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Keks & Krümel

Teil 3

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Informationen

Keks und Krümel

Send me some lovin‘ - send it I pray

how can I love you - when you’re far away

Can’t you send me your kisses – I can feel their touch

I need you so badly – I miss you so much

Splitterfasernackt tapst Keks mit mir ins Schlafzimmer, stößt sich kurz den Zeh, weil er keine Linsen drin hat, und flucht ein bisschen. Ich hab kein Mitleid, sondern ihm schon hundertmal gesagt, er soll wenigstens in der Wohnung seine Brille aufsetzen. Und überhaupt... muss der

so nackt sein?! Ich meine, Keks ist natürlich atemberaubend schön, trotzdem mag ich’s ganz gerne, wenn er etwas an hat, das ich ihm irgendwann ausziehen kann.

„Hör auf zu lachen“, mault er. „Weißt du eigentlich wie scheißverdammt weh das tut, wenn man sich den Zeh anhaut?“

„Keks?“

„Was?“ faucht er.

„Komm ins Bett“, säusele ich.

Mit einem Hops ist er neben mir. „Au, was zum Teufel... “, er tastet herum, „oh, wie süß“, grinst er plötzlich, „du hast mir... was is’n das?“

„Blindfisch.“

„Gute-Laune-Drops?!“

Um das festzustellen muss er sich die Packung dicht vor die Nase halten. Ich finde Keks unbeschreiblich!

„Die esse ich aber nur, wenn ich allein bin.“

„Ah ja?“

„Ja“, nickt er, „wenn du da bist, brauche ich die nicht. Dann bist du nämlich mein Gute-Laune-Drops“, flüstert er und stupst meine Nasenspitze.

Ich bin beeindruckt, dass er die sofort gefunden hat. Und ich brauche jetzt meine Kuscheldosis. Drücke ihn auf die Matratze und...

„Was wird’n das?“

„Ich mag auf dir liegen“, murmel ich und begebe mich in meine Lieblingsposition.

„Dann hättest du die Woche über nicht so viel essen sollen. Ehrlich, du wiegst doch sicher eine Tonne.“

„Gar nicht“, schmolle ich beleidigt und will sofort wieder runter, aber er hält mich fest umschlungen und streichelt meinen Rücken.

„Sag bloß Bescheid, bevor du einschläfst.“

„Mhhhhh... nacht... “

„Ich hab dich vermisst, Babe“, wispert er und reibt sein Gesicht an meinem Haar.


Keks‘ Eltern waren sehr damit beschäftigt, ein neues Internat für ihren Sohn zu suchen.

Schließlich war ich noch immer das verdorbene Scheusal, das ihren armen Jungen verführt hatte. Deshalb durfte er auch in der Übergangszeit nicht auf meine Schule gehen. Jetzt musste er jeden Morgen fünfundvierzig Minuten mit dem Bus fahren. Naja, das war immer noch besser, als sechshundertdreiundvierzig Kilometer. Wir konnten uns ein paar Nachmittage in der Woche sehen, während Keks‘ Eltern ihn beim Gesangsunterricht und den Klavierstunden wähnten.

Wir hatten überlegt, dass es günstiger war, wenn er sich zu Hause zurückhielt und so tat, als wäre er nicht mehr mit mir zusammen. Vielleicht ließen seine Eltern die Internat-Idee dann fallen. Beknackterweise schien das tatsächlich zu funktionieren. Die Idioten ließen ihre Suche schleifen und kümmerten sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten... Geld, Ruhm, Karriere und Parties.

Kathrin kam ein wenig ins Straucheln, weil das Objekt ihrer Begierde wieder aufgetaucht war, entschied sich allerdings, nachdem Keks ihr ins Gewissen geredet hatte, doch für Sascha. Ich fragte mich wirklich, wie der damit zurecht kam, nur zweite Wahl zu sein. Andererseits

machte Kathrin nicht den Eindruck, als hätte sie Sascha weniger gern. Die beiden waren sehr süß und gingen total aufmerksam miteinander um. Dass sie trotzdem noch gelegentlich mit Keks knuddelte, schien wieder einmal nur mich zu stören, also versuchte ich, meine Eifersucht auf einen erträglichen Pegel herunterzufahren.

Dann stand ein erneuter Abschied an. Leonie hatte Mom und Paps monatelang genervt und endlich die Zustimmung erhalten, für ein Jahr als Au-Pair nach Amerika zu gehen. Für mich war das kein Weltuntergang. Ich mochte sie und wahrscheinlich würde sie mir manchmal sogar ein bisschen fehlen aber sie kam ja auch irgendwann zurück. Ich hatte mehr damit zu tun, glücklich darüber zu sein, dass Keks bei mir sein konnte. Paps schockte uns kurz mit seiner neuen Regel, Keks solle an den Wochenenden in Leonies Zimmer schlafen und lachte sich kaputt, als er unsere biestigen Gesichter sah. Naja, biestig war eigentlich eher meins. Keks nickte eingeschüchtert. Jedenfalls wollte er daraufhin unsere sexuellen Aktivitäten etwas geringer halten. Aber ich machte ihm sehr schnell klar, dass ich das ganz und gar nicht wollte. Wir mussten eben nur leise sein. Manchmal schafften wir das sogar. Übrigens war es eigentlich Kathrin zu verdanken, dass Keks und ich die Wochenenden für uns hatten. Seine Eltern waren vielleicht bescheuert, aber nicht blöd. Natürlich vermuteten sie Keks bei mir, also stellte er ihnen einfach seine neue Freundin vor. Kathrin hatte in ihren eigens dafür angeschafften Schnepfenklamotten und mit leicht versnobtem Getue mächtig Eindruck auf die beiden Idioten gemacht. Sie waren einverstanden, dass er bei ihr (im Gästezimmer) übernachtete.

Wahrscheinlich hätten sie es auch erlaubt, wenn Kathrin als Gruftie da aufgelaufen wäre.

Hauptsache, Keks war wieder zu Verstand gekommen und küsste keinen Jungen mehr.

Mir persönlich war es etwas unheimlich, dass plötzlich alles so glatt lief, aber beschweren

wollte ich mich darüber natürlich nicht.

Unheimlich war mir auch, dass Keks mal wieder kein Wort über die ganze Scheiße, die er im

Internat erlebt hatte, verlieren wollte. Naja, vielleicht nicht unheimlich. Es nervte mich eher.

Weil ich natürlich alles wissen und ihn trösten wollte. Ich dachte logischerweise, es hätte doch mit mir und der Tatsache, dass Keks schwul war, zu tun. Er sagte nur, die Leute da seien

halt Arschlöcher gewesen und jetzt sei doch alles in Ordnung. Damit musste ich mich zufrieden geben. Es kotzte mich manchmal ganz gewaltig an, dass Keks sich auf gar keinen

Fall von mir beschützen lassen wollte. So wie in der Grundschule, als ich seinetwegen sogar

ältere Jungs verkloppt hatte. Wenn es um Keks ging sah ich eben rot. Guckte ihn irgend jemand komisch an, ballte ich insgeheim schon meine Fäuste. Dabei war und bin ich eigentlich total gegen Gewalt. Und mal ganz ehrlich... wenn Keks wollte, konnte er viel stärker sein als ich. Nur richteten sich seine unglaublichen Wutanfälle grundsätzlich gegen seine Eltern beziehungsweise gegen deren Wohnungseinrichtung. Als er das mit dem Internat erfuhr, hatte er den Glastisch kaputtgehauen, später auch schon mal in den Vitrinenschrank getreten. Da bin ich übrigens dabei gewesen und wollte gar nicht glauben, zu was für einem

Berserker mein kleiner süßer Keks mutieren konnte. Auf der anderen Seite tat er dann wieder alles, was seine Eltern von ihm verlangten. Solange gewisse Aktivitäten nicht mit unseren gewissen Aktivitäten kollidierten. Neben Klavier, Gesang und stundenlangem Lernen für die Schule fand sein Vater irgendwann, der Junge müsse unbedingt Tennis spielen. Das wiederum fand Keks‘ Mutter überflüssig. Ihr Sohn sollte Konzertpianist werden und nicht Wimbledon gewinnen. Die beiden stritten also darüber, was aus Keks werden sollte und waren sich eigentlich nur in einem Punkt einig. Dieser Punkt hieß: Krümel-Verbot! Und das war eben auch die einzige Sache, gegen die Keks immer wieder rebellierte.

