zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Juli

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort

Personen und Handlung dieser Geschichte sind halbwegs frei erfunden.

Sollte sich jemand wiedererkennen...Herzlichen Glückwunsch ;)!!

 

Toll...Klassenfahrt nach Berlin! Ich liebe Klassenfahrten. HAHAHA!

Ein Haufen Bekloppter, die sich schon im Bus benehmen wie die Wilden; den armen, überforderten Lehrern auf den Nasen rumtanzen und während der ganzen Woche nur saufen, kiffen und sich gegenseitig vögeln. Und ich mittendrin! Ich halts im Kopf nicht aus!

Ins Jugendhotel soll es gehen irgendwo in Berlin-Mitte. Tagsüber schön die Sehenswürdigkeiten anschauen und abends...naja, wie schon erwähnt. Jens hat bereits gesagt, daß er auf alle Fälle das Zimmer tauscht, weil der gerade frisch verliebt ist in Steffi. Also werde ich zusammen mit meiner besten Freundin Caro nächtigen, was mir eindeutig besser gefällt als diesen Schwachmaten an der Hacke zu haben. Sollen die sich meinetwegen den Verstand rausficken, mir doch kackegal. Begreife eh nicht, wieso die dafür den Deckmantel einer beschissenen Klassenfahrt brauchen.

Erstmal fahren wir ungefähr tausend Stunden auf der Autobahn...zum Glück ist der Kackbus klimatisiert. Hinter mir, vor mir CD-Player-Gedudel aus Ohrenstöpseln. Linkin Park vermischt sich mit Christina Aguilera und irgendeiner Rap-Scheiße. Chips und Cola und Kekse werden rumgereicht. Mich beschleicht das Gefühl, einer der Lehrer ißt ein Ei. Ich will sofort hier raus!

»Hey...«, Caro stubst mir in die Rippen, »freu dich doch, daß wir eine Woche mal was anderes sehen als unser Dreckskaff.«

»Jaja«, murmle ich, »ich piß mich ein vor Freude.«

»Ich warne dich, Julian, wenn du die nächsten Tage nicht an deiner Laune arbeitest gibts mächtig Ärger, Mister.«

»Mein Vater vögelt seine Sekretärin, meine Mutter ist zu ihrem neuen Freund gezogen und Lisa hat sich vorgestern von mir getrennt...entschuldige, daß ich nicht strahle wie die Sonne.«

»Deine Eltern sind so beschränkt wie meine und Lisa ist eine dämliche Schlampe, die dich eh nur verarscht hat. Die wollte nicht dich sondern die Kohle von deinem Alten«, erklärt Caro.

»Danke«, lächle ich krampfig, »jetzt gehts mir doch schon viel besser.«

Lisa ist tatsächlich eine dämliche Schlampe und ich bin froh, daß ich sie los bin allerdings wäre ich gerne derjenige gewesen, der Schluß macht. Ich hasse sie zutiefst, daß sie mir zuvorkam. Waren eh nur ein paar Monate zusammen und im Bett ist nichts gelaufen, weil...

keine Ahnung. Wieso auch jetzt noch darüber nachdenken?!

Jens und Steffi haben begonnen, ihre Zungen zu verknoten, irgendwo hinter mir knistert lautstark eine Chipstüte, neben mir dudelt noch immer Linkin Aguilera...mein Kopf sinkt gegen die Scheibe; ich schließe meine Augen und versuche, unsichtbar zu werden.

»Schnarchnase...wir sind gleich da!«

Caro rüttelt mich an den Schultern, benommen öffne ich die Augen. Steffi und Jens knutschen immer noch wie die Blödmänner. Der Bus hält auf einem Parkplatz. Berlin!

Ok, aussteigen, Taschen schnappen, Zimmer besichtigen, um halb acht gibts hier Frühstück.

Herr Lorenz und Frau Beier versuchen sich irgendwie Gehör zu verschaffen, morgen früh solls ins Museum gehen...in welches ist mir verflucht egal.

Es ist später Nachmittag, der Abend gehört uns.

»Aber macht nicht so lange und laßt die Finger vom Alkohol«, mahnt der Lorenz, worauf meine Mitschüler brav nicken und sich innerlich totlachen. Die meisten haben eh schon die Hausbar ihrer Eltern geplündert und sich heimlich für gottweißwas verabredet.

»Hey«, wispert Kevin mir zu, »wir wollen nachher noch in diesen Technoclub...Lust mitzukommen?«

»Danke, ich kann mich gerade noch beherrschen«, antworte ich, trotte aus dem Gemeinschaftsraum und suche nach meinem Zimmer.

Dort angekommen stolpere ich erstmal über Jens Tasche, die günstigerweise mitten im Weg steht. Alibihalber hat er natürlich seine Sachen bei mir untergebracht; wenn Lorenz und Beier pennen, verpißt er sich zu Steffi und Caro darf zu mir schleichen.

Ich hasse Klassenfahrten und versetze der blöden Tasche einen kräftigen Tritt. Hoffentlich ist irgendwas da drin kaputtgegangen!

Caro hat es irgendwie geschafft, mich zu überreden und nun sitzen wir...keine Ahnung, kenne ich mich vielleicht in diesem Scheißberlin aus, oder was? Mh, das da vorne könnte das Brandenburger Tor sein...sicher bin ich mir keineswegs. Sieht das nicht im Fernsehen immer viel größer aus?

»Gott, wie klein das ist«, staunt Caro, »im Fernsehen sieht das immer größer aus, Juli, oder?«

»Jaja«, antworte ich abwesend. »Also...wollen wir den ganzen Abend hier rumhängen?«

»Nee, hatte ich nicht vor. Eigentlich wollte ich ins Hotel zurück und deinen Schädel kräftig ins Klo tunken, Arschloch.«

»Was?« frage ich belämmert.

Caro wedelt aufgebracht mit ihrem Stadtführer. »Hab jetzt sofort gute Laune, sonst passiert was. Ich warne dich.«

Au weia...Caro hält immer was sie verspricht und so bin ich nun doch einigermaßen eingeschüchtert.

»Sorry...also, was sagt der Stadtführer? Wo ist was los?«

»Wenn ihr das wirklich wissen wollt...schmeißt das Teil weg.«

»Hä?« machen Caro und ich gleichzeitig.

Neben uns hat sich ein Junge breitgemacht. Ein Junge mit schmutzig blonden Haaren und wohl ungefähr in unserem Alter, also so sechzehn, siebzehn. Naja, könnte aber auch locker erst vierzehn sein. Ich kann sowas immer nicht so gut schätzen.

»Ehrlich...sowas ist nur für blöde Touris und ihr seht nicht so aus.«

Ich hab sofort wieder schlechte Laune. Was quatscht uns einfach einer so dämlich an? Der soll sich doch um seinen Scheiß kümmern.

Caro ist offensichtlich anderer Meinung. »Du kommst also von hier?«

Der Junge nickt. »Allerdings. Und ihr? Urlaub oder was?«

»Klassenfahrt«, entgegnet Caro und streicht sich eine feuerrote Locke hinters Ohr.

»Verstehe...äh, ich bin übrigens Nils.«

»Caro und das da ist Julian.«

»Hi.«

Ich nicke kurz.

»Stimmt was nicht mit ihm?« fragt Nils an Caro gewandt.

»Liebeskummer«, antwortet sie.

»Caro«, zische ich.

»Was denn?«

»Also...soll ich euch was zeigen von Berlin, oder wie?«

»Naja...wenn du Zeit und Lust hast«, säuselt Caro weich.

Toll, die ist verknallt, das höre ich sofort. Dabei kennt sie den Typen gerade mal eine halbe Sekunde. Wieso ist der eigentlich so aufdringlich? Hat der sonst nix zu tun?

»Klar«, strahlt Nils.

Ok, ich muß zugeben, der Typ kennt sich aus. Schleift uns durch Straßen, wedelt mit den Armen...das ist...und das da...das war früher...und hier war irgendwas...und da hinten wohnt soundso...und hier Staatsoper, Deutsches Theater, Museumsinsel, Alte Nationalgalerie, der Berliner Dom...blablabla. Ich kann nicht mehr zuhören, mir ist schon ganz schwindlig. Und meine Füße tun auch langsam weh. Wieviele Kliometer sind wir schon gegangen? Ich muß gleich brechen.

»Geil, was es hier für Läden gibt«, schwärmt Caro, »mann und was hier überall noch los ist. Juli, kuck doch mal, nicht so wie bei uns.«

Ich kann nicht, meine Füße fallen gerade ab. Halloho...!!

»Woher kommt ihr denn?« fragt Nils.

»Aus...ach, das kennst du eh nicht. Ist doch egal. Jetzt sind wir hier.«

»Können wir uns vielleicht mal setzen?« mische ich mich schnaufend ein.

»Alles ok?« Nils sieht etwas besorgt aus.

»Ich will nur sitzen und was trinken«, erkläre ich.

»Ok, einige Straßen weiter gibts ein paar schnuckelige Cafès.«

Ich kann nur hoffen, daß das nicht Endlosstraßen sind.

»Mann, die Häuser sind toll«, faselt Caro weiter, »selbst die abgefuckten. Hier hat irgendwie alles Flair.«

Endlich sitzen wir in einem Café. Ziemlich runtergekommen mit fleckigen, dreckigen Wänden und ehemals wahrscheinlich sehr schöner nun aber leider arg Nikotinverseuchter Innenaustattung. Egal. Hier hat schließlich alles FLAIR...hahaha!!

Mißmutig rühre ich in meinem Zimt-Sahne-Tee.

»Sind wir eigentlich schon im Osten?« will Caro wissen. Mann...hat die vergessen, daß die Mauer weg ist oder warum fragt die so schwachsinnig?

»Klar. Sonst würde ich mich ja nicht so gut auskennen«, grinst Nils.

»Wohnst du in der Gegend?«

»Geht so. Ein paar Minuten mit der U-Bahn.«

»Du weißt gar nicht, was für ein Glück du hast«, seufzt sie.

Glück?? Der Typ ist ein verfluchter Ossi!

»Wann müßtn ihr zurück und...was macht ihr morgen?«

»Sightseeing und abends bis jetzt noch nichts...wieso?«

»Naja«, beginnt Nils und stiert mich an, »wenn ihr wollt...ich kann euch noch mehr zeigen.«

»Au ja...aber, oh Gott, du hast doch sicher besseres zu tun als mit uns durch die Stadt zu rennen.«

»Abends? Nee. Ich bin froh, wenn ich mich mal nicht mit den ewig gleichen Kacknasen langweilen muß. Wir könnten uns treffen und...naja, mal sehen. Sagen wir gegen sieben?«

»Wow, das ist echt supernett von dir. Juli, ist das nicht nett von ihm?« Caro stubst mir in die Seite.

»Ja, ich mach mir gleich ins Hemd«, brummel ich in mein Glas.

»Dann bringe ich euch wohl lieber ins Hotel zurück, was?« lächelt er schief. »Wo wohnt ihr?«

Caro schlägt ihren Stadtplan auf und tippt mit dem Zeigefinger rum. »Hier...glaube ich.«

»Alles klar, da fahren wir am besten mit der Bahn.«

Eine hervorragende Idee!! Noch mehr laufen und meine Füße explodieren.

»Wow...Nils ist toll, oder?«

Caro liegt neben mir im Bett, hat ihr Kinn in die Hand gestützt uns schaut mich an.

»Ich frage mich, was der vorhat.«

»Wie? Was soll der denn vorhaben?«

»Keine Ahnung aber es ist doch total eigenartig, daß ein wildfremder Typ für uns den Stadtführer spielen will.«

»Du und deine Paranoia. Meinst du, der will uns verschleppen, an einen Menschenhändlerring verhökern oder was?«

»Nee aber ich verstehs trotzdem nicht«, sage ich und verschränke die Arme hinter dem Kopf. »Vielleicht ist er einfach nur ein ganz netter Mensch, mh? Wie wärs damit? Ich jedenfalls mag ihn.«

»Ja, das war nicht zu übersehen«, zische ich.

»Sind Sie etwa eifersüchtig, Mister?« fragt sie amüsiert.

»Blödsinn. Du bist meine beste Freundin seit ewig und ich hatte noch nie das Bedürfnis mit dir ins Bett zu gehen oder dergleichen.«

»Wieso eigentlich nicht?«

»Was solln das jetzt?«

Caro hat sich aufgesetzt. »Ich meine es ernst. Wieso wolltest du noch nie was von mir? Die unzähligen Male, die wir schon zusammen geschlafen haben...also ich meine, du weißt, was ich meine...und nie hast du auch nur den Versuch gemacht, mich anzufassen.«

»Ich stehe halt auf blond.«

»Lisa hat schwarze Haare.«

»Ich bin müde. Gute Nacht.«

Für mich ist das Thema beendet und das Licht wird ausgeschaltet.

Schlafen kann ich aber nicht. Mann, Caro hat mich ganz wirr gemacht mit ihren dämlichen Fragen.

Wir kennen uns echt seit dem Kindergarten, wohnten schon immer in der selben Straße und sind wie Geschwister. Ich schlafe doch nicht mit meiner Schwester. Und sie hat ja auch noch nie den Wunsch geäußert. Was soll also plötzlich der Kack? Als wär mein Leben nicht schon kompliziert genug. Wenn sie diesen Berlin-Heini haben will...bitte. Mich muß sie bestimmt nicht um Erlaubnis fragen.


Gott wie öde!

Achthundert Jahre Museum und ich noch nicht mal richtig wach. Daß Lehrer sich für ihre Schüler immer so einen Scheiß ausdenken müssen. Echt, die ganze Klasse stöhnt aber Lorenz und Beier sind von ihrem Bespaßungsprogramm total begeistert. Wieso fahren die nicht zusammen in Urlaub und lassen uns in Frieden??

Abends mit Nils durch Berlin stromern und die Verknalltheit meiner besten Freundin ertragen ist ebenfalls ganz und gar nicht nach meinem Geschmack. Mann, wie die den Typen anschmachtet und dann fragt sie mich, weshalb ich nicht scharf auf sie bin. Möglicherweise ist sie ausversehen irre geworden?!

Heute ist der vorletzte Abend, sie hat mit Nils ausgemacht, uns vorm Hotel zu treffen und weil er einige Minuten überfällig ist, steht ihr das blanke Entsetzen im Gesicht. Armes Mädchen...dabei hat sie sich extra so aufgebrezelt.

»Scheiße, der versetzt uns«, seufzt sie enttäuscht.

»Naja, was hast du erwartet«, entgegne ich und beiße in meinen Schokoriegel, »daß der echt Bock hat, mit dir rumzuhängen?«

Caro wirbelt herum. Ihre Augen blitzen gefährlich. »Sag mal, Julian...wann hast du dich eigentlich in so ein blödes Arschloch verwandelt und wieso?«

Ich habe ein arg schlechtes Gewissen. Erwähnte ich, daß Caro meine allerallerbeste Freundin seit Anbeginn der Zeit ist? Mehr noch...sie ist meine einzige Freundin.

»Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«

»Ich kann ja verstehen, daß du angepißt bist wegen der Elternfront aber...laß das gefälligst nicht an mir aus, ja?«

»Es tut mir wirklich leid«, sage ich nochmal.

»Mir auch«, schnauft jemand.

Nils. In abgewetzten Schlabberjeans und hellblauem T-Shirt, womit er exakt Caros Geschmack getroffen hat.

Wenn ich sowas trage sagt sie mir andauernd, wie süß ich aussehe. Allerdings hab ich das lange nicht von ihr gehört. Jetzt findet sie Nils anscheinend süßer.

»Hey...bin zu spät. Sorry.«

»Macht nichts«, strahlt Caro.

Alles wie gehabt...rumrennen, irgendwelche tollen Kackgebäude ankucken und Nils der erklärt und faselt als hinge sein Leben davon ab. Caro glotzt ihn mit Herzchenaugen an und nimmt irgedwann seine Hand.

WAS? Moment mal...hey...ICH gehe sonst mit ihr Hand in Hand. Hallo...I-HICH!!

Nils lächelt glücklich, ich fühle mich plötzlich sehr überflüssig.

