt! Sie werden die besten Freunde.

Wir beide liebten unser Studium, weswegen man uns recht oft an der Uni antraf. Entweder aßen wir zusammen in der Mensa zu Mittag oder wir hockten in der Bibliothek und arbeiteten an unseren Referaten. Markus hatte sie auf irgend so einer Veranstaltung „Rettet die was weiß ich“ kennen gelernt. Er studierte Jura, sah gut aus und hatte durch Papi auch genug Kohle. Eigentlich brauchte Maike gar nicht mehr zu schuften, aber sie lehnte es vehement ab, etwas von ihrem Freund anzunehmen. Markus war davon natürlich unheimlich beeindruckt.

So tänzelten die beiden seit einem halben Jahr zusammen auf jede Benefizgala (man muss sich ja schon mal einen Namen machen) und waren verliebt wie eh und je. Neidisch? Ich? Vielleicht ein ganz klein wenig. Wer wollte sich denn auch nicht verlieben? Ich gönnte es den beiden, schließlich war Maike meine beste Freundin, und Markus war auch okay.

Gerade als wir das kleine Opernhaus verließen und die wenigen Treppen davor hinabstiegen, klingelte Maikes Handy.

„Wenn man vom Teufel spricht“, meinte sie lächelnd, nachdem sie kurz auf das Display geschaut hatte. „Hey mein Schatz“, schnurrte sie auch schon durch den kleinen Kommunikationshelfer und entfernte sich zwei, drei Schritte von mir.

Ich seufzte theatralisch mit einem Grinsen und schlenderte ein wenig am Gebäude auf und ab. Das ganze würde jetzt mindestens zehn Minuten dauern. Echt schlimm, solche frisch Verliebten.

Wieder drifteten meine Gedanken ab. Auf eine Beziehung hätte ich auch mal wieder Lust. An die letzte konnte ich mich kaum noch erinnern. Ich wollte mich wieder verlieben. So richtig mit rosaroter Brille und Schmetterlingen im Bauch. Aber irgendwie war ich in der letzten Zeit durcheinander. Die Typen aus dem Basketballclub fand ich auf einmal gar nicht so übel und die Cheerleader wurden mir zu arrogant. Irgendwie warf mich das komplett aus der Bahn.

Ich schlenderte gerade an der Ecke des Hauses vorbei und wollte mich eben wieder umdrehen, als ich ein leises Klirren und dann jemanden fluchen hörte. Ich bog um die Ecke in die kleine Seitengasse ein und sah eine Frau, wie sie ihr Feuerzeug aufhob und vergebens versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden.

„Das ist aber ungesund“, sprach ich sie an, als ich meine Chemieprofessorin erkannte. Erschrocken sah sie auf.

„Oh Thilo, Sie hier.“ Nervös versuchte sie, den Glimmstängel wieder in die Packung zu schieben.

Meine Güte, ich hatte die Frau noch nie so hibbelig erlebt. Sonst war sie doch immer die Ruhe selbst! Ehrlich gesagt war sie die coolste Professorin, die ich kannte. Sie hatte Humor, sah gut aus (und das mit Ende dreißig!) und hatte echt was im Kopf, was sie super rüberzubringen verstand. Aus den langweiligsten Themen machte sie ein Spektakel.

Galant nahm ich ihr das Feuerzeug aus der Hand und klickte es mit einem Versuch an. Frau Schmidt atmete hilflos aus und zündete sich die Zigarette an.

„Danke. Eigentlich hatte ich ja aufgehört, aber immer wenn ich aufgeregt bin, kann ich’s einfach nicht lassen.“

„So wie Fingernägel kauen?“

Sie kicherte.

„Ja, so in der Art. Aber sagen Sie mal, was führt Sie in diese Gegend? Sagen Sie bloß, Sie haben ihre Liebe zur klassischen Musik gefunden?“

„Beim Himmel nein“, lachte ich. „Maike arbeitet hier. Ich hol sie nur ab.“

„Meinen Sie unsere schlaue Medizinstudentin? Respekt, dass sie nebenher noch arbeiten geht.“

Erwähnte ich schon, dass Maike absolut gut in ihrem Fach und deswegen an der ganzen Uni bekannt war?

„Da haben Sie Recht. Ich würde ja gerne ihrem Vorbild folgen, doch irgendwie habe ich bisher nichts Passendes für mich gefunden.“

Die Professorin fing an mich interessiert von der Seite her zu mustern.

„Aber das Geld könnten Sie schon gebrauchen, was?“

„Wer nicht?“

„Vielleicht hätte ich da was für Sie.“

Verwundert schaute ich sie an.

„Es ist so, dass mir bei der letzten Konferenz mein Kollege, Professor Regner, ständig in den Ohren lag, weil Sie angeblich so ein kleines Mathegenie wären, aber er Sie einfach nicht in seinen Kurs überreden konnte. Sie hatten ihn im letzten allgemeinen Test wohl ganz schön beeindruckt.“

Sie ließ ihre Worte ein paar Sekunden auf mich wirken bevor sie weiter sprach.

„Naja, mein Sohn schließt gerade die zehnte Klasse ab. Er hat ein paar Probleme mit Mathe. Nur stehen demnächst Prüfungen an, und da er im Anschluss vielleicht noch die Fachhochschule besuchen möchte, benötigt er ein gutes Abschlusszeugnis. Sie sehen, es ist enorm wichtig, dass er nicht zurückfällt.“

„Also soll ich dem kleinen Rabauken Nachhilfe in Mathe geben?!“, schlussfolgerte ich ihre Erklärungen, worauf sie nickte.

„Mindestens drei Mal die Woche je drei Stunden. Natürlich bezahlt. Ich würde sagen, zehn Euro die Stunde?“

Hm, das klang wirklich gut. Mathe war mir in die Wiege gelegt, also brauchte ich mich für diesen Job noch nicht mal groß anstrengen.

„Zwanzig Euro und ich mach’s.“

Frau Schmidt schaute mich erst groß an, weil ich mir doch echt erdreistete, die Entlohnung zu verdoppeln. Doch dann stahl sich ein kleines Grinsen auf ihre wohlgeformten Lippen.

„Zwölf Euro.“

„Achtzehn.“

„Fünfzehn.“

„Abgemacht!“ Beide schlugen wir auf unseren ‚Pakt‘ ein.

„Sie sind mir ja vielleicht ein hartnäckiger Verhandlungspartner“, lachte meine Professorin.

„Ich bin nur ein armer Student. Die professionellen Lehrer wären außerdem bestimmt doppelt so teuer“, scherzte ich, worauf sie nur abwinkte.

„Das auch. Aber mein kleiner Schatz kommt mit denen nicht klar. Vielleicht passt jemand jüngeres besser.“

Ich wollte schon fragen, wo genau seine Probleme lagen (mal davon abgesehen – wer weiß mit was für einem gestörten Kind ich es zu tun bekam), als ich meinen Namen rufen hörte. An der Ecke zur Gasse stand Maike und kam nun auf uns zu.

„Hier steckst du. Ich hab schon gedacht, du hättest mich sitzen lassen“, sagte sie vorwurfsvoll. „Oh, hallo Frau Professor Schmidt.“

„Hallo Maike. Okay Thilo. Hier ist meine Adresse. Ich würde sagen morgen 15 Uhr? Zwar muss ich dann gleich wieder weg zu einer Besprechung, aber mein Sohn ist ein kleiner Engel. Sie werden schon allein mit ihm klar kommen.“ Sie gab mir ihre Visitenkarte und verabschiedete sich von uns. Meine Professorin schnippte ihre Zigarette in den nächsten Gullydeckel und war dann in dem Seiteneingang des Hauses verschwunden, aus dem ich Maike abgeholt hatte.

Natürlich gab meine Freundin nicht eher Ruhe, bis ich ihr bis ins kleinste Detail erzählt hatte, was zwischen mir und Frau Schmidt vorgefallen war.

„Da erhofft sich wohl einer bessere Noten“, lachte sie als ich fertig war. Währenddessen spazierten wir Richtung Stadtzentrum, wo die Geschäfte bis 22 Uhr offen hatten.

Ich knuffte ihr nur in die Seite, womit das Thema vorerst beendet war, denn Maike hatte den ersten Klamottenladen entdeckt. Es sollten noch viiiiiiele mehr folgen. Frauen waren echt schlimm, wenn es ums Shoppen ging. Zu diesem Marathonlauf hätte ich mich freiwillig nie überreden lassen, doch ein megagroßes Sandwich von Subway mit zwölf Stück von den leckeren Cookies mit Schokostückchen hatte als Bestechung gereicht.

Blöder – oder aus ihrer Sicht schlauer – Weise gab es die Belohnung erst ganz am Schluss. Da war ich schon froh, dass wir nach einer halben Stunde das passende Kleid gefunden hatten, mussten dazu natürlich noch die passenden Schuhe her, der passende Haarschmuck, Kette, Armband, Ring, Tasche, Strapse, Unterwäsche. Gut, letzteres fand ich schon wieder lustig – und nein, das hat sie nicht anprobiert und mir vorgeführt. ;)

Selbst am nächsten Morgen taten mir noch meine Füße weh und ich fühlte mich schlapp. Okay, ein wenig lag es auch an meinem nächtlichen Traum, weswegen ich mich nicht ganz auf der Höhe befand. Die kalten Augen und der starre Blick des jungen Pianisten hatten mich bis in den Morgen verfolgt.

Den Tag hatte ich mehr schlecht als Recht mit meinem Studium über die Runden gebracht. Nun war es kurz vor 15 Uhr. Ich stand vor der Wohnung meiner Chemieprofessorin und betätigte die Klingel.

„Oh, Sie sind pünktlich. Fein, fein. Kommen Sie erstmal rein“, begrüße mich Frau Schmidt, und ich betrat den großen Flur der Eigentumswohnung.

Obwohl groß bei weitem untertrieben war. Der war riesig! Gleich neben der Tür machte er einen kleinen Knick und verlief nach hinten weiter, wo ich das Ende nicht sehen konnte. Nach vorne ging es bestimmt noch gute zehn Meter weiter und endete an einer Tür. Die Decke war über und über mit Stuck bedeckt und zu den Seiten gingen meist große Flügeltüren ab.

„Geradeaus liegt das Zimmer von meinem Sohn. Er weiß schon Bescheid“, holte mich meine Professorin aus meinem Erstaunen, während sie sich hektisch ein paar Ohrringe ansteckte und in ihre Pumps schlüpfte. „Ihr Geld liegt dort auf der Kommode. Sie können mir ja morgen sagen, ob Sie Lust haben weiter zu unterrichten oder nicht. So, ich muss los. Bin schon spät dran. Na dann. Viel Spaß“, verabschiedete sie sich und verschwand aus der Tür.

„Den werd ich haben“, meinte ich leise zu mir selbst.

Meine Güte, ich fühlte mich total allein gelassen auf diesem ‚Flur‘. Ich atmete tief durch und ging dann auf das Zimmer meines neuen Schülers zu. ‚Okay, drei mal sechs ist achtzehn, a² + b² = c² und der Kotangens eines Winkels ist gleich dem Längenverhältnis von Ankathete zur Gegenkathete. Jupp. Ich hab’s noch drauf.‘ Gestärkt von diesen Gedanken klopfte ich an die Tür des Jungen. Als sich nach einem zweiten Klopfen drinnen immer noch nichts rührte, machte ich die Tür langsam auf und trat ein Stück ein.

Das Zimmer war ziemlich dunkel eingerichtet. Gothicposter hingen an den Wänden, schwarze Möbel, Kerzen. Dann drehte ich mich nach rechts. Dort saß jemand an einem Rechner mit dem Rücken zu mir gewandt, dessen Monitor der einzige Lichtspender hier drinnen war. Er hatte über beide Ohren große Kopfhörer und wippte mit seinem Oberkörper zu einem Takt. Jetzt wusste ich erstmal, warum er mich nicht gehört hatte.

Ich wollte gerade auf ihn zugehen, um mich bemerkbar zu machen, als er mit seinem Stuhl zurück rollte, sich etwas zur Seite drehte und nach dem Regal griff, welches rechts von mir an der Wand stand. Er war mindestens genauso erschrocken wie ich, denn ich stolperte zwei Schritte nach hinten und er sprang von seinem Stuhl auf. Dabei riss er das Kabel der Kopfhörer aus seiner Anlage und laute Musik von Beseech dröhnte mit einem Mal durch den Raum.

Mit klopfendem Herzen und angehaltenen Atmen blickte ich in türkisfarbene, kalte Augen. ‚Moment mal. War das nicht der Pianist von gestern?‘ Die gleiche unheimliche Aura umgab ihn, ließ mich frösteln. Seine schwarzen Haare hatte er zu kleinen Stacheln nach oben gegelt, aus seinen vollen Lippen ragte rechts ein Piercing. Er trug ein kurzärmeliges, schwarzes Hemd, welches ihm bis kurz über die Hüfte reichte und vorne nicht zugeknöpft war. Ich hatte also einen freien Blick auf seinen flachen Oberkörper, sein Brustpiercing, seinen Bauch, wo ich ein leichtes Spiel der Muskeln erkennen konnte. Eine lockere schwarze Hose umschloss seine schmalen Hüften und Beine und er war barfuß. Wieder schossen kleine Blitze durch meinen Körper und ließen meine Haut wie unter Strom kribbeln.

„Bist du langsam fertig?“, fragte er mich gelangweilt und sah mich gefühllos an. Nur schwer schaffte ich es, meinen Mund zuzuklappen und schaute ihn verwirrt an.

