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Keks & Krümel

Teil 4

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Informationen

 

My days are so lonely – my nights are so blue

I’m here and I’m lonely – I’m waiting for you

„Hey, du hättest die Bettwäsche ruhig schon wechseln können“, ruft Keks aus der Dusche.

Ich spucke das Zahncremewasser ins Waschbecken und steige zu ihm unter den warmen Wasserstrahl. „Wieso?“

„Na, weil ich längst wieder da bin.“

„Das ändert doch nichts an der Aussage“, erkläre ich und schmiege mich an seinen nassen Rücken.

Wenn Keks mich nämlich allein lässt, um mit Orgelkursen oder weiß der Fuchs was nach irgendwohin zu fahren, ziehe ich immer die Ohne-dich-ist-alles-doof-Bettwäsche auf. Logischerweise lacht er mich deshalb aus, obwohl er sie mir geschenkt hat.

Langsam dreht er sich um und strahlt mich an. „Du gefällst mir so gut, Krümel“, sagt er... genauso wie Sailor das zu Lula in Wild At Heart sagt.

„Ich hoffe, das, was ich gleich mit dir mache, gefällt dir auch“, grinse ich, lasse meine

Finger über seine Brust gleiten und spiele ein bisschen mit seinen Nippeln.

„Mhhhhh...ich bin da sehr optimistisch“, seufzt er und küsst mich.


Ich war überhaupt nicht verliebt in Emanuel. Wir hatten geknutscht und ein bisschen gefummelt. Und? Das hieß noch lange nicht, dass ich verliebt war. Wenn er das nun annahm, nahm er eben was Falsches an. Ich liebte Keks und hätte so gerne mit ihm gesprochen, aber der meldete sich schon wieder nicht. Dafür kam Leonie aus Amerika zurück und textete alle mit ihren tollen Erlebnissen zu. Es interessierte mich leider einen Scheiß, weswegen ich ein arg schlechtes Gewissen hatte. Immerhin war sie meine Schwester, ich mochte sie und normalerweise wäre ich vielleicht aufmerksamer gewesen, aber mir ging halt so viel im Kopf herum.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie süß die Jungs da sind“, schwärmte sie und ließ sich auf meinem Bett nieder.

Ich hatte irgendwie grad gar keinen Bock auf sie, traute mich jedoch nicht, ihr das zu sagen.

„Wo wir bei süßen Boys sind...was ist denn mit Emanuel?“

„Was soll mit dem sein?“, knurrte ich.

„Naja, weiß nicht. Ich war so lange weg und hab keine Ahnung mehr, was so läuft. Ich meine, läuft was zwischen euch?“

„Stehen wir uns so nah, dass ich sowas mit dir besprechen müsste?“

„Ja, wieso nicht? Überleg mal, wie verwirrend das für mich ist, nach Hause zu kommen und mein kleiner Bruder schnuckelt nicht mit seinem Keks, sondern mit einem Emanuel. Ich bin quasi geschockt“, erklärte Leonie und befummelte Murphy.

„Nicht anfassen“, schrie ich. „Der gehört doch Keks“, fügte ich leise hinzu.

Sie setzte das Stofftier ab und sah mich an. „Also ist er doch noch aktuell?“

„Keks wird immer aktuell sein.“

„Ach so...dann ist Emanuel nur eine Notlösung, wenn du...äh...haben wir jemals über Sex geredet?“

Ich wurde ein bisschen rot. „Nee. Und Emanuel ist keine Notlösung.“

„Dann wollt ihr eine Dreierbeziehung führen, wenn Keks wieder da ist?“

„Nein“, stöhnte ich genervt. „Wieso erzählst du mir nicht einfach noch ein bisschen von Amerika? Ich hab keine Lust, über mich nachzudenken.“

Die nächsten zwei Stunden war ich gerettet. Dann tauchte Emanuel auf, was nicht unbedingt angenehmer war, als Leonies Redeschwall ertragen zu müssen.

„Du...ähem...du hast dich gar nicht mehr gemeldet“, begann er, als meine Schwester endlich weg war.

„Wir haben doch ständig telefoniert“, erklärte ich müde.

„Du weißt, was ich meine.“

Ach verdammt! Warum musste er schon wieder so hübsch und traurig aussehen? Schon allein wie er neben mir saß. Nervös irgendwie. Mit geröteten Wangen. Ich wurde total weich und zog ihn in meine Arme.

„Ich bin nicht hergekommen, um mich verführen zu lassen“, sagte er leise, während ich an seinem Hals nuckelte.

„Aber was dagegen hast du auch nicht, oder?“

„Ich nicht. Dein Freund in Paris schon“, seufzte er und schob mich weg.

„Du hältst mich jetzt sicher für ein totales Arschloch.“

Emanuel schüttelte den Kopf. „Warum sollte ich? Ist doch normal, dass man...naja, ein bisschen knutschen will und Sex und so. Leider will ich mehr und hab keine Lust auf den Katzenjammer, wenn dein Freund wieder da ist. Der wird eh schon groß genug.“

„Es tut mir leid“, sagte ich ehrlich.

„Ja“, antwortete er nachdenklich. „Also gehen wir lieber wieder zum rein Freundschaftlichen über, oder?“

„Ist vielleicht besser.“

„Ich muss gestehen, es fällt mir echt schwer, Krümel.“

Oh, mir fiel es auch schwer. Wenn ich grad mal nicht an Keks dachte. Und wenn er nicht bald zurückkam...du meine Güte!

„Und? Wirst du ihm sagen, was zwischen uns passiert ist? Oder hast du schon?“

„Ja. Nein. Er hat sich lange nicht gemeldet.“

Emanuel legte sich bequem auf die Seite. „Ich finde es irgendwie...mh, er geht doch ein ziemliches Risiko ein, wenn er dir erlaubt...hat er denn überhaupt keine Angst, dich zu verlieren?“

Hatte ich mich vor einigen Monaten nicht dasselbe gefragt?! „Anscheinend nicht. Es besteht

ja auch kein Grund.“

„Nein“, murmelte er, „natürlich nicht.“

Wieso beschlich mich immer dieses blöde Gefühl, ihm mit allem, was ich sagte, weh zu tun?

Es war doch nicht meine Schuld, dass er mehr wollte als ich ihm geben konnte, verdammt. Wäre es besser gewesen, ihn anzulügen? Vielleicht war eine bloße Freundschaft mit Emanuel doch nicht so einfach. Irgendwie würde er sich vielleicht doch immer Hoffnungen machen.

„Mann, ich hab echt ein Talent, ständig in tolle Beziehungen reinzuplatzen“, bemerkte er. „Wenn Kathrin so weiter macht, wird Sascha mir irgendwann die Fresse einschlagen. Wow, die Frau ist unglaublich. Dabei läuft ihre Flirterei so völlig ins Leere.“

„Und genau das weiß Sascha.“

„Mal unter uns: ganz dicht sind die beide nicht, oder?“, grinste er.

Ich zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich verstehen die sich deshalb so prima. Übrigens hasse ich Kathrin.“

Emanuel sah mich überrascht an. „Ah ja? Warum?“

„Weil die ungefähr jeden schwulen Typen anmacht...nur mich nicht. Als ob ich so hässlich wäre.“

„Du bist der hübscheste von allen.“

Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, fand allerdings, dass das Gespräch schon wieder in eine blöde Richtung driftete. Emanuel merkte es ebenfalls.

„Sorry, das ist mir so rausgerutscht.“

„Schon okay“, murmelte ich ein bisschen verlegen.

Am späten Abend rief dann endlich Keks an. Nach tausend Wochen.

„Wieso meldest du dich nie mehr?“, begrüßte ich ihn nörgelig.

„Hatte Telefonverbot. Und zuvor einen fiesen Wutausbruch.“

„Kannst du nicht mal versuchen, das in den Griff zu kriegen?“

„Du meinst...zum Psychiater gehen? No way, ich finde mich leider überdurchschnittlich gesund und normal im Kopf.“

„Ständig auszuticken und Sachen kaputt zu hauen würde ich nicht unbedingt als normal und gesund bezeichnen“, entgegnete ich.

„Würdest du das Verhalten meiner Familie als normal bezeichnen? Meinen Opa kennst du zwar nicht, aber...der ist noch schlimmer als die Idioten. Er sagt mir nämlich jeden Tag sehr deutlich, was er von mir hält. Dieses alte Dreckschwein.“

„Und deswegen bist du ausgerastet“, stellte ich fest.

„Nee, er wollte nicht, dass ich Etienne treffe.“

Vielen Dank, Opa! „Na und?“

„Ich wollte mit ihm ein Klavierstück üben aber Opa meinte, wir würden wahrscheinlich bloß üben, wie tief er reingeht. Verstehst du...sowas sagt der andauernd. Das kann man eine gewisse Zeit ignorieren oder versuchen auszuhalten. Aber irgendwann ist es einfach zuviel. Dabei habe ich mich dann noch total zurückgehalten. Eigentlich hatte ich vor, ihm in die Fresse zu schlagen. Stattdessen hab ich nur gegen den Türrahmen gedonnert. Ich konnte doch nicht wissen, dass der nicht so stabil ist, wie er aussieht. Jedenfalls ist der kaputt. Genau wie meine Hand. Deshalb konnte ich nicht an der beschissenen Prüfung teilnehmen und bekam Telefonverbot, Ausgehverbot, Verbotverbot. Der Arzt wurde ins Haus bestellt...alles klar?!“

„Keks...ich bin so schrecklich verliebt in dich und vermisse es total, dich zu küssen.“

„Hast du was ausgefressen?“, fragte er.

„Hä?“

„Na...willst du mir vielleicht etwas beichten?“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich kenne dich eben gut. Was soll der plötzliche Gefühlsausbruch? Hast du ein schlechtes Gewissen?“

„Ich hab mit Emanuel rumgemacht.“

Keks seufzte. „Ja, das dachte ich mir schon.“

„Und das ist dir egal?“

„Bist du verblödet?“, bollerte er los. „Natürlich strahle ich grad nicht heller als die Sonne. Ich will verdammt noch mal mit dir rummachen.“

„Aber...du hast gesagt“, begann ich vorsichtig.

„Weiß ich doch“, unterbrach er mich. „Und ich finde es auch gut, dass du’s mir erzählst aber...weh tut es trotzdem, mir vorzustellen...oh mann. Hör mal, Krümel, du musst mir jetzt was versprechen, okay? Du darfst dich nicht in einen anderen Typen verlieben. Niemals.“

„Versprochen.“

„Ernsthaft...ich kann es hier noch ein paar Monate aushalten ohne dich. Mein ganzes Leben lang ist unmöglich. Vollkommen und absolut unmöglich. Ich lieb dich und ich brauche dich.“

Ohhhhh...es tat so gut, das zu hören! Und ich beschloss auf der Stelle, niemals mehr mit Emanuel irgendwas zu veranstalten.