»Ich glaub, ich gehe zurück ins Hotel.«

»Aber wir wollten doch noch in diesen Club«, entgegnet Caro.

»Mir ist nicht nach tanzen. Und außerdem...ich will nicht stören«, sage ich und schaue demonstrativ auf ihre Finger, die mit Nils spielen.

Caro grabscht nach meinem Arm. »Was soll das? Bist du vielleicht spontan verblödet?«

»Wenn du keine Lust auf den Club hast...laßt uns doch einfach irgendwo hinsetzen, mh?«

Gesagt getan lassen wir uns auf einer Wiese am Wasser nieder. Nils sagt, das sei die Spree...

muß ich ihm wohl glauben.

Ist irgendwie doch ganz nett hier. Es dämmert langsam und die Luft ist noch ganz warm, aus der Ferne dringt irgendein Sommerhit an mein Ohr. You could be so happy...

Ist das nicht das Video, wo die blonde Göre vorm Spiegel tanzt? Ich kenne mich mit den Charts nicht so aus. Mir gefällt andere Musik.

Ich rupfe wie blöde Grashalme aus dem Wiesenboden und höre mit einem Ohr dem Gespräch zwischen Caro und Nils zu.

Aha, fünfzehn ist er, hat aber nächste Woche Geburtstag; wohnt allein mit seiner Mutter und seinem Bruder Paul, der zwei jahre älter ist. Nils geht aufs Gymnasium, trommelt in einer Band und mag MUSE, Placebo, Radiohead und noch ein paar andere Sachen, die mir auch gefallen. Oh, eine Freundin hat er nicht, nur so eine wie ich, also sowas wie Caro.

Seine Caro heißt Charlotte, ist sechzehn und Sängerin der Band.

Meine Caro ist super begeistert und beflirtet Nils sogleich sehr gekonnt. Man kennt das ja...

zufällig mal die Hand berühren, tief in die Augen schauen und strahlen, Lippen lecken, ihm eine blonde Ponysträhne aus den Augen streichen und dieses wahnsinnig interessierte Zuhören.

Mir kommt die Kotze hoch! Wofür brauchen die mich eigentlich noch? Zwischen den beiden ist doch anscheinend eh schon alles klar. Zu dir oder zu mir?! Naja, zu ihm schätze ich, Caro wird genug Anstand haben, nicht mit ihm zu vögeln, während ich daneben liege.

Langsam erhebe ich mich, strecke meine tauben Gliedmaßen und blicke mich um.

»Also...ich gehe dann mal.«

»Jetzt schon?« fragt Nils ein wenig enttäuscht.

Sicher ist das nur gespielt...verdammter kleiner Scheißer.

Ich nicke, Caro tut nichts, um mich aufzuhalten. Ich denke, es wird Zeit, mir eine neue beste Freundin zu suchen oder einen besten Freund. Sowas hab ich nämlich nicht und das kommt mir manchmal komisch vor. Ich meine, es vergeht nicht ein verfluchter Tag, an dem wir uns nicht sehen oder wenigstens fünfmal miteinander telefonieren, wir diskutieren unsere Aufrisse, haben diese vielen Insiderwitze, die sonst niemand versteht...wir leben in unserem eigenen kleinen Universum und da darf niemand ungefragt hereinplatzen.

Letzteres tut Nils gerade und Caro hat nichts dagegen. Mir ist sehr nach heulen. Das mache ich aber lieber allein.

»Findest du denn überhaupt zurück?«

Ich werfe Nils finstere Blicke zu.

»Wenn nicht läßt der kleine Juli seine Aufpasser ausrufen und kann an der Information abgeholt werden, wo er zur Beruhigung von der netten Tante schon einen Lutscher bekommen hat und seine Rotznase am Ärmel abwischt«, erkläre ich und lächle zombieartig. »Viel Spaß noch.«

Als ich ins Hotel komme ist meine Laune auf dem absoluten Tiefpunkt. Alle hier haben Fun.

Bomben möchte ich schmeißen...meine Mitschüler wegsprengen oder abknallen. Am Besten beides.

Sandro grinst mich an. »Hey, willstn Bier?«

»Nein, meine Ruhe.«

»Wasn los und wo ist die Traumfrau?«

Der steht auf Caro, das weiß hier jeder. Caro steht nicht auf ihn...auch das ist kein Geheimnis.

»Die fickt gerade ihren Traummann.«

»Hä?« macht Sandro dümmlich.

»Deine Angebetete hat sich einen Einheimischen angelacht und läßt sich die Seele aus dem Leib vögeln...kapiert?«

Damit lasse ich ihn stehen und stampfe in mein Zimmer, schmeiße mich aufs Bett und muß zur Entspannung sofort MUSE hören. MUSE hilft nämlich immer.

Ich muß wohl eingepennt sein, denn als ich meine Augen öffne, sehe ich Caro, die sich gerade auszieht. Also...mann, sie ist wirklich unglaublich schön, kann man nicht anders sagen.

Schlank, ganz weiche Haut, die jetzt leicht gebräunt ist; einen süßen kleinen Busen, den göttlichsten Hintern, den man sich nur vorstellen kann, schulterlange rote Locken und niedliche Sommersprossen auf der Nase. Sandro hat recht. Caro IST eine Traumfrau und ich überlege, wieso ich tatsächlich nicht unbeschreiblich scharf auf sie bin. Ich glaube, jeder Typ aus meiner Klasse würde sich Arme und Beine ausreißen, um mit mir in dieser Sekunde tauschen zu können. Aber ich...naja, ich hab Caro tausendmal so gesehen. Ist gar nichts Aufregendes. Wie gesagt ist sie sowas wie meine Schwester.

»Na...wars schön?«

Sie wirft sich in ihr Schlafshirt und hopst ins Bett. »Geht so.«

»Komm schon, ich will Einzelheiten.«

»Diesesmal nicht«, schüttelt sie den Kopf.

Hey...wir haben uns bis jetzt immer ganz genau erzählt, was wir mit wem treiben. Ich weiß verdammt noch mal, wann, wo und wie sie entjungfert wurde.

»Wieso nicht? Was ist plötzlich los?«

»Ich habs versprochen und jetzt frag nicht weiter nach, ok?« antwortet sie und ich kann hören, daß sie irgendwie sehr traurig ist.

»Alles in Ordnung?« Mich beschleicht ein unheimliches Gefühl. »Hat der Arsch dir weh getan? Ich bringe ihn um, wenn der...«

»Es ist ok, Juli, wirklich. Nichts dergleichen ist passiert«, unterbricht sie mich.

Ich höre noch mehr...sie schluchzt leise.

Ohne großartig nachzudenken verlasse ich mein Bett, um mich neben sie zu legen.

»Du mußt mir nichts sagen...ich will dich nur festhalten, ja?«

Sie nickt, schnieft und kuschelt sich in meinen Arm.

Freitag.

Irgendwas ist sehr eigenartig. Caro will sich heute nicht von Nils umherführen lassen.

»Was war denn gestern bloß?« hake ich nach.

Sie verdreht die Augen. »Laß uns einfach nicht mehr darüber sprechen, mh?«

»Der Typ ist doch ein Idiot, wenn er dich nicht haben will. Vergiß ihn. Übrigens...Sandro schmachtet dich immer noch an.«

Caro lächelt gequält. »Sandro schmachtet alles an, was Titten hat. Ich bin gleich mit den Mädels verabredet. Du mußt also heute mal ohne mich auskommen.«

»Wow...ob mir das gelingt?«

»Wirst es überleben«, grinst sie, »wir sehen uns heute nacht, Süßer.«

»Kanns kaum erwarten, Baby«, rufe ich ihr nach.

Mh und was mache ich nun? Mit den Jungs abhängen?! Da kann ich mir auch gleich die Kugel geben. Mist...muß ich den letzten Abend hier denn echt allein verbringen? Was solls, ich bin mir ja schließlich selber genug...HAHAHA!!

Na schön, erstmal raus hier und dann...mal sehen, ein wenig spazieren und vielleicht finde ich ja was Nettes, wo gute Musik läuft. Vielleicht finde ich sogar ein hübsches Mädel?!

Bin ich dafür richtig angezogen? Schwarze Cordhose und das hellblaue AHOJ-Brause-Shirt von Caro...ja, das geht. Noch ein Blick in den Spiegel, meine schwarzen Haare (bin sehr stolz auf meinen Tocotronic-Trendschnitt, den mit netterweise Caros Mutter verpaßt hat!) verstrubbeln, Gloss auf die Lippen fertig.

Vorm Hotel wartet...Nils. Der fehlt mir gerade noch. Was will der überhaupt?

»Was willst du denn hier?« frage ich nicht sehr freundlich.

»Wo ist denn Caro?«

»Die hat keine Lust auf deine Gesellschaft und ich auch nicht.«

»Hat sie...ich meine, gestern...«

Ich trete dicht an ihn heran. »Hör zu, ich weiß nicht, was zwischen euch gelaufen ist aber...

Caro ist nicht sehr gut auf dich zu sprechen und jeder, der meiner Freundin irgendwie weh tut, hat sich für mich automatisch erledigt.»

»Wenn du nicht weißt, was los ist solltest du nicht so eine Scheiße reden. Zwischen Caro und mir ist alles klar. Du konntest mich von Anfang an nicht ausstehen...wieso? Was hab ich dir getan?«

Ja...was eigentlich?

»Du nervst. Hast dich einfach aufgedrängt, uns gottweißwo hingeschleppt und Caro hat plötzlich Geheimnisse vor mir.«

»Ach so, du bist eifersüchtig. Soviel kann ich dir sagen...ich hab sie nicht angerührt.«

»Ich bin nicht eifersüchtig, Arschloch«, brülle ich.

»Was soll dann der Aufstand?« brüllt er zurück.

Eine verdammt gute Frage. Ich weiß es nicht.

»Ist dein letzter Abend, mh?«

Ich nicke.

»Komm mit...ich will dir was zeigen.«

»Wieso?« »Einfach so«, antwortet er achselzuckend und...greift nach meiner Hand?!

Keine Ahnung, warum ich mitgehe.

»Wo sind wir?« frage ich und drehe meinen Kopf nach allen Seiten. Ich weiß gar nicht, was ich mir zuerst ansehen soll. Wir stehen mitten auf einem riesigen Platz, rechts ein Dom, links ein Dom und in der Mitte noch irgendwas Großes.

»Das ist der Gendarmenmarkt...mein Lieblingsplatz. Wollen wir uns setzen?«

Wir lassen uns auf einer Bank nieder, irgendwoher kommt Musik. Ich reiße die Augen auf und sehe in einiger Entfernung einen Typen, der mutterseelenallein unter einer Laterne steht und Geige spielt. Jetzt verstehe ich genau, was Caro meint, wenn sie sagt, Berlin hat Flair. Es ist nicht zu beschreiben, nur zu spüren...unglaublich zu spüren.

Mann, ich hab echt noch nie was so Tolles gesehen. Und überhaupt...alles hier ist so WOW!

Ich fange an, Berlin zu mögen.

Nils hat sich auf den Rücken gelegt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. »Ich wollte jedenfalls, daß du das mal siehst.«

»Danke«, sage ich immer noch ganz benommen.

»Ich wollte Caro nicht weh tun.«

»Sie ist verknallt in dich, weißt du?«

»Ja, hat sie mir gesagt.«

»Aber? Ich meine, Caro ist das schönste Mädchen auf der Welt...süß, lieb, intelligent, lustig und absolut sagenhaft. Jeder will sie haben.«

Nils dreht seinen Kopf, so daß er mich ansehen kann. »Und wieso bist du dann nicht mit ihr zusammen?«

»Ich liebe Caro aber ich bin nicht verliebt in sie.«

Er seufzt. »Ich leider auch nicht obwohl das vieles einfacher machen würde. Und außerdem wohnen wir zu weit auseinander. Wie kann denn eine Beziehung funktionieren, wenn man sich nie sehen, sich nie spüren kann?«

Jau, da ist wohl was dran.

»Sag mal...gibst du mir deine Telefonnummer?«

»Hä?«

»Naja...dann können wir ab und zu mal quatschen oder so.«

Will ich mit dem quatschen? Was solls. Ich friemel ein Stück Papier aus meiner Tasche, kritzel meine Nummer drauf und weil mein Heiligenschein heute anscheinend ganz besonders hell strahlt auch noch meine e-mail Adresse. Ich muß ihm ja nicht antworten, wenn er schreibt.

»Ich hab Hunger, wollen wir was essen?«

»Klar«, nicke ich.

Eine Viertelstunde später sitzen wir bei Burger King und nuckeln an unseren Shakes.

Nils scheint auf einmal nervös zu sein, seine Fingernägel bohren sich unaufhörlich in den armen Strohhalm, seine Pommes hat er nicht angerührt.

Besonders hungrig bin ich irgendwie auch nicht mehr aber ich fange an zu schwitzen und weiß nicht weshalb. Es ist gar nicht mehr so heiß und hier drin schon mal überhaupt nicht. Trotzdem fühle ich sehr deutlich, wie sich kleine, eklige Schweißperlen auf meiner Stirn bilden; meine Hände und Füße kribbeln merkwürdig, so als wären die mal kurz eingeschlafen. Sind sie aber nicht. Schwindlig ist mir ein bißchen und ich hab Magengrummeln. Mann, ich werd doch wohl nicht krank?! Bestimmt war was mit dem Shake nicht in Ordnung... Nils sieht ebenfalls so aus, als wär ihm nicht ganz wohl.

Gott, was stiert der mich denn so an? Sicher, weil ich schwitze. Wie peinlich, ich neige normalerweise nicht zu starker Schweißabsonderung.

Mir fällt auf, daß Nils total blaue Augen hat. Helle, blaue Knisteraugen und lange, sehr dichte Wimpern; eine kleine Nase und volle Lippen, auf die er sich beißt. Seine schlanken Finger streichen alle paar Sekunden Haare aus seinem Gesicht. Mir fällt auf, daß Nils irgendwie wahnsinnig hübsch ist...wenn ich das mal über einen anderen Typen sagen darf.

Nicht daß ich so besonders auf das Aussehen anderer Typen achte aber...verflucht, ich merke gerade, daß ich ihn mindestens ebenso antarre und aus mir sehr schleierhaften Gründen kann ich nicht damit aufhören.

Was geht denn bitte jetzt ab?? Wollen wir uns gegenseitig hypnotisieren oder wie?

Mein Hirn setzt aus, ich bin völlig versunken...komme erst wieder zu mir, als Nils aufsteht.

»Laß uns raus hier.«

Inzwischen ist es stockdunkel und ziemlich kühl. Mann, wie lange haben wir denn an diesem verfickten Tisch gesessen?

»Wie spät ist es?«

Nils kramt sein Handy aus der Tasche. »Halb zwei.«

»Shit...ich fahre in sechs Stunden nach hause.«

Als wir beschlossen hatten, was zu essen war es kurz nach elf. Toll, zwei Stunden starren...

ich halts nicht aus.

»Dann bringe ich dich wohl besser mal zurück, oder?« sagt er sehr leise.

Mein Hals ist zugeschwollen...echt, da ist ein dicker Klops drin und beim Schlucken tut es weh. Sommergrippe, großartig. Kein Wunder, daß ich so daneben bin. Bestimmt hab ich auch Fieber...das würde jedenfalls das unheimliche Schwitzen erklären.

Meine Beine sind wie Gummi als wir zum Hotel gehen. Jeder Schritt ist Anstrengung pur.

»Ok...wir sind da.«

Ich will was sagen aber...mh, die Halsentzündung, ich krieg nur ein Röcheln zustande.

»Komm gut nach Hause und...ich ruf dich mal an, ja?«

Nils klingt so matt wie ich mich fühle. Ich nicke schwächlich.

»Also...«, er kommt auf mich zu und grabscht nervös nach meinem Shirt, sein Atem streift mein Gesicht, »bis bald«, flüstert er und...küßt mich auf den Mund!?

Mit weit aufgerissenen Augen, Herzklopfen und einer phantstischen Leere im Schädel bleibe ich zurück.


Heim ist wo der Horror ist!

Meine Lieblings-MUSE-CD läuft und trozdem kann ich die Elternfront unten im Wohnzimmer streiten hören.