Wie auch immer. Die Wochenenden in dieser Zeit waren toll. Wenn Keks und ich nicht bis zur völligen Erschöpfung an uns rumgrapschten und knutschten, hingen wir bei Sascha rum, der natürlich weiterhin Parties veranstaltete. Allerdings nicht mehr ganz so oft, seitdem er Kathrin zu bespaßen hatte. Manchmal duselten wir zu viert auf seinem Dachboden und manchmal überredete er uns, mit in seinen Lieblingsclub zu gehen. Keks fuhr total auf die Musik dort ab und ließ sich sogar ab und an von Sascha die Nägel schwarz lackieren. Ich wäre vor Eifersucht beinahe explodiert. Musste aber zugeben, dass es ziemlich hübsch aussah. Kathrin hatte sich von der intriganten Pestbeule in eine wirklich nette Person verwandelt und ich ihr inzwischen verziehen, dass sie Keks und mich auseinander zu bringen versucht hatte.

Sicher war es die Tatsache, dass alles so gut lief, die uns leichtsinnig werden ließ. Jedenfalls

kam es eines Abends zu einer Horrorszene, bei der mir heute noch eiskalte Gruselschauer über die Haut krauchen, wenn ich dran denke.

Ich hatte Keks fast die ganze Woche nicht gesehen, weil er hin und wieder ja doch mal seinen außerschulischen Verpflichtungen nachkommen musste. Freitagabend wollten wir dann endlich mal wieder ein bisschen allein sein und seine Eltern waren nicht da. Das bedeutete, wir mussten keine Rücksicht auf meine Eltern nehmen. Mir war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, auch nur einen Fuß in Keks‘ Haus zu setzen. Aber als er mir die Tür öffnete und

mich mit seinem Ich-will-dich-jetzt-und-hier-Blick begrüßte, war mir eh alles egal. Er drängelte mich knutschend ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die flauschige apricotfarbene Couch warfen.

„Pass bloß auf, dass da keine Flecken draufkommen“, giggelte Keks und schob seine Hand in meine Hose. „Die Idiotin bringt mich um.“

„Wo sind’n deine Eltern?“ fragte ich ein wenig unbehaglich.

„Auf irgendeiner Party, was weiß ich.“

„Und wenn die... “

Er unterbrach mich mit einem unglaublichen Zungenkuss und grapschte wie irre unter meinem Shirt rum. Sein Bein schlang sich um meine Hüfte. „Oh mann“, stöhnte er atemlos,

„schlaf mit mir... sofort.“

Wir hatten nämlich diesbezüglich in der Zwischenzeit stark geübt und... äh... naja.

„Hier? Wollen wir nicht lieber in dein Zimmer... “

Er wollte offensichtlich nicht und ich war mittlerweile auch schon so hinüber, dass ich ihn überall gevögelt hätte. Dazu kam ich nur leider nicht, denn während wir uns halbnackt auf der Couch räkelten, ertönte plötzlich ein Schrei.

„Nimm deine dreckigen Finger von meinem Sohn!“

Ich erschrak dermaßen, dass ich kurz glaubte, ich hätte einen Herzinfarkt. Mitten im Wohnzimmer stand Keks‘ Mutter. In teurer Abendgarderobe mit Perlenhandtäschchen und abenteuerlich aufgesteckter Haarfrisur. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unbeschreiblich.

„Fuck“, murmelte Keks nur.

Hastig schmiss ich mir meine Klamotten über und dachte noch, dass es abgedroschener wohl kaum noch ginge.

„Du“, sie deutete mit dem Finger auf mich, „verschwinde und wage dich nie wieder in seine Nähe.“

„Mutter... ich liebe Krümel, okay.“

„Halt den Mund“, fauchte sie. „Du bist doch keine Schwuchtel wie... der da.“ Sie spie die Worte voller Abscheu aus.

Als ich meinen einen Schuh aufheben wollte und einen Schritt in ihre Richtung machte, flüchtete sie regelrecht vor mir in die Ecke des Zimmers.

„Weg... weg mit dir.“ Sie schüttelte sich übertrieben, als hätte sie Angst, ich könne sie mit einer sehr tödlichen Krankheit anstecken.

Das war der bis dahin schlimmste Augenblick meines Lebens.

Keks war immer noch relativ gelassen. „Mutter, es besteht kein Grund für deinen theatralischen Ausbruch. Du weißt nicht erst seit heute, dass ich mit Krümel...“

„Hast du den Verstand verloren?“ schrie sie total hysterisch. Der Wahnsinn stach ihr förmlich aus den Augen. „Wie kannst du... wie kannst du dich in den Arsch ficken lassen?“

So eine ordinäre Dreckschlampe! Ich wollte ihr auf der Stelle ins Gesicht treten.

„Ich find’s geil“, erklärte Keks. „Was willst du dagegen machen?“

„Das wirst du schon sehen. Wenn dein Vater nach Hause kommt...“

„Bin ich längst weg“, unterbrach er sie und schob mich zur Tür.

„Du kommst sofort zurück“, bölkte sie hinter uns her. „Wage dich nicht, durch diese Tür zu gehen.“

Zu spät. Wir waren bereits draußen. Ich trottete einfach hinter ihm her, weil ich irgendwie total unter Schock stand. In meinem Magen brodelte es. Ich musste mich übergeben. Keks wischte mir mit seinem Ärmel die Kotze vom Kinn.

„Können wir zu dir gehen?“

Ich nickte schwach.

„Okay“, sagte er.

Meine Eltern fielen natürlich aus allen Wolken, weil wir spät abends vollkommen aufgelöst

bei ihnen ankamen. Wie immer war Keks sehr still und versuchte, die ganze Sache herunterzuspielen. Ich dagegen erzählte die Wahrheit.

„Als ob die Situation nicht schon unangenehm genug wäre“, schüttelte Paps den Kopf, „nein, ihr müsst euch auch noch erwischen lassen. Wieso seid ihr nicht wenigstens in Keks‘ Zimmer

gegangen? Oh Gott, ich will es gar nicht wissen. Und...wie habt ihr euch das jetzt vorgestellt?“

Blöde Frage. Waren wir vielleicht die Erwachsenen?

„Es dürfte wohl allen Beteiligten“, begann Paps und warf einen Blick auf mich, „außer Krümel klar sein, dass Keks nicht bleiben kann. Jedenfalls nicht für immer. Auch wenn wir

das gerne hätten.“

Ich wollte sofort protestieren. Mom tätschelte mir beruhigend den Handrücken.

„Halt den Mund, Krümel.“ Paps fuhr sich angestrengt durch die Haare. „Keks ist noch nicht volljährig, das bedeutet, dass seine Eltern für ihn zuständig sind. Nicht die Eltern seines

Freundes.“

„Er kann unmöglich in diese Klapsmühle zurück. Du hättest seine Mutter mal erleben sollen.

Die ist total übergeschnappt und super ausfallend geworden.“

„Tja, dann gibt es eigentlich nur die Möglichkeit, das Jugendamt einzuschalten.“

Da war ich sehr dafür. Da sollte Keks mal schön alles erzählen, damit seinen bekloppten Eltern das Sorgerecht entzogen würde. Eine Pflegefamilie war ja wohl schon da.

„Können wir da gleich am Montag hingehen?“ fragte ich aufgeregt.

„Wir schon mal gar nicht. Keks. Und wenn er möchte, begleite ich ihn“, sagte Paps.

Alles wartete gespannt auf Keks‘ Antwort. Der stand plötzlich auf. „Ich bin müde. Ich gehe

ins Bett, okay?“

Irritiert lief ich ihm nach. „Hey, was ist denn los mit dir?“

„Hab ich doch gesagt“, seufzte er, „ich bin müde.“

„Ja, das bin ich auch, aber wir müssen doch überlegen, was du denen beim Jugendamt erzählst. Ich meine, du musst denen richtig was vorheulen, sagen, dass du’s nicht mehr aushältst und so. Dass deine Eltern Stress machen, weil du schwul bist. Das zieht bestimmt.

