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Abseits

Teil 2

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Vorwort

Hi!

Thanx an Catha und Dario fürs Korrekturlesen. Thanx an Sammy für die Übersetzung ins Bayerische. Knuddel euch.

So nun aber viel Spaß beim Lesen.

Feedback ist herzlich willkommen, traut euch nur, ich beiße nicht.

Euer Dennis

 

Sean Kaiser Trainingslager Portugal

Das Trainingsgelände samt Hotelanlage lag direkt am Meer, sehr schön für einen Urlaub. Urlaub? Hmm, genau darin lag das Problem, ich war ja nicht hier, um Urlaub zu machen. Trainingslager, im Spieler Jargon auch nur einfach Straflager genannt, waren hart - sehr hart. Ich hatte mit Daniel ein Doppelzimmer bezogen, die meisten Spieler, bis auf die Schnarcher, hatten ein Doppelzimmer. Die Zimmer waren relativ groß geschnitten mit einem modernen Ambiente, welches mir sehr gefiel. Im Grunde genommen alles da, um sich Pudelwohl zu fühlen, wäre da nur nicht dieses Training gewesen. Morgens um sieben war aufstehen, frühstücken bis acht und danach Training. Das Training bestand eigentlich nur aus einem: am Strand im tiefsten Sand laufen bis man das Gefühl hatte sich die Lunge aus dem Leib kotzen zu müssen, einige erbrachen tatsächlich, und das jeden Tag. Eine Stunde lang diese Tortour danach war Stretching, ein paar Dehnübungen angesagt.

Nach dem Mittagessen, meist Pasta, war dann relaxen angesagt, um diese Tageszeit war es einfach zu warm um zu trainieren, außerdem sollten die Körper sich ja auch regenerieren. In dieser Zeit schliefen wir Spieler meist oder faulenzten am Pool. Das einzig vorteilhafte an dieser Veranstaltung war, dass ich meine Mitspieler besser kennen lernen konnte, was ich dann auch ausgiebig tat. Bei einigen blieb ich bei meiner anfangs oberflächlichen Einschätzung, bei anderen musste ich sie revidieren, meist zum positiven. So stellte sich heraus, dass mein Mitstürmer ein absolut lieber Typ war, mit dem man eine menge Spaß haben konnte. Mein freundschaftliches Verhältnis zu Daniel wurde immer besser, mit dem lag ich wirklich auf einer Wellenlänge, und schon bald verstanden wir uns blind, nicht nur im Spiel.

Es war mittlerweile der vierte Tag hier und ich beendete gerade das allabendliche Telefongespräch mit Benny indem ich sagte: »Ich dich auch.«

Als ich aufsah grinste mich Daniel von seinem Bett her an.

»Was ist? Warum grinst du so?«

»Niiichts!« wieder dieses grinsen.

Also warf ich mich zu Daniel ins Doppelbett, meinen Kopf mit einer Hand abstützend, sah ich ihn nun an.

»Und? Also was ist?«

Daniel sah an die Decke und schien nachzudenken.

»Hmm, sag mal Sean?«

»Ja?«

»Was läuft da eigentlich zwischen dir und Benny?«

Im Nachhinein wusste ich nicht wieso, die Sonne? die Stimmung? Daniel? Aber was ich wusste war, dass ich ihn nicht belügen wollte, auch wenn es unangenehm werden könnte. Mir war es egal, ich dachte an Benny und war unendlich stolz auf ihn, ihn zu haben – nein falsch - mit ihm zusammen zu sein, das alles zusammen.

»Benny und ich sind ein Paar.«

Daniel sah kurz erstaunt auf um sich dann auch gleich wieder in altbekannter Pose hinzulegen.

»Schockiert?«

»Nein, aber dass du es so offen zugibst, dass überrascht mich schon.«

»Mich ja ehrlich gesagt auch.«

»Danke für dein Vertrauen.«

»Behalte es aber bitte für dich.«

»Klar, obwohl ich schon gerne wüsste, wie die anderen darauf reagieren würden.«

»Ich lieber nicht.«

»Hast ja Recht, also von mir erfährt keiner was.«

Wir unterhielten uns dann noch ne Zeitlang über das Thema, und Daniel schien auch wirklich interessiert zu sein. Immer wieder hakte er nach, wenn er etwas genauer wissen wollte. Es ist schön jemanden zu haben, mit dem man so offen über das Thema reden konnte. Dieses kleine Geheimnis bestärkte unsere Freundschaft nur noch mehr. Daniel nahm es wirklich sehr locker auf, verhielt sich so wie immer, vollkommen ohne Berührungsängste.


Benjamin Degen München

So langsam kam Langeweile auf, die nähere Umgebung hatte ich schon ausgiebig erkundet, was nicht wirklich spannend war. Halt so`n stinknormal spießiges Wohnviertel. Gut, okay, die Anwesen waren natürlich allesamt größer als normal, aber da gewöhnte man sich recht schnell dran. Mein Bruder Leif war mal wieder spurlos verschwunden, in den vier Tagen, in denen wir nun schon alleine waren, hatte ich ihn höchstens mal kurz vorm zu Bett gehen gesichtet. Ich möchte echt mal wissen, was der so den ganzen Tag macht. Hmm. Was soll`s?