Leider war das nicht einfach.

Auf Saschas Samstagabendparty fand ich mich bereits wieder ziemlich dicht an Emanuel gekuschelt. Obwohl...gekuschelt nicht ganz das richtige Wort war. Wir saßen halt eng zusammen. Mussten wir ja auch, weil wir uns unterhielten und die Musik doch so laut war.

Er erzählte was von einer tollen neuen Band, die er entdeckt hatte, als Kathrin angerannt kam. Ohne ein Wort zu sagen nahm sie meine Hand und riss mich hinter sich her aufs...Klo?!

„Äh...?“, machte ich ein wenig hilflos.

„Okay“, schnaufte sie, „was soll der Kack?“

„Was meinst du denn?“

„Willst du unbedingt noch ein Leben kaputt machen? Keks‘ hast du schon ruiniert, also lass wenigstens Emanuel in Ruhe.“

Ich war fassungslos. „Wie bitte?“

„Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass du an allem Schuld bist? Keks sitzt deinetwegen allein in Paris. Und Emanuel ist deinetwegen völlig fertig. Wann hörst du endlich auf, immer nur an dich zu denken, du egoistischer Penner?“, keifte sie.

Oha, jetzt war es passiert. Kathrin hatte den Verstand verloren. Ob das allen Mädchen, die sich andauernd in Schwule verknallten, irgendwann zustieß?

„Du hast doch überhaupt keine Ahnung, was abgeht, also warum hältst du nicht dein blödes Maul?“, lächelte ich böse.

„Von wegen. Ich hab keine Skrupel, dir die Meinung zu sagen. Mann, wie alle um dich rum eiern, weil du doch so schlimm dran bist ohne Keks. Ich kann’s echt mir echt nicht mehr ziehen. Dabei hattest du durchaus mein Mitgefühl. Jedenfalls bevor du diese Sache mit Emanuel angefangen hast.“

Die hatte doch Drogen genommen. „Ich hab’s satt, dass mir alle sagen, was ich tun soll. Was bist du? Beschützerin der Schwulen, oder was? Und Krümel ist der teuflische Verführer, ja?

Ich kann nix dafür, dass du ständig abblitzt, weil du keinen Schwanz hast. Kümmer dich um deinen eigenen Kram, du frustrierte Zicke. Wie du Sascha behandelst...darüber solltest du nachdenken. Soll ich noch mal mit ihm knutschen, damit er für dich wieder interessant wird? Kein Problem. Ich treib’s nämlich gerne mit jedem, während Keks ahnungslos in Paris sitzt. Und Emanuel lasse ich dabei zuschauen, nur um ihm zu zeigen, was er niemals bekommen wird“, schrie ich ihr ins Gesicht und stürmte aus dem Badezimmer.

„Krümel, was ist los?“, fragte Emanuel bestürzt, als ich mich wütend neben ihn knallte.

„Die Furie.“

„Hä?“

„Kathrin hat sich in eine Geisteskranke verwandelt. Und ich bin der Buhmann der Nation.“

„Muss ich das verstehen?“

Ich sah ihn an. „Keine Ahnung. Wenn du dich bei ihr ausgeheult hast, weil ich so ein schrecklicher Mensch bin, der dich benutzt, schon, ja.“

Emanuel verzog das Gesicht. „Au weia...da hat sie wohl was missverstanden. Ich hab ihr nur gesagt...naja, wie schwierig das alles ist.“

„Bitte lass das in Zukunft. Ruf meinetwegen die Telefonseelsorge an.“

„Entschuldige, dass ich mit jemandem über meine Gefühle quatschen wollte. Kommt nicht wieder vor“, entgegnete er angepisst.

„So war das doch gar nicht gemeint“, stöhnte ich und rieb mir die Schläfen. „Es ist nur...dass in Kathrins Universum immer ich der Arsch bin. Erst konnte sie bei Keks nicht landen, weil er mich liebt. Jetzt hast du sie abgeschmettert, weil du...“

„Ja“, zuckte er die Schultern, „ich lieb dich auch. Sag’s ruhig.“

„Ich will das nicht, Emanuel.“

Er lächelte gequält. „Denkst du, ich hätte mir das ausgesucht? Aber ich versuche, damit klarzukommen, weil ich dich als Freund behalten möchte. Das hab ich übrigens auch Kathrin gesagt. Und zwar genau so. Ich hab bestimmt nicht dir die Schuld gegeben. Wäre ja auch total bescheuert, oder? Dinge passieren halt, da kann man nix dran machen.“

„Aber wenn wir nicht...vielleicht denke ich tatsächlich immer nur an mich. Als du bei mir geschlafen hast...ich brauchte jemanden, der mich festhält.“

„Naja, wenn wir so anfangen wollen...ich hab die Situation sehr gerne ausgenutzt. Nehmen, was man kriegen kann.“

„Also sind wir beide fiese Ärsche?“

„Nee“, schüttelte er den Kopf, „nur in einer beschissenen Situation gefangen.“

„Ich hab dich echt gern, Emanuel.“

„Klar, aber das reicht halt nicht.“

Gegenüber lungerte Kathrin rum und starrte mich giftig an. Der alten Kakerlake würde ich es zeigen! „Du, Emanuel...darf ich dich vielleicht doch mal kurz benutzen?“

„Ähem...okay?!“

Ich rückte näher und strich ihm über die Wange, dann streckte ich Kathrin sehr genüsslich und sehr porno-like die Zunge raus, um sie anschließend in Emanuels Mund zu stecken. Er knutschte sofort drauflos und...naja, Kathrin war ziemlich schnell vergessen. Der Kuss haute mich ein bisschen um. Ich wollte es nicht, aber...ich war plötzlich ganz schön scharf auf Emanuel. Den regelmäßigen Sex mit Keks gab’s ja schon seit Monaten nicht mehr. Oh Gott... Keks! Nein, er hatte es erlaubt. Nur verlieben sollte ich mich nicht. Ich war nicht verliebt, ich war geil. Und Emanuel? Hatten wir nicht grad noch beschlossen, nur Freunde zu sein, oder so ähnlich? Verdammt, er war viel zu süß. Und viel zu willig.

„Lass uns...“, begann er atemlos.

„Zu mir gehen.“

„Fuck.“

„Du sagst es“, grinste ich und küsste ihn erneut.

„Das ist keine gute Idee“, faselte er immer wieder, während wir uns knutschend auf meinem Bett wälzten und gegenseitig die Klamotten auszogen.

„Sicher nicht“, bestätigte ich jedesmal und beschäftigte mich mit seinem harten Schwanz.

Emanuel gab leise Kiekser von sich...Gott, war das niedlich. Und lustig, zugegeben, ich musste kichern. Vielleicht aber auch, weil ich trotz meiner Geilheit irgendwie unsicher war. Derartige Sachen hatten eben bislang nur mit Keks stattgefunden. Bei ihm wusste ich ganz genau, was ich wie zu tun hatte. Aber Emanuel und ich hatten‘s dann irgendwann raus und haben so ziemlich alles gemacht...außer miteinander zu schlafen. Das war etwas, das nur Keks gehörte und kam mir total richtig vor. Aber es war natürlich völlig bescheuert. Ich war mit einem anderen Jungen im Bett. Ob ich nun meinen Schwanz in seinen Hintern steckte oder in seinen Mund, spielte das eine Rolle?

„Ich glaube, wir haben grad unsere Freundschaft ruiniert“, flüsterte Emanuel und küsste meinen Nacken.

Seufzend drehte ich mich zu ihm um und...musste schon wieder kichern.

„Was? Findest du das komisch?“

„Dir ist schon klar, dass du...beim Sex quietschst, oder?“

„Wie bitte?“, fragte er verwirrt.

Ich versuchte, seine Kiekser nachzumachen. Wohl ziemlich erfolgreich, denn Emanuel wurde unglaublich rot und versteckte seinen Schädel unter der Bettdecke.

„Ach du Scheiße...wie peinlich“, stammelte er.

„Süß“, verbesserte ich, zog die Decke runter und drückte ihm einen Kuss auf die heiße Wange.

„Mal ehrlich...wie soll’s denn jetzt weitergehen?“

„Ich hab nicht die leiseste Ahnung“, gab ich zu.

Als Emanuel nach Hause gegangen war, überkam mich eine wahnsinnige Keks-Sehnsucht.

Klar, ich hatte meinen Spaß gehabt, aber...mein Kuschelbedürfnis war alles andere als befriedigt und Murphy nur ein schwacher Ersatz. Immerhin bildete ich mir ein, dass er noch nach Keks roch. Das half mir beim Einschlafen.

Die nächsten paar Wochen waren keinesfalls großartig. Kathrin und ich waren offiziell zerstritten, Sascha war zwischen uns beiden hin und hergerissen. Einerseits wollte er natürlich keinen Stress mit seiner Freundin, andererseits fand er, sie sollte sich nicht andauernd in alles einmischen und mich endlich in Ruhe lassen. Wahrscheinlich wurde ihm aber auch so langsam klar, dass er bei ihr die ewige Nummer Zwei sein würde. Ein Trostpflaster, weil sie weder bei Keks noch bei Emanuel eine Chance hatte. Trotz allem tat sie mir wirklich leid. Sich andauernd nach etwas zu sehnen, was man niemals bekommen konnte...das musste echt die Hölle sein. Ich glaube, sie merkte oft gar nicht, wie sehr es Sascha verletzte, dass sie sich mehr um Keks‘ oder Emanuels Seelenleben sorgte als um das ihres Freundes. Sie war einfach total verpeilt und kriegte das selbst am allerwenigsten mit. Ich dagegen wusste meistens sehr genau, was ich tat. Mir war erschreckend klar, dass ich Emanuel eine unsichtbare Leine um den Hals gelegt hatte, an der ich immer dann zog, wenn ich ein bisschen Nähe brauchte oder er sich zu weit von mir weg bewegte. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass ich von Anfang an mit offenen Karten gespielt hatte und er sich schließlich nicht darauf hätte einlassen müssen. Das war allerdings eine lahme Entschuldigung für mein Verhalten. Aber er beschwerte sich ja auch nie. Also ließ ich das alles erstmal so laufen und er schien zufrieden zu sein.