Und Paps sagt denen dann, dass du bei uns wohnen kannst. Ey, stell dir doch mal vor, wir

können uns je...“

„Meine Güte, halt doch mal fünf Minuten die Klappe, ja?“ schnaubte Keks.

„Aber...“

„Raffst du’s nicht? Ich hab jetzt keinen Bock über so ’ne Scheiße nachzudenken. ICH BIN MÜDE. Verdammt noch mal.“ Damit zog er sich aus und legte sich ins Bett.

Ich stand da wie ein Vollidiot und begriff überhaupt nichts mehr. „Musst mich ja nicht gleich so anbrüllen. Ich hab nur...versucht...“ Mit wem redete ich eigentlich? Wütend riss ich mir die

Klamotten runter und knallte mich neben ihn. Wir wünschten uns keine gute Nacht und wir kuschelten nicht. Wir berührten uns nicht einmal. Ich musste in mein Kissen beißen, damit er mich nicht schluchzen hörte.

Irgendwann in der Nacht rückte er dann doch näher und wischte mir die Tränen von den Wangen. Ich schmiegte mich in seine Arme und fand irgendwie, dass ich Keks hätte trösten sollen. Immerhin war die Situation für ihn wesentlich schlimmer. Es war seine Mutter, die diese schrecklichen Sachen gesagt hatte. Seine Eltern, die sich einen Dreck dafür interessierten, was in ihm vorging. Logischerweise wünschte er sich insgeheim einfach nur, von ihnen lieb gehabt zu werden, auch wenn er immer auf cool machte. Und er verzweifelte an der Frage, warum die Idioten dazu nicht fähig waren.

Morgens beim Frühstück kam dann der nächste Schock.

„Hast du dir das mit dem Jugendamt überlegt, Schatz“, fragte Mom.

Keks nickte. „Ja. Ich möchte das nicht.“

Mir fiel vor Schreck das Messer aus der Hand. „Was?“

„Ich gehe wieder nach Hause.“

„Das ist doch hoffentlich nur ein Scherz“, hoffte ich fassungslos.

„Nun, es ist deine Entscheidung“, sagte Paps freundlich. „Auch wenn ich eine andere erwartet hätte...ich verstehe dich. Und du weißt, dass du zu uns kommen kannst, wenn du Hilfe brauchst.“

Waren die denn alle irre geworden? „Na, das ist ja großartig. Ich bin hier wohl der einzige, der nichts versteht, oder? Keks, was soll der Scheiß? Du kannst nicht wieder nach Hause.

Spinnst du, an sowas überhaupt zu denken?“

„Etwas leiser bitte, Krümel“, mahnte Mom.

„Fuck leiser“, brüllte ich und rannte in mein Zimmer.

Etwas später kam Keks.

„Wenn du jetzt schmollst, hilft mir das nicht.“

„Wenn deine Eltern dich wieder an den Arsch der Welt karren, hilft uns das auch nicht.“

„Glaubst du, das würde ich nochmal zulassen?“

„Glaubst du, die fragen dich?“

„Und das Jugendamt ist natürlich die beste Lösung, ja?“

Ich nickte.

„Für dich.“

„Was soll’n das heißen?“

Keks setzte sich neben mich. „Dass du möglicherweise mal darüber nachdenkst, was das für mich bedeutet. Ich muss mit wildfremden Leuten über total persönliche Sachen reden. Und wenn’s ganz übel wird, entscheidet das Gericht darüber, wo ich in Zukunft zu leben habe.

Dann gibt’s kein Zurück mehr, Krümel. Was, wenn deine tolle Idee nach hinten losgeht und die mich ins Heim stecken?“

„Das ist doch total unrealistisch.“

„Woher willst du das wissen? Hast du Erfahrung in solchen Sachen? Und selbst wenn ich hier bleiben darf...meine Eltern hätte ich dann für immer verloren.“

„Wieso interessiert dich das? Die kümmern sich doch eh nicht um dich.“

„Trotzdem sind es meine Eltern“, antwortete er leise.

Ich schlang meine Arme um ihn und küsste seine Haare. „Ich will doch nur, dass es dir gut geht.“

„Dann lass mich mit ihnen reden. Ihnen alles erklären. Ohne Wutausbrüche. Die müssen mir doch mal zuhören. Und...wenn das nicht funktioniert, kann ich immer noch zum Jugendamt.“

„Okay“, flüsterte ich und wusste bereits, dass ein Gespräch nichts bringen würde. Seinen Eltern war doch mit Vernunft nicht beizukommen. Die hatten ihre gefährliche Meinung über mich, über Keks, über Schwule, über... alles. Und davon würden die nicht einen Millimeter abweichen. Ich hatte wirklich Angst um Keks, als er dann ging. Und wie sich herausstellen sollte, war die auch sehr berechtigt.

Den ganzen Samstag saß ich praktisch neben dem Telefon. Ich traute mich kaum, mal aufs

Klo zu gehen, aus lauter Panik, ich könne seinen Anruf verpassen. Aber das Telefon klingelte nicht. Also rief ich sein Handy an. Das war ausgeschaltet. Kein gutes Zeichen, oder? Wie

lange konnte denn so ein Gespräch mit seinen Eltern dauern? Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde ich nervöser. Bekam Magenschmerzen. Mom zwang mich, Kamille-Fenchel-Tee zu trinken. Der half nicht. Gar nichts half. Warum meldete er sich nicht? Was zur Hölle hatten

diese schrecklichen Leute mit meinem Keks angestellt? Mir war klar, dass die ihm irgendwas angetan hatten. Vielleicht eingesperrt. Verprügelt. Heimlich ins Internat geschafft. Ich bat Paps, die Polizei zu verständigen, weil ich so eine furchtbare Ahnung hatte, aber Paps schüttelte den Kopf. „Gib ihm doch einfach ein bisschen Zeit“, sagte er. „Solche Sachen bespricht man nicht in fünf Minuten.“ Ich merkte allerdings an seiner Stimme, dass er sich auch Sorgen machte.

Der Sonntag verging. Ohne eine Nachricht von Keks. Ich war fest davon überzeugt, dass die Idioten ihn umgebracht hatten. Nicht absichtlich, so weit wollte ich nicht gehen.

Wahrscheinlich hatte Keks doch einen Wutausbruch bekommen und beim Versuch, ihn zu bändigen, war es dann passiert. Ohgottohgott!

„Deine Phantasie geht mit dir durch, Schätzchen“, lächelte Mom.

Ich fand das nicht. Keks würde sich auf alle Fälle bei mir melden, wenn er konnte. Er wusste, dass ich vor Angst kaputt ging. Sonntagabend war Paps so beunruhigt, dass er bei Keks anrief. Leider ohne Erfolg. Seine Mutter erklärte nur, dass ihr Sohn keinen Kontakt mehr zu

mir wünsche und Paps sie nicht weiter belästigen solle.

Ich wurde total psychotisch. Klingelte immer wieder sein Handy an. Ausgeschaltet. Mein Herz schlug bestialisch schnell. Ich hatte einen Permanent-Brechreiz. Mir war dermaßen elend, dass ich Montag nicht zur Schule gehen konnte. Dafür schlich ich mich zu Keks. Eine

Stunde lang schellte ich mich bekloppt. Niemand öffnete. Ich schmiss Steine an sein Fenster, brüllte nach ihm, bis ein Nachbar mit der Polizei drohte. War vielleicht keine schlechte Idee.

Die konnte die Haustür aufbrechen und nach ihm suchen. Ich brüllte lauter, doch die Polizei kam nicht.

Zuhause beratschlagte ich mit Sascha und Kathrin, die netterweise vorbei kamen. Kathrin rief

bei Keks an, doch da ging nur der AB ran.

„Die haben ihm was angetan und wir sitzen hier rum“, heulte ich.

„Vielleicht haben sie ihn doch wieder ins Internat geschafft“, überlegte Sascha, „und du sollst

das aber nicht wissen.“

„Dann hätte er sich doch gemeldet.“

„Handy weggenommen?“ schlug Kathrin vor.