Ich musste noch einkaufen, ein paar Häuser weiter gab es so nen kleinen Supermarkt. Zwar etwas überteuert aber mit einer guten Sortimentsauswahl. Also ging ich dort hin, um mich durch die Gänge zu kämpfen. Die meisten Kunden schienen hier Stammgäste zu sein, so kam es, dass sich an jeder Ecke so ein kleiner Menschenauflauf bildete, um die neusten Gerüchte aus dem Viertel auszutauschen. Die Wortfetzen, die mir an den Kopf flogen, konnte ich nur so halbwegs gut verstehen, sie waren doch schon sehr heftig hier mit ihrem Dialekt. Andererseits ging es mir auch so ziemlich am Arsch vorbei worüber sich die Damen der Gesellschaft ausgiebig beraschten. Ich wollte nur schnell meinen Einkauf, der aus ein paar Getränken und Knabberzeugs bestand, beenden. Einkaufen oder Shopping ist grundsätzlich ein Gräuel für mich, ich konnte noch nie verstehen warum Menschen, insbesondere das weibliche Geschlecht, stundenlang durch Geschäfte gingen, um sich dann doch nichts zu kaufen, für mich ist das nur pure Zeitverschwendung.

Die paar Sachen hatte ich dann auch schnell zusammen und so ging es zur Kasse. Von den hier aufgestellten drei Kassen hatten zwei geöffnet -schon wieder dieses Pokerspiel- welche Kasse ich am schnellsten hinter mich bringen könnte. Ich entschied mich für die mit den wenigsten Kunden, was mir immer am logischsten erschien. Drei Kunden waren noch vor mir dran während an der Nebenkasse fünf Kunden warteten. Irgendwie hatte ich bei diesem Pokerspiel immer das Gefühl, dass nur ich der Gearschte bin, und so lief es auch diesmal ab. Während an der Nebenkasse zügig abkassiert wurde, tratschte meine Kassiererin mit ihrer Nachbarin. Hätte ich meine Ware nicht schon längst aufs Fließband gelegt, ich glaube, ich wäre umgedreht und hätte die andere Kasse genommen. Nachdem sechs Kunden an der Nachbarskasse durchmarschierten, war nun ich dran zu bezahlen. Meine Kassiererin war so ein Mensch mit einer unerträglich schrillen Stimme, Désirée Nick lässt grüßen- boahhhhh!

»Griass Got!«

»So weit werde ich heute hoffentlich nicht mehr kommen.« Grummel.

»Bittschee, wos hom´s gsogt?« Sie sah mich doch etwas irritiert an.

»Nichts, schon gut.« Nuschelte ich ihr zu.

»Ah, sand´s woi net vo do?«

»Zugezogen.«

»Ah, wo sand´s denn hea?«

»Hamburg.«

»A Preiss oiso!?!«

»Bitte? Welcher Preis?«

»Wos?«

»Schon gut.«

Nachdem die gute Frau dann endlich alle Waren übers Lesegerät gezogen hatte und ich ihr meine EC-Karte gegeben hatte, fingerte sie so ungeschickt mit der Karte herum, dass sie ihr aus den Händen glitt und genau in einen schmalen Schlitz zwischen Kasse und Kassentisch hinein rutschte. Na super! War ich bis jetzt nur etwas genervt so änderte es sich schlagartig in angefressen sein. Eine hypernervöse Kassiererin hüpfte nun mit ihren Armen wild fuchtelnd in der Kassenzone herum. Alle Aufmerksamkeit seitens der wartenden Kunden war uns nun sicher und wenn ich eines nicht mag dann so im Mittelpunkt zu stehen. Die Arbeitskollegin des Kalmar -sorry, aber so wie die Dame mit ihren Armen herumfuchtelte, das hatte schon Ähnlichkeiten mit den Tentakeln eines Kalmars- kam mit einer Pinzette und schwups war meine Karte befreit. Geht doch! Nach einigen Entschuldigungen konnte ich dann endlich den Laden verlassen.

Zu Hause angekommen entleerte ich erst einmal den Briefkasten, der mal wieder fast überquoll. Viel Werbung, viel Post für meinen Dad und eine Postkarte aus Hamburg für mich. Auf der Vorderseite dieser Postkarte war so ein kitschiges Hafenmotiv, wie es Touristen so liebten, die Rückseite bestand aus ein paar Zeilen meiner Freunde, die mal wieder nur so`n Bullshit schrieben:

Hey Alter!

Na wie geht's so ohne Meer?

Wir vermissen Dich!

Na ja, und der Rest war eigentlich mit Unterschriften ausgefüllt. Ja, wie fühlte ich mich ohne Meer? Beschissen. Für nicht Küstenbewohner ist es schwer nachvollziehbar aber nach zwei Wochen ohne Meer bekommt man einfach Sehnsucht. Diese Weite, diese Stille nur unterbrochen von kreischenden Möwen, ist für uns wohl gleichbedeutend mit Freiheit. Im Urlaub mal in die Berge zu fahren ist ja ganz nett, aber nach einer Woche ist dann auch gut, sonst bekomme ich dieses Gefühl der Eingeschlossenheit. Scheiße, ein Gefühl von Heimweh überkam mich. Ich sortierte die Post und legte sie zu der anderen auf den Tisch, um mich ein wenig abzulenken. Eine Anzeige in diesen allwöchentlichen Werbezeitungen ließ mich inne halten. Soul-City? Was soll denn das sein? Neugierig geworden las ich die Anzeige und stellte schnell fest, dass es sich um eine Schwulendisse in München handelte, wie passend.

Den Tag verbrachte ich mit E-Mails schreiben an meine Hamburger, herumdösen und DVD gucken. Leif kam so gegen acht Uhr nach Hause.