„Ob du noch lange brauchst, mich anzustarren? Kannst auch gerne nen Foto haben. So für zu Hause“, redete er weiter, drehte sich ein Stück um und schaltete die Musik ab.

Ein wenig versetzt kapierte ich, was er da gerade genau gesagt hatte und was es bedeutete. Meine Wangen brannten heiß auf und ich wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham. Scheiße – das letzte Mal, als ich verlegen rot angelaufen war, war vor fünf Jahren, als ein Mädchen direkt anbot, mir einen zu blasen. Nun stand ich da mit meinen zwanzig Jahren und fühlte mich wieder wie ein Teenager in der Pubertät.

Der Junge warf sich in seinen großen Ledersessel und klickte an seinem PC rum. Mit wackligen Beinen setzte ich mich daneben auf einen kleineren, ledernen Hocker mit Rollen.

„Sorry, ich hatte nur gerade ein Déjà-vu. Gestern hab ich im kleinen Opernhaus einen Pianisten gesehen, der dir übel ähnlich sah“, versuchte ich mich zu erklären.

Mein neuer Schüler schaute mich mit einer hochgezogenen Braue an, sah kurz zur Seite und dann wieder zu mir. Verwundert folgte ich seinem Blick und erspähte schräg gegenüber der Tür an der Wand stehend ein großes Keyboard. Wieso war es hier drin auch alles so dunkel? Das war das zweite Mal an diesem Tag, dass meine Wangen aufbrannten und jedes Mal spürte ich, dass sie heißer wurden.

„Dann warst du das wirklich?“, schlussfolgerte ich unnütz, worauf mein Gegenüber nur erhaben nickte. „Jetzt weiß ich auch, warum deine Mom dort war. Du kannst übrigens richtig gut spielen. Ich war ehrlich beeindruckt.“

„Dort hat sie dich also aufgegabelt“, erwiderte er, schnaubte abfällig und schüttelte seinen hübschen Kopf. „Dieses lügnerische Geheuchel kannst du übrigens lassen.“

Ich zog meine Stirn kraus.

„Wie meinst du das jetzt?“

„So, wie ich es gesagt habe. Du standest die ganze Zeit gelangweilt am Eingang rum und hast zum Schluss noch nicht einmal die Muße gehabt, zu applaudieren. Weißt du, das macht man normalerweise am Ende eines Konzertes, wenn es einem gefallen hat. Du hast dich jedoch keinen Zentimeter bewegt. Konntest mich nur blöde angaffen. Genau wie vorhin.“

Moment Mal, was bildete sich dieser kleine Scheißer eigentlich ein? Der hatte doch überhaupt keine Ahnung, wie ich meiner Begeisterung Ausdruck verleihe. Der kannte mich gar nicht! Bei dem ganzen Gequatsche hatte der mich noch nicht mal angeschaut, nur weiterhin mit der Maus des PCs rumgeklickt. Ich war echt sauer.

„Vielleicht war ich ja so überwältigt, dass ich zu keiner Bewegung fähig war“, blaffte ich ihn an. Er drehte seinen Kopf zu mir und legte seine Stirn in Falten.

„Das glaube ich dir aber nicht.“

„Das ist mir scheißegal“, sagte ich ruhiger, worauf der Junge mich seltsam anschaute. Anscheinend wusste er jetzt nicht wirklich, wie er das auffassen sollte. Mir ging’s sonst wo vorbei, was er von mir dachte. Ich war hier, um ihm Mathe beizubringen und nicht, um mich mit ihm anzufreunden.

„Mach langsam den Rechner aus und gib mir deine Mathebücher. Ich muss mir noch einen Überblick verschaffen, was gerade behandelt wird“, lenkte ich auf das eigentliche Thema um.

Mein Schüler zog eine Schnute, griff nach dem dicken Buch, welches neben ihm lag und warf (ja warf!) es mir in den Schoß. Hätte ich es nicht rechtzeitig aufgefangen, hätte es böse geendet. Ich biss mir auf die Zunge und verkniff mir jeglichen Kommentar.

„Sagst du mir noch, auf welcher Seite ihr gerade seid?“, fragte ich so neutral wie nur möglich.

„Mann, woher soll ich das denn wissen?!“, maulte er genervt, machte aber nicht mal Anstalten, im Buch nachzusehen. Sein Verhalten ging mir tierisch auf die Nerven.

„Könntest du vielleicht gnädigerweise mal nachschauen?!“

„Könnte ich. Vielleicht. Wenn ich denn gnädig wäre.“

Bei mir brannten die Sicherungen durch. Auf so einen Scheiß hatte ich echt keine Lust. Ich knallte das Buch auf den Tisch, riss seinen Stuhl zu mir herum, stemmte beide Hände auf die Armlehnen und sah ihm tief in die Augen.

„Diese Kinderkacke kannst du bei jemand anderem abziehen, aber ich habe darauf absolut keinen Bock. Du wirst jetzt deinen beschissenen PC ausmachen, dir nen karierten Block und einen Stift nehmen und mit mir lernen. Kapiert!“, zischte ich wütend.

Der Kleine schaute mich aus großen Augen erschrocken an. Sein Atem ging etwas schneller und jeder Hauch, der meine Wange streifte, verursachte ein wohliges Kribbeln in meiner Magengegend.

„Von mir aus“, sagte er nun kleinlaut und wich meinem Blick aus. Ich verharrte vielleicht noch drei, vier Sekunden in dieser Position, bis ich mich schwer zurück auf meinen Hocker fallen ließ.

Ohne weitere Widerworte schaltete er das Deckenlicht ein, machte den PC aus und zeigte mir, was er üben musste. So saßen wir gut eineinhalb Stunden da und büffelten zusammen Mathe. Eigentlich fand ich den Stoff recht einfach, aber mir lag dieser Mist ja auch. Mein Schüler hörte mir aufmerksam zu und versuchte wirklich alles zu begreifen. Leider dachte er immer aus einer komplett anderen Richtung wie ich, weswegen wir anfangs oft aneinander vorbei redeten. Er war auch nicht dumm, was dieses Fach betraf. Er brauchte halt nur eine Erklärung länger. Nachdem wir gut die Hälfte der Zeit weg hatten, streckte ich mich wohlig, dass man ein paar Knochen knacken hörte.

„Was hältst du von einer kleinen Pause?“, bot ich ihm an.

„Sehr viel. Ich geh mir mal was zu trinken holen. Magst du auch was?“

Wow. Er konnte also auch nett sein.

„Gerne. Ist egal was, Hauptsache kein Wasser oder so nen gesundes Multivitaminzeugs.“

Seine Mundwinkel zucken etwas, dann stand er auf und ging zur Tür.

„Sag mal, wie heißt du eigentlich?“ Mir fiel erst jetzt auf, dass ich noch nicht mal seinen Namen kannte. Er wandte sich wieder zu mir um und schaute mich seltsam an.

„Lys“, antwortete er leise.

„Lys?“ Ich war mir echt nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte.

„Eigentlich Lysander, aber Lys reicht.“

„Okay. Ich bin Thilo.“

Jetzt lächelte er wirklich und nickte mir leicht zu. Dann verschwand er aus dem Zimmer. Ich atmete erstmal tief durch. Der Kleine hatte mich ganz schön aus dem Konzept gebracht. Vor allem gerade eben. Ich meine, wenn er eine Schnute zog oder seine Augen zusammenkniff, wenn er sich konzentrierte, dass sah schon unheimlich niedlich aus. Aber als er eben lächelte… Wow. Mein Herz hatte drei Purzelbäume auf einmal geschlagen.

Mo… Moment mal. Was dachte ich da eigentlich? Dieser ‚Lausebengel‘ mit seiner viel zu großen Klappe gefiel mir doch nicht wirklich. War das jetzt der endgültige Beweis, dass ich echt… schwul war? Wieso passiert auch immer mir so ein Scheiß?!

„Hey! Dein Glas!“

Ich war so dermaßen in Gedanken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Lys zurück ins Zimmer gekommen war und mir mindestens schon eine halbe Minute ein Glas Fanta unter die Nase hielt. Genialerweise war ich dermaßen erschrocken, dass ich aufsprang, auf einer Rolle des Hockers ausrutschte und mit wild fuchtelnden Armen nach hinten auf meinen Hintern fiel. Dabei stieß ich mir so übel meinen Kopf an dem dahinter stehenden Regal, dass ich für ein paar Sekunden Sterne sah.

Als ich wieder einigermaßen klar sehen konnte, erkannte ich einen genervt dreinschauenden Lysander. Bei meinem Rumgehample hatte ich ihm wohl fast ein Glas aus der Hand geschlagen, dessen Inhalt sich breitflächig über seinen Oberkörper verteilt hatte. Kopfschüttelnd stellte er beide Gläser ab, zog dann komplett sein Hemd aus, trocknete sich damit ab und tupfte die wenige Fanta vom Teppich.

„Du bist total tollpatschig, weißt du das?“, tadelte der Junge mich ruhig und schmiss sein Hemd in eine Wäschebox.

„Tschuldige“, sagte diesmal ich recht kleinlaut und betastete vorsichtig meinen Hinterkopf.

„Was soll's“, winkte er ab. „Sei bloß froh, dass die CDs hier nicht aus dem Regal geflogen sind.“

Lys stellte sich ziemlich dicht vor mir auf Zehenspitzen und schob die CDs wieder ganz zurück in das Regal, die durch die Erschütterung nach vorne gerutscht waren. Dass ich bei dieser Aktion sein bestes Stück genau vor meiner Nase hatte, störte ihn anscheinend weniger.

„Ja, da habe ich wohl echt Glück gehabt. So eine spitze CD-Hülle kann richtig weh tun“, stotterte ich stattdessen.

„So meinte ich das nicht. Diese CDs hier sind mir heilig. Ein Kratzer und du wärst tot.“ In diesem ruhigen Ton, wie er das sagte, merkte ich erst drei Sekunden später, wie bissig er das wirklich meinte.

„Oh, wie liebenswürdig. Mach dir mal nicht so viele Gedanken um meine Gesundheit“, zickte ich schwach. Das Ganze hatte echt weh getan!

„Mach ich nicht, keine Sorge.“

„Stimmt, so viel Mitgefühl hätte ich dir auch nicht zugetraut“. Grummelnd rappelte ich mich auf und ließ mich auf den Hocker fallen. „Du bis echt ein kleiner Giftpilz, weißt du das?“

Lys saß wieder in seinem Bürostuhl und grinste mich bei meinen letzten Worten breit an.

„Das merkst du jetzt erst?“

Nun musste auch ich lächeln. Beide hängten wir uns wieder zusammen über die Matheaufgaben und genossen die übrig gebliebene Fanta aus dem gleichen Glas. Das einzige, was mich ein wenig nervös machte, war der freie Oberkörper meines Schülers, der regelrecht danach schrie, von mir berührt zu werden.

Mal davon abgesehen, dass ich mich ein paar mal dabei ertappte, sein Brustpiercing anzustarren, wobei – wenn ich es denn bemerkte – meine Wangen heiß aufglühten und ich Schwierigkeiten hatte, wieder in den Stoff reinzufinden, den wir gerade büffelten. Ich betete nur, dass Lys nichts bemerkte.

Zum Schluss hatten wir die drei Stunden doch noch ganz gut rumgekriegt und relativ viel geschafft. Ich stand wieder vor der Haustür und zog mir meine Schuhe an, wobei Lysander mir an den Türrahmen gelehnt zuschaute.

„Du bist echt ein komischer Typ“, fing er an.

„Das sagst gerade du“, gab ich zurück.

„Mich hat noch nie jemand angeschnauzt und ist so einfach davon gekommen“, redete er weiter.

„Oh, dann kann ich mir wohl jetzt was drauf einbilden?“, fragte ich grinsend und band mir den zweiten Schuh zu. Dann stand ich auf und packte den Umschlag mit meinem verdienten Geld weg, den mir mein Schüler reichte.

„Eher auf deinen Hintern. Wäre der nicht so klein und knackig, hätte ich dir ein paar reingehauen. Also dann, wir sehen uns morgen“, sprach's und machte vor meiner Nase die Tür zu.

Ich stand noch gut zwei Minuten vor der geschlossenen Wohnungstür und starrte diese mit offenem Mund an. ‚Nein. Den letzten Satz hab ich mir nur eingebildet. Genau. Das wird’s sein. Ganz sicher.‘ Mit wackligen Beinen stieg ich die Treppen runter und ging nach Hause. Im Studentenwohnheim angekommen hängte ich mich noch ein wenig über mein Studium, räumte mein Zimmer auf, wusch meine dreckigen Klamotten im Waschsalon und versuchte mindestens zehn Mal Maike zu erreichen. Scheiße, war ich durcheinander und das alles wegen so einem… Kind!

Ich versuchte alles um mich irgendwie abzulenken, doch am Ende schweiften meine Gedanken wieder zu Lys, seinem süßen Mund, seinen zarten Oberkörper mit diesem sexy Brustpiercing… Shit!!! Was dachte ich da eigentlich?! Erneut versuchte ich Maike anzurufen, doch wieder ging sie nicht an ihr Handy. Mann, ich musste dringend mit jemandem darüber reden. Klar, ich hatte noch ein paar andere Freunde, aber mit denen konnte ich unmöglich über SOWAS sprechen. Wenn ich schon mein Gefühlschaos preisgeben sollte, dann nur gegenüber meiner besten Freundin.