„Er wird doch irgendwo ein Telefon auftreiben können.“

Kaum hatte ich das gesagt klingelte es. Ich riss den Hörer an mein Ohr.

„Keks?“ brüllte ich.

„Hi... ich kann nicht lange. Wollte dir nur schnell sagen, dass es mir gut geht. Naja, nicht gut aber du musst dir keine Sorgen machen.“

War der nicht mehr gescheit? „Was, zur Hölle, ist los? Wo bist du? Warum funktioniert dein Handy nicht? Wieso hast du dich seit Tagen nicht gemeldet?“

„Ich...äh...ich bin in Paris“, flüsterte er.

„Wie bitte?“

„Bei meinen Großeltern. Hör mal, ich werde hier total kontrolliert, darf nicht telefonieren und so. Keine Ahnung, wann ich mich wieder melden kann.“

Ich begriff überhaupt nicht, was los war. „Wieso bist du nicht zu mir...“

„Mann, das ging alles so schnell. Ehe ich einen Mucks von mir geben konnte, saß ich schon im Flieger. Als ich von dir weg bin und nach Hause kam, waren meine Koffer bereits

gepackt. Ich wusste auch zuerst nicht, wo es hingehen sollte. Tut mir leid aber ich konnte dich

nicht eher anrufen, weil...oh scheiße, ich muss Schluss machen. Ich lieb dich, Krümel, egal, was die Idioten vielleicht sagen, okay?“

„Okay“, sagte ich aber er hatte bereits aufgelegt. Langsam ließ ich den Hörer sinken und verstand noch immer nicht. Großeltern, Paris, darf nicht telefonieren...

„Krümel, was ist denn?“ fragte Kathrin besorgt.

Ich stammelte drauflos.

„Ach du Scheiße. Und jetzt?“

Das war eine verdammt gute Frage!

Keks‘ nächster Anruf kam wahrscheinlich zwei Wochen später. Ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, weil ich eben gar nichts mitbekam. Ich stand morgens auf, ging zur Schule, kam nach Hause, ging abends ins Bett, stand morgens auf...und so weiter. Mein Hirn, alles, lief komplett auf Sparflamme. Ich hatte auch immer noch nicht vollständig kapiert, wo Keks nun war und warum. Als er dann anrief, war ich zum ersten Mal wieder halbwegs bei mir.

„Kannst du mir bitte nochmal ganz genau erklären, was, zum Arsch, passiert ist? Oder reicht die Zeit dafür wieder nicht?“

„Äh... naja, Opa ist grad weg und Oma ist ein bisschen verständnisvoller. Sie hat mir erlaubt, dich anzurufen.“

„Wie nett von ihr“, muffelte ich.

„In der Tat, Arschloch. Sonst würdest du nämlich nie wieder was von mir hören. Scheiße, ich

will mich nicht mit dir streiten, Krümel.“

„Dann komm nach Hause.“

„Und dann?“

„Zum Jugendamt. Deine Eltern dürfen dich doch nicht einfach außer Landes schaffen. Wieso lässt du dir das gefallen?“

Er schwieg eine Weile. „Ich weiß, dass du’s nicht verstehst. Es ist nur... ich will die Gewissheit haben, dass ich...nicht Schuld bin. Dass ich alles getan habe, was sie wollten. Damit ich danach endlich frei sein kann. Wenn ich achtzehn bin können die Idioten mir nichts mehr vorschreiben.“

Nee, das verstand ich wirklich nicht. Kein Stück. „Und wie soll’s jetzt weitergehen? Du bleibst fast anderthalb Jahre weg, kommst dann wieder und alles ist gut? Hast du dir das so vorgestellt?“

„Es gibt leider keine andere Lösung.“

„Doch, du willst sie bloß nicht sehen. Und warum denkst du nur an dich? Ich meine, glaubst du, ich halte es so lange ohne dich aus oder was?“

„Mir fällt das doch auch nicht leicht, Krümel. Aber ich kann einfach nicht zulassen, dass sie gewinnen. Ich will ihnen zeigen, dass sie gegen meine Liebe zu dir nichts ausrichten können.“

So viel Schwachsinn auf einem Haufen! „Und das tust du, indem du in Paris rumkrauchst, ja?

Entschuldige aber das ist dermaßen beknackt, dass ich nicht länger mit dir darüber reden kann. Also, entweder du kommst zurück oder du suchst dir einen Franzosen und lässt mich künftig in Frieden“, erklärte ich angepisst und knallte den Hörer auf.

Keks ließ mich in Frieden. Ich stand kurz vorm Selbstmord. Liebte ihn, hasste ihn, vermisste ihn wahnsinnig, war wütend. Alles zugleich. Paps versuchte, mir zu erklären, was vielleicht in Keks vorging. Ich wollte ihn bei mir haben und verstand nicht, warum er es vorzog, von mir getrennt zu sein. Kathrin und Sascha gingen mir total auf den Senkel mit ihrer Ablenkerei.

Ich hatte keinen Bock auf ausgehen und Spaß haben. Waren die verblödet oder was? Spaß haben ohne Keks. Lachhaft!

Ich bedauerte längst, einfach aufgelegt zu haben. Hätte ihm das auch gerne gesagt, aber es war ja leider kein Rankommen an ihn. Telefonnummer hatte ich nicht. Und selbst wenn...seine

Großeltern hätten mich sicher nicht mit ihm reden lassen. Ich konnte also überhaupt gar nichts tun. Nur warten. Ich schlief schlecht, hatte furchtbare Alpträume, aß kaum noch und konnte

Moms sorgenvolles Gesicht bald nicht mehr ertragen. Es waren wirklich ekelhafte Wochen!

Eines Abend schellte dann das Telefon. Keks war dran.

„Es tut mir so leid“, heulte ich verzweifelt in den Hörer.

„Mir auch“, schniefelte Keks.

„Kommst du zurück?“

„Ich hab lange drüber nachgedacht aber ich kann nicht. Ich muss das hier durchziehen.“

„Okay.“

„Ich lieb dich, Krümel. Daran wird sich nie etwas ändern.“

„Ich warte auf dich“, sagte ich leise. „Vielleicht... vielleicht kann ich dich mal besuchen? Meine Eltern haben sicher nichts dagegen.“

„Meine schon“, seufzte er. „Außerdem hängt Opa mir ständig im Nacken. Ich darf zur Schule und in die Kirche gehen. Der Klavierlehrer kommt ins Haus. Ich werde hier echt gehalten wie im Knast.“

„Aber“, begann ich verzweifelt, „wie soll das funktionieren mit uns?“

„Ich schwör dir, Krümel, an meinem achtzehnten Geburtstag stehe ich vor deiner Tür und bleib für immer bei dir. Wenn... wenn du mich dann noch haben willst. Ich weiß ja, dass ich das von dir nicht verlangen kann aber...“

„Denkst du, ich verliebe mich mal eben neu oder was?“ fauchte ich. „Oder hast du etwa die Absicht?“

„Nicht direkt. Ich meine nur...also, ich hätte nichts dagegen, wenn du in der Zwischenzeit...“

„Du sprichst jetzt lieber nicht weiter“, unterbrach ich ihn entsetzt.

„Babe, wir müssen darüber reden. Ein Jahr ist ‘ne verdammt lange Zeit. Also sollte es jemanden geben mit dem du...der dir gefällt... das ist okay für mich. Ich möchte nicht, dass du

nur traurig bist und an mich denkst.“

„Tu doch nicht so ekelhaft selbstlos. Hast du schon einen Anderen, ja?“

„Nein.“

„Ernsthaft, Keks... was du vorhast ist total schwachsinnig, das weißt du, oder? Du setzt unsere Beziehung auf’s Spiel, um irgendeinen bescheuerten Kampf mit deinen Eltern zu führen. Das ist irre. Klar, möchtest du, dass deine Eltern dich lieb haben aber... sie tun’s einfach nicht. Das sollte dir egal sein, weil wir deine Familie sind. Das waren wir und das werden wir immer sein. Wann begreifst du das endlich?“

„Könntest du so einfach aufhören zu hoffen?“ fragte er traurig.

„Wenn ich deine Eltern hätte... ja.“

„Krümel, ich muss Schluss machen.“

„Wie praktisch“, zickte ich.