»Na, Bruderherz was hast du so getrieben?«

»Ach, nichts besonderes. Was gibt's zu essen?«

»Schieb dir ne Pizza in den Ofen.«

»Nee, lass mal, ist nicht so gut für meine Figur, ich mach mir nen Salat.«

Bitte? Seit wann achtet mein Bruder auf seine Figur? Hat er doch gar nicht nötig. Ich ging aber nicht näher darauf ein.

»Ok. Wenn du meinst.«

»Joo, meine ich.«

Hmm, gut. Mein Blick wanderte wieder zur Post, speziell auf die Anzeige des Soul-Citys. Sollte ich dort mal hin? Ich war noch nie in einer schwulen Disse und hatte irgendwie auch Bammel davor. Was würde mich dort erwarten? Ein Sammelsurium beknackter Tucken, die sich nur über die neuste Herbstmode unterhielten? Keine Ahnung. Ach scheiß drauf, ich wollte dorthin! Ich duschte, zog mich an, machte meine Haare, ging ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher an, ging wieder ins Bad um meine Haare zu machen. Nein ich war nicht aufgeregt. Ich doch nicht. Zurück ins Wohnzimmer.

»Also für mich brauchst du dich nicht so aufzutakeln.«

Mein Bruder saß dort und sah MTV.

»Ähm, was?«

»Benny, du läufst hier wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend, bleib mal locker, Mann!«

»Bin ich doch.«

Leif sah kurz auf und wendete sich wieder dem Programm zu, in seiner rechten Hand eine Gabel haltend die gerade eine Gurkenscheibe aus einer Salatschüssel aufspießte. Noch kauend sagte er:

»Sehe ich. Willst du noch weg?«

»Hatte ich vor.«

»Ja oder nein? Wohin?«

»Ja, ins Soul-City ist wohl so`n schwuler Laden hier.«

»Aha, na dann viel Spaß, und was wird Sean dazu sagen?«

»Sean? Wieso?«

»Sean? Dein Freund? Du erinnerst dich?«

Shit! Sean!

»Wie spät ist es?«

»Kurz nach zehn.«

Hmm, gut dann kann ich ihn noch anrufen und tat es dann auch gleich. Er erzählte mir wie sein Tag war, nicht wirklich aufregend, Training halt. Ich verabschiedete mich mit den Worten: Ich liebe dich- Ich dich auch- kam es von ihm zurück, und legte auf. Das mit dem Soul-City erwähnte ich mit keiner Silbe. Warum eigentlich? Ich wusste es nicht.

Die S-Bahn brachte mich zum Soul-City, wo ich dann selbstsicher schnurstracks auf den Laden zuging. 50m davor, war's dahin mit der Sicherheit. Sollte ich da wirklich rein? Angst, Unsicherheit, Beklommenheit, alles auf einmal. Shit! 20m. noch 10m. Scheiß drauf, los jetzt! Die Türsteher beäugten mich, ließen mich aber ohne Kommentar hinein. Ich musste eine Treppe runter, an der Kasse legte ich 5€ hin und war dann auch schon drin.

Ziemlich unsicher checkte ich erst mal die Lage. Ist wohl ein großer Laden, ich ging unsicher weiter, sah Pärchen Mann und Frau, die sich küssten. Das soll ein schwuler Laden sein? Doch da! Ein Pärchen beide Männlich küssten sich. Ok. Es gab hier zwei Dancefloors, einer mit Schlager und Charts der andere mit Trance und House, ich entschied mich für letzteres. Die Musik war gut, das Publikum sehr gemischt, allerdings hatte ich den Eindruck, dass ich angegafft wurde wie bei einer Mastbullenversteigerung. Und das machte mich richtig nervös. Benny, sagte ich mir, lass dir nichts anmerken, sei einfach cool. Ich klopfte mir eine Zigarette aus der Verpackung, die mit Elan zu Boden fiel. Macht nichts Benny kann passieren! Oh Gott, ich führe schon Selbstgespräche. Ich bückte mich, hob die Zigarette auf und fingerte in meiner Hosentasche nach meinem Feuerzeug. Das Feuerzeug machte noch eine elegante Bewegung in meiner Hand und magisch angezogen von der Schwerkraft fiel es ebenso runter. Och nöööö! Eine Gruppe Junx, die ich noch gar nicht bemerkt hatte, fing hinter mir das Lachen an. Schönen Dank auch! Na ja, wahrscheinlich hätte ich auch gelacht und so verflog meine schlechte Laune und ich lachte einfach mit.

»Hier versuch es mal damit!«

Einer der Junx gab mir sein Feuerzeug und ich zündete mir die Zigarette an.

»Danke.«

»Kein Problem. Neu hier?«

»Ja, ich bin seit zwei Wochen hier in München und komme aus Hamburg.«

Wir stellten uns gegenseitig vor, und so erfuhr ich, dass mein Feuerspender Felix hieß und gebürtiger Münchener ist.

»Und Benny wie alt bist du?«

»17 und du?«

»28.«

»Wow, du scheinst ne super Nachtcreme zu haben.«

Felix brach in schallendes Gelächter aus. Nun ja für sein Alter sah er wirklich klasse aus. Ich hätte ihn auf höchstens 24 geschätzt. Wir redeten und lachten dann den ganzen Abend, ähm Nacht, durch bis sich zwei von seiner Gruppe zu uns gesellten um sich zu verabschieden. Ich sah auf meine Uhr, die 04.10 anzeigte. Ich hatte die Zeit einfach vergessen, weil es irrsinnigen Spaß machte, sich mit Felix zu unterhalten. Nur ein Punkt stieß mir auf: Er arbeitete für eine Münchner Zeitung in der Redaktion.