Dann kam dieser beknackte Abend in so’nem Schwulenclub, in den Emanuel mich geschleift hatte. Ich hatte logischerweise mal wieder schlechte Laune, weil Keks sich ewig nicht gemeldet hatte und überhaupt. Er dagegen war bestialischer Stimmung. Echt, als hätte er heimlich von einer tollen Droge genascht. Er tanzte die ganze Zeit und...äh...machte er möglicherweise grad ein paar Jungs an? Das war ja wohl das Allerletzte. Wir waren zusammen hergekommen und eigentlich dachte ich, wir würden auch zusammen nach Hause gehen. Danach sah es momentan nicht aus. Es schien, als wollte Emanuel um jeden Preis einen Typen aufreißen. Der war nicht einmal besonders hübsch. Also...hübsch vielleicht schon, aber eben nicht besonders. Der Typ fing schon an, Emanuel ein wenig zu befummeln. Bevor die beiden dazu kamen, sich abzuschlecken, stampfte ich zu ihnen rüber.

„Ich will nach Hause. Kommst du mit oder nicht?“

„Warum?“, fragte Emanuel und ließ sich aufs Ohrläppchen küssen. Von dem Typen. Während ich daneben stand!

„Mach doch von mir aus, was du willst“, schnaubte ich.

„Warte...ich verstehe dein Problem nicht.“

„Dann denk mal schön drüber nach“, zischte ich und wollte gehen.

Emanuel fasste mich am Arm. „Darin bist du ja einsame Spitze, mh?“

„Fick dich.“

„Hört mal“, mischte sich der Typ ein, „ich hab keinen Bock auf euren Beziehungsstress.“

„Wir haben keine Beziehung“, antworteten wir gleichzeitig.

„Alles klar“, grinste der Typ blöde und verschwand.

„Vielen Dank“, maulte Emanuel. „Warum zum Teufel versemmelst du mir die Chance auf eine heiße Nacht?“

„Ich gehe doch nicht mit dir aus, um dann allein rumzuhängen. Warum hast mich überhaupt mitgenommen, wenn du bloß scharf auf einen Fick bist?“

„Du bist echt zu dämlich, Krümel. Was soll ich denn machen, hä? Warten, dass Keks zurückkommt und du mich abschießt, weil Keks ja eh der Tollste und Schönste und Beste ist?

Ich hab’s satt, zweite Wahl zu sein. Dich immer nur küssen zu dürfen, wenn du mal wieder verzweifelt bist und Trost brauchst.“

„Ich hab dir nie irgendwas versprochen.“

„Du bist echt der egoistischste Drecksack, der mir je über den Weg gelaufen ist. Alles muss sich um dich drehen. Alles muss nach deinen Regeln laufen. Blas mir doch ruhig einen, aber wenn mein Freund wieder da ist, kannst du dich verpissen.“

„Das hab ich so gar nicht gesagt“, versuchte ich mich zu verteidigen.

„Aber gemeint schon, oder?“

Au weia!! „Das hast du gewusst. Hättest jederzeit aufhören können.“

„Geil“, lachte Emanuel bitter, „anstatt mir jetzt was Nettes zu sagen, weil du ein schlechtes Gewissen haben müsstest, weil dir meine Gefühle anscheinend scheißegal sind, setzt du noch einen drauf. Naja, ist ja auch meine Schuld. Schließlich war ich so blöde, mich trotz aller Warnungen in dich zu verlieben. Also stellen wir mal fest: ich darf dir an die Wäsche gehen, wenn du Bock drauf hast, aber mit keinem anderen Typen was haben. Junge, kauf dir ‘ne Sexpuppe.“

Emanuel ging Richtung Tanzfläche, ich allein nach Hause und flennte bitterlich. Er hatte Recht gehabt. Mit allem. Und doch auch wieder nicht. Klar, lief es so, wie ich wollte. Aber nur weil...keine Ahnung. Irgendwo ein Typ saß, den ich zu lieben glaubte, nur leider fast gar nicht mehr kannte. Mal ehrlich, was wusste ich denn noch von Keks? Es gab Zeiten, da konnte ich seinen Tagesablauf auswendig runterbeten. Ich wusste genau, was er tat, wo er sich aufhielt, welchen Tee er grad trank, welches Shampoo er benutzte, welche Musik er zum Einschlafen hörte. Wusste, wie er sich fühlte, was in ihm vorging, worüber er nachdachte. Das gab’s nicht mehr. Es gab nur noch einen Traum. Eine Vorstellung von meinem Keks. Emanuel dagegen war real. Er war süß und bei mir. Ich hatte ihn gern aber ich war nicht verliebt. Wenn wir zusammen waren...ich hatte immer den Eindruck, dass etwas fehlte. Es war schön, ihn zu küssen, zu umarmen, aber ich spürte halt nicht diesen ultimativen Kick, den Keks mir schon gab, wenn er mich bloß anlächelte. Emanuel war einfach...angenehm. Meine Eifersucht war wohl eher sowas wie verletzte Eitelkeit gewesen. Schließlich gefiel es mir, umschwärmt zu werden und plötzlich war ich abgemeldet. Ehrlich gesagt fand ich den Gedanken, dass Emanuel einen anderen Jungen küsste nicht wirklich schlimm.

Was Keks betraf hatte ich irgendwie den Überblick verloren. Liebte ich ihn noch? Oder anders gesagt... liebte ich ihn bloß noch, weil es eben immer so gewesen war? Würde es mir etwas ausmachen, wenn er nicht zurück kam? Als er im Internat war, hatte ich geglaubt, ohne ihn nicht weiterleben zu können. Allerdings tat ich gerade genau das und zwar schon viele Monate lang. Sicher vermisste ich ihn oft so heftig, dass ich fast wahnsinnig wurde, aber vielleicht war das lediglich ein verzweifeltes Klammern an die Vergangenheit. Oder ich wollte ihn weiter lieben, weil ich mich insgeheim doch schuldig fühlte. Es war nun einmal so: Keks hatte meinetwegen diesen ganzen Stress und er vertraute darauf, dass, wenn er wieder da war, alles in Ordnung sein würde. Aber was, wenn es Keks ähnlich ging? Was, wenn wir uns die ganze Zeit etwas vormachten, weil keiner zugeben wollte, dass wir uns völlig fremd geworden waren?

Ein paar Tage später hatte ich genügend Mut gesammelt, mich mit Emanuel auszusprechen.

Er nahm meine Entschuldigung zwar an, fand aber, dass es besser war, uns nicht mehr so oft zu sehen. Also eigentlich erstmal gar nicht mehr. Das war bestimmt vernünftig, wenn auch ziemlich traurig. Zwischen Sascha und Kathrin kriselte es, deshalb hing ich wieder viel mit ihm rum. Konnten wir uns eben gegenseitig volljammern.

Wir saßen auf seinem Dachboden, leerten eine Flasche Billigwein und taten uns schrecklich leid.

„Kennst du das, wenn du mit jemandem zusammen bist und alles ist schön aber trotzdem fehlt irgendwas?“, fragte er und knibbelte das Etikett der Flasche ab.

HAHAHAHAHA!!! „Sagen wir mal...es ist mir nicht gänzlich unbekannt.“

„Ich glaube, Kathrin hat das bei mir. Und es gibt verdammt noch mal nichts, was ich dagegen tun kann. Sie mag mich. Sie findet es nett mit mir.“ Er lachte bitter. „Nett. Und ich küsse den Boden, auf dem sie wandelt. Es ist zum Kotzen, wenn man andauert das Gefühl hat, unzureichend zu sein. Ich hab echt keine Ahnung, was die Frau eigentlich will.“

„Weiß ich auch nicht“, lallte ich. „Ich weiß gar nichts. Nicht einmal, ob ich Keks noch liebe.“

„Was?“, röchelte er, weil er sich wahrscheinlich vor Schreck verschluckt hatte. „Tu mir das nicht an, Krümel. Wenn du dich von Keks trennst, verliere ich den Glauben an die Liebe.“

„Niemand hat was von Trennung gesagt. Ich denke bloß nach.“

„Dann denkst du falsch. Du und Keks...ihr seid für einander bestimmt, falls es sowas

tatsächlich gibt. Wenn ihr nicht mehr zusammen seid, wird diese Welt untergehen.“

„Du bist doch besoffen.“

„Allerdings“, nickte er zufrieden. „Soll ich dir sagen, was passiert, wenn Keks vor dir steht?“

„Ich kann’s kaum erwarten.“

„Ihr werdet euch tief in die Augen schauen, blöde grinsen und übereinander herfallen, wie zwei Irre. Euch dumm und dämlich ficken und allen mit eurer abartigen Verliebtheit auf den Sack gehen. Kathrin wird daraufhin am Boden zerstört sein, weil sie immer noch nicht bei Keks landen kann, Emanuel wird am Boden zerstört sein, weil er bei dir nicht landen kann und ich werde zum Schwulenhasser, weil meine Freundin es bloß NETT findet, mit mir zusammen zu sein.“

„Unser Glück bedeutet also zwangsläufig euer aller Unglück. Vielleicht sollten wir alle gemeinschaftlichen Selbstmord begehen? Oder würde es schon reichen, wenn Keks und ich uns gegenseitig abknallen?“

„Eine gute Frage. Lass uns bei einem weiteren Fläschchen Wein darüber nachdenken“, grinste Sascha betrunken.

Wir beratschlagten also duselig, wie wir uns am besten aus dem Leben kicken wollten. Zum Schluss waren wir uns einig, dass nur Kathrin, Keks und Emanuel dran glauben sollten. Wenn die aus dem Weg geräumt waren, wollten Sascha und ich heiraten, auf einem Bauernhof leben und Esel züchten.

„Wieso eigentlich Esel?“, fragte ich und angelte nach der Weinflasche.

„Wieso nicht? Hast du etwa was gegen Esel?“

„Nee, aber...was kann man denn mit denen machen?“

Sascha verstand offenbar nicht, worauf ich hinaus wollte.

„Also...Schweine zum Beispiel...die werden irgendwann geschlachtet. Kühe auch. Und vorher geben die Milch. Hühner, Gänse...alles nützliche Tiere. Was zur Hölle sollen wir mit Eseln anfangen?“

„Uns daran erfreuen“, antwortete Sascha ernst. „Esel sind süß. Halt du dir doch von mir aus

eine Kuh oder ein Schwein zum aufessen, wenn du willst.“

„Oder Schafe. Da können wir dann Pullover draus stricken und verkaufen. Von irgendwas muss man schließlich leben.“

Sascha setzte sich schwungvoll auf. „Unser Obst und Gemüse bringt doch genug Geld.“

„Aha.“

„Ja, überleg doch mal...bei uns ist alles frisch und knackig. Die Leute wollen keinen Labberscheiß aus’m Glas. Da bezahlen die auch gerne ein paar Euro mehr. Hauptsache gesund.“

„Kann ich heute hier schlafen? Ich glaube, ich schaff’s nicht mehr nach Hause.“

Sascha nickte und zählte sämtliche Obst-und Gemüsesorten auf, die wir anbauen wollten. Als er danach wieder anfing, von Eseln zu schwärmen, zog ich es vor, einzuschlafen.