„Ich lieb dich. Bis bald.“

Tja, da saß ich nun also. Keks für ein Jahr weg und keine Chance, ihn zu sehen. Dafür aber seinen Segen, mit anderen Jungs rumzumachen. Logisch, das war ja auch exakt das, was ich so dringend wollte. Und wenn ich mir vorstellte, dass er vielleicht...nein, das ging überhaupt nicht. Mein Keks mit irgendeinem französischen Bengel in kuscheliger Umarmung. Mir kroch sofort ein Brechreiz in den Hals. Keks hatte den Verstand verloren. Eine andere Erklärung gab’s einfach nicht. Wir waren so gut wie verheiratet und er hatte sich nie an das Krümel-Verbot seiner wahnsinnigen Eltern gehalten. Wieso jetzt? Und dann auch gleich noch ein anderes Land? Eine andere Stadt...von mir aus. Aber Paris? Da wurde nicht einmal die gleiche Sprache wie hier gesprochen. Wenn er zurückkam... WENN... laberte er wahrscheinlich nur noch französisch. Und wie konnte er mir sagen: hab Sex mit anderen Jungs, solange ich weg bin! Ohne vor Eifersucht verrückt zu werden? Ohne zu befürchten, dass ich ihn irgendwann vielleicht gar nicht wiederhaben wollte? War er sich meiner immerwährenden Liebe derart sicher? Anscheinend. Ich dagegen hatte Angst. Eine scheißverdammte, verfickte Kack-Angst, dass unsere Beziehung nicht überleben würde.

Ich war vollkommen zerstört. Innerlich verwüstet und kaum in der Lage, die einfachsten alltäglichen Dinge zu erledigen. Ich wollte nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr aufstehen und zur Schule... ich wollte eigentlich nur in meinem Bett mit Murphy im Arm vor mich hin vegetieren. Immer schwächer werden und irgendwann tot sein. Überraschenderweise ließen meine Eltern mich nicht. Eine Woche durfte ich zu Hause bleiben, dann fanden sie, es sei an der Zeit zu lernen, vorübergehend ohne Keks auszukommen und mich mit der Situation irgendwie zu arrangieren. Meine Eltern waren eigentlich immer sehr verständnisvoll und niemals streng aber wenn es um die Schule ging, kannten sie keinerlei Spaß. Also zwang ich mich wieder jeden Morgen aus dem Bett und saß meine Stunden ab, ohne dass ich vom Unterricht sehr viel mitbekam. Ich rutschte schlagartig in den meisten Fächern zwei Noten nach unten. Meine damalige Lieblingslehrerin fragte mich, ob es Probleme gäbe und faselte was von Drogen. Ich hatte nicht den Nerv, ihr zu erklären, was in Wirklichkeit los war. Was ging das auch eine beschissene Lehrerin an?!

Nach der Depri-Phase kam dann die Ich-hasse-Keks-weil-er-mich-allein-gelassen-hat-Phase.

Das heißt, eigentlich wechselten sich beide ständig ab. Es war mir einfach unbegreiflich, warum er nur wegen mir das Internat hatte sausen lassen, aber jetzt das tat, was seine Eltern von ihm verlangten. Es wollte nicht in meinen Kopf, so sehr ich auch drüber nachdachte.

Keks‘ siebzehnter Geburtstag ging vorüber, ohne dass ich ihm gratulieren konnte. Das war so schrecklich, dass ich ernsthaft in Erwägung zog, nach Paris zu fahren, um ihn zu holen. Ich suchte mir eine günstige Zugverbindung, nahm Geld von meinem Sparbuch und hatte die Tasche schon gepackt als mir einfiel, dass ich ja gar keine Adresse hatte. Okay, darüber konnte man sich an Ort und Stelle noch Gedanken machen. Leider bekam Mom raus, was ich vorhatte und...naja, ich blieb natürlich schön zu Hause, heulte an Mamas Rockzipfel, später an Saschas verständnisvoller Schulter, und ging mir selber total auf den Sack. Andauernd jammerte ich allen die Ohren voll, ständig musste man sich um mich kümmern. Ätzend!

Ich sagte mir jeden Tag, dass ich Keks immer und ewig lieben, er in einem Jahr zurückkommen würde und wenn nicht, würde ich eben tatsächlich nach Paris fahren, egal ob meine Eltern damit einverstanden waren oder nicht. Das half eigenartigerweise. Oder ich redetet mir ein, dass es half, was ungefähr auf's selbe rauskam. Es ging mir zwar noch schlecht, aber ich war nicht mehr so völlig kaputt. Seine sporadischen Anrufe arbeiteten jedoch sehr dagegen. Es fiel mir bestimmt alles andere als leicht, ihm das zu sagen. Aber ich tat es. Schließlich hatte er mir seine Entscheidung, in Paris zu bleiben, auch einfach so vor den Latz geknallt. Ich stellte ihm ein Ultimatum: entweder zurückkommen oder Kontaktabbruch!

Keks war geschockt und rückte auf einmal doch mit der Wahrheit raus.

„Krümel... ich hab dir nicht alles erzählt.“

„Dann wird’s langsam Zeit, oder?“

„Ich würde nichts lieber als hier abhauen, aber es geht nicht. Als die Idioten mir das mit Paris gesagt haben, bin ich doch ausgerastet.“

„Hast du wieder was kaputt gemacht?“

„Schlimmer. Ich... ich hab Tabletten geschluckt.“

Mir blieb vor Entsetzen das Herz stehen. „Was?“ schrie ich.

„Reg dich nicht auf, Babe, es ist ja nichts passiert. Die Menge war nicht bedrohlich und ich hab anschließend eh alles ausgekotzt. Ich wollte den Idioten doch nur zeigen... aber die hatten nicht einmal Angst um mich. Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn ich’s wirklich ernst gemeint hätte?“

„Sag mal, du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Mach sowas nochmal und ich bringe dich um. Und überhaupt, wie kannst du das tun und deine Eltern lässt das völlig kalt?

Was sind denn das bloß für gefühllose Höllenmonster?“ heulte ich.

„Meine Mutter ist dermaßen verknallt in die Vorstellung, dass ich alles nur aus Boshaftigkeit mache. Meine Liebe zu dir, die Wutausbrüche, die Tabletten, meine Drohung, ihr den Schädel abzuhacken. In ihren Augen bin ich das Höllenmonster und wenn’s nach ihr gegangen wäre, säße ich in einer Gummizelle. Mein Vater fand dann aber, dass Paris ausreiche. Sohn in der Klapse kommt halt nicht gut. Verstehst du jetzt, warum ich nicht hier weg kann?“

„Aber das Jugendamt“, begann ich.

„Was soll ich denen denn sagen? Dass ich erst mich umbringen wollte und als das nicht klappte, meine Mutter? Die denken doch, ich sei der Irre. Eine Gefahr für mich selber und für alle anderen.“

„Du wolltest deine Mutter doch gar nicht...“

„Nee“, unterbrach er mich, „natürlich nicht. Aber wenn die anfängt zu erzählen, glaubt mir niemand mehr. Und Krümel... kein Wort zu deinen Eltern, okay? Die hatten schon genug Stress meinetwegen.“

Ich fühlte mich wie die allerletzte Hundescheiße. Heulte rum, weil ich die Trennung nicht aushielt, während Keks nicht nur damit zu kämpfen hatte sondern... oh mann! Was musste er

alles durchmachen. Wie verletzt und verstört musste er sein, dass seine Eltern nicht das kleinste bisschen Gefühl, Zuneigung, Verständnis oder wenigstens Mitleid für ihn aufbringen konnten. Dass Keks trotz der Kälte, die ihn seit sechzehn Jahren täglich umgab, überhaupt in der Lage war, so wahnsinnig viel Liebe zu geben, war mir fast unbegreiflich.

