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Juli

Teil 2

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Zwei Wochen und drei Tage bin ich nun schon wieder hier und ich kann nicht sagen, daß die Zeit alle Wunden heilt. Im Gegenteil, jeder Tag ist mühsam, viel zu lang, viel zu anstrengend und ohne Nils vollkommen überflüssig. Die Nächte sind sogar noch schlimmer. Wir telefonieren zwar dreimal täglich doch das hilft nur kurzfristig.

Ich weiß echt nicht, was ich machen soll, weil ich es verdammt noch mal nicht gewohnt bin, jemanden so sehr zu vermissen. Und ich meine, so zu vermissen, daß es körperlich weh tut. Meine Haut scheint irgendwie nicht mehr zu mir gehören zu wollen, die juckt und kribbelt während mein Herz bollert, ich nervös aber gleichzeitig den ganzen Tag müde bin und gar nicht mehr in die Gänge komme.

Schule interessiert mich einen Kack, ich sitze da nur meine Stunden ab und warte, daß ich nach Hause kann, um mich dort zu langweilen und trübsinnig zu fühlen. Dann telefoniere ich mit Nils und bin für eine halbe Stunde glücklich.

Die Frau hat sich zusammengerissen und trinkt nur noch am Wochenende auf den Parties, die sie ekelhafterweise hier im Haus veranstaltet. Der Mann fragt andauernd, wann ich endlich mal ihn und seine Ariane besuchen komme. Die beiden brauche ich momentan ungefähr so dringend wie einen Kropf.

Wenn ich es in meinem Zimmer nicht mehr aushalte, gehe ich zu Caro rüber und wohne dort. Ihre Eltern haben mich aus Mitleid, weil ich ja jetzt sowas wie ein Scheidungskind bin, eh schon fast adoptiert.

Heute ist Mittwoch, also BUFFY-Abend. Den lassen Caro und ich eigentlich niemals ausfallen aber als ich vor der Tür stehe, sagt mir ihr kleiner Bruder, daß sie gar nicht zuhause ist. Bloß nicht in Tränen ausbrechen!!

»Die ist bei ihrem Freund«, erklärt Caspar augenverdrehend. »Hat sie dir nicht Bescheid gesagt?«

»Nee.«

Er starrt eine Weile auf seine Füße. »Äh...du kannst Buffy auch bei mir kucken«, schlägt er vor und lächelt scheu.

Naja, mit dem vierzehnjährigen Bruder meiner besten Freundin abzuhängen ist sicher nicht das, was mir vorschwebt aber immerhin noch besser als alleine zu flennen.

»Meinetwegen.«

Caspars Zimmer ist genauso unaufgeräumt wie Nils‘ und sofort muß ich meinen Süßen heftig vermissen. Ich knalle mich aufs Bett, schalte den Fernseher ein und glotze auf die verfluchte Wetterkarte...dahin wo das Zauberwort Berlin steht. Wie schön, Nils hat morgen ganz viel Sonne!

»Willst...äh...willst du was trinken oder essen?«

»Grünen Tee.«

»Haben wir nicht mehr, glaub ich.«

»Dann Coke mit Zitronensaft.«

Seine Wangen bekommen plötzlich ein bißchen Farbe. »Das trinke ich auch gerne.« Ja und?!

Als ich das Glas an den Mund setze stiert er mit großen Augen auf Nils‘ Herzchenarmband.

»Ist das da von deinem...Freund?«

WAS?? Ich muß mich erstmal kräftig verschlucken.

»Caro hat gesagt, daß du jetzt einen Freund in Berlin hast.«

Kurze Notiz...Caro unbedingt bei nächster Gelegenheit den Schädel abhacken!!!

»Der Freund heißt Nils und ja, das ist von ihm... jetzt laß uns Buffy kucken.«

Ich lehne mich entspannt zurück und bemerke nebenbei, daß Caspar sehr unentspannt ist und mich die ganze Zeit über verstohlen ansieht. Bestimmt denkt er, daß der beste Freund seiner großen Schwester eine verdammte Schwuchtel ist oder sowas. Mir doch egal. Hey, ich LIEBE Nils, ja?!

In den Werbepausen ist seine Angespanntheit noch schlimmer. Er verschüttet Cola auf sein Shirt, reißt die Flipstüte so heftig auf, daß die Würmchen durch die Luft segeln und stolpert slapstickartig über seine eigenen Füße, als er für mich einen Aschenbecher holt.

Mir ist noch nie aufgefallen, daß er so ein Tolpatsch ist. Mann und wie rot der immer wird. Und wie der sich beim sprechen andauernd verhaspelt...ich muß ein wenig über ihn lachen. »Ist wohl heute nicht so dein Tag, Cassi, mh?« necke ich ihn und er wird, welch Überraschung, über und über rot.

