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Love Me Tender

Teil 2

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Vorwort

Was ist der Unterschied zwischen Miro Klose und dem King? Sehr richtig... der King darf weiterhin in dieser Geschichte eine Rolle spielen. Allerdings werden Schoko und Lila sicher auch mal kurz auftauchen ;) Und wie immer gilt: wenn ihr mehr wollt, lasst es mich wissen!

 

„Alles Liebe zum Geburtstag“, strahlt Mom und stellt eine beeindruckend geschmückte Torte vor meine Nase. Logischerweise ist es eine Schoko-Sahne-Torte. Nebenan steht die bereits angezündete Geburtstagskerze. Paps strubbelt durch meine Haare.

„Alles Gute“, lächelt er.

Verschiedene Verwandte haben sich eingefunden und gratulieren mir um die Wette. Danach geht's dann weiter mit Kerze auspusten, Torte essen, Geschenke auspacken und mich freuen. Das bekomme ich ganz gut hin, weil die Geschenke wirklich toll sind. Ehrlich, Alles, was ich mir gewünscht hab... nur eine Kleinigkeit fehlt. Besser gesagt: Jemand. Lila ist nicht da. Der ist aber immer zum Geburtstagskaffeetrinken da, weil das alleine nur schwer auszuhalten ist. Familienfeiern sind halt zum Kotzen. Was hab ich schon mit den ganzen Tanten und Onkeln zu schaffen?! Der einzige Lichtblick ist meine Cousine, die sich allerdings unverzüglich mit ihrer Frage „Wo ist denn Lila?“ von meiner Sympathieskala beamt.

„Der kommt später“, murmele ich mit roten Wangen.

„Wer ist Lila?“, fragt Tante Sylvia und lässt sich Kaffee nachschenken.

„Ein Freund von Sebastian“, erklärt Mom.

Nachdenklich steckt sie sich ihr Gäbelchen in den Mund. „Ach... ist das der, der immer in Schwarz rumläuft? Der Niedliche mit den gefärbten Haaren?“

„Sag ihm bloß nicht, dass er niedlich ist“, faselt meine Cousine „Lila ist eingebildet genug.“

Hallo? Können wir bitte über was anderes reden!?!

„Nein,“ entgegnet Tante Sylvia, „das ist ein ganz höflicher Junge. Und hübsch. Nur etwas fröhlicher anziehen sollte er sich mal.“

Ich geh kaputt! Tante Sylvia steht auf Lila. Na ja, alle meine Verwandten tun das, weil er eben immer den netten, freundlichen Jungen spielt. Was würden die wohl sagen, wenn sie wüssten, dass Lila und ich gestern Sex hatten?! Shit, daran hätte ich nicht denken sollen, weil ich jetzt nicht mehr aufhören kann, mir Lila halbnackt vorzustellen. Dann klingelts auch noch an der Tür und Sekunden später kommt er tatsächlich reingelatscht... zum Glück vollständig angezogen.

„Hey, Schoko... was geht?“, grinst er.

Gefühlte dreihundert Jahre später sitzen wir allein in meinem Zimmer. Der Kuchen ist aufgegessen, die Verwandten sind weg. Ich hab Herzklopfen und fühle mich leicht schwitzig.

„Deine Cousine hat mich beim Kaffeetrinken andauernd getreten. Ich glaube nicht, dass das versehentlich geschah. Hat die was gegen mich?“, fragt Lila.

„Nee. Weiß ich nicht.“

Er wandert im Zimmer umher und beguckt sich meine Wände, obwohl die nicht sehr interessant sind und er die ja auch bereits tausendmal gesehen hat. Schließlich setzt er sich neben mich.

Allerdings steht er nach zwei Sekunden schon wieder auf und lehnt sich, mit seinen Händen in den Hosentaschen, gegen das Fenster.

„Hast dich ja ganz schön schnell aus dem Staub gemacht,“ erkläre ich, „hättest mir ruhig beim Aufräumen helfen können.“

„Ja“, murmelt er.

Verflucht, ich hab gewusst, dass es so krampfig zwischen uns laufen würde. Sex mit dem besten Freund haben und danach locker zur Tagesordnung übergehen funktioniert halt nicht.

„Wir... wir sollten vielleicht reden über...“

„Hat's dir gefallen?“, unterbricht er mich.

„Ja, aber darum geht’s nicht.“

„Sondern?“

„Du könntest ausnahmsweise mal aufhören, dich blöd zu stellen, Lila.“

„Meinetwegen. Also wir hatten Sex. Was weiter? Mach um Himmelswillen aus ein bisschen Rumgeficke nicht so 'ne große Sache, über die man stundenlang diskutieren muss.“

„Entschuldigung, für mich ist das Erste Mal eine große Sache... gewesen.“

„Dann freu dich doch, dass du’s endlich hinter dir hast.“

Was soll man dazu noch sagen?! Für ihn ist die Angelegenheit damit anscheinend erledigt.

Ich stehe mit meinen Gefühlen mal wieder vollkommen alleine da. Zum Kotzen. Immer macht er auf cool, obwohl es offensichtlich ist, dass er sich auch unwohl fühlt. Wäre Lila ein normaler Mensch, könnte man die Sache besprechen und irgendeine Lösung finden. Stattdessen schweigen wir. Das Klingeln meines Handys unterbricht die Stille. Fabi sagt das Display. Mir bleibt heute wohl gar nichts erspart.

„Ja?“

„Hey, ich bin’s... Fabian.“

„Ich weiß.“

„Ähem... also ich wollte... alles Liebe zum Geburtstag, Schoko.“

„Danke, das ist sehr nett von dir, dass du angerufen hast. Bis...“

„Können wir uns treffen?“, fragt er hastig.

Wie bitte?! „Äh...?“

„Ich meine... ich muss dir noch ein paar Sachen erklären. Wirklich, Schoko... das ist alles so doof gelaufen und... ich würde echt gerne mit dir reden, bitte.“

„Meinetwegen“, höre ich mich antworten „morgen... irgendwann nachmittags?“

„Okay, kommst du zu mir?“

„Sicher.“

„Bis, morgen Schoko und... feier noch schön.“

BUAHAHAHAHA!!!

Während ich irritiert mein Handy weglege, starrt Lila mich ebenso irritiert an.

„Hast du dich grad mit dem Fremdknutscher verabredet?“

„Ja, und?“

„Wieso?“

„Weil er mich gefragt hat. Er will mit mir reden.“

Er lässt sich aufs Bett fallen. „Quatsch, der will dich ficken.“

„Na kar. Und seinen Freund betrügen, den er so doll liebt.“ Hat der sie noch alle?!

„Du bist schrecklich naiv“, seufzt er. „Pass nur auf, dass er aus den richtigen Gründen mit dir schläft.“

„Wir werden nicht zusammen schlafen. Bist du besoffen oder was?“, entgegne ich leicht aggressiv.

„Stocknüchtern“, antwortet er knapp.

„Fein, dann hör auf, so einen Müll zu faseln.“

Lila grummelt vor sich hin und beginnt, meine Geburtstagsschokolade aufzuessen. Ich denke derweil über Fabian nach. Was hat er wohl tatsächlich mit mir zu besprechen? Dass er einen Freund hat, weiß ich schon. Eigentlich ist doch zwischen uns alles geklärt. Dass er mit mir schlafen will, glaube ich jedenfalls nicht. Warum sollte er?! Lila ist doch bescheuert.

Am nächsten Tag habe ich fiese Magen-Darm-Beschwerden, obwohl es dafür keinen logischen Grund gibt. Meine Eingeweide spielen schon seit Stunden dermaßen verrückt, dass ich kurz davor war, Fabian abzusagen. Nicht auszudenken, wenn ich bei ihm erstmal stundenlang auf dem Klo hocken müsste, um mich auszuscheißen. Na ja, jetzt stehe ich vor seiner Tür und hab blöderweise eben geklingelt. Eine Flucht ist nicht mehr möglich, denn er öffnet.

„Hey... Schoko“, murmelt er.

„Hallo.“

„Äh...,“ er kratzt sich kurz den Schädel, „kommst du rein?“

„Okay.“

Wir gehen in sein Zimmer, ich setze mich aufs Bett und er sich gegenüber auf den Boden. Wenn er nicht so hübsch aussähe, wäre das alles hier bestimmt einfacher.