„Hör mal, ich weiß, dass ich dir total viel zumute und...es ist okay, wenn ich dich nicht mehr anrufen soll. Ich verstehe das.“

„Nein“, schrie ich entsetzt. „Ruf mich an. Es war doch nur, weil... ich vermisse dich so...“

„Ich dich auch, Babe. Ich denke echt in jeder Sekunde an dich.“

„Lass uns lieber aufhören damit. Sonst wird’s doch wieder schlimm.“

„Dann...dann melde ich mich bei dir?“

„Sobald es geht. Ich lieb dich, Keks.“

„Ich lieb dich auch, Krümel.“

Das Telefonat hatte nicht die gefürchtete Wirkung. Ich nahm mir nämlich jetzt vor, stark zu sein. Für Keks. Unserer Liebe konnte nichts und niemand etwas anhaben. Das würden wir allen beweisen!

Langsam fing ich an, wieder mehr mit Sascha rumzuhängen. Er und Kathrin waren sehr rücksichtsvoll. Es gab kein Geknutsche, kein verliebtes Getue, wenn wir drei zusammen waren. Das fand ich zwar unfair von mir, aber ich hätte es anders nicht ertragen können. Und

schließlich...die beiden verbrachten für diese Dinge genug Zeit ohne mich.

An einem Samstag, Keks hatte sich seit fast drei Wochen nicht gemeldet, beschlossen wir auszugehen. Das heißt, Kathrin und Sascha beschlossen es und nahmen mich mit. Mir war nicht sehr danach und alles ging mir auf die Nerven. Die laute Musik, die vielen Leute, der beschissene künstliche Nebel, von dem mir schlecht wurde, und dieser komische Typ, der mich die ganze Zeit anstarrte, während ich trübsinnig in einer Ecke hockte und an meiner Cola nuckelte. Die beiden Verliebten tanzten grad, da machte der Typ Anstalten, herüberzukommen. Ich setzte sofort meinen Ich-bin-nicht-an-Samlltalk-interessiert-Blick auf, war allerdings anscheinend nicht sehr erfolgreich, denn der Mensch setzte sich einfach neben mich.

„Hey“, sagte er.

„Was?“ fragte ich aggressiv.

„Ich hab ‘Hey‘ gesagt“, bölkte er gegen die Musik an. Seine dunklen Stachelhaare leuchteten im Discolicht blau und rot. Sein Lächeln war umwerfend... wenn ich mich dafür interessiert hätte, was ich aber nicht tat. „Bist du irgendwie traurig?“, laberte er unaufgefordert weiter.

„Wieso?“

„Weiß nicht, du siehst so aus“, entgegnete er.

„Das ist wohl der blödeste Spruch, den ich je gehört habe“, gab ich zurück.

„Entschuldige“, lächelte er verlegen, „ich hab diese ganze Anquatscherei nicht so drauf und...

du siehst nunmal wirklich traurig aus.“

„Und jetzt willst du mir helfen, oder was? Soll dir meine schlimme Lebensgeschichte erzählen, ja?“

„Eigentlich nicht. Ich meine, ich hab mich da drüben gelangweilt... so ganz allein. Und weil du halt auch grad allein bist, dachte ich...“

„Langweilen wir uns zusammen?“, fragte ich, nicht mehr ganz so abweisend.

Er zuckte die Schultern. „Ich heiße übrigens Emanuel. Und du?“

„Krümel.“

„Das ist ein Spitzname, oder?“

„Was sonst?“

„Cool. Ich meine, find ich süß... irgendwie. Bist du öfter hier?“

„Manchmal.“

„Okay, also...wenn du echt keinen Bock auf Gesellschaft hast, kann ich auch wieder gehen.“

Das klang nicht ärgerlich sondern sehr ernst gemeint. Und ein kleines bisschen enttäuscht.

„Nein“, rief ich, „bleib halt da.“

Obwohl ich nicht wollte unterhielten wir uns eine Weile. Emanuel war achtzehn und relativ neu in der Stadt. Wie sich herausstellte ging er auf Keks‘ Schule. Ich wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, als er es erwähnte. Noch schlimmer: Er war von Zuhause ausgezogen, weil er

Stress mit seinen Eltern hatte.

„Sieht aus, als hättest du jemanden aufgerissen“, zwinkerte Sascha, der sich mit Kathrin zu uns gesellte.

„Very funny“, muffelte ich. „Können wir bitte gehen?“

„Jetzt schon?“

„Ja, ich will da sein, falls Keks anruft.“

Wir verabschiedeten uns, tauschten Telefonnummern aus und ich hoffte, dass Emanuel sich nicht melden würde.

Tat er aber. Und zwar bereits zwei Tage später. Weil ich mich ein wenig verloren und einsam fühlte, fragte ich, ob er vorbeikommen wolle. Es konnte schließlich nicht schaden, jemanden außer Sascha zum quatschen zu haben. Emanuel war ja auch ziemlich nett. Ziemlich hübsch ebenfalls. In der schummerigen Discobeleuchtung war das noch nicht ganz so stark zu erkennen gewesen. Jetzt in meinem Zimmer fiel es mir sofort auf. Größe und Figur erinnerten mich an Keks. Die Klamotten...naja, trendy und ein bisschen angegruftet. Emanuel hatte seine

Augen dunkel geschminkt und die Nägel schwarz lackiert. Er roch leicht nach Vanille. Ich war etwas nervös und wusste plötzlich nicht mehr, wieso zum Teufel ich ihn überhaupt eingeladen hatte. Und dass er mich die ganze Zeit so anstrahlte, während wir auf meinem Bett saßen und Kakao tranken, machte alles nur noch unheimlicher.

„Hübscher Junge“, bemerkte er.

Verschämt nahm ich das Foto von meinem Pseudo-Nachttisch und schob es unters Kopfkissen. „Ja“, murmelte ich, „das ist Keks.“

„Wow... noch so ein niedlicher Spitzname“, lächelte er. „Dein... Bruder?“

„Mein Freund.“

Sein Lächeln verschwand. „Oh... ach so.“

„Hast du vielleicht ein Problem damit?“

Er kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. „Naja, nee, nicht direkt. Ich meine, ich hab halt schon irgendwie gedacht... äh...“

„Was?“

„Keine Ahnung. Ist ja auch nicht so wichtig. Warum lässt er dich denn allein ausgehen?“

„Weil er weg ist. Er kommt erst in einem Jahr zurück.“

„Und wo ist er?“, fragte Emanuel interessiert. „Doch nicht etwa im Knast?“

„Paris. Ist ‘ne lange Geschichte. Und nicht besonders schön.“

„Ah, deshalb bist du traurig. Mh...Keks und Krümel... schade, das klingt natürlich auch schon total viel passender als beispielsweise Krümel und Emanuel.“

Au weia... was sollte das denn bedeuten? „Ich liebe Keks“, stellte ich vorsichtshalber klar, „seit immer und für immer.“

„Tja, sieht aus, als müsste ich umdisponieren. Eigentlich hatte ich nämlich vor, dich heute zu verführen“, grinste er.

Ich wurde knallrot. „Äh... nee, oder?“

„Aber du scheinst sowas doch erwartet zu haben. Sonst hättest du mir nicht sofort von deinem Freund erzählt, wo wir uns erst drei Tage kennen und ich bis jetzt noch nicht einmal den Versuch unternommen habe, dich anzumachen.“

Ich begann vor Peinlichkeit zu schwitzen. „Tut mir leid, ich dachte...“

„Okay, zugegeben, wenn dein Keks nicht aufgetaucht wäre, hätte ich es wahrscheinlich tatsächlich jede Minute versucht. Aber nun wissen wir ja zum Glück ganz genau, woran wir sind.“

„Soll heißen?“

„Dass mir Freundschaft genauso wichtig ist wie Sex und Beziehung. Also, ist es erlaubt, uns näher kennenzulernen...rein freundschaftlich?“

„Äh, ja, ich glaub schon“, antwortete ich irritiert.