Mann, die letzte Buffy-Folge hat es echt in sich. Sehr zum bepissen lustig. Spike, der fragt, wo Buffy den Quadratschädel gelassen hat (er meint Angel, der kurz da war und mit Buffy knutschte); an seinem Sandsack hängt eine schlecht gemalte Vampirvisage (Angel!!), Xander hat nur noch ein Auge (was nicht lustig ist sondern tragisch!) und am Schluß rettet Spike die Welt, geht in Flammen auf, Anya stirbt und auf der ganzen Welt soll es nun angeblich vor Jägerinnen nur so wimmeln.

Ich will kotzen. Was ist das denn für ein bescheuerter Schluß?

»Au je, das Ende nervt. War das echt die allerletzte Folge?«

Caspar nickt.

»Scheiße.«

»Willst du noch was trinken?«

»Nee, ich werd mal langsam nach Hause schleichen. Caro taucht ja wohl nicht mehr auf.«

»Taucht sie doch.« Sie steht plötzlich grinsend in der Tür.

»Jetzt brauchst du dich auch nicht mehr blicken zu lassen«, sage ich beleidigt.

»Sei nicht böse, hab mich mit Steffi verquatscht.«

»Und seit wann quatscht du mit der Kotzkuh?«

Caro verdreht die Augen. »Laß uns das drüben bereden, ja? Wieso hängst du eigentlich hier im Kinderzimmer rum?«

Caspar sieht wahnsinnig wütend aus. Ich an seiner Stelle wär auch angepißt, schließlich ist er nur zwei Jahre jünger als wir.

Lässig lege ich meinen Arm um seine Schulter. »Cassi und ich hatten eine Menge Spaß, oder?«

Au je, der Kleine wird so rot, daß ich Angst habe, sein Gesicht geht wie Spike eben in Flammen auf.

»Weiß Nils eigentlich davon?« lacht Caro.

»DARÜBER wollte ich eh noch mit dir sprechen. Allein. Bye, Cassi.«

»Schläfst du heute...äh...bei Caro?«

Ich sehe sie an. »Schlaf ich heute bei dir?« Sie nickt.

»Gute Nacht«, wispert er.

»Sag mal...mußt du jeden erzählen, daß ich einen Freund habe?« frage ich und zünde mir eine von Caros Luckies an.

»Hab ich nicht.«

»Und wieso weiß dein Bruder das dann?«

Sie schnauft. »Der kleine Schleicher hat bestimmt wieder gelauscht. Das macht der momentan total gerne.«

»Was ist überhaupt los mit ihm? Der hat sich sehr eigenartig verhalten. Hat das was mit mir zu tun...damit, daß ich mit einem Jungen zusammen bin?«

Caro fängt an zu kichern. »Nee, das Monster ist verknallt.«

»Echt? Woher weißt du das?«

»Haha...der kritzelt überall Herzchen hin und schreibt ein J da rein. Hab ihn gefragt aber er will mir nicht sagen, wer seine Angebetete ist. Bestimmt Jasmina, die ist öfter bei ihm. Eine ganz Niedliche...sieht ein bißchen aus wie Willow.«

Ich muß schon wieder an Nils denken, den ich vermutlich erst ihn hundert Jahren wieder sehe.

»Willst du ihn anrufen?«

»Wen?« frage ich verwirrt.

»Ach komm schon, Juli...ich weiß, daß dir Nils im Kopf rumschwirrt.«

»Ich...ich sag ihm nur schnell Gute Nacht«, erkläre ich und greife zum Telefon.


Zwei Monate!!!!

Ich gewöhne mich so langsam daran, Nils nur am Telefon zu haben. Schlimm ist es zwar immer noch aber ich muß nicht mehr so schrecklich viel weinen, kann sogar wieder über lustige Sachen mit ihm reden...manchmal.

Hab inzwischen Caros Freund Chris kennengelernt und verstehe mich ganz gut mit ihm. Naja, hätte mich auch gewundert, wenn Caro sich einen Schwachmaten angelacht hätte. Schätze ich werde langsam normal, immerhin hab ich jetzt einen Bekannten...hahaha! Caspars Verhalten gibt mir immer noch Rätsel auf. Ich hab so das blöde Gefühl, es liegt doch an mir und Nils. Sicher ist es ihm peinlich, daß ich sowas wie schwul bin. Vielleicht hat er aber auch Angst, daß ich ihn angraben könnte. Ach du Scheiße! Ich sollte echt mit ihm reden.

Die Gelegenheit dafür bekomme ich als Caro mal wieder vergessen hat, mir zu sagen, daß sie nicht da ist und ich blöde vor der Tür stehe.

»Und was hast du noch vor?«

Caspar erschrickt ganz fürchterlich. »Ich...äh...wieso...äh, nichts weiter.«

»Ich hab keinen Bock dahin