Genervt holte ich meine Wäsche aus dem Trockner, packte sie einigermaßen ordentlich in meine große Reisetasche und trabte zurück ins Wohnheim. Am nächsten Morgen verpasste ich prompt die erste Lesung. Mitten im Halbschlaf musste ich wohl meinen Wecker ausgeschaltet haben, weswegen ich total verpennt hatte. Das kam halt davon, wenn man des Nachts von türkisfarbenen Augen verfolgt wurde und ein gepiercter Körper sich wollüstig an den eigenen presste. Von den anderen Lesungen bekam ich kaum was mit. Zwar versuchte ich krampfhaft wachzubleiben, trotzdem nickte ich immer wieder ein – zum Ärgernis meiner Professoren.

Punkt 15 Uhr stand ich vor der Tür meines (Alp-???) Traumes und betätigte die Klingel. Nur passierte gut zwei Minuten gar nichts. Erst beim zweiten Mal Leuten und längerem Drücken hörte ich drinnen jemanden rumstolpern und gedämpft „Ja Mann, bin ja schon da“ nörgeln. Als dann die Wohnungstür aufschwang, verschlug es mir für Sekunden die Sprache.

Im Rahmen stand ein total verschlafen ausschauender Lysander mit verwuschelten Haaren, Schlafabdrücke auf der Haut und nur in Boxershorts! Gott sah das widerlich niedlich aus und – was mich am meisten erschreckte – verdammt sexy.

„Scheiße bist du pünktlich“, meinte er, drehte sich um und ging auf sein Zimmer zu. Ich versuchte in der Zeit mein armes kleines Herz zu beruhigen, welches wie blöde gegen meine Brust trommelte.

„Du solltest nicht so viel fluchen“, quasselte ich, während ich mir meine Schuhe auszog, um meiner Gedanken wieder Herr zu werden.

„Ja ich weiß, sonst geht meine Bildung in Arsch“, kam lahm von ihm zurück.

Als ich in sein Zimmer eintrat, knöpfte er sich gerade seine Hose zu und setzte sich müde auf sein Bett.

„Mensch, hier drin kann man ja kaum was sehen“, stellte ich fest und suchte nach dem Schalter für die Außenjalousien.

„Helligkeit vertrag ich momentan noch nicht“, gähnte Lys und ließ sich mit dem Rücken auf seine weiche Matratze fallen.

„Ehrlich gesagt ist mir das egal“, erwiderte ich und betätigte mit einem kleinen, bösen Grinsen den Schalter.

Brummend setzte sich die Anlage in Bewegung und ließ Stück für Stück die Sonne in den Raum. Lys meckerte etwas genervt und presste sich ein Kissen aufs Gesicht.

„Komm schon, nur drei Stunden, dann kannst du wieder weiterpennen“, sagte ich und stupste mit meinem Fuß an seinen.

Mein Schüler allerdings zeigte mir nur seinen Mittelfinger. Mann, macht der jetzt jedes Mal so ein Theater? Ich stützte mein Knie auf den Rand des Bettes und lehnte mich soweit vor, dass ich ihm sein Kissen aus den Händen klauen konnte. Lys stöhnte wegen der plötzlichen Helligkeit auf und funkelte mich dann wütend an.

Ich wollte gerade Luft holen, um ihm irgendwas Blödes an den Kopf zu werfen, da beugte er sich blitzschnell vor, griff nach meinem Arm und zog mich mit einem Ruck auf das Bett. Noch ehe ich reagieren konnte, saß er auf mir drauf und presste meinen Rücken auf die Matratze, meine Arme an den Handgelenken festhaltend. Sein Gesicht kam dem meinen soweit nahe, dass ich fast glaubte, seine Nasenspitze zu berühren.

„Niemand schreibt mir vor, was ich zu tun oder zu lassen habe!“, zischte mein Schüler giftig, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken.

„Außer mir!“, erwiderte ich deshalb.

Seine türkisfarbenen Augen bohrten sich tief in mein Innerstes und verursachten ein wohliges Kribbeln, nicht nur in meiner Magengegend. Gott, wie lange wollte er denn noch auf meiner Hüfte sitzen bleiben? Das Letzte was ich wollte war, dass er bemerkte, wie sehr mich diese Situation antörnte. Dann kamen mit einem Mal seine Lippen den meinen immer näher. Ich war davon und von meinem Verlangen, genau dies zu wollen, so dermaßen erschrocken, dass ich Lysander grob von mir weg direkt auf den Teppichboden stieß.

„Was soll der Scheiß?“, schrie ich ihn an und sprang auf. Er sah nur unschuldig zu mir hoch.

„Ich wollte dich küssen“, sagte er ruhig, als wäre das das Normalste der Welt.

„Ich bin aber nicht schwul!“, blaffte ich hysterisch, worauf Lys nur wie blöde zu kichern anfing. „Was ist denn auf einmal so lustig?!“, fragte ich angepisst.

„Wenn du nicht auf Kerle stehst, bin ich Mutter Theresa“, giggelte mein Schüler.

„Was soll das denn heißen? Du kennst mich überhaupt nicht!“

„Stimmt, ich kenne dich nicht. Aber ich habe Augen im Kopf. So wie du gestern am sabbern warst, als ich neben dir oberkörperfrei gelernt habe…“

„Ich… ich habe nicht gesabbert!“

„Richtig“, stimmte er mir zu, stand auf und kam mit jedem Wort näher. „Du bist total niedlich rot angelaufen und hast verlegen angefangen zu stottern, wenn du dich dabei ertappt hattest, mich anzustarren.“

„Das stimmt nicht“, leugnete ich schwach und lief knallrot an. Scheiße, er hatte es wirklich gestern bemerkt.

Er drängte mich gegen ein hohes CD-Regal und ich blickte ihn aus großen Augen ängstlich an, als wäre ich ein winziger Hase, der vor der bösen Schlange saß. Dabei war Lys einen halben Kopf kleiner als ich! Wieder kamen seinen Lippen meinen näher und wieder bekam ich dermaßen Schiss, dass ich ihn grob von mir wegstieß. Nur diesmal schnappte ich mir meinen Rucksack und stürmte Richtung Tür.

Ich hielt es keine Sekunde länger in diesem Raum aus. Es war alles viel zu verwirrend für mich. Dass ich diesen Jungen absolut heiß fand, dass sich mein Körper nach seinen Berührungen sehnte, dass genau diese mich taumeln ließen, egal wie gering sie waren, als hätte ich irgendein Fieber – das Ganze überforderte mich total.

Ich hatte die Tür schon einen Spalt geöffnet, als sich Lys dagegen warf und sie laut zuknallen ließ. Wütend funkelte ich ihn an, während mein Atem stoßweise meine Brust verließ, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir.

„Es tut mir Leid“, meinte mein Schüler ungewohnt sanft. „Ich wollte dich echt nicht erschrecken oder kränken. Bitte bleib hier.“

Er setzte den schlimmsten Dackelblick auf, den ich je gesehen hatte und ich schmolz dahin. Schwer ließ ich mich auf den Hocker fallen und sah irritiert zu Boden. Meine Beine wollten mich nicht länger tragen und nur mit Mühe unterdrückte ich das Zittern in meinen Händen. Man, ich fühlte mich wie auf Drogenentzug. Vielleicht war ich das auch. Mein ‚Dealer‘ setzte sich erleichtert seufzend in seinen Ledersessel.

„Puh, das war ja echt knapp“, sagte er. Ich schaute ihn mit einem riesigen Fragezeichen im Gesicht an. „Du wärst dann der siebente Lehrer, den ich vergrault hätte.“

„Du hast deine Lehrer angemacht?“, fragte ich ungläubig.

„Ich bin nicht pervers, klar!“, zickte er mich an, doch wurden seine Züge wieder sofort sanfter. „Entweder haben mich meine Lover zu früh abgeholt oder hier“, dabei deutete er mit dem Kopf auf das Bett „auf mich gewartet. Die meisten kamen damit irgendwie nicht ganz klar“, erklärte er mir unschuldig.

„Deine Mom weiß also Bescheid?“

„Natürlich. Sie ist meine Mutter. Glücklicherweise hat sie damit kein Problem. Ich darf nur keine Freunde mehr mitbringen, wenn ich Nachhilfe habe. Wegen den Paukern macht sie mir echt Stress.“

„Deswegen hast du mich aufgehalten.“

„Nicht nur“, wieder sah er mich vielsagend an, was mir einen warmen Schauder durch den gesamten Körper jagte.

„Ich hab kein Interesse“, sagte ich trotzig, meinte in Wirklichkeit aber genau das Gegenteil. Nur wollte ich ihm das bestimmt nicht auf die Nase binden, geschweige denn mir selbst eingestehen.

„Ja ja, ich weiß – leider“, stöhnte Lys enttäuscht und kramte seine Mathesachen hervor. Die nächsten zwei Stunden lernten wir sogar richtig brav den Unterrichtsstoff, doch dann fing mein Schüler an zu streiken.

„Ich kann nicht mehr“, quengelte er und legte seinen Kopf auf den Tisch. „Das ist einfach zu viel Input.“

Leider schaffte ich es noch nicht mal ihm zu widersprechen, da ich meine Augen kaum noch offen halten konnte und meine Schläfe an der Stirn nervig pochte.

„Von mir aus. Machen wir für heute Schluss“, gab ich schwach nach. Überrascht blickten mich zwei türkisfarbene Augen an.

„Im Ernst jetzt?“

„Wieso nicht“, zuckte ich mit den Schultern und verkniff mir ein Gähnen.

„Mann, du siehst ja wirklich fertig aus. Was hast du denn die ganze Nacht getrieben?“, fragte mich Lys und fast glaubte ich eine gewisse Unsicherheit in seinen Worten raus zu hören – wenn es denn sowas überhaupt bei ihm gab.

„Schlecht geträumt“, wich ich ihm aus und packte mein Zeug ein.

„Ich hoffe doch nicht von mir“, scherzte mein Gegenüber, sprang auf, ging zu seinem großen Kleiderschrank und suchte sich ein ziemlich enges, schwarzes Shirt raus, was ihm kaum über den Bauch reichte.

Ich betete indes inbrünstig, dass er das megalaute Klopfen meines Herzens nicht hörte und auch nicht meine roten Wangen mitbekam. Mit ein paar geschickten Handgriffen hatte er in kurzer Zeit sein großes Keyboard in eine geeignete Tasche verpackt und schulterte diese sich auf.

„Wo willst du denn damit hin?“

„Zur Probe.“

„Steht bald wieder ein Konzert an?“

„Weiß nicht. Dafür müsste ich meine Mom fragen. Sie managt das alles für mich. Ich bin in einer Band. Wir üben so oft es geht in den alten Katakomben der Südstadt. Warte mal.“

Er kramte kurz in einer Schublade, holte dann eine Visitenkarte raus und kritzelte hinten noch was drauf, bevor er sie mir leicht lächelnd reichte. Ich musterte das Stück Papier, wo Werbung für supergünstige, schalldichte Übungsräume gemacht wurde, und drehte es dann um. Auf der Rückseite prangte in einer geschwungenen Handschrift ‚Lys‘ und eine Telefonnummer.

„Falls du mal Sehnsucht nach mir hast“, kommentierte er, hauchte mir einen Kuss auf die Nasenspitze und war schon aus dem Zimmer verschwunden.

Wie zu Stein erstarrt saß ich da und versuchte gegen diese Ohnmacht anzukämpfen. ‚Wieso reagiert mein Körper so extrem auf seine Berührungen?‘ Um mich herum drehte sich alles und ich musste erst ein paar Mal tief ein- und ausatmen, bevor sich mein Kreislauf wieder beruhigte.

„Thilo? Alles in Ordnung bei dir?“ Mein Schüler war zurück ins Zimmer gekommen und schaute ein wenig besorgt auf mich hinab.

„Nee… ja… Ich brauch nur ne Mütze voll Schlaf.“

Langsam stemmte ich mich hoch und verließ mit Lys zusammen den Raum. Im Flur an einer Kommode hielt ich kurz inne und langte nach dem Briefumschlag, wo mein Geld für heute drin war. Ich wollte schon fünfzehn Euro raus fischen, als mein Schüler mir das Kuvert aus der Hand nahm, alles Geld wieder reinpackte und das Ganze in meinen Rucksack stopfte.

„Schau dich mal um. Meine Mom hat genug Kohle. Sieh es einfach als Bonus, dass du dich bisher ganz gut schlägst.“

„Wohl eher als Bestechung, dass ich dich ertragen muss.“

„Von mir aus auch das“, lachte Lysander und war endlich fertig, seine Rangers zu schnüren.

Wie kann man nur solche Schuhe bei dem warmen Wetter draußen tragen? Gemeinsam liefen wir die Treppe hinab und verabschiedeten uns knapp vor dem Hauseingang, da Lys in die entgegengesetzte Richtung musste wie ich. Das alles lief so unspektakulär ab, dass ich mich noch ein, zwei Mal umdrehte, in Erwartung irgendeines Blödsinns, bis Lys um die nächste Ecke verschwunden war – ereignislos.

Stimmte mich das etwa melancholisch? Wieso war ich auf einmal enttäuscht? Ich schüttelte meinen Kopf, um diese Beklommenheit loszuwerden, doch sie würde mir noch die nächsten Tage Gesellschaft leisten. Morgen war erstmal Donnerstag, da hatte Lys Klavierunterricht und ich ‚frei‘ – vom Studium abgesehen. Also würde ich ihn erst Freitagnachmittag wieder sehen. Warum machte mich das traurig? Was war eigentlich mit mir los?