„Fein. Ich hab hier nämlich noch keine Freunde, bei denen ich einfach mal so rumhängen kann.“

Emanuel fügte sich recht schnell und recht gut in unsere kleine Clique ein. Ich war ganz froh, weil ich jetzt nicht mehr allein unter Pärchen sein musste. Wenn Kathrin mit Sascha schnuckeln wollte, oder Daniel mit Sanne, dann hatte ich eben Emanuel... rein freundschaftlich. Ich wurde trotzdem den Eindruck nicht los, dass er sich mehr erhoffte. Er

flirtete mit mir. Allerdings nicht so penetrant, dass es mir auf die Nerven ging, sondern irgendwie niedlich und lustig. Kathrin war selbstverständlich sofort in Emanuel verknallt. Schließlich war er ein hübscher, schwuler Junge. Sascha sah großzügig und kaum eifersüchtig über die Begeisterungsphase seiner Freundin hinweg. Eigentlich war alles ziemlich cool. Nur Keks fehlte. Uns allen. Mir besonders. Manchmal war es so schlimm, dass ich den ganzen Tag heulte und niemanden sehen wollte. Die anderen respektierten meine „Trauertage“, holten mich jedoch da raus, wenn sie der Meinung waren, ich hätte erstmal wieder genug geflennt.

Eines Abends, ich hatte grad Emanuel verabschiedet, rief Keks an.

„Hey, lange nichts von dir gehört“, begrüßte ich ihn mit Herzklopfen.

„Ja... ich war viel unterwegs.“

„Darfst du das jetzt?“

„Opa lässt mich gelegentlich von der Kette. Aber auch nur, weil ich ihm geschworen habe, dass du mir nichts mehr bedeutest und ich in Paris total glücklich und zufrieden bin.“

„Das ist doch hoffentlich gelogen?“, fragte ich entsetzt.

„Na klar. Oma ist die einzige, die weiß, dass ich dich immer noch liebe. Sie findet das Verhalten der Familie schändlich, kann sich aber leider nicht durchsetzen. Sie hat nix zu melden.“

„Schwulenhasser, Frauenunterdrücker... eine ganz reizende Familie.“

Er schwieg einen Moment. „Krümel, du klingst so... dir geht’s grad ganz gut, oder?“

„Naja, es ist auszuhalten. Irgendwie. Es sind ja nur noch acht läppische Monate, richtig?“

„Oh mann“, seufzte er, „hör bloß auf.“

„Es gibt übrigens einen Neuzugang, den du in acht Monaten kennenlernen wirst, falls er dann noch da ist.“

„Aha?“

„Ja, Emanuel. Wirst dich sicher mit ihm verstehen. Er ist total lustig und...Kathrin ist ziemlich verschossen.“

„Er ist also schwul?“

„Logisch.“

„Was noch?“

Ich erzählte ihm ein bisschen über Emanuel. Woher er kam, wie wir uns kennengelernt hatten usw.

„Gefällt er dir?“

„Nein“, rief ich schrill.

„Sag die Wahrheit, Krümel. Du hast mir eben sehr eindrucksvoll beschrieben, wie er aussieht.“

Ach du Scheiße, das war mir echt nicht aufgefallen. „Ich... er ist ganz hübsch und... nett und so“, stotterte ich. „Aber wir haben nichts miteinander. Er weiß, dass ich dich liebe.“

„Du erinnerst dich, was wir besprochen haben. Es ist okay, wenn du...“

„Lass das“, unterbrach ich ihn, „ich kann mir nicht vorstellen, einen anderen Typen zu küssen. Oder sonst was.“

„Und wenn du wüsstest, dass ich es getan habe?“

Wie bitte? Meine Eingeweide tanzten Polka. Und meine Ohren klingelten schmerzhaft. „Hast du?“, fragte ich.

„Ja“, antwortete er. „Und es ist noch...“

Ich legte angeekelt auf.

Keks knutschte in der Gegend rum, kaum dass er weg war. Super! Ich ging vor Sehnsucht die Wände hoch und er vergnügte sich. Fragte scheinheilig nach Emanuel, heuchelte Verständnis, weil er verdammt noch mal fremdknutschte. Mir war nach kotzen. Sicher hatte ich auch mal dran gedacht, Emanuel zu küssen. Aber: Dran denken und es tun waren immer noch zwei Paar Stiefel! Während ich Keks in meiner Phantasie böse Dinge antat, klingelte das Telefon.

„Krümel, es tut mir leid. Leg bitte nicht auf.“

„Ich will nicht mit dir reden, du Arsch.“

„Dass ich Etienne geküsst habe hat nichts mit uns zu tun. Kannst du dir nicht vorstellen, wie allein ich mich hier fühle? Ohne dich, ohne irgendwen. Dafür mit meinem Opa, der mich Arschficker nennt, wenn er besonders gut drauf ist, und einmal die Woche einen Bericht über mich bei den Idioten abliefert. Das ist alles so irre... ich hab halt ein kleines bisschen Nähe gebraucht.“

„Das verstehe ich sehr wohl. Gefallen muss es mir deswegen noch lange nicht. Ich... ich hab doch nur Angst, dass du dich verliebst und nicht zurück kommst“, schniefelte ich.

„Bist du bescheuert? Der Gedanke an dich ist das einzige, das mich überleben lässt, Krümel. Fuck, ich muss Schluss machen. Sag mir, dass du mich liebst... bitte.“ Seine Stimme zitterte.

„Ich lieb dich, Keks“, flüsterte ich und schmatzte einen Kuss in den Hörer.

Meine Gedanken gingen drunter, drüber, kreuz und quer. Ich war nicht sauer auf Keks sondern auf diese verdammte Situation. Sein Rumgeknutsche machte mir etwas aus, natürlich, es tat höllisch weh. Aber böse konnte ich ihm nicht sein. Nicht nach dem, was er gesagt hatte.

Im Gegensatz zu ihm ging’s mir doch eigentlich fabelhaft. Trotzdem. Er sollte verdammt noch mal mich küssen. Nur mich.

Am nächsten Abend war Party bei Sascha. Ich saß deprimiert herum und trank zu viel Bier.

Alle amüsierten sich... sollten sie ja auch. Nur weil ich mies drauf war, musste es den anderen nicht genauso gehen.

„Hey“, grüßte Emanuel und setzte sich zu mir.

„Was?“

„Ich hab ‘Hey‘ gesagt“, grinste er.

„Oh... hey.“

„Es ist nicht alles in Ordnung, oder?“

„Nein“, entgegnete ich finster, „die Welt ist ein Haufen Kacke.“

„Finde ich auch.“

„Warum?“, wollte ich wissen.

„Keine Ahnung, ich bin nur aus Sympathiegründen deiner Meinung.“

„Keks hat mit einem Typen geknutscht“, erklärte ich und trank mein Bier aus.

Emanuel zog eine Braue nach oben. „Möchtest du dich rächen?“

„Ich bin ihm nicht böse. Ist das nicht total verrückt?“

„Ja, schon“, zuckte er die Schultern.

Ich sah ihn an. Viel zu lange. Und ich begriff plötzlich, was vermutlich in Keks vorgegangen war. Mir fehlte... Nähe. Wärme, Umarmung, Kuscheln, Küssen... alles. „Willst du noch bleiben?“

„Nicht unbedingt. Warum?“

„Dann lass uns verschwinden.“

„Okay“, nickte er.

Kaum waren wir in meinem Zimmer kam die Nervosität zurück. Emanuel sah so hübsch aus und ich hatte doch noch nie was mit einem anderen Jungen gehabt. Wollte ich ja auch eigentlich nicht. Aber... ich legte mich einfach neben ihn aufs Bett und zog seinen Arm um meinen Körper. Seine Wange kuschelte sich an meinen Nacken.

„Was jetzt?“, wisperte er.

Ich drehte mich zu ihm um. „Möchtest du mich küssen?“

„Du kennst die Antwort, Krümel“, lächelte er.

„Ich will nicht, dass du dich in mich verliebst.“

Emanuel strich mir Haare aus der Stirn. „Das ist leider nicht mehr aufzuhalten.“

„Ich meine es ernst. Wenn Keks wieder da ist...“, weiter kam ich nicht, weil er mich küsste.

Ganz scheu und zurückhaltend. Seine Lippen waren unglaublich weich. Genauso wie seine Finger, die sich langsam unter mein Shirt stahlen und meinen Bauch streichelten.


Morgens ist es mit Keks am schönsten. Also eigentlich ist es immer schön mit Keks, aber morgens... wenn er gerade aufwacht, verschlafen blinzelt, seine Augen reibt, sich wohlig streckt und mir dieses unglaubliche Lächeln schenkt, das mein Herz total zum Poltern bringt...

liebe ich ihn so sehr, dass ich kaum atmen kann.