Aufgewacht bin ich mit furchtbarem Schädelschmerz und Sascha, der fast auf mir lag.

„Ey“, ich stupste ihn an, „geh runter von mir.“

„Mmmmmhhhhmmmpf“, grummelte er.

Aus weiter Ferne hörte ich Schritte auf Treppenstufen und Tritte auf der kleinen Leiter, die zum Dachboden führte.

„Was ist denn hier los?“

Ich hob meinen Kopf ein klitzekleines bisschen vom Kissen und ließ ihn sogleich wieder sinken.

„Reichen dir zwei Typen nicht? Willst du jetzt auch noch meinen Freund verführen, du Arsch?“

Kathrin war ärgerlich, keine Frage. Ich war allerdings der Meinung, sie fand unseren Anblick

auch ganz schön...anregend.

„Wenn du ihn öfter mal verführen würdest, müsste er sich nicht in meine Arme flüchten. Und schrei um Himmelswillen nicht so. Wir haben Kopfschmerzen“, entgegnete ich matt.

„Kein Wunder“, fauchte sie, als ihr Blick auf die leeren Weinflaschen fiel. Langsam kroch sie

zu uns auf’s Bett. „Ihr...habt doch keine Dummheiten gemacht?“

„Nee“, antworteten Sascha und ich gleichzeitig, obwohl die Tatsache, dass wir komplett angezogen waren, eigentlich ausgereicht hätte. „Aber wir waren kurz davor“, fügte ich hinzu.

Sascha schüttelte vorsichtig den Kopf und zog Kathrin in seine Arme. Ein hervorragender Zeitpunkt, mich zu verpissen.

Als ich nach Hause kam, erklärte Paps, Keks habe angerufen und sei reichlich bedröppelt gewesen, weil ich nicht da war. Na großartig!

„Warst du bei Emanuel?“

„Sascha. Mit Emanuel hab ich Schluss gemacht...oder so ähnlich.“

„Hast du getrunken?“, fragte er und schnüffelte an mir herum. „Du stinkst wie eine Spirituosenhandlung.“

„Paps, ich bin volljährig, okay? Also darf ich wohl mal einen Schluck Alkohol trinken.“

Mein achtzehnter Geburtstag lag schon eine Weile zurück und war für mich ein Tag wie jeder andere gewesen. Natürlich hatte ich Geschenke bekommen, aber allen erklärt, dass eventuelle Partypläne mal schön fallengelassen werden sollten. Schließlich gab es keinen Grund zum

Feiern.

„Ich hab dich bloß gefragt. Geh duschen und nimm eine Kopfschmerztablette...siehst aus, als könntest du beides dringend gebrauchen.“

„Was hat Keks denn gesagt? Wie hat er sich angehört? Geh es ihm gut?“

„Nicht viel. Traurig. Nein, ich denke, es geht ihm nicht so besonders. Er hat versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich kenne ihn schließlich seit fünfzehn Jahren. Es wird Zeit, dass er nach Hause kommt.“

„Allerdings“, murmelte ich und ging ins Bett, um mit Murphy zu kuscheln. Mir war übel, was nicht am gestrigen Alkoholkonsum lag. Keks hatte sich nach hundert Jahren endlich gemeldet und ich war nicht da gewesen. Hatte seine Stimme nicht hören können. Ich hasste die ganze Welt, mich selbst am allermeisten und heulte vor Wut. Ich hätte mich schlagen, treten, in die Luft jagen können. Alles was ich tatsächlich tun konnte, war, darauf zu warten, dass er bald wieder anrief.

Langsam wurde es wärmer...Sommer. Der vierzehnte Juli rückte immer näher. Keks‘ Geburtstag. In einer Woche sollte er wieder bei mir sein, ich konnte es irgendwie nicht fassen. Über ein Jahr hatten wir uns nicht gesehen und plötzlich ging alles so schnell. Ob er sich sehr verändert hatte? Ob ich in seinen Augen anders aussah? Vielleicht gefiel ich ihm gar nicht mehr. Vielleicht hatte er seinen Plan, aus Paris abzuhauen, aufgegeben. Ich hatte eigentlich gedacht, wir würden vorher telefonieren, besprechen, wann er ankommen würde und so weiter. Aber von Keks kam nichts. Das machte mich logischerweise extrem nervös. Ich schlief nicht mehr, aß kaum noch, rauchte dafür wie ein Schlot. Auch wenn ich Paps versprochen hatte, niemals damit anzufangen, es beruhigte wenigstens ein bisschen die Nerven. Meine Haut juckte und kribbelte trotzdem. Und stillsitzen konnte ich auch nicht. Dieser Zustand war ganz schön anstrengend. Am Stichtag war es sogar noch schlimmer. Ich schlich durchs Haus, glotzte alle paar Sekunden auf die Uhr und mein Herz fühlte sich an, als wollte es explodieren. Mein Magen hatte sich in irgend etwas Brodelndes, Bollerndes verwandelt. Mom hatte Keks‘ Lieblingstorte gezaubert, Erdbeer-Schoko-Sahne, total hübsch verziert mit Zuckerherzchen und kleinen bunten Kerzen. Als sie das Teil in den Kühlschrank schob fiel mir plötzlich ein, dass ich gar kein Geschenk für Keks hatte. Ach du Scheiße! Jetzt noch loszulaufen, um irgendwas für ihn zu besorgen, war einfach nicht drin. Außerdem hatte ich keine Ahnung, was ich ihm hätte schenken sollen. Das lief ja schonmal verdammt großartig. Keks‘ achtzehnter Geburtstag und ich stand mit leeren Händen da. Naja, okay, richtig feiern würden wir eh erst morgen. Sascha hatte logischerweise eine Überraschungs-Geburtstags-Willkommen-Zu-Hause-Party organisiert...sowas richtig Blödes, wo sich alle erst verstecken und dann aufspringen und freudig herumbrüllen sollten.

Meine Hände schwitzen erbärmlich, meine Füße ebenfalls, je später es wurde. Mom, Paps, Leonie und ich saßen im Wohnzimmer und jeder lauschte angestrengt, ob es nicht bald klingelte. Das tat es nicht. Den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend gab die Türklingel nicht einen beschissenen Laut von sich. Ich hätte mich so bekotzen können. Keks kam nicht nach Hause.

„Er kommt sicher“, versuchte Paps uns alle, aber vor allem sich selbst zu beruhigen. „Keks ist bestimmt grad unterwegs. Wir wissen ja nicht, wann er losgefahren ist und ob seine Großeltern ihn so einfach weggelassen haben. Er wird bald hier sein.“

Ich glaubte nicht daran. So gegen eins, halb zwei beschlossen Mom und Paps, ins Bett zu gehen. Leonie war bereits vor einer Weile in ihr Zimmer verschwunden. Ich war zum Umfallen müde, aber gleichzeitig hellwach. Das Ticken der Küchenuhr drang ins Wohnzimmer und schmerzte fast in meinen Ohren. Als es draußen hell wurde, schlurfte ich mit der fürchterlichen Erkenntnis, Keks niemals wieder zu sehen, die Treppe rauf, legte mich ins Bett und hoffte, dass mich ein schneller Tod ereilen würde.


Meine Augen sind noch geschlossen. Sonnenstrahlen kitzeln meine Wangen und von irgendwoher weht süßer Schokoladenduft an meine Nase.

„Ich hab Frühstück gemacht, werd endlich wach“, fordert Keks.

Ich strecke mich wohlig, gähne ausgiebig und ziehe ihn in meine Arme.

„Der Kakao wird kalt“, flüstert er.

„Ist doch egal“, antworte ich und küsse ihn.

Sonntags ist immer unser Frühstück-im-Bett-Tag. Eigentlich bin ich ja derjenige, der das bereitet, aber heute hab ich total verpennt. Kein Wunder...Keks hat mich die ganze Nacht wachgehalten. Erst mit Sex, dann mit kuscheln und danach mit Orgel-Kurs-Geschichten. Geschwärmt hat er...von seinem Kursleiter. Keks ist nämlich ein kleines bisschen verschossen, weil der Typ so verwegen aussieht, obwohl er Kirchenmusiker ist. Eifersüchtig macht mich das aber nicht. Begeistert sein ist bei uns durchaus erlaubt. Naja und schließlich ist der Kerl verheiratet...mit einer Frau.

„Hast du überhaupt Hunger?“, grinst Keks.

Ich schlinge meine Beine um seine Hüfte und spiele mit seinen Haaren. „Ja...hinterher.“


Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen öffnete, war hellichter Tag und Keks saß auf meinem Bett.

„Du hättest gestern hier sein sollen“, murmelte ich total weggetreten, „Mom hat extra ‘ne Torte für dich gebacken.“

„Ja, ich weiß. Aber es war alles so chaotisch und ich...hatte noch einige Dinge zu erledigen.“

Keks sah müde aus, unordentlich. „Ich hab im Auto gepennt“, erklärte er, „wir sind die ganze Nacht gefahren.“

„Wir?“

„Ich hab in Paris einen Typen aus Deutschland kennengelernt. Der musste gestern wieder zurück und hat mich mitgenommen.“

„Wissen meine Eltern...ich meine...“, ich wusste nicht, was ich eigentlich meinte. Die Situation schien so unwirklich. Keks wirkte so fremd. Seine Haare waren irgendwie anders und er trug Klamotten, die ich nicht kannte. Um sein Handgelenk schlängelte sich ein Silberschnürchen, an dem kleine Eiffeltürme baumelten. Das machte mich ein wenig betroffen. Normalerweise hatte Keks für derartigen Kitsch nichts übrig. Allerdings sah das Armband total nach Mädchenkram aus...und dafür hatte er früher mal sehr viel übrig gehabt. Einen Ohrring trug er. Einen kleinen, silbernen Amor, wenn meine Augen das richtig erkannten.

„Wie lange bist du denn schon hier?“

„Vielleicht ‘ne Stunde. Deine Eltern haben sich so gefreut, dass die mich erstmal unten festgehalten haben, dabei wollte ich nur zu dir. Naja und als ich ins Zimmer kam und du so süß geschlafen hast...mit Murphy im Arm...“

Zaghaft schob ich meine Hände in seine. Keks rückte ein Stück näher.

„Ich...ich hab manchmal nicht mehr dran geglaubt“, flüsterte er. Seine Augen glitzerten feucht, obwohl er lächelte.

Ich nahm ihn in die Arme. Das fühlte sich nicht fremd an, sondern warm und vertraut. Seine Haut war noch genauso weich, seine Lippen auch.