Ich kramte in meiner Tasche und suchte mein Handy raus. Das Gespräch mit Maike war schon längst überfällig. Glücklicherweise ging sie dieses Mal ans Telefon und wir verabredeten uns für Donnerstagabend. Im Wohnheim angekommen stieg ich unter die Dusche, um zu entspannen. Doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich wieder dieses türkise Leuchten, diese blasse Haut, diese vollen Lippen. In mir staute sich ein Verlangen auf, dem ich nicht länger widerstehen konnte.

Eine halbe Stunde später fiel ich erschöpft, aber um Einiges erleichterter auf mein Bett. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr so dermaßen abgegangen, als ich mir selber einen runtergeholt hatte, wie eben. Sollte alles wirklich an diesem Bengel liegen?

Ein paar Mal versuchte ich mich aufzuraffen, um noch was für mein Studium zu tun. Doch nach dem dritten Anlauf kuschelte ich mich einfach unter die dünne Decke und war binnen Sekunden eingeschlafen. Die Nacht verlief relativ ruhig, was größtenteils daran lag, dass dieses Mal meine Träume nicht ganz so heftig waren. Dennoch blieben sie nicht vollkommen aus.

Den nächsten Tag verbrachte ich überwiegend in der Uni und der Bibliothek, um an ein paar Ausarbeitungen zu feilen. Gegen 18 Uhr traf ich mich endlich mit Maike in einem kleinen Café und schilderte ihr meine komplette, verzwickte Situation. Zwar war meine Freundin anfangs überrascht, dass ich mit ihr über etwas Persönliches sprechen wollte, da ich eigentlich nicht der Typ war, der sich bei jeder Gelegenheit irgendwo ausheulte. Doch sie hörte mir stillschweigend zu, bis ich ihr auch wirklich alles erzählt hatte. Dann sah sie mich an, ganz ruhig, und genauso ruhig fing sie an zu sprechen.

„Okay. Es gibt jetzt genau zwei Möglichkeiten.“

Erwartungsvoll blickte ich sie an.

„Entweder bist du schwul oder mindestens bi“ Eine kurze Kunstpause folgte. „Oder… oder du bist nur neugierig geworden. Manche nennen das auch ‚Kulturschock‘. Du bist einfach an seiner sexuellen Orientierung interessiert. Meist gibt sich das, wenn dieses Interesse befriedigt wird.“

„Und wie kann man das befriedigen?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Küss ihn!“

Eine Weile starrte ich sie mit offenem Mund an.

„Das… das kann ich nicht“, stotterte ich überfordert.

„Wieso nicht? So unterschiedlich ist der männliche zum weiblichen Körper nicht. Mal von kleinen Abweichungen abgesehen.“

„Nein, darum geht’s mir nicht. Nur… als Lys mir gestern einen Kuss auf die Nasenspitze hauchte, war mir so schlecht, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten konnte.“

„Darum tippe ich eher auf die erste Variante.“

„Ich bin nicht schwul!“, sagte ich aufgebracht und musste mich zusammenreißen, nicht aufzuspringen.

„Vielleicht bist du bi. Ist doch egal. Ich finde alles in Ordnung. Solange es beide wollen, kann doch jeder tun und lassen, auf was er Lust hat. Du mein lieber Thilo bist allerdings über beide Ohren verliebt.“

Ich schüttelte nur mit meinem Kopf.

„Wenn dem so wäre, müsste ich da nicht Schmetterlinge im Bauch haben, die ganze Zeit happy sein und alles rosarot sehen? Mir hingegen geht’s beschissen. Ich habe ne Dauerdepri und die Farben, die ich sehe, sind schwarz. Mal davon abgesehen, dass ich fast kotzen muss, wenn Lys mir näher kommt.“

„Das kommt daher, weil du dir die Wahrheit nicht eingestehen willst. In deinem kleinen Kopf schwirrt nur dieses ‚böse‘ Wort schwul umher. Aber wie wäre es, wenn du es mal mit ‚Liebe‘ ersetzt?“

„Wenn sich so Verliebtheit anfühlt, weiß ich nicht, ob ich das überhaupt will“, meinte ich trotzig und verschränkte meine Arme vor der Brust wie ein kleiner, bockiger Junge.

Aus ihrem Mund klang das alles so einfach, so klar und durchsichtig. So… so… so normal. Aber das war es nicht! Es war kompliziert, nervig und kurios. Welcher Schönling verliebte sich schon in einen schlaksigen Studenten mit dreckig blonden, dünnen Haaren und rauchgrauen Augen?!

Aber Moment mal. Ob er mich mochte, stand hier ja gar nicht zur Debatte. Klar, er hatte mich ein paar Mal angebaggert, aber auch ziemlich schnell wieder aufgegeben. Machte ich mir gerade echt einen Kopf, ob er mich mögen könnte oder nicht??? Vielleicht war es wirklich nur Neugierde. Aber wieso wurde ich immer rot, sobald ich ihn näher betrachte?

„Mensch Thilo. Selbst wenn du schwul wärst. Wo liegt das Problem? Soweit ich weiß, hast du keine Verwandtschaft und seine weiß schon Bescheid. Und falls ein paar Freunde es von dir nicht akzeptieren, können sie dir gestohlen bleiben. Also?“

Maike hatte ja Recht. Das Problem lag einzig und allein bei mir. Klar wollte ich mich neu verlieben, aber eher in jemanden, der mich nicht so einnahm. In jemanden, der mich des Nachts auch mal schlafen ließ und nicht in meinen Träumen umherspukte. Doch gehörte das nicht mit dazu? In meinem Kopf drehte sich alles wie wild und ich fuhr mir mit zittrigen Fingern durch meine Haare.

„Hey“, sanft berührte mich Maike an meiner Wange und streichelte mir kurz über meine Haut. „Du bist ja wirklich fix und fertig. Versuch erst einmal tief durchzuatmen und dich zu beruhigen. Es ist egal, ob du schwul bist oder nicht. Die eigentliche Frage ist doch eher, ob du Lys wirklich magst oder es doch nur Neugierde ist. Lass die nächsten Wochen einfach auf dich zukommen und grübele nicht weiter nach. Lausche deinem Herzen. Hör genau zu. Es wird dir schon den richtigen Weg für dich zeigen.“

Liebevoll redete sie auf mich ein und von Sekunde zu Sekunde wurde ich ruhiger. Sie hatte vollkommen Recht. Und ich war ihr mehr als nur dankbar. Den Tag darauf ging ich regelrecht beschwingt zu Lys. Er war diesmal auf den Unterricht sogar schon vorbereitet und mir war auch nicht mehr so schlecht. Ich hatte immer noch keine Ahnung, ob es wirklich nur ein Kulturschock war oder ich mich in ihn verliebt hatte. Aber ich wollte Maikes Rat befolgen und einfach alles auf mich zukommen lassen.

An diesem Tag war ich echt zufrieden mit meinem Schüler. Er hatte einiges behalten von dem, was ich ihm beigebracht hatte und ackerte die drei Stunden ohne zu murren durch. Nur am Schluss, als er schon seine Sachen weggepackt hatte, sah er mich seltsam an.

„Hab ich irgendwas im Gesicht?“, scherzte ich unwissend.

„Ja hast du. Eine niedliche Stupsnase, intelligente graue Augen und einladende, schmale Lippen.“ Unsicher starrte ich ihn an, wie er eine Hand hob und mir eine Strähne des langen Haares aus dem Gesicht strich. Als seine Fingerspitze meine Wange berührte, brannte diese heiß auf und wieder begann sich alles um mich herum zu drehen.

„Ich mag dich, weißt du“, gestand Lys mir leise und kam mir Stück um Stück näher.

Allerdings steigerte sich bei mir die Panik. Ich dachte wieder an Maikes Worte. ‚Kulturschock‘. Vielleicht musste ich mich wirklich nur von ihm küssen lassen, und wenn dann meine Neugierde befriedigt war, würde es mir auch wieder besser gehen. Oder ich entdeckte halt, dass ich mich in Lys total verschossen hatte, konnte mir eingestehen, dass ich schwul war und lebte glücklich und zufrieden bis an mein Lebensende??? Das klang viel zu einfach. Meine Panik überwog, weswegen ich seine Hand in meine nahm und ihn sanft aber bestimmend von mir weg schob.

„Ich glaube, ich hatte mich in dieser Hinsicht deutlich genug ausgedrückt“, sagte ich schwach.

„Deine Körpersprache erzählt mir aber was ganz anderes“, widersprach Lys und wollte mir schon wieder näher rücken. Doch ich stand auf und langte nach meinem Rucksack.

„Ich muss los. Hab heute Abend noch was vor“, wich ich ihm aus und verließ das Zimmer.

„Hast du nicht noch etwas vergessen?“, hielt mich mein Schüler von der Wohnungstür ab und ich drehte mich zu ihm um. Er stand vor der Kommode und hielt den Umschlag mit meinem Geld in der Hand. Nur zögerlich setzte ich mich in Bewegung und wollte ihm dann das Kuvert abnehmen, doch er hielt es fest.

„Wieso läufst du vor mir weg?“, fragte Lysander mich unerwartet vorwurfsvoll.

Ich wollte schon trotzig ‚tu ich gar nicht‘ sagen, aber das wäre glatt weg gelogen. Schließlich stand ich gerade im Flur, keine fünf Minuten später, als der Unterricht aufgehört hatte.

„Ich komme mit deinen Annäherungsversuchen nicht zurecht“, antwortete ich schließlich wahrheitsgemäß.

„Ich würde nicht versuchen bei dir zu landen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass du auch auf mich stehst.“

„Deine Gefühle irren sich.“

„Das glaube ich nicht. Selbst jetzt wirst du wieder rot.“

„Solche Gespräche zu führen bin ich nicht gewohnt. Wie würdest du denn reagieren, wenn dich eine gute Freundin auf einmal anbaggern würde?“

„Ich würde bestimmt nicht so niedlich stottern wie du.“

„Du bist halt ein Junge. Ich kenne keine anderen Schwulen. Das macht mich nervös.“

Lys begann zu grinsen.

„Okay. Meine offensive Haltung macht dich also nervös. Gut. Dann werde ich mich in Zukunft etwas zurückhalten und das Ganze langsamer angehen.“

„Ich glaube nicht, dass das besser sein wird.“

„Ich glaube das schon. So kannst du dich an mich gewöhnen und deine unbegründete Angst ablegen. Und wenn du keine Angst mehr vor mir hast, lässt du dich auch von mir streicheln.“ Er streckte seine Hand nach mir aus, doch ich schlug sie nur aufgebracht beiseite.

„Was soll das? Sehe ich etwa aus wie ein Hund, oder was?“

„Eher wie ein ruheloser Falke, der ungezähmt wild um sich hackt“, antwortete Lys sanft und blickte mich an, als wäre ich ein Wesen aus einer anderen Welt.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich wagte kaum zu atmen. Seine türkisfarbenen Augen bohrten sich tief in mein Innerstes und machten mich bewegungsunfähig. Langsam kam er mir näher und stellte sich auf die Zehenspitzen, um mit mir auf einer Höhe zu sein. Ich sah nur noch seine Lippen, die sich verlockend den meinen näherten und schloss meine Augen. Doch als ich schon seinen heißen Atem auf meiner Haut spüren konnte, hörte ich, wie jemand die Wohnungstür aufschloss. Panisch riss ich meine Augen auf und machte einen Satz nach hinten.

„Oh, hallo Thilo. Sie sind ja noch da“, begrüßte mich meine Professorin.

„Ja, aber gerade auf dem Sprung“, grüßte ich zurück und nahm Lys den Briefumschlag aus der Hand.

„Wenn Sie einmal da sind, wie läuft es denn so?“, fragte Frau Schmidt interessiert und zog sich nebenher die Schuhe aus. Gott sei Dank, sonst hätte sie meinen ängstlichen und Lys’ anzüglichen Blick gesehen.

„Ich habe das Gefühl, dass wir gut voran kommen“, antwortete ich nervös.

„Oh, das denke ich auch“, pflichtete mein Schüler mir bei, jedoch meinte er komplett etwas anderes als ich.

„Schön zu hören, dass Sie sich so gut vertragen“, sagte die Professorin und stellte ihre Aktentasche auf die Sitzbank neben der Kommode. „Mit anderen Lehrern kam mein Sohn nicht so gut zurecht.“

„Davon habe ich schon gehört.“

Überrascht schaute Frau Schmidt auf und zwischen mir und ihrem Sprössling hin und her. Dann stahl sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen.

„Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Mein kleiner Schatz plaudert doch sonst nicht so aus dem Nähkästchen“, sagte sie und richtete den Kragen von Lysanders Hemd.

„Thilo ist schon okay“, meinte dieser.

„Na da will ich mal nicht widersprechen“, lachte sie nun. Ich räusperte mich nur verlegen.

„Also. Ich mach dann mal los. Schönes Wochenende Ihnen. Wir sehen uns ja am Montag wieder“, verabschiedete ich mich und steuerte auf die Wohnungstür zu.

„Und wir uns am Dienstag“, rief mir mein Schüler hinterher.

Meine Hand verharrte augenblicklich auf der Türklinke. Dienstag – etwas mehr als drei Tage. Erst dann sollte ich ihn wieder sehen? Einerseits war ich froh, wenn die drei Stunden vorbei waren, die ich mit Lys verbringen musste, andererseits sehnte ich diese Stunden regelrecht herbei.

„Ja… Dienstag“, stotterte ich und verschwand aus der Wohnung, ohne mich ein letztes Mal umzudrehen.