Wenn seine Haare verwuschelt sind und er nach mir tasten muss, weil er natürlich überhaupt

nicht sieht, ob ich da bin oder nicht, der kleine Blindfisch. Wenn er sich, noch total beduselt, in meine Arme schmust und ich ihn am liebsten für immer festhalten würde, weil ich plötzlich schreckliche Angst habe, er könnte irgendwann nicht mehr da sein. Ich meine, ich weiß, dass er mich liebt. Ich weiß das ganz genau. Aber tief in mir drin schwabbert halt diese fiese Panik, eines Morgens aufzuwachen und er liegt nicht neben mir.


Langsam streckte ich mich und schmiegte mich träge an den schlafenden Körper neben mir.

Mhhhh... mein Keks war zurück gekommen und... ich schnüffelte ein bisschen an seiner Haut.

Nein! Das war nur ein Traum. Er roch ganz anders. Gut, aber eben nicht wie Keks. Ich öffnete meine Augen und sah schwarze Zottelhaare.

„Bist du jetzt enttäuscht?“, fragte Emanuel leise.

Ich knabberte an seinem Nacken. „Und du?“

Umständlich drehte er sich zu mir. „Ich fand’s schön.“

„Ich auch“, erwiderte ich und stupste seine Nase.

„Aber ich bin nicht Keks.“

„Nein, bist du nicht“, flüsterte ich bevor wir uns küssten.

Sonntagmorgen mit Familie Krümel beim Frühstück. Emanuel wirkte einigermaßen eingeschüchtert. Paps schmierte sich ein Marmeladenbrötchen und biss herzhaft hinein. „So,

du bist also Emanuel. Ich muss sagen, wir haben schon viel von dir gehört, was Vera?“

„Eigentlich nicht“, lächelte Mom irritiert.

„Ach ja, richtig. Krümel hat überhaupt nichts von dir erzählt. Aber du scheinst ihm sehr wichtig zu sein, wenn er dich gleich zum Frühstück mit seinen Eltern einlädt.“

Emanuel wurde rot im Gesicht.

„Paps... lass ihn in Ruhe“, zischte ich, „bitte.“

„Entschuldige, mein Sohn, wenn ein fremder Junge an unserem Tisch sitzt, werde ich mir ja wohl Gedanken machen dürfen. Also, sehen wir den jungen Mann nun öfter?“

„Ihr kennt Emanuel. Er war schon ein paar Mal hier.“

„Die ganze Nacht aber noch nicht.“

„Ich... äh... es war zu spät, um nach... Hause...“, murmelte Emanuel.

Paps grinste fies. „Vera, er isst gar nichts. Er muss doch Hunger haben... immerhin hat er versucht, unseren Sohn aufzuessen.“ Er drehte mit einer Hand meinen Kopf zur Seite und untersuchte angestrengt den Knutschfleck an meinem Hals.

„Karsten“, begann Mom kopfschüttelnd, „vielleicht trinkt er nur Blut.“

Ich konnte mir gut vorstellen, dass Emanuel sich spätestens jetzt gerne weg gebeamt hätte.

Er hatte so einen Gesichtsausdruck.

„Keine Angst“, wisperte ich ihm zu, „dass sie so blöde Scherze machen, ist ein gutes Zeichen. Sie mögen dich.“

„Wir ziehen es in Erwägung“, verbesserte Paps. „Erstmal müssen wir ihn näher kennen. Was machen denn deine Eltern beruflich“, fuhr er im Plauderton fort.

Emanuels Blick sprach Bände.

„Ach du Schei... meine Güte, bin ich etwa in einen Fettnapf getreten?“

„Meine Eltern haben mich rausgeschmissen, als sie erfuhren, dass ich schwul bin“, erklärte Emanuel mit fester Stimme.

„Volltreffer“, bemerkte Mom.

„Treffer, versenkt“, entgegnete Paps grimmig. „Entschuldige, mein Junge, du musst nicht darüber reden.“

„Ist schon okay. Ich hatte das erwartet, als ich es ihnen erzählte. Keine große Überraschung.“

„Dass es immer noch solche Leute gibt“, schüttelte Paps den Kopf. „Und du wohnst jetzt ganz allein?“

„Nee, mit meiner Schwester zusammen. Die ist vor drei Jahren hergezogen.“

„Ich nehme an, du gehst noch zur Schule. Darf ich fragen, wie du das finanziell machst?“

„Papa“, mischte ich mich ein, „das geht dich doch echt nichts an.“

„Ich bekomme von meinen Eltern Geld. Sie bezahlen mich sozusagen dafür, dass ich aus ihrem Leben verschwunden bleibe.“

„Ekelhaft“, entfuhr es Mom bestürzt.

Ich kannte die Geschichte zwar schon, war allerdings ihrer Meinung. Und ich war unglaublich froh, dass meine Eltern waren, wie sie waren. Ich hatte echt verdammt Glück gehabt.

Als Emanuel nach Hause gegangen war, kam Paps in mein Zimmer. Das war eigenartig, weil er seit Jahren nicht einfach so in mein Zimmer gekommen war.

„Ist irgendwas?“, fragte ich.

„Lass uns kurz mal reden, Krümel.“ Er setzte sich mit seinem Aschenbecher an den Schreibtisch und zündete eine Zigarette an.

„Weiß Mom, dass du wieder angefangen hast?“

„Ja, und sie ist sehr erbost. Aber das ist nicht das Thema.“

„Okay, was ist das Thema.“

„Dein Liebesleben.“

Au weia... mir wurde spontan schlecht. „Wir... wir haben nicht... also...“, stammelte ich mit feuerroten Wangen.

„Krieg dich wieder ein“, winkte Paps ab, „darum geht’s nicht. Jedenfalls nicht direkt. Krümel, ist dir klar, was du tust?“

„Äh... ?“, machte ich.

„Lass mich anders fragen. Was ist mit Keks?“

„Wir haben eine Abmachung, was andere Jungs betrifft“, erklärte ich und überlegte noch, was das um alles in der Welt meinen Vater anging. „Solange wir getrennt sind, darf jeder tun und lassen, was er will. Ich liebe Keks und er liebt mich.“

„Ja. Aber weiß das auch Emanuel? Ich meine, der Junge ist doch offensichtlich verknallt in dich. Wie hast du dir das vorgestellt? Willst du ihn einfach abservieren, wenn Keks zurück kommt? Ist nicht grad die feine Art, oder?“

Mann, wollte ich vielleicht jetzt darüber nachdenken? Verdammter Mist! „Ich hab Emanuel

von Anfang an gesagt, was los ist.“

„Trotzdem wird er doch verletzt sein, meinst du nicht? Mir scheint, er hat genug Scheiße mit seinen Eltern durchgemacht. Tu ihm nicht auch noch weh.“

„Kann ich was dafür, dass er sich vielleicht in mich verliebt hat?“, fragte ich angepisst.

„Ich möchte nur, dass du gründlich nachdenkst, was du willst. Oder: wen du willst. Ich glaube nämlich, dass du Emanuel ziemlich gern hast, was wiederum Keks nicht gefallen wird. So eine Abmachung ist in der Theorie gut und schön. Praktisch ist das, entschuldige meinen Ausdruck, totaler Bullshit. Funktioniert in den seltensten Fällen so, wie man sich das vorgestellt hat.“ Er drückte seine zweite Zigarette aus und stand auf. „Und dass du mir ja nie das Rauchen anfängst. Verdammte Sucht.“ Damit ließ er mich mit meinem Elend allein. Warum musste er mir diesen blöden Vortrag halten? Ging es mir nicht schon schlecht genug?

Ich hatte Keks betrogen. So irgendwie. Logisch, würde ich es ihm sagen und wir würden uns dann versprechen, dass es okay ist, weil wir ja eben diese bekloppte Abmachung hatten. Ich fand nur auch grad, dass die völliger Schwachsinn war. Noch schlimmer war allerdings, dass ich Emanuel wirklich gern hatte. Mehr als ich sollte. Mehr als ich durfte. Keks hatte mir erlaubt, rumzumachen. Jedoch nicht: mich zu... verlieben!

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