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Love Me Tender

Teil 3

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Mein Magen rumort wie wild. Ich fühle mich wie vor einigen Wochen, als ich bei Fabi vor der Tür stand. Da hatte ich auch keinen Schimmer, was passieren würde. Dennoch ist die Situation anders, weil eben schon so viel passiert ist. Wieder einmal denke ich an Flucht. Und wieder einmal ist es zu spät, weil Fabian die Tür öffnet und mich mit in sein Zimmer nimmt.

„Mann, du siehst echt verhauen aus“, lächelt er müde. „Ich schätze, jetzt ist wohl die große Aussprache fällig, mh?“

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Für meine Knutscherei mit Lila gibt’s keine Entschuldigung.“

„Bist du verliebt?“

„Ich hab das nicht gewollt, Fabi, es ist...“

„Die ganze Zeit schon?“, unterbricht er mich. „Das würde ’ne Menge erklären“, behauptet er. „Und ich müsste nicht so ein verflucht schlechtes Gewissen haben.“

„Wieso du?“

„Weil ich nicht merken wollte, dass ich immer noch in Markus verliebt bin.“

„Was?“, kreische ich entsetzt. „Also war alles bloß Verarsche?“

„Nee, ich hab dich wirklich gern. Allerdings... ist dir nicht aufgefallen, dass wir zwar stundenlang reden und kuscheln können, aber sonst eben nichts?“

Haha... darauf wäre ich im Traum nicht gekommen!

„Ich finde dich wahnsinnig hübsch, aber, entschuldige bitte, dass ich so direkt bin, du machst mich nicht an, Schoko.“

Na, vielen Dank. Du mich ja wohl auch nicht!

„Verstehst du, jetzt kann ich dir das doch sagen, weil... na ja, so heftig wie du mit Lila geknutscht hast, bin ich vermutlich auch nicht unbedingt der, den du haben willst, oder?“

„Lila wusste nicht, dass Markus dein Freund war, als er...“

Fabian lächelt leicht. „Dass du ihn verteidigst, sagt schon alles. Ich halte ihn trotzdem für ein Arschloch, denn ich glaube, selbst wenn er’s gewusst hätte... es wäre ihm scheißegal gewesen. Und auch auf die Gefahr hin, dass du mir gleich vielleicht gerne eine runterhauen willst, du hast was Besseres verdient als diesen Penner. Er wird dir ganz sicher wehtun.“

„Lila ist aber niemandem fremdgegangen. Dein Ex schon.“

„Stimmt. Das hab ich ihm auch noch längst nicht verziehen. Trotzdem... ich liebe ihn und...“

„Er will dich zurück und du willst ihn zurück. Also machen wir offiziell Schluss miteinander“, stelle ich fest.

„So sieht’s aus“, nickt er und wirkt irgendwie erleichtert.

„Wir müssen uns aber nicht hassen, oder? Ich meine, wir haben alles geklärt und...“

„Bleiben Freunde, wenn du möchtest. Ich fänd’s jedenfalls schön.“

„Alles andere wäre auch zu anstrengend, immerhin werden wir uns in der Schule ständig über den Weg laufen. Außerdem hab ich dich auch gern, obwohl du mich sexuell völlig kalt lässt“, grinse ich. Den kleinen Hieb musste ich ihm einfach noch geben. Danach lädt mich Fabian zu Kakao und Keksen ein und ich denke so bei mir, dass das wirklich alles ziemlich strange ist. Schließlich sind wir frischgebackene Exfreunde... und zwar wesentlich frischer gebacken als die Kekse. Höflich verliere ich darüber kein Wort, sondern spüle die trockenen Krümel mit einem ordentlichen Schluck Kakao runter. Eine halbe Stunde später gehe ich nach Hause und fühle mich total ausgelaugt. Ich merke erst jetzt, wie verdammt anstrengend die letzten Wochen, oder Monate, gewesen sind. Schwul sein, verliebt sein, Fußballfan sein, der erste Kuss, der erste Sex, Liebeskummer, Lila, Fabian, Freund, Exfreund... großer Gott, ein Wunder, dass ich nicht wahnsinnig geworden bin.


„Hey, Schoko... was geht?!“

„Hallo Frank.“

„Shit, was hab ich angestellt?“, fragt er und wirft sich lässig auf mein Bett.

„Nichts. Das ist es ja“, antworte ich angepisst.

„Verstehe ich nicht“, schüttelt er den Kopf.

Hat vielleicht jemand zufällig eine Axt? Ich möchte Lila nämlich dringend den Schädel spalten. Seit Tagen kommt er nach der Schule hierher, hängt rum, schläft ab und zu in meinem Bett... alles ist wie immer. Das nervt. Er küsst mich nicht, kuschelt nicht mit mir und Sex gab’s auch nicht. Dabei warte ich wie bekloppt darauf.

„Hallo... huhu...“, er wedelt mit seiner Hand vor meiner Nase, „sagst du mir noch, was los ist, oder soll ich mich schnell in einen Gedankenleser verwandeln?“

„Mir doch egal.“

„Bist du vielleicht noch in Fabian verschossen und... weiß nicht, traurig oder so, weil er Schluss gemacht hat?“

„Wir haben uns beide getrennt. Und, nein, ich bin nicht mehr in Fabian verschossen“, erkläre ich genervt.

„Warum triffst du dich nicht mal mit dem Stefan? Jetzt, wo du wieder frei bist.“

„Welcher Stefan?“

„Der, der ab und zu im Sputnik auflegt.“

Hilfe, ich hab ein Déjà vu!!

„Er findet dich niedlich.“

„Hast du etwa mit dem über mich gesprochen?“

„Na ja, ich hab dich mal erwähnt und da hat er erwähnt, dass er dich niedlich findet.“

Ich traue mich nicht, ihm zu sagen, dass ich seinen komischen Stefan überhaupt nicht kenne. Was weiß denn ich, wer im Sputnik für die Musik zuständig ist?!

„Ich will mich mit niemandem treffen. Hör bloß mit deiner Kuppelei auf. Davon träume ich immer noch schlecht.“

„Kein Grund, ekelhaft zu werden. Ich wollte bloß helfen.“

„Ja,“ murmele ich, „lass das bitte.“

Um nicht noch mehr unbekannte Typen aufs Auge gedrückt zu bekommen, schlage ich eine King-DVD vor. Eine sichere Methode, Lila für eine Weile ruhig zu stellen. Ich schiebe also das 68er-Special ins Gerät, mache es mir neben ihm auf dem Bett bequem, und schon erscheint Elvis im schwarzen Lederanzug auf der Bildfläche. Und schon schmilzt Lila dahin.

Seine Hand greift nach meinen Arm und legt ihn um seine Schulter. Er rutscht etwas tiefer, damit er seinen Kopf an meine Brust lehnen kann, und sein Fuß schubbert sich an meinem Fuß. Mir ist nie so stark aufgefallen, wie weich und schmusig er wird, wenn Elvis singt. Das ist ja... sagenhaft. Lila singt, wie immer, ganz leise mit, und als ich beginne, seinen Nacken zu kraulen, seufzt er und reibt sein Gesicht an meinem Shirt. Seine Hand streicht träge über meinen Bauch, schiebt irgendwann langsam mein Shirt ein Stück nach oben. Er fängt an, meinen nackigen Bauch zu küssen. Mir ist nach kaputtgehen... ich schnaufe unkontrolliert.

Lilas Zunge umkreist meinen Nabel, während er den Knopf meiner Jeans öffnet und seine Hand ein bisschen unter den Hosenbund gleiten lässt. Seine Zähne spielen mit meiner Haut, was mich fast schon gefährlich in Orgasmusnähe bringt. Er stützt sein Kinn auf meine Brust und sieht mich an.

„Warum hast du nicht gesagt, dass du Lust auf Sex hast?“

„Ich...“, muss mich erstmal räuspern, „ich hab Lust auf Sex mit dir.“

„Ja, das ist offensichtlich.“ Er setzt sich ordentlich hin und raucht eine Zigarette. „Ich finde aber, das ist keine gute Idee. Und ich finde, dass du einen Typen, Freund, was auch immer brauchst. Jungs wie du sind so programmiert.“

„Programmiert?“, frage ich blöde.

„Auf Beziehung.“

„Aha. Und weißt du, worauf Jungs wie du programmiert sind? Auf geisteskrank.“

Lila verdreht die Augen. „Schoko, vertrau mir doch einfach mal und triff dich mit Stefan. Aber für den Fall, dass es nicht klappen sollte, hab ich noch einen anderen Typen.“

Jetzt ist es geschehen: Lila hat wahrhaftig den Verstand verloren! Andererseits wollte er mir auch schon jemanden fürs Erste Mal besorgen und musste schließlich selber ran. Wenn er keinen Freund für mich findet... möglicherweise wird er sich dann wieder opfern. Das ist natürlich Wunschdenken. Lila würde sich niemals an jemanden fest binden. Und wie wir eben festgestellt haben, will er nicht einmal mehr Sex mit mir. Trotzdem, einen Versuch ist es wert. Obwohl ich damit auf die Fresse fallen werde. Und das bereits morgen, denn da ist Samstag... Sputnikabend. Mir wird vorsichtshalber schon mal übel. Na ja, wenigstens ist Stefan kein Mädchen. Schaudernd denke ich an das Date mit Ella zurück. Das war wirklich extrem ätzend.

So, heute ist morgen, also Samstag. Ich hab stundenlang überlegt, was ich anziehen soll und mich schließlich für sehr gruftig entschieden. Schwarze Hose mit Schnallen an den Beinen, Netzhemd ohne was drunter und meine Augen hab ich mit Kajal bemalt, dabei vertrage ich das gar nicht so gut. Sicher hab ich spätestens morgen früh eine fette Augenentzündung.

Meine Haare sehen geil nach Manga aus, das Totenkopf-Halsband sitzt auch richtig. Es kann losgehen. Beziehungsweise, der Stefan könnte langsam auftauchen. Vielleicht ist er das bereits, aber ich hab ihn nicht erkannt. Das wäre ja mal peinlich wie sau! Verstohlen blicke ich umher.