Schnell hatte ich mir meine Turnschuhe angezogen und lief die Treppen hinab. Raus an die warme und doch frische Luft. Dort angekommen atmete ich tief durch, um mich wieder zu beruhigen. Er hatte mich wirklich fast geküsst und ich mich nicht dagegen gewehrt. War das wirklich richtig gewesen? Ich horchte in mich hinein, lauschte auf mein Herz, wie Maike mir geraten hatte.

Egal wie sehr ich mich auch konzentrierte, ich spürte einzig und allein ein warmes Pulsieren, welches nach und nach meinen ganzen Körper ausfüllte. War das Liebe? Oder doch nur ein Echo des Schocks, als ich den Schlüssel im Schloss hörte und bemerkte, was genau ich gerade im Begriff war zu tun? War es nur dieses Adrenalin, das noch immer durch meine Adern schoss?

Wie auch immer. Ich würde das tun, zu was mir Maike geraten hatte, und abwarten. Einfach alles auf mich zukommen lassen. Ein wenig erleichterter, aber vor allem viel ruhiger verbrachte ich mein Wochenende. Ich ging mit Freunden weg, schlief lange, genoss das geniale Wetter im Freien mit einem guten Buch. Ja, man könnte sagen, ich fühlte mich wohl und ausgeglichen.

Die nächsten drei Wochen vergingen wie im Flug und auch relativ ereignislos. In Lys’ Gegenwart entspannte ich mich immer mehr und begann diese kleinen ‚unbeabsichtigten‘ Berührungen, wenn ich ihm zum Beispiel einen Stift reichte, zu genießen. Diese verhaltenen Blicke, die er mir zuwarf, fingen an mir zu gefallen, ohne dass ich es wirklich schnallte. Mein Schüler hatte auch nicht mehr versucht, sich an mich ranzuschmeißen. Keine Ahnung, ob mich das beruhigen oder nachdenklich stimmen sollte.

Es war ein Dienstag, als ich fast schon euphorisch 15 Uhr vor der Tür meines Schülers stand. Nur machte mir wieder mal keiner auf. Auch nach dem dritten und vierten Klingeln passierte nichts. Hatte ich schon erwähnt, dass ich Warten hasse? Und Unpünktlichkeit und versetzt werden…

Genervt und ziemlich sauer holte ich mein Handy aus der Seitentasche meiner Hose. Dabei kam die Visitenkarte zum Vorschein, die mir Lys mal in die Hand gedrückt hatte mit seiner Nummer. Ich versuchte mein Glück und klingelte bei meinem Schüler durch. Allerdings nahm keiner ab und auf die Mailbox zu quatschen hatte ich echt keinen Bock.

‚Was bildet der sich eigentlich ein? Er wusste genau, dass wir um diese Zeit zusammen lernten. Oder hatte Lys einfach keine Lust mehr? Okay, wer hatte schon Lust zu pauken, aber mir ging es um mich. Wollte er sich etwa nicht mehr mit mir treffen? War ich ihm zu langweilig geworden?‘ Meine eigenen Gedanken verwirrten mich mehr und mehr.

Ich drehte die Visitenkarte zwischen meinen Fingern und bemerkte die Adresse, die dort gedruckt stand. Sein Proberaum. Vielleicht war er ja dort? Mit einer Mischung aus Unsicherheit und Wut machte ich mich auf den Weg. Die Straße war gute zehn Minuten von Lys’ Wohnung entfernt, und als ich die passende Hausnummer gefunden hatte, blieb ich ein paar Sekunden verwundert vor dem Gebäude stehen.

Von außen sah das Mehrfamilienhaus recht nobel aus. Heller Anstrich, große, verglaste Balkons, Bogenfenster. Nur ein kleines, goldenes Schild an der Wand neben dem Eingang wies dezent auf die zu mietenden Kellerräume hin. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend betrat ich das Gebäude.

Selbst von Innen sah es vornehm aus. Links und rechts ging ganz normal eine Wohnung ab, geradeaus führte jeweils eine Treppe nach oben und eine nach unten. Ich nahm die Letztere und blieb nach dem zweiten Absatz vor einer glatt polierten Stahltür stehen. An dieser hing wieder ein ganz schlichtes Schild mit der Aufschrift „Zu den Proberäumen“.

Die Tür ließ sich ziemlich schwer öffnen und ein leichter Modergeruch stieg mir in die Nase, als ich die Katakomben betrat. Die Wände bestanden aus unverputztem Stein, trotzdem war alles sehr sauber. Eine gute halbe Minute lief ich hinab und je weiter ich ging, desto deutlicher hörte ich die Musik. Unten angekommen führte ein schmaler Gang weit geradeaus und zu beiden Seiten gingen Türen ab, an denen große, blecherne Zahlen befestigt waren.

Nur gedämpft hörte ich hier wildes Schlagzeuggetrommel, dort gänsehautmäßiges Gekreische. Keine Ahnung, warum ich gerade vor der Tür Nummer sieben stehen blieb. Es könnte an den Klängen liegen, die dort hinaus drangen und mich sehr an ‚Beseech‘ erinnerten. Langsam öffnete ich sie und steckte meinen Kopf hinein. Mir verschlug es augenblicklich die Sprache. Wie apathisch schob sich der Rest meines Körpers in den Raum und ich starrte mit offenem Mund die Musiker an, die hier spielten.

Es waren vier Leute, die seitlich vor mir standen. Hinten links schlug ein junges Mädchen mit grünen Haaren wild auf ein Schlagzeug ein. Geradeaus stand ein Typ mit langen, wasserstoffblonden Haaren und Piercing in der Unterlippe mit einer E-Gitarre und streichelte leidenschaftlich ihre Saiten. Rechts hinten erkannte ich ein Stück eines anderen Mädchens mit schwarzen Haaren und roten Strähnen, die auch eine Gitarre in ihren Armen hielt und das Mikro vor sich mit wohligen Tönen beglückte. Rechts vorne stand nun er. Lysander. Sein Keyboard vor sich aufgebaut, liebkoste er die Tasten mit seinen schlanken Fingern und holte die schönsten Klänge hervor.

Mein Herz klopfte so dermaßen gegen meine Brust, als wolle es ausbrechen. Meine Knie wurden weicher als Gelee und ich wagte kaum Luft zu holen. Wie konnte dieser Junge nur so verdammt gut aussehen? Dieser Körper, wie er sich zur Musik bewegte, seine Lippen, die fast das Mikro berührten bei jeder Strophe, die er sang, die einzelnen Schweißtropfen, die an seiner Stirn hinabliefen, am Hals entlang, und unter dem viel zu engen Shirt verschwanden. Ich war geplättet. Genau deswegen bekam ich Panik. Das war doch echt nicht normal, wie ich ihn so gemustert hatte und was dies in mir auslöste. Das war kein Kulturschock, kein Interesse an dem Unbekannten. Das war mehr. Viel mehr.

Doch gerade als ich mich umdrehen und wieder gehen wollte, verklangen die letzten Töne des Liedes. Und es schlug mit einem lauten Knall die Tür zu, die ich unbedachterweise bei meiner Entdeckung losgelassen hatte. Alle vier Köpfe flogen erschrocken zu mir herum. Der eine wollte schon etwas ansetzen, doch Lys kam ihm zuvor und stürmte auf mich zu.

„Thilo. Mensch, was machst du denn hier?“, fragte er mich freudig überrascht.

„Wir…“, räusper, „Wir hätten jetzt Unterricht“, stotterte ich zusammen und kam mir saudämlich vor.

„Was?“, ungläubig riss Lys seine schönen Augen weit auf und kramte in der Seitentasche seiner Hose. Ein kurzer Blick auf die Uhr seines Handys bestätigte meine Aussage. „Shit. Ich hab die Zeit total verpasst. Weißt du, wir hatten ein paar Stunden Ausfall, und da wir in zwei Wochen einen Auftritt haben, wollten wir noch etwas üben. Tut mir echt leid“, entschuldigte sich mein Schüler und setzte wieder seinen miesen Hundeblick auf.

Etwas gequält atmete ich aus und versuchte, ihn nicht all zu direkt anzuschauen.

„Was soll’s. Wir können es ja heute mal ausfallen lassen“, meinte ich und wollte schon gehen. Doch Lys hielt mich ab.

„Nein, nein, das ist schon okay. Wir wollten eh nur noch ein Lied durchnehmen. Dann hätten wir sowieso aufgehört“, sagte er euphorisch, zerrte mich direkt vor die Gruppe und schubste mich auf eines der beiden alten Sofas, die dort an der Wand standen. Dann begannen sie zu spielen und er zu singen.

Die ganze Zeit sah er mich an, bohrten sich seine türkisfarbenen Augen in mein Innerstes und ich war nicht im Geringsten fähig, wegzuschauen. Ich nahm nicht einen Ton des Liedes wahr, nur seine Lippen, die sich allein für mich bewegten. Seine Hände, die er ab und zu nach vorne ausstreckte, als wolle er MICH erreichen. Wie in Trance blickte ich zu ihm auf, selbst als der Song längst zu Ende war.

„Und, was meinst du? Können wir das so spielen an dem Samstag?“, fragte er mich ganz außer Atem und trank ein paar große Schlucke aus seiner Wasserflasche.

Für mich war das wie das Händeklatschen am Ende einer Sitzung, wenn man wieder aufwachen sollte. Ich zwinkerte ein paar Mal und schaute verwirrt in die Runde, denn auch die Anderen sahen zur mir, begierig auf eine Antwort.

„Ähm... ich denke schon“, stammelte ich und versuchte krampfhaft, meine Gedanken zu ordnen.

„Ein vielsagendes Feedback“, meinte die Drummerin, wandte sich ab und suchte ihre Sachen zusammen.

„Sag mal, hast du uns überhaupt zugehört?“ Stirnrunzelnd blickte mein Schüler auf mich hinab.

„Laut genug waren wir ja“, lachte der Gitarrist und klopfte Lys auf die Schulter. „Ich mach los. Wir sehen uns morgen.“

Der Typ verabschiedete sich und wollte gerade mit der Grünhaarigen den Proberaum verlassen, als eine junge Frau eintrat. Sie hatte brünette, lange Haare nach hinten zu einem Zopf gebunden. Nur zwei Strähnen ihres Ponys fielen ihr links und rechts ins Gesicht.

„CAT!“ Freudig schreiend lief die andere Sängerin auf den Neuankömmling zu und warf sich ihr um den Hals.

„Na meine Kleine“, begrüßte die Frau sie sanft und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Hast du schon gehört? Wir haben einen Auftritt in einem richtigen Club. Cool, oder?“, plapperte das Mädchen aufgeregt weiter.

„Natürlich hab ich davon gehört. Der Abend wird bestimmt klasse. Komm, pack dein Instrument weg. Ich habe heute noch was mit dir vor“, sagte Cat sanft, worauf die Kleine schon losstürmen wollte, doch kurz inne hielt, der älteren einen Kuss auf die Wange drückte und erst dann weglief um ihr Zeug zusammen zu suchen. Liebevoll sah Cat ihr nach, dann wanderte ihr Blick zu mir.

„Wer bist du denn?“, fragte sie stirnrunzelnd. Die Antwort nahm mir Lys ab, der nebenher den Reißverschluss seiner Tasche schloss, in der er sein Keyboard verstaut hatte.

„Das geht dich nen Scheiß an.“

„Oh, der Herr ist aber heute mal wieder sehr charmant. Er gehört also zu dir. Naja, besser als die anderen Kerle, die du bisher angeschleppt hast, ist er allemal“, meinte sie ruhig.

„Verpiss dich“, wütend funkelte Lys die junge Frau an und ging drohend auf sie zu. Die anderen beiden Bandmitglieder hatten alarmiert ihre Sachen beiseite gelegt und waren vorsichtshalber an Lysanders Seite getreten. Cat allerdings blieb gelassen.

„Wow. So bissig hast du dich ja noch nie gehabt, wenn ich mich über deine Fickhasen lustig gemacht habe“, sagte sie gelangweilt und wandte sich wieder an das Mädchen.

„Bist du fertig, Micha?“, fragte sie in einem viel sanfteren Ton.

„Bin ich“, antwortete die Schwarzhaarige fröhlich, als hätte sie von allem nichts mitbekommen. Dann lief sie zu Lys, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und wuschelte ihm kurz durch die Haare. „Lass dich doch nicht immer so von ihr provozieren“, mahnte sie ihn.

„Sie macht das doch mit Absicht!“, entgegnete Lys.

„Gerade deswegen solltest du viel ruhiger werden. Du weißt genau, dass es ihr Spaß macht, dich zu ärgern.“

„Ach leck mich doch.“

Micha knuffte ihn freundschaftlich in die Seite und verschwand dann mit dem Rest der Band und Cat aus dem Proberaum. Letztere fing an breit zu grinsen und zwinkerte dem Sänger zu, bevor die Tür mit einem lauten Knall zufiel.

„Boar, ich kann diese Zicke einfach nicht ausstehen“, rief Lys wütend und ging zu seiner Tasche. Ich stand nur weiterhin wie angewurzelt da und starrte bedeppert meinen Schüler an. Mann war der niedlich, wenn er sich so ärgerte.

„Komm, lass uns gehen. Ich brauch dringend frische Luft“, wurde ich aufgefordert und folgte ihm nach draußen.

„Bist du wirklich nicht sauer, dass ich dich habe warten lassen?“, fragte Lys nach einer Weile, die wir schweigend nebenher gelaufen waren.