„Keks?“

„Mhhhhh...“, seufzte er.

„Happy Birthday. Ich hab leider noch kein Geschenk für dich, weil...“

„Ich hab alles, was ich brauche“, unterbrach er mich.

„...ich nicht sicher war, ob du...“

„Krieg ich einen Geburtstagskuss?“

Den bekam er. Eigentlich hatte ich einen kurzen Kuss geplant, aber als sich unsere Lippen berührten schlängelte Keks gleich seine Zunge in meinen Mund. Die Frage, ob ich ihm noch gefiel, war auf alle Fälle schonmal geklärt. Ich konnte mich dennoch nicht uneingeschränkt freuen. Dafür war das alles zu irrsinnig. Mein Verstand, mein Herz war einfach überfordert.

Ich sprang auf und lief nervös im Zimmer umher.

„Wir sollten langsam runtergehen...Torte essen. Und...nachher müssen wir zu Sascha, der gibt eine Party für dich, die eigentlich eine Überraschung sein soll, aber...jetzt hab ich’s ja schon verraten. Und...und dann müssen wir doch überlegen, wie alles weitergehen soll.“

„Was meinst du mit weitergehen?“, fragte er skeptisch.

„Naja...alles eben. Deine Eltern, Schule und...äh...wohnen“, erklärte ich stammelnd, weil es mir irgendwie peinlich war, dass mir grad nur so praktische Dinge einfielen.

Das Kaffeetrinken war echt anstrengend. Jedenfalls für Keks. Er wurde nämlich von Mom, Paps und Leonie mit Fragen bombardiert. Er redete drauflos, was Paris an Sehenswürdigkeiten zu bieten und wieviel er klaviertechnisch gelernt hatte und ließ natürlich all die schrecklichen Sachen, die im Haus seiner Großeltern abgelaufen waren, aus. Bei ihm klang es so, als hätte er lediglich einen schönen Urlaub verlebt. Er verteilte sogar Mitbringsel an alle.

„Dein Geschenk bekommst du später“, flüsterte er und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Ich fand es unheimlich, dass alle auf Keks‘ Spiel einstiegen, fröhlich und unbeschwert taten, obwohl doch jeder die Wahrheit kannte. Er war über ein Jahr von mir ferngehalten und seelisch misshandelt worden, verdammte Scheiße!! Einem Menschen jeden Tag zu sagen, dass er ein Arschficker ist, pervers und abartig, ein kleiner Schwuler, der überhaupt keine Lebensberechtigung hat...das war und ist für mich Misshandlung. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, welchen Schaden Keks davongetragen hatte.

Paps war der erste, der wenigstens halbwegs in die Realität zurück kam. Er wollte in den nächsten Tagen mit Keks besprechen, wie seine Pläne aussahen und wie er in Zukunft mit seinen Eltern umzugehen gedachte. Die Probleme hörten ja schließlich nicht auf, nur weil Keks volljährig war. Ich wünschte Paps insgeheim viel Spaß und noch mehr Geduld, diesbezüglich irgendwas aus ihm herauszubekommen.

Die Überraschungsparty war...gigantisch. Alles freute sich wie Hulle, ich bekam Keks den Abend kaum zu Gesicht und war der festen Überzeugung, dass Kathrin einen Orgasmus nach dem anderen kriegte, während sie meinen Freund umarmte und knuddelte. Sascha dagegen kriegte die Krise, was ich sehr gut verstand. Da saßen wir also...eifersüchtig bis zum Gehtnichmehr. Die Tatsache, dass ich eifersüchtig war, machte mich allerdings froh. Das hieß doch, dass ich Keks noch liebte, oder?! Aber dass ich mich überhaupt noch mit der Frage beschäftigen musste, war andererseits auch ein schlechtes Zeichen. Ich war völlig durcheinander. Keks anscheinend nicht. Wie schon beim Kaffeeklatsch am Nachmittag war er lustig und charmant, erzählte eifrig seine Paris-ist-eine-tolle-Stadt-Story x-mal und lächelte süß, wenn sich unsere Blicke trafen.

„Ich hab keinen Bock mehr“, seufzte Sascha neben mir und drehte seine Bierflasche in den Händen. „Ich mach Schluss.“

Wie bitte? Hatte ich mich verhört? Mir brach der Schweiß aus. „Sascha...du kannst doch nicht...ich meine, ach du scheiße...“

„Nicht mit meinem Leben, Krümel. Mit Kathrin“, erklärte er. „Bringt doch irgendwie nichts, so zu tun als ob alles in Ordnung wäre, obwohl wir beide wissen, dass wir uns schlecht fühlen. Ich lieb die Frau aber...mann das reicht eben nicht.“

Mir fielen leider keine tröstenden Worte ein also umarmte ich ihn umständlich.

„Es würde vielleicht helfen, wenn du mit Keks in eine andere Stadt...nee, vergiss es, er war ein Jahr weg und es hat nichts geändert.“

Warum war ich so unsicher, wenn für Kathrin die Sache total klar war? Ich begriff das nicht.

Und je näher die Nacht kam, die Keks ja wohl in meinem Bett verbringen wollte, desto nervöser wurde ich. Die Party war irgendwann gegen drei zuende, Sascha hatte angeboten, bei ihm zu schlafen, was Keks jedoch ablehnte. Also schlenderten wir relativ schweigend, aber Hand in Hand nach Hause.

„Endlich allein“, seufzte er, ließ sich aufs Bett fallen und zog mich gleich mit. Seine Hand streichelte meine Wange und er sah aus, als wollte er mich küssen.

„Lass...lass uns das verschieben, okay? Ich bin echt müde. War alles ziemlich anstrengend heute.“

Er nickte, zog sich aus und schlüpfte unter die Decke. Ich bekam nicht viel Schlaf, wälzte mich hin und her, weil ich es nicht mehr gewohnt war, dass jemand neben mir lag.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, Neuigkeiten auszutauschen. Ich lernte Etienne und Marie-Claire kennen...die einzigen Freunde, die Keks in Paris hatte. Besser gesagt: mit denen er was hatte. Jedenfalls mit Etienne. Ich hasste ihn abgrundtief. Marie-Claire dagegen schien nett zu sein...sie war dreiundzwanzig, hatte ein Kind und keinerlei sexuelles Interesse an meinem Freund gehabt.

„Bei Marie-Claire hab ich mich immer ausgeheult“, erzählte Keks, „was ungefähr jeden Tag war. Und sie möchte, dass wir beide sie bald mal besuchen.“

„Ich verstehe die doch eh nicht.“

„Sie spricht ganz gut Deutsch“, lachte Keks. „Wir haben uns gegenseitig eine Menge beigebracht. Und Julien, ihr Sohn, ist total süß. Ich hätte den am liebsten mitgenommen.“

Au weia...seit wann hatte Keks denn was für Kinder übrig?! Nebenbei erfuhr ich übrigens auch, dass er die ganze Zeit über Kontakt zu Kathrin gehabt hatte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie ihm von der Romanze zwischen Krümel und Emanuel berichtet hatte und hakte sie endgültig ab. Ob Sascha sich nun von ihr trennte oder nicht...ich wollte mit ihr nichts mehr zu tun haben. Und ich wollte, dass dieses Heile-Welt-Spiel endlich aufhörte. Es war verdammt noch mal nicht alles in Ordnung. Wir verbrachten so viel Zeit wie möglich zusammen, redeten über unwichtiges Zeug, schliefen im selben Bett...aber es gab keinerlei

Wärme. Keine wirkliche Nähe. Das lag hauptsächlich an mir. Keks unternahm ab und zu den Versuch, mich anzufassen, doch ich blockte immer und kam mir dabei wie ein Idiot vor. Abzuwehren, was ich doch eigentlich dringend wollte. Nach zwei Wochen hatte Keks wohl aufgegeben. Er gab mir nicht mal mehr den Gutenacht-Kuss auf die Wange. Ich fragte mich, wie lange wir diese Situation noch durch hielten?!

Es war Freitagabend. Wir kamen grad von Sascha zurück und lagen schweigend auf meinem Bett, da nahm Keks sein Armband ab und friemelte es um mein Handgelenk. „Dein Geschenk“, flüsterte er, „ich hoffe, es gefällt dir.“

„Danke“, murmelte ich irritiert, weil ich das schon total vergessen hatte.

„Hier“, er deutete auf die Innenseite.

Da war etwas eingraviert...Keks&Krümel, daneben ein Herz.

„Das ist wirklich...äh...süß.“

„Ich hab’s die ganze Zeit in Paris getragen und irgendwie...das klingt vielleicht bescheuert... aber jedesmal, wenn ich’s angesehen habe, hat es mir eingeredet, dass du auf mich wartest, dass du mich liebst, egal was passiert. Es hat mich davor beschützt, aufzugeben. Wenn ich Angst hatte, dass du mich vielleicht nicht mehr zurück haben willst. Und dich soll es daran erinnern, dass ich dich niemals, niemals wieder alleine lassen werde. Weißt du...nach Paris zu gehen war der schlimmste Fehler meines Lebens, das ist mir spätestens klar geworden, als Emanuel auftauchte.“

„Aber nach Hause gekommen bist du trotzdem nicht“, entgegnete ich bitter.

Er senkte den Kopf. „Nein. Weil es einfacher war, daran zu glauben, dass du mich liebst, als die Wahrheit mit ansehen zu müssen. Jedesmal, wenn du am Telefon von Emanuel geschwärmt hast, jedesmal wenn Kathrin von euch erzählte, hatte ich ein bisschen mehr das Gefühl, dich zu verlieren. Logischerweise hätte ich handeln müssen, als mich in meine Krümel-liebt-Keks-für-immer-und-ewig-Traumwelt zu flüchten.“

„Emanuel hatte nie eine Chance gegen dich.“

„Aber warum bist du so...ich darf dich nicht küssen, dich nicht anfassen. Wenn es nichts mit Emanuel zu tun hat, was ist es dann? Willst du nicht mehr mit mir zusammen sein? Hab...hab ich alles kaputt gemacht?“

Sein trauriger Blick, das Zittern in seiner Stimme...mir war, als würde mein Herz zerreißen.

„Es hat sich so viel verändert, Keks. Ich weiß verdammt nochmal überhaupt nicht mehr, wer du bist. Und seien wir mal ehrlich...wir sind doch schon seit einem Jahr nicht mehr zusammen.“

„Meine Gefühle haben sich nicht verändert“, sagte er leise. „Deine?“

Ich schwieg.

„Dann sollte ich nicht mehr hier sein“, schniefelte er.