„Magst du was trinken, oder so?“

„Nee, danke.“

Fabi steht auf und setzt sich neben mich. Ich krieg Schweißausbrüche. Seine Hand liegt neben meiner. Unsere Fingerspitzen berühren sich... fast. Um mich davon abzulenken, glotze ich im Zimmer umher, obwohl es nicht so wahnsinnig viel zu sehen gibt. Schreibtisch, Computer, Schrank, Regale mit Büchern und CDs, ein paar kleinere Schlagzeugutensilien stehen in der Ecke. An den Wänden hängen grünweiße Schals und Wimpel, oder wie die Dinger heißen. Also steht Fabi auf Werder Bremen. Miro, mein sexy Traum-Dusch-Kumpan, spielt da. Das ist sicher ein gutes Zeichen. Wenn ich mich für Fußball interessieren würde, wäre ich auf jeden Fall Bremen-Fan!

„Ich hab mich echt total dämlich benommen“, sagt er leise.

„Findest du?“

„Ja, schon... oder?“

Ich wünschte, er würde mir endlich sagen, warum ich hier bin, sonst kriege ich vor lauter Nervosität einen Herzinfarkt.

„Du hast einen Freund und ich hab mich offensichtlich zum Deppen gemacht. Was ist daran für dich dämlich?“

„Exfreund. Und du hast dich überhaupt nicht zum Deppen gemacht.“

Wie bitte??

„Es lief eigentlich schon länger nicht mehr so toll“, erklärt er unaufgefordert. „Ich hab den Verdacht, dass er mich betrogen hat und... na ja, die Tatsache, dass ich dich sehr gerne küssen wollte, spricht auch nicht grad für eine großartige Beziehung. Jedenfalls hab ich mit Markus Schluss gemacht.“

Ich begreife irgendwie nicht so ganz. „Und?“

Er zuckt die Schultern. „Ich wollte nur, dass du's weißt.“

„Tja,“ sage ich und klatsche mir auf die Schenkel, „tut mir Leid, dass dein Exfreund so ein Penner ist. Ich finde wirklich nicht, dass du es verdienst, betrogen zu werden. Ich meine, das verdient ja niemand und... du eben auch nicht“, fasele ich bescheuert vor mich hin. Wo bitte ist mein Hirn?!

„Hast du eigentlich noch Lust, Musik zu machen?“

Fabis Hirn ist anscheinend auch nicht ganz da, wenn ihm sonst nichts einfällt. „Also... jetzt grad vielleicht nicht, aber ansonsten schon, glaub ich.“

„Cool“, lächelt er.

Das hier ist ja schlimmer als Zähneziehen. Ich meine, er hat keinen Freund mehr und wollte mich gerne küssen. Er muss sich doch was dabei gedacht haben, als er mir das eben mitteilte, oder?! Anscheinend hab ich gerade einen ziemlichen Höhenflug, weil ich endlich Sex hatte, denn ich rücke näher an ihn heran und küsse ihn einfach. Normalerweise wäre solch eine Aktion für mich eher unvorstellbar, aber wie schon gesagt, hatte ich endlich Sex und halte mich für mit allen Wassern gewaschen.

„Wow“, lächelt er und wirkt etwas erschrocken, „du bist... wow... ich... äh... hätte nicht gedacht, dass du so...“

„Was?“

„Naja, ich hab dich eigentlich für schüchtern gehalten.“

„Verstehe“, nicke ich und küsse ihn erneut.

Wir küssen uns eine ganze Weile. Haben uns dabei irgendwie in eine liegende, schmusige Position begeben und plötzlich flüstert Fabi mir ins Ohr, dass er mich gern als Freund hätte.

Ich schwebe auf der weichsten, bauschigsten Wolke, die man sich vorstellen kann. Fabian und ich... wow!!!!

„Ist das so leicht für dich?“

„Was?“

Ich setze mich auf. „Na ja, du hast grad erst mit deinem... Markus... Schluss gemacht. Ist das so leicht, jetzt spontan auf Schoko umzuschalten?“

„Ich bin doch schon seit Wochen auf Schoko eingestellt“, lächelt er verlegen. „Das hat mich total fertig gemacht, weil ich ein schlechtes Gewissen wegen Markus hatte. Und weil ich nicht wusste, ob du überhaupt... du weißt schon. Und immer, wenn ich fast soweit war, dich um ein Date zu bitten, ist Lila aufgetaucht. Dich mal allein zu erwischen, ist fast unmöglich.“

Au wei, ist das echt so krass? Ist mir nie aufgefallen. Es war immer ganz normal, ständig mit Lila rumzuhängen. Meine Güte, wie muss das denn auf Außenstehende wirken?! Und jetzt hab ich auch noch mit ihm geschlafen und unsere Freundschaft ist vermutlich ruiniert, weil ich das nicht so einfach vergessen und er nicht vernünftig darüber reden kann. Und anstatt mich mit meinem neuen Freund wohl zu fühlen, denke ich an Lila. Vielen Dank, lieber Gott, ich muss dir ja ein wirklich mächtiger Dorn im Auge sein!


Es ist erstaunlich, wie nebensächlich alles wird, wenn man einen Freund hat. Essen trinken, schlafen... das sind Dinge, die mich bloß aufhalten. Mich davon abhalten, mit Fabi zu kuscheln. Und mit Fabi zu kuscheln ist soooooo toll. Seine Haut ist ganz weich und er riecht so schnuffig und wenn wir uns aneinander schmiegen, kitzeln seine Haare mein Gesicht. Eine Sache ist mir trotz super Verliebtheit aufgefallen: Lila hat seit einer Woche nicht mehr bei mir gepennt. Scheint so, als würde es mit seinem Stiefvater ausnahmsweise mal gut laufen. Mit Fabian und mir läuft es jedenfalls sehr gut, obwohl sein Ex ein paar Mal angerufen hat und Fabi danach ziemlich... fertig war. Kann man verstehen, immerhin waren die beiden über ein Jahr zusammen und eine Trennung ist eben nie leicht. Zugegeben, ich war vielleicht kurz eifersüchtig, aber Fabi hat mir sehr deutlich gesagt, dass er Markus nicht zurück haben will, also ist es mir relativ gleich, ob der Kerl hinter ihm her telefoniert oder nicht.

„Hey, Schoko... was geht?!“

„Was verschafft mir denn die Ehre?“, frage ich angepisst.

„Hä?“, macht Lila und wirft sich auf mein Bett.

„Eine Woche hab ich von dir nix gehört und jetzt kommst du hier rein, als wär alles in bester Ordnung.“

„Hätte nicht gedacht, dass es dir auffallen würde... wo du doch neuerdings einen Freund hast. Wieso bist'n übrigens nicht bei deinem Prinzen?“

„Weil er Fußballtraining hat. Und nur weil ich mit Fabi zusammen bin, heißt das nicht, dass ich keine Zeit mehr für dich habe.“

„Der Typ geht zum Fußball, obwohl er mit dir im Bett liegen könnte?“, schüttelt Lila den Kopf. „Der ist ja noch bescheuerter als erwartet.“

„Wie du weißt, gibt es Menschen, die nicht bloß Sex im Kopf haben. Außerdem muss man nicht ständig aufeinander hocken... auch wenn man verliebt ist.“

Schulterzuckend steckt er sich ein Stück Schokolade in den Mund. „Tja, wenn du das sagst. Hast sicher vom Verliebtsein mehr Ahnung als ich.“

„Sehr richtig.“

„Aber was ich so bei anderen davon mitbekommen habe... also irgendwie hängt man da schon wie Kletten aufeinander. Das ist ja das Ekelhafte daran.“

Mann, hat der Kleber geschnüffelt, oder was? „Ich finde, wie Fabi und ich unsere Beziehung führen, solltest du uns überlassen.“

„Klar. Kein Grund, sich gleich aufzuregen.“

„Ich reg mich gar nicht auf.“

„Nee?“, grinst er. „Und wieso kriegst du dann diesen brummeligen Gesichtsausdruck?“

„Halt die Klappe, Lila.“

„Hat er dich schon flachgelegt?“

„Nein“, kreische ich schrill, worauf Lila sich natürlich kaputtlacht, das alte Mistvieh. „Wir sind doch grad mal ein paar Tage zusammen“, erkläre ich etwas ruhiger.

„Na und?“

„Wie schon gesagt, Sex ist nicht alles.“

„Aber neulich im Gartenhaus bist du ziemlich drauf abgefahren.“

Interessant, dass er die Geschichte erwähnt... wo er doch eigentlich klar gemacht hat, dass er nicht darüber reden will, weil es für ihn keine große Sache war. Wahrscheinlich möchte er bloß hören, wie unglaublich toll er gewesen ist. Lila, der Superstecher. Aber darauf kann er lange warten. Der ist eh schon eingebildet genug... da hat meine Cousine völlig Recht.