„Nur kurz am Anfang“, gab ich leise zu. „Aber es war ja nicht mit Absicht.“

Den Rest des Weges bewältigten wir relativ ruhig. Irgendwie hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

„Sag mal, hast du am Samstag in zwei Wochen schon was vor?“, durchbrach Lys die Stille, als wir in seinem Zimmer angekommen waren.

„Noch nicht“, antwortete ich und sah meinen Schüler zu, wie er seine Tasche an der Wand abstellte und sich dann sein Shirt auszog.

„Cool. Du hast ja von dem Auftritt gehört. Komm doch hin. Hast du was dagegen, wenn ich fix duschen gehe? Ich bin total verschwitzt“, redete er ohne Pause.

„Geh nur“, meinte ich und schaute krampfhaft zu Boden. Mann, wie kann er sich nur einfach so vor mir ausziehen? Wusste er nicht, was er damit anrichtet? Wollte er das denn mit Absicht provozieren?

„Gut, ich beeil mich. Was ist nun mit Samstag?“, fragte Lys wieder und ließ mich aufblicken.

Er kramte gerade in seinem Schrank, den Rücken zu mir gewandt. Ich starrte ihn nur apathisch an, nicht fähig zu antworten. Nicht, weil ich seinen Rücken so geil fand, sondern weil sich drei tiefe Kratzer über die Seite zogen. Mit einem Mal hatte ich dieses Bild im Kopf, wie mein Schüler auf jemandem lag, ihn befriedigte und dieser vor Ekstase stöhnend seine Finger tief in Lys’ Haut bohrte. Mir wurde kotzübel. Ich sprang auf, ließ selbst meinen Rucksack liegen und stürmte aus dem Zimmer.

‚Bescheuert. Ja, genau das war ich. Wie konnte ich mir auch nur einbilden, dass dieser absolut geile Typ auf mich stand? Natürlich war ich nicht der Einzige, der ihn toll fand. Es gab bestimmt genug andere, die ein Auge auf Lys geworfen hatten und sich nicht so zierten wie ich. Zwar war er noch ziemlich jung, aber im Endeffekt auch nur ein Mann mit gewissen Bedürfnissen. Wie konnte ich echt nur denken, dass er auf mich warten würde. Warten, bis ich mit mir endlich im Einklang war. Ich war einfach nicht mehr für ihn als ein einfacher Fickhase, und da ich ihn nicht an mich ranließ, hatte er sein Verlangen bei jemand anderem gestillt. So simpel war das Ganze…‘ So simpel, dass mir Tränen in die Augen stiegen.

Anstatt mich endlich in Ruhe zu lassen, war Lys mir nachgelaufen und holte mich schon im Flur ein. Er wollte mich am Arm packen, doch ich fuchtelte nur wild umher.

„Mann Thilo. Sag mir endlich was los ist!“

Ich ignorierte ihn, wollte nur noch von hier weg, doch als ich die Wohnungstür aufreißen wollte, war sie verschlossen. Ein paar Mal rüttelte ich an ihr herum, aber außer dass sie ein wenig klapperte, passierte gar nichts. Erst ein Klimpern ließ mich herum fahren. Lys stand einfach nur da, hielt die Schlüssel gut sichtbar hoch und steckte sie sich dann in die Hosentasche.

„Ich wollte heute mit dir reden“, begann er zu erklären. „Da ich jedoch weiß, dass du bei dem kleinsten bisschen abhaust, hab ich schon mal vorgesorgt.“

„Lass mich gehen, sofort!“, zische ich wütend. Was nahm der Typ sich eigentlich raus?

„Nicht bevor wir vernünftig über alles gesprochen haben.“

„Darauf habe ich aber keinen Bock.“

„Das ist mir egal. Verstehst du denn wirklich gar nichts? Ich habe mich total in dich verliebt“, sagte Lys sanft und sah mich flehentlich an. Ich allerdings achtete da überhaupt nicht drauf.

„Sagst du das zu jedem, den du ins Bett kriegen willst? Wenn du es so nötig hast, dann geh doch zu einem deiner Fickhasen!“

„Wovon redest du?“

Ich hatte nicht die Kraft zu antworten, doch der Junge bemerkte meinen kurzen Blick auf die Kratzer. An seiner Mimik konnte ich erkennen, dass er anfing zu begreifen.

„Deswegen? Nur darum tickst du so aus?“, kicherte er verrückt. „Das war doch komplett harmlos. Nur ein Kater.“

WIE BITTE????

„Mir doch egal, wie du deine Stecher nennst!“, schrie ich ihn an.

Dann landete seine flache Hand mit einem lauten Knall mitten in mein Gesicht. Ungläubig wanderten meine Finger zur Wange, die unangenehm heiß prickelte. Meine Knie gaben nach und ich rutschte mit dem Rücken an der Tür hinab zu Boden.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Lys und kniete sich vor mir nieder. „Du steigerst dich da in etwas hinein, das nicht stimmt. Die Kratzer hat mir Michaelas Kater verpasst. Er sollte zum Tierarzt und kastriert werden. Anscheinend merkte das Drecksvieh, was ihm blüht, und ist ständig abgehauen. Natürlich hatte ich das Privileg, ihn einfangen zu dürfen. Dabei hat der Minitiger mir die Kratzer verpasst. Sieh doch mal genau hin. So sehen doch niemals Spuren von Fingernägeln aus.“

Toll, ich war also eifersüchtig auf einen beschissenen Kater?! Als ob das nicht genug wäre, war doch meine Reaktion für mich der letzte Beweis, dass ich mich über beide Ohren in Lys verliebt hatte. Okay, ich hatte es mir endlich eingestanden. Wieso ging es mir immer noch hundeelend?

„Seit ich dich das erste Mal sah, konnte ich an niemand anderes mehr denken. Du bist der einzige für mich.“

Warum sagt er sowas? Ich hatte mich total bescheuert aufgeführt und er gestand mir trotzdem, wie viel ich ihm bedeutete? Tränen kullerten wie von selbst meine Wangen hinab, da ich nicht mehr fähig war, sie aufzuhalten. Toll, da gestand ich mir ein, dass ich schwul war, und schon benahm ich mich wie ein Weichei. Scheiß Klischee.

„Hey, ist ja gut. Nicht weinen“, versuchte Lys mich zu trösten, nahm meinen Kopf in seine Hände und küsste mir die salzigen Tropfen aus dem Gesicht.

„Ich bin so ein Idiot“, jammerte ich.

„Natürlich bist du das. Hast mich einen ganzen Monat zappeln lassen. Ich wär' fast umgekommen vor Sehnsucht.“

Seine türkisfarbenen Augen drangen tief in meine und verursachten ein dermaßen schnelles Herzklopfen, dass mein ganzer Körper im Takt vibrierte. Nach und nach kamen sich unsere Lippen näher, und als sie sich endlich trafen, war ich fast der Ohnmacht nahe. Es war nur ein einfacher Kuss, so unschuldig wie ein Neugeborenes, und doch lag darin so viel mehr.

Nach nicht enden wollenden Sekunden löste sich Lys von mir und lächelte mich schüchtern an. Gott sah er niedlich aus. Leider konnte ich das nicht lange genießen. Mein Schüler beugte sich schon wieder vor, doch ich hielt ihn kurz vor meinen Lippen auf. Unsicher blickte er mir in die Augen, schloss dann seine und lehnte die Stirn gegen meine.

„Lass es uns einfach zusammen versuchen. Bitte“, begann er zu betteln, aber ich wand mich aus seinen Händen und versuchte aufzustehen. Lys krallte sich an meinen Armen fest und seine zwei todtraurigen, türkisfarbenen Sterne glitzerten mich flehentlich an. Ich schwankte kurz und brachte dann endlich heraus, was ich die ganze Zeit sagen wollte:

„Mir ist schlecht.“

Ungläubig wurde ich angestarrt.

„Im Ernst jetzt?“, fragte er sicherheitshalber nach, worauf ich nur schwach nickte. „Komm, das Bad ist gleich hier.“

Mein Schüler half mir komplett auf die Beine und zusammen torkelten wir in das besagte Zimmer. Zum Glück musste ich mich nicht übergeben. Ein kalter Waschlappen auf der Stirn und ein Glas Wasser wirkten schon kleine Wunder. Ich saß auf dem Klo (natürlich war der Deckel unten) und lehnte meinen Kopf nach hinten an die kühlen Fliesen. Lys stand mir gegenüber an der Wand, die Arme verschränkt und Beine überkreuzt. Nichts sagend blickte er zu mir rüber.

„Geht es wieder?“, fragte er eine Spur zu neutral. War er etwa sauer?

„Ich glaube schon. Danke.“

Nachdem ich nochmal tief durchgeatmet hatte, stand ich langsam auf. Die ganze Zeit auf dem WC hocken konnte ich nun wirklich nicht. Allerdings waren meine Knie so weich wie Wackelpudding, weswegen ich mich schwer auf das Waschbecken stützte, das einen Schritt weiter stand. Lys kam erschrocken zu mir gelaufen und hielt mich am Arm fest.

„Bist du ganz sicher?“

„Ehrlich gesagt nicht wirklich. Ich versteh das nicht. Ich habe mir doch alles eingestanden. Wieso geht es mir immer noch so elend?“ Von meinem Zustand hatte ich echt die Schnauze voll. Wird denn das jetzt immer so weitergehen?

„Wie jetzt? Was hast du dir eingestanden?“ Mein Schüler stellte sich vor mich hin und sah stirnrunzelnd zu mir auf. Mich machte das alles nur verlegen und unsicher.

„Na dass… dass ich mich in dich verliebt habe“, stotterte ich und wurde mit jedem Wort leiser. Meinen ganzen Mut zusammennehmend hob ich meine Hand und streichelte über Lys’ Wange. Er atmete erleichtert aus, schüttelte leicht seinen Kopf und kuschelte sich dann in meine Hand.

„Und ich dachte, dir sei schlecht, weil ich dir zuwider bin.“

„Auf keinen Fall!“, sagte ich erschrocken. „Keine Ahnung ob es daran liegt, dass du der erste Mann bist, in den ich mich verliebt habe. Aber seit ich dich kenne, geht bei mir alles drunter und drüber. Noch nie glaubte ich durch eine leichte Berührung verbrennen zu müssen oder dass nur ein Blick tiefer als ein Blitz in mich dringen könnte. Dass mich Augen bis in meine Träume verfolgen. Dass ein simpler Kuss mich ohnmächtig werden lässt.“

„Das ist das Schönste, was mir je gesagt wurde.“ Lys schlang seine Arme um mich und drückte mich fest an seinen Körper.

„Ich habe einfach nur Angst“, flüsterte ich und klammerte mich an meinen Schatz.

„Die brauchst du nie wieder zu haben. Denn ab jetzt bin ich immer bei dir.“

Keine Ahnung wie lange wir so dastanden. Irgendwann löste Lys sich von mir und verfrachtete mich in sein Bett. Das Glas Wasser hatte er auf den Nachttisch gestellt und den frisch gekühlten Waschlappen auf meine Stirn gelegt.

„Ich geh nur fix duschen. Bin gleich wieder da“, sagte er liebevoll, hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und verschwand im Bad.

Von Minute zu Minute ging es mir besser. Ich schloss meine Augen und lauschte dem Plätschern des Wassers, das aus dem Nebenzimmer zu mir hinüber drang. Mein Magen grummelte zwar noch etwas, aber sonst fühlte ich mich unheimlich glücklich. Wenig später kam Lys wieder ins Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Seine Haare waren komplett durcheinander und noch nass. Außerdem hatte er nur Bermudashorts an, deren Schwarz schon total ausgeblichen war. Lächelnd blickte er auf mich hinab.

„Und? Alles wieder klar bei dir?“

„Jetzt, da du wieder bei mir bist, auf jeden Fall.“ Verliebt schmunzelnd sah ich zu ihm auf und begann mit den Fingern seiner Hand zu spielen.

„Rutsch mal nen Stück“, forderte er mich auf und ehe ich mich versah, hatte er mich nach hinten auf die zweite Betthälfte gedrängt und sich selbst auf die erste gelegt. Aber im Gegensatz zu meinen Befürchtungen ging er nicht auf mich los, sondern lag einfach auf dem Rücken, seinen Arm hinter den Kopf gelegt, die Beine überkreuzt. Meine Hand hatte er nicht losgelassen.

„Du bist echt das Einzigartigste, was mir je passiert ist“, sagte Lys nach einer Weile.

„Das glaub ich dir gern“, schnaubte ich lächelnd. Ich lag auf der Seite zu ihm gewandt und konnte mich an ihm einfach nicht sattsehen.

„Vorhin hatte ich echt Panik.“

„Du meinst, als ich sagte, dass mir schlecht ist?“

„Mir war so, als ob mir jemand mein Herz herausreißen würde.“

„Sorry, ich wollte dich nicht verletzen. Du hattest nur so ein Gefühlschaos in mir verursacht, was sich irgendwie voll auf meinen Magen ausgewirkt hat.“

„Ist dir immer übel, wenn ich in deiner Nähe bin?“

„War. Mir war übel. Jetzt geht es einigermaßen, was vielleicht daran liegt, dass ich mit mir langsam ins Reine komme.“

„Das ist gut.“ Als hätte Lys nur auf so eine Bestätigung gewartet, kuschelte er sich ganz nah an mich heran. Seine nassen Haare kitzelten an meiner Nase und ich begann anfangs zögerlich, dann ganz frei seine Schulter bis zum Hals zu kraulen.

„Hmmm. Ich glaube mit lernen wird das heute nichts mehr“, schnurrte mein Schatz und reckte sich so, dass ich ihn besser streicheln konnte.