„Wo willst du denn hin? Zu deinen Eltern?“

Keks rieb sich die Augen. „Ich kann bestimmt erstmal bei Sascha bleiben bis...“

„Paps reißt mir die Rübe ab, wenn ich dich wegschicke.“

Er sah mich an. „Denkst du, ich möchte mich von dir bloß geduldet fühlen, weil du keinen Stress mit Mama und Papa haben willst? Sie werden das schon verstehen.“

Ich schaute ihm dabei zu, wie er seine Tasche packte. Langsam, als würde er darauf warten, dass ich vielleicht doch noch meine Meinung änderte. Ich pulte allerdings lieber an meiner Bettdecke rum. Als meine Hand unter das Kopfkissen glitt, spürte sie einen Gegenstand, der sich als Schachtel „Liebeslakritze“ entpuppte. Keks und ich hatten schon immer die Angewohnheit gehabt, Süßigkeiten für den anderen zu verstecken. Einfach so. Ich erinnerte mich an die Schokoherzen, die ich in meinen Klamotten gefunden hatte, als er wieder ins Internat musste, und die roten Weingummimünder, die ich in seiner Tasche versteckt hatte. Meine Augen wurden feucht, während ich die Lakritz-Packung umklammerte und ihn an der Tür stehen sah. Ich begriff plötzlich, dass, wenn Keks erst durch die Tür gegangen war, alles vorbei sein würde. Das Ende unserer Beziehung. Wir hatten Paris überstanden und sollten jetzt scheitern?!

Das ist dein Keks, der im Begriff ist, wegzugehen und du bist derjenige, der grad alles kaputt macht...schrie mein Herz.

„Warte“, schrie es aus meinem Mund.

Keks zuckte zusammen und drehte sich um. Ich stürzte auf ihn zu.

„Meine Gefühle haben sich auch nicht geändert“, wisperte ich.

„Krümel...“

„Schhhh...“, unterbrach ich ihn und legte meinen Finger auf seine Lippen. „Ich liebe dich und will den Rest meines Lebens mit dir verbringen, Keks.“ Meine Hand wuselte durch seine Haare, sie dufteten schwach nach Pfirsichshampoo. Seine Hände strichen über meine Hüften, während wir uns küssten. Als seine Finger meine nackte Haut streichelten, jagten Blitze durch meinen Körper. Ich musste mich an ihn pressen und wie irre an seinem Hals knabbern. Keks‘ Hand strich aufreizend über meinen harten Schwanz.

„Ich hab dich vermisst...Gott, ich hab das so vermisst, Babe“, stöhnte ich.

Wir stolperten aufs Bett, Keks zog mir das Shirt aus und küsste meinen Hals, ließ seine Zunge über meine Brust wandern und tippte fast schmerzhaft gegen meine Nippel. Seine Finger öffneten meine Jeans, glitten hinein und ich begann heftig zu zittern. Mir blieb die Luft weg, ich japste verzweifelt und je mehr ich japste, desto schlimmer wurde es.

„Was ist los?“, fragte er besorgt.

„Ich will das, aber...ich kann nicht...das ist...zu...viel, ich...“, schluchzte ich.

„Is okay.“ Er legte sich auf den Rücken, zog mich in seine Arme und streichelte mir beruhigend über den Rücken.

Nach einer Weile hatte ich das mit dem Atmen wieder halbwegs raus. Mein Körper entspannte sich. „Bist du jetzt enttäuscht?“

„Na logisch, Blödmann“, grummelte er. „Alles, was ich von dir will, ist Sex.“

„Nenn mich nicht Blödmann, du Arsch. Und ich wusste schon immer, dass du nur Vögeln im Kopf hast.“

„Ach ja? Du hast doch damit angefangen, also tu mal nicht so unschuldig. Mich im Haus deiner Eltern verführen zu wollen...“

„Ich dich verführen? Du spinnst wohl“, maulte ich.

Keks wirbelte mich herum und drückte meine Handgelenke auf die Matratze. „Genug gestritten“, grinste er. „Vertragen wir uns wieder?“

„Meinetwegen.“

„Woll’n wir’s nochmal versuchen? Ganz langsam und vorsichtig?“

„Ich lieb dich, Keks.“

„Ich dich auch, Krümel“, flüsterte er und küsste mich.

Der Sex, der danach folgte, war unglaublich. Vielleicht hatte ich keine Ahnung, welche Musik Keks momentan bevorzugte oder welche Teesorte er mochte und möglicherweise war ihm noch nicht aufgefallen, dass ich neuerdings ab und zu rauchte, aber...was den anderen scharf machte, wussten wir beide noch sehr genau! Da gab es kein bisschen Unsicherheit. Langsam und vorsichtig gab es ebenfalls nicht. Naja, zuerst schon. Aber dann trieben wir es so heftig, dass ich zwischendurch echt Panik hatte, meine Eltern würden uns nicht nur hören, sondern ins Zimmer stürzen, um nachzusehen, ob wir uns gegenseitig abmurksten.

Ich traute mich am nächsten Morgen kaum runter, um Frühstück für uns zu holen.

„Ich will das mal durchgehen lassen“, begann Paps, als ich ein Tablett mit Kakao und Schokobrötchen belud, „die Wiedersehensfreude, die lange Abstinenz, da kann man es schon mal überTREIBEN.“

Mein Schädel verwandelte sich in ein rotes, heißes Irgendwas.

„Ihr solltet aber trotzdem bedenken, dass noch drei andere Personen hier leben und schlafen wollen. Wie würde es dir gefallen, wenn es deine Mutter und mich derart überkäme, mh?“

„Paps, bitte...“, krächzte ich peinlich berührt. Ob meine Eltern Sex hatten, ging mich doch nun wirklich nichts an.

„Und weißt du, wozu sich deine Schwester gezwungen sah?“

Leonie biss in ihr Brötchen und hielt beiläufig eine Packung Ohrenstöpsel in die Höhe, ohne von ihrer Zeitschrift aufzuschauen.

„Tut mir leid. Es...es kommt nicht wieder vor.“

„Wenigstens nicht in dieser Lautstärke, verstanden?“, nickte Paps.

„Au je...wir waren zu laut“, stellte Keks fest, als er mein belämmertes Gesicht sah.

Ich setzte das Tablett ab und hüpfte zu ihm ins Bett. „Viel zu laut.“

„Ganz schön peinlich, wenn die eigenen Eltern einen beim Sex hören“, kicherte er. „Dein Papa wird mich doch nicht auf unsere Pornonummer letzte Nacht ansprechen?“

„Du bist genauso Mitglied dieser Familie wie ich also erwarte bloß keine Samthandschuhe.“

„Na schön, ich werde ihm sagen, dass du mich gezwungen hast. Wie immer“, antwortete er und streckte mir die Zunge raus.

Ich nahm ihm die Tasse aus der Hand, stellte sie auf den Boden und...knallte ein Kissen in seine grinsende Visage.

„Das kriegst du zurück, du Penner!“, rief er und stürzte sich auf mich.

Ich schlang Arme und Beine um ihn. „Okay, sei aber bitte nicht wieder so unanständig laut.“

„Hab ich dir heute eigentlich schon...“

„Einen geblasen?“, giggelte ich. „Nein. Oder doch, wenn man’s genau nimmt schon. Aber das zählt nicht, weil der nächste Tag immer erst anfängt, wenn man geschlafen...“

„Krümel?“

„Ja?“

„Halt die Klappe“, lächelte er und küsste mich so süß, dass ich augenblicklich den Verstand verlieren wollte.

„Sag mal...deine Eltern wissen noch gar nicht, dass du wieder hier bist?“, fragte ich während einer Knutschpause.

Keks schlürfte langsam seinen Kakao. „Ich bin mir sicher, sie wurden über meinen Weggang unterrichtet. Eigentlich wundert es mich, dass die bis jetzt noch nichts unternommen haben, um mir weiterhin das Leben zur Hölle zu machen. Meine Mutter wird doch krank, wenn sie wittert, dass es mir eventuell gut gehen könnte.“

„Aber jetzt kann sie dich nicht mehr verschleppen.“

„Nee“, antwortete er finster, „die kann sich ins Knie ficken. Weißt du, ich hatte die letzten Monate Zeit, über viele Dinge nachzudenken. Dabei ist mir klar geworden, und ich meine wirklich klargeworden, dass ich mich von dem Gedanken verabschieden muss, ich könnte irgendwas ändern. Meine Mutter hasst mich, mein Vater interessiert sich einen Scheiß für mich, mein Opa würde mir am liebsten einen rosa Winkel an die Jacke tackern und mich ins Lager schicken...guck mich nicht so an, das waren exakt seine Worte...ich weiß nicht, woher das kommt und warum die so sind, ich weiß nur, es spielt keine Rolle mehr. Nichts, was die sagen oder denken interessiert mich. Und verletzen tut es mich schon gar nicht mehr. Du weißt besser als irgend jemand, dass ich immer auf cool gemacht hab und innerlich fast kaputt gegangen bin. Das ist vorbei, Krümel. Ich hab endlich begriffen, was du die ganze Zeit gesagt hast: meine Familie, mein Zuhause ist hier.“

„Und um das einzusehen musstest du eine Ewigkeit in Paris rumgammeln?“

„Anscheinend“, seufzte er. „Schon komisch, mh? Ich bin dageblieben, weil ich meinen Ex-Eltern beweisen wollte, dass nichts, was sie tun, Einfluss auf unsere Beziehung hat...und hätte dich beinahe verloren. Weißt du, was mir am meisten gefehlt hat?“

„Sex?“, schlug ich blöde grinsend vor.

„Dass du mich festhältst. Wenn wir zusammen einschlafen und ich dein Herz schlagen höre, dann fühle ich mich vollkommen ruhig und wenn du mich festhältst, dann hab ich vor nichts mehr Angst.“

Ich schluckte den medizinballgroßen Knoten in meinem Hals runter und zog ihn in meine Arme. „Erzähl mir, wie es wirklich in Paris war, Keks.“

„Die andauernden Beschimpfungen waren mir irgendwann egal. Mein Opa ist halt ein Arschloch, was soll’s?! Aber er hat gesagt, es wäre besser gewesen, wenn meine Mutter mich abgetrieben hätte...wie sie es vorgehabt hatte. Ich sei es nicht wert, dass sich überhaupt jemand mit mir abgibt und mein kleiner schwuler Freund würde bald einsehen, dass er seine Zeit mit mir verschwendet. Ich solle bloß nicht denken, dass der so einem Versager wie mir auch nur eine Träne nachjaulen würde. Und weißt du, was er mir zum Abschied gesagt hat? Er hofft, dass...dass mich irgendein Arschficker mit Aids ansteckt und ich krepiere.“ Er sah mich an und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Kannst du dir das vorstellen? Ich meine... wie sehr muss man jemanden hassen, dass man ihm sowas sagt?“, schluchzte er.