„Okay, ich sag dir jetzt mal, wie das funktioniert. Wenn man verliebt ist, ja, da sind andere Dinge viel wichtiger als hirnloses Rumgeficke.“

„Aha?“

„Ja, wir... kuscheln und... und halten Händchen. Wir gehen spazieren, reden, hören Musik und...“

Lila macht ein lautes Schnarchgeräusch und zuckt zusammen. „Entschuldige, das war so langweilig, ich wäre beinahe eingeschlafen.“

„Arschloch.“

„Ein Witz, Schoko, nichts weiter.“

„Wenn du dich über mich lustig machen willst, geh nach Hause.“

„Keine gute Idee“, sagt er und wirkt plötzlich bedröppelt. „Der Stiefvater ist gestern von seiner Geschäftsreise zurückgekommen und Mom ist darüber so glücklich... nicht auszuhalten.“

Mir bricht es ein bisschen das Herz, aber andererseits...

„Vielleicht solltest du endlich mal versuchen, dich für deine Mutter zu freuen“, schlage ich vor.

„Wie bitte?“, fragt er entgeistert.

„Ich mein ja nur... dein Vater ist doch schon über zehn Jahre...“

„Das ist noch lange kein Grund, sich von diesem Wichser durchbumsen zu lassen“, faucht er.

Ich glaube, es ist besser, das Thema fallen zu lassen. Bin eh schon viel zu weit gegangen. Natürlich, Lila weiß, dass sein Vater tot ist, allerdings darf man das nicht laut sagen, wenn er dabei ist. Überhaupt darf man nicht mit ihm über seinen Vater sprechen. Es sei denn, er erzählt die Graceland-Geschichte.

„Möchtest... ähem... soll ich dir einen Tee kochen?“

„Bin ich krank?“

Tja, jetzt weiß ich auch nicht mehr weiter. Wie so oft wünsche ich mir, Lila wäre ein normaler Mensch, der Gefühle zulassen kann. Wenn’s mir schlecht geht, heule ich mich kaputt, dann ist wenigstens der Druck ein bisschen weg. Lila hält es meist noch nicht einmal aus, in den Arm genommen und getröstet zu werden.

„Also mit dir und Fabian läuft’s, oder?“

Typisch Lila!

„Wir sind irre verknallt“, bestätige ich.

„Das ist gut. Ich bin dann mal weg.“

„Warte, wo willst’n hin?“

„Bin mit Conny verabredet“, grinst er und zwinkert mir kurz zu.

Mh, vielleicht sollte ich meinen Freund anrufen und mich mit ihm verabreden. Ich vermisse ihn nämlich wahnsinnig.

„Hey, du hast mir gefehlt“, lächelt Fabi, umarmt mich und gibt mir einen kurzen Kuss auf den Mund.

„Du mir auch“, strahle ich zurück. „Wie war dein Training?“

„Hart, aber gut“, grinst er. „Magst du was trinken?“

„Nee. Ich mag mit dir kuscheln.“

„Oh... okay.“

Wir legen uns auf sein Bett und... naja, kuscheln. Normalerweise finde ich das total schön, aber seit ich mit Lila gesprochen habe... also irgendwie frage ich mich jetzt doch ein bisschen, warum Fabian überhaupt keine Anstalten macht, mit mir zu schlafen. Oder wenigstens rumzufummeln, mich auszuziehen... keine Ahnung. Vielleicht ist er noch schüchterner als ich und traut sich nicht. Vielleicht denkt er, ich hätte noch nie und hat Angst, mich zu bedrängen. Er wird ja wohl schon Sex gehabt haben mit seinem Ex-Markus. Na toll, Lila redet mir Blödsinn ein und ich denke ernsthaft darüber nach. Bin ich nicht ganz gescheit? Mir macht es nämlich gar nichts aus, dass Fabian nicht sofort über mich herfällt. Ist doch viel besser, wenn man sich Zeit lässt. Schließlich sind wir ja tatsächlich noch nicht besonders lange zusammen.

„Ey, du bist ja so still“, bemerkt Fabi plötzlich.

„Hab grad nachgedacht.“

„Worüber?“

„Lila hat mal wieder Ärger mit seinem Stiefvater.“

„Hat er den nicht andauernd?“

„Allerdings“, seufze ich. „Und man kann irgendwie nicht mit ihm reden.“

„Der Typ ist emotional gestört.“

„Das ist dir aufgefallen?“

„Naja, um rauszukriegen, dass er ein Problem damit hat, seine Gefühle zu zeigen, muss man kein Psychologe sein, oder? Ich meine, guck dir doch nur mal an, wie zwanghaft er durch die Gegend vögelt. Markus war am Anfang ganz genauso. Bloß nicht zugeben, dass er etwas empfindet. Könnte ja total nach hinten losgehen.“

„Wie hast’n das ausgehalten?“

„Mit viel Geduld“, lächelt er.

„Aber es ist besser geworden?“

„Ja, irgendwann hat er sich getraut, mich zu lieben.“

„Warum ist er dann fremdgegangen?“

„Was weiß ich... Rückfall in alte Verhaltensmuster oder so’n Scheiß. Vielleicht bin ich ihm auch zu langweilig geworden.“

„Ich finde dich kein bisschen langweilig“, entgegne ich und kuschele mich in seine Arme.

„Sag mal, was machen wir eigentlich, wenn die Schule wieder anfängt?“

„Wieso?“

„Naja, die anderen werden doch mitkriegen, dass du und ich...“

„Hast du damit ein Problem?“

„Ich bin mir nicht sicher“, antworte ich vorsichtig.

„Dann schlage ich vor, wir warten erstmal ab, und wenn einer fragt... ich meine, was willst du tun? Eine Ansage vor versammelter Mannschaft?“

„Auf keinen Fall.“

„Genau. Es geht schließlich keinen was an, oder? Ich würd ja auch nicht jedem Hanz und Kranz erzählen, dass ich eine Freundin habe.“

„Wissen denn die Jungs aus deinem Fußballverein Bescheid?“

„Markus hat mich ein paar Mal abgeholt, also werden es einige wohl mitbekommen haben. Darauf angesprochen wurde ich bis jetzt nicht, also wird's nicht wichtig sein.“

Meine Hand schiebt sich in seine. „Ich muss dir was beichten...“

„Du bist schwul?“, unterbricht er mich kichernd.

„Das auch, aber... also... ich stehe eigentlich total nicht auf Fußball.“

„Das wirft natürlich einen Schatten auf unsere Beziehung“, nickt er ernst.

„Obwohl die WM dann doch ziemlich spannend war und...“ Ups, jetzt hätte ich beinahe verraten, dass ich von Miro Klose geträumt habe.

„Und was?“

„Ich hab mich nur dafür interessiert, um irgendwie an dich ranzukommen.“

„Wow, ich fühl mich geschmeichelt. Wäre allerdings nicht nötig gewesen. Du bist mir nämlich auch schon vorher aufgefallen. Was denkst du, wieso ich dich ständig wegen Musik machen gefragt hab?“

Mann, jetzt bin ich aber von den Socken!


„Hey, Schoko...“

„Was geht?!“

„Sehr witzig“, grummelt Lila. „Hat er dich endlich gebumst, oder warum haste so gute Laune?“

„Wieso ist es für dich so wichtig, dass ich gebumst werde?“

„Interessiert mich einen Scheiß“, behauptet er und zieht geräuschvoll die Nase hoch. „Kann ich den Schlüssel fürs Gartenhaus haben?“

„Schlaf hier oben. Im Gartenhaus ist es viel zu kalt.“

Lila glotzt mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Schoko... es ist Sommer.“

„Aber nachts nicht. Und ich hab keine Lust, mir dein Gejammer anzuhören, wenn du dich erkältest. Also entweder hier oder nirgendwo.“

„Dann halt nirgendwo“, zischt er.

„Würdest du mir bitte sagen, was dein verdammtes Problem ist?“

„Du hast einen Freund, da schläft man nicht mehr mit einem anderen Typen in einem Bett. Denkst du, ich hab Bock drauf, dass Fabian eifersüchtig wird und ihr euch meinetwegen stresst?“

Ich hole ein zweites Kissen aus dem Schrank und werfe es auf mein Bett. „Das ist das Blödeste, was ich je gehört habe. Außerdem weiß Fabi, dass du manchmal bei mir schläfst. Und warum sollte er wohl eifersüchtig sein? Du stehst auf Mädchen.“

„Du hast ihm offensichtlich nichts von unserer gemeinsamen Nacht erzählt“, stellt er fest.