„Das glaube ich auch.“ Zsss… wer denkt schon in so einen Moment an sowas?

Meine Augen wurden mit der Zeit immer schwerer, und ehe ich mich versah, war ich zusammen mit Lys eingenickt. Erst das Klopfen an der Zimmertür weckte mich wieder auf.

„Lysander. Ich bin wieder da. Darf ich kurz reinkommen?“, hörte ich meine Professorin draußen fragen. Scheiße! Genau dieses Wort schwirrte gerade durch meinen Kopf und ließ mich hochfahren. Lys grummelte nur und drehte sich mit dem Rücken zu mir auf die Seite.

„Lysander?“ Und schon trat Frau Schmidt in den Raum. Ich glaube, wir schauten beide so ziemlich erschrocken aus. „Thilo?“

„Ähm…“, begann ich zu stottern und zappelte unruhig hin und her. Mein Schatz wachte von den Bewegungen auf (endlich!) und rieb sich verschlafen die Augen.

„Hey Mom. Schon zurück?“, begrüßte er gähnend seine Mutter.

„Ja, bin ich“, meinte diese bissig. „Willst du mir nicht erklären, was das soll?“

„Oh. Sorry. Das ist Thilo. Thilo meine Mom.“ Der Kleine war so verpennt, dass er noch gar nichts schnallte.

„Ich weiß, wer das ist. Aber was verdammt noch eins sucht er in deinem Bett?!“, fing sie an zu schimpfen. Dann machte es endlich bei ihm klick.

„Oh… Mom. Bitte, es tut mir leid. Das ist einfach so passiert.“

„Einfach so passiert???“, rief Frau Schmidt. „Wenn du keine Lust zum Lernen hast, ist das eine Sache. Aber was Herr Gott noch mal gibt dir das Recht, mit deinem Lehrer zu schlafen?!“ Bildete ich mir das nur ein oder wurde die Professorin hysterisch?

„Ich liebe ihn“, flüsterte Lys trotzig und schaute zu Boden.

„Bitte was?“ Ungläubig wurden wir angestarrt.

„Wir lieben uns“, kam ich meinem Schatz zur Hilfe und nahm seine Hand in meine. Die Frau vor uns atmete hörbar aus und schüttelte ihren Kopf.

„Wenn das so ist, ist ja alles in Ordnung.“

Überrascht blickten wir auf.

„Meine Güte, ich dachte, du schläfst mit ihm nur, damit du nicht Mathe üben musst.“

„Mom!!!“ Verärgert sahen sich beide an.

„Hör auf, Lysander. Deine Aktion ist auch nicht besonders clever. Wir sind also quitt.“

„Okay, das nehm ich an“, meinte mein Schüler kleinlaut und beide Gesichter entspannten sich wieder. Was war das hier? Eine Verhandlung?

„Was Sie allerdings betrifft, Thilo…“, setzte Frau Schmidt an, doch ich unterbrach sie sofort.

„Ich will weder eine Sonderbehandlung an der Uni, noch nehme ich weiter Geld für den Unterricht.“

„Oh, das überrascht mich. Eigentlich wollte ich sagen, dass es keine Gehaltserhöhung geben wird und wegen der Uni… Dort wird Ihnen auf jeden Fall eine Sonderbehandlung zuteil. Denn ab jetzt werde ich ein besonderes Auge auf ihre Arbeiten haben.“ Lys wollte schon widersprechen, aber ich streichelte ihm nur beschwichtigend über seine Wange.

„Damit kann ich leben.“ In dieser Hinsicht konnte mir echt nicht viel passieren. Mein Studium lag mir einfach und ich gehörte unter die ersten zehn. Was wollte ich mehr?

„Dann wär ja alles soweit geklärt. Okay, in zehn Minuten gibt es Abendbrot. Macht euch bis dahin fertig.“ Und schon war sie wieder aus dem Zimmer verschwunden.

„Das ging ja gerade noch mal gut“, sagte ich erleichtert.

„Das war auch nur die erste Phase.“

„Du meinst, sie kann noch krasser werden?“

„Das auch. Sie wird dich aber vorher noch ein paar Mal auf die Probe stellen“, erklärte Lys nicht gerade begeistert, stand auf und zog sich ein locker sitzendes T-Shirt an.

Das waren also die Klamotten, die er zu Hause trug. Alles sah etwas ausgewaschen und zwei Nummern zu groß aus. Bei diesem Anblick stahl sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen, da das einfach zu niedlich ausschaute.

„Du bist der Erste der dabei lächelt, wenn ich erzählt habe, was meine Mom noch vor hat“, wunderte sich mein Schatz und musterte mich stirnrunzelnd.

„Ich lasse die Phasen deiner Mutter einfach auf mich zukommen. Ändern kann ich doch eh nichts daran“, sagte ich schulterzuckend. „Außerdem musste ich wegen dir grinsen“, gab ich leise zu und zupfte vielsagend an seinem übergroßen Shirt.

„Hey. Ich weiß, dass ich darin nicht besonders sexy ausschaue, aber die sind echt bequem. Gerade für zu Hause“, versuchte Lys sich zu rechtfertigen.

„Ich finde, du siehst darin niedlich aus“, flüsterte ich und starrte verlegen zu Boden.

„Niedlich?“, wiederholte er meine Worte. Am Rande des Bettes sitzend, spielte ich nervös mit meinen Fingern und nickte nur leicht mit dem Kopf. „Du findest mich also in den Lumpen niedlich“, kicherte mein Schatz, setzte sich kurzerhand auf meinen Schoß und schlang seine Beine um meine Hüfte.

Dann legte er seine Arme um mich und zog sich somit noch dichter an meinen Körper heran. Ich hingegen wagte nicht im Geringsten, ihn zu berühren. Händchen halten oder mal kurz über die Wange streicheln war ja noch okay. Aber schon das Kraulen vorhin über seine nackte Schulter hatte das ausgelöst, was ich die ganze Zeit vermisst hatte. Das berühmte Bauchkribbeln. Aber alles in solch einer geballten Ladung, dass ich glaubte, tausende von Schmetterlingen würden mit ihren Flügeln meinen Magen von innen kitzeln. Es war überwältigend und viel zu viel auf einmal. Lys knabberte derweil an meinem Ohrläppchen und Hals. Seine Finger suchten sich gerade einen Weg unter mein Shirt, als wir es von draußen rufen hörten.

„Ihr habt noch fünf Minuten.“

Genervt zog mein Schatz seine Hände zurück und sah mich an.

„Du schaust seltsam aus. Alles okay?“, fragte Lys besorgt.

„Soweit ja. Ist nur alles ein wenig viel für den Anfang“, antwortete ich leise.

„Du reagierst sehr sensibel auf Berührungen, weißt du das? Sobald ich dich auch nur anhauche, bekommst du sofort eine Gänsehaut. Dabei habe ich noch gar nichts getan.“

Er hatte seinen Arm um meinen Hals gelegt und streichelte mit seinen Fingerspitzen meinen Nacken. Wie sollte ich bitte so ein normales Gespräch führen?

„Ich reagiere nicht so auf Berührungen. Ich reagiere so auf dich.“

Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille. Weder nahmen wir das Gezwitscher der Vögel wahr, welches gedämpft von draußen hinein schallte, noch das Klappern von Geschirr aus der Küche. Einige Sekunden sahen wir uns einfach nur an. Blickten uns tief in die Augen. Dann küssten wir uns. Zuerst ganz zaghaft und vorsichtig, als wäre der andere aus Zucker und könnte jeden Moment auseinanderbrechen. Dann spürte ich, wie Lys’ Zunge fordernd über meine Lippen strich. Nur zögernd öffnete ich meinen Mund, und als sich unsere Zungen trafen, explodierte ein Feuerball der Gefühle in mir, bei dem mir kurz schwarz vor Augen wurde.

„Du reagierst so intensiv und unschuldig wie ein kleines Kind“, schmunzelte mein Schatz und streichelte mit seiner Nase über meine.

„Tut mir leid. Ich versuch es ja, aber ich kann es irgendwie nicht steuern.“

„Hey, du brauchst dich für gar nichts zu entschuldigen. Außerdem finde ich das…“, er überlegte kurz. „niedlich.“

Ich konnte nicht anders, als ihn verklärt vor Liebe anzulächeln.

„Komm. Wir sollten langsam in die Küche gehen. Sonst nervt meine Mom wieder.“

„Moment mal. Ich soll auch mit zu Abend essen?“

„Klar. Sie sagte doch, dass WIR uns fertig machen sollen. Das ist übrigens die zweite Phase.“

„Oh, wie beruhigend.“

Beide grinsten wir uns an, ich richtete meine Sachen und zusammen liefen wir dann in die Küche. Dort war alles im amerikanischen Stil gehalten. Auf der einen Seite war eine große Kochecke mit allen möglichen modernen Geräten ausgestattet (selbst der Kühlschrank hatte einen Eiswürfelspender). Davor sah ich eine Theke mit Barhockern. Auf der anderen Seite stand ein Tisch mit vier Stühlen, der reichlich bedeckt war.

Lys geleitete mich zu einem der Stühle und setzte sich dann neben mich. Ihm gegenüber saß seine Mutter. Ihre Haare, die sie sonst streng nach hinten gebunden hatte, fielen ihr nun weit über die Schultern. Sie trug außerdem anstatt einem ihrer Kostüme eine schlichte, ausgewaschene Jeans und ein Holzfällerhemd, dessen Ärmel nach oben gekrempelt waren. Das ganze machte die Frau noch viel jünger und vor allem hübscher.

„Und, wie lief es heute bei dir?“, durchbrach Lys die Stille und langte nach einer Scheibe Brot.

„Hör bloß auf“, stöhnte seine Mutter. „Manche Professoren sind so kleinkariert.“

Nebenher goss sie ihr Glas halbvoll mit Saft. Leider war dann die Flasche schon alle.

„Oh. Schatz, gehst du bitte fix in den Keller und holst zwei neue Flaschen hoch? Hier oben habe ich keine mehr.“

Stirnrunzelnd sah mein Freund seine Mutter an. Dann stand er langsam auf und kniff seine Augen zusammen.

„Das ist doch ne Farce.“

„Auf jeden Fall.“

Genervt nahm Lys die Plasteflasche aus ihrer Hand und verließ die Küche. Sobald die Wohnungstür zu hören war, legte Frau Schmidt ihr belegtes Brot beiseite und sah mich direkt an. Ich hatte mich bisher nicht getraut, etwas anzufassen.

„Okay. Reden wir nicht groß um den heißen Brei herum. Seit wann geht das schon zwischen euch beiden?“

Oh Mann. Ich kam mir wie ein kleines Kind vor, das heimlich von der verbotenen Schokolade genascht hatte.

„Seit heute“, antwortete ich kleinlaut.

„Dann habt ihr noch gar nicht miteinander geschlafen?“, fragte sie überrascht, worauf ich meinen Kopf schüttelte. „Hm, seit einem Monat arbeiten Sie für mich“, überlegte sie laut und redete dann versöhnlicher weiter. „Bei den anderen hatte er nie so viel Geduld. Sie müssen ihm wirklich etwas bedeuten.“

Verwirrt schaute ich zu meiner Professorin auf.

„Es ist so, dass vor zwei Jahren seine erste große Liebe mit ihm Schluss gemacht hatte. Er war so deprimiert, dass er sich erst niemanden mehr und später alle nur flüchtig anschaute. Er ist noch sehr jung, aber ich dachte, wenn er sich einmal richtig ausgetobt hätte, würde er wieder ruhiger werden. In letzter Zeit hatte ich mir schon Sorgen gemacht zwecks des Verschleißes. Und jetzt kommen Sie einfach so daher und bändigen meinen Quirlgeist.“

„Ich habe ihn nicht gebändigt, und das will ich auch nie. Ich empfinde nur unheimlich viel für ihn. Das ist alles.“

Frau Schmidt musterte mich noch kurz, doch dann begann sie zu lächeln.

„Gut.“ Damit war wohl alles für die Professorin soweit geklärt, denn sie nahm wieder ihr Brot und biss genüsslich hinein. „Greifen Sie zu“, forderte sie mich freundlich auf, und gehorsam wie ich war, langte ich nach einer Scheibe Brot, Butter und Käse.

Die Stimmung hatte sich deutlich gelockert und wir unterhielten uns gerade über ein paar fachliche Themen, als Lys endlich wieder in die Küche trat.

„Sag mal Schatz, wo warst du denn so lange? Wir wollten dir schon einen Suchtrupp nachschicken.“

„Sehr witzig. Die alte Schachtel aus dem Erdgeschoss wollte, dass ich ihr zwei Kisten Selters aus ihrem Keller mitbringe, weil ja morgen ihr Romméclub zu Besuch ist und was weiß ich nicht wie aufregend das wird“, meckerte mein Freund, stellte die zwei Saftflaschen auf den Tisch und setzte sich wieder neben mich.

„Das ist eine ältere Dame, die froh ist, jemanden zum Reden zu haben“, versuchte die Professorin ihren Sohn zu beruhigen.

„Kann die nicht morgen ihre halbtoten Freunde zulabern?“

„Lysander!“ Mahnend schüttelte die Frau ihren Kopf, konnte sich aber dennoch ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann wandte sie sich wieder an mich. „Wo waren wir stehen geblieben?“

„Bei Professor Jentzsch“, half ich ihr aus.

„Ah genau. Also, er ist mir ein wenig zu theoretisch.“

„Finde ich auch. Wenn er bei seinen Lesungen mehr praktische Beispiele einbringen würde, wäre die Thematik viel einfacher zu verstehen“, pflichtete ich Frau Schmidt bei.