„Hi, Schoko.“

Ach du Heimatland! Der Kerl ist doch mindestens dreißig!! Sieht ’n bisschen aus wie der Dings, dieser Fußballer, den alle bloß Schnix nennen. Allerdings auf eine düstere Art und Weise. Ich sag’s ja: Lila ist geisteskrank! Soll vielleicht ein fünfzehn Jahre älterer Mann mein neuer Freund sein, oder was?! Ich freue mich schon auf die Gesichter meiner Eltern, wenn ich ihn vorstelle. Okay, er könnte mir sicher im Bett ein paar Sachen beibringen, die ich dann mit Lila... nee, ich stehe auf Jungs, nicht auf Männer. Ob das ein Pädophiler ist? Wenn er mich, einen Siebzehnjährigen, süß findet, ist bei dem doch was nicht in Ordnung. Es besteht immer noch die sehr geringe Möglichkeit, dass er’s überhaupt nicht ist.

„Ich bin Stefan“, lächelt er.

Au je!! „Schoko“, lächele ich hilflos zurück.

„Klar, das weiß ich doch. Magst du was trinken?“

„Sicher.“

„Was?“

„Ganz egal“, zucke ich die Schultern und ziehe Lila in Gedanken sein doofes Stachelhalsband durch die Fresse. Ein Stachel sticht ihm dabei absichtlich das linke Auge aus.

Der Mann verschwindet kurz und kommt mit zwei Gläsern zurück. Das Gesöff besteht ungefähr zu neunzig Prozent aus Alkohol, weshalb ich bereits nach dem ersten Schlückchen nur noch verschwommen sehe. Fuck, der will mich besoffen machen und flachlegen. Nix Freund, nix Beziehung.

„Sorry, ich hab die Gläser vertauscht“, erklärt er, nachdem er von seinem Drink genippt hat. Daraufhin bekomme ich eine Cola mit Eis und bin etwas beruhigter.

„Wer legt’n jetzt eigentlich auf?“

„Freund von mir.“

„Hm“, mache ich, weil mir sonst nichts einfällt.

Ihm fällt dagegen eine ganze Menge ein. Nämlich, dass der Freund Sänger einer Band ist, bei der Stefan die Technik macht, wo die Band überall gespielt hat, wen er alles aus der Szene kennt, wer über wen lästert, wer mit wem vögelt... der ist schlimmer als Frauke Ludowig.

Ich bemerke leicht panisch, dass er beim Erzählen ziemlich nah an mich rangerückt ist. Und während er übers Vögeln redet, streichelt seine Flosse meinen Schenkel. Die andere Flosse massiert meinen Nacken. Mh, weiche Hände hat er, das muss ich zugeben. Weiche Lippen ebenfalls, wie ich einige Sekunden später feststellen kann. Ich hatte zwar keineswegs vor, ihn zu küssen, aber wo man grad dabei ist... außerdem küsst er gut. Jedoch nicht gut genug, denn sogar bei Fabian hat’s mehr geprickelt.

„Du bist echt süß“, säuselt er. „Ich würd dich verdammt gerne ficken.“

Nicht in diesem Leben! „Danke für die Cola“ entgegne ich und stehe auf, „aber ich gehe jetzt lieber. Ich darf bloß bis zwölf raus und... oh, es ist ja schon kurz nach... also... äh, bis dann.“

Stefan schaut ein wenig irritiert drein, schafft es allerdings noch, mir seine Nummer auf den Arm zu kritzeln, bevor ich abhaue. Zu Hause wasche ich die Zahlen von meiner Haut, ohne sie abgeschrieben zu haben. Was brauche ich seine Nummer, wenn er mir eh ständig im Sputnik über den Weg laufen könnte? Scheiße, ich muss mir einen neuen Club zum Ausgehen suchen!

Am Sonntag erscheint Lila, die alte Kaktusbirne, zur Berichterstattung.

„Und, wie war’s?“

„Mann,“ stöhne ich und räkele mich genießerisch, „ich kann mich nicht erinnern, jemals dermaßen geil durchgebumst worden zu sein.“

„Wie bitte?“, fragt er entgeistert.

„Stefan wusste ganz genau, wie ich es haben wollte. Ehrlich, ich brauchte gar nichts sagen, er hat mich einfach genommen und das war... das war so geil, Lila, das glaubst du nicht.“

„Na, wie schön für dich.“

„Mhhhh... und blasen kann der... sagenhaft.“

„Ja, doch. Ich hab’s kapiert.“

„Der Stefan ist halt ein richtiger Kerl. Übrigens werden wir nächste Woche heiraten und du darfst mein Trauzeuge sein.“

Lila zieht ein Gesicht... unbeschreiblich. „Du bist ein ganz blöder...“

„Du auch“, unterbreche ich ihn. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Der Typ ist tausend Jahre älter als ich. Bist du total bescheuert?“

„Also ist zwischen euch nichts gelaufen?“

„Nix außer Knutscherei und seinem Wunsch, mich zu ficken.“

Lila reißt seine Augen auf, dass sie ihm fast aus dem Kopf fallen. „Der wollte dich beim ersten Date... so eine Flachpfeife. Ich dachte, der hätte ein bisschen Ahnung, wie man mit Jungs wie dir umgeht. Soll ich ihm die Nase brechen?“

„Nee, is okay.“ Stefan ist wahrscheinlich in der Lage, Lila mit einer Hand krankenhausreif zu schlagen.

„Fein... nächster Plan. Fidel.“

„Was für ’ne Fiedel? Flippst du jetzt aus?“

„Keine Fiedel“, kichert er und imitiert einen Geigenspieler. „Fidel... wie Castro. Der ist nur drei Jahre älter als du und wahnsinnig hübsch. Wird dir gefallen.“

„Ich kann noch nicht mal vernünftig seinen Namen aussprechen.“

„Er behauptet, dass die letzte Silbe betont wird.“

„Lila, ich krieg grad Schweißausbrüche. Warum darf ich mir nicht selber einen Freund suchen? Eine Katastrophe reicht doch wohl.“

„Schnickschnack. Du bist viel zu schüchtern. Außerdem... lern ihn doch erstmal kennen.“

„Hab ich eine Wahl?“

„Absolut... nein“, grinst er.

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. „Dir ist aber doch klar, dass ich immer noch in dich verliebt bin, oder? Das wird sich bestimmt auch nicht ändern, wenn du...“

„Fang nicht wieder damit an“, unterbricht er mich. „Und überhaupt... ich würd dir bloß wehtun.“

„Du ziehst ja nicht mal in Erwägung,“ sage ich beleidigt, „es mit mir zu versuchen.“

„Richtig“, nickt er. „Würdest du denn wollen, dass ich es versuchen muss? Nein, du willst, dass ich romantische Gefühle hege, dass du der Einzige für mich bist und ich dich für immer und ewig liebe. Aber, Schoko, so bin ich nun mal nicht.“

Dass er mir das immer wieder aufs Brot schmiert, macht’s auch nicht besser.


Die gesamte Woche hatte ich Magenschmerzen. Und ich hab Lila angefleht, dass ich diesen Fidel nicht treffen muss. Ohne Erfolg. Wenn sich Lila was in den Kopf setzt... darf ich es ausbaden. Dabei hab ich mich noch gar nicht richtig von Stefan erholt. Leider zog auch dieses Argument nicht. Fidel wurde für heute ins Gartenhaus bestellt. Weil man sich da angeblich besser unterhalten und näher kommen kann, als in einer lauten Disse. Und wenn man sich sehr viel näher kommen sollte, möchte man auch nicht die Eltern im Nacken haben. Zum Glück haben Mama und Papa keine Ahnung, dass ihr Gartenhaus gerne mal als Fickplatz genutzt wird. Sie leben mit dem phantastischen Gedanken, wir würden da harmlose Parties veranstalten und/oder mit Freunden abhängen. Deshalb hatten sie auch nichts dagegen, dass ich den Schlüssel an mich genommen habe. Meine Eltern vertrauen mir total und sind vermutlich froh, dass sie nicht mit lauter Partymusik konfrontiert werden. Ich bin alles andere als froh. Ich warte auf... Fidel. Von dem ich nur weiß, dass er zwanzig ist und wahnsinnig hübsch und solo. Scheiße, es klopft. Mit schwitzigen Händen öffne ich die Tür. Ui, der ist aber wirklich hübsch!

„Du bist Schoko, nehme ich an.“

„Yes“, sage ich und hab nicht die geringste Ahnung, wieso. Anscheinend bin ich spontan verblödet. „Äh... komm doch rein.“

Mh, der ist bestimmt Zigeuner oder sowas Exotisches. Schwarze Strubbelhaare, dunkle Augen mit schwarzem Kajal umrandet, Karamellhaut. Ziemlich unspektakulär angezogen... Jeans, so’ne olle graue Kapuzenjacke und irgendein gestreiftes Shirt darunter. An seinem rechten Mittelfinger steckt ein silberner Totenkopfring. Er sieht ein wenig fertig aus... auf eine abgefuckte, sexy Art... so als hätte er die Nacht mit Alkohol, Drogen, sehr willigen Jungs und ohne Schlaf verbracht. Lässig schlendert er umher, bleibt vor mir stehen und mustert mich.

„Lila hat nicht gesagt, dass du so schön bist.“

Na, das fängt ja gut an. Ich werde volle Kanne rot.

„Dass du schüchtern bist, schon“, lächelt er. „Da war noch was“, überlegt er und kratzt sich am Hinterkopf, „ach, ja... ich soll dich nicht beim ersten Date flachlegen.“

Entschuldigung, gibt es eigentlich eine Steigerung von ’volle Kanne rot’? Wenn nicht, ich hab sie soeben erfunden!

„Wie nett von ihm.“

„Findest du?“ Fidel fläzt sich auf die alte Couch. Irgendwie passt das. Dieser hübsche, verruchte Zigeuner auf dem zerschlissenen Möbelstück. „Magst du ’n bisschen Musik auflegen?“

„O-okay“, stottere ich und drücke den Playknopf der Fernbedienung.

„Bitte was anderes“, fordert Fidel, als der King anfängt zu singen. „Ich hab sonst das Gefühl, Lila würde sich hier irgendwo verstecken.“

Mir ist egal, welche CD meine zittrigen Finger in den Player wurschteln.

„Muse,“ strahlt er, „sehr gut. Und jetzt setz dich hin. Es macht mich nervös, wenn du da so rumstehst.“

Hahaha... wir wollen doch mal festhalten, dass ICH derjenige bin, der nervös ist, ja?!

„Das ist ein cooler Ring“, fasele ich, damit das Rauschen in meinen Ohren übertönt wird.