Jetzt fängt er schon wieder damit an. Ich halt's im Kopf nicht aus! „Möchtest du gerne darüber reden?“

„Ich hab dir einen Gefallen getan, weiter nichts.“

„Dann ist ja alles in Ordnung“, sage ich angepisst.

Momentan treibt Lila mich echt in den Wahnsinn. Er macht mich dermaßen wütend, ich könnte ihm stündlich aufs Maul hauen. Weiß auch nicht, woran das liegt, denn eigentlich ist er nicht viel anders als sonst. Trotzdem, wenn wir länger als fünf Minuten im selben Raum sind, zicken wir uns an. Wegen Kleinigkeiten. Es reicht schon, wenn er einfach meine Schokolade bis auf ein Stück aufisst. Ich finde das asozial. Erstens könnte er fragen, ob er sich was nehmen darf, und wenn er schon so verfressen ist, braucht er das letzte Stück auch nicht übrig zu lassen. Und seine ständige Fragerei nach Fabi und Sex geht mir ebenfalls mehr als auf den Sender.

„Ich hab Conny übrigens gesagt, dass du ’ne Schwuppe bist.“

Großartig. Ich glaub, ich hör nicht richtig.

„Bitte, tu dir keinen Zwang an... setz es doch in die Zeitung.“

„Ey, die Kleine war fix und fertig, weil sie weder bei dir, noch bei Fabian landen konnte. Da musste ich ihr doch den Grund sagen.“

Fast bekloppt vor Wut lasse ich mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen und überlege, ob ich Lila tatsächlich gleich auf die Fresse haue und ob das was bringen würde.

„Kriegst du grad einen Wutanfall?“

ARGH!!!!!!!!!

„Nein“, antworte ich gedehnt.

„Deine Lippen werden aber ganz schmal.“

„Halt die Klappe, Lila.“

„Ehrlich, wenn ich gewusst hätte, dass es ein Geheimnis ist...“

„Ehrlich, Lila,“ unterbreche ich ihn, „es reicht jetzt, okay?“

„Ich meine, du solltest zu deiner Sexualität...“

Mein warnender Blick stoppt ihn. Geil, oder? Eine Viertelstunde mit Lila und meine gute Laune ist total im Arsch!

„Lust auf den King?“, fragt er nach einer Weile.

„Hä?“

Er kramt eine DVD aus seiner Tasche und schwenkt sie durch die Luft. Mir ist zwar eindeutig nicht nach einem singenden Kerl im juwelenbesetzten, weißen Siebzigerjahre-Anzug, aber andererseits sind wir dann wenigstens beschäftigt. Ein fröhliches Aloha from Hawaii!!

Lila spult erwartungsgemäß bei ungefähr jedem zweiten Lied einige Sekunden zurück, um mich auf irgendeine supertolle Bewegung, einen Hüftschwung, einen Blick oder weiß der Fuchs was aufmerksam zu machen. Es ist die Hölle. Nur ein Lied überspringt er. Es gibt einen einzigen Song von Elvis, den er sich niemals anhört: Fever! Mit dem Lied hat Lilas Papa Lilas Mama einen Heiratsantrag gemacht und ihm später dann immer vorgesungen.

„Pass auf, gleich nimmt er seinen Gürtel ab und wirft ihn in die Menge“, faselt er ganz aufgeregt.

„Ich weiß, dass er das tut, weil er das immer tut. Wir sehen die DVD nicht zum ersten Mal“, murmele ich. Der ist echt schlimmer als ein Mädchen, das für Tokio Hotel schwärmt.

Lila spult zurück... ich brech ins Essen! „Geil“, kiekst er verzückt und strahlt von einem Ohr zum anderen. „Ich liebe den King.“

Es ist verflucht schwer, von Lila genervt zu sein, wenn er sich so süß bescheuert benimmt. Und mir fällt auf, dass er sich nicht nur süß benimmt, sondern auch süß aussieht. Seine Ponysträhnen, die bis zur Nasenspitze gehen, und die er immer aus dem Gesicht streicht, seine großen Augen, die (wegen des Kings!) glitzern, der hübsche Schmollmund. Au Backe! Ich finde Lila ja immer zum neidisch werden gutaussehend, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn vorher schon mal SÜSS fand. Nicht einmal in der Nacht im Gartenhaus... da war ich viel zu verwirrt und aufgeregt und so. Scheiße, Lila ist zum Anbeißen süß!! Okay, Schoko, krieg dich wieder ein! Du bist offensichtlich geistig nicht ganz auf der Höhe. Lila ist nicht süß. Lila ist dein bester Freund, den du seit tausend Jahren kennst. Der dich als Geburtstagsgeschenk flachgelegt hat und jetzt nichts mehr davon wissen will.

„Lass uns schlafen, ich bin müde“, reißt Lila mich aus meinen Gedanken und schaltet den Fernseher aus.

Mann, hat der schöne Hände.

Als wir unter der Decke liegen, bin ich nervlich so gut wie am Ende. Mein Herz... bollert. Dafür gibt es keine logische Erklärung. Dafür, dass seine Füße gegen meine stupsen auch nicht. Eigentlich stupsen sie gar nicht, sie reiben.

„Was... äh... was tust du da?“

„Deine Eisfüße wärmen“, erklärt er, als sei es das Normalste auf der Welt. „Wie kann man im Hochsommer dermaßen kalte Füße haben? Ist ja abartig.“

„Du, ich glaub, die sind jetzt warm genug“, sage ich irgendwann.

„Schlaf gut“, nuschelt er.

Wie soll ich schlafen, wenn ich durcheinander bin, weil Lila plötzlich meint, süß aussehen zu müssen? Auch wenn es dunkel ist, ich weiß, dass er es tut. Unbehaglich setze ich mich auf und raufe mir die Haare.

„Was ist denn?“, brummelt er, rappelt sich ebenfalls hoch und schaut mich an.

„Keine Ahnung.“

„Ist dir schlecht, oder was?“

„Nein.“

Seine Lippen sind verführerisch nah. Seine Lippen... mhhhhh... Lila kann unwahrscheinlich gut küssen. Oh Mann, ich will ihn küssen. Jetzt. Völlig entsetzt halte ich mir Sekunden später die Hand vor den Mund, als ich merke, dass ich es wirklich getan habe.

„Oh mein Gott... entschuldige, ich... es tut mir Leid“, stottere ich.

„Du blöder Penner“, schnauft er, nimmt meine Hand von meinem Mund und... küsst mich.

Damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf, denn es bleibt nicht nur beim Küssen. Lila will mich genauso wie ich ihn, was mich gleichermaßen überrascht und völlig um den Verstand bringt. Darüber, dass ich schon wieder Sex mit meinem besten Freund habe, obwohl heute definitiv nicht mein Geburtstag ist, und ich außerdem noch Fabian betrüge, denke ich logischerweise nicht nach. Ich denke überhaupt nicht. Ich genieße.

Am berühmt-berüchtigten „Morgen danach“ hat Lila sich aus dem Staub gemacht. Wir sind gestern zusammengekuschelt eingeschlafen und jetzt ist er weg. Natürlich, was sonst?! Ich wäre ja vielleicht auf die absurde Idee gekommen, mit ihm zu reden. Ich frage mich, ob es einfacher ist, Lila zu sein? Wahrscheinlich, oder?! Denn während ich mir tausend Gedanken mache und total wirr im Schädel bin, geht es ihm sicherlich prima. Blöder Arsch. Und wie um alles in der Welt soll ich Fabian beibringen, dass ich ihn bereits nach drei Sekunden betrogen habe. Am besten, ich sag’s ihm nicht. Würde ihn bloß verletzen und es ist ja nicht so, dass ich in Lila verknallt bin oder sowas. Gut, ich fand ihn gestern süß, aber da war ich nicht zurechnungsfähig, weil... keine Ahnung. Eigentlich ist Fabian selber Schuld. Wenn er mit mir schlafen würde, müsste ich mir den Sex nicht woanders... au weia, diese Erklärung ist voll fürs Klo. Ernsthaft. Es ist meine Schuld. Ich hab gewusst, was ich tat und ich wollte, dass es geschieht. Schlimmer noch... ich hab angefangen! Die Frage ist doch: warum stehe ich auf Lila, obwohl ich mit Fabi zusammen bin? Oder umgekehrt. Aber ich stehe überhaupt nicht auf Lila. Stand ich nie. Also ist die Frage: Wieso steht Lila plötzlich auch auf Jungs und sagt mir keinen Ton? Ich denke nicht, dass er auf einmal schwul ist, allerdings gefällt ihm Sex mit Typen, daran besteht nun wirklich kein Zweifel mehr. Dass er das gerade vor mir geheim gehalten hat, wer weiß wie lange schon, trifft mich echt. Übrigens bekomme ich grad eine SMS von meinem Freund, die besagt, dass er heute leider keine Zeit für mich hat. Auch schon egal.