Nobody is perfect! Ich erzählte von Sean, ließ aber aus wer oder was Sean ist. Zehn Minuten später verabschiedete ich mich von Felix, der mich noch zur S-Bahn brachte.

»Und? Hat es dir gefallen?«

»Ja, war nett.«

»Das heißt du kommst wieder?«

»Jupp, denke schon.«

»Schön! Hmm, also wenn du Lust hast können wir ja auch mal telefonieren?«

»Ja klar, gerne!«

»Hast du ein Handy?«

»Jeeeiiinnn, halt mich für altmodisch aber ich habe keins.«

Puhh, gerade mal noch die Biege bekommen. Felix arbeitet bei einer Zeitung und da dürfte es wohl nicht schwer sein die Nummer zu verfolgen.

»Ok, macht nichts ich schreibe dir mal meine auf.«

Während er seine Nummer auf ein Zettel schrieb machte sich mein Handy in der Jackentasche bemerkbar –eine SMS. Shit!

Felix blickte auf und fing an zu lachen.

»Mann, was für ne schräge Nummer, peinlich oder?«

»Ähm, ja.«

Mir war es mehr als peinlich, verlegen sah ich zu Boden.

»Hey, Benny wenn du mir deine Handynummer nicht geben möchtest, ist doch Ok. Du kennst mich ja schließlich erst seit ein paar Stunden.«

»Sorry, ist nicht persönlich gemeint.«

»Dann ist ja gut. Hier!« Er gab mir den Zettel mit seiner Nummer drauf. »Und wie gesagt, du kannst jederzeit anrufen.« »Danke.« In der S-Bahn sah ich nach meinem Handy- die SMS kam von meinem Bruder, in der er sich erkundigte, wo ich denn blieb. Trottel ich. Wir sind in einer fremden Stadt, es ist fast halb fünf, und ich habe mich bei ihm nicht gemeldet. Ich antwortete ihm schnell, woraufhin er dann auch beruhigt war.

Übermorgen wird endlich mein Schatz aus diesem dämlichen Trainingslager zurückkommen- scheiße hatte ich Sehnsucht. Die beiden Tage vergingen aber wie im Flug und dann war es soweit! Sean kam mit meinem Dad die Auffahrt hochgefahren.


Sean Kaiser -- München

Benny wartete schon an der Auffahrt, als ich mit seinem Dad endlich in München ankam. Er kam auf mich zugestürzt und knuddelte mich erst mal. Die nächsten Stunden erzählten wir uns, was uns so passiert war, als Benny mir erzählte, dass er in der Disco war und diesen Presseheini kennen gelernt hatte, zog es mir meinen Magen leicht zusammen. Ich war nicht gerade glücklich darüber, nicht dass er dort war aber dieser Pressefutzi passte mir nicht in den Kram. Benny sah wohl ähnlich betrübt aus als ich ihm von meinem Outing vor Daniel erzählte. Nun gut im Fußball nannte man es wohl Ausgleich.

Es war schön dass ich ihn wieder hatte. Die nächsten Tage hatten wir nicht wirklich viel Zeit miteinander, dazu war die Saisonvorbereitung einfach zu Zeit raubend. Es war ja nicht nur das Training an sich, auch die fast täglichen Test- oder auch Freundschaftsspiele genannt, ließen es einfach nicht zu, dass wir uns so oft sahen. Wir waren aber über die Abende froh, an denen wir mal Zeit miteinander verbringen konnten. An weggehen oder so war aber auch an diesen Abenden nicht zu denken, dazu war ich immer zu geschlaucht. Diese Testspiele waren immer super nervig, man tingelte über die Dörfer und jeder erwartete natürlich, dass wir jede Mannschaft mit einen zweistelligen Ergebnis wegputzten. Gewann man einmal nur knapp, weil der Trainer was neues ausprobierte oder das Training am Tage hart war, hatten wir natürlich die Arschkarte gezogen.

Bennys Vater also mein Trainer war schon sehr in Ordnung, ein Mensch der in seinem Job voll aufging. Autoritär aber nicht zu hart, es machte Spaß mit ihm zu arbeiten. Nun ja, was heißt arbeiten?

In der Anfangsphase wurde ja nur auf Kondition trainiert und dazu hatten wir unseren Konditionstrainer. Das Training an sich leitete dann meist der Co-Trainer, unser Chef-Trainer griff nur bei taktischen Dingen ein. Er ließ das Trainingsspiel sofort unterbrechen um dieses zu korrigieren, was manchmal gar nicht so einfach war. Wir haben sehr viele ausländische Spieler, die unserer Sprache nicht mächtig sind. Das waren dann meist die lustigeren Sachen, wenn sich der Trainer versuchte mit einem Kauderwelsch aus Französisch und Englisch gehör zu verschaffen oder einfach mit Händen und Füßen.

In fünf Tagen haben wir unser Auftaktspiel zuhause gegen Borussia Dortmund, das Stadion ist schon jetzt ausverkauft. Es wurde auch Zeit, dass es endlich losgeht, der Adrenalinspiegel aller Spieler stieg so langsam. Morgen sollte eine Pressekonferenz stattfinden, wo die neuen Spieler vorgestellt wurden. Ich mochte diese Auftritte nicht sehr gerne, da konnte man eigentlich nur verlieren. Ist man zu schweigsam könnte man leicht als Dumpfbacke abgestempelt werden, das Gegenteil könnte bedeuten, dass man in die Kategorie Teenieschwarm eingestuft wird. Außerdem bin ich gerade 17 Jahre alt, wie soll man sich da schon perfekt vor der Presse artikulieren? Ich hatte echt Bammel vor diesem Termin. Benny spürte es wohl, wir saßen gerade zusammen in meinem Zimmer auf dem Bett, als er mich in die Arme nahm und knuddelte. Einfach so. Ohne Worte. Dankbar sah ich ihn an.