Meine Mutter ist doch nicht ausgezogen, verlangt aber eben dieses von meinem Vater, der ein Verhältnis Achtung Klischee mit seiner Sekretärin hat.

Er brüllt, daß das vorbei ist, sie sich ja wohl auch ganz gut getröstet hat und das ist schließlich sein Haus, genauso wie ihres und blablabla.

Sie kreischt, er soll nicht so brüllen, weil der Junge es hören könne.

Der Junge bin ich und jawohl...ich höre es. Übrigens bin ich für meine Eltern immer nur der Junge. So wie die Katze (wenn wir eine hätten) oder der Toaster. Meist bin ich aber so gut wie nicht vorhanden.

Jaja... armes reiches ungeliebtes Kind. Auch das ist Klischee...ändert aber leider nichts an den Tatsachen. Meine Eltern interessieren sich nur für ihren lächerlichen Kram.

Mein Vater nur für seine Werbeagentur und die außerehelichen Abenteuer, meine Mutter nur für ihre Boutique und Parties.

Oh...Paps ist wieder dran. Der Junge sei alt genug und wisse schließlich, daß sie Probleme miteinander hätten und außerdem habe sie (meine Mutter) den Streit angefangen.

Mom...Rücksichtnahme sei für ihn (Paps) ein Fremdwort und er solle sich doch mal lieber um seinen Sohn kümmern als seine Sekretärin zu vögeln. Ob er sich überhaupt an seinen (also an meinen) Namen erinnern könne.

Sicher will sie nur, daß er ihr sagt wie ich heiße, weil sie es selbst vergessen hat.

Willkommen in der Freak-Show!!

Was Paps antwortet kann ich nicht verstehen, weil das Telefon klingelt.

»Ja?«

»Hi, Knallkopp.«

Caro!

»Hallo.«

»Was biste denn so einsilbig?« fragt sie und pustet Zigarettenrauch aus.

»Hast du nicht aufgehört?«

»Womit?«

»Rauchen«, helfe ich ihr auf die Sprünge.

»Und du?«

Sofort nehme ich die Kippe aus dem Mund, stecke sie aber doch wieder rein und zünde sie an.

»Also...was gibts?«

»Kann ich vorbeikommen? Fühl mich gerade ein bißchen einsam.«

»Wenn dir die Freak-Show, die unten läuft, nix ausmacht...gerne.«

»So schlimm?«

»Kannst dich gleich davon überzeugen. Bringst du was zu essen mit?«

»Mh, ja, kann ich machen. Pizza? Ok, bis gleich.«

Eine halbe Stunde später essen wir Hawaiipizza mit doppelt Käse.

»Ich soll dich übrigens von Nils grüßen«, schmatzt Caro.

Mir ist augenblicklich unwohl und das Pizzastück bleibt mir im Schlund stecken.

An den wollte ich nämlich gar nicht mehr denken. Eine Woche ist seit dem Kuß vergangen und ich danke Gott dafür, daß er sich noch nicht bei mir gemeldet hat. Dafür scheint er allerdings Kontakt zu Caro zu haben. Ob der ihr was erzählt hat?

»Habt ihr telefoniert?«

»Wir telefonieren fast jeden Abend«, erklärt sie.

»Und...was sagt er so?« frage ich beiläufig.

»Ich glaube, der vermißt uns. Charlotte ist wohl gerade wahnsinnig verliebt und er so das soundsovielte Rad am Wagen. Ich finde, du könntest ihn ruhig mal anrufen.«

»Wieso?«

»Na überleg mal, wie nett der in Berlin war.«

Ja, ein wenig ZU nett!

»Ist er jetzt dein bester Freund, hä?«

»Blödmann«, zischt Caro und haut mir mit der Hand an die Stirn. »Sag mal, wie hältst du das bloß aus?« Sie deutet mit dem Finger auf den Boden und meint die Elternfront, die schon wieder oder immer noch brüllt.

»Die Macht der Gewohnheit. Mann, die sollen sich endlich scheiden lassen und es hinter sich bringen. Schade, daß man sich seine Familie nicht aussuchen kann aber...ich klopfe mir jeden Tag auf die Schulter, weil ich mich unter diesen Umständen so normal entwickelt habe. Denen hab ich das nicht zu verdanken.«

»Soll ich heute hier schlafen?«

»Was denn? Kein Date?« frage ich mit hochgezogener Braue.

»Kann ich sofort absagen.«

»Nee, laß mal aber...wer ist es denn?«

Caro rutscht nervös auf der Couch herum. »Ähem...Sandro und wenn jetzt irgendein blöder Spruch kommt schlage ich dir ins Gesicht.«

»Ich dachte, du kannst ihn nicht ausstehen.«

»Naja...vielleicht ist er ja doch nett?!«

Ich zünde mir auf den Schreck erstmal eine Zigarette an. »Willst du denn mit dem...ins Bett?«

»Mann Juli...es geht doch nicht immer nur um Sex.«

»Bei Sandro schon.«

»Ich werds dir nachher ausführlich erzählen, ok?«

»Das heißt, du gehst jetzt?«

Sie nickt und steht auf. »Aber wenn du mich brauchst...«

»Danke, nicht nötig. Hab Spaß.«

Wir küssen uns zum Abschied kurz auf den Mund, dann ist sie auch schon weg.

Im Wohnzimmer ist es ruhig...ob die sich umgebracht haben? Bevor ich nachsehen kann klingelt schon wieder das Telefon.

»Hallo?«

»Hi...ich bins...Nils.«

Kacke Kacke Kacke!!

»Okay?«

»Ich dachte, ich ruf einfach mal an.«

»Und?«

»Bist du sauer?«

»Sollte ich?«

»Ich will dir das mit dem Kuß erklären...«

»Ich will damit nichts mehr zu tun haben.«

»Es hatte ja auch nichts weiter zu bedeuten.«

»Schön, daß wir da einer Meinung sind«, sage ich und mache eine neue Zigarette an.

Und dann reden wir...keine Ahnung wie lange, bestimmt zwei Stunden. Reden über Gott und die Welt, nichts wirklich Wichtiges mehr sowas wie ...die aktuelle Buffy-Staffel ist total spannend und Spike trägt endlich wieder seinen Ledermantel, was bedeutet, daß er nicht mehr so weichgespült ist wie in der letzten Staffel, als er in Buffy verknallt war; TWIN PEAKS ist die beste Fernsehserie aller Zeiten, der grüne Kaktusfeigentee schmeckt eindeutig besser als der rote Lotusblüte, gegrillte Zuccini sind überraschend lecker, Süßigkeiten total überlebenswichtig, Süßkram überhaupt ist eine tolle Erfindung, die nach den Mahlzeiten sein muß, weil das Essen sonst unbefriedigend ist....ach ja und Musik. MUSE und immer wieder MUSE.

Son Zeug halt.

Komisch, solche Gespräche hab ich sonst eigentlich nur mit Caro, ich meine, neben dem wichtigen Kram.

Nach dem Telefonat fühle ich mich jedenfalls nicht mehr so ganz allein auf dieser beschissenen Welt.


Kacke, ich bin wieder mit Lisa zusammen. Wenigstens denkt sie das. Die hat vielleicht Nerven...ruft mich an, entschuldigt sich tausendfach, sie hätte einen Fehler gemacht und vermißt mich usw. Ob ich ihr nicht noch eine Chance geben könnte?!

Das muß ich erst mit Caro besprechen, was ich Lisa natürlich nicht gesagt habe aber...hey, ich bespreche schließlich ALLES zuerst mit Caro. Die ist aber leider mal wieder nicht zu erreichen und so sitze ich am PC und versuche, Nils eine mail zu schreiben, weil wir heute nicht telefoniert haben.

Hab ich erwähnt, daß ich inzwischen eigentlich jeden Tag mit ihm telefoniere oder wir uns mailen? Hat sich einfach so ergeben. Anfangs gings ja noch...ich ruf dich mal wieder an, bis bald...jetzt bin ich beunruhigt, wenn wir abends vorm schlafen nicht noch einmal miteinander geredet haben. Echt, der ganze nächste Tag ist mir verdorben. Wenn ich darüber nachdenke ist es mir direkt unheimlich, wie der sich in mein Leben geschlichen hat und daß er mir plötzlich so wichtig geworden ist. Und eigenartig, wie gut wir uns inzwischen schon kennen. Wir können stundenlang über den größten Blödsinn reden oder einfach minutenlang schweigen ohne daß es peinlich ist oder unangenehm. Wir können sogar manchmal die Sätze des anderen vervollständigen, haben unsere Insiderjokes und irgendwie...ich weiß nicht, wie ich es sagen soll aber ich vermisse ihn. Ich möchte dringend in seiner Nähe sein. Ist das nicht irrsinnig? Ich bin happy, wenn ich seine Stimme höre, freue mich wie ein Schneekönig über jede noch so kurze mail von ihm und habe doch ständig diesen Klops in meiner Kehle, weil er so weit weg ist. Weil ich an seinem Leben teilhaben will, was aber nur bedingt möglich ist und weil ich noch viel viel mehr von ihm wissen möchte.

Ich merke ja schon, wie ich eifersüchtig werde, wenn er unser Abendtelefonat ausfallen läßt, weil er mit Lotte unterwegs ist. Ich krieg echt einen Hass auf die, weil sie eben mit ihm rumhängen kann, wann immer sie Lust dazu hat. Das ist doch alles nicht normal.

Vielleicht bin ich einfach nur etwas angeschlagen, weil Caro momentan viel um die Häuser zieht, wie man so schön sagt, und mich vernachlässigt. Ich glaub, die versucht von Nils loszukommen und ist deshalb andauernd mit irgendwelchen Leuten unterwegs. Sandro hat sich übrigens erledigt...der wollte sie sofort am ersten Abend ins Bett kriegen, hat sie, so richtig klassisch, mit Alkohol abgefüllt. Sein Pech war nur, daß Caro sehr geübt im Umgang mit Alkohol ist. Die hat ihn total unter den Tisch gesoffen...hahaha.

Wie auch immer...das heutige Nicht-telefonieren-mit-Nils geht mir total ab, weil momentan alles sehr kackig ist. Die Elternfront will sich scheiden lassen, Caro ist immer weg, Lisa wieder da und ich bin unzufrieden mit allem. Das kann ich Nils aber so nicht schreiben und schalte gefrustet den blöden Computer aus.

Meine Eltern verhalten sich wie die letzten Archlöcher. Streiten sich um das Haus, um Geld, das Auto, die Boutique...hallo?! Ich bin auch noch da. Normalerweise streiten sich doch Scheidende immer in erster Linie um das Sorgerecht fürs Kind, oder? Mich will anscheinend aber keiner von beiden haben. Vielleicht komme ich bald ins Heim?!


»Wo warstn gestern?« frage ich vorwurfsvoll und setze mich bequem auf meinen Schreibtischstuhl, der günstigerweise kaputte Rollen hat, so daß ich meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann...KIPPELN!

Nils hat mich endlich angerufen...Caro ist immer noch verschollen.

»Sorry, mußte mit Lotte was bequatschen. Die hat Streß mit ihrem Freund.«

»Schlimm?«

Ich höre wie er lacht. »Bei Lotte ist alles schlimm. Nee, es hält sich im Rahmen. Und bei Ihnen...alles ok?«

Sagte ich, daß Nils und ich uns aus Lustigkeitsgründen manchmal siezen? Ist halt son Tick von uns.

»Nein, nicht wirklich.«

»Warte, ich muß mal Tee holen...«

Der Hörer wird irgendwo abgelegt, nach einer Minute meldet Nils sich wieder. »Also, was ist los?«

»Ach...alles und nichts.«

»Gehts etwas konkreter?«

»Meine Eltern hassen mich oder nee, die ignorieren mich, Caro liebt mich nicht mehr und Lisa schleimt sich wieder an mich ran.«

»Heute also das volle Programm, wie?«

»Und mein einziger männlicher Freund nimmt mich nicht ernst.«

Er kichert. »Au weia...ich und männlich...jau, mir wächst sogar schon ein Haar auf der Brust.«

»Wie kannst du das denn jetzt sehen?«

»Hab mich ausgezogen. Mache ich immer, wenn ich mit dir rede. Ich liege nackt auf dem Bett und...«

»Du bist so ein Idiot«, unterbreche ich ihn.

»Soll das heißen, du hast heute keine Lust auf Telefonsex?«

»Ich hab heute keine Lust auf deine Scherze«, antworte ich.

»Juli, das war kein Scherz.«

»Was?« Gott, beinahe wär ich vom Stuhl gefallen.

»Ist die Leitung so schlecht?«

»Wieso suchst du dir keine Freundin dafür?«

»Weil ich dich will.«

»Du hast einen sehr eigenartigen Sinn für Humor, Nils. Hat dir das schon mal jemand gesagt? Ich verstehe gar nicht, wie Lotte es mit dir aushält, die muß doch...«

»Du versuchst dich rauszufaseln, Juli.«

»Ach ja? Und seit wann stehst du auf Typen?«

Er seufzt. »Tu ich nicht.«

»Da bin ich aber froh.«

»Hättest du was dagegen, wenns so wäre?«

»Nee, meine Eltern haben mich zur Toleranz erzogen.«

»Können wir jetzt wieder ernst sein? Ich bin ganz schön verwirrt, weißt du.«

»Nein, weiß ich nicht. Aber wenn es dir hilft...ich bin auch verwirrt.«

Au Kacke, das ist mir so rausgerutscht. Ich meine, ich weiß eigentlich erst seit exakt einer Minute, daß ich verwirrt bin und das ist ganz schön...äh...verwirrend. Zur Beruhigung fange ich an zu kippeln.

»Wieso?« fragt er.

»Ich hab keine Ahnung. Außerdem hast du damit angefangen.«

»Wir haben nie richtig über den Kuß gesprochen...«

»Dabei sollten wir es auch belassen«, antworte ich und bekomme eine Gänsehaut, die sich gewaschen hat.

»Denkst du das wirklich?«

Denke ich das wirklich? Ich weiß es nicht!

»Hör mal...sowas hier passiert mir zum erstenmal, ich...«

»Was passiert denn hier?« frage ich ein bißchen beklommen.

»Ich glaube, wir verlieben uns gerade.«

B U M S !! Ich kippe hintenrüber und falle mitsamt dem Stuhl um.

»Au...«, brülle ich, reibe meine schmerzende Gliedmaßen und angel nach dem Hörer, der mir beim Sturz aus der Hand gefallen ist.

»Was treibst du da?« bölkt er. »Hast du etwa wieder gekippelt? Ich hab dir immer gesagt, daß du dir eines Tages den Hals brichst.«

Ich strecke ihm leidenschaftlich die Zunge raus.

»Und streck mir nicht die Zunge raus, Blödmann.«

Nils ist mir unheimlich. Alles ist mir unheimlich...bin ich bei TWILIGHT ZONE oder was?

Humpelnd schleppe ich mich aufs Bett und beäuge mein Knie.

»Ich hab mir das Knie gebrochen.«

»Lenk nicht schon wieder ab.«

Ich seufze laut. »Schön, du meinst also, daß du dich in mich verknallt hast, ja?«

»Nein, ich meine, daß wir beide...also, du und ich...«

»Ich weiß, daß wir beide du und ich sind«, unterbreche ich ihn entnervt.

»Du hast gesagt, daß du auch verwirrt bist...warum?«

»Da muß ich erst drüber nachdenken.«

»Dann denke gefälligst LAUT.«

Geil, das hätte auch von Caro kommen können.

»Bist du scharf auf mich?« Was Blöderes fällt mir nicht ein.

»Was Blöderes ist dir nicht eingefallen?«

»Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Wenn du nicht auf Jungs stehst, warum bist du dann verliebt in mich? Warte mal...du lügst doch, oder? Ich meine, du tust so, als käme das für dich ganz überraschend aber...du hast mich geküßt.«

»Hat dir das gefallen?«

»Ja...äh...NEIN, natürlich nicht«, rufe ich schrill.

»Und wenn ich jetzt da wäre und dich küssen würde?«

Mann, was klingt denn seine Stimme auf einmal so...WOW...?!