Das letzte Ferienwochenende verbringe ich natürlich mit Fabian. Schließlich ist er mein Freund und ich liebe ihn. Was Lila treibt, interessiert mich nicht. Der ist nach unserer letzten Nacht kurz aufgetaucht, um Blödsinn zu faseln und das war’s dann mal wieder für ihn. So langsam finde ich auch keine Worte mehr. Und wenn doch, sind es keine besonders netten.

Also lasse ich mich von Fabi bekuscheln und hoffe, irgendwie den Kopf frei zu bekommen.

Es funktioniert... einigermaßen. Fabians Eltern sind nicht da, deshalb haben wir die Wohnung für uns, bestellen Pizza und hängen eben einfach so rum. Erzählen uns lustige und nicht lustige Sachen aus unserem Leben, denn eigentlich kennen wir uns ja kaum. Das fällt mir komischerweise erst jetzt auf. Na ja, hatte schließlich genug mit anderen Dingen zu tun. Immerhin weiß ich jetzt, dass er einen älteren Bruder hat, der Tobi heißt und seit einem Jahr in San Francisco lebt, er total auf „King Of Queens“ steht, mit zwölf die Mandeln rausbekam und ungefähr zur gleichen Zeit merkte, dass er sich für Jungs interessiert, denn er war in seinen Zimmerkumpan verknallt. Sein Erstes Mal hatte er mit Markus und so, wie er darüber spricht, scheint es reichlich umwerfend gewesen zu sein. Das war es bei mir zwar auch, aber ich verrate ihm trotzdem nicht, dass ich schon Sex hatte. Er müsste dann zwangsläufig unangenehme Fragen stellen und ich müsste zugeben, dass Lila bloß aus Gefälligkeit mit mir geschlafen hat... jedenfalls an meinem Geburtstag. Da erzähle ich ihm lieber andere Geschichten von mir und Lila. Gibt ja genug. Zum Beispiel, dass wir mal ein Abbruchhaus besetzt haben. Oder dass wir uns als Kinder an stillgelegten Bahngleisen rumgetrieben haben. Wir wollten nämlich immer Abenteuer erleben, die allerdings nur aus aufgeschlagenen Knien und Händen bestanden, weil wir ständig irgendwo rumkletterten.

„Dann warst du also ein kleiner, wilder Rotzbengel“, kichert Fabian. „Süß.“

„Nee, ich war immer derjenige, der Angst hatte und überredet werden musste. Lila war der Rotzbengel.“

„Du hast ihn ziemlich gern, oder?“

„Das ist sicher schwer zu verstehen.“

„In der Tat“, nickt er. „Aber du kennst ihn natürlich viel länger und auch viel besser als ich.“

„Er hat immer seinen Kopf für mich hingehalten, wenn’s Ärger gab, und mich vor den älteren Blagen beschützt, wenn die mir aufs Maul hauen wollten.“

„Kenne ich. Das hat mein Bruder auch immer.“

Aber ich wette, sein Bruder hat ihn nie gevögelt.

„Eigentlich wollte ich ihn in den nächsten Sommerferien mit Markus in San Francisco besuchen, aber jetzt werde ich wohl alleine hin.“

Fabian hat so ein merkwürdiges Glitzern in den Augen, als er das sagt. Ein trauriges Glitzern und ich überlege, ob er vielleicht lieber mit Markus hier liegen würde, anstatt mit mir. Dann beschließe ich, dass das Quatsch ist, weil er doch mit ihm Schluss gemacht hat und mich als Freund haben wollte.

„Tobi war auch er erste, mit dem ich über Jungs gesprochen habe, ich war ja völlig durcheinander, als mir klar wurde, dass ich schwul bin. Durch ihn hab ich Markus kennen gelernt.“

Wie schön... gibt’s kein anderes Thema als seinen beschissenen Ex?!

„Und obwohl mich Tobi vor ihm gewarnt hat, war ich von Anfang an rettungslos verloren.“

Mann, mir wird gleich übel.

„Fuck, was ist denn mit mir los?“, stöhnt er. „Schwärme dir von meinem Ex vor... total charmant, mh? Moment, ich spreng mich mal eben in die Luft.“

„Nee, lass das lieber, du wirst noch gebraucht.“

„Ach ja? Wofür denn?“

„Zum Kuscheln“, grinse ich.

Als ich abends nach Hause komme, erlebe ich eine böse Überraschung. Lila sitzt auf meinem Bett.

„Wer hat dich denn reingelassen?“, frage ich unfreundlich und ignoriere die Schmetterlinge, die grad in meinem Bauch zum Leben erwachen wollen. Dass mir kribblig wird, wenn ich Lila sehe, geht echt zu weit!

„Deine Mutter“, antwortet er schulterzuckend. „Schoko... wir müssen reden.“

Wie bitte?! Fast will ich mich kaputtlachen. „Hast du dir wieder Drogen reingezogen?“

„Ich mein’s ernst.“

Lila trägt Ringelsocken, ein zerrissenes Bauhaus-Shirt und einen verblassenden Knutschfleck am Hals. Den hat er von mir. Verflixt, das ist irgendwie sexy.

„Wegen neulich... also bevor du deswegen wieder so’n Fass aufmachst... ich hatte eben Lust auf dich, nichts weiter, okay?“

„Okay. Wie kommst du darauf, dass ich ein Fass aufmachen will? Und seit wann benutzt du so dämliche Formulierungen?“, kichere ich, höre jedoch sofort auf, weil Lila genervt die Augen verdreht.

„Jedenfalls, du bist mit Fabian zusammen und ich hab keine Lust, wegen dieser Sache unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Also vergessen wir einfach, was passiert ist.“

„Ich bin in dich verliebt“, behauptet jemand, der mit meiner Stimme spricht. Allerdings ist außer uns beiden niemand sonst im Raum. Hab ich das etwa gesagt? Heilige Maria.

„Quatsch“, schüttelt Lila den Kopf, „du bist in Fabi verliebt... seit Monaten.“

So langsam wird mir klar, dass ich mich die ganze Zeit schon in einem schrecklichen Irrtum befinde. „Nein, Lila“, entgegne ich vollkommen ruhig, „ich bin in dich verliebt.“

„Bist du nicht.“

„Bin ich doch.“

„Bist du nicht.“

Hat der einen an der Waffel? „Ich werd ja wohl am besten wissen, in wen...“

„Schoko“, unterbricht er mich, „das bildest du dir nur ein.“

„Wie bitte?“

„Weil ich der Erste war, mit dem du Sex hattest, und weil es ziemlich schön gewesen ist. Wenn ich dich einfach nur gevögelt hätte, würdest du mich jetzt verabscheuen. Verstehst du?“

„Eigentlich nicht“, gebe ich zu.

Lila fährt sich angestrengt durch die Haare. „Du hast dich in das Gefühl verliebt, das ich dir beim Sex gegeben habe. Das ganze romantische Drumherum und ich hab versucht, besonders vorsichtig und schmusig zu sein, weil’s dein Erstes Mal war...“

„Du warst beim zweiten Mal aber auch schmusig.“ War er wirklich. Und zwar so, dass mir total schwindlig wird, wenn ich dran denke.

„Halt die Klappe, Schoko. Was ich sagen will ist... dass du dich in etwas reinsteigerst, weil du noch nicht begriffen hast, dass man Sex und Liebe trennen kann. Ich hatte übrigens schon befürchtet, dass so was passieren würde.“

Eingebildeter Sack! Aber was, wenn er Recht hat? Vielleicht bin ich gar nicht in Lila verliebt, sondern in das, was er für mich getan hat. Denn schließlich ist er immer noch der gleiche, durch die Gegend vögelnde, emotional unterentwickelte, blöde Scheißkerl, der er vorher war.

„Wenn du Fabian morgen siehst, er dich anlächelt und mit dir Händchen hält, wirst du wissen, zu wem du gehörst.“

Na, darauf bin ich echt gespannt. Momentan möchte ich Lila nämlich dermaßen dringend küssen, dass ich kaum noch geradeaus denken kann. Ist wahrscheinlich auch pure Einbildung.

„Machst du mir ’ne Pizza, ich hab irgendwie Hunger.“

Der hat sie nicht mehr alle beisammen. Allerdings ist ein wenig Ablenkung nicht das Schlechteste... sonst falle ich noch über ihn her, weil mein Hirn mir vorgaukelt, dass Lila mich scharf macht.

„Schläfst du heute hier?“, frage ich, während Lila sich die Pizza reinhaut, und hoffe, dass ich nicht rot werde.

„Hatte ich eigentlich vor... aber in Anbetracht der etwas heiklen Situation gehe ich lieber nach Hause.“

Au schade!!

„Ich will dich nicht noch mehr durcheinander bringen.“

„So toll bist du nun auch wieder nicht“, sage ich etwas fassungslos.

„Hat sich grad aber noch ganz anders angehört.“

„Halt die Klappe, Lila.“

„Mach ich. Bis morgen.“

Montagmorgen fühle ich mich relativ unausgeschlafen, weil ich die Nacht über anstrengende Träume hatte. Ich kuschelte mit Fabi, der sich plötzlich in Lila verwandelte und... Miro Klose tauchte auch mal kurz obenrum nackt auf. Scheiße, ich dachte, dass ich wenigstens den überstanden hätte. Der Blick in den Spiegel lässt mich fast das Bewusstsein verlieren. Meine Haare stehen wild in sämtliche Richtungen und ich hab Augenringe, um die mich jeder Untote beneiden würde. Fuck, ich sehe aus wie Oskar von Horrificus... bloß ohne Niedlichkeit und Vampirzähne. Flucht nach vorn. Ich schmeiße mich in meine gruftigsten Klamotten, damit der Schädel zum Outfit passt. Für eine bessere Lösung ist keine Zeit mehr. Mir ist unwohl, weil ich nicht weiß, wie ich mich Fabian gegenüber verhalten soll. Weil ich nicht weiß, ob mich irgendwelche Schuldeppen verkloppen, wenn die mitkriegen, dass ich schwul bin. Hab ja nicht die geringste Ahnung, wie man mit sowas in der Öffentlichkeit umgeht.

„Hey, Indiejunge“, grinst Lila, der an der Ecke auf mich wartet.

„Du bist schon wach?“

Er schiebt seine Sonnenbrille ein Stück runter. „Und du immer noch, wie mir scheint. Trinken wir ’nen Kaffee zusammen?“

Der hat ja die Ruhe weg. In zehn Minuten fängt die fucking Schule an. „Nee, hab keine Lust, zu spät zu kommen.“

„Verständlich“, nickt er, „aber darüber brauchst du dir echt keine Gedanken zu machen. Soweit ich das beurteilen kann, kommst du immer recht zeitig.“

Ich könnte ihm jetzt gut sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht schlagen. „War das etwa eine schlüpfrige Bemerkung?“

„Na, sicher.“

„Wirklich witzig, Arschloch.“

„Meine Güte, wie hab ich den alten Betonklotz vermisst“, grummelt Lila, als wir durchs Schultor gehen. „Wann sind endlich Herbstferien?“

„Viel zu weit weg. Wann ist endlich Pause?“, seufze ich müde.

Der erste Schultag verläuft anders als erwartet. Fabian und ich haben anscheinend ohne vorherige Absprache eine Übereinkunft getroffen. Nämlich die, sich genauso zu benehmen wie vor den Ferien. Wir schmeißen uns weder verliebte Blicke zu, noch tauschen wir Küsschen und/oder laufen Hand in Hand durch die Gegend. Wir reden nicht mal besonders viel miteinander. Ich finde das sehr in Ordnung... Lila ist anderer Meinung. Er findet, dass wir uns verstecken, weil wir feige sind, und wir sollten doch drauf kacken, was irgend jemand sagt. Tolle Ratschläge kann man immer leicht von sich geben, wenn man nicht in der entsprechenden Situation ist. Na ja, Lila würde sicher vor der ganzen Welt mit einem Typen knutschen. Schon allein, um im Mittelpunkt zu stehen. Ich bin aber nicht so. Mir macht es was aus, wenn Leute über mich lästern.


Das zwischen Fabian und mir... also das ist nicht so das Wahre. Vor den Sommerferien hatte ich Schwächeanfälle, wenn er mich anlächelte. Ich bekam weiche Knie, schwitzige Hände, Herzrasen und in meinem Kopf summte es. Wo zur Hölle ist das alles geblieben? Mir gefällt es, mit ihm zu kuscheln, und wir können stundenlang über alles Mögliche reden... aber verliebt bin ich in Lila. Immer noch. Immer mehr. Ich bin verrückt nach ihm. Nicht, weil er zufällig der Erste war, mit dem ich geschlafen habe, sondern... weil ich eben einfach verrückt nach ihm bin. Was soll ich denn jetzt machen? Zu Lila gehen, logisch. Obwohl ich eigentlich nie zu ihm nach Hause gehe, denn er ist ja meistens bei mir. Seit zwei Wochen besucht er mich jedoch nur noch sporadisch, weil er glaubt, dass ich ständig mit Fabi zusammenhänge, was allerdings nicht der Fall ist. Fabian hat schrecklich viel zu tun mit seiner Band, in der ich jetzt doch nicht spiele, dann muss er zum Fußballtraining... wir sehen uns echt kaum. Schule ist kein Problem, wir unterhalten uns ganz normal und ich werde nicht mehr rot, wenn wir das tun. Warum auch? Fabian ist bloß noch ein netter, hübscher Junge, mit dem ich mich gut verstehe. Trotzdem bringe ich es nicht über mich, mit ihm Schluss zu machen. Ich hoffe heimlich, er merkt selber bald, dass es mit uns nicht richtig funktioniert.

Lilas Mama öffnet die Tür, freut sich, mich zu sehen, und schickt mich die Treppe hoch in sein Zimmer. Viel verändert hat sich nicht. Die Wände sind... natürlich lila gestrichen und überall hängt Halloween-Schnickschnack herum: Spinnweben, Plastikspinnen, Skelette, Fledermäuse, Gespenster. Eine etwas seltsame Abwechslung bietet das Elvis-Poster an seiner Tür, das den King in der typischen Jailhouse-Rock-Pose zeigt. Sein Bett wird von einem Moskitonetz umhüllt... das ist allerdings neu... und selbstverständlich schläft er nur in Elvis-Bettwäsche, wie sich das gehört. Dann gibt's noch die üblichen praktischen Sachen wie Schreibtisch, Computer, Fernseher, den dunklen Sarg, den er als eine Art Kleiderschrank nutzt. Neben dem Bett steht auf einem niedrigen Tischchen ein gerahmtes Foto von seinem Papa, rechts und links davon liegt jeweils ein kleiner schlafender Engel. Lila selbst hockt auf der Fensterbank und glotzt durch ein Fernglas nach draußen.

„Ey, du Spanner... ist es nicht verboten, die Nachbarn auszuspionieren?“

„Die Kaufmann betrügt ihren Alten mit einem Stecher, der halb so alt ist wie sie.“

Frau Kaufmann ist in den Vierzigern und scheint auf öffentlichen Sex zu stehen, denn sie schließt niemals die Vorhänge, wenn sie zugange ist... mit wem auch immer. Aber sie hat ja auch keinen Schimmer, dass sie beobachtet wird.

„Was willst du hier?“

„Ein bisschen in das Leben anderer Leute schielen“, erkläre ich und nehme ihm das Fernglas weg. „Au je, der Oppa aus der Mitte hat schon wieder sein Sockenwindspiel draußen hängen.“ Über das Teil lachen wir uns schon seit Monaten kaputt. Das ist so’n Holzring, an dem der Oppa auf seinem Balkon die Socken zum Trocknen befestigt.

„Wie aufregend“, bemerkt Lila. „Guck dir lieber den Stecher von der Kaufmann an. Der hat einen wahnsinnig großen Schwanz, dafür müsstest du dich doch interessieren.“

„Ist das wichtig? Ich meine... die Schwanzgröße?“

„Keine Ahnung, sag du’s mir. Du bist die Schwuppe.“

„Ich sehe aber keinen Schwanz, bloß einen nackten Hintern und der macht mich nicht an“, entgegne ich und lasse das Fernglas sinken.

„Sei froh, dass dir seine Visage erspart bleibt. Also hat dein Erscheinen einen bestimmten Grund?“

Oh ja, und wie. Aber ich werde den Teufel tun, ihm den zu verraten. Sonst fängt er wieder mit seinem Gefasel von wegen Einbildung an. Und wenn ich Lila sage, dass ich Sehnsucht nach ihm hatte... kriegt er Magenschmerzen und schlechte Laune. Sowas ist für ihn bekanntlich abartige Gefühlsduselei. „Nee, einfach so. Fabi hat mich übrigens immer noch nicht gebumst.“

„Und?“, fragt er schulterzuckend. „Was hab ich damit zu tun?“

„Sonst fragst du doch auch danach.“

Lila kippt einen Schuss Weinbrand in seine Cola. „Willst du auch?“

„Seit wann säufst du denn schon nachmittags?“

„Seit wann gibt’s zum Saufen eine vorgeschriebene Tageszeit? Auf gute Gesundheit und auf alle übermüdeten Autofahrer“, lacht er bitter und trinkt das Glas leer.

Ach du Scheiße!! Oh, ich verblödeter Hirni. Kein Wunder, dass er seit mehreren Tagen daneben ist und sich verkriecht. Diese Woche ist der Todestag seines Vaters... ich glaube, morgen.

„Lila... ich... ich hab gar nicht dran gedacht, dass... sorry.“

„Geschenkt.“

„Kann ich dir irgendwie...“

„Nein, kannst du nicht. Und jetzt sei so gut und halt die Fresse, ja? Ich brauche dein Mitleid nicht. Und du musst mich auch nicht trösten, Schoko. Es geht mir fabelhaft.“

Mh, das scheint nicht der erste oder zweite Drink gewesen zu sein. Lila ist betrunken genug, dass er leicht schwankt.

„Hör wenigstens auf zu trinken.“

„Was denkst du? Dass ich ’n heimlicher Alki bin. Solltest mich besser kennen.“

Okay, Lila schießt sich auf Parties gerne mal ab und sicher hat er mal andere Drogen ausprobiert, aber er ist nicht der Typ, der auf solchen Sachen hängen bleibt. Da muss man sich wirklich keine Sorgen machen. Es tut trotzdem weh, ihn so zu erleben.

„Wieso benimmst du dich nicht ein einziges Mal wie ein normaler Mensch und lässt dich in den Arm nehmen?“

Seine Lippen nähern sich meinem Ohr. „Wozu?“, flüstert er. „Damit du dich besser fühlst?“

„Nein, du Arsch,“ brülle ich und schubse ihn weg, „damit du dich besser fühlst.“

Lila sieht mich an. „Warum bist du hier? Willst wohl, dass ich dich ficke.“

„Du tickst echt nicht mehr richtig“, schnaufe ich fassungslos.

„Das macht der Alkohol“, grinst er und zieht mich mit einem Ruck an sich.

Sein Kuss schmeckt süß und nach Weinbrand, meine Hände schlängeln sich unter sein Shirt, während seine Hand durch meine Haare wuselt. Plötzlich greift er fest zu und zieht meinen Kopf nach hinten.

„Wusste ich's doch.“ Er lässt mich los und mixt einen weiteren Drink. „Geh nach Hause, Schoko.“

„Was?“, frage ich benommen.

„Geh nach Hause, Schoko. Mir ist jetzt nicht nach Sex.“

„Gib mir auch einen.“

„Hä?“

„Du bist mein bester Freund und es geht dir offensichtlich nicht gut... schädeln wir uns gemeinsam ab.“

„Das wird aber eine lange Nacht. Ich bin noch nicht mal ansatzweise so breit, wie ich sein will“, warnt er und reicht mir ein Glas.

Obwohl Lila einen beachtlichen Vorsprung hat, liege ich schneller flach als er. Ich bin nicht geübt im Trinken und vertrage dementspechend wenig.

„Du hast genug“, stellt er fest und hangelt sich zu mir aufs Bett.

„Wie viele hatte ich denn?“, lalle ich.

„Drei. Aber ich hab die extra stark gemacht... also sechs.“

„Fuck... ich sehe doppelt.“

„Dann waren es zwölf“, kichert er.

„Ob die Kaufmann mit ihrem Stecher noch zugange ist?“

„Weiß nicht. Wieso?“

„Ich würd gerne mal beim Gruppensex zuschauen.“

Lila erstickt fast bei seinem Lachanfall. So lustig fand ich’s jetzt nicht.

„Ich hab ’ne Latte“, behauptet er, nachdem er sich wieder beruhigt hat.

„Hast du nicht.“

Er rollt sich auf die Seite und nuckelt ungeschickt an meinem Hals. „Wenn ich nicht so voll wäre, würd ich dich bumsen, Schoko.“

„Bumsen... ist ein leck... schriches... schreckliches Achtzigerjahrewort.“

„Du Blödian warst in den Achtzigern noch gar nicht da.“

„Eben. Wäre ich dagewesen, hätte ich das Wort verboten“, antworte ich konzentriert und schlage ihm auf den Handrücken, weil er meinen linken Nippel zwickt. Warum hab ich eigentlich obenrum nix mehr an? Lila ist jedenfalls noch vollständig bekleidet.

„Wo ist mein Shirt?“

„Das liegt da irgendwo.“

„Warum?“

„Hast den elften Drink drüber geschüttet.“

„Ich hatte doch bloß sechs.“

„Halt die Klappe, Schoko.“


Lila verhält sich wieder normal... also für seine Verhältnisse. Ich bin derjenige, der sich in einen Psycho verwandelt hat. In einen eifersüchtigen Giftzwerg, denn ich hasse jedes Mädchen, das mit Lila spricht oder ihn ansieht. Eigenartigerweise bin ich der Meinung, dass er mir gehört. Mir ganz allein. Das ist so anstrengend. Ich muss bei Fabi auf verknallt machen und vor Lila verbergen. Irgendwie hatte ich es mir schöner vorgestellt, verliebt zu sein und einen Freund zu haben. In meiner Phantasie gehörte beides unbedingt zusammen... aber irren ist ja bekanntlich menschlich. Mir ist nicht klar, weshalb es ausgerechnet mich so knüppeldick getroffen hat, möglicherweise war ich in einem früheren Leben besonders fies und gemein. Was hilft es zu lamentieren?! In einer halben Stunde gehe ich mit Fabian ins Sputnik, da sollte ich langsam mal Klamotten anziehen und gut aussehen... schließlich werde ich vermutlich Lila treffen. Ich sollte mir ebenfalls dringend eine Strategie überlegen, die mich vorm völligen Zusammenbruch bewahrt, wenn er irgendeine Tussi aufreißt. Vielleicht hab ich Glück und es sind bloß hässliche Weiber da.

Scheint heute nicht mein Tag zu sein. Conny sitzt mit einigen Manga-Freundinnen in der Gegend rum. Die Freundinnen sind leider hübsch, das kann sogar ich erkennen. Mist, verdammter. Sicher ist auch mindestens ein Mädchen dabei, das Lila bis jetzt noch nicht gevögelt hat. Fabian hat mir übrigens grad megalaut ins Ohr gebrüllt, dass er was zu trinken holt... ich hoffe, mein Trommelfell ist nicht geplatzt. Wo zum Arsch ist Lila?

„Hey, Schnuckelmaus.“

Ah, hinter mir. Wieso nennt der mich so? Alter Blödian. Ich drehe mich um und bin einer Herzattacke nah. Hat der sich aufgebrezelt, mein lieber Schwan. Lackhose, hohe Doc's und obenrum ein schwarzes, löchriges Irgendwas mit langen, löchrigen Ärmeln. Unten am Saum pappt ein Elvis-Button (denn der King darf niemals fehlen!), um den Hals trägt er ein Stachelhalsband und selbstverständlich sind seine Augen extrem rauchig geschminkt. Irgendwie komme ich mir in meinem Ringelshirt und der schwarzen Jeans plötzlich sehr unscheinbar vor. Sein Finger streicht über meine Brust.

„Das ist meins, oder? Siehst echt scharf darin aus.“

Wahrscheinlich hat er was an den Augen... und am Hirn, mir sowas einfach so zu sagen.

„Bis später“, lächelt er, zwinkert mir kurz zu und schlendert zu Conny rüber.

Ich stehe immer noch leicht unter Schock als Fabian mir ein Glas Cola reicht.

„War das eben Lila?“

„Hm-hm.“

„Dämlicher Wichser“, zischt er.

„Wie bitte?“ Es ist ja kein Geheimnis, dass die beiden sich nicht so wahnsinnig mögen, aber beschimpft hat er ihn bis jetzt nie.

„Vielleicht sollte dir mal jemand die Wahrheit über deinen Freund sagen.“

„Später,“ rufe ich ihm zu, „ich muss aufs Klo.“ Mich sammeln und auf alle Fälle erstmal wieder einigermaßen runterkommen. Lila hat mich total geschafft. Da im Sputnik eh noch nicht viel los ist, bin ich allein auf’m Klo. Ich strubbele mir durch die Haare, strecke meinem Spiegelbild die Zunge raus und wünschte, ich wäre nicht so schrecklich verliebt. Lange kann ich das bestimmt nicht mehr verheimlichen. Die Katastrophe beginnt, als die Tür aufgeht und Lila reingelatscht kommt. Sein Shirt ist vorne nass.

„Dein Freund hat mich absichtlich angerempelt und mit Cola beschüttet. Ist der schwachsinnig?“, keift er. „Es wäre cooler gewesen, wenn er mir das Glas einfach über den Schädel gekippt hätte. Aber das bringt die Lusche wohl nicht.“

Während er mit Papiertüchern an sich rumwischt, setzt bei mir was aus... ich glaube, es ist der Verstand. Ich fasse mit beiden Händen an sein Shirt und drücke ihn gegen die Wand. Im ersten Moment ist er irritiert, aber eine Sekunde später grinst er schon wieder sein typisches, überhebliches Lila-Grinsen.

„Und was soll das jetzt werden, mh?“

Ja, wenn ich das bloß wüsste. Bedröppelt lasse ich ihn los und bin mir selber peinlich.

„Au weia, Schoko,“ schüttelt er amüsiert den Kopf, „komm, ich zeig dir, wie man das richtig macht.“

Bevor ich noch einen Mucks von mir gebe, hat er mich ruppig gegen die Wand geschubst und küsst mich so heftig, dass mir fast die Luft wegbleibt. Seine Hände schieben sich unter mein Shirt, während meine Hände durch seine Haare wuseln. Die Katastrophe ist perfekt als plötzlich jemand „Ihr seid beide zum Kotzen“ brüllt. Dieser Jemand ist Fabian. War Fabian, denn er ist schneller wieder draußen als ich gucken kann. Shit!! Ich renne ihm nach, hab ihn draußen eingeholt und halte ihn fest.

„Du“, schreit er und deutet auf Lila, der grad auf der Bildfläche erscheint, „bist das Letzte. Gibt es dir einen besonderen Kick, wenn du es mit meinen Freunden treibst?“

Ich verstehe nur Bahnhof.

„Erst Markus und jetzt Schoko. Was hab ich dir getan, dass du mich so hasst, hä? Ich würd das echt gerne wissen.“

„Moment mal“, schalte ich mich ein. „Wieso Markus?“

Lila zuckt die Schultern. „Kann ich was dafür, dass du so’n beschissener Schlappschwanz bist?“

Oh je, ich fürchte, die Katastrophe hat längst noch nicht ihren Höhepunkt erreicht.

„Würde mir mal jemand erklären, was...“

„Wenigstens benutze ich nicht meinen toten Vater als Entschuldigung für mein arschlochartiges Verhalten. Fragt sich nur, wer hier der Schlappschwanz ist, du verdammter Psycho.“

Lilas Schlag verfehlt leider das geplante Ziel, weil ich dummerweise aus Versehen mein Gesicht genau in die Schusslinie halte. Seine Faust trifft hart und schmerzhaft meinen Kiefer. Da ich es nicht gewohnt bin, geschlagen zu werden, taumele ich erstmal ein bisschen.

„Alles okay?“, fragen Lila und Fabi gleichzeitig. „Deinetwegen hab ich meinem besten Freund aufs Maul gehauen, du Pisser“, fügt Lila hinzu. „Schoko... es tut mir Leid.“

„Lasst mich bloß in Frieden. Ihr seid doch beide so irre... man sollte euch einsperren“, zische ich und schwanke nach Hause. Mit einer Kühlkompresse lege ich mich ins Bett und hoffe, dass ich den heutigen Abend bloß geträumt habe. Allerdings fühlt es sich nicht so an. Du meine Güte... also hatte Lila tatsächlich was mit Fabians Ex oder wie? Ich halt’s nicht aus. Und wenn diese ganze Scheiße Erwachsensein bedeutet... dann möchte ich für immer Kind bleiben. Guten Tag, ich will mein Leben zurück. Ehrlich, es war einfacher, bevor ich damit anfing, mich zu verlieben und Sex zu haben. Einfacher und weniger gefährlich. Gott sei Dank hatte Lila keine Knarre, dann hätte ich jetzt nämlich eine Kugel im Kopf und wäre vermutlich tot. Das Schlimme an der Geschichte ist ja nicht so sehr, dass... oh, warte, ich schäme mich für diesen Gedanken dermaßen, dass ich es nicht fertig bringe, ihn zu Ende zu denken. Zu Ende ist aber auf jeden Fall die Beziehung mit Fabian. Total ausgeschlossen, dass er nach meiner Knutscherei noch mit mir zusammen sein will. Trotzdem, so dramatisch hätte es nicht ablaufen müssen.

Nach einer Nacht mit ungefähr zwei Stunden Schlaf insgesamt fühle ich mich am nächsten Tag wie in den Gulli gekotzt. Meine untere linke Gesichtshälfte ist geschwollen und grünlich-gelb mit einem Schuss blau-rot. Mama und Papa waren sehr aus dem Häuschen, also faselte ich was von hingefallen. Ich nehme an, geprügelte Ehefrauen kennen solche Ausreden. Und ich nehme an, meine Eltern glauben mir genauso wenig. Egal, solange sie nicht weiter fragen.

„Schoko...“

Ach du Scheiße, ist die Katastrophe noch nicht vorbei??

„Wie geht’s dir?“, fragt Lila zerknirscht und schließt leise die Tür.

„Fabelhaft.“

„Es tut mir wirklich Leid.“

„Na ja,“ seufze ich, „immerhin wolltest du gar nicht mich treffen.“

„Klar, das auch, aber eigentlich... also eigentlich meinte ich...,“ er fährt sich nervös durch die Haare, „es tut mir Leid, dass ich meine Finger nicht vor dir lassen konnte.“

Ich versuche, das Kribbeln in meinem Bauch zu ignorieren. „Wie konntest du mit Fabians DRK-Sani vögeln?“

„Hab ich nicht, Schoko, ehrlich. Wir haben nur ein bisschen rumgemacht und ich hatte keine Ahnung, wer er war.“

„Seit wann stehst du überhaupt auf Jungs?“

Lila beißt sich auf die Lippe. „Ich musste doch ein bisschen üben, bevor wir... fuck, wieso muss ich immer alles kaputt machen? Ich hab deine Beziehung ruiniert und dir weh getan. Ich hab dir verdammt noch mal ins Gesicht geschlagen... toller Freund, mh?“

Ist es sehr schändlich, wenn ich mich gerade frage, wann er mich endlich küsst?

„Vielleicht... wenn du Fabian sagst... weiß nicht, ich hätte dich gezwungen oder so...,“ überlegt er, „vielleicht ist es besser, wenn ich ihm das sage... genau, schließlich konntest du dich gar nicht wehren, weil ich... ja, weil ich dir heimlich Drogen verabreicht habe... weißt du, dieses Zeugs, wo man sich hinterher an nichts mehr erinnern kann...“

„Lila,“ unterbreche ich sein wirres Gerede, „ich bin nicht wütend oder traurig, weil Fabian uns erwischt hat, sondern...“ Mann, das ist wirklich ekelhaft.

„Sondern?“

„Ich bin sauer, weil er uns gestört hat.“

Eine Sekunde lang sieht er verwirrt aus, dann lächelt er und schlängelt seine Arme um mich. „Verstehe. Dann könnten wir doch einfach...“

„Weiter machen?“, frage ich unsicher.

„Sag mal, ist dir eigentlich klar, wie verdammt sexy du bist?“

„Nein. Aber wieso klingst du so überrascht?“

„Ich bin überrascht.“ Seine Hand streichelt vorsichtig über meinen lädierten Kiefer. „Damit wirst du sicher noch ein paar Tage Spaß haben“, bemerkt er.

„Tja, Pech für dich.“

„Wieso für mich?“

„Ich hätte dir echt gerne einen geblasen, aber leider kriege ich meinen Mund kaum auf.“ Dafür bekomme ich allerdings fast einen Lachanfall, weil Lila doch tatsächlich rot wird. Ein kleines bisschen nur, aber immerhin. Logischerweise hat er sich schnell wieder im Griff.

„Du hättest ein wenig Übung auch bitter nötig, Kleiner.“

„Und du könntest ausnahmsweise mal die Fresse halten und mich endlich küssen.“

„Ach... dafür kriegst du deinen Mund plötzlich auf, oder wie?“, grinst er.

Okay, zugegeben, das Küssen ist etwas schmerzhaft. Aber zur Hölle...wen interessiert's?!

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