»Seani nun mach nicht so ein Drama draus, dir wird schon keiner den Kopf abreißen und wenn, dann bin ich auch noch da.«

»Ich weiß« Und schmiegte mich in seine Arme. »Trotzdem ist es blöde da oben zu sitzen.«

»Du bist US-Amerikaner, na ja wenigstens halb, wenn du Zeit brauchst um eine Frage zu beantworten, tu einfach so als hättest du sie nicht richtig verstanden.«

»Würde das nicht komisch aussehen?«

»Quatsch! Pack einfach deinen Bostoner Akzent aus und jeder würde es dir nachsehen wenn du nicht alles verstehst.«

»Ich habe keinen Akzent!«

»Doch! Und wie! Besonders wenn du was getrunken hast.«

»Blödsinn, du hast mich doch noch nie betrunken erlebt.«

»Und die Grillparty? Schon vergessen?«

»Ach du Doof!«

Ich kitzelte Benny durch und musste grinsen über dieses Du Doof das ich von ihm übernommen hatte. Benny lachte und versuchte aus meiner Umklammerung zu entkommen. Dabei griff er nach hinten und ergriff meinen Steiff-Bären den ich von Geburt an hatte. Ich weiß nicht wer mir dieses Teil damals geschenkt hat, nur dass er wohl schon einige Jährchen auf den Buckel hat. Dementsprechend sah er auch aus. Benny sah mich ernst an und fragte:

»Gehst du fremd?«

Mir fiel alles aus dem Gesicht.

»Was? Nein! Wie kommst du nur darauf?«

»Und was ist mit dem hier, der mit dir das Bett teilen darf?«

Benny zog den Steiff-Bären hervor.

Ich kitzelte Benny erneut durch.

»Hör auf!« Japsend verlangte er einen Waffenstillstand. Ich ließ ihn lachend los und wir legten uns beide Kopf an Kopf aufs Bett. Benny immer noch den Bären in der Hand:

»Wo hast du den her?«

»Hmm, ich weiß es gar nicht genau, den habe ich schon von Geburt an.«

»Der scheint alt zu sein und ist ein Steiff - bestimmt wertvoll.«

»Meinst du?«

»Joo, könnte sein.«

»Ach was, so abgelutscht wie das Teil schon ist?«

»Den kann man restaurieren.«

»Wenn du meinst.«

Pressekonferenz Allianz-Arena München -Sean Kaiser-

Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, der gesamte Vorstand des FC Bayern war anwesend, mitsamt dem Ministerpräsidenten von Bayern. Der Manager Schmidt klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, ich sah ihn nur trübe an. Der Raum fasste 300 Pressevertreter die auf aufgestellten Stühlen saßen, wir auf einer Empore an einem langen Tischen, die bestückt mit Mikrofonen waren. Shit, ich hatte Lampenfieber. Ich setzte mich neben Daniel Berg und goss mir erstmal ein Glas Wasser ein, sah in die Runde und entdeckte Benny vor mir, der in der ersten Reihe saß, und mir den Daumen entgegenstreckte, zum Zeichen –du machst das schon! Ich lächelte zurück. Der Präsident des Vereins eröffnete die Pressekonferenz mit den üblichen Willkommensfloskeln. Der Manager übernahm das Wort und stellte den neuen Trainer und uns Spieler vor. Dann war das Fragen- und Antwortspiel eröffnet.

»Herr Degen, Markus Bauer meine Name, Münchner Kurier, welche Zielsetzungen haben sie sich vorgenommen für diese Saison?«

»Wenn man für den FC Bayern arbeiten darf, weiß man welche Zielsetzungen verlangt werden: nämlich die, Meister zu werden.«

So ging es dann hin und her. Der Trainer schien gut anzukommen, einige lachten bei seinen Antworten, wir wurden erstmal ignoriert was mir nur recht sein konnte. Die erste Frage die an mich gerichtet wurde war von belangloser Natur.

»Sean Kaiser, Gerhard Rupert meine Name –Bild Zeitung- sind sie gut aufgenommen worden?«

»Ja, sehr gut, danke.«

»Und wie gefällt ihnen München?«

»Von München habe ich leider noch nicht so viel gesehen aber ich fühle mich hier sehr wohl.«

»Und das Nachtleben, sie als junger Mensch, werden es doch schon kennen?«

»Nein. Bisher hatte ich keine Zeit für sowas.«

»Wirklich nicht? Sie kennen das Soul-City nicht?«

Was sollen diese Fragen? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und sah Benny der in seinen Stuhl immer tiefer rutschte. Allgemeines Geraune kam in dem Saal auf.

»Nein. Noch nie gehört.«

»Nein? Sie waren nicht zufällig am Donnerstag den 7.Juli in dieser Lokalität?«

Das Getuschel im Raum wurde lauter. Unser Manager schritt ein und beantwortete die Frage.

»Herr Rupert, was soll das? Haben sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht? Wenn doch, dann wüssten sie, das die Mannschaft zu dem Zeitpunkt in Portugal war.«

Gelächter. Herr Rupert sah auf und suchte nach Notizzetteln, die er dann wohl auch fand.