Ich biss gerade von meinem Brot ab, als ich zu Lys rüber sah. Der blickte allerdings nur apathisch seine Mutter an und bekam beim Einschenken des Saftes nicht mit, dass sein Glas schon längst voll war.

„Lys!“

Erschrocken schaute er zu mir, dann auf den Tisch, wo sich eine Pfütze gebildet hatte.

„Shit!“ Endlich stellte mein Schatz die Flasche beiseite und sprang auf, um die Küchenrolle zu holen.

„Was machst du denn?“ Auch seine Mom war aufgestanden, und beide tupften sie nun den Saft vom Tisch.

„Tschuldige.“ Mehr brachte Lys nicht raus.

Irgendwas schien ihn total irritiert zu haben. Was genau erfuhr ich erst eine Dreiviertelstunde später, als wir fertig mit Essen und wieder allein auf seinem Zimmer waren. Frau Schmidt hatte sich nach dem Abendbrot mit einem Buch von mir verabschiedet.

„Was hast du mit meiner Mom gemacht?“, fragte mich auf einmal mein Liebster. Er lag auf dem Bett und starrte die Decke an. Seine Arme hatte er hinter seinem Kopf verschränkt und die Beine wieder überkreuzt. Ich saß im Schneidersitz daneben an die Wand gelehnt.

„Was meinst du?“

„Komm schon, Thilo. Ich weiß genau, dass ihr über mich gesprochen habt. Allerdings hat sich hinterher noch nie jemand so locker mit meiner Mom unterhalten können.“

„Nur kurz.“

„Spann mich nicht so auf die Folter. Erzähl schon!“

Mit einem Seufzer erzählte ich, was vorgefallen war. Lys hatte sich aufgesetzt und schaute bedröppelt zu Boden.

„Mann. Damit ist sie echt zu weit gegangen.“

„Hey. Sie macht sich doch nur Sorgen.“

Verwundert sah er auf.

„Dich stört das gar nicht, dass ich schon mit so vielen geschlafen habe?“

Liebevoll lächelte ich ihn an und streichelte über seine Wange.

„Ehrlich gesagt hat es mich traurig gemacht. Du hattest ihn wirklich sehr gern gehabt, wenn du dich so lange mit jemand anderem ablenken musstest.“

Lys kuschelte sich zwischen meine Arme und rückte seinen schmalen Körper so dicht wie nur möglich an meinen.

„Das hatte ich. Alex war mein Sandkastenfreund. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und sind zusammen aufgewachsen. Wir haben echt nur Blödsinn gebaut. Vielleicht lag es genau daran, dass wir uns schon so lange kannten. Länger als ein halbes Jahr haben wir zusammen nicht durchgehalten. Er war viel zu nett zu mir und ich… keine Ahnung. Ich war ein Idiot. Es war besser so wie es gekommen ist. Schließlich durfte ich dadurch dich kennen lernen.“

Er küsste mich an meinem Hals entlang, über mein Kinn bis zu den Lippen. Dann nahm er mein Gesicht in beide Hände und sah mir tief in die Augen. Lys hatte wohl mitbekommen, dass ich seinen Kuss nur zögerlich erwiderte.

„Alex werde ich nie komplett vergessen können. Er ist und bleibt ein Teil meines Lebens. Aber ich liebe ihn nicht mehr. Das ist mir spätestens dann aufgefallen, als ich dich das erste Mal sah. Ich will nur noch dich.“

Ich konnte mich nicht ganz an den Gedanken gewöhnen, dass mein Schatz jemanden so sehr geliebt hatte, dass er gute zwei Jahre Frust schieben musste, um über ihn hinweg zu kommen. Was wäre, wenn er diesem Alex noch einmal begegnete? Was wäre, wenn der Typ plötzlich vor der Tür stände und ihn zurückhaben will? Wie würde Lys sich entscheiden?

Diese Fragen konnte ich meinem Schatz unmöglich stellen, denn er würde mir eh keine Antwort darauf geben. Außerdem wollte ich ihn nicht vor die Wahl stellen. Momentan war er hier, hier bei mir. Und das war alles, was gerade für mich zählte.

„Ich vertrau dir“, flüsterte ich ihm deshalb ins Ohr und küsste ihn zum ersten Mal aus eigener Initiative. Lys strahlte mich danach überglücklich an und so lagen wir noch bis spät abends auf seinem Bett und kuschelten wie blöde miteinander rum.


Es waren gut zwei Wochen vergangen und ich stand in einem Club mit lauter schwarzen Leuten. Es war Samstag und mein Schatz und seine Band sollten endlich ihren Auftritt haben. Eineinhalb Stunden durften sie kräftig abrocken, danach würde ein DJ auflegen, der auch noch den Rest zum Rudern bringen sollte. Lys und seine Freunde waren also sowas wie die Vorgruppe.

Mein Liebster hatte sich vor einer halben Stunde verabschiedet und sich mit den anderen zu deren Kabine verzogen. Ich wollte ihm und seinen Kollegen nicht im Weg stehen, weswegen ich es vorzog, mir ihren Auftritt lieber von vor der Bühne anzuschauen. Und dieser war einfach nur hammergeil! Die Menge war am jubeln und die Gruppe am feiern. Mir war, als ob Lys nur für mich singen würde, als ob seine türkisfarbenen Sterne nur mich anstrahlten. Er war der absolute Wahnsinn.

Nachdem auch die Zugabe vorbei war, lief ich an der Bar entlang nach hinten zu den Kabinen. Länger ohne meinen Schatz hielt ich es einfach nicht aus. Ich bog gerade um die Ecke, als ich mitten im Schritt innehielt. Ein Reporterteam irgendeiner Zeitschrift hatte die vier und noch so einen anderen Typen in Beschlag genommen.

Lange, schwarze Haare, vornehm nach hinten gebunden, große, breite Schultern, aber nicht dick. Er hatte so einen gothic-mäßigen Anzug an, in dem er richtig gut aussah. Zu gut. Denn er tänzelte die ganze Zeit um meinen Liebsten herum. Hier ein paar Fotos, wo er ihm – natürlich rein freundschaftlich – den Arm um die Schulter legte, dort ein Interview, bei dem der Typ ihn am Rücken berührte und vielleicht eine passende Antwort ins Ohr flüsterte.

Wer verdammt noch mal war der Kerl? Und wieso ließ Lys sich das einfach so gefallen? Ich kochte vor Eifersucht. Dass, als die Reporter verschwunden waren, sich alle noch mal umarmten, trug weniger zu einer Beruhigung bei. Der hielt ihn doch tatsächlich länger fest als die restlichen Bandmitglieder. Dann kamen alle auf mich zu, schließlich stand ich ja neben ihrer Kabine.

Alle, außer Lys und der Typ. Denn dieser hielt meinen Schatz zurück und begann leise auf ihn einzureden. Ich war echt in Versuchung, einfach hinzugehen und meinen Liebsten dort wegzuziehen, denn er sah nicht glücklich aus bei dieser Unterredung. Schaute die ganze Zeit bedröppelt zu Boden und nickte ab und zu. Aber die anderen drei nahmen mich vorher für sich ein.

„Na, Thilo. Wie fandest du uns?“, sprang Micha begeistert auf mich zu. Ich zwang mich, meinen Blick von Lys abzuwenden und versuchte mich auf die total fertig, aber doch überglücklich ausschauenden Kids vor mir zu konzentrieren.

„Ihr ward echt der absolute Hammer! Meine Ohren sind jetzt noch ganz taub von dem ganzen Gejubel neben mir.“

„Ich fand, die Akustik war nicht so toll. Man hätte die Anlage besser aufeinander abstimmen können“, meinte Kevin, der Gitarrist.

„Davon hab ich zwar überhaupt keine Ahnung, aber vor der Bühne klang das einfach nur mal saugeil.“ Somit nahm ich ihm auch den letzten Zweifel.

„Kommt, lasst uns nach vorne gehen und noch ein bisschen feiern. André meinte, es würde reichen, wenn wir alles morgen abbauen. Ich bin übel in Partystimmung“, verkündete Anne, steckte die Sticks für ihr Schlagzeug in eine passende Halterung an ihrem Gürtel und sprang so lange hibbelig um die anderen herum, bis diese sich endlich von mir verabschiedeten.

Als ich wieder allein dastand, schaute ich zu Lys, was ich vielleicht nicht hätte tun sollen. Denn der Typ griff gerade unter Lys’ Kinn und hob sacht seinen Kopf hoch, damit er ihn anschauen musste. Der Kerl redete weiter auf ihn ein und mein Schatz nickte nur knapp mit einem todtraurigen Gesicht. Das reichte! Was gibt diesem Typen das Recht dazu, meinen Liebsten so zu quälen?!

Ich setzte mich schon in Bewegung und stampfte wütend auf die beiden zu, als der Kerl Lys’ Kinn los ließ und mein Schatz ihm regelrecht in die Arme sprang. Der ältere sah zwar zuerst etwas überrascht aus, drückte dann aber den Kleineren genauso fest an sich. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Was sollte das jetzt? Zuerst lässt er sich runtermachen und dann wirft er sich in seine Arme? Wer sollte denn sowas kapieren? Eine gute Minute standen sie so da, bis sie sich endlich lösten und auf mich zukamen.

„Na dann, schönen Abend euch noch“, grinste der Typ mich an und wollte eine Hand auf meine Schulter legen. Doch wütend wie ich war, schlug ich sie beiseite.

„Leck mich doch“, blaffte ich und funkelte ihn böse an. Er sah mit gerunzelter Stirn zu mir, begann dann zu schmunzeln und wandte sich an Lys.

„Klär das“, meinte er knapp und war Sekunden später um die nächste Ecke verschwunden.

„Sag mal, was sollte das eben?“, fragte mich mein Schatz verärgert.

„Das könnte ich dich auch fragen. So wie du ihm an den Hals gesprungen bist“, zickte ich zurück.

„Du bist schon wieder eifersüchtig“, stellte Lys fassungslos fest, worauf meine Wangen heiß aufbrannten.

„Der Typ ist auch ganz schön um dich drum rumgetänzelt.“

„Der Typ ist unser Manager! Das ist sein gottverdammter Job!“

„Ich wusste gar nicht, dass Grabschen neuerdings zu den Aufgaben eines Managers gehört.“

Keine Ahnung, warum ich so dermaßen überdreht auf die ganze Sache reagierte, aber ich ertrug es nicht, meinen Liebsten in den Armen eines anderen zu sehen. Lys war überhaupt nicht begeistert von meiner Reaktion. Es sah eher so aus, als würde er mir jeden Moment eine reinhauen.

„Das reicht“, meinte er plötzlich, packte mich am Handgelenk und schleifte mich hinter sich her.

Ich war so perplex, dass ich erst Minuten später, als wir uns schon draußen auf der Straße befanden, nachfragte, wo wir eigentlich hingingen.

„Was klären“, war die einzige Antwort, die ich bekam. Nach zwanzig Minuten standen wir vor seiner Wohnungstür, die er lautstark aufschlug.

„Vorsicht, deine Mom!“

„Die ist auf Lehrgang und kommt erst morgen Abend wieder.“

Lys zerrte mich in sein Zimmer, schubste mich auf sein Bett und setzte sich sofort auf mich drauf. Schnell hatte er sich sein Shirt über den Kopf gezogen und warf es achtlos beiseite. Dann begann er mich am Hals aufwärts zu küssen, seine Finger stahlen sich unter mein Oberteil und seine Zunge bahnte sich unaufhaltsam einen Weg in meinen Mund.

‚Scheiße, was passiert hier? Das ganze war noch lange nicht ausdiskutiert. Auf dem Weg hierher war er nicht ansprechbar gewesen, und jetzt wollte er einfach alles vergessen machen, indem er mich verführt???‘

„Lys, warte“, versuchte ich ihn aufzuhalten.

„Nein, ich werde nicht warten. Keine Sekunde mehr länger. Erst dann wirst du wohl endlich begreifen, wie viel du mir bedeutest.“

‚Wie bitte? Er wollte doch jetzt nicht mit mir schlafen?!‘ Gut, wir waren zirka zwei Wochen zusammen, aber außer Händchen halten, kuscheln und ein paar harmlosen Küssen war bisher nichts gelaufen. Ich hatte viel zu viel Panik vor mehr.

„Ich kann das nicht. Lys. Hör auf. HÖR AUF!!!“

Da mein Schatz immer noch nicht aufhörte mich zu bedrängen, wurde ich immer lauter. Zum Schluss stieß ich ihn panikartig von mir weg, sodass er wieder mal vor dem Bett auf seinem Hinterteil landete. Mit schnellem Atem richtete ich mich auf und blickte zu Lys hinab. Er schaute mir nur erschrocken in die Augen. Dann schien er zu begreifen, was er gerade mit aller Gewalt erzwingen wollte und sah plötzlich verwirrt und ängstlich in die Gegend.

„Tut mir leid“, meinte er, stand auf und fuhr sich nervös durch die Haare. „Vergiss das einfach.“

Und schon war er aus dem Zimmer verschwunden. Ich hörte noch die Tür im Nebenraum klappern, stand auch auf und folgte ihm ins Bad. Lys hing über dem Waschbecken und spritzte sich Wasser ins Gesicht.

„Lys?“ Zögernd ging ich auf ihn zu. Was war hier nur los?

„Wir sollten damit aufhören“, sagte er leise.

„Mit was?“, fragend sah ich ihn ängstlich an.

„Mit uns.“

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