»Jetzt hör mit dieser blöden Küsserei auf. Ich küsse keine Jungs. Nie.«

»Du hast mich geküßt.«

»Nein nein nein, DU hast MICH geküßt. Hab ich nicht gerade gesagt, du sollst damit aufhören?«

»Ich hab doch noch gar nicht angefangen. Du bist ja leider so schrecklich weit weg.«

»Wer lenkt hier gerade ab, hä? Also...warum hast du mir nie gesagt, daß du schwul bist?

Weiß Caro das eigentlich?»

»Ich bin nicht schwul. Erinnerst du dich, daß ich dir von meinen Freundinnen erzählt habe?

Denkst du, die hab ich mir nur ausgedacht?»

Ich antworte mal lieber nicht darauf.

»Juli, mir ist das alles genauso unheimlich wie dir und ich kann das erst recht nicht erklären.

Alles, was ich sicher weiß ist, daß du mir fehlst und ich ganz dringend in deiner Nähe sein möchte.»

»Naja, ich schätze, das ist nicht unnormal, wenn man gut befreundet ist, oder?«

Er seufzt. »Gute Freunde will man aber nicht küssen...zungentechnisch küssen.«

WOW!!

»Und...das möchtest du?« frage ich leise.

»Manchmal...ja. Im Augenblick ganz besonders.«

Mir ist ein bißchen schwindelig...gut, daß ich gerade liege.

»Hör mal...ich muß das erstmal irgendwie überdenken und das mache ich lieber allein. Laß uns morgen weiter reden, ja?«

Entschuldigung aber mir ist das ein wenig zu heikel.

»Okay...schlafen Sie.«

»Bis bald«, hauche ich und lege auf.


Ich wünschte Caro wär hier. Ist sie aber nicht. Ist sie momentan nie. Ich bin ganz allein auf der Welt und werde schwul. Bin ich nicht zu beneiden?!

Die ganze Nacht liege ich wach und denke über Nils nach. Ich vermisse ihn ja auch irgendwie, liebe es, mit ihm zu telefonieren. Er versteht Scherze, hat einen ausgesprochen guten Humor, kuckt Buffy, ohne sich dafür zu schämen und er weiß verdammt noch mal meist besser über mich Bescheid als Caro...und als ich selber. Umgekehrt weiß ich auch immer, was in ihm vorgeht aber sind wir deshalb verliebt? Ich versuche mich sehr genau an den Kuß zu erinnern...hätte ich da nicht Herzklopfen haben müssen? Oh, hatte ich ja aber doch nur, weil er mich so überrumpelt hat. Und jetzt? Ich kann erst schlafen, wenn ich seine Stimme und sein süßes »Schlafen Sie« gehört habe. Das ist nämlich auch sowas zwischen uns. Wir sagen nicht »Schlaf gut« oder so sondern »Schlafen Sie«.

Hä? Benutzte ich gerade eben das Adjektiv süß?? Ach du meine Güte!

Mh, ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, daß ich NICHT schwul bin aber...selbst wenn ich es wäre würde ich mich nicht vor den nächsten Zug werfen. Ist doch nichts dabei, wenn man Jungs mag...theoretisch. Ich hab tatsächlich noch nie darüber nachgedacht...vielleicht hat die Homosexualität die ganzen Jahre in mir geschlummert und bricht nun aus? Moment mal, wie klingt das denn? Bricht aus...ist doch keine Krankheit. Jedenfalls bin ich keiner, der im Sportunterricht verstohlen auf Jungenärsche glotzt. Allerdings lasse ich den Sportunterricht grundsätzlich ausfallen. Ich stehe aber zB auch nicht unbedingt auf Boybands, tut mir leid, die Musik ist zum Kotzen und die Typen sind das Letzte. Wenn schon dann doch bitte den MUSE-Sänger. Ja, ich glaub, der sieht süß aus trotzdem würd ich den nicht haben wollen.

Nicht so. Bis Nils auftauchte war ich IMMER auf Mädchen scharf. Vielleicht nicht unbedingt auf Lisa aber die ist eh scheiße und Caro ist meine Schwester. Mit Stella hab ich geschlafen im letzten Italienurlaub, das war geil und ich hab mir bestimmt nicht vorgestellt, es mit einem Jungen zu treiben, während wir es getrieben haben. Stella war unglaublich. Klein, zierlich, kilometerlange, buntgefärbte Haare, Braue gepierct, Zunge gepierct und irgendwie waren wir unsagbar verknallt...für ganze drei Wochen. Caro hat ganz schön gezickt, weil plötzlich eine andere Frau da war, meinte jedoch, sie könne Stella nicht mal hassen, weil die einfach zu niedlich und nett sei. Fand ich auch und hab sie gleich noch mal gevögelt und noch mal und...mh, ich schweife gerade ab. Wüßte trotzdem gerne, was Stella so treibt... schade, daß ich ihre Nummer nicht habe.

Was wollte ich sagen? Ach ja, ich stehe eigentlich nicht auf Jungs!

Was? Telefon um diese Zeit? Gott, es ist Sonnntag!!

»Ja?« bölke ich heiser.

»Hallo Sie...«

Sowas sagt nur einer. Nils. Naja, wer sollte auch sonst anrufen, wenn ich noch schlafe?!

»Hi.«

»Demnach sprechen Sie also noch mit mir«, stellt er fest.

»Hab lange darüber nachgedacht.«

»Und?«

»Naja, wir reden doch, oder?«

»Hast du auch noch über mehr nachgedacht?«

»Hab ich. Und zwar die ganze Nacht. Wieso zum Arsch rufst du um...«, ich schaue kurz auf die Ziffern meines alten Weckers und stöhne, »halb sieben an?«

»Konnte nicht mehr schlafen, wollte deine Stimme hören«, sagt er sehr weich.

»Fang nicht schon wieder an so säuselig zu sprechen. Wir sind nicht verliebt.«

»Nein?«

»Nein...keine Ahnung. Darüber hab ich mir ja die letzte Nacht den Kopf zerbrochen. Ich stehe nicht auf Jungs.«

»Ich auch nicht. Trotzdem will ich mit dir zusammen sein. Ist das nicht ulkig?«

»Ulkig ist wohl kaum das passende Wort dafür«, brummel ich. »Sag mal, rauchst du etwa schon?«

»Entschuldige, ich bin halt nervös.«

»Und du liegst noch im Bett wie ich dich kenne, stimmts?«

»Ja, frag mich jetzt aber bitte nicht, was ich an habe«, kichert er.

Ich finde, es besteht überhaupt kein Grund zum Kichern. Schließlich haben wir wichtige Sachen zu diskutieren.

»Hast du mit Caro über uns gesprochen?«

»Uns? Wir sind also doch schon UNS?«

Ich schnaufe genervt.

»Naja, als sie mir sagte, daß sie verliebt ist hab ich ihr erklärt, daß ich mir momentan meiner sexuellen Orientierung nicht ganz sicher bin. Hab wohl auch erwähnt, daß ich dich süß finde.

Schlimm?»

»Weiß ich nicht, muß ich erstmal...«

»Drüber nachdenken, mh?« unterbricht er mich.

»Hab ewig nicht richtig mit Caro gequatscht. Die ist ja immer weg. Du fandst mich also in Berlin schon süß?«

»Ja, sonst hätte ich dich wohl kaum geküßt. Mann ich hab mir beinahe in die Hose gepißt, erwartet, daß du mir ins Gesicht schlägst oder sowas. Schließlich war es das erste Mal. Ich wollte sehen, was ich fühle. Ich meine, ob es sich gut anfühlt.«

»Hat es?«

»Ziemlich«, seufzt er. »Und bei dir?«

»Kann mich nicht erinnern.«

»Dann solltest du mich bald mal besuchen, damit wir es ausprobieren können, was meinst du?«

»Klar, ich kann hier auch alles stehen und liegen lassen. Hallo...ich muß zur Schule. Der Mann und die Frau reißen mir den Kopf ab.«

Ich habe beschlossen, daß meine Eltern nur noch der Mann und die Frau sind. Paßt doch ganz gut, ich bin ja auch immer nur der Junge. Gott hab ich eine kranke Familie!

»Ich dachte, die kümmern sich nicht darum, was du tust.«

»Wenn ich aber einfach verschwinde macht das bei ihren Freunden keinen guten Eindruck.

Die hetzen mir sofort die Bullen auf den Hals, fürchte ich. Zum Angeben ist der Junge gut genug...schließlich ist er wohl erzogen, was deren Verdienst ist, schreibt gute Noten, was deren Verdienst ist, dealt nicht mit Drogen, was deren Verdienst ist, wird von schönen Mädchen umschwärmt, was d...»

»Stopp. Wieviele Mädchen umschwärmen dich denn so?«

»Hab sie nicht gezählt. Lisa will wieder was von mir.«

»Hast du gestern schon erwähnt. Ich will aber nicht, daß die dich will und ich will nicht, daß DU sie willst. Du willst sie doch nicht, oder?«

Da muß ich nicht nachdenken.

»Nein. Das heißt aber nicht, daß ich dich will.«

»Schade.«

»Wenn...und ich sage WENN ich dich haben will, dann weil...weil, keine Ahnung. Jedenfalls nicht, weil ich nicht mehr in Lisa verliebt bin.«

»Du warst nie in Lisa verliebt. Hast du selber mal gesagt. Und daß es im Bett nicht geklappt hat und...«

»Es hätte geklappt. Ich war nur nicht scharf auf sie, Blödmann.«

»Jaja, wie auch immer...kommen wir zum Thema zurück. Ich wünschte, du würdest jetzt neben mir liegen, Juli.«

Mir wird ausversehen wieder schwumselig.

»Ich finde, wir sollten später telefonieren. Wenn ich wacher bin.«

»Meinetwegen. Dann werde ich mir aber immer noch wünschen, daß du bei mir bist.«

»Also bis dann«, sage ich und lege auf.

Verflucht...ich wär jetzt auch gerne bei ihm!

Am Nachmittag kriege ich Besuch von...wow...CARO.

»Hi, Knallkopp.«

»Wie schön, du weißt ja noch, wo ich wohne.«

Sie verzieht das Gesicht. »Ja aber nur, weil ich drei Häuser weiter wohne. Bist du sauer?«

»Nee, nicht direkt. Vermisse dich ein bißchen. Irgendwie driften wir momentan auseinander, oder?«

Caro läßt sich neben mich aufs Bett fallen. »Sagen wir, wir haben die Ketten etwas gelockert.

Ich finde es zuweilen ungesund, daß wir keine Freunde haben. Du nicht?»

»Reiche ich dir nicht mehr?« frage ich ein wenig beleidigt.

»Ich liebe dich...trotzdem will ich andere Leute kennenlernen.«

»Leute wie Sandro?«

»Ich meine nette Leute. Nils scheint übrigens auch angepißt zu sein. Der meldet sich gar nicht mehr. Weißt du, was der hat?«

Ja, einen ziemlichen Hau und...einen Freund. Mich.

Ups...hab ich mich eben als seinen Freund bezeichnet??

»Nö...er hat jedenfalls nix gesagt. Biste immer noch verschossen?«

Sie winkt ab. »Nein. Aber...«

»Was?«

»Nichts.« Nervös schiebt sie ihre Haare aus den Augen. »Ok, ich hab ihm zwar versprochen, daß ich nix sage aber...mann, es geht nicht anders.«

Oha...ich bin gespannt.

»Als wir allein waren...da hat er, äh, also, er meinte, daß er...also, nicht, daß du denkst, er ist schwul oder so aber...mh, er hat gesagt, daß er dich süß findet. Ich war sehr geschockt. Dann dachte ich, der wollte mir nur nicht so deutlich sagen, daß er mich abstoßend findet und hat sich stattdessen diese Geschichte ausgedacht, daß er momentan nicht so genau weiß, ob er lieber Mädchen oder Jungs mag. Ich meine, sowas weiß man doch, oder?«

»Niemand findet dich abstoßend. Du bist das schönste Mädchen im Universum.«

»Aber für ihn bist DU süß.«

»Ich weiß...er hat mir das auch gesagt.«

Caro reißt die Augen auf. »Ach ja?«

Ich nicke, sie ist genervt.

»Komm schon, laß dir nicht alles aus der Nase ziehen...wie hast du reagiert?«

»Ich war...überrascht.«

»Ist das alles?« fragt sie sichtlich enttäuscht.

»Und verwirrt. Caro...ich glaub, ich finde ihn auch süß.«

Oh mein Gott, ich habs ausgesprochen und es klingt irgendwie...toll!!

»Was?« kreischt sie. »Ach du Scheiße, willst du mir etwa sagen, du bist...«

»Nein, bin ich nicht. Ist das ein Problem für dich?«

»Daß du nicht schwul bist?« fragt sie behämmert.

»Ich meine, ist es schlimm, daß ich Nils süß finde...für dich schlimm?«

Caro legt sich flach auf den Rücken und den Arm über die Augen. »Gott, du hast aber auch immer einen Hang zu komplizierten Sachen, Juli. Erst Stella, dann diese Lisa-Schlampe und jetzt stehst du auf Jungs. Was kommt denn als Nächstes? Eine Geschlechtsumwandlung?«

»Ich bin zufrieden, daß ich einen Schwanz habe und ich stehe nicht auf Jungs. Stella war eine absolute Traumfrau und Lisa...naja, ok, das war ein Reinfall. Ich weiß einfach nicht, was ich für Nils empfinde. Das heißt, ich weiß es nicht so ganz genau.«

»Willst du mit ihm Sex haben?«

»So weit bin ich noch lange nicht.«

»Naja, mir macht es nichts aus. Ich liebe dich für immer und ewig aber...wage es ja nicht, mir in Zukunft meine Freunde auszuspannen, klar?«

»Ich lach mich tot.«

»Was machen denn deine Eltern?«

»Die Rhododendren blühen schön.«

Der ultimative Ich-möchte-nicht-über-dieses-Thema-sprechen Satz!

Nach einer Stunde Spaßgefasel verabschiedet sich Caro. Wir sehen uns eh morgen in der Schule. Leider bin ich nun wieder mit meinen Gedanken allein. Ich gehe erstmal in die Küche, um mir Tee zu holen. Die Frau sitzt am Tisch.

»Hallo, Schatz.«

Wußte ichs doch. Sie hat vergessen, wie ich heiße. Möglicherweise hat sies noch nie gewußt. Vielleicht hat sie mich von Zigeunern gekauft und Julian ist gar nicht mal mein richtiger Name?!

»Gutenabend«, sage ich so frostig wie es eben geht.

»Tut mir leid, daß du diese fürchterlichen Streitereien immer mitbekommst. Dein Vater ist so rücksichtslos.«

Leg mal eine neue Platte auf, Ma!

»Ich wollte mir nur Tee holen.«

»Julian, wir sollten reden.«

Hä? Hab ich mich verhört? Sagte sie eben JULIAN??

»Setz dich einen Augenblick, ja?«

Zwar hab ich keine Lust aber ich setze mich an den Tisch.

»Dein Vater und ich...naja, wir können einfach nicht mehr miteinander leben. Wir werden uns scheiden lassen.«

Eine neue Platte, Ma!

»Das heißt aber nicht, daß wir dich nicht mehr lieben. Du kannst gar nichts dafür, Julian.

Es liegt nur an deinem Vater. Jedenfalls müssen wir überlegen, was das beste für dich ist und ich meine, daß du bei mir bleiben solltest. Ein Kind gehört schließlich zur Mutter. Natürlich kannst du deinen Vater sehen, wenn du Wert darauf legst und ich habe auch nichts dagegen, daß du dann seine neue Freundin kennenlernst. Mach dir keine Gedanken um mich...nur du bist wichtig. Ich möchte nicht, daß du schlecht über deinen Vater denkst aber er will das Sorgerecht für dich, um mir weh zu tun...das heißt, sicher liebt er dich auch und möchte an deinem Leben teilhaben aber...er hat schließlich uns verlassen, dich und mich. Wir sollten dringend zusammenhalten, mein Sohn...uns gegenseitig stützen in dieser schwierigen Zeit.

Denkst du nicht?»

Wow, ich bin schwer beeindruckt von ihrem schwachmatischen Gefasel.