»Oh, ja, Herr Schmidt ich habe sie gefunden, meine Hausaufgaben.« Langsam etwas süffisant merkte er dieses an. »Und ich muss mich entschuldigen, nicht der Spieler Kaiser war dort sondern der Sohn des Trainers, Benjamin Degen, sorry. Aber Herr Kaiser sie leben doch schließlich unter einem Dach mit dem Sohn, haben sie da gar keine Angst, dass er etwas von ihnen möchte?«

Was für ein Arsch! Ich sah Benjamin in der ersten Reihe sitzen, der nun kreidebleich auf seinen Stuhl zusammengesunken war und erinnerte mich an seine Taktik nix verstehen.

»Bitte? Ich verstehe nicht.«

»Dann werde ich sie wohl mal aufklären müssen.« Gelächter im Raum. »Nun, dass Soul-City ist eine bekannte Disco, wo solche Subjekte hingehen, die schwul sind, oder wie sagt man so schön Homosexuell.«

Als hätte dieser Rupert gerade eine Heldentat vollbracht setzte er sich schmunzelnd, mit sich und der Welt im Einklang, auf seinen Stuhl. Rupert ist ein schmieriger 60 Jähriger, der schon seit einiger Zeit auf Viagra vertrauen musste, um noch ein wenig Spaß im Leben zu haben. Mit sich selbst zutiefst unzufrieden, fing er vor einigen Jahren das Trinken an, was ihm seinen Job, als Reporter beim ZDF, gekostet hatte. Nun hatte er es sich zur Passion gemacht anderen genauso zu schaden, wie ihm seiner Meinung nach Unrecht geschehen war. Als Vater dreier Kinder, die er zu selten sah, die ihn aber auch nicht wirklich interessierten, wollte er immer nur eines: Kariere machen. Dann vor drei Tagen dieser anonyme Anruf, der ihn berichtete, dass Sean Kaiser ein Verhältnis mit Benjamin Degen hätte. Endlich sah er wieder eine Möglichkeit gekommen, um ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

»Subjekte? Was meinen sie damit?« Mir platzte der Kragen. Subjekte hatte man auch Menschen im dritten Reich genannt, die in der Gaskammer ermordet worden waren. Ich sah innerlich diesen Film vor mir, der uns im Geschichtsunterricht gezeigt worden war, damals musste ich mich übergeben. Daniel hielt mich am Arm fest. »Sean, lass es!« Flüsterte er mir zu.

Rupert stand nun wieder auf.

»Subjekte, Herr Kaiser, sind Menschen, die mit sich und ihrer Umwelt nicht im Reinen sind.«

»Was soll das heißen? Das Schwule ihr Leben nicht im Griff hätten? Das ist doch Bullshit.«

Ich redete mich in Rage. Im Nachhinein erkannte ich seine Taktik, aber mein Gott ich bin 17 und vor mir stand ein gestandener Reporter, der alle Kniffe kannte.

»Also Benny hat sein Leben im Griff und ich ebenso.«

Shit! Als ich dieses widerwärtige selbstgefällige Grinsen auf Ruperts Gesicht sah, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich sah kurz zur meiner linken Seite und die Geste, die Schmidt machte, indem er sich eine Hand vor die Augen hielt, bestärkte mich darin, dass ich echt nen Bock geschossen hatte.

»Herr Kaiser? Soll das heißen das sie auch zu dieser Klientel gehören?«

Ich war einfach zu stolz, um nein sagen zu können, warum auch? Er wusste es sowieso. Also antwortete ich bockig:

»Ja, und? Was dagegen?«

Rupert setzte gerade an, um etwas zu erwidern, wurde aber barsch von einem seiner Kollegen unterbrochen:

»Gerd, setz dich mal hin, jetzt sind wir dran! Herr Ministerpräsident was sagen sie denn dazu, dass einer ihrer Spieler homosexuell ist?«

Der Angesprochene nahm seine Brille ab und tupfte sich mit einer Servierte, die Stirn ab:

»Ähh, ja ähm, das ist sicher ähm, ärgerlich.«

»Warum? Passt es nicht in ihr Weltbild?«

»Ähh, ja also ähm, wissen sie, ähm ja, also wissen sie es ist doch so.«

Wieder die Servierte in der Hand, um nochmals die Stirn abzutupfen.

»Ähh, also Homosexuelle und Fußball geht doch net!«

»Und schon gar nicht bei einem bayerischen Verein?«

»Ähh, lassen sie es mich einmal so erklären.« Künstlerische Pause. Servierte. »Ja also wir haben ja nichts gegen sie, ähm, nur, ähm, müssen die denn überall sein?«

Ich verstand überhaupt nichts mehr. Plötzlich hatte sich das Blatt gewendet und ich sah fragend Daniel an, der mir zuflüsterte: »Die wollen dem MP ans Bein pinkeln, siehst du den Block da hinten?« »Ja« »Dieser Block ist der linke Presseflügel und die wollen ihn zerlegen, wart mal ab, könnte lustig werden.«

Aus dem hinteren Block meldete sich jemand zu Wort:

»Herr Ministerpräsident, soll das heißen, sie haben Berührungsängste gegenüber ihren Bürgern?«

»Wie kommens nur auf solch einen Schmarn?«

»Nun, mindestens acht Prozent ihrer Bürger sind homosexuell, und die wollen sie links liegen lassen?«

»Woher haben sie denn solche Zahlen?«

Lautes Gelächter bei den Presseleuten.

»Das ist allgemein bekannt.«

»In Deutschland vielleicht ist diese Quote so hoch, aber bei uns in Bayern mit Sicherheit nicht!«

Noch lauteres Gelächter.

»Macht das die gute Bergluft, dass diese Quote in Bayern nicht dem Durchschnitt entspricht?«

Schallendes Gelächter.

