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Schmuddelkind

Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Kuscheltiere

Seit Chili eine eigene Wohnung hat, ist alles viel einfacher. Also, jedenfalls ist es weniger kompliziert ihn zu treffen. So langsam sieht's bei ihm auch etwas eingerichteter aus. Inzwischen hat er einen Kühlschrank und vorgestern haben wir so Billigregale in der Küche aufgebaut, in denen er Teller, Tassen, Gläser und den ganzen Kram untergebracht hat. Und den Gasherd vom Vormieter haben wir geputzt, was ungefähr Jahre dauerte, weil mehrere alte Fettschichten übereinander klebten. Ich traute mich da überhaupt nur mit Gummihandschuhen ran. Na ja, eigentlich wollte ich mich gar nicht rantrauen, aber Chili zwang mich dazu.

Das Wohnzimmer ist immer noch leer … bis auf eine Grünpflanze in der Ecke. Stört mich nicht weiter, wir sind eh meistens im Schlafzimmer.

Heute hält er mich allerdings an der Kapuze meiner Jacke fest, als ich nach dem Begrüßungskuss auf dem Weg ins Schlafzimmer bin.

"Lass die Klamotten an, Schatzi, wir haben noch was zu erledigen."

"Und was wäre das?"

"Wir fahren zur Möbelwerkstatt."

"Äh … okay?"

"Möbel kaufen."

"Hast du mich grad Schatzi genannt?"

Chili zieht seine Jacke an, greift sich seine Pustefix-Tasche und schiebt mich zur Tür.

"Beeil dich, der Bus kommt gleich."

"Du meinst … wir fahren mit dem Bus? Ich fahre nie Bus."

"Deine Freunde auch nicht, oder? Also ist es total ungefährlich."

Kaum stehen wir an der Haltestelle, ist der Bus schon da, Chili kauft eine Karte, stempelt sie zweimal und wir setzen uns. Die Fahrt dauert sicher eine halbe Stunde und andauernd steigen Leute ein, die uns komisch anglotzen. Wahrscheinlich weil Chilis eines Bein über meinem hängt und wir ein bisschen knutschen. Zwei Mädchen schräg gegenüber kichern behämmert. Und ein Opa mit Hut erklärt einer gehbehinderten Oma, die hinter ihm auf ihrem Rollator hockt, dass es so was zu seiner Zeit nicht gegeben hätte.

"Mein Enkel hat auch einen Freund", sagt die Oma, worauf sich der Opa schnell wieder umdreht.

Unnötig zu erwähnen, dass Chili der Oma beim Aussteigen behilflich ist, als die raus muss.

Ich bin trotzdem überrascht, dass er solche Sachen draufhat.

In der Möbelwerkstatt wird Chili von einem Mann im grauen Arbeitskittel mit Handschlag begrüßt.

"Schäfchen, alles klar?"

Schäfchen?! Buahahahahaha!!

"Ja, aber nur, wenn die Couch noch da ist."

"Das olle Teil wollte außer dir eh niemand haben. Hab gehört, du hast eine Wohnung. Brauchst du sonst noch was?"

"Wenn das Geld reicht … einen Tisch und vielleicht zwei Stühle für die Küche."

"Schau dich halt um. Über den Preis reden wir dann."

Chili schleppt mich durch die Halle und bleibt vor einer unglaublich hässlichen, dunkelgrünen Ledercouch stehen.

"Das ist sie", behauptet er hingerissen.

"Wer?"

"Meine Couch."

"Du machst Witze", hoffe ich. "Die hat sich direkt aus einem Siebzigerjahre-Porno hierher gebeamt."

"Genau", strahlt er, setzt sich zufrieden auf das gruselige Möbelstück und streichelt das Leder.

"Soll ich euch beide einen Moment alleine lassen?"

"Nee, wieso?"

"Ich weiß nicht, vielleicht möchtest du ihr einen Heiratsantrag machen."

Das möchte er dann aber wohl doch nicht und wir können endlich nach Tisch und Stühlen suchen. Chili findet recht schnell was Passendes. Zum Schluss verhandelt er mit dem Graukittel-Mann über den Preis für: einen kleinen weißen Küchentisch, zwei Stühle, einen Glastisch fürs Wohnzimmer und eine hässliche Pornocouch. Der Preis fällt erschreckend niedrig aus. In einem gescheiten Möbelhaus hätte man locker das Vierfache bezahlt. Allerdings werden da natürlich solche Ramschsachen überhaupt gar nicht angeboten. Hier ist ja wohl alles Secondhand oder bearbeiteter Sperrmüll.

"Morgen Nachmittag zwischen drei und vier bringen die Jungs das Zeug vorbei, ja?"

"Okay, Tschüß, Herr Lehmann."

"Mach's gut, Schäfchen."

Schäfchen … hahahahaha!!

"Komm nicht auf die Idee, mich so zu nennen", warnt Chili, als wir auf den Bus warten.

"Und warum darf Herr Lehmann das?"

"Ich hab in den Sommerferien mal da gearbeitet. Und viele Jungs aus'm Heim machen in der Werkstatt eine Art Ausbildung, der Lehmann hat für alle irgendwelche Spitznamen."

"Und Chili gefiel ihm nicht?"

"Keine Ahnung, hab ihn nie gefragt."


So langsam krieg ich mein Doppelleben ganz gut auf die Reihe. Das heißt, es hat sich so was wie Routine eingestellt. Chili und ich versuchen uns in der Schule nicht verliebt anzukucken, nachmittags bin ich so oft wie möglich bei ihm und die Wochenenden teile ich gerecht zwischen ihm, Armin und meinen Freunden auf. Allerdings … Armin benimmt sich in letzter Zeit echt super psychotisch. Sein Hass auf Schwule nimmt beängstigende Ausmaße an. Andauernd zieht er über Chili her und wenn ich nicht mitmache oder über seine gemeinen Witze lache, sieht er mich an, als wüsste er Bescheid. Als hätte ich ihm eine Art Bestätigung geliefert. Und seine Drohung hab ich auch längst noch nicht vergessen.

Sogar Micha und die anderen sind schon völlig genervt, wenn Armin sich zum x-ten Mal über die widerwärtigen Arschficker aufregt. Beim Thema "Chili" verdrehen sie ebenfalls die Augen. Das hat mich natürlich doch mal darüber nachdenken lassen, ob sie vielleicht zumindest akzeptieren könnten, dass ich momentan ein bisschen schwul bin. Man müsste ja nicht gleich mit der ganzen Wahrheit rausrücken. Also hab ich auf der letzten Party bei einigen Leuten anklingen lassen, dass mir Armin auf den Wecker geht. Die Reaktionen waren … niederschmetternd. Armin geht zwar allen auf den Geist, aber die allgemeine Meinung war eben auch: schwul ist abartig! Kerle, die sich in den Arsch ficken lassen, sind das Allerletzte! Tucken, Trinen, Aidsverseuchte, Kinderschänder … das verbinden meine Freunde mit Homosexualität. Na ja, ich hab dann lieber meine Klappe gehalten und mich tierisch abgeschädelt. Am nächsten Tag traf ich mich mit Zoe zum Eisessen und erfand die Lüge, dass ich in erster Linie ihretwegen unseren Freundeskreis befragt hatte.