»Wie du meinst«, entgegne ich kanpp, schnappe meinen Tee und verlasse diese Zone des Irrsinns. Es könnte ja sein, daß ihre Blödviren auf mich springen.

Ich hätte gerne Eltern zum liebhaben!!

Dringend brauche ich jetzt eine vertraute Stimme, die mir was Nettes sagt. Also rufe ich Nils an.

»Hallo Baby«, strahlt er, was ich nicht sehen kann aber ich weiß, daß er es tut.

»So weit sind wir noch nicht.«

»Und wie weit sind wir?«

»Hab heute Caro gesagt, daß ich dich süß finde.«

Ich höre ein Kraschpeln.

»Hallo...bist du noch da?«

»Sorry...mir ist vor Schreck der Hörer aus der Hand gefallen.«

»Die Tatsache, daß ich dich süß finde, erschreckt dich?«

»Janee, mehr die Tatsache, daß du mir das so einfach vor den Latz knallst.«

»Ich will hier weg«, sage ich und habe plötzlich das blöde Gefühl, gleich in Tränen auszubrechen.

»Ok, was ist los?« fragt Nils sehr ernst und besorgt.

»Die Frau hat mir eben gesagt, daß der Mann an allem Schuld ist und jetzt ist es anscheinend bald soweit...er will das Sorgerecht und sie auch. Dabei geht es denen nicht um mich sondern nur darum zu gewinnen. Für die bin ich sowas wie das Haus oder das Auto. Ich kriegs echt nicht zusammen...meine verfluchten Eltern lieben mich einfach nicht. Kannst du mir das erklären?«

»Ich würde es, wenn ich könnte. Juli, ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann oder was ich dir sagen soll«, gesteht er, »aber...du kannst immer zu mir kommen, das weißt du, oder?

Ich meine, denk jetzt bloß nicht, nur weil deine Eltern zu schwachsinnig sind, um zu erkennen, was für ein unglaublicher Mensch du bist, daß sich überhaupt niemand für dich interessiert. Du bedeutest mir so viel, Juli und ich bin wahnsinnig froh, dich zu haben.»

Ok...das hilft. Dennoch muß ich ein bißchen schniefeln.

»Wenn du es nicht aushältst...komm her. Ach verflucht, ich würd dich jetzt so gerne einfach in den Arm nehmen und festhalten.«

Oh ich glaub, das fänd ich schön.

»Ich muß mal ein bißchen heulen und mir selber leid tun...wir hören uns später noch mal, ja?«

»Klar...aber kann ich dich denn allein lassen?«

»Keine Angst, ich springe nicht aus dem Fenster oder sowas.«

»Versprich mir, daß du keine Dummheiten machst, Juli.«

»Versprochen.«

»Wenn irgendwas ist, ruf mich sofort an.«

»Mach ich. Bis nachher.«

Der Hörer sinkt auf die Gabel, ich sinke in meine Kissen, umschlinge meine Knie und bleibe die nächsten Stunden so liegen.

Mitten in der Nacht klingelt das Telefon und zwar sehr laut. Verschlafen kralle ich mir den Hörer.

»Mh?«

»Hallo Sie.«

»Mann es ist tausend Uhr«, stöhne ich.

»Du hast dich nicht mehr gemeldet...ich hab mir Sorgen gemacht. Entschuldige, schlaf weiter.«

Gott...Nils ist so lieb.

»Warte, leg noch nicht auf.«

»Okay.«

Wir reden nicht. Zu wissen, daß wir jetzt in diesem Augenblick zusammen sind reicht vollkommen. Es beruhigt mich, seinen Atem zu hören. Er ist da, ich bin nicht allein...ein schönes Gefühl.

»Hey«, wispert er nach einer halben Stunde, »schlafen Sie, mh.«

»Schlafen Sie auch«, flüstere ich zurück und lege den Hörer auf.


Meine Güte...die verkackte Schule geht mir vielleicht heute auf den Sack! Hier sind ja echt nur Blödmänner und Schnepfen wie ausm Panoptikum. Außer natürlich Caro. Ich muß darüber nachdenken, daß wir keine Freunde haben und weiß wieder wieso. Freunde sind anstrengend. Die wollen immer Aufmerksamkeit und Geburtstagsgeschenke. Und wenn man mit dem einen mehr zu tun hat, fühlt sich der andere ausgeschlossen. Ich treffe auch irgendwie selten Leute, die auf meiner Wellenlänge sind. Sandro dagegen hat hunderttausend Bekannte. Ich würd bekloppt werden. Wie merkt der sich die ganzen Namen? Naja, wahrscheinlich reden die sich deswegen alle mit »Alter« an.

Gott und man müßte ständig mit denen rumhängen, auf Parties gehen und so. Ich weiß nie, wie ich mich auf Parties verhalten muß...deshalb lasse ich sowas lieber gleich sein. Mir ist auch sehr schleierhaft, wieso ich trotzdem eingeladen werde?! Normalerweise gehen Caro und ich dann sehr früh hin, hocken die ganze Zeit über zusammen, in der Hoffnung, daß man uns schön in Ruhe läßt und nach einer halben Stunde verpissen wir uns.

Jetzt geht Caro allein, bleibt bis zum Schluß und hat Spaß. Ich fürchte, ich verliere sie.

Caro hat jetzt nämlich auch Bekannte, mit denen sie einfach nur abhängt. Ich finde das echt eklig. Wir wollten niemals Bekannte haben. Zu zweit, das ist angenehm. Drei Leute, das ist schon fast eine Party und mir zu viel. Da muß man dann wieder mit denen reden und aufpassen, daß sich keiner vernachlässigt fühlt und so.

Manchmal habe ich das unbestimmte Gefühl, ich bin nicht ganz normal. Ich meine, ich bin sechzehn und finde das typische Teenagerverhalten zum Kotzen.

Ahhhh...TELEFON!

»Hallo Sie.«

Sofort hab ich gute Laune!!

»Hi.«

»Ist das alles?« fragt Nils enttäuscht. »Kein Schön, daß du anrufst, es tut gut, deine Stimme zu hören?«

»Schön, daß Sie anruufen«, säusel ich.

WAS? Ach du Kacke, ich fange auch schon an zu säuseln. Sowas...

»Wie geht es Ihnen heute?«

»Ich hab keine Freunde und...das tut mir nicht leid. Was stimmt nicht mit mir?«

»Solche schwierigen Fragen kann ich nicht am Telefon beantworten. Und was heißt hier überhaupt keine Freunde? Du hast Caro und mich.«

»Caro treibt sich jetzt auf Parties rum und du bist weit weg. Ich bin ganz allein auf der Welt.«

»Hör auf zu jammern. Du hast gerade gesagt, daß du keine Freunde willst.«

»Ich will die, die ich habe nicht verlieren. Caro entfernt sich immer mehr von mir, ich kann gar nichts dagegen machen.«

»Ich bin noch da.«

»Ja aber wie lange? Bestimmt lernst du morgen irgendwen Tolles kennen und vergißt, daß du dich in mich verliebt hast.«

Nils kichert. »Wie kann ich das vergessen? Du erinnerst mich ja ständig daran.«

»Laß das Gekicher...ich stecke in einer Krise«, entgegne ich beleidigt.

»Wann kommst du mich endlich besuchen?« wechselt er das Thema.

»Willst du mich denn bei dir haben?«

»Nein, ich frage nur, damit ich vorher verschwinden kann. Bist du bescheuert? Ich vermisse dich so sehr, daß ich wahnsinnig werde.«

Ohhhhhhhhhhhhhhh...

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum ich?«

»Das könnte ich dir natürlich sagen aber...das hier ist doch gerade fishing, mh?«

»Fishing?« frage ich.

»For compliments. Ich meine, hey...du weißt schon, daß du gnadenlos toll bist, oder?«

Ohhhhhhhhhhhhhhh...

»Nein«, sage ich leise.

»Juli, du bist ein ganz schlechter Lügner«, lacht er.

Ich zünde mir erstmal eine Zigarette an und spiele nervös mit der Telefonschnur.

»Jetzt mal ehrlich...wann hast du gemerkt, daß du mich süß findest?«

»So richtig? Mh, ich glaube, als wir am Spreeufer saßen und du diesen Spruch gebracht hast, von wegen, der kleine Juli kann an der Information abgeholt werden. Ich weiß auch nicht, das war total niedlich und du hattest so eine Scheißlaune, hast nur rumgezickt...«

»Du mochtest mich wegen meiner miesen Laune?«

»Haha...ich steh halt auf Arschlöcher.«

»Ah, wir sind heute sehr charmant, was?«

»Sind wir doch immer«, entgegnet er.

»Weiter.«

»Weiter was?«

»Da mochtest du mich also.«

»Klar, wenn du wüßtest wie süß du aussiehst, wenn du genervt bist. Richtig gefunkt hat es am letzten Abend, als wir im Burger King saßen. War das nicht unglaublich?«

Ja, in der Tat. Und ich dachte noch, ich hätte eine Grippe.

»Sind wir eigentlich jetzt...zusammen?«

»Davon gehe ich aus, immerhin erzähle ich schon allen, daß du mein Freund bist.«

»Wie allen? Wer ist denn Alle?«

»Lotte, Paul und...mh, naja, Mädchen, die was von mir wollen.«

»Du läßt dich also von irgendwelchen Möpsen beflirten?«

»Ach...mh...naja...aber ich sage denen ganz deutlich, daß ich vergeben bin. Und treu.«

»Und wenn ich dich besuche und wir merken, daß wir uns vertan haben?«

»Dann suche ich mir Möpse.«

»Ernsthaft, Nils. Wie können wir zusammen sein, wenn wir uns nie sehen? Wir kennen uns fünf Tage und spielen hier verliebt seit Jahren...wie in einem blöden Buch oder sowas. Ich sag dir mal was, wir sind total bescheuert.«

»Mann«, unterbricht er mich seufzend, »mach doch nicht immer alles so kompliziert. Mich interessiert außer dir niemand, ok? Ich will dich in meiner Nähe haben und wenn du hoffentlich bald bei mir bist werden wir schon sehen, was passiert.«

»Und wenn nichts passiert?«

»Halte ich für ausgeschlossen. Irgendwas passiert nämlich immer. Das nennt man Leben.«

Was soll man darauf noch sagen?

»Ich nehme an, du erwartest von mir auch, daß ich die Finger von den Mädchen lasse, ja?«

Er schweigt eine Weile, dann »Ich leg jetzt auf.«

»Was? Wieso?«

»Na rate mal. Tschüß.«

Klick. Aufgelegt.

Kein »Schlafen Sie«, kein »Bis bald«...was ist denn jetzt kaputt??


Der Mann steht mit gepackten Koffern im Wohnzimmer, die Frau mit einem Glas Wein am Fenster. Ich kann nur hoffen, sie sagen mir an meinem achtzehnten Geburtstag, daß sie mich adoptiert haben. »Julian«, beginnt der Mann, »gut, daß du kommst.« Er reicht mir eine Visitenkarte. »Hier, das ist meine neue Adresse. Daß ich ausziehe heißt ja nicht, daß wir uns nicht mehr sehen.«

»Als ob du jemals Zeit für deinen Sohn gehabt hättest«, wirft die Frau spöttisch ein und leert ihr Weinglas.

»Jedenfalls haben Ariane und ich in unserer Wohnung ein Zimmer für dich, du kannst also immer kommen, wenn du möchtest. Ariane freut sich schon darauf, dich kennenzulernen.«

»Sag deiner kleinen Schlampe, sie soll gefälligst die Finger von meinem Sohn lassen«, kreischt die Frau und gießt sich Wein nach.

»Ich finde, du solltest dich nicht so gehenlassen. Die wievielte Flasche ist das?«

»Ich finde, DU solltest jetzt gehen und zwar durch diese Tür und wag es bloß nicht noch einmal einen Fuß in dieses Haus zu setzen.

»Julian, ich möchte wirklich, daß du zu uns kommst.«

Die Frau legt ihre Arme um mich. »Mein Sohn weiß, wohin er gehört. Und jetzt raus hier.«

Der Mann seufzt. »Bis dann, Junge.«

»Pah...denkt, daß er dich mit einem schön eingerichteten Zimmer kaufen kann«, zischt sie und schmiegt sich an mich.

Mir wird übel. Ich warte, bis ihr alkoholbedingter Sentimentalitätsausbruch vorbei ist und beglückwünsche mich, daß ich die Dummheit und Ignoranz meiner angeblichen Eltern nicht geerbt habe.

Nils hat mich drei Tage nicht angerufen, ich ihn ebenfalls nicht. Mein Herz spielt verrückt.

Das klopft immer total laut, setzt manchmal aus, nur um dann mit der doppelten Geschwindigkeit drauflos zu bollern. Meine Kopfschmerzen gehen überhaupt nicht mehr weg und mein Magen fühlt sich an, als wär ich zehn Stunden Achterbahn gefahren.

Hab ich mich mit Nils gestritten? Nein, das müßte mir doch aufgefallen sein, oder? Warum ist es ihm plötzlich scheißegal, wie es mir geht? Drecksack. Ich hasse ihn.

Ich rufe ihn an.

»Hallo. Na, alles klar?«

Was ist das denn fürne Begrüßung?

»Hab ich dir irgendwas getan?«

»Wie kommst du darauf?« fragt er.

»Das muß ich dir doch nicht wirklich erklären, oder?«

»Hatte in den letzten Tagen viel zu tun. Schule, Lotte, Proben usw.«

»Das hast du sonst auch, trotzdem telefonieren wir.«

»Vielleicht hast du ja recht...vielleicht sind wir tatsächlich einfach nur bescheuert und haben uns da in was reingesteigert.«

»Meinst du das ernst?«

»Du etwa nicht?«

Ich will nicht, daß er so kalt ist. Ich will, daß mir seine schöne weiche Stimme sagt, daß er mich vermißt, verdammt noch mal.

»Tut mir leid, Nils. Ich mag nicht mit dir streiten...das hab ich hier schon genug.«

»War es wieder so schlimm?«

Ich lache spöttisch. »Eigentlich war es überhaupt nicht. DAS ist ja das Problem. Aber ich will gar nicht darüber reden.«

»Worüber dann?«

»Über uns?« schlage ich vorsichtig vor.

»Keine gute Idee. Das Thema nervt. Sieh mal, du hast deutlich klargestellt, daß du auf nichts verzichten willst. Ok, wir sind Freunde und jeder macht seinen Kram, dabei sollten wir es belassen. Sorry aber ich muß los. Wir telefonieren wieder, ja? Bis bald.«

Mein Herz rast schon wieder und ich glaube, ich sollte mal lieber das Klo aufsuchen. Hab da so eine Ahnung, daß ich mich gleich übergeben muß.

Abends liegt Caro neben mir und schwärmt ohne Punkt und Komma von ihrem neuen Freund. Ja, genau, sie ist mit jemandem zusammen. Mit jemandem, den ich noch nicht einmal kenne. Früher hat sich mich immer zuerst gefragt aber das scheint Jahre her zu sein.

»Chris würde dir gefallen...der kuckt auch immer Buffy. Oh und der ist so süß und aufmerksam. Ich glaub, mich hats echt total erwischt. Du mußt ihn unbedingt kennenlernen.«

Ich will ihn aber gar nicht kennenlernen. Ich will meine Caro zurück.

Um sie von ihrem Verknalltheitswahn abzulenken, erzähle ich ihr von meinen letzten Gesprächen mit Nils.

»Gott, Juli«, beginnt sie, »du bist manchmal so ein Vollidiot.«

»Danke, das hilft mir weiter.«

Sie setzt sich auf und zündet eine Zigarette an. »Worauf wartest du eigentlich noch?«

»Hä?«

»Du sitzt hier und denkst und denkst und denkst...pack um Himmelswillen endlich deine Tasche und FAHR NACH BERLIN...du großer Gott«, stöhnt sie und fuchtelt mit der Kippe vor meiner Visage rum.

»Aber...«, mache ich hilflos.

»Oder bleib hier und warte darauf, daß ihn dir jemand vor der Nase wegschnappt. Mann, er hat dir gesagt, daß er dich haben will, oder etwa nicht? Willst du ihn auch? Dann nichts wie hin. Wenn nicht...was soll dann das Gejammer?«

»Und wenn wir doch nicht...«

»Und wenn der Puhbär mit der Nase im Astloch stecken bleibt?« faucht sie. »Du wirst nix herausfinden, indem du hier sitzt und darüber nachdenkst, Spasti. Fahr zu ihm, schlag ihn zu Brei oder vögel ihm den Verstand raus nur...FAHR hin!«

»Aber die Schule und meine Eltern...«

»Ich habe dazu alles gesagt«, unterbricht sie mich, »deine bescheuerten Ausflüchte behalte für dich, ja?«

Verfluchte Scheiße...Caro hat recht!!

»Ich liebe dich, Caro, weißt du das?«

Sie lächelt. »Ich wünsch dir eine schöne Zeit mit Nils.«


Ok, ich hab Klamotten für hundert Jahre in meinen Rucksack geknallt, ein Zugticket gekauft, den Zettel mit Nils Adresse in meiner Hosentasche und der Frau aufgeschrieben, daß ich übers Wochenende bei einem Freund bin. Es kann also losgehen. Nils selbst hab ich mal lieber nicht Bescheid gesagt. Wollte nicht riskieren, daß er mir absagt.

Normalerweise müßte ich mir jetzt tausend Gedanken machen...was ist, wenn er mich nicht sehen will...was, wenn er gar nicht da ist, mich sofort rauswirft, wir uns doof finden usw...

aber ich habe beschlossen, damit noch zu warten. Ist schließlich eine lange Zugfahrt...haha.

BERLIN, BAHNHOF ZOO!!

Scheiße, was nun? Gott ist das hier alles unübersichtlich. Mann und so viele Leute und überhaupt. Ich fühle mich plötzlich wie acht Jahre alt und sehr weit weg von Zuhause.

Zum Glück hab ich schonmal aufn Stadtplan gekuckt und weiß, daß ich gleich quer durch die Stadt fahren werde. Ich weiß nur noch nicht wie, womit und bis wohin. Zu Tode möchte ich mich fürchten aber das wäre jetzt ungünstig, weil ich ja hier nicht übernachten will also muß ich mal langsam irgendwas tun.

U-Bahn, ja...mh...nochmal einen Blick auf den Plan, gut, weiß ungefähr, wo ich raus muß.

Mann, das sieht hier echt alles ganz anders aus, als auf dem ippeligen Stadtplan. Riesenhaft ist es hier und die Häuser, die ich beim letztenmal noch so schön fand, erschlagen mich beinahe. Mein Magen rebelliert, ich habe Gummibeine, der Rucksackriemen schnürt in meine Schulter, mein Herz schlägt nicht mehr und ich bin schon fast da. Maximilianstraße, Hausnummer...hab ich vergessen, wo war noch gleich der Zettel? Ach ja, Hosentasche, alles klar, da vorne wohnt Nils und mir ist zum Kotzen schlecht. Toll, wie lange haben wir auf den Moment gewartet, in dem ich ihm auf die Füße breche?!

Ich drücke kurz auf die Klingel, an der Fischer steht und warte beklommen, will weg aber der Türöffner summt und ich stiefel todesmutig die Stufen hinauf. Die Tür ist angelehnt...

ich werde fast ohnmächtig. In meinen Ohren rauscht irgendwas.

»Hallo, willst du zu uns?«

Eine Frau mit schwarzen Charlotte-Roche-Haaren steht lächelnd in der Tür. Seine Mutter?!

»Ich...ähem...hallo, ist...ist Nils da?«

»Nee, tut mir leid.«

Ich bin soeben totgegangen! Mit hängenden Schultern stehe ich da und weiß nicht mehr weiter. Die Frau mustert mich kritisch, wirft einen Blick auf meinen Weltreiserucksack und sieht mich dann wieder an.

»Sag mal...bist du etwa...Juli?«

»J-Ja.«

»OH MEIN GOTT«, brüllt sie. »Komm rein...wow, ich kanns gar nicht fassen, daß du da bist.«

Kann ich auch nicht. Sie zieht mich in die Wohnung, schiebt mich in die geräumige Küche und bietet mir einen Platz an.

»Nils hat mit keinem Wort erwähnt, daß du kommst. Magst du was trinken, was essen oder dir die Hände waschen?«

»Nein...danke. Äh...Nils weiß nicht, daß ich...also...mh...«

»Du wolltest ihn überraschen, was? Oh, das ist so süß«, lächelt sie.

»Vielleicht können Sie ihm sagen, daß ich hier war.«

»Du willst schon wieder gehen?« fragt sie irritiert. »Nee, wenn Nils erfährt, daß ich dich weggelassen habe reißt er mir den Kopf ab. Der muß sowieso jede Minute kommen. Willst du wirklich nichts essen?«

Ich schüttle den Kopf, worauf sie sich zu mir an den Tisch setzt und eine Zigarette anzündet.

»Bist du müde? Ich meine, es war doch bestimmt eine lange Fahrt, mh?« lächelt sie und streicht sich den Pony aus der Stirn.

»Geht so«, murmle ich verschämt und starre krampfhaft auf meine schwitzigen Finger.

Plötzlich kichert sie. »Du mußt entschuldigen, daß ich gerade so ausgetickt bin aber Nils hat schon so viel von dir erzählt und jetzt bist du leibhaftig hier.«

Ach du Kacke!

»Haha...der wird sich vor Freude ins Hemd machen.«

Das glaube ich irgendwie nicht.

Dann dreht sich auf einmal ein Schlüssel im Türschloß, Nils Mutter springt auf.

»Das ist er«, ruft sie, zwinkert mir zu und läuft in den Flur.

Ich bin immer noch tot!

»Nils...rate mal, wer da ist«, kreischt sie.

»Hi, Mom.«

Oh...seine Stimme!!

Nach einigen Sekunden steht er in der Küche.

»JULI...ach du Scheiße. Was...was machst du denn hier?«

Er sieht überrascht aus, ob angenehm oder unangenehm kann ich nicht genau sagen. Ich kann aber sagen, daß er SEHR gut aussieht. Schlabberjeans und dunkelblaues Flauschishirt, das so kurz ist, daß man die Boxershorts über dem Hosenbund sehen kann. Seine Haare sind etwas länger geworden, glaube ich. Sie hängen ihm ins Gesicht, bis zur Nasenspitze. Süß!!

»Hi...«, sage ich leise. Mehr fällt mir nicht ein.

»Wie kommst du denn hierher und...mann, warum hast du nichts gesagt? Wie lange kannst du bleiben?«

»Ich...ich weiß nicht, äh...«, stammel ich unglücklich.

»Mom? Es ist doch ok, wenn Juli hier bleibt, oder?«

»Nein, er schläft unter der Brücke, Dummkopf. Wieso zeigst du ihm nicht erstmal alles, mh?«

Er nimmt meine Hand und schleift mich durch die Wohnung.

»Bad, Wohnzimmer, da vorne ist Pauls Zimmer, Moms Schlafzimmer...die Küche kennst du ja schon und hier«, er öffnet eine Tür und schiebt mich in den Raum, »hier ist mein Zimmer. Fühl dich einfach wie zuhause.«

HAHA...ich lach mich kaputt.

Wir stehen uns gegenüber, er lächelt und das macht mich jetzt total schwach. Mmmmh...wie gut er riecht.

Der Rucksack, den ich aus Gründen, die ich vergessen habe, an meine Brust gepreßt halte, ist tonnenschwer...langsam lasse ich ihn zu Boden fallen.

»Du hast mir deine Tasche auf die Füße geworfen«, flüstert er grinsend.

Ich werde rot und fange leicht an zu schwitzen. »Oh...« Mein Kopf ist ganz sagenhaft leer.

Nils kickt den blöden Rucksack weg und ist plötzlich sehr nah. Seine Hände legen sich auf meine Hüften.

»Hallo Sie«, haucht er, küßt mich kurz auf den Mund und ich sterbe ein weiteres Mal.

»Hallo«, murmel ich mit roten Wangen und schäme mich so gut ich kann.

Einen Augenblick sieht er mich nur an, dann macht er einige Schritte zurück.

»Scheiße...ich hab gar nicht aufgeräumt«, faselt er und fängt sofort an, hektisch Kleidungsstücke in seinen Schrank zu stopfen; Bücher, CDs und Zeitschriften zusammenzuschieben.

»Setz dich. Willst du was essen? Was trinken?«

»Danke.«

Er sieht verwirrt aus. »Danke ja oder danke nein?«

»Danke nein«, antworte ich, setze mich aufs Bett und blicke mich um. Schönes Zimmer, nicht viel drin (Bett, Schrank, Schreibtisch, Fernseher) aber bemerkenswert unaufgeräumt.

Es ist toll, daß er ebenso unordentlich ist wie ich.

Nils läßt sich neben mich fallen. »Bist du abgehauen?«

»Nicht ganz. Hab der Frau geschrieben, daß ich bei einem Freund bin.«

»Und wie lange bleibst du?« fragt er und zündet zwei Zigaretten an, von denen er mir eine gibt. Ahhh...wie aufmerksam.

»Keine Ahnung. Wie lange darf ich?«

Er streicht mir eine einzelne schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. »Für immer!?«

Mir wird schwindelig. SEHR schwindelig und ich muß husten, weil Zigarettenrauch irgendwohin gekommen ist, wo er nicht hin darf.

»Alles ok?«

»Ja...geht schon«, röchel ich. »Ich wußte nicht, ob...ob du dich freust, mich zu sehen. Ich meine, unser letztes Gespräch war...«

»Vergiß das«, unterbricht er mich, »ich finds schön, daß du da bist.« Er greift nach meiner Hand und spielt mit meinen Fingern. Ich muß augenblicklich Beklemmungen kriegen und rot werden. Kacke, mit Mädchen ist das alles einfacher.

»Deine Mutter...weiß von uns?« frage ich.

»Naja, hab wohl ein bißchen sehr von dir geschwärmt«, antwortet er und wird zum erstenmal ein wenig rot. »Meine Mutter ist cool, mit der kann man über sowas reden.«

Ich weiß ich weiß...ich sollte mich freuen, hier zu sein. Und einerseits tu ich das auch.

Aber...mann, das ist alles so schwierig. Meine Befürchtungen kehren zurück, ich bin total verkrampft und traue mich überhaupt nicht, etwas zu sagen oder mich zu bewegen. Das ist doch bescheuert. Wir haben uns am Telefon super intime Sachen erzählt und jetzt, hier neben ihm kann ich nicht einmal übers Wetter reden. Echt, ich habe plötzlich ein totales Vakuum zwischen den Ohren.

Wow...und dann seine Familie. Im Laufe des Abends lerne ich nämlich noch seinen Bruder Paul kennen, der ungefähr ebenso nett und hübsch ist wie Nils und seine Mutter.

Erwähnte ich, daß Sarah (darf sie seit dem Abendessen so nennen aber ich versuche es zu vermeiden) wahnsinnig gut aussieht?! Tut sie. Wenn ich fünfzehn Jahre älter wär...hihi!

Jedenfalls beneide ich Nils um seine Familie. Die kümmern sich alle umeinander und sind so aufmerksam, lieb und nett, daß ich ständig mit den Tränen kämpfen muß. Vielleicht mögen die mich ja adoptieren??

Nach dem Essen laufen wir noch eine Weile durch die Straßen und können endlich ein bißchen normaler miteinander reden. Lustiges Spaßgefasel...nichts von Bedeutung. Es dämmert langsam, ein warmer Sommerwind streift meine Haut. Nils hält meine Hand und zum erstenmal seit ich hier bin fühle ich mich wohl.

Das verschwindet allerdings schnell als es an der Zeit ist, schlafen zu gehen.

Wir hängen gerade in seinem Zimmer aufm Bett, hören MUSE und trinken grünen Tee.

»Bist du gar nicht müde?« fragt er.

Eigentlich schon aber uneigentlich traue ich mich gar nicht. Sein Bett ist verflucht schmal und ich sehe hier keine Luftmatratze oder dergleichen.

»Ich hab son komisches Klappbett...«

Gott sei Dank!!

»...aber das ist erstens unbequem, zweitens müßte ich das ausm Keller holen und drittens darf man sich darauf nicht bewegen, weil das sonst mit einem zusammenbricht. Also wenn es dir nichts ausmacht...du kannst in meinem Bett schlafen.«

»Ok«, sage ich obwohl ich lieber das zusammenbrechende Klappteil hätte.

»Fein«, strahlt er und fängt auch schon an, sein Shirt auszuziehen.

Ich starre verstohlen auf seine nackte, leicht gebräunte Brust und fächel mir in Gedanken Luft zu. Jetzt kommt die Hose...naja, erstmal der Gürtel, den zieht er gleich komplett aus den Hosenlaschen, was mich an den Rand des Irrsinns bringt. Wie kommt es nur, daß ich plötzlich auf so Kleinigkeiten achte?? Oh wie süß...auf seinen Boxershorts sind Fledermäuse.

»Die hat Lotte mir geschenkt, als sie ihre gruftige Phase hatte«, grinst er. »Naja, eigentlich hat sie die immer noch.«

Au weia, das heißt also, er hat mein Glotzen total bemerkt. Ich werde rot (was sonst?!).

Während Nils ins Bad verschwindet, springe ich auf, wühle wild in meiner Tasche, reiße mir die Klamotten vom Leib, ziehe ein T-Shirt an und schaffe das alles, bevor er zurück kommt.

Mein Herz rast ob der Anstrengung.

»Schläfst du immer angezogen?« fragt er grinsend.

Ich zucke nur benommen die Schultern und kann meinen Blick nicht von seinem niedlichen Bauchnabel wenden.

»Ok«, sagt er und hopst ins Bett.

Nach Händewaschen und Zähneputzen liege ich dann endlich neben ihm und kann nicht atmen. Wenn ich es tue, kommt sofort sein betörender Duft in meine Nüstern.

Ehrlich, ich hatte Nils gar nicht SO süß in Erinnerung. Auf der Klassenfahrt hat er mich ja eigentlich auch noch überhaupt nicht interessiert. Wieso also jetzt auf einmal? Die Tatsache, daß ich plötzlich einen Jungen mag ist nun doch ein bißchen verwirrend. Nils scheint ja wohl überhaupt keine Probleme damit zu haben, oder wie?!

»Schlafen Sie«, wispert er und küßt mich auf die Wange.

Ich brenne lichterloh und schnappe nach Luft. Das da neben mir ist mein Freund!! Mein sehr hinreißender Freund.

Ich will...

»Nils«, brülle ich fast.

»Ja?«

»Darf ich mich an dich kuscheln?« Ich brülle immer noch.

»Schhhh...«, macht er und giggelt schon wieder, »klar.«

Ich rücke ein Stück näher, kann seine Wärme spüren; seine Arme, die mich umschlingen. Seine Finger spielen mit meinen Haarspitzen.

»Ok so?« fragt er leise in mein Haar.

»Hm-hm. Was machen wir denn morgen?«

»Keine Ahnung...ist das jetzt wichtig?«

Sicher nicht aber reden lenkt mich von meiner Nervosität ab, also fasel ich einfach drauflos. Von der Oma, die im Zug ihre Leberwurstschnittchen auspackte; den Kegelbrüdern, die Bierkrüge in Schnapspinnchengröße um den Hals trugen usw.

»Ich weiß echt nicht, was in solchen Menschen vor sich geht. Ich meine...Bierkrüge an einer Kordel um den Hals, das ist doch...«

»Juli«, unterbricht er mich leise.

»Ja?«

»Ich mag jetzt ehrlich gesagt nicht über sowas reden.«

Ich ja eigentlich auch nicht.

»Sondern?«

Seine Hand wandert unter mein T-Shirt und streicht sehr weich über meine nackte Haut.

»Ich...ich möchte dich gerne küssen.«

Meine Kehle ist trocken, ich schlucke schwer und rücke ein Stück weg von ihm. Nils beugt sich über mich, sein Atem streift mein Gesicht, seine Lippen berühren meinen Mund und...

GOTT kann der küssen!!

Innerhalb einer einzigen Sekunde bin ich süchtig nach seinen anbetungswürdigen Lippen, seiner Zunge, die meine umschlängelt. Knutschen mit Stella war immer toll aber Nils küssen ist einfach...unbeschreiblich. Sagenhaft. Wo hat der das bloß gelernt?


Ich öffne meine Augen und muß ganz klassisch erst einmal überlegen, wo ich bin. Das heißt, ich weiß es genau, ich kanns nur nicht so richtig glauben. Auch nicht, was gestern nacht passiert ist. Dabei ist natürlich nicht so schrecklich viel passiert. Nils und ich haben geknutscht, als ginge morgen die Welt unter und sind mittendrin anscheinend eingeschlafen.

Irgendwas drückt sehr auf meinen Brustkorb...oh, Nils liegt halb auf mir. Ach so...alles in Ordnung. Hihi, er schnauft leise im Schlaf...süß. Überhaupt mag ich es, ihm beim schlafen zuzusehen. Er sieht so friedlich aus, so entspannt und schön. Und er ist ganz warm.

Ich fange an, das Gefühl, mit jemandem zusammen aufzuwachen zu mögen. Caro und ich haben unzählige Male zusammen im selben Bett geschlafen aber Nils neben...äh...auf mir ist anders...mh...SEHR angenehm.

Vorsichtig streiche ich ihm honigblonde Haare (hab nämlich festgestellt, daß seine Haare tatsächlich honigfarben sind. Honig mit Schoko- und Vanillesträhnen!!) aus dem Gesicht. Träge bewegt er sich, streckt sich, öffnet die Augen ein bißchen und lächelt verschlafen.

»Hey...Sie«, flüstert er rauh und küßt mich.

Zur Hölle mit morgendlichem Abartigkeitsatem, ja?!

Behaglich kuschelt er sich an mich. »Wie spät ist es?«

»Halb zehn.«

»Oh verflucht«, stöhnt er in mein T-Shirt (habs nicht über mich gebracht, es auszuziehen, obwohl Nils mich mehrere Male darum gebeten hat), »Lotte kommt zum Frühstück. Hab total vergessen, ihr abzusagen. Ich wußte ja nicht, daß du da sein würdest.«

Er drückt sich noch einmal an mich, knabbert an meinem Hals und steht schließlich auf.

»Ich gehe duschen.«

Einige Zeit später sitzen wir am gedeckten Küchentisch. Sarah kippt hastig ihren Kaffee runter.

»Hast du gut geschlafen?« fragt sie. »Hoffentlich war die alte Klappliege nicht zu unbequem.«

Mir wird warm im Wangenbereich.

»Mom, du weißt sehr genau, daß das Teil noch im Keller steht. Juli ist mein Freund...alles klar?«

»Glasklar. Haltet euch trotzdem zurück, ja? Schließlich bin ich eine stinknormale Mutter und mag nicht mit dem Liebesleben meines Sohnes konfrontiert werden. Egal ob Freund oder Freundin.«

Nach dieser Peinlichkeit macht sie sich auf den Weg zur Arbeit. Paul ist gottweißwo. Mir ist übel. Ich muß gleich Nils beste Freundin kennenlernen, die ich eigentlich aus irgendwelchen Absurditätsgründen nicht ausstehen kann. »Wir fangen schonmal an«, beschließt Nils und legt mir einen Nutellatoast auf den Teller, »Lotte kommt eh immer zu spät.«

In diesem Augenblick klingelt es. Ich möchte auf den Toast brechen.

Er geht zur Tür, ich höre ein säuselndes »Hallo, Spatz« und hasse Lotte gleich noch ein bißchen mehr. Dann höre ich Nils, der sagt, daß Juli da ist und ihr überraschtes »Aha?«

Als sie reinkommt...wow...was für eine Erscheinung!

Ganz in schwarz. Hose, Minirock darüber, Silberkettengürtel und son Spitzenoberteil. Ihre Haare reichen vermutlich bis zum Fuß. Ich dachte immer, Stella hätte lange Haare aber ihre glatte tiefschwarze Mähne geht echt bis fast zum Hintern, der Pony ist dafür sehr kurz.

Mit ihren großen blauen Strahleaugen, dem blassen Gesicht und den zart geröteten Wangen sieht sie aus wie Schneewittchen höchstpersönlich. Allerdings eine sehr gruftige Ausgabe.

»Das ist er also, mh?« sagt sie und wirft mir einen eigentümlichen Blick zu. »Steh mal auf.«

»Hä?« mache ich.

»Aufstehen...vom Stuhl.«

»Lotte«, stöhnt Nils augenverdrehend. »Juli, du mußt das nicht machen.«

Ich erhebe mich und verschränke die Arme vor der Brust. »Sonst noch was?« frage ich zickig.

Sie schleicht um mich rum, mustert mich kritisch und schüttelt den Kopf. »Tja...ist ja nicht viel dran an ihm...seit wann stehstn du auf dürr...mh, aber ne hübsche Visage und...«, sie umrundet mich nochmal, »einen süßen kleinen Arsch. Danke, kannst dich wieder setzen.«

Ich sollte vielleicht erstmal meine Kinnlade vom Boden aufheben. Ist die irre oder was?!

»Na jut, in den hätt ick mir och verkuckt«, grinst sie.

»Juli...das ist Charlotte. Sie ist manchmal etwas...eigenartig«, erklärt Nils und tippt sich mit dem Finger an die Stirn.

»Blödarsch«, zischt sie und schlägt ihm leicht gegen den Hinterkopf, dann an mich gewandt, »Du mußt das verstehen, Nils schleppt sonst beziehungstechnisch immer nur Nieten an und jetzt, wo er beschlossen hat, schwul zu werden, muß ich ja schließlich darauf achten, daß er an dieser Tradition nicht festhält. Und glaub mir, ich bin Expertin in Sachen männliche Nieten.«

»Und...was denkt die Expertin?« frage ich.

»Du stehst auf Buffy? Ok, wen magst du am liebsten, abgesehen von Spike, der, wenn ich mal für uns alle sprechen darf, sowieso der Coolste ist?«

»Giles. Der ist superlustig...und Anya.«

»Hast du die Folge gesehen, in der der Zauberladen wieder eröffnet wurde?«

»Du meinst, als Giles plötzlich in diesem Zaubererkostüm da stand? Mann, Caro und ich haben uns fast in die Hose gepißt.«

Charlotte schüttet sich aus vor Lachen. »Ja, genau und Anya, mit dieser Tussi Bitte gehen Sie..haha...geil.« Sie wischt sich Tränen aus den Augen. »Ok, zurück zum Thema. Was ist besser...Marmelade oder Nutella?«

»Nutella.«

»Grüner Tee oder roter?«

»Grüner. Der rote schmeckt wie ausgekotzte Himbeeren.«

Sie nickt eifrig. »Coca-Cola oder Pepsi?«

»Egal, hauptsache Light mit Zitronensaft.«

Sie beißt in ihren Nutellatoast. »Doctor Snuggles oder Hallo Spencer?«

»Hey das ist gemein.«

Lotte grinst zufrieden. »Spatz, kann er gut küssen?«

Au weia...ich werde rot und schwitze. Nils Gesicht verfärbt sich ebenfalls.

»Hm-hm«, macht er verschämt.

»Dann heirate ihn. Sofort«, grinst sie. »Übrigens hat Schröder heute noch eine Probe angesetzt.«

»Der tickt doch nicht mehr richtig. Nur weil der gestern einen cholerischen Anfall hatte und sich verpißt hat? Ohne mich«, entgegnet Nils.

»Ganz meine Meinung. Ich kann Tom nicht schon wieder versetzen und ihr habt ja sicher auch schon was vor, mh? Was habtn ihr noch vor? Wie lange bleibst du überhaupt, Juli?«

»Keine Ahnung«, sage ich etwas unkomfortabel.

»Vielleicht könnten wir heute abend ein bißchen ausgehen? Haben wir ewig nicht mehr gemacht, Spatz, mh? Ich hab mal wieder Lust zu tanzen.«

»Also eigentlich wollten Juli und ich...äh...«

»Einen romantischen Abend verbringen?« fragt sie mit hochgezogener Braue.

»Sowas in der Art«, nickt er und errötet, was unglaublich süß aussieht.

»Ach du Scheiße...seit wann wirst du denn ständig rot?« kichert sie.

»Lotte...«, stöhnt er.

»Was denn? Hab doch nur gefragt. Mann und wie du die ganze Zeit strahlst...als du mit Jenny zusammen warst hast du nie so ausgesehen.«

»Lotte!«

»Ich weiß, wie ich heiße.«

Wer zur Hölle ist Jenny??

»Gott, war das eine Kotzkuh. Hat er dir erzählt, wie die rumgezickt hat, wenn er mit mir verabredet war?«

»Nee, hat er nicht«, antworte ich.

»Das macht er später«, wirft Nils ein.

»Ups, bin ich da innen Fettnapf getreten?«

»Nicht zum ersten und ganz sicher nicht zum letzten Mal.«

»Bekomme ich trotzdem noch einen Toast, Spätzchen?«

Nils seufzt. »Wenn du versprichst, danach zu verschwinden.«

»Sehr charmant.«

Also...ich könnte mir vorstellen, Charlotte zu mögen aber, wenn die meinen Freund weiterhin als Spatz und Spätzchen bezeichnet wird das schwierig.

Zum Glück geht sie tatsächlich bald und küßt Nils zum Abschied auf den Mund, was mich etwas ankotzt. Ich bin sofort eifersüchtig, dabei müßte ich doch wissen, daß das sicher nichts weiter zu bedeuten hat. Schließlich küsse ich Caro auch oft so.

»Tut mir leid. Lotte ist...«

»Sehr niedlich, SPATZ«, unterbreche ich ihn.

»Mann, ich hab ihr schon tausendmal gesagt, daß sie mich nicht so nennen soll.«

»Ist doch süß. Caro sagt zu mir immer Knallkopp. Ich finde, du kannst dich da kaum beschweren.«

Nils blickt sich um, grinst und sitzt plötzlich auf meinem Schoß. »Hey...wir sind allein.«

»Ist mir aufgefallen.«

»Küssen Sie mich, bevor ich sterbe«, flüstert er.

»So schnell stirbts sich nicht.«

Er schlingt seine Arme um meinen Hals und streichelt meinen Nacken. »Küß mich trotzdem.«

Die nächste Stunde tue ich nichts anderes.

Danach schlendern wir durch die Stadt. Es ist warm, die Sonne scheint und ich bin auf einmal ganz übermütig und greife nach Nils Hand. Er wird rot und strahlt mich an, ich werde rot und strahle zurück. Alle paar Meter bleiben wir stehen, um uns kurz zu küssen.

Die Leute müssen denken, wir hätten Drogen genommen. Ich jedenfalls fühle mich so.

Zwischen küssen und strahlen findet Nils immer noch Zeit, mir zu erklären, wo wir uns gerade befinden und wohin wir gehen. Ich bin sehr beeindruckt, weil ich dagegen schon fast meinen eigenen Namen vergessen hab.

Wir sitzen eine Weile am Neptunbrunnen (sagt Nils), schlürfen in irgendeinem Café einen Schoko-Zimt-Shake, halten Händchen und lächeln uns einfach nur an. Ich bin total berauscht...und bekomme meine üblichen Panikschübe. Ich meine, das alles hier ist einfach viel zu perfekt. Wo ist verdammt noch mal der Haken? Es muß einen geben.

Ich neige leider nicht dazu, an das große, unbeschwerte Glück zu glauben. Und selbst wenn...

es hält doch eh nie lange an. Kann es ja gar nicht.

Abends hängen wir auf seinem Bett, Lotte hat angerufen und gefragt, ob wir mit in diesen tollen Club gehen aber Nils hat ihr abgesagt.

»Was ist denn los? Wärst du lieber mitgegangen?« fragt er.

»Nee, ist schon ok so.«

»Aber irgendwas stimmt doch nicht, mh?«

»Der Tag heute war wirklich total schön...es ist nur, ich...«

»Du kannst das alles nicht richtig genießen, weil du dir ständig so blöde Gedanken machen mußt, daß etwas Schlimmes passiert, ja?« unterbricht er mich.

Puh, der kennt mich wirklich gut.

»Und wenn wir uns jetzt streiten oder ich tot umfalle...wärst du dann zufrieden, weil sich deine Befürchtungen bestätigt haben? Hey...entspann dich einfach mal. Es ist doch alles in Ordnung.«

»Das finde ich nicht.«

»Dann rede mit mir.«

Tolle Idee. Wie kann ich ihm denn erklären, was ich selber nicht begreife? Unsere Telefonfreundschaft ist eine Sache, er neben mir eine andere. Ihn sehen und spüren...ich hab mich noch niemals bei jemandem so wohl gefühlt und gleichzeitig so wahnsinnige Angst gehabt, ihn zu verlieren.

Caro kenne ich seit dem Kindergarten und auch wenn wir momentan etwas entfernt voneinander sind weiß ich einfach, daß sie niemals weggeht. Caro ist die einzige Sicherheit in meinem Leben. Wie kann ich mich auf Nils einlassen, mit dem ich grad mal anderthalb Tage verbracht habe? Nils und ich...das ist alles schon viel zu tief. Wenn er morgen aufwacht und feststellt, daß er sich geirrt hat? Wenn ich wieder zuhause bin und er sich in irgendwen verliebt? Ach komm schon, Juli...was, wenn morgen die Welt untergeht, mh? Zur Hölle mit den ganzen Kackgedanken. Genieße, was du gerade hast. Das würde Caro sagen und sie hat wie immer recht. Trotzdem, auch wenn der Moment noch so schön ist...ich weiß doch, daß er bald vorbei ist und dann ist alles wieder düster.

»Wie ich sehe möchtest du mir nicht sagen, was sich hier drin abspielt, richtig?« fragt Nils und tippt mit dem Finger an meine Stirn.

»Tut mir leid aber das ist alles zu unausgegoren.«

»Ok«, zuckt er die Schultern, »wenn du so weit bist, laß es mich wissen.«

»Bis du jetzt sauer?«

»Nee, ich werde die Zeit, die wir haben nicht damit verbringen, sauer auf dich zu sein. Was aber nicht bedeutet, daß du totale Narrenfreiheit hast. Wenn du dir wegen irgendwas Sorgen machst, sags mir. Wenn nicht«, er grinst, »küß mich.«

Und schon hänge ich an seinen Lippen. Erwähnte ich, daß Nils unwahrscheinlich gut küssen kann? Er schafft es doch tatsächlich, daß ich meine Ängste und Befürchtungen für eine süße Weile total und vollkommen vergesse.

»Wollen wir schlafen gehen?« fragt er nach ungefähr hundert Stunden Hardcoregeknutsche und mir wird sogleich wieder mulmig (aber wirklich nur ein bißchen). Wieso eigentlich?

Ich beschließe, daß es dafür nun überhaupt keinen Grund gibt, ziehe mich so schnell es geht aus und springe ins Bett. Ausversehen hab ich vergessen, mein Schlafshirt anzuziehen.

Das merke ich aber erst als Nils sehr dreckig grinst und mir seinen Zeigefinger in die Rippen piekst.

»Hey...so mutig heute? Ich bin echt beeindruckt.«

Und dann, ohne Vorwarnung, beginnt er mit den Fingerspitzen kleine Verschnörkelungen auf meine Brust zu malen, zeichnet meine Rippen nach, umkreist meinen Bauchnabel und streicht mit einem Finger über den Bund meiner Boxershorts.

Ich werde wahnsinnig und schnaufe unkontrolliert.

Der Finger wandert UNTER den Bund.

»Nils, ich weiß nicht, ob...« weiter komme ich nicht, weil er mich fast bewußtlos küßt.

»Ich weiß es auch nicht. Laß es uns einfach herausfinden, mh?« flüstert er, knabbert eine Weile an meinem Hals und läßt schließlich seine Lippen über meine Brust gleiten. Sein Gesicht reibt sich an meiner nackten Haut während er seine Hand in meine Boxershorts schiebt und...W O W !!

»Nils?«

»Hmmmmmmmm...«, schnurrt er und kuschelt sich tiefer in meine Arme.

»Ich hab mich ganz ganz doll in dich verliebt.«

Es fühlt sich einfach gut an, das zu sagen.

Er hebt seinen Kopf und sieht mich an. »Weil ich dir gerade einen geblasen habe?«

»Idiot«, zische ich und schlage ihm leicht gegen die Stirn.

»Sag das noch mal, bitte.«

»Idiot.«

»Mann, Juli...das davor«, lacht er.

»Ich...bin...ganz...ganz...doll...in...dich...verliebt. Idiot.«


Nils ist unbeschreiblich schön, wenn er schläft. Ich MUSS ihn einfach ansehen und ich muß mich mit jeder Sekunde mehr in ihn verlieben. Alles, was er tut und/oder sagt ist so super-niedlich, daß ich dahinschmelzen möchte. Meine Knie werden ja schon weich, wenn er mich nur anlächelt. Ich kann gar nicht erklären, was mit mir passiert, wenn er meine Hand hält und mich küßt. Mit Nils zusammen sein bedeutet...endlich leben und atmen können. Er macht mich glücklich. Ja, ich denke, DAS ist es. Wenn er bei mir ist hab ich das Gefühl, mit allem fertig werden zu können, keine Angst mehr haben zu müssen, weil er mich sofort in den Arm nimmt, wenn sich schlimme Gedanken in mein Hirn schleichen wollen. Der schlimmste Gedanke (und da fällt es mir außerordenlich schwer, den abzustellen) ist, daß ich bald wieder nach Hause muß. Ich bin grad mal drei Tage hier und kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu sein. Allein einschlafen. Allein aufwachen. Allein allein allein.

»Hey Sie...sehen Sie mir etwa schon wieder beim schlafen zu?« lächelt Nils.

»Ich will nicht weg von dir«, entgegne ich weinerlich. Ich glaube, mir huschen sogar Tränen über die Wangen.

Er zieht mich in seine Arme und drückt sanft seine Lippen an meine Schläfe. »Daran darf ich gar nicht denken. Weißt du, dir mag es vielleicht so vorkommen, als sei ich immer schon so ein Sonnenschein gewesen. Immer lustig, ohne düstere Gedanken. Aber...das bin ich erst, seitdem ich dich habe. Wenn du da bist ist alles irgendwie auszuhalten und zu wissen, daß du mich gern hast läßt mich den nächsten Tag überstehen.«

Ui!! Ich bin gerührt und ich liebe ihn und ich weiß genau, wie er sich fühlt, weil ich verflucht noch mal ganz genauso fühle!

Nach einer sehr phantastsichen Knutsch- und Kuschelorgie stehen wir irgendwann am Nachmittag auf und vertreiben uns die Zeit mit äh...kuscheln und knutschen. Was soll ich sagen? Ich kann halt weder Hände noch Lippen von ihm lassen.

Abends sind wir allerdings mit Lotte im...keine Ahnung, hab vergessen wie der Laden heißt...

verabredet und weil Tom da die Theke schmeißt kommen wir umsonst rein.

Meine Güte, ist das eine Spelunke. Klein, düster, verraucht, verrucht und die Leute sind aufs Abenteuerlichste gekleidet. Lack, Leder, Latex, Netzhemden, Schnallenhosen und Rüschenhemden wo man nur hinguckt. Ich stehe ja eigentlich nicht so sehr auf diesen ganzen Gothic-Kram aber hübsch finden kann ich das schon. Besonders hübsch finden kann ich meinen Freund. Meinen FREUND! Ich möchte es von den Dächern der Welt brüllen. Nils ist mein Freund!!! Also, mein Freund trägt momentan eine Cordschlaghose und so ein enges Shirt mit Ärmeln, die ihm bis über die Finger reichen, einen schmalen Silberkettengürtel und um den Hals einen flatterigen schwarzen Schal...ich bekomme Atemnot, wenn ich ihn ansehe. Seine Haare hängen ihm ordentlich unordentlich in den Augen, was mir sehr gelegen kommt, weil ich sie ihm ständig aus dem Gesicht streichen kann.

Tom, Lottes Freund, ist eine eine verdammte Gothic-Schönheit. Ich glaube, alle hier sind scharf auf den. Groß, schwarze Haare bis zum Hintern mit drei weißblonden Strähnen, Lackhose, Netzhemd, Silberschmuck. Ständig kommen Mädels an die Theke und und graben ihn an. Lotte sieht das wahnsinnig gelassen, ich an ihrer Stelle würde durchdrehen und denen in die geschminkten Visagen spucken.

Was solls?! Ich stehe hier, halte Nils Hand und beschließe, mich wohl zu fühlen als der DJ Placebos »Pure Morning« auflegt, Lotte mir meinen Freund entreißt, verzückt »Spatz...unsrer Lied« kreischt und ihn auf die Tanzfläche zerrt.

Die haben ein gemeinsames Lied?! Die tanzen zusammen?! Lotte grabscht an Nils rum?!

Wuselt seine Haare durcheinander?! Schlängelt ihre Arme um seinen Hals?! Drückt ihr lasziv kreisendes Becken an seins?!

Hä? Sind wir hier bei nem Dirty-Dancing-Wettbewerb?? Ich will sofort brechen, werfe aber erstmal einen Blick auf Tom, der verträumt lächelt. Sind denn hier alle komplett irre?

Als die beiden zurück kommen hasse ich Charlotte und küsse Nils sofort leidenschaftlich auf den Mund. Es kann nicht schaden, allen zu zeigen, daß er mir gehört, oder?! Mit Charlotte spreche ich den Rest des Abends nicht mehr.

Kurz bevor wir nach Hause wollen, greift sie nach meiner Hand und schleift mich hinter sich her aufs...Mädchenklo?!

»Charlotte, was...«

»Halt die Klappe«, faucht sie und drückt mich an die kalte Wand.

Ein Mädel mit bunten Zöpfen schaut uns verstohlen an.

»Gibts hier was zu sehen?«

Sie schüttelt beklommen ihre Zöpfe.

»Dann kümmer dich um deinen Kram«, ruft Lotte und dreht sich wieder zu mir um.

»Du bist ganz schön angepißt, Juli, kann das sein? Und du bist eifersüchtig. Ich kenne diesen Blick...hab ich hundertmal bei Jenny gesehen. Was ist dein Problem?«

DU bist mein Problem.

»Eigentlich hätte ich viel mehr Grund eifersüchtig zu sein oder sowas denn...machen wir uns nichts vor, seitdem du aufgetaucht bist ist Nils ganz schön nur noch auf dich fixiert. Trotzdem werfe ich dir nicht ständig Medusablicke zu. Und weißt du auch wieso?«

»Äh...«

»Ich hab Nils noch nie so glücklich, entspannt und locker gesehen. Seine Augen glitzern wie verdammte Wunderkerzen, wenn du in seiner Nähe bist und wenn er von dir redet, was er nebenbei bemerkt ohne Unterlaß tut, strahlt er wie ein Honigkuchenpferd, Mann, Juli...er ist dir mit Haut und Haaren verfallen, kapiert?! Du, Schwachkopf, bist es für ihn, ja?! Du und sonst niemand. Und nur, weil ich ihn länger kenne als du ist das kein Grund, mich zu hassen.

Ich mag dich echt gerne aber ich hab keine Lust, deine Arschlochblicke auf mir zu spüren, wenn ich mit Nils rede oder mit ihm tanze...das haben wir vor dir getan und damit werden wir jetzt nicht aufhören. Und wenn du endlich begriffen hast, daß ich dir nichts wegnehme können wir vielleicht auch Freunde werden, mh?!»

Das ist ja direkt unheimlich. Ob Lotte Caros verschollene Schwester ist? Sie hätte das hier ganz genauso gesagt. Ich fühle mich augenblicklich sehr schlecht und ich fühle mich... großartig. Alles, was sie über Nils gesagt hat und daß ich der Grund dafür bin...WOW!

»Lotte, ich weiß gar nicht...scheiße, es tut mir leid.«

»Na, das ist doch schon mal ein guter Anfang«, grinst sie.


Ich will sterben!!

Mein Rucksack ist fertig gepackt, das Zugticket liegt obenauf und Nils sieht aus, als hätte er eben erfahren, daß er nur noch zwei Tage zu leben hat. Seine wunderschönen blauen Knisteraugen glitzern feucht, Nase und Lippen sind ganz rot und seine Hände haben sich in meine gekrallt.

Um es kurz zu machen...ich muß nach hause und wir sind beide nicht sehr glücklich darüber.

Hab ich nicht gesagt, daß die schönen Momente NIE lange andauern?! Und obwohl man das weiß, macht es einen fertig, weil man ja eben doch nicht ausreichend vorbereitet und gewappnet ist. Ich meine, es war doch klar, daß ich wieder weg muß.

»Rufst du mich an, wenn du da bist?« fragt er so leise, daß ich es kaum hören kann.

»Mach ich.«

Dann schlingt er mir etwas ums Handgelenk. Au je!! Ein silbernes Armband mit kleinen rosa (!) Herzchen. Ich blicke ihn fragend an.

»Das hat Lotte mir mal vor tausend Jahren geschenkt und bis jetzt hat es mir immer irgendwie Glück gebracht. Ich habs getragen, als wir uns zum erstenmal geküßt haben.«

Uiuiui...ich bin so gerührt, daß ich weinen muß. Allerdings...

»Nils, das ist total süß von dir aber...ich kann das nicht tragen. Ich meine, das sieht doch total schwul aus.«

Er lächelt gequält. »Du bist mein Freund, eh?!«

»Ich liebe dich und ich werde das niemals mehr abnehmen«, sage ich leise und küsse ihn.

Auf dem Bahnsteig wird es noch viel viel schlimmer. Nils weint! Schluchzt unkontrolliert und zittert am ganzen Körper. Mir bricht es tausendmal das Herz, meinen süßen Schatz so zu sehen, kann aber leider gar nichts tun, um ihn zu trösten, weil ich ja ebenfalls heule wie ein Schloßhund.

Dann fährt der Kackzug ein, ich küsse ihn verzweifelt (er will mich nicht loslassen) und kriege kaum mit, daß ich einsteige und langsam von ihm wegfahre.

Mein Leben ist vorbei!!!

Ich begreife noch gar nicht richtig, daß ich wieder hier in meinem Zimmer sitze. Hab ich nicht vor einigen Stunden noch meinen Freund geküßt?! Mir ist kalt und zittrig, der Rucksack steht unausgepackt in der Ecke. Wenn ich ihn aufmache strömt mir doch sofort Nils Geruch in die Nase...das kann ich nicht riskieren. Noch nicht.

Die Frau liegt übrigens total benebelt im Wohnzimmer auf der Couch und brabbelt vor sich hin. Ob ich ein schönes Wochenende hatte? Ich finde nicht, daß sie eine Antwort verdient.

Wenn die Frau jetzt säuft und der Mann sich nicht um mich kümmert hab ich vielleicht das Glück in eine Pflegefamilie zu kommen. Ich wüßte schon eine...

Müde greife ich zum Telefon und wähle Nils Nummer.

»Hallo?«

»Hi.«

»Juli...«

Seine Stimme klingt wahnsinnig traurig und so als müsse er sich sehr anstrengen, nicht augenblicklich in Tränen auszubrechen.

»Ich bin jetzt wieder da, wo ich wohne.«

Schweigen. Schniefen.

»Hallo...?«

»Entschuldige«, murmelt er, »ich...deine Stimme klingt so weit weg...so schrecklich weit weg.«

Ich weiß genau, was er meint. Es ist ganz eigenartig, ihn durch das verfluchte Telefon zu hören.

»Ich soll dich nochmal von Lotte grüßen.«

»Danke.«

»Juli...ich vermisse dich und möchte deine Stimme hören aber ich kann jetzt einfach nicht mit dir sprechen. Es...es geht nicht«, sagt er leise. Ich weiß, daß er weint.

»Schon ok. Ich ruf dich morgen an, ja?«

»Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch. Bis bald.«

Nachdem ich aufgelegt habe weiß ich nichts mehr mit mir anzufangen. Mir kommt plötzlich alles total anstrengend und sowieso völlig sinnlos vor. Einerseits will ich jetzt Caro um mich haben, andererseits könnte ich genau das nicht ertragen. Ich will mit ihr reden, von Nils erzählen und gleichzeitig möchte ich das alles für mich behalten. Die wundervollen Momente mit ihm hüten wie einen kostbaren Schatz, der nur mir gehört.

Meine Haut juckt und spannt während ich mich auf meinem Bett hin und her wälze und keine komfortable Position finde. Ich höre meinen Herzschlag so laut, daß ich fast irre werde...die MUSE-CD hilft nur ein klitzekleines bißchen.

Irgendwann klopft es an die Tür und Caro schaut herein.

»Hey Knallkopp.«

»Hallo«, entgegne ich weinerlich und halte das Herzchenarmband dicht an meine Lippen.

»Au weia...so schlimm?« fragt sie besorgt und setzt sich neben mich.

Ich nicke. »Magst du reden?«

»Ich weiß nicht«, schniefel ich.

»Ok, möchtest du denn, daß ich heute nacht hier schlafe?«

»Ja bitte.«

Sie schlingt ihre Arme um mich, läßt ihre Finger durch mein Haar gleiten. Caros Nähe beruhigt mich ein wenig. Ich darf nur nicht zu sehr an Nils denken. Leider denke ich in jeder Sekunde an ihn. Was macht er? Fühlt er sich genauso elend? Ist Lotte jetzt auch bei ihm?

»Scheiße...Juli, du weinst ja.«

Tatsächlich? Ist mir gar nicht aufgefallen.

»Was soll ich denn bloß machen? Ich halte es nicht aus ohne ihn«, schluchze ich verzweifelt während Caro mich langsam wiegt wie ein kleines Kind. Ich komme mir total lächerlich vor.

Anderen geht es viel schlechter als mir und ich mache so einen Aufstand. Ich sollte froh sein, daß ich Nils habe. Daß er mich liebt und ich kann ihn ja auch schließlich bald wieder besuchen. Berlin ist nicht so furchtbar weit weg. Irgendwann sind Ferien und wir haben mehr Zeit. Das hilft mir jedoch im Moment herzlich wenig. Ich komme um vor Sehnsucht.

»Caro...ich möchte doch lieber allein sein.«

»Bist du sicher?« fragt sie sanft.

Ich setze mich auf und wische mir über die Augen. »Ja...nein...keine Ahnung. Ich hab das Gefühl, mein Herz explodiert. Alles tut weh und fühlt sich unangenehm an. Ob ich jetzt den Verstand verliere?« frage ich kläglich.

Caro lächelt. »Blödsinn. Du bist einfach nur ganz schrecklich verliebt und vermißt deinen Schatz. Erzähl mir von Berlin...das hilft, glaub mir.«

Ich glaub das zwar nicht aber ich erzähle trotzdem und zwar die halbe Nacht.

Im Morgengrauen klingelt das Telefon. Ich weiß, daß Nils dran ist.

»Hab ich Sie geweckt?«

»Geht so. Hab noch lange mit Caro gequatscht.«

Ich drehe meinen Kopf zur Seite und sehe sie schlafend.

Er seufzt. »Ich hab Lotte auch die Nacht über wachgehalten, dafür pennt die jetzt wie ein Stein.«

»In unserem Bett?« Keine Eifersucht, nur der Schmerz, daß sie neben ihm liegen darf.

»Ich konnte nicht alleine sein. Rate übrigens mal, was ich gerade an habe.«

»In Anbetracht der Tatsache, daß Lotte da ist kann ich nur hoffen, du trägst überhaupt was«, entgegne ich etwas grimmig.

»Ja«, seufzt er, »und zwar dein T-Shirt. Mhhhh...jetzt hab ich deinen kuscheligen Geruch auf meiner Haut.«

Mir wird ein bißchen warm, wenn ich mir vorstelle, daß er etwas von mir trägt.

»Juli, sag mir schnell, daß du mich liebst und wir uns bald wiedersehen. Ich weiß sonst nicht, wie ich den Tag überleben soll.«

Scheiße, ich muß heulen.

»Ich hab dich ganz ganz doll lieb. Du fehlst mir.«

»Wir hören uns heute abend. Ich hab dich auch lieb, Juli.«

Ich lege auf und hoffe, ich bin einigermaßen gewappnet für den Deppenverein, der sich Schule nennt.

Lesemodus deaktivieren (?)