Mir war speiübel. Mein armer Keks. Wenn man mich gelassen hätte...ich wäre sofort losgegangen, um seine gesamte Familie auszurotten. Ich schlang meine Arme fester um seinen zitternden Körper. „Hey...nicht weinen. Du bist jetzt wieder hier...bei mir...also vergiss diesen Bastard.“

„Manchmal“, sagte er sehr leise, „dachte ich, er hätte Recht...mit allem. Dass du ohne mich besser dran bist, dass ich es nicht verdiene...“

„Keks“, unterbrach ich ihn wütend, „du fängst mit so einer Scheiße gar nicht erst an, klar?!

Du weißt ganz genau, dass nichts von dem, was sich dieser...Mensch...zusammengefaselt hat,

stimmt. Und wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, was du in Paris aushalten musstest, wäre ich sofort gekommen und hätte dich da weggeholt.“ Kaum zu Ende gesprochen, durchkroch mich ein schrecklicher Gedanke. Ich hatte es gewusst...vielleicht nicht in allen Einzelheiten, aber doch genug...und ich hatte nichts getan. Anstatt ihm zu helfen, hatte ich Keks erzählt, was ich mit einem anderen Typen getrieben hatte, während er diesem Monster ausgeliefert gewesen war. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich es überhaupt verdiente, dass Keks mich immer noch liebte?!

„So wie du mich aus dem Internat gerettet hast, mh?“, lächelte er schniefelnd.

Wenigstens die Sache hatte ich hinbekommen. Trösten konnte mich der Gedanke trotzdem nicht.

„Du bist mir manchmal echt unheimlich, Keks.“

Er sah mich fragend an.

„Du hast so viel durchgemacht...jeder normale Mensch wäre da irgendwann zum totalen Psycho mutiert. Zum Amokläufer, Elternmörder, was weiß ich.“

„Ich gebe zu...ich hab öfter dran gedacht. Aber im Knast oder in der Klapse kann ich dich schließlich nicht küssen.“

„Ernsthaft, Keks.“

Er kuschelte sich tiefer in meine Arme. „Ich bin nur so stark, weil ich dich habe. Wenn du nicht wärst, hätte ich längst aufgegeben.“

„Ja, na klar, jetzt bin ich der Held.“

„Ein bisschen schon. Wer hat denn seit der Grundschule versucht, mich zu beschützen, mh?

Hast dich meinetwegen geprügelt, wenn mich irgend jemand drangsalierte.“

„Das ist doch was anderes“, murmelte ich, „deine Eltern...“

„Spielen keine Rolle mehr“, unterbrach er mich. „Wenn ich meine restlichen Sachen geholt habe, bin ich fertig mit denen.“

„Du willst da nochmal hin?“, fragte ich entsetzt.

„Das muss ich wohl. Oder besser gesagt: wir. Ich will, dass du mitkommst...ich brauch dich.“

Mir wurde schlagartig kotzschlecht. Ich konnte mich noch allzu gut an das letzte Mal erinnern. Allerdings war jetzt nicht der Zeitpunkt, den Feigling zu spielen. Keks allein zu den Verrückten zu lassen, stand nicht zur Debatte!

Logischerweise hätte ich die ganze Aktion liebend gerne mehrere Jahre vor mir hergeschoben, Keks wollte sie allerdings schon in den nächsten Tagen durchziehen. Vorher hatte er noch ein ultra wichtiges Gespräch mit Paps. Allein. Das fand ich ziemlich beschissen...seit wann hatte Keks Geheimnisse vor mir?! Mal abgesehen von der Prügelnummer im Internat, mal abgesehen von der Widerwärtigkeit seines Großvaters und mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass er mit Etienne geschlafen hatte. Letzteres gestand er mir, als ich ihm erzählte, dass ich halt nicht mit Emanuel geschlafen hatte. Es war natürlich klar, dass es nur um Sex ging, Keks war nie in Etienne verliebt gewesen, aber weh tat es trotzdem. Und zwar nicht zu knapp. Immerhin war das diese eine Sache, die nur Keks und mir gehören sollte und ich hätte es schön gefunden, wenn er das in Paris genauso gesehen hätte. Hinzu kam noch meine Unsicherheit. Keks konnte jetzt vergleichen. Vielleicht hatte der Franzose Dinge drauf, die ihm besser gefielen. Möglicherweise hatte er mit Etienne festgestellt, dass ich eine totale Niete im Bett war.

„Warum hätte ich dann zurückkommen sollen?“, fragte Keks, als ich ihm sehr peinlich und schwitzend meine Ängste mitteilte. Allerdings tat ich das nur, weil...naja, nachdem ich Bescheid wusste, war ich dermaßen nervös, dass...es beim Sex eben nicht so richtig funktionierte. Wir waren höllisch geil gewesen und im entscheidenden Moment...keine Ahnung, bei mir ging irgendwie gar nichts mehr. Das war echt übel. Keks hantierte wie irre an mir rum, aber es passierte nix.

„Es war okay“, sagte er schulterzuckend und zog mich in seine Arme. „Mit Etienne meine ich. Aber eins steht doch wohl fest: dir kann niemand, absolut niemand das Wasser reichen.“

Jau, das hatte ich grad eindrucksvoll bewiesen!

„Sorry“, giggelte er unterdrückt, „ich hätte nicht ‘steht‘ sagen sollen. Wie taktlos.“

Wie bitte?! Ich schubste ihn rabiat weg. „Lachst du mich jetzt etwa aus, du Arsch?“

„Würd mir im Traum nicht einfallen“, grinste er und...lachte sich kaputt.

„Ist dir klar, dass ich ein Trauma davontragen könnte, wenn du mich auslachst? Was, wenn ich deswegen nie wieder einen hochkriege, hä? Ich hasse dich.“ Wütend schmiss ich mich auf die andere Seite.

Keks schmiegte sich an meinen Rücken, seine Hand schlängelte sich von hinten über meine Brust. „Ich dich auch, Krümel“, wisperte er und biss mir ins Ohrläppchen. „Hey...ich hab doch nur gelacht, weil...shit...du bist so süß und du machst dir viel zu viele Gedanken und...

es ist doch überhaupt nicht schlimm und ich hab dich lieb und du machst mich verrückt und ich bin scharf auf dich und ich wette...“, seine Hand wanderte zwischen meine Schenkel, „oh...wow!“

Mein Körper, mein Schwanz reagierte sofort auf Keks‘ Berührung. Während er mir einen runterholte, fing er plötzlich an, mir irgendwas auf Französisch ins Ohr zu flüstern. Es war bestimmt was Unanständiges. Verstanden hab ich’s nicht, war auch gar nicht nötig. Es klang unglaublich geil. Ich drehte mich zu ihm um und fiel über ihn her. Etienne interessierte mich einen Scheiß. Er hatte einmal mit Keks geschlafen, ich konnte das für den Rest meines Lebens!

„Ich fand’s trotzdem nicht nett, dass du über mich gelacht hast“, erklärte ich schnaufend.

Keks wischte mir verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn und verteilte süße, kleine Küsse auf meinem Gesicht. „Hör schon auf, Krümel. Ein bisschen Spaß ist beim Sex durchaus erlaubt.“

„Du hattest aber den Spaß nicht mit mir, sondern auf meine Kosten.“

„Das war böse, zugegeben. Ich hätte verständnisvoll sein müssen. Dir sagen, dass du kein Versager bist, mh?“

„Mach doch einfach alles noch schlimmer“, schlug ich horrorartig lächelnd vor.

„Mach du nicht so’n Drama draus, weil du mal nicht konntest. Wenn ich auch nur eine Sekunde gedacht hätte, dass du ein ernsthaftes Problem hast, hätte ich sicher angemessen reagiert.“

„Mit einem noch heftigeren Lachanfall.“

„Du denkst, dass Etienne besser war als du...okay, ich könnte mir wegen Emanuel auch Gedanken machen. Krümel, wir hatten Stress genug, oder? Lass uns nicht noch mit dieser Vergleichsscheiße anfangen. Sex ist kein Wettbewerb, den irgend jemand gewinnt. Aber wenn es einer wäre, wärst du der Sieger, alles klar?!“

Ich fühlte mich total geschmeichelt und die Welt war wieder in Ordnung. Das heißt...bis auf die Sache mit seinen Eltern, die uns noch bevorstand. Und bis auf das geheime Gespräch mit Paps.

„Was hattest du denn nun so wichtig mit meinem Vater zu besprechen?“

Keks seufzte. „Wir haben überlegt, wie das in Zukunft alles laufen soll. Ich bin ja praktisch obdachlos.“

„Du bist bescheuert“, regte ich mich auf. „Wie oft noch, mh? Dein Zuhause ist hier!“

„Trotzdem ist es mir unangenehm, wenn ich deinen Eltern auf der Tasche liegen müsste. Sie sind schließlich nicht verpflichtet, mich finanziell zu unterstützen. Das würde ich auch gar nicht zulassen, also hab ich deinem Vater vorgeschlagen, eine Art Miete zu zahlen, solange ich bei euch wohne.“

„Lass mich raten...er hat gefragt, ob du den Verstand verloren hast und er nimmt nicht einen Cent von dir, richtig?“

„Sehr richtig. Aber zum Schluss konnten wir uns doch einigen.“

„Und woher sollte überhaupt das Geld für die Miete kommen? Von deinen Eltern kriegst du doch sicher nix.“

„Erzähl ich dir später“, schnurrte er und küsste mich.

Am nächsten Tag war es soweit. Wir standen vor den Toren der Hölle...bzw. vor der Haustür von Keks‘ Eltern. Mir schlotterten die Beine und ich hatte das Gefühl, Magen und Darm trügen gerade einen heftigen Konflikt aus.

„Keine Angst“, lächelte Keks aufmunternd, während er die Tür aufschloss, „ich glaube nicht, dass die Idioten da sind.“ Er nahm meine Hand und zog mich ins Wohnzimmer.

Die apricotfarbene Couch stand noch immer da. Der Vitrinenscharank mit den teuren Kristallgläsern. Überhaupt war hier alles teuer und so perfekt durchgestylt wie ein Luxus-Wohnungskatalog. Fast schon übertrieben sauber und aufgeräumt. Ich fror allein bei dem Gedanken daran, dass man einem Kind zugemutet hatte, hier aufzuwachsen. Keks tat mir so unendlich leid, dass ich ihn in den Arm nehmen musste.

„Lass uns nach oben gehen, zusammenpacken und verschwinden. Ich krieg das Kotzen, wenn ich noch länger hierbleibe“, murmelte er.