"Was mich ankotzt ist, dass die sich alle Lesbenpornos reinziehen", erklärte sie wütend, "und so was ultrageil finden, aber wenn sie dann tatsächlich mit zwei verliebten Mädchen konfrontiert werden, ist das doch ekelhaft. Die haben irgendwelche Klischeevorstellungen, dass Lesben halbe Kerle sind und Männer hassen. Oder, dass es denen ein Kerl nur mal richtig besorgen müsste. Ich hab überhaupt nichts gegen Männer, ich kann mich halt einfach nicht in sie verlieben, weil mir Mädchen besser gefallen. Was ist denn so furchtbar daran?"

Ich hätte ihr so gerne gesagt, wie gut ich sie verstehe und dass mir eben ein punkiger Straßenköter namens Chili besser gefällt, als ein Mädchen. Aber ich war zu feige. Stattdessen wollte ich wissen, ob sie schlimmen Liebeskummer wegen Madita hätte.

"Na ja, einfach ist es nicht, sie jeden Tag in der Schule zu sehen und … sie bemerkt mich gar nicht."

"Und deine Freundinnen wissen auch nicht, dass du …"

"Nee. Die würde wahrscheinlich bei jeder harmlosen Umarmung denken, ich wollte sie anmachen oder zu lesbischen Spielen verführen. Valentin", ihre Augen wurden ein bisschen feucht, "du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass ich mit jemandem über diese Dinge reden kann. Das bedeutet mir unheimlich viel."

Und da wurde ich plötzlich schwach. Weil ich verdammt noch mal auch so jemanden haben wollte.

"Ich werde dir jetzt was sagen", begann ich und mein Blut rauschte ekelhaft laut in meinen Ohren, "ich weiß ganz genau, was du fühlst. Und ich weiß das deshalb so genau, weil … ich bin seit einiger Zeit in einen Typen verliebt."

Zoe blickte sich unsicher nach allen Seiten um. "Du verarschst mich." Dann kicherte sie auf einmal ganz hysterisch und ich musste ebenfalls lachen, weil mir klar war, was sie meinte.

Allein die Vorstellung … ich konnte kaum an mich halten.

"War das jetzt doch bloß Verarsche oder denkst du, was ich denke?", gluckste sie.

"Traust du mir so einen verkommenen Geschmack zu?"

"Eigentlich nicht." Sie sah mich an. "Es ist dieser Punk, dieser Chili, ja? Und … aber dann hast du mich ja auch benutzt."

"Allerdings", gab ich zerknirscht zu. "Es tut mir leid, Zoe."

"Damit wären wir wohl quitt. Mann, ich hätte niemals erwartet, dass ausgerechnet du … wow …", sie schüttelte ihre roten Locken.

"Es geht noch weiter. Ich bin mit Chili zusammen. Heimlich. Na ja, Madita weiß es, aber ich kann nicht mit ihr darüber reden, weil sie leider auch in Chili verknallt ist."

"Scheiße, wenn Armin das erfährt …"

"Ich fürchte, wenn das rauskommt, karrt man uns beide in das Heim für fehlgeleitete Mädchen."

"Wahrscheinlich", nickte sie. "Aber logischerweise wird es niemand von mir erfahren."

Wir haben noch ziemlich lange im Eiscafé gesessen und gequatscht. Zoe weiß schon seit sie dreizehn ist, dass sie Mädchen toll findet. Und natürlich hat sie erstmal versucht, das zu ignorieren. Aber dann hatte sie in den Sommerferien sechs Wochen eine Freundin, das muss sehr überzeugend gewesen sein. Eigentlich hat sie sich immer nur getraut, was mit einem Mädel anzufangen, wenn sie weit weg von Zuhause war. Tja, und jetzt verzehrt sie sich nach Dita. Irgendwie bin ich da besser dran. Schließlich ist Chili in mich verliebt und ich kann ihn wenigstens heimlich küssen. Außerdem ist es so … befreiend und es tut so gut, dass ich endlich jemanden zum Reden habe!


"Oh, du meine Güte, stört dich das überhaupt nicht?", giggelt Rike.

"Ja, Chili, stört es dich nicht, dass dein Freund nicht deinetwegen in Fahrt kommt, sondern weil er dadurch animiert wird?", fragt Len, die Arschgeige, und deutet auf den Boden.

Chilis Wohnzimmer ist mal wieder Auffanglager für Emos. Seit die rausgefunden haben, dass man die Filme, die unten im Kino laufen, manchmal bis oben hört, hängen die andauernd hier rum und lachen sich kaputt. Als wären die gerade erst zwölf Jahre alt.

"Hauptsache ich weiß wann und wodurch mein Freund in Fahrt kommt", antwortet Chili und streicht mit dem Finger über meinen Schenkel.

"Erzähl ruhig weiter", fordert Nina, "wir wüssten das auch gerne."

Eine Pornofilmfrau stöhnt lustvoll auf.

"Nicht, dass der gleich aus Versehen abspritzt oder so", faselt Len und meint ja wohl mich.

Ich hab's aufgegeben auf seinen Schwachsinn einzugehen. Nina dagegen boxt ihm in die Seite.

"Kannst du mal mit deinem ätzenden Gelaber aufhören?! Man könnte glatt denken, du wärst irgendwie eifersüchtig auf Schatzi."

Grrrrr … Chili hat es doch tatsächlich gewagt, mich vor seinen Emofreunden so zu nennen … seitdem nennen die mich alle so.

"Auf einen elitären Bengel, der sich eine Totenkopfjacke anzieht und denkt, er sei Emo?"

"Du Scheiße", seufzt Nina und tastet nach ihrer rosa Spange im Pony. "Jeder kann sich doch Totenköpfe anziehen, wie er lustig ist. Wieso muss man immer gleich in eine Schublade gesteckt werden?"

"Du bist doch bloß auf seiner Seite, weil er Chili knutscht und du das geil findest", behauptet Len.

"Und du bist sauer, weil Chili nicht mehr mit dir knutscht. Wo ist eigentlich deine Freundin?", lächelt sie.

Während sich die beiden verbal an die Gurgel gehen, wurschtele ich mich auf Chilis Schoß und lasse mir von ihm den Nacken kraulen.

"Fick mich … fick mich …", brüllt die Pornofilmfrau. "Jaaaaaaaaaaa …"

"Mach das Maul auf, du Nutte", brüllt ein Pornofilmkerl, bevor er infernalisch grunzt.

"Da wird man doch bekloppt, wenn man das den ganzen Tag hören muss", schüttelt Nina den Kopf. "Wie lange geht denn das?"

"Wahrscheinlich bis er ihr endlich ins Gesicht gespritzt hat", vermutet Basti.

"Du Sau."

"Pornos funktionieren so. Die Weiber kriegen das, was sie wollen."

"Du glaubst wohl auch noch an den Weihnachtsmann, oder?", mischt sich Rike ein. "Denkst du, Pornos spiegeln die Realität wieder? Keine Frau ist scharf drauf, Wichse in der Fresse zu haben. Das ist reine Männerphantasie."

"Gleich kommt sie wieder damit an, dass Frauen nur blasen, um den Kerlen einen Gefallen zu tun", schnauft Len.

"Na ja, dir macht das vielleicht Spaß."

"Allerdings", grinst er, "ich bin ja auch keine Frau. Und wenn man den richtigen Typen hat …"

Ich nehme an, er meint Chili. Und ich nehme weiterhin an, dass er eventuell heute noch meine Faust in die Visage kriegt, sollte er solche Anspielungen nicht lassen.

"Schwulenpornos sind doch genauso realitätsfremd", behauptet Basti.

Rike verzieht das Gesicht. "Wann kuckst du dir Schwulenpornos an?"

"Es gibt viele Sachen, die du von mir nicht weißt, Baby", säuselt er.

"Dabei wollen wir es doch auch lieber belassen."

"Wo wir grad beim Thema sind … hat einer Dan Brown gelesen?"

"Oh nein", murmelt Nina, "verschon uns mit deinen Verschwörungstheorien. Auch wenn du's nicht begreifen willst, es gibt weder Illuminaten noch versteckte Hinweise in irgendwelchen Bildern."

"Der Film ist toll", behauptet Rike.

"Besonders wenn sich Silas nackig macht und komische Sachen um die Oberschenkel schnallt", findet Nina und schüttelt sich leicht angeekelt.

"Aber Illuminaten gab es wirklich", weiß Len. "Und der angebliche Kerl neben Jesus sieht tatsächlich verdächtig nach Frau aus."

"Okay, ich erklär's dir jetzt noch mal. In der Renaissance wurden junge Männer eben so weiblich dargestellt. Leonardo hatte bekanntermaßen eine Schwäche für junge Männer. Johannes war der Lieblingsjünger von Jesus. Also wird sich der gute Leo wohl gedacht haben … mh, der Jünger, den Jesus liebt, muss bezaubernd ausgesehen haben, jung und zart und mädchenhaft. Deshalb hat er ihn so gemalt. Nix Frau, nix Maria Magdalena. Einfach nur die Phantasie eines Malers, der auf feminine Jungs stand."

Mann, wovon reden die eigentlich??

"Und warum ist auf dem Bild kein Kelch zu sehen?"

"Vielleicht hatte er keinen Bock den zu malen."

"Das überzeugt mich total", verdreht Len die Augen.

"Jedenfalls kann man aus der Abwesenheit nicht schließen, dass der Heilige Gral eine Frau ist."

"Na ja, doch. Wenn in Wirklichkeit Maria Magdalena, die Ehefrau von Jesus Christus, dargestellt ist."

"Und wieso sollte ausgerechnet ein Leonardo da Vinci das gewusst haben? Der war sicher nicht dabei, als Jesus und die anderen Typen gelebt haben", mische ich mich ein, weil mir das langsam auf den Senkel geht.

"Bist du etwa dabei gewesen?", ätzt Len.

"Weil Leonardo doch Mitglied der Prieuré de Sion war", behauptet Chili.

"Aber die Prieuré hat sich Dan Brown ausgedacht. Also jedenfalls die Idee, dass die irgendwelche Jesus-Nachkommen beschützt."

"Das kannst du doch auch überhaupt nicht wissen", ereifert sich Len.

"Eigentlich doch, weil diese komischen Geheimdokumente, die das alles belegen sollen, Fälschungen sind." Hab ich jedenfalls mal irgendwo aufgeschnappt.

"Danke", bedankt sich Rike, "das wollte ich auch grad sagen. Außerdem war das letzte Abendmahl eine Auftragsarbeit für die Kirche, oder? Wenn das nun alles so stimmen würde, dann hätten Kirchenleute die versteckten Hinweise doch auch auf jeden Fall erkannt und das Bild längst zerstört. Das macht man nämlich im Allgemeinen mit Beweisen, die irgendeine Wahrheit, die nicht rauskommen soll, ans Licht bringen könnte."

"Verschwörungstheorien bestehen doch immer aus einer Menge Halbwissen, wahllos zusammengewürfelten, zurechtgedrehten Übereinstimmungen und oder dämlichen Rechenaufgaben", findet Chili. "Nur mal als Beispiel … mein Name hat siebzehn Buchstaben, also eins plus sieben gleich acht. Um fünfzehn Uhr wurde ich geboren. Fünfzehn plus acht ergibt … dreiundzwanzig. Und schon gehöre ich heimlich zu den Illuminaten und strebe die Weltherrschaft an."

Die Diskussion geht noch fast endlos weiter. Ich klinke mich irgendwann aus und knutsche lieber mit Chili. Zwischendurch krakeelen Pornofilmfrauen, dass sie gefickt, geleckt und weiß der Fuchs was werden wollen.

Zum Glück verziehen sich die Emos eine Weile später. Chili und ich sind endlich allein und das Kino macht Pause. Gott sei Dank ist es nicht immer so laut wie heute, das wäre nämlich wirklich nicht auszuhalten.

"Ich hab Zoe von uns erzählt."

"Tatsächlich? Hat sie dich mit einem Messer bedroht?"

"Nee. Aber sie versteht mich halt sehr gut, weil … ja, du hattest recht. Zoe steht auf Frauen."

Dass sie in meine Schwester verliebt ist, braucht er nicht zu wissen. Immerhin hab ich's Zoe versprochen.

"Ist doch toll, dann könnt ihr euch jetzt gegenseitig als Alibi benutzen … ohne peinliche Beischlafversuche."

"Hör auf damit, okay? Ich bin froh, dass ich mich vor Zoe nicht mehr verstellen muss."

"Es ist ein Anfang. Ich bin stolz auf dich, Schatzi", lächelt er und strubbelt meine Haare.

"Nenn mich nicht Schatzi, Schäfchen."

"Hätte ich dich bloß nicht mitgenommen."

"Genau, das war total überflüssig. Ich konnte dich nicht einmal davon abhalten, diese hässliche Couch zu kaufen."

"Wenn sie dich so sehr stört, schieb doch einfach deinen Arsch runter."

"Ich liege nicht auf der Couch, sondern auf dir", bemerke ich. "Und du gefällst mir ausgesprochen gut."

Chilis Finger öffnen geschickt den Reißverschluss meiner Kapuzenjacke.

"Spielverderber", mault er und zuppelt am T-Shirt, das ich darunter trage.

"Ich muss eh gleich los. Morgen ist Schule."

"Ja? Schlaf hier und wir machen morgen blau", schlägt er vor.

"Du weißt, dass das nicht geht. Wenn Armin sieht, dass du fehlst und dass ich fehle, zählt er eins und eins zusammen."

Ein bisschen genervt schiebt er mich weg und zündet sich eine Zigarette an. "Du leidest unter Verfolgungswahn."

"Ey, du solltest mal sehen, wie der mich neuerdings immer belauert. Genauso hat sich Madita auch benommen und … oh, sie wusste Bescheid."

"Dita ist ein Mädchen. Und Armin ein durchgeknallter Vollpfosten. Aus welchem Grund ist dir der Penner eigentlich wichtiger als ich? Du kannst ihn doch eh nicht mehr ab."

"Ich bin aber trotzdem noch nicht so weit, dass alle von uns erfahren."

"Du wirst niemals so weit sein."

"Meine Freunde … okay, die Leute, mit denen ich seit Jahren rumhänge, haben mir sehr deutlich gesagt, dass sie Schwule abartig finden. Vor denen würdest du auch nicht zugeben, dass du dich von einem Kerl ficken lässt."

"Meine Güte", schnauft er, "such dir halt neue Freunde. Richtige Freunde."

"Verlange ich das von dir?"

"Haben meine Freunde was gegen Schwule?"

Diese Diskussion ist triefend, weil sie zu nichts führt. Ich stehe auf und ziehe meine Jacke an.

"Gehen wir am Wochenende aus?", fragt Chili.

"Ich kann nicht, Micha hat Geburtstag."

"Aber du warst letztes Wochenende schon auf irgendeiner Party."

"Soll ich Micha bitten, seinen Geburtstag zu verschieben, oder was?"

"Und er feiert zwei Tage lang, ja?"

"Freitag treffe ich Zoe."

"Na, super. Dann bis irgendwann."

Wahrscheinlich ist er jetzt nicht unbedingt in der Stimmung, mir einen Abschiedskuss zu geben, also gehe ich ohne. Unterwegs kann ich mir überlegen, wie ich meinem Freund beibringe, dass er zu meiner Geburtstagsparty in zwei Wochen nicht kommen darf, weil natürlich Armin und Konsorten da sein werden. Mann, ich hab mich so darauf gefreut. Achtzehn. Führerschein. Autofahren. Jetzt stresst das total und ich würde den Tag lieber aus dem Kalender streichen.


Zoe steht auf Freaks! Hätte mir eigentlich klar sein müssen, schließlich ist sie in Madita verknallt. Ihr Zimmer ist voll mit Bildern von Gwen Stefani und Pink. Courtney Love fand sie mal geil, als die noch nicht so fertig durch die Gerichtssäle tingelte. Vielleicht mochte sie deswegen Chili auf Anhieb. Um meinem Freund nämlich zu beweisen, dass er mir sehr wohl wichtig ist und ich Zeit mit ihm verbringen will, schleppte ich ihn halt mit zu Zoe. Anfangs war es vielleicht etwas unentspannt, wegen der Alibibeziehung, dem blöden Sexversuch und so, aber als das erstmal alles aus dem Weg geräumt war, lief's ziemlich gut.

Jedenfalls war Chili später, als wir bei ihm zu Hause waren, wahnsinnig schmusig. Das ist eh eigenartig. Ich meine, wenn man Chili sieht, würde man nicht erwarten, dass er wie eine kleine Katze ist, die andauernd gestreichelt werden will. Er behauptet ja, ich hätte aus ihm so ein Schmusetier gemacht.

Die Micha-Party war leider horrorartig. Seitdem meine Freunde so klar gegen Schwule sind, fühle ich mich immer unangenehm, wenn ich mit denen zusammen bin. Also noch viel, viel unangenehmer als vorher. Na ja, und Armin hatte eh wieder bloß ein Thema drauf. Glücklicherweise fand er schnell eine Tussi, der er es besorgen konnte, und ließ mir meine Ruhe. Außerdem war Zoe da, mit der ich die ganze Zeit über, rein freundschaftlich, Händchen hielt.

"Du solltest endlich mit offenen Karten spielen", erklärt Madita, "Chili hat es nicht verdient, dass man ihn wie ein schmutziges Geheimnis versteckt."

"Würdest du das bitte mir überlassen?", antworte ich.

Seufzend lässt sie sich auf mein Bett fallen. "Wie geht's ihm denn?"

"Okay."

"Er fehlt mir. Vielleicht besuche ich ihn doch mal in seiner neuen Wohnung. Denkst du, er vermisst mich auch … ein bisschen?"

"Weiß ich nicht."

"Was macht'n ihr so, wenn ihr zusammen seid?"

Ich setze mich zu ihr aufs Bett. "Dita, was soll das? Es tut dir doch nur weh, wenn ich über Chili und mich rede."

"Ja, aber trotzdem will ich wissen …"

"Was?", unterbreche ich sie. "Wie er im Bett ist? Das erzähle ich dir sicher nicht."

"Ich krieg ihn einfach nicht aus meinem Kopf", murmelt sie. "Und wenn er montags mit 'nem Knutschfleck am Hals in der Schule auftaucht und ich genau weiß, dass der von dir ist, weil du das Wochenende bei ihm warst, und …"

Mann, ihr trauriger, völlig verzweifelter Blick gibt mir fast den Rest.

"Es ist ja nicht so, dass ich ihn dir weggenommen hätte. Wäre es denn leichter für dich, wenn er nicht ausgerechnet mit mir schlafen würde? Wenn er einen anderen Typen hätte, würde das weniger weh tun?"

"Nein", sagt sie gedehnt. "Ich bin nicht sauer auf dich, Valentin. Oder doch, irgendwie schon, aber … keine Ahnung. Verstehst du … ich will gar nicht ständig daran denken, aber nicht daran denken, funktioniert auch nicht. Ey, das ist der absolute Wahnsinn."

"Es tut ihm genauso leid wie mir, dass es dir schlecht geht."

"Das ist ja wohl das Mindeste", lächelt sie tapfer.

"Ich … ähem … ich muss jetzt los."

"Gib ihm einen Kuss von mir."

"Dita …"

Sie zuckt die Schultern und verschwindet in ihrem Zimmer.

Logischerweise kann ich nach diesem Gespräch bei Chili nicht sofort auf Sex und/oder Kuscheln schalten. Obwohl ich beides wirklich grad sehr dringend möchte.

"Was ist denn los, Schatzi?", fragt er und fährt mit seiner Fingerspitze über meine Nase.

"Meine Schwester."

"Wollte sie schon wieder intime Details?"

"So ungefähr."

"Das ist echt ein Scheißgefühl. Ich hab Madita total gern, aber ich kann irgendwie nichts machen."

"Du könntest es mir machen. Und nenn mich nicht Schatzi, Schäfchen", grinse ich.

Chili schlingt seine Arme um mich. "Insgeheim findest du's doch toll, dass ich dich so nenne … und dass du mein Schatzi bist."

"Na ja, es gibt Peinlicheres. Solange ich nicht dein Liebling, Schnucki, Bärchen oder so was bin …"

"Oder Mausi."

"Oder Hasilein."

"Oder Schnuffel."

"Ich hasse das Vieh. Das ist genauso gruselig wie der bekloppte Frosch, der besoffene Elch und was man sich sonst noch in Jamba-Spar-Abos runterladen kann."

"Klingeltöne sind das Letzte."

"Sagt ein waschechter Punk, der zum Einschlafen Kinderhörspielkassetten braucht."

"Das war auch das Einzige, was mir als Kind ein bisschen das Gefühl von Geborgenheit gegeben hat. Meine Mutter hätte mich nämlich mit einer Flasche Schnaps und 'n paar Pillen ruhig gestellt. Da waren die drei Fragezeichen auf alle Fälle gesünder."

"Hast du eigentlich noch Kontakt zu ihr?"

"Ab und zu. Mir geistert immer noch die Lieblingsvorstellung durchs Hirn, dass sie ohne Alk und Drogen eine ganz tolle Mutter gewesen wäre. Dass sie es halt einfach nicht hingekriegt hat, weil sie zu schwach war, oder so. Ich glaube, das ist sehr großer Blödsinn, aber ich rede mir eben was anderes ein. Der Gedanke, dass sie mich überhaupt nicht liebt, dass ich ihr vollkommen am Arsch vorbeigehe, ist noch schlimmer."

"Ich liebe dich", flüstere ich ihm ins Ohr.

"Ich weiß."

"Das nervt."

"Was?"

"Immer sagst du bloß 'ich weiß'. Warum sagst du mir nie, dass du mich liebst? Ich meine, du tust es doch, oder?"

"Ja, und ich werd's dir bestimmt irgendwann sagen."

"Wann?"

"Wenn ich den Zeitpunkt für richtig halte."

"Was soll's?! Ist doch eh kitschige Gefühlsduselei."

"Hör auf zu schmollen, Valentin", lächelt er und küsst mich so süß, dass sowieso jedes Wort überflüssig ist.

Stunden später, wir haben uns inzwischen ins Schlafzimmer verzogen, bekomme ich nachträglich einen roten Kopf. Hab ich etwa gejammert, weil … oh Mann … du sagst mir nie, dass du mich liebst … dieser bescheuerte Satz klebt wie Kaugummi in meinem Hirn. Was zur Hölle ist los mit mir? Wenn ich ein Mädchen wäre, könnte ich vielleicht so was vom Stapel lassen.

"Ey, kriegst du hektische Flecken?", kichert Chili.

"Hm?"

"Dein Gesicht ist ganz rot. Oder hast du Fieber?" Prüfend betastet er meine Stirn und die Wangen. "Mh, fühlt sich heiß an."

"Lass den Scheiß", zische ich, "ich hab kein Fieber."

"Dann hast du grad an was Peinliches gedacht", beschließt er. "Hast du etwa immer noch Probleme damit, wie wir miteinander schlafen? Hältst du dich jetzt wieder für ein Mädchen?"

"Nein."

Fällt übrigens nur mir auf, dass sich unser Wortschatz diesbezüglich geändert hat?! Wir reden nicht mehr vom Ficken oder Vögeln, sondern davon, miteinander zu schlafen. Wenn ich drüber nachdenke … die ganze Angelegenheit hat sich irgendwie verändert. Möglicherweise liegt es an der Umgebung. Im Partyhaus waren wir ja eigentlich nie so richtig ungestört. Ständig liefen Leute über den Flur auf der Suche nach einem freien Zimmer. Klar, haben wir da auch geschmust und so, aber halt nie so exzessiv. Allerdings war Chili eigentlich von Anfang an viel süßer und schmusiger, als … na ja, als man es von 'nem Schwulen erwarten würde. Oder von einem Punk. Oder überhaupt.

"Valentin, sag mir einfach, was da drin los ist, ja?", fordert Chili und tippt mit dem Zeigefinger gegen meine Stirn.

"Keine Ahnung. Ich stecke voller Vorurteile, glaub ich."

"Das weiß ich doch."

"Aber ich wusste das nicht. Ich meine, so was weiß man nicht, oder? Man hat eine Meinung und die ist halt die richtige."

"Und welche deiner Meinungen ist jetzt falsch?"

"Dass es Schwulen nur um Sex geht und Punks nicht niedlich sind … oder so ähnlich."

"Na ja, wenn man überlegt, wie du aufgewachsen bist und mit was für Leuten du dich abgegeben hast, kann man schon verstehen, wie du auf so 'nen Schwachsinn gekommen bist. Aber jetzt weißt du's doch besser."

"Es ist halt manchmal noch ungewohnt, mit einem Kerl zu kuscheln."

"Genau. Denn Kerle wollen eigentlich nicht kuscheln. Niemals."

"Und Punks?"

Chili schmiegt sich in meine Arme. "Immer."

Boys don’t cry

"Versuchst du etwa gerade, mir beizubringen, dass du deinen Geburtstag lieber mit Leuten feierst, die dich für abartig halten würden, wenn sie wüssten, dass du mit mir zusammen bist?", fragt Chili. "Und dass ich, dein Freund, nicht eingeladen bin?"

"Ja", murmele ich unglücklich.

"Wow."

"Die erwarten halt von mir …"

"Ich erwarte von dir, dass du endlich aufhörst, dich wie ein Penner zu benehmen", unterbricht er mich wütend. "Mann, die Mädels wollen extra für dich 'nen Kuchen backen und so."

"Vielleicht können wir ja nächstes Wochenende …"

"Das bringt's."

"Oder ich versuche Samstagnachmittag zwei Stunden herzukommen."

"Lass mal. Bist sicher schwer mit Partyvorbereitungen beschäftigt."

"Es tut mir leid, Chili. Hey, wir können doch einfach Freitag in meinen Geburtstag reinfeiern", schlage ich vor.

"Nee, da hab ich schon was vor", behauptet er trotzig.

"Was denn?"

"Ausgehen."

"Das ist dir also wichtiger, ja?"

"Allerdings. Wenn ich bei dir an tausendster Stelle stehe."

Ich umarme ihn vorsichtig. "Das stimmt doch gar nicht."

"Aber du verhältst dich so", entgegnet er und schiebt mich weg. "Ernsthaft, Valentin, ich hab da keine Lust mehr drauf."

"Willst du schon wieder Schluss machen?"

"Findest du das jetzt irgendwie lustig?"

"Ich mag mich nicht streiten."

"Dann lass dir schleunigst was einfallen. So kann's jedenfalls nicht weitergehen."

"Also sehen wir uns am Freitag nicht, oder wie?", frage ich.

"Ist mir egal", zuckt er die Schultern.

Na toll! Es würde wohl kaum was bringen, ihm zu sagen, dass Armin vorhatte, mir den Besuch in einem Edelbordell zu schenken, was ich ihm jedoch erfolgreich ausreden konnte, weil ich ja offiziell immer noch eine Freundin habe.


Achtzehn. Ich könnte mich nicht schlechter fühlen. Von unseren Eltern gab's natürlich Geld für den Führerschein, das Auto gleich dazu und eine beeindruckende Monstertorte … aus der teuersten, edelsten Konditorei, versteht sich. Mit Chili hab ich seit Mittwoch kein Wort mehr gesprochen und logischerweise sind wir Freitag NICHT zusammen ausgegangen. Eine SMS hat er mir geschickt … Alles Gute. Meine Schwester hingegen hat er angerufen. Wahrscheinlich strahlt sie deshalb die ganze Zeit heller als die Sonne. Übrigens feiern wir unseren Geburtstag schon seit Jahren getrennt, was ja logisch ist, weil sie meine Freunde verabscheut. Heute … na ja, heute würde ich glatt mit zu ihren gehen. Ich frage mich, ob Chili da sein wird.

"Hast du Chili eingeladen?"

"Klar", antwortet sie und schiebt sich eine Gabel voll Cremetorte-mit-Marzipanüberzug in den Mund.

"Und hat er zugesagt?"

"Klar. Er hat ja keine anderen Verpflichtungen."

Supi, bohr doch noch in der Wunde!

"Viel Spaß nachher", wünsche ich bedröppelt und küsse sie auf den Mund.

"Dir auch."

Haha!!

Ich hab kurz mal überlegt, ob ich mich für heute Abend als Emo stylen soll, entschied mich aber dagegen. Das alles ist schon Scheiße genug, da brauche ich nicht noch einen Klamotten-Skandal.

Pünktlich gegen acht tauchen die ersten Gäste auf. Meine Eltern haben netterweise wie üblich das Haus verlassen und sind übers Wochenende weggefahren. Es gibt ein paar beknackte Geschenke, die Musik wird aufgedreht … PARTY!!

"Rosenberg", grinst Armin breit und legt mir freundschaftlich seinen Arm um die Schulter, "meinen Glückwunsch. Und mein Geschenk", erklärt er, drückt mich in einen Sessel und deutet zur Tür.

Ein muskulöser Cowboy latscht breitbeinig durch den Raum, sieht mich, tippt kurz an seinen albernen Hut, zieht seine Lederweste aus und präsentiert die eingeölte, stählerne Brust. Mir wird total anders. Aufreizend betatscht er seinen männlichen Körper und knöpft seine enge Jeans auf. Die Mädels sind außer Rand und Band. Ich befürchte schon das Schlimmste, da hält der Cowboy inne und Armin lacht sich kaputt.

"Ein Scherz, Rosenberg. Jetzt kommt dein richtiges Geschenk."

Eine obenrum unglaublich weibliche Frau in Krankenschwesterntracht taucht plötzlich auf und fängt an, sich tanzend ihres eh schon knappen Outfits zu entledigen. Diesmal grölen die Jungs und feuern die Dame an. Ich möchte mich augenblicklich in Luft auflösen, oder zumindest in einen toten Gegenstand verwandeln.

"Die Kleine ist übrigens für die ganze Nacht gebucht", zwinkert Armin bescheuert. "Der Cowboy nicht."

Die "Kleine" ist übrigens gerade dabei, sich tanzenderweise auf und an mir rumzuräkeln. Ihre üppigen, bis auf zwei Glitzersterne, nackten Brüste schlackern direkt vor meiner Nase. Soll mich das vielleicht geil machen? Macht es nicht. Aber ich tue so. Leider bemerke ich, dass auf einmal noch ein unerwarteter Gast in der Tür steht. Und zwar, als sich die strippende Dame auf meinen Schoß setzt und ihren Hintern an meinem Schwanz reibt. By the way … der unerwartete Gast ist Chili! Hoffentlich behält der seine Klamotten an!!

Okay, also zuerst schiebe ich die Dame runter und bedanke mich artig für ihre Show, dann sehe ich zu, dass die Party weitergeht, dann sieht Armin Chili. Und Chili sieht wahnsinnig angepisst aus.

Happy Birthday, Rosenberg. Das ist mal ein Abend nach meinem Geschmack, verfluchte Scheiße!!

Jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen, Armin zu sagen, dass ich einen Straßenköter liebe.

Armin baut sich machoartig vor ihm auf.

"Was will der Schwule hier?"

Mein Herz rast wie irre. Mir wird heiß und kalt und wieder heiß. Ich kneife.

"Ähem … Madita ist nicht da", erkläre ich. "Die feiert woanders."

"Sorry, dann bin ich wohl falsch hier", sagt Chili.

"Falscher geht's nicht, Schwuli. Hau ab zu deinen Schmuddelfreaks und Arschfickern", zischt Armin.

Chilis Blick ist kaum zu ertragen. Da ist überhaupt keine Wut mehr. Nur noch Enttäuschung.

Ich möchte ihn so gerne in den Arm nehmen … aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.

Ohne ein weiteres Wort dreht sich Chili um und geht.

"Taucht der echt hier auf", schüttelt Armin den Kopf. "Wollte dir wohl ein Geburtstagsküsschen geben, der …"

"Halt doch mal deine blöde Fresse", brülle ich, was uns beide ein bisschen erschreckt.

"Wie bitte?"

"Du nervst langsam. Fällt dir das nicht auf?"

"Mir fällt grad ganz was anderes auf", behauptet er. "Was ist los, Rosenberg? Bist du etwa auch eine schwule Ratte, mh?"

"Nein. Aber selbst wenn, was würde dich das angehen?"

"Eine Menge. Und ich denke, deine Freunde würde das sehr interessieren."

"Sag's ihnen doch. Und ich erfinde als Gegenleistung ein paar Gerüchte über dich. Wie wäre es … Typen, die so extrem über Schwule herziehen, sind meistens selber schwul. Vielleicht magst du's heimlich gerne von hinten. Vielleicht hast du den Cowboy für dich gebucht, hä?"

"Wer soll dir das denn glauben?"

"Willst du's drauf ankommen lassen?"

Armins Gesicht schaltet relativ schnell auf 'wir machen doch nur Spaß'. Er reicht mir ein Glas Whiskey und stupst mit seinem dagegen.

"Deine Kleine wartet auf dich, Rosenberg."

"Danke, ich verbringe die Nacht lieber mit meiner Freundin", erkläre ich und hab nicht mal gelogen, denn schließlich ist Zoe eine Freundin. Und zwar eine, die still in der Ecke hockt und sich die Party aus sicherer Entfernung anschaut. Ich schnappe sie mir und gehe mit ihr nach oben in mein Zimmer.

"Sollen alle denken, was für ein toller Hecht du bist? Vernaschst deine Tussi, während unten die Hütte voll ist."

"Ich will nur meine Ruhe haben und mit einem normalen Menschen zusammensein", seufze ich und lasse mich aufs Bett fallen.

"Das war eine ziemlich uncoole Nummer vorhin mit Chili."

"Das weiß ich selber. Was hättest du an meiner Stelle getan? Es zugegeben?"

"Ja, möglicherweise schon. Wenn ich jemanden hätte, den ich liebe und der mich auch liebt …"

"Deswegen suchst du dir deine Freundinnen immer nur in den Ferien, mh?"

"Es ist schwer, Valentin. Aber irgendwann muss man diesen Weg gehen, damit man endlich glücklich sein kann. Das ist mir heute klar geworden."

"Heißt das, du willst es allen sagen?"

"Ich will mich nicht mehr verstecken. Und wenn ich die richtige Person gefunden habe, werde ich zu ihr stehen. Egal, ob meine Freunde das abartig finden."

"Das ist für dich jetzt leicht zu sagen. Du hast keine Freundin."

"Und du solltest nicht hier sein und über Chili reden. Rede lieber mit ihm."

Ja, da ist was dran!

Chili ist nicht zu Hause. Oder er macht nicht auf. Die Fenster sind dunkel. Vielleicht ist er bei Madita … also bei Toni?! Ich muss es versuchen.

"Was willst du denn hier?", fragt Ditas Busenfreundin naserümpfend.

"Wer ist da", krakeelt Madita aus dem Inneren der Wohnung und erscheint gleich darauf an der Tür. "Valentin."

"Herzlichen Glückwunsch, Rosenberg", wünscht Toni und verschwindet.

"Ist er da?"

"Wer?"

"Lass den Kack, Dita."

"Meinetwegen. Komm rein."

Die kleine Wohnung ist voller Freaks, allerdings sehe ich Chili sofort im Wohnzimmer sitzen.

"Hey."

Er starrt mich an, dann an mir vorbei.

"Können wir reden?"

"Wüsste nicht worüber."

"Du hättest nicht so plötzlich auftauchen … was hast du erwartet?"

"Das jedenfalls nicht."

"Du kannst nicht einfach den Zeitpunkt bestimmen, okay? Ich entscheide, wann ich wem irgendwas über mich erzähle."

"Warum verschwindest du nicht zu deinen Freunden, zu deiner Party, zu deiner strippenden Schnalle. Ich bin sicher, die hat noch mehr drauf, als sich auszuziehen."

"Ey, das ist mir so was von egal."

"Ich will nicht mehr, Valentin."

Fuck, das ist ernst. Mein Hals schnürt sich zu.

"Du machst vor dreißig Leuten Schluss mit mir? An meinem verdammten Geburtstag?"

"Ich kann dir das auch gerne draußen sagen. Oder morgen."

Als wir mitten in der Nacht auf der Straße stehen, hat der Knoten in meinem Hals ungefähr die Größe eines Medizinballs erreicht. Meine Augen brennen, ich muss ständig nach oben kucken, weil sonst Tränen rauslaufen würden. Chili nestelt an meiner Jacke.

"Es bringt doch nichts, so zu tun, als wär alles in Ordnung. Ich meine … es geht uns beiden nicht gut."

"Ich liebe dich."

"Ich weiß", lächelt er traurig. "Das reicht aber nicht."

"Chili …" Verzweifelt nehme ich sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn. Solange, bis er mich sanft wegschiebt.

"Das macht's nicht gerade leichter."

"Ich will auch nicht, dass es leicht ist, verdammt."

Chili schüttelt kaum merklich den Kopf, reibt seine Augen, dreht sich um und geht ins Haus.


Seit einer Woche liege ich im Bett, bin krank und nicht in der Schule gewesen. Mir ist absolut klar, dass Chili Ernst macht, und das Schlimme daran ist … ich kann ihn verstehen. Ich hätte mir auch den Laufpass gegeben. Wahrscheinlich schon viel früher. Mann, ich hab's echt total und vollkommen vermasselt. Was wäre so furchtbar daran gewesen, Chili einen Kuss zu geben und Armin aufs Maul zu hauen, hätte er einen dämlichen Kommentar abgelassen? Ehrlich, ich hab keine Ahnung. Und jetzt ist es zu spät.

"Hey Pfeifenkopf."

"Geh weg."

Madita bleibt logischerweise. Mehr noch, sie setzt sich aufs Bett.

"Was hast du vor, Valentin? Nie wieder zur Schule?"

"Das wäre eine attraktive Lösung."

"Falsch. Du könntest dich endlich wie ein Kerl verhalten, aufhören zu jammern, deine Feigheit runterschlucken, Chili zurückgewinnen und allen beweisen, dass schwule Jungs keine Weicheier sind."

"Und was glaubst du, werden unsere Eltern zu meinem neuen Lebensstil sagen? Mann, ich bin der absolute Vorzeige-Bilderbuchsohn."

"Dafür hab ich dich nie gehalten. Wenn du Glück hast, reagieren die Eltern wie üblich, wenn sie's erfahren … nämlich gar nicht. Wenn du Pech hast, gibt's riesigen Stress und sie verlangen, dass du deine komischen Neigungen für dich behältst, um sie in der Öffentlichkeit nicht Kacke aussehen zu lassen. Höchstwahrscheinlich werden sie versuchen, dich durch Geldentzug zu bekehren. Na und? Hast du halt ein paar Monate mal keine Kohle. Irgendwann akzeptieren sie, dass du einen Typen liebst, auch wenn sie's niemals toll finden werden. Schließlich haben sie meinen Lebensstil auch akzeptiert."

"Ich würde das nicht unbedingt akzeptieren nennen. Sie haben eher kapituliert."

Madita zuckt bloß die Schultern.

"Wieso versuchst du überhaupt, mir zu helfen? Müsstest du dich nicht freuen, dass Chili sich von mir getrennt hat?", frage ich müde.

"Du bist so Scheiße, Valentin Konstantin."

"Ganz deiner Meinung", antworte ich.

"Okay, bleib hier liegen und ertrinke in Selbstmitleid. Oder unternimm was."

Ich bleibe liegen.

Aber nur bis zum nächsten Morgen. Madita hat recht … ich kann nicht ewig im Bett rumlungern. Zur Schule zu gehen ist dennoch keine meiner besten Ideen. In der Pause muss ich aufs Klo rennen, damit niemand meinen Heulanfall mitkriegt. Chili zu sehen, als wir noch zusammen waren, war schon heftig. Ihn jetzt zu sehen, ist ein ganz anderes Kaliber. Armin fragt, ob ich einen durchgezogen hätte, meine Augen wären total rot und ich hätte ruhig mit ihm teilen können. Ich hab weder die Kraft, noch Lust darauf zu antworten. Ich will bloß irgendwie den Tag überstehen. Und den nächsten. Und den nächsten. Dann sind bald Sommerferien. Sechs Wochen sollten ausreichen, um Chili zu vergessen. Eigentlich hatte ich geplant, mit ihm wegzufahren. Nach London, Paris, Barcelona, Rom. Irgendwohin. Sollte eine Überraschung werden. Schätze, das kann ich knicken. Oder ich kann mit Armin dahin fahren, wo viele Partymäuse abhängen. Er hat schon mal so was angedeutet … also, dass er mich mitnehmen will. Ich begreife das einfach nicht. Dass er immer noch so viel Wert auf meine Gesellschaft legt, obwohl wir uns seit geraumer Zeit kaum noch verstehen. Es ist fast ein bisschen ekelhaft, dass der so dermaßen an mir hängt.


Seit ungefähr sechsunddreißig Stunden hocke ich in meinem abgedunkelten Zimmer, saufe Papas teuren Rotwein und höre Cure. Dita hat mir netterweise ein paar CD's gegeben und die passen genau zu meiner Stimmung. Düstere, dumpfe Basslinien und die wahnsinnige Heulsusen-Stimme vom Sänger, die klingt, als würde er grad auf dem Zahnfleisch kriechen.

Ich krieche ebenfalls. Sehnsucht im Endstadium! Es ist der dritte Ferientag, alle sind gut gelaunt und ich vermisse einen süßen Straßenköter so sehr, dass ich mich auf der Stelle in unserem Pool ertränken könnte. Na ja, Wein saufen tut's auch erstmal.

"Scheißeverflixtnochmal", flucht meine Schwester, die auf dem Weg zu mir über eine leere Weinflasche stolpert. "Valentin Konstantin Rosenberg, es reicht langsam!"

"Prost", rülpse ich, strecke meine Beine aus, hebe die Flasche und genehmige mir einen ordentlichen Schluck.

Im Hintergrund brüllt der Cure-Typ grad völlig verzweifelt … can you help meeeeee …

"Warum holst du dir keine Rasierklinge und bringst es hinter dich?"

"Dafür bin ich viel zu breit."

"Armin hat grad angerufen und gefragt, warum du nicht an dein verdammtes Handy gehst", teilt sie mir mit.

"Der schulenfeindliche Arsch kann mich mal."

"Ich glaube, du meinst schwulenfeindlich."

"Was immer du sagst."

Dita stellt die Musik aus und zieht die Vorhänge auf. Das Sonnenlicht bringt mich fast um.

"Ey, mach sofort wieder dunkel und lass die Musik an", krakeele ich.

"Mach doch selber", zischt sie und knallt die Tür hinter sich zu.

Würde ich wahrscheinlich, aber der Weg zum Fenster erscheint mir viel zu weit. Ich schaffe es allerdings, mich auf mein Bett zu hieven und einzuschlafen.

Als ich aufwache, ist es abends. Das heißt, ich wache nicht aus freien Stücken auf. Jemand rüttelt an mir rum. Es ist … Armin. Kaum hab ich einen Blick in seine Visage gewagt, wird mir auch schon übel. Würgend renne ich aufs Klo und kotze erstmal 'ne Runde. Danach klatsche ich mir Wasser ins Gesicht und wanke ins Zimmer zurück. Kacke, ey, ich bin immer noch besoffen.

"Mann, bist du fertig", behauptet Armin und schubst mich angeekelt gegen den Schrank.

"Bist du bekloppt?", rege ich mich auf. "Was willst du überhaupt hier?"

"Du siehst wie ein Penner aus, Rosenberg. Wie die Freaks, mit denen deine Schwester rumhängt. Nur noch schlimmer."

"Leck mich", brumme ich und spüle den widerlichen Kotzegeschmack mit Rotwein runter.

"Mal ehrlich, was soll der ganze Scheiß hier? Hat Zoe mit dir Schluss gemacht, oder was?"

"Nee. Chili", sage ich und rutsche am Schrank runter auf den Boden. "Wir waren nämlich zusammen. Wochenlang haben wir es heimlich miteinander getrieben. Ich hab seinen Schwanz gelutscht und mich von ihm ficken lassen. Und das war so geil, wie du es dir überhaupt nicht vorstellen kannst", plappert es aus meinem Mund.

Komischerweise scheint Armin weder entsetzt noch überrascht zu sein, was mich irgendwie entsetzt und überrascht. Langsam kommt er auf mich zu und geht vor mir in die Hocke.

"Du bist so erbärmlich, Rosenberg. Denkst du echt, du hättest mir da was Neues erzählt?

Ich weiß schon längst von deiner Schwuchtelromanze. Dein verliebtes Geglotze war dermaßen auffällig, dass ich dich fast darauf hingewiesen hätte. Aber weißt du, was wirklich jämmerlich ist … abgesehen von der Tatsache, dass du dich gerne von Mutanten bumsen lässt? Jedes Mal, wenn ich deinen Freund fertig gemacht hab, hast du einfach daneben gestanden. Hast über ihn hergezogen, sobald er nicht mehr in der Nähe war. Und ich hab mir innerlich den Arsch weggelacht. Der kleine Valentin entdeckt seine schwule Ader und hat nicht die Eier, dazu zu stehen. Das war eine Weile recht amüsant. Allerdings hast du mir genug Spaß bereitet. Und dir ist wohl klar, dass du dich als Kumpel erledigt hast … nicht nur für mich." Er steht auf und streicht seine teuren Designerklamotten glatt.

"Warum nimmst du nicht 'ne Dusche? Ich hab das Gefühl, du stinkst."

Kann ich das eben bitte bloß geträumt haben?!

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