»Ähh, wir haben in Bayern ein ausgezeichnetes Bildungssystem.«

»Herr Ministerpräsident, hatten sie eigentlich in ihrer Amtszeit schon einmal Kontakt mit Homosexuellen?«

Die Gesichtsfarbe des MP`s wechselte binnen weniger Sekunden zu Osram-Rot.

»Was erlauben sie sich? Mit diesem Gesindel? Kontakt, was soll das heißen? Das ist wohl unerhört.«

»Kontakt sollte heißen, ob sie mal mit einem Homosexuellen gesprochen haben?«

Von dieser Osramfarbe wechselte seine Gesichtsfarbe in Aschfahl und er wusste das er einen Fehler begangen hatte.

»Die Pressekonferenz ist beendet.« Schmidt, der das sagte, verdrehte die Augen.


»Noch mal Schwein gehabt!« Ich ging gerade runter zum Frühstückstisch wo auch schon Herr Degen saß und die Zeitungen überflog.

»Was meinten Sie?«

»Hier! Die Zeitungen von Heute!« Ich nahm mir ein paar und überflog die Schlagzeilen, die meisten schossen gegen den MP, ich wurde nur am Rande erwähnt. Was in den meisten Schlagzeilen zu lesen war, war in etwa folgendes: Der bayerische Ministerpräsident betitelt seine Kollegen aus Berlin und Hamburg mit Gesindel! Nur die Bild-Zeitung brachte es genau anders herum, dort war ich die Schlagzeile und der MP nur am Rande erwähnt. Na ja, damit konnte ich leben.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit der Mannschaft wurde die Aufstellung bekannt gegeben. Ich saß nur auf der Reservebank, allerdings mit einem Grinsen des Trainers und dem Vermerk, dass ich wohl zur zweiten Halbzeit eingewechselt werden würde. Ich sollte mich erstmal an die Atmosphäre im Stadion gewöhnen. Nun gut, damit konnte ich sehr gut leben. Außerdem galt es wohl auch das Publikum auszuloten, wie sie auf mich reagieren würden. Eine Stunde vor dem Spiel liefen wir auf den Rasen des Stadions, um uns warm zu machen. Ich sog diese Atmosphäre der Arena auf und war fasziniert. Wirkte sie von außen schon gigantisch, mit ihren Leuchtelementen die je nach Verein die Farbe wechselten, so war es hier drin unbeschreiblich. Ich fühlte mich aufgeputscht, angestachelt und überwältigt von diesem riesigen Rund.

Die Zuschauer reagierten auf mich, neutral? Neugierig? Ich konnte es nicht richtig einschätzen. Die gegnerischen Fans von Dortmund bewarfen mich mit Wattebäuschen –wie langweilig. Etwas mehr Kreativität hatte ich schon erwartet.

Nach dem Aufwärmen ging es dann nochmals in die Kabinen, um die letzten Anweisungen des Trainers zu hören. Es war alles sehr sachlich und ruhig, zum Schluss wünschten wir uns gegenseitig ein gutes Spiel und es ging raus.


Benjamin Degen Allianz Arena München


Ich saß oben auf der Tribüne und beobachtete die Spieler beim Einlaufen. Mit meinen Gedanken war ich allerdings ganz wo anders. Wo zum Teufel hatte dieser Schmierlappen von Journalist nur seine Infos her? Woher konnte er wissen, dass ich im Soul-City war? Mir war schon klar, dass Felix da irgendwie seine Finger mit im Spiel hatte, nur wie? Hatte ich doch versehentlich in seiner Gegenwart etwas ausgeplaudert? Ich ließ jeden Gesprächfetzen noch einmal Revue passieren, kam aber zu keiner Lösung. Er hatte meine Handynummer nicht, meinen Namen nicht und in der Zeitung war ich ja nun auch nicht abgebildet. Mir war es einfach unerklärlich. Gestern in der Pressekonferenz wäre ich am liebsten gestorben. Nicht unbedingt meinetwegen aber wegen Sean, der mir unendlich leid tat, so wie er da oben auf dieser Empore saß, und das alles nur wegen mir. Scheiße! Ich versuchte die Gedanken wegzuwischen und ging über zu erfreulicheren.

Was Sean nämlich nicht weiß, ist dass seine Mutter und Jason heute nach München kommen werden. Eingeladen vom Verein. Die beiden Ehrenplätze neben mir waren noch leer. Gut es würde eng werden mit dem Zeitplan, aber eigentlich sollten sie schon mal so langsam eintrudeln. Innerlich grinste ich schon jetzt, was Sean wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er die beiden sah? Ich freute mich für ihn, das würde ihn ein wenig ablenken. Das war wohl auch der Grund dieser plötzlichen Aktion des Vereins gewesen, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Bei solch einem jungen Spieler ist die Anspannung und Nervosität natürlich am größten.

Anpfiff.

Beide Mannschaften fingen überaus fahrig an. Fehlpässe noch und nöcher. Man merkte deutlich beiden Mannschaften an, dass diese noch nicht eingespielt waren. Ein langweiliges Spiel ohne viele Torraumszenen. Ich gähnte herzhaft vor mich hin, während dieses Gähnens fiel das 0:1. Na toll! Auch das noch. Die beiden Sitzplätze neben mir waren noch immer leer. Bis zur Halbzeitpause geschah nichts mehr. Gellendes Pfeifkonzert begleitete die Spieler in die Kabinen.

Ich machte mich auf, zu den Gastronomieständen, um mir ein paar Tacos und ein Bier zu besorgen. An dem VIP-Tresen traf ich auf den Manager Schmidt. Er fragte mich, wie mir denn das Spiel so gefiele.

»Beschissen. Die spielen beide Müll.«

Er grinste mich an und sagte:

»Na endlich mal einer der auch ausspricht was er denkt« und zwinkerte mir zu. »Aber gleich werden ja dein Sean und Daniel eingewechselt und dann wollen wir mal sehen was die jungen Wilden so veranstalten.«

»Hmm, schlimmer kann es ja nicht mehr werden.«

»Benjamin, Kopf hoch! Das wird schon. Weißt du, ich bin damals als junger Spieler auch ins kalte Wasser gestoßen worden. Dein Vater macht das richtige und außerdem ist aus mir ja auch was geworden« lachte Schmidt.

»Wo sind eigentlich Seans Mutter und dieser Freund?«

»Noch nicht da!« Antwortete ich.

»Na ja, die werden sicher gleich kommen, ist ein langer Flug, da kann es schon zu Verspätungen kommen.«

Ich hörte nur noch mit einem Ohr hin. Über den Tresen hingen Bildschirme wo N24 lief mit den aktuellen Börsenwerten und Nachrichten im Liveticker. Während ich auf meine Tacos wartete, starrte ich diese Bildschirme an auf denen gerade folgende Nachricht im Liveticker lief:

+++Eine Boing747 der United Airlines über der Nordsee verschollen+++ Mehr dazu in den 17.00 Uhr Nachrichten+++

»Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?«

Ich sah Schmidt nur an und machte eine Kopfbewegung zu den Bildschirmen.

»Ach du Scheiße. Benny das muss nichts heißen, weißt du wie viele Maschinen täglich unterwegs sind?«

Er wusste wohl selbst, dass es eine lahme Bemerkung war und fügte dran:

»Wart mal, ich werde den Rohrbacher mal anrufen, der sollte sie vom Flughafen abholen.«

Ich nickte nur noch.

Rohrbacher war so ein Mädchen für alles im Verein und heute eben als Chauffeur abgestellt.

Schmidt holte sein Handy raus, wählte und bekam ihn wohl auch gleich an den Apparat. Er sagte etwas, was ich aber nicht verstehen konnte, er hörte eine Zeitlang zu und drückte die Beendentaste seines Handys. Er brauchte eigentlich nichts zu sagen, ich sah es ihm an. Er schluckte.

»Es ist die Maschine.«

Ich ließ die Tacos auf den Tresen zurück und ging zu meinem Platz in die Arena. Schmidt folgte mir und setzte sich zu mir auf den Platz, der eigentlich für Seans Mutter bestimmt war. Wir waren einfach zu konsterniert, um auch nur ein Wort sagen zu können, also starrten wir aufs Spielfeld, wo das Spiel schon lange wieder am laufen war. Ich weiß nicht mehr woran ich in diesem Augenblick dachte, wahrscheinlich an gar nichts. Ich hatte nur eine verdammte Angst vor dem, was noch folgen würde. Ich war noch nie in einer solchen Situation, wie soll ich reagieren, was soll ich Sean sagen? Was aber noch viel wichtiger war, wie konnte ich Sean helfen? Ich wusste es nicht.

»Wer soll es ihm sagen?«

Schmidt riss mich aus meinen Gedanken und ich sah auf, direkt in sein Gesicht. In seinen Augen erkannte ich genauso viel Unsicherheit wie es wohl auch in meinen stehen würde. Ich nahm allen Mut zusammen und antwortete, dass ich es machen werde.

»Bist du sicher?«

»Sicher? Nein! Aber ich bin sein Freund und wer, wenn nicht ich, soll es ihm denn sonst sagen?«

Den Jubel, der ringsherum aufbrandete, bekamen wir nicht mit, das Spiel ging gänzlich an uns vorbei, auch die Laola Welle ignorierten wir. Wir mussten in dem Jubel wohl wie eine Insel gewirkt haben - eine Insel der Traurigkeit. Das Spiel gewannen wir mit 3:1 wobei Sean zwei Tore machte und Daniel eines.

Zehn Minuten nach Spielende zog mich Schmidt von meinem Platz hoch, wir gingen hinunter in den Kabinentrakt, wo schon eine schar Reporter wartete und alle auf Schmidt zustürzten, um ein Interview zu ergattern.

»Nicht jetzt!«, bellte Schmidt die Reporter an, die sich allesamt irritiert ansahen.

Wir öffneten die Tür zu dem Kabinengang, wohin Reporter keinen Zutritt hatten, lehnten uns an die Wand und warteten. Unendliche Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, und dennoch hätte ich am liebsten die Zeit angehalten, als sich die Tür zur Bayern Kabine öffnete und uns euphorische Spieler entgegen sprangen. Ich weiß nicht mehr der wievielte Sean war, der die Kabine nun verließ. Der siebte, achte? Keine Ahnung. Auf was für schwachsinnige Gedanken man nur immer kommt und das gerade in solch einem Moment.

Sean entdeckte mich und kam freudestrahlend auf mich zu gelaufen. In meinem Gehirn machte es klick, als wenn sich ein Schalter umlegen würde. Ich nahm diese Szenerie nur noch in Zeitlupe war. Ich sah ihm direkt ins Gesicht, während mir die Tränen runter rannen. Er stoppte ab als er meine Tränen sah. Aus seinem freudestrahlenden Gesicht wurde in sekundenschnelle ein schmerzverzerrtes. Seine Gesichtszüge vorher noch locker, verkrampften sich. Er blieb eine Armlänge vor mir stehen, in seinen Augen Fragen über Fragen. Ich atmete tief durch, schluckte.

»Sean, es ist was passiert, wir müssen reden.«

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