Seine Sachen waren schnell verstaut. Die meisten Klamotten hatte er ja eh schon bei mir. Als wir wieder ins Wohnzimmer kamen, trafen wir auf seine Mutter. Ihr Gesichtsausdruck war...

arschlochartig.

„Der“, sie deutete angeekelt auf mich, „verlässt augenblicklich mein Haus. Ich dachte, dein Großvater hätte dir diese...Flausen endgültig ausgetrieben.“

„Hallo Mütterlein“, strahlte Keks, „ich freue mich auch, dich zu sehen. Hattest du ein... schönes Jahr? So ganz ohne den verhassten schwulen Sohn, das muss doch ein Fest für dich gewesen sein. Und der da“, er deutete auf mich, „heißt Krümel und ja, ich ficke ihn immer noch.“

„Du wagst es, in diesem Ton mit mir zu sprechen“, zischte die Horrormutter.

„Was erwartest du? Einen Blumenstrauss und eine Schachtel Konfekt?“

„Ich erwarte, dass du ihn wegschickst und zu Vernunft kommst. Wenn dein Vater da ist, besprechen wir, wie deine Zukunft auszusehen hat. Du lässt ab sofort deine Mätzchen und wirst tun, was wir dir sagen. Andernfalls...“

Keks stupste mich amüsiert an. „Jetzt wird’s spannend. Oh, entschuldige, Mutter...ich hab dich unterbrochen. Andernfalls?“

„Gehst du sofort wieder nach Paris zurück und zwar für immer. Offensichtlich hat das Jahr nicht ausgereicht. Der da ist wie Ungeziefer, das man nicht los wird.“

Sie zeigte schon wieder auf mich und Keks wurde langsam gefährlich wütend. Ich bemerkte, wie schwer es ihm fiel, sich zusammenzureißen.

„Ich gebe mich doch lieber mit Ungeziefer ab als mit dir“, schnaufte er. „Los, Krümel, wir hauen ab.“

„Solltest du dich entscheiden, deine lächerlichen Neigungen weiterhin auszuleben...bedenke die Konsequenzen.“

Keks wirbelte herum. „Dass ich auf Jungs stehe, ist keine Entscheidung, die ich mal eben getroffen habe. Wann begreifst du endlich, dass ich nichts dagegen tun kann?“

„In Paris konntest du das sehr wohl. Und kaum ist er in deiner Nähe...“

„Wird der Junge wieder schwach, was?“ Er machte einen Schritt auf seine Mutter zu. „Ich hab’s in Paris mit jedem Typen getrieben, der halbwegs fickbar aussah. Ich hab so viele Schwänze gelutscht, dass ich sie gar nicht zählen kann. Sicher hat das alte Dreckschwein das in seinen wöchentlichen Berichten nicht erwähnt.“

„Dein Großvater hatte Recht“, keifte sie, „du bist eine Schande für die Familie. Boshaft und undankbar. Ich...ich hätte dich abtreiben sollen.“

Au weia!! Als Keks das hörte, tickte er aus. Einen Moment hatte ich Angst, er würde seine Mutter schlagen. Tat er aber nicht, sondern trat mit voller Wucht in den Vitrinenschrank. Die Scheibe zersplitterte, die hübschen Kristallgläser gingen klirrend zu Bruch. Bestimmt hätte er das gesamte Wohnzimmer auseinander genommen, wenn ich ihn nicht festgehalten hätte.

„Du existierst für mich nicht mehr“, schrie er.

„Glaub bloß nicht, dass du auch nur einen Cent von uns bekommst“, brüllte die Mutter.

Keks‘ Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln. „Keine Angst, ich brauche eure Kohle nicht. Dafür hat Oma gesorgt und sich geschämt, weil sie nicht mehr für mich tun konnte. Und für dich hat sie sich geschämt...für euch alle. Oma ist der einzige Mensch in einer Familie von geisteskranken Zombies.“ Er schob seine Hand in meine und ging mit erhobenem Kopf hinaus. Aber kaum waren wir um die Ecke verschwunden, fing er an zu weinen.

Ich war dermaßen durcheinander, dass ich noch gar nicht wusste, wie ich mich fühlte. War vielleicht ganz gut so, weil ich deshalb in der Lage war, ihn zu trösten. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste seine zitternden Lippen.

„Es ist vorbei, Keks. Sie können dir nicht mehr weh tun, hörst du? Gehen wir nach Hause.“

Dort angekommen, verfrachtete ich ihn ins Bett. Keks sah wahnsinnig angestrengt und fertig aus. Er war nach Sekunden eingeschlafen. Ich dagegen war hyperwach und musste erstmal mit jemandem reden, also besuchte ich Sascha. Der wirkte geradezu ekelhaft fröhlich.

„Hab ich irgendwas verpasst?“, fragte ich.

„Kathrin will mich zurück.“

„Hattet ihr euch denn getrennt?“

Sascha gab mir eine leichte Kopfnuss. „Toll, wie du dich für das Leben deiner Freunde interessierst.“

„Entschuldige, aber...ich hatte grad eine sehr unschöne Begegnung mit Keks‘ irrer Mutter“, erklärte ich und berichtete, was passiert war.

„Ach du Scheiße“, schüttelte Sascha entsetzt den Kopf. „Gegen so viel Drama kann ich natürlich nicht anstinken. Kathrin und ich haben uns lediglich ausgesprochen...ganz ruhig und zivilisiert.“

„Und?“

„Sie hat anscheinend gemerkt, dass sie’s ohne mich nicht aushält und versprochen, ihre Neigung in den Griff zu kriegen.“

„Und?“

Sascha grinste böse. „Ich werde sie noch ein bisschen zappeln lassen. Tut ihr vielleicht mal ganz gut. Übrigens ist Emanuel sexmäßig ziemlich viel unterwegs in letzter Zeit.“

Ich spürte einen kleinen Stich irgendwo in mir drin. Nicht weil ich eifersüchtig war, sondern weil ich wusste, dass wildes Rumgeficke eigentlich nicht sein Ding war.

„Es geht ihm gut, Krümel. Ich meine, er wird sich schon zu schützen wissen. Dass er auf die Art mit seinem Liebeskummer umgeht, dafür kannst du nichts.“

Ich fühlte mich trotzdem schlecht. Und ich vermisste Emanuel. Aber noch mehr vermisste ich Keks. Ich wollte da sein, wenn er aufwachte.

„Geh schon“, lächelte Sascha. „Und nicht vergessen: Samstag ist Party...Erscheinen Pflicht!“

Keks lag immer noch zusammengerollt auf meinem Bett. Vorsichtig legte ich mich neben ihn und streichelte seine Wangen. Er zuckte schlaftrunken, streckte sich ein wenig und schlug die Augen auf.

„Hey, Blindfisch.“

„Hey, Krümelmonster“, murmelte er rauh.

„Geht’s dir besser?“

„Logisch, wenn du bei mir bist.“ Er rappelte sich auf und sah mich nachdenklich an. „Weißt du, was das absolut Abartigste ist? Die alte Kuh hat mich nicht einmal gefragt, wie es mir geht. Sie hat mich über ein Jahr nicht gesehen und das erste, was sie sagte war, dass du verschwinden sollst.“

„Keks...“

„Es ist okay“, entgegnete er und schien selbst überrascht, „wirklich. Es...es kümmert mich nicht. Wow, ich bin endlich frei.“

„Was ist denn mit deinem Vater?“

Keks zuckte die Schultern. „Der ist so mit seiner Arbeit beschäftigt, ihm ist sicher noch gar nicht aufgefallen, dass er überhaupt mal einen Sohn hatte. Ob deine Eltern mich jetzt adoptieren mögen?“

„Haben sie das nicht vor Jahren bereits, irgendwie? Sag mal...wieviel Geld hast du eigentlich von deiner Oma bekommen?“, fragte ich beiläufig.

„Wieso? Willst du dir was leihen?“

„Nee, ich würde bloß gerne wissen, ob ich vielleicht einen Millionär ficke.“

„Tut mir leid, so viel ist es nicht. Bist du arg enttäuscht?“

Ich rückte näher an ihn heran. „Ist mir egal...ich ficke dich trotzdem.“

„Aber nicht sofort, oder?“

Meine Finger wanderten unter sein Shirt, umkreisten seinen Bauchnabel und öffneten die Knöpfe seiner Jeans. „Nein?“

„Du bist total besessen, Krümel“, grinste er.

„Wir haben ein verdammtes Jahr nachzuholen“, verteidigte ich mich.

„Schon, allerdings müssen wir das nicht in ein paar Tagen schaffen.“

„Aber wir können es versuchen“, flüsterte ich und küsste ihn auf den Mund.


Ich überlege manchmal, was passiert wäre, wenn ich Keks damals nicht aufgehalten hätte, als er in der Tür stand. Wenn er tatsächlich gegangen wäre. Jetzt bin ich mir sicher, wir hätten auch das wieder hingekriegt...irgendwann, irgendwie. Keks und ich gehören einfach zusammen. Leider haben seine Eltern das bis heute nicht akzeptiert. Von seiner Horrormutter haben wir ja seit seinem Auszug nichts mehr gehört. Seinen Vater sieht er ab und zu...so zwei bis drei Mal im Jahr. Meine Eltern besuchen wir regelmäßig...so zwei bis drei Mal die Woche. Da Leonie jetzt in Amerika lebt, sind Mom und Paps ziemlich anhänglich geworden, was uns jedoch nicht stört. Meine Schwester zu sehen, ist natürlich etwas umständlich, aber... geil. Urlaub in New York ist halt eine feine Sache. Ferien in Paris genauso. Mit Marie-Claire hab ich mich auf Anhieb verstanden und Keks‘ Oma, die wir heimlich treffen, wenn wir in der Stadt sind, ist unglaublich lieb. Kaum zu glauben, dass so jemand zu dieser furchtbaren Familie gehört. Sascha ist immer noch der kleine gruftige Partytiger und zur Zeit wieder schwer in Kathrin verschossen. Das ist echt die beknackteste Beziehung der Welt. Ständig wird sich getrennt und dann festgestellt, dass man doch nicht ohne einander sein kann. Wenigstens ist Kathrin von ihrem I-love-Keks-Trip runtergekommen. Emanuel hat sich so ziemlich aus meinem Leben geschlichen. Selten, dass wir mal telefonieren oder uns beim Ausgehen zufällig treffen. Zu Kathrin hat er mehr Kontakt, deshalb weiß ich, dass er schon länger mit jemandem zusammen ist.

Keks und mir geht’s jedenfalls richtig gut. Ich denke nach den ganzen Schwierigkeiten, die man uns gemacht hat, haben wir das auch verdient, oder?!

ENDE

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