„Echt?“

„Hm-hm.“

Ich kann kaum schlucken, wenn er mich so ansieht. Mit diesen dunklen Bambi-Augen.

„Ja, ist’n geiles Stück.“

Oh Mann, und wenn der sowas sagt... du lieber Himmel! „Woher kennst du Lila eigentlich und wie lange schon? Er hat nie was von dir erzählt.“

„Aus ’nem Club oder so, keine Ahnung. Der kleine Kotzbrocken... ich bin seit Monaten hinter ihm her und er lässt mich jedes Mal abblitzen. Schätze, ich weiß jetzt den Grund.“

„Er ist nicht schwul.“

„Er ist verknallt in dich.“

Jau... dass mir das nicht schon aufgefallen ist. „Lila steht nicht auf Liebe.“

„Lila hat Angst vor Liebe.“

„Er interessiert sich aber trotzdem eher für Mädchen.“

„Hab ich ihm nie abgekauft“, zuckt der schöne Zigeuner die Schultern. „Also musste es was anderes sein. Na ja, und er redet fast ununterbrochen über dich. Das merkt er allerdings meistens gar nicht“, kichert er.

Mir schwummert der Schädel. Lila ist nicht in mich verliebt. Wenn er es wäre... warum ist er dann so versessen drauf, Dates für mich klar zu machen?

„Und wie lange bist du schon in ihn verschossen?“

„Seit er mit mir geschlafen hat“, murmele ich und erzähle ihm die Geschichte, dabei geht ihn mein Sexleben doch eigentlich einen Dreck an.

Fidels Bambi-Augen werden riesengroß. „Wow, so ein Geburtstagsgeschenk hätte ich auch gerne. Und du denkst immer noch, dass er nicht auf dich abfährt? Dann überleg mal, warum er mich nicht vorher aus dem Hut gezaubert hat. Der Schleicher wollte nicht dir einen Gefallen tun, sondern sich selber.“

„Das war nur Sex, mit Liebe hatte das nix zu tun.“

„Der Typ ist ein Vollidiot. Dich mit mir alleine zu lassen...“, schüttelt er den Kopf und rückt ein Stück näher. „Sorry... aber jemand, der so aussieht wie du, gehört einfach gebumst, Schoko.“

Ich glaub, ich bin grad gekommen. Das wird mir alles zu heikel, denn eigentlich hatte ich den Plan... fuck, ich hab den Plan vergessen. Jedenfalls wollte ich Lila nicht betrügen und obwohl wir keine Beziehung haben, hätte ich das Gefühl, wenn ich mit Fidel schlafen würde.

„Natürlich nicht von mir,“ redet er weiter, „denn du bist anderweitig verknallt, was ich sehr schade finde.“

Finde ich ehrlich gesagt momentan auch.

„Allerdings könnten wir trotzdem miteinander vögeln. So ganz ohne Verpflichtung und Drama hinterher. Es ist nie verkehrt, sexuelle Erfahrungen zu sammeln.“

„Noch ein Freund, mit dem ich ab und zu ins Bett gehe, mh?“

„Okay, verstehe.“ Fidel nimmt seinen Ring ab und steckt ihn mir an den Finger. „Eifersüchtig machen... der älteste Trick der Welt. Zieht immer, garantiert“, grinst er und streicht mit dem Daumen über den Totenkopf. „Gib ihn mir zurück, wenn’s geklappt hat. Und falls ihr jemals einen Dreier plant...“

„Dann mit dir“, verspreche ich und küsse ihn kurz auf den Mund. Das heißt, es sollte ein kurzer Kuss werden, aber plötzlich spüre ich seine Zunge und... wir knutschen eben etwas länger.

„Tut mir leid“, lächelt er anschließend, „die Gelegenheit war zu günstig. Wir bleiben in Kontakt, ja? Und wenn Lila die Sache vermasselt, kommst du hoffentlich zu mir.“

Bevor er geht, tauschen wir noch Handynummern, e-Mail-Adressen und ich bekomme einen ultra süßen Abschiedskuss. Meine Beine schlackern gummiartig.

„Echt bedauerlich, dass du dich an den kleinen Kotzbrocken verschwendest“, flüstert er, setzt sich die Kapuze auf und geht.

Ich bin durcheinander, öffne den Rotwein, den ich ganz vergessen hatte, verzichte auf ein Glas, sondern nehme gleich einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Ist es eigentlich normal, dass Schwule sofort zur Sache kommen? Ich meine, Stefan wollte mich ficken, Fidel findet, ich gehöre gebumst... dreht sich denn alles nur um Sex? Bin ich die einzige romantische Schwuppe auf der Welt?! Bin ich der einzige, der sich erstmal gescheit verlieben und stundenlang kuscheln, küssen und Händchen halten möchte? Okay, ich will ehrlich sein... Sex ist toll und wenn Lila nicht wäre, hätte ich nichts dagegen gehabt, mit Fidel Gott weiß was zu treiben. Trotzdem, ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir gefallen würde, immer nur Sex für eine Nacht zu haben. Ich mag zu jemandem gehören. Zu Lila.

„Hey, Schoko...“

„Ahhhhh!“, kreische ich und kippe vor Schreck ein bisschen Rotwein über mich. „Hast du in den Büschen gelauert?“

„Nee,“ erklärt Lila und nimmt mir die Flasche aus der Hand, „kam grad zufällig vorbei... ich hab Fidel weggehen sehen und... wie ist es denn gelaufen?“

Zufällig vorbei?! Zufällig spiele ich mit meinem neuen Ring.

„Den... den nimmt Fidel niemals ab“, murmelt er.

„Im Bett schon“, erkläre ich schulterzuckend. „Meine erste Trophäe... bist du stolz auf mich?“

Er ist ein wenig blass geworden und sieht aus, als würde ihm der Magen schmerzen. „Die kleine Schlampe vögelt doch alles, was sie kriegen kann. Glaub bloß nicht, dass du was Besonderes für ihn bist.“

„Warum wolltest du dann so unbedingt, dass ich mich mit ihm treffe?“

„Ist doch völlig egal. Du hattest offensichtlich deinen Spaß, also sei zufrieden. Übrigens hätte ich ihn schon seit Monaten haben können. Na ja, ich schätze, wenn man’s nötig hat, ist er ganz brauchbar.“

„Offenbar hatte ich es nicht so nötig, wie du denkst, denn ich hab nicht mit ihm geschlafen.“

Lila verzieht das Gesicht. „Ich kenne ihn. Ich weiß genau, worauf er steht und wie hartnäckig er sein kann.“

„Ja, aber ich wollte nicht. Allerdings kann es dir doch echt Latte sein, mit wem ich ins Bett gehe. Was soll’n das jetzt, plötzlich auf eifersüchtig zu machen?“

„Ich weiß nicht, was das alles soll“, seufzt er verzweifelt und reibt sich die Schläfen. „Ich weiß nicht, warum ich so was sage und warum ich dir irgendwelche Typen organisiere, ich weiß nicht, warum ich anfangen musste, mit dir zu schlafen, weshalb ich ständig an dich denke, dich sehen will und es kaum mit dir aushalte... ich weiß nicht, wieso es mich fertig macht, wenn du dich von Fidel abschleppen lässt... ich weiß nicht, warum du mich so aufregst, warum ich dich immer küssen will... ich weiß verdammt noch mal überhaupt nicht, was zur Hölle mit mir los ist.“

Wow! Ich lege meine Arme um ihn und wusele sanft durch seine Haare. „Soll ich’s dir sagen?“

Er schüttelt den Kopf. „Vielleicht bin ich einfach nur irritiert, weil mein bester Freund auf einmal Sex hat, obwohl er doch eigentlich viel zu schüchtern ist und...“

„Vielleicht bist du verliebt, Lila.“

„Quatsch. Ich verlieb mich doch nicht.“

„Ja, ich weiß. Hast du vielleicht vergessen, deine jährliche Liebesschutzimpfung aufzufrischen?“, grinse ich.

„Sehr lustig“, grummelt er und versucht, sich aus meinem Griff zu befreien, aber ich halte ihn fest. „Ich bin nicht verliebt, ich... bin bloß manchmal scharf auf dich.“

„Lila...“, schnaufe ich genervt.

„Okay, vielleicht... das ist doch Scheiße. Schoko, wir müssen damit aufhören. Es steht zu viel auf dem Spiel... wir könnten alles verlieren.“

„Wir können aber auch nicht mehr zurück.“

„Verstehst du nicht, dass unsere Freundschaft vorbei ist, wenn das mit uns schief geht? Ich will das nicht riskieren.“

„Wer sagt dir, dass es schief geht?“

Lila verdreht theatralisch die Augen. „Du kennst mich... ich neige dazu, alle wichtigen Sachen zu vermasseln.“

„Die Sache an meinem Geburtstag hast du prima hingekriegt.“

„Stimmt“, lächelt er. „Und ich hätte nicht erwartet, dass es mir so gefallen würde. So sehr, dass ich es immer wieder möchte... nur mit dir.“

„He, versuchst du etwa grad, mir eine Liebeserklärung zu machen?“

„Nein, ich versuche gerade, dir zu erklären, dass wir aufhören müssen... du musst aufhören, mich so anzumachen.“

„Was?“

„Na, wie du mich schon wieder ankuckst... mit diesem Fick-mich-Blick. Lass das.“

Ist der besoffen? Ich kucke ganz normal. „Fein, würdest du dann bitte deine Hand unter meinem Shirt wegnehmen und aufhören, meinen Rücken zu streicheln?“

„Siehst du, das passiert immer, wenn du mich so ankuckst. Ich hab mich nicht mehr unter Kontrolle und mache irgendwelche Dinge, die total... fuck...,“ er schubst mich auf die Couch und beugt sich über mich, „ich will dich, Schoko.“


Burning burning burning, and nothing can cool me…

Your kisses lift me higher, like the sweet song of a choir

And you light my morning sky with burning love…

Lilas Lippen wandern über meine nackte Haut und wenn ich meine Augen öffne, sehe ich die ersten Sonnenstrahlen. Träge tastet meine Hand nach...

„He, ich fürchte, wir müssen das verschieben, bis du Kondome gekauft hast.“

„Verdammt. Wieso kaufst du nicht mal welche? Immer muss ich für alles sorgen“, murmelt er und legt sich neben mich.

„Wieso brauchen wir überhaupt Kondome?“

„Weil... ich mich nicht mit Krankheiten anstecken will, Döskopp.“

„Ich hab Krankheiten?“

„Wer weiß“, zuckt er die Schultern.

„Du bist ja wohl derjenige, der seinen Schwanz in alles steckt, was auf zwei Beinen läuft. Wahrscheinlich sogar in alles, was auf vier Beinen läuft.“

„Ich hab mal einen Tierporno gesehen... der hat mich nicht erregt.“

Natürlich... Lila hat vermutlich alles schon gesehen. „Wo hattest du den denn her?“

„Von Fiedl, der steht auf sowas.“

Er ist eifersüchtig, weil Fidel mit mir flirtet. Süß, oder?! Selbstverständlich würde er das niemals zugeben. Aber dass er permanent über ihn lästert und seinen Namen immer falsch ausspricht, ist ein sicheres Zeichen. Außerdem hätte er ihm letztes Wochenende beinahe die Fresse poliert, weil Fidel mich seiner Meinung nach total unverschämt angebaggert hat. Da fühlte ich mich gleich doppelt geschmeichelt, weil Fidel wirklich kein Geheimnis draus macht, dass er mich toll findet, und weil Lila das so unglaublich stört.

„Blödsinn, Fidel steht auf mich.“

„Auf mich stand er zuerst.“

„Ja, aber jetzt nicht mehr. Das ist sicher ein harter Schlag für dein Ego, mh?“

„Halt die Klappe, Schoko.“

„Okay“, seufze ich und schmuse mich in seine Arme.

„Ich hab dich übrigens durchschaut, du Schleicher“, behauptet er plötzlich.

„Hä?“

„Du benutzt den King, um deine Kuscheldosis zu kriegen.“

Au je, das stimmt tatsächlich. Aber nur, weil Lila eben immer so schmusig wird, wenn Elvis singt, und weil ich halt ein Freund von Kuschelei bin. Da kann ich ja nun auch nichts dafür.

„Ist in Ordnung“, nuschelt er in mein Haar, „aber gar nicht nötig.“

„Soll das heißen, du magst gerne mit mir kuscheln?“, frage ich skeptisch.

„Sicher. Gehört doch schließlich dazu, wenn man... na ja, du weißt schon.“

Lila wäre nicht Lila, wenn er einfach so aussprechen könnte, dass er mit mir zusammen ist. Dass wir es sind, steht allerdings fest. Immerhin trifft er sich seit knapp drei Wochen nur noch mit mir. Gepasst hat ihm das nicht, und er schlug mir tatsächlich so ein beknacktes Queer-As-Folk-Brian-und-Justin-Arrangement vor, was ich jedoch sofort ablehnte. Normal, oder? Wer will schon einen Freund haben, der ständig mit anderen Leuten zugange ist? Außerdem hatte ich den Eindruck, dass diese Vereinbarung eh nur für ihn gelten sollte, denn er ist ja schon eifersüchtig, wenn ich bloß mit Fidel spreche.

„Du sollst nicht mit mir kuscheln, weil du meinst, dass man das macht, sondern weil du es gerne möchtest.“

„Toll, ich kann sagen, was ich will... du bist nie zufrieden. Entschuldige, dass ich nicht der geborene Freund bin. Das wusstest du allerdings von Anfang an. Und es war auch von Anfang an eine blöde Idee.“

„Lila...“

„Was?“

„Halt den Rand und sei wieder lieb, ja?“, wispere ich und küsse sein Ohrläppchen.

„Ich mag jetzt nicht lieb sein“, zischt er und hält meine Hand fest, die über seine Brust streicheln wollte. „Kannst du dich nicht wenigstens, wenn wir im Bett sind, von deinem scheiß Ring trennen?“

„Das ist ein Geschenk gewesen, nichts weiter. Außerdem wolltest du mich doch mit Fidel verkuppeln. Und ich hatte nicht mal was mit ihm.“

„Blöde Schlampe. Ich hasse den Typen.“

„Ich zwinge dich ja auch nicht, Connys Sternchenohrring rauszunehmen.“ Den hat sie Lila nämlich irgendwann mal geschenkt. Und er hatte definitiv was mit ihr.

„Vielleicht möchtest du das gerne.“

„Nee, der Ohrring steht dir total gut.“

„Das meine ich nicht. Vielleicht möchtest du gerne mit Fiedl...“

„Ich möchte lieber mit dir“, unterbreche ich seinen Schwachsinn, „aber leider sind keine Kondome mehr da.“

„Bin eh total kaputt. Dich zu befriedigen ist ja praktisch unmöglich. Solltest mal was gegen deinen übersteigerten Sexualtrieb tun. Das ist sicher krankhaft.“

„Es war deine Idee, mich die ganze Nacht zu vögeln“, gebe ich lächelnd zurück.

„Da hab ich auch noch gedacht, du würdest irgendwann schlapp machen. Und komm mir bloß nie wieder mit deinem Lieblingsspruch, dass es noch was anderes gibt als Sex.“

„Meinetwegen können wir auch nur Händchen halten und kuscheln... was dir immer zu langweilig ist.“

„Was an deiner Sexbesessenheit scheitert. Ich kann doch nicht mal deinen Nacken kraulen oder deinen Hals streicheln, ohne dass du gleich ’ne Latte kriegst.“

„Mein Hals ist halt eine besonders heikle Stelle“, zucke ich die Schultern.

„Von der hoffentlich nur ich weiß“, brummelt er.

„Logisch. Ich bin schließlich auch der Einzige, der weiß, dass du mich liebst... und dass irgendwo tief in dir drin doch ein normaler Mensch mit ganz normalen Gefühlen schlummert.“

„Mhhh... schlummern“, seufzt er, zieht die Bettdecke bis zum Kinn hoch und ist drei Sekunden später eingeschlafen.

Lilas Schlaf ist beneidenswert. Neben ihm könnten Bomben explodieren, der würd nicht aufwachen. Ich dagegen muss mich noch mindestens eine Stunde über die wildgewordene Amok-Taube aufregen, die direkt vorm Fenster gurrt wie bekloppt.


Montagmorgen. An der Ecke wartet Lila. Hat’s tatsächlich mal vor acht Uhr aus’m Bett geschafft, der kleine Penner. Komischerweise ist er nicht allein... Ella steht bei ihm. Mir wird spontan übel. Wie immer, wenn Lila mit Mädchen spricht. Allerdings kann man es kaum sprechen nennen, was die zwei machen. Das sieht eher nach streiten aus. Vielleicht lässt er sie grad abblitzen, weil er mit mir zusammen ist? Was anderes würde mir zu dieser Szene jetzt nicht einfallen. Eilig gehe ich auf die beiden zu und höre grad noch, wie Lila „Halt bloß dein Maul“ zischt. Ella sieht aus, als wollte sie Lila an der nächsten Laterne aufknüpfen, schüttelt den Kopf und rempelt gegen mich.

„Geh mir aus dem Weg, Arschloch“, keift sie.

Hat die etwa verheulte Augen, oder bilde ich mir das nur ein?

„Hey Indiejunge“, grinst Lila... das heißt, er versucht zu grinsen. Gelingt ihm nicht so ganz.

„Was’n los?“

„Gar nichts. Wieso?“

„Ella?!“, helfe ich ihm auf die Sprünge.

Er zuckt die Schultern. „Mädchen halt.“

„Hat wohl gerade ihre Tage...“

„Was soll denn der blöde Spruch?“, ranzt er mich plötzlich an.

„Äh...“

„Lass uns gehen, sonst kommen wir zu spät.“

Also irgendwas ist hier sehr eigenartig. Leider kriege ich den gesamten Vormittag nichts aus Lila raus. Ich traue mich aber auch gar nicht erst, ihn zu fragen. Hinterher schreit der mich wieder an. Ella bleibt übrigens heute verschollen. Macht blau, was weiß ich. Mein Freund hat dafür super miese Laune. Er kassiert eine Sechs, weil er Frau Fuß (die heißt wirklich so!) mal eben locker erzählt, dass er keinen Bock auf scheiß Mathe an der Tafel hat, in Englisch legt er sich mit unserem Lieblingslehrer an und in der Pause schubst er einen Dreizehnjährigen dermaßen, dass der arme Junge fast auf die Fresse fliegt.

„Du bist echt zu beneiden“, seufzt Fabi. „So einen Freund wünscht sich doch jeder.“

„Wenigstens geht er nicht fremd“, lächele ich horrorartig.

„Okay, Punkt für dich. Habt ihr euch gezofft, oder was ist los mit ihm?“

„Nee. Keine Ahnung.“

„Na dann, viel Spaß noch“, wünscht er, steigt auf sein Rad und fährt nach Hause.

Lila ist abgehauen, ohne mir zu sagen, ob wir uns heute noch sehen. Wenn er so drauf ist, will ich das aber eh nicht.

Am späten Nachmittag schneit er in mein Zimmer, als ich fast mit meinen Hausaufgaben fertig bin.

„Und,“ frage ich, „haste dich wieder abgeregt oder muss ich mich auf irgendwas gefasst machen?“

Er schnalzt genervt, feuert Tasche und Jacke in die Ecke und setzt sich auf meinen Schoß. Mir wird langsam unheimlich. Dann kramt er in seiner Hosentasche herum, grapscht nach meiner Hand, zieht Fidels Ring von meinem Finger und steckt einen anderen drauf. Silber, mit einem lila Glitzerstein. Mir wird immer unheimlicher!

„Wenn du schon unbedingt einen Ring an deiner Flosse haben musst, dann sollte der von mir sein, nicht von einer dahergelaufenen Schlampe. Und hör auf, so dämlich zu grinsen, okay? Das ist hier kein scheiß Heiratsantrag. Ich will nur nicht, dass du was von Fiedl trägst.“

Mein Hirn ist ein wenig überfordert. Mein Herz ebenfalls. Der Ring ist total schön und Lila ja wohl der süßeste Junge auf der ganzen Welt!

„Ich würde dich sofort heiraten“, sage ich völlig überwältigt.

„Weiß ich, Schoko.“ Er steht auf, holt etwas aus seiner Tasche, wirft es auf den Schreibtisch und setzt sich anschließend wieder auf meinen Schoß. „Ich hab Kondome gekauft.“

„Zwei Packungen?“, frage ich skeptisch. „Was denkst du eigentlich, wie oft ich mich heute von dir flachlegen lasse, du unverschämter Kerl?“

Lila macht ein Gesicht, als hätte ihm jemand in die Eier getreten.

„Wahrscheinlich überhaupt nicht“, nuschelt er und wirkt auf einmal sehr... keine Ahnung, so hab ich ihn noch nie erlebt. Er wurschtelt sich von mir runter und läuft im Zimmer umher. „Ich muss mit dir reden. Es ist... shit... wie soll ich dir das bloß sagen? Kannst...,“ er holt kurz Luft und schnauft angestrengt, „kannst du dich noch erinnern, dass ich sagte, ich würde die Sache vermasseln?“

„Äh... ja?“, antworte ich und bekomme schon mal nervöses Herzklopfen und leichte Magenschmerzen.

„Ja. Ich hab’s vermasselt.“

„Genauer bitte“, fordere ich, obwohl ich weiß, dass es ein Fehler ist.

„Ella ist... irgendwie drüber... und, na ja, das kann natürlich alle möglichen Ursachen haben und sie hat auch noch keinen Test gemacht, aber sie ist ziemlich sicher... oder besser gesagt, sie meint... also sie hat Angst... scheiße, Ella ist schwanger.“

In meinem Mund breitet sich ein übler Bittergeschmack aus. „Was... was hat das mit dir zu tun?“ Eine reichlich bescheuerte Frage, oder?! Jedenfalls merkt mein Gehirn das gerade. Es merkt eine ganze Menge. Nämlich dass Lila mit Ella gevögelt haben muss, während ich dachte, er wäre nur mit mir zusammen, und dass die beiden anscheinend auch noch zu blöde waren, um gescheit zu verhüten, und er bei mir jetzt mit Kondomen auftaucht, mir diesen beschissenen Ring schenkt, obwohl er in neun Monaten wahrscheinlich Vater sein wird.

„Schoko... sag irgendwas.“

Ich kann nicht. Mein Sprachzentrum ist blockiert.

„Vielleicht ist es gar nicht von mir,“ faselt er, „vielleicht ist sie nicht mal schwanger. Nur weil sie denkt... ich meine, es muss ja nicht...“

Entschuldigung, aber ist das etwa der Punkt? Lila hat mich betrogen. Er hat mich betrogen, verdammte Scheiße. Und ich hab echt gedacht, dass er mich liebt, sich ändert und treu ist. Wie naiv. Vermutlich war Ella nicht mal die Einzige.

„Es tut mir Leid, Schoko, ich wollte dir nicht...“

„Weißt du,“ unterbreche ich ihn, „ich glaube, dein Papa wäre furchtbar stolz auf dich. Klar, du hast mich verarscht und mir das Herz gebrochen, aber über ein Enkelkind würde er sich doch freuen, meinst du nicht? Und wenn es alt genug ist, kannst du mit der ganzen Familie nach Graceland fahren... ganz genauso wie dein Papa mit dir. Ich bin sicher, er schaut euch von oben dabei zu, während er mit dem King auf irgendeiner scheiß Wolke Karten spielt.“

Lila schluckt kräftig, bevor er antwortet. „Das hat echt wehgetan.“

„Nicht genug. Nicht mal annähernd genug“, entgegne ich und drücke ihm seinen Ring in die Hand. „Hier, schenk den lieber der Mutter deines Kindes... und jetzt verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen.“

„Schoko...“

„Raus.“

„Können wir nicht...“

„Brauchst du’s schriftlich, oder was? Verpiss dich, Frank“, schreie ich und helfe seinem Abgang ein bisschen nach, indem ich ihn durch die geöffnete Tür schubse und seine Klamotten hinterher werfe. Als Lila endlich weg ist, setze ich mich an meinen Schreibtisch und rauche eine Zigarette, obwohl ich eigentlich fast nie rauche. Danach bekomme ich einen zweistündigen Heulanfall. Vielleicht heule ich auch zwei Tage oder zwei Wochen... schwer zu sagen. Anfühlen tut es sich wie ewig. Leider scheinen sogar Tränen irgendwann alle zu sein. Das ist ein ziemlich ätzender Zustand, weil man nichts mehr machen kann. Nur auf dem Bett liegen und an die Decke starren, bis sich das Weiß in unzählige schwarze, flirrende Pünktchen verwandelt. Meist muss man dann blinzeln, weil sonst die Augen kaputt gehen. Wenn man es schafft, das Blinzeln länger hinaus zu zögern, bilden sich eigenartige Fratzen... aber das hat mich als Kind schon immer total geängstigt, weil ich dachte, ich würde davon verrückt werden. Deshalb nehme ich zum Beispiel auch keine Drogen... ich hab super Angst, Dinge zu sehen, die eigentlich gar nicht da sind. Wenn ich überlege, dass ich morgen Lila und Ella in der Schule sehen muss, möchte ich lieber nicht mehr da sein. Okay, zwei, drei Tage könnte ich rausschlagen, wenn ich meinen Eltern krank vorspiele, doch was nützt das? Ich meine, welche Alternativen hab ich denn langfristig? Schule wechseln, abhauen und auf der Straße leben, ins Wasser gehen, mir von einem zwielichtigen Typen eine Knarre kaufen und Lila damit erschießen? Das hätte alles unschöne Konsequenzen.

Dienstagmorgen. Fühle mich wie ausgekotzt, bin wahnsinnig unausgeschlafen und irgendwie froh, dass Lila heut nicht in der Schule ist. Dafür läuft mir Ella verschiedentlich über den Weg. Die sieht ebenfalls aus, als hätte sie nicht genügend Schlaf bekommen. Ihr Problem. Es ist ja nun wirklich nicht so, dass ein achtzehnjähriges Mädchen heutzutage ungewollt schwanger werden muss. Ich hasse sie.

Mittwochmorgen. Lila kommt zur zweiten Stunde, Ella überhaupt nicht. Ob die sich abgesprochen haben, damit sie sich nicht aus Versehen begegnen? Interessiert mich einen Scheiß. Lila interessiert mich einen Scheiß. Mich ständig mit diesem Dackelblick anzuglotzen bringt auch nix. Ich hab schon genug damit zu tun, nicht mitten im Unterricht aufzustehen und ihm etwas Schweres auf dem Kopf zu zerschmettern. In der Pause wagt er es doch tatsächlich, mich anzusprechen. Ey, geht’s noch?! Ich lasse ihn stehen und geselle mich lieber zu Fabi. Der könnte übrigens auch mal fragen, was los ist. Natürlich würde ich es ihm nicht erzählen, aber dass er so gar nicht merken will, dass zwischen Lila und mir was nicht stimmt, ärgert mich gewaltig. Sein beschissenes Ich-bin-so-verliebt-Grinsen ärgert mich allerdings noch mehr. Muss man anderen dermaßen mit seinem Glück auf den Sack gehen?!

Donnerstagmorgen. Oh, wow... heute sind beide da. Tun allerdings so, als würden sie sich nicht kennen. Müssten die nicht eigentlich eine Menge zu bereden haben? Schätze, das wollen sie nicht unbedingt in der Öffentlichkeit. Lila sieht jetzt auch total fertig aus. Na und? Geschieht ihm ganz recht!

Freitag nach der Schule wagt Lila noch viel mehr als am Mittwoch. Er wagt sich in mein Zimmer.

„Ella hat ihre Tage gekriegt.“

„Vielen Dank, dass du mich an ihrem Menstruationsverhalten teilhaben lässt. Ehrlich, ich mache mir beinahe in die Hose vor Freude.“

„Das bedeutet, sie ist nicht schwanger“, erklärt er, als hätte ich von nichts ’ne Ahnung.

„Und was zur Hölle geht mich das an?“

„Dachte, es würde dich interessieren.“

„Falsch gedacht. Wenn sonst nichts mehr ist... mach die Tür hinter dir zu.“

„Schoko, ich hab einen Fehler gemacht und es tut mir Leid“, behauptet er, so als wäre das die reine Wahrheit. Aber ich weiß es besser, denn schließlich kenne ich ihn. Er sagt, was ich seiner Meinung nach hören will. Mit mir nicht mehr, mein Freund!

„Ach, und jetzt soll ich dir verzeihen und in deine Arme sinken oder wie?“

„Nein, aber du könntest... glaubst du, ich find’s toll, wenn du andauernd mit Fiedl flirtest, während ich daneben stehe?“

Der tickt wohl nicht mehr richtig. „Willst du mir etwa sagen, dass es meine Schuld ist? Ich verstehe mich gut mit einem Typen und du rennst gleich los und vögelst irgendeine Schlampe? Ich wette, es war nicht bloß Ella. Mit wem hast du’s denn noch alles getrieben? Und wenn du mich schon betrügen musst, kannst du’s nicht wenigstens mit Gummi machen... wie jeder halbwegs intelligente Mensch?“

„Es war nur Ella und ich hab ein Kondom benutzt. Mädchen denken doch ständig, dass sie schwanger sind... auch wenn es eigentlich gar nicht sein kann.“

„Oh, ich bin mir sicher, damit kennst du dich bestens aus... hattest ja genügend Schlampen in der Kiste. War’s das jetzt? Dann verpiss dich.“

„Das ist genau der Grund, weswegen ich nichts mit dir anfangen wollte“, schüttelt er den Kopf. „Du meinst, wenn ich mit Ella schlafe, würde ich dich nicht lieben, oder so’n Scheiß.“

„Du liebst niemanden, Lila. Ich dachte, du könntest dich auf mich einlassen... aber offensichtlich hast du dazu keine Lust. Und ich hab keine Lust, einer von Vielen zu sein.“

„Du hast gewusst, dass ich nicht so bin, wie du es gerne hättest. Ich stehe halt nicht auf Beziehung, ich will rumficken, okay? Wenn du damit nicht zurecht kommst, ist das dein Problem.“

„Okay, es ist alles meine Schuld. Schön, dass wir das geklärt haben. Würdest du jetzt bitte gehen... denn wenn ich dich und dein schwachsinniges Gefasel noch länger ertragen muss, wird mir übel.“

Und schon ist er weg. Schade eigentlich, wenn er es vernünftiger angestellt hätte... ich hätte ihm verzeihen können. Da bin ich ehrlich. Aber jedes Mal mit dieser Pseudo-Entschuldigung ’ich bin nun mal so’ anzukommen, ist selbst für Lila total lahm. Und auch total nicht zu akzeptieren. Was soll das überhaupt? Ich bin nun mal ein Arschloch, komm damit klar oder lass es bleiben? Wer braucht sowas? Ich sicher nicht. Wahrscheinlich findet er sich auch noch cool, wenn er so einen Müll redet. Von mir aus kann der ab jetzt bei seinen Schlampen pennen, wenn er es zu Hause mit seinem Stiefvater nicht aushält. In mein Gartenhaus setzt der jedenfalls keinen Fuß mehr!


„Na, du kleine süße Maus“, begrüßt mich Fidel, greift nach meinen Fingern und haucht einen Kuss auf meinen Handrücken. „Kleine Tour gefällig?“

Ich zucke die Schultern und lasse mich durch die Wohnung führen, in der er mit zwei Freunden und einem Meerschweinchen haust. Das heißt, eigentlich bekomme ich lediglich den Flur und verschiedene Türen gezeigt.

„Jonas, Leo, Bad is da hinten, Küche da vorne und hier ist mein Zimmer.“

Erstaunlicherweise ist es ziemlich sauber und aufgeräumt. Bei drei Jungs hatte ich anderes erwartet. Fidels Zimmer ist relativ groß, oder es wirkt so, weil nicht besonders viel drin ist.

Eigentlich bloß ein Bett, ein antik aussehender Kleiderschrank, ein Schreibtisch, zwei große Boxen, auf denen silberne Kerzenleuchter thronen, und seine Anlage. Die dunklen Vorhänge am Fenster reichen bis zum Parkettboden. An den Wänden stapeln sich Bücher und CD’s, weiter höher hängen gezeichnete Engel in Bilderrahmen.

„Mach’s dir bequem“, lächelt er und deutet auf das Bett, was tatsächlich die einzige Sitzmöglichkeit bietet... mal abgesehen von Schreibtischstuhl und Fußboden. „Was essen oder trinken?“

„Nee, danke“, schüttele ich den Kopf.

Fidel legt eine CD ein... ich glaube, es ist irgendwas von Deine Lakaien... zündet die Kerzen an und setzt sich zu mir aufs Bett.

„Also was hat der Kotzbrocken angestellt?“

„Mit Ella gevögelt.“

„Sieht die gut aus? Ich meine, sieht die besser aus als du?“

„Äh... keine Ahnung. Kann ich nicht beurteilen, weil sie ein Mädchen ist“, antworte ich irritiert.

„Wenn sie nicht besser aussieht, gibt’s dafür keine Entschuldigung.“

„Die gibt’s ja wohl sowieso nicht. Wenn man mit jemandem zusammen ist, geht man nicht fremd. Aber solchen Leuten wie Lila und dir ist das anscheinend egal.“

„Ey, wirf mich nicht mit dem Penner in einen Topf, okay? Nur weil ich gerne ficke heißt das nicht, dass ich meinen Freund nach Strich und Faden betrüge.“

„Du hast doch gar keinen Freund.“

„Hatte ich aber... fast zwei Jahre. Und Sex gab’s nur mit ihm. Jetzt bin ich frei und kann bumsen, wen ich will. Was ist daran auszusetzen?“

Mit Fidel über Sex zu reden erscheint mir irgendwie zu gefährlich. Ich merke nämlich grad, dass mir ein bisschen heiß wird. Und wenn der mich dann auch noch so... so verrucht ankuckt mit seinen schwarz umrandeten Bambi-Augen. Wie bei unserer ersten Begegnung trägt er Jeans und eine graue Kapuzenjacke, diesmal allerdings ohne was drunter.

„Was studierst du eigentlich?“, wechsele ich das Thema.

„Kunstgeschichte.“

„Ist das interessant?“

„Mal mehr, mal weniger.“

„Wieso bist du nicht mehr mit deinem Freund zusammen?“

„Weiß nich,“ zuckt er die Schultern, „das passte halt nicht mehr so. War kein großes Drama, weil wir’s beide gemerkt haben.“

„Hat dir das gar nichts ausgemacht?“

„Wird das jetzt ein Frage-und-Antwort-Spiel?“, grinst er.

„Entschuldige, ich bin irgendwie...“

„Nervös?“

„Nicht direkt“, lüge ich.

„Schade“, seufzt er übertrieben, „wo ich es doch so liebe, hübsche Jungs nervös zu machen.“

Mir wird erheblich warm im Gesicht, vermutlich ist es rot angelaufen. „Ist Lila auch nervös geworden?“

„Nervös schon, aber leider nicht schwach. Ich erwähnte wohl, dass er bis zur Halskrause in dich verknallt ist, oder? Ganz egal, ob er mit Ella oder Bella ins Bett geht. Wahrscheinlich ist der kleinen Lusche die Sache mit dir zu heikel geworden. Der muss echt Todesängste ausgestanden haben, als er merkte, was mit ihm los ist. Das ist fast schon komisch.“

„Ja, nur dass ich darüber nicht lachen kann“, entgegne ich grimmig.

„Weißt du, ich glaube, er hat diese Tussi gevögelt, um sich zu beweisen, dass noch alles nach seinen Regeln läuft. Es war für ihn wahrscheinlich ein Stück Sicherheit, weil er es nicht gewohnt ist, mit Gefühlen umzugehen. Schon gar nicht mit Verliebtheitsgefühlen. Und damit er nicht im völligen Chaos untergeht, tut er eben das, was er immer tut... Weiber flachlegen.“

„Das ist so bescheuert, dass es schon wieder logisch klingt“, stelle ich fest.

„Der Junge braucht eine gescheite Therapie. Die wäre bereits vor Jahren nötig gewesen, als das mit seinem Vater passierte.“

„Er hat dir davon erzählt?“, frage ich erstaunt. „Lila redet normalerweise nicht darüber.“

„Er musste sich auch ganz schön Mut antrinken. Übrigens hat er da auch eure Gartenhauswichserei erwähnt und wie gerne er dir einen runtergeholt hätte.“

„Oh mein Gott“, murmele ich und schlage mir peinlich berührt die Hände vors Gesicht. „Das ist ewig lange her.“

„Tja... kannste mal sehen.“

„Mir doch egal. Lila ist ein Arschloch. Wenn er sich wenigstens anstrengen würde, mich zurück zu kriegen... ich meine, wenn ich spüren würde, dass ich ihm wichtig bin... ich weiß auch nicht.“

„Na ja, es wird ihm schon was an dir liegen, sonst hätte er mir wohl kaum aufs Maul hauen wollen, weil ich mit dir geflirtet habe... seiner Meinung nach.“

„Du hast mit mir geflirtet“, bemerke ich.

„Das war doch total harmlos.“

„Aha? Jemand, der so aussieht wie du, gehört gebumst... das waren exakt deine Worte.“

„Ich hab’s ja nicht getan.“

„Aber du hättest gerne.“ Irgendein Dämon hat von mir Besitz ergriffen. Oder warum ziehe ich sonst den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke runter und...

„Schoko, was tust du da?“

„Ich mache deine Nippel hart“, erkläre ich und stipse leicht gegen seine Brustwarze.

„Wozu?“

Meine Finger streicheln seine Haut. „Weil’s geil aussieht.“

Fidels Lippen drücken sich sanft auf meine, allerdings wird der Kuss sehr schnell heftiger und der Knopf seiner Jeans ist auch schon auf.

„Du willst dich doch bloß rächen“, grinst er und hält meine Hand fest, die grad in seiner Hose verschwinden wollte.

„Irgendwie schon“, gebe ich zu. „Ziemlich gemein, oder? Ich sollte dich dafür nicht benutzen.“

Er zieht seine Jacke aus und setzt sich auf meinen Schoß. „Hab ich kein Problem mit. Aber dir ist doch klar, dass du dich hinterher schlecht fühlen und es bereuen wirst.“

„Das ist mir ganz egal“, wispere ich und küsse ihn.

Nach einer unglaublich wilden Knutscherei ist es mir dann aber plötzlich doch nicht egal.

„Ich... äh... ich kann das nicht“, schnaufe ich, setze mich hin und streiche meine Klamotten glatt.

„Dann solltest du jetzt ganz schnell gehen.“

Wie bitte?! „Bist du sauer?“, frage ich entgeistert.

„Nein“, stöhnt Fidel gequält. „Bloß ultra-mega-geil. Also verschwinde, damit ich ungestört wichsen kann.“

Du meine Güte!! „Okay, ich... also ich melde mich dann bei dir, ja?“

Er antwortet nicht, weil... na ja, er ist schon mit anderen Dingen beschäftigt. Möglich, dass man sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen sollte. Möglich, dass er denkt, ich würde meine Meinung doch wieder ändern, wenn er vor meinen Augen... das ist allerdings nicht der Fall. Ich mache, dass ich nach Hause komme und hole mir lieber auch ungestört einen runter.


Ich hasse Lila. Wie die Pest. Wie man einen fiesen Eiterpickel hasst, der mitten auf der Nase wächst, und an dem man rumgedrückt hat, sodass er noch viel ekliger und größer und schlimmer geworden ist. Dieser... Mensch ist völlig gefühllos. Der tut so, als wäre überhaupt nichts vorgefallen. Beziehungsweise, er tut so, als gäbe es mich nicht mehr. Er sieht mich nicht mal mehr an in der Schule. Hat sich von mir weggesetzt. Ganz weit. Fein, wirf doch einfach zehn Jahre Freundschaft auf den Müll, du Pisskopp! Ich vermisse ihn wie sau und ihm ist wieder alles egal. Na ja, was hab ich denn erwartet? Dass er mir seine Liebe gesteht und mich anbettelt, ihn zurück zu nehmen?! Vorher friert die Hölle ein und Gott trinkt mit dem Teufel einen Schnaps. Jetzt bereue ich, dass ich mich nicht an ihm gerächt habe, als sich die Möglichkeit bot. Kann schon sein, dass ich mich danach schlecht gefühlt hätte. Allerdings wesentlich besser schlecht, als ich mich gerade fühle. Das Schlimme ist, dass man Lila nicht einfach ein bisschen Verstand in die Birne stopfen kann. Oder ein Herz in seinen verdammten Brustkorb. Es ist doch einfach unmöglich, dass ihn das alles so total kalt lässt. Okay, er ist vielleicht nicht in mich verliebt, aber unsere Freundschaft war ihm doch immer so wahnsinnig wichtig. So wichtig, dass er sich nicht getraut hat, was mit mir anzufangen. War das bloß dämliches Gelaber, oder wie? Als benähme er sich nicht schon schändlich genug, hängt er in den Pausen auch noch demonstrativ mit Weibern rum. Es ist zum Kotzen. Und es tut weh. Bei all dem Hass, den ich momentan für ihn empfinde, tut es schrecklich weh, dass er mich nicht beachtet. Nicht umarmt. Nicht küsst. Nicht einmal anlächelt. Dass er nicht bei mir sein will, wie ich bei ihm sein will. Dass er aussieht wie das blühende Leben, während ich wie ein scheiß Zombie umher schleiche. Dass er noch Milchschnitte und Blaubeermuffins essen kann, während mir bereits der Gedanke ans Essen Übelkeit beschert. Also... gerecht ist das nicht. Ist es eigentlich normal, dass der Eine immer viel mehr liebt als der Andere und logischerweise auch viel mehr leidet? Und warum muss ausgerechnet ich der Eine sein und Lila der Andere? Aber vielleicht muss ich das gar nicht. Vielleicht kann man das Gefühle-ausschalten lernen, wie Fahrradfahren oder eine Ballsportart. Wenn man lange genug übt, klappt’s irgendwann. Hey, ein Miro Klose ist auch nicht als WM-Torschützenkönig auf die Welt gekommen. Die Vorstellung, einfach zu tun und zu lassen, was mir gefällt, ohne lästige Gedanken, ohne leiden und Liebeskummer und den ganzen Scheiß... Mann, das wär’s! Ich könnte mit Lila befreundet sein, mit ihm ins Bett gehen und fertig. Kein Stress, keine Heulerei, keine nervigen Diskussionen, keine romantischen Erwartungen, die eh nicht erfüllt werden... nur klare Verhältnisse und Spaß und Sex. Lila kommt damit doch gut zurecht, warum ich nicht ebenfalls?! Es wäre zur Abwechslung mal ganz nett, sich nicht immerzu nach dem verdammten Kotzbrocken sehnen zu müssen.

Die nächsten paar Tage ignoriere ich Lila in der Schule genauso, wie er das mit mir tut. Damit er sieht, dass ich wegen ihm nicht mehr durchhänge. Dummerweise fällt mir sehr schnell auf, dass der Mist überhaupt nichts bringt. Es kümmert ihn einfach nicht, was meine Wut umso größer macht. Leute, die sich besonders schlau vorkommen, behaupten ja gerne, dass man nur das hassen kann, was man liebt... oder geliebt hat. Leider sagen einem die schlauen Arschgeigen nicht, was man mit dem beschissenen Spruch anfangen soll, weil sie’s nämlich selber nicht wissen, aber halt mal schlau dahergeredet haben wollten. Und es ist auch ein Trugschluss, dass die Zeit alle Wunden heilt. Günstigenfalls ist man in der Lage zu verdrängen, damit’s nicht mehr weh tut. Soweit bin ich noch lange nicht. Wie auch, wenn ich Lila ständig vor der Nase habe? Außerdem will ich ihn nicht verdrängen. Ich will, dass er mich liebt. Und ich will’s ihm zeigen. Aber so richtig dick und fett!!

Samstagabend zeigt er es mir jedoch. Fidel hatte gefragt, ob ich ins Sputnik kommen würde, und ich hatte zugesagt. Während wir also da rumhängen und Cola trinken (Fidel mit Weinbrand, ich lieber ohne), latscht Lila plötzlich rein. Okay, damit hatte ich gerechnet, schließlich gibt’s hier nicht so viele Läden, in die man gehen kann. Mein Herz fängt trotzdem an, eine Ecke heftiger zu klopfen. Zuerst unterhält er sich eine Weile mit Stefan, der mich zum Glück seit unserem grandiosen Date mit dem Arsch nicht mehr ankuckt. Ich rücke etwas näher an Fidel heran und als Lila kurz in unsere Richtung schaut, legt er seinen Arm um mich.

„Eifersüchtig machen zieht immer“, findet er nach wie vor und beißt mir andeutungsweise in den Hals.

„Ja, die Eifersucht steht ihm praktisch ins Gesicht geschrieben“, zische ich, weil Lila sich überhaupt nicht für uns interessiert, sondern lieber im flackernden Discolicht zu „Love me to the end“ von den Lakaien tanzt. Obwohl man das eigentlich kaum noch tanzen nennen kann. Der zieht eine Show ab... meine Güte! Lässt aufreizend sein Becken kreisen, fasst an sich rum, dass ihm die Kleidungsstücke nach wer weiß wo rutschen... als ob er sich grad für ein Animiermädchen hält. Ehrlich, da fehlen bloß noch Typen, die ihm sabbernd Geld in den Schlüpfer stecken. Aber bestimmt trägt der heute gar keinen. Lila ist bekanntlich alles zuzutrauen.

„Also ein geiles Stück ist der Kerl schon,“ bemerkt Fidel, „kann man nicht anders sagen.“

„Warum gehst du dann nicht hin zu ihm?“, frage ich pissig.

„Weil ich hier mit dir sitze. Und weil er mich eh nicht haben will.“

„Toll.“

„Darüber hinaus bist du viel, viel süßer, Schoko.“

„Schon gut. Du musst nicht gezwungen dafür sorgen, dass ich mich besser fühle.“

Fidels Finger massieren sanft meinen Nacken. „Du weißt genau, dass ich dich scharf finde.“

Sein Atem kitzelt mein Ohr und wenn es Lila nicht gäbe, würde ich ihn jetzt küssen.

„Jedenfalls kannst du keinen Spaß haben, wenn du dich von dem kleinen Kotzbrocken provozieren lässt. Der tut doch nur so, als wär ihm alles egal.“

Auch wenn es schwer fällt, ich drehe mich mit dem Rücken zur Tanzfläche. Doofe Anhimmelei hilft ja auch nicht weiter. Macht Lila nur noch arroganter. Den zwei Mädchen neben uns hängt schon der Geilheitsgeifer in den Mundwinkeln. Es ist nicht auszuhalten.

Eine Weile ist es mir möglich, mich durch Fidel ablenken zu lassen. Der lächelt mich an, streicht mir über den Rücken, tätschelt ab und zu kurz meinen Hintern und küsst sogar meinen Nacken.

„Aber wenn Lila mir wieder aufs Maul hauen will, sage ich ihm, dass das alles ein Spiel ist“, erklärt er.

Lila... wo ist’n der abgeblieben? Die Tanzfläche ist fast leer. Na ja, Industrial kommt nie so gut an. Lediglich die ganz Hartgesottenen können zu einer Aneinanderreihung von lauten Geräuschen tanzen. Das eine Sabber-Mädel hat auch schon die Flucht ergriffen. Die Freundin steht vorm DJ-Kabuff und beschwert sich hoffentlich über die schlechte Musik.

„Hast du Lila gesehen?“

„Tut mir leid,“ schüttelt Fidel den Kopf und grinst leicht, „ich war beschäftigt.“

Es macht mich verrückt, dass ich nicht weiß, wo er hin ist, deshalb nehme ich Fidels Hand von meinem Arsch und gehe aufs Klo. Da ist er schon mal nicht. Aufs Mädchenklo wird er wohl kaum gegangen sein. Das Sputnik hat aber weiter hinten noch einen Raum, wo man Billard spielen kann. Wenn ich ihn da nicht finde, ist er sicher nach Hause gegangen. Ich finde ihn dort. Er steht vorm Billardtisch und um seine Hüften schlängeln sich zwei netzbestrumpfte Weiberbeine. Jetzt weiß ich auch, wo die Sabber-Tussi abgeblieben ist.

Die hat ihre verschissenen Fittiche in Lilas Haaren und ihre Zunge in seinem Mund. So genau erkenne ich das zwar nicht, aber die Kopfbewegungen sind eindeutig: Die beiden knutschen!

Tja, da will man ja nicht stören. Für mich ist das Maß voll... also quasi mit der Aktion hier übergelaufen. Ich gehe zu Fidel zurück.

„Hast du ihn gefunden?“

„Scheißegal. Lass uns abhauen.“

„Wohin denn?“

„Zu dir. Ins Bett.“

„Willste dich jetzt doch rächen, oder was?“, fragt er irritiert.

„Nein, verdammt,“ schnaufe ich genervt, „ich will einfach nur ficken, okay?!“

„Bin dabei“, nickt er.

Als wir später auf seinem Bett sitzen, bin ich ziemlich nervös. Der Sex mit Lila ist ja meist eher spontan passiert. Hier wissen alle Beteiligten, was laufen soll, und das macht es eigenartig. Eigenartig und schwierig. Außerdem hatte ich doch noch nie mit einem anderen Sex. Was, wenn wir uns gar nicht... verstehen? Und wie zur Hölle soll man in Stimmung kommen, wenn man sich grad fühlt wie vor ’ner Wurzelbehandlung beim Zahnarzt?! Die Kerzen, die Fidel angezündet hat, tauchen sein Zimmer zwar in warmes, romantisches Licht, tragen allerdings nicht zu meiner Entspannung bei.

„Hast du’s dir anders überlegt?“

„Äh, nein“, antworte ich schnell. „Wieso?“

„Du machst ein Gesicht, als hättest du Zahnschmerzen“, lächelt er und streicht mir eine Ponysträhne aus der Stirn.

In meiner Phantasie ist die ganze Sache einfach. Da fallen wir gierig übereinander her und anschließend gehe ich nach Hause. In meiner Phantasie reden wir nicht. Da gibt’s auch keine bescheuerten Fragen, über die ich nachdenken muss, wie beispielsweise, ob er Kondome hat und ob ich mich selber ausziehen soll. Wieso hab ich eigentlich nie ein Kondom in der Tasche, wenn ich ausgehe? Ist ja total verantwortungslos. Fidel hat bestimmt welche. Jemand wie er ist doch immer auf alles vorbereitet.

„Hör mal, Schoko,“ beginnt er, „du solltest dir absolut sicher sein, okay? Ich werde mich nicht noch mal von dir so scharf machen lassen und dann zusehen, wie du verschwindest. Wenn wir jetzt anfangen, wird das auch bis zum Ende durchgezogen.“

„Wenn du mit dem Spruch erreichen wolltest, dass ich lockerer werde... es hat nicht funktioniert.“

„Wovor hast du denn Angst?“, will er wissen.

„Ich hab keine Angst. Ich bin nervös“, gestehe ich.

Fidel zieht mir das Shirt aus, setzt sich hinter mich und massiert meine Schultern, wobei er ab und zu meinen Hals küsst. Er hat natürlich keine Ahnung, dass mein Hals eine überaus empfindliche Stelle ist, das ist aber egal, denn ich bin innerhalb von drei Sekunden super in Stimmung, drehe mich zu ihm um und küsse ihn wie verrückt. Was danach geschieht, entspricht ungefähr meiner Phantasie. Bis auf eine Kleinigkeit... es ist nämlich so, dass ich ausnahmsweise den aktiven Part übernehme und das fühlt sich verdammt geil an. Fidel wollte zwar erst nicht, aber dagegen wehren konnte er sich dann auch nicht mehr. Und so, wie der abgegangen ist, scheint es ihm gefallen zu haben.

Nach einer kurzen Entspannungskuschelei stehe ich auf und klaube meine Klamotten zusammen.

„Ey... legst du mir auch Geld hin, bevor du gehst?“

„Hatte ich eigentlich nicht vor.“

„Was soll dann die Eile?“

„Weiß nicht,“ zucke ich die Schultern und schlüpfe in meine Jeans, „macht man das nicht so nach einem... One-Night-Stand?“

„Man vielleicht. Du nicht.“ Er klopft einladend auf die Matratze. „Komm wieder her, ich fühl mich sonst wie’n Stricher, der mal eben gefickt wurde, und das gefällt mir nicht.“

Au nee, das würde mir auch nicht gefallen. Ich lege mich also wieder neben ihn.

„Schon besser“, seufzt er und kuschelt sich an mich. „Außerdem müssen wir noch besprechen, wie es jetzt weitergehen soll.“

„Wieso? Was soll den weitergehen?“, frage ich unbehaglich.

„Keine Panik“, lächelt er, „ich verlieb mich nicht in dich oder so... obwohl ich mir das durchaus vorstellen könnte“, seine Finger berühren sanft meine Wange, „aber ich hab dir ja versprochen, dass es kein Drama hinterher gibt. Nein, ich meinte Lila. Darf ich es ihm bitte sagen? Ich möchte so gerne sein blödes Gesicht sehen.“

„Warum sollte es ihm überhaupt wer sagen? Es wird ihn eh nicht interessieren.“

„Na ja, wenn er es nicht erfährt... was ist das dann für eine Rache?“

Irgendwie finde ich die ganze Situation grad ziemlich abartig. Dass ich mit Fidel schlafe, um mich an Lila zu rächen... dass Fidel das weiß und es ihm nichts ausmacht... dass er quasi drauf besteht, es ihm zu sagen. Immerhin weiß ich jetzt, dass ich tatsächlich mit jemandem schlafen kann, den ich nicht liebe. Ist doch schon mal was, oder?! Trotzdem ist mir nach heulen. Und ich hasse Lila, der ständig in meinem Kopf ist, selbst wenn ich mit einem anderen Typen Sex habe. Ich glaube kaum, dass er an mich gedacht hat, als er mit Ella oder wem auch immer zugange war. Außerdem frage ich mich, ob Fidel vielleicht nur mit mir ins Bett gegangen ist, um Lila eins reinzuwürgen. Leider darf ich deswegen nicht einmal sauer sein, weil ich ja schließlich auch einen total absurden Grund hatte. Mir schwirrt der Schädel. Kann nicht einfach alles wie früher sein, als ich Jungs bloß aus der Ferne angehimmelt habe? Ehrlich, mir ist mein momentanes Treiben viel zu anstrengend.

„Wenn du lieber gehen möchtest, ist das okay, Schoko.“

„Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich eigentlich möchte“, entgegne ich müde.

Seine Lippen berühren mein Ohr. „Ich fand’s trotzdem schön“, wispert er.

„Das fand ich auch“, wispere ich zurück.


Fidel hat ein blaues Auge. Der Übeltäter ist Lila gewesen. Den genauen Ablauf kenne ich nicht, denn ich war nicht dabei, als die zwei sich letzten Samstag im Sputnik trafen. Ich wollte meine Ruhe haben und bin am Wochenende zu Hause geblieben. Jedenfalls weiß Lila Bescheid und Fidel hat ein Veilchen.

„Der kleine Kotzbrocken sah dermaßen verzweifelt aus, dass ich es einfach nicht über mich brachte, seinem Schlag auszuweichen“, erklärte Fidel am Telefon. „Er hat mir Leid getan. Es ist sicher kein berauschendes Gefühl, jeden Morgen als Lila aufzuwachen, und erkennen zu müssen, dass man seine große Liebe verloren hat, weil man sich ewig zu dusselig anstellt.“

Mir kommen die eher vor wie zwei kleine Blagen, die sich um ein Sandkastenförmchen streiten. Es geht nicht wirklich um mich, sondern nur darum, etwas haben zu wollen, von dem der andere meint, dass es ihm gehört. Oder so ähnlich. Diesen Scheiß brauche ich ungefähr genauso dringend wie einen Pickel am Arsch. Wenigstens hat die Aktion bewirkt, dass Lila mich in der Schule wieder bemerkt. Er starrt mich an, als würde er versuchen, spitze Dolche aus seinen Augen schießen zu lassen, die meinen Körper durchbohren. Ich hab ein bisschen Angst, dass er es eines Tages schafft, wenn er sich nur richtig konzentriert. Allerdings ist Konzentration bekanntlich nicht seine Stärke, weshalb ich wohl am Leben bleiben werde.

Leider bin ich nicht viel besser als er. Ich glotze ihn mindestens genauso finster an und spiele dazu noch demonstrativ mit dem Totenkopfring an meinem Finger, wann immer Lila zu mir rüberschaut. Spaß macht das nicht, aber irgendwie muss man sich ja über Wasser halten, damit man nicht völlig ausflippt, weil man vor Sehnsucht fast krepiert.

Am Donnerstag folge ich ihm in der Pause aufs Klo, wo er zum Rauchen hingeht, obwohl das natürlich total verboten ist.

„Was willst du denn hier?“, fragt er nicht besonders freundlich.

„Rauchen“, antworte ich und stecke mir eine Zigarette an.

„Seit wann?“

„Seit heute.“

Er wirft einen geringschätzigen Blick auf Fidels Ring. „Wenn du glaubst, es kümmert mich, was du mit der Schlampe treibst... das tut es nicht.“

„Warum hast du ihm dann ein blaues Auge verpasst?“

„Weil er ein Arschloch ist“, erklärt er lässig, schnipst seine Kippe weg und geht.

Der lässt mich einfach stehen, ich fasse es nicht! In der nächsten Doppelstunde Englisch klinke ich mich total aus und überlege mir, statt dem Unterricht zu folgen, lieber verschiedene schlimme Arten, Lila um die Ecke zu bringen. Ich könnte ihn zum Beispiel solange mit dem Kopf in die Kloschüssel tunken, bis er keine Luft mehr bekommt und erstickt oder ertrinkt. Dann hab ich plötzlich eine bessere Idee.

Als es endlich klingelt, latsche ich ihm wieder hinterher. Offensichtlich hat er damit gerechnet, denn er ist in eine der Klokabinen verschwunden. Ich muss nicht lange suchen, es ist lediglich eine Einzige besetzt. Lautstark trommele ich mit den Fäusten gegen die Tür. Dass mir dabei mehrere rauchende Schüler zuschauen, interessiert mich absolut nicht.

„Was?“, tönt aus dem Inneren Lilas Stimme.

„Mach auf, verdammt.“

„Verpiss dich.“

„Mach die scheiß Tür auf, sonst trete ich sie ein“, behaupte ich.

„Viel Spaß dabei“, bölkt er spöttisch.

Ich verpasse der Tür einen kräftigen Tritt. Das wirkt. Lila macht auf und ich dränge mich hinein, knalle die Tür zu und schließe ab. Ruppig schubse ich ihn gegen die Wand und bleibe dicht vor ihm stehen. Seine Kajalaugen funkeln böse... er sieht unglaublich sexy aus.

„Was soll das werden, wenn’s fertig ist?“

„Halt’s Maul, du Arsch“, zische ich, drücke eine Hand auf seinen Brustkorb, während meine andere Hand zwischen seine Beine gleitet.

„Du tickst doch nicht richtig“, schüttelt er den Kopf, zieht an seiner Zigarette und pustet mir den Rauch ins Gesicht.

Kann gut möglich sein, dass ich nicht richtig ticke, allerdings scheint er ziemlich darauf anzuspringen. Meine Hand bewegt sich zwischen seinen Beinen und für einen kurzen Moment schließt Lila die Augen. Oh Mann, ich möchte ihn so gerne küssen... es tut fast weh. Aber ihn küssen würde alles versauen. Das hier ist ja keine romantische Verführungsszene. Also bekämpfe ich den Drang, an diesen weichen, süßen perfekten Lippen zu nuckeln, öffne seine schwarze Jeans, gehe in die Knie und fange an, ihm einen zu blasen. Lila stöhnt lauf auf, lässt die Zigarette fallen und wuselt durch meine Haare. Es dauert nicht lange. Er kommt echt heftig.

„Schoko...“, japst er, zieht mich hoch und will mich küssen.

Ich blicke ihn jedoch eisig an, spucke sein Sperma ins Klobecken, wische mir mit dem Handrücken über den Mund, schließe die Tür auf, schlendere hinaus und bin sehr stolz auf mich. Hey... kann ich abgefuckt sein, oder kann ich abgefuckt sein?!

Weil bis zum Ende der Pause noch ein bisschen Zeit ist, kaufe ich mir am Kiosk eine Fruchtbuttermilch und mache ein wenig Smalltalk mit Fabi. Lila sehe ich erst in Mathe wieder. Er lässt gleich zweimal seinen Taschenrechner fallen und wirkt insgesamt recht... verwirrt. Ich dagegen bin die Coolness in Person und grinse die ganze Zeit. Aber insgeheim muss ich immer noch gegen den Zwang ankämpfen, ihn zu küssen. Und insgeheim tut es auch immer noch höllisch weh. Für diesen Schmerz gibt es einfach keine Linderung. Er ist ständig da. Manchmal glimmert er bloß im Hintergrund, aber dann lodert er plötzlich auf und ich hab das Gefühl, dass er mich total verbrennt. Das Gefühle-ausschalten mag bei Fidel funktioniert haben, bei Lila ist das offenbar nicht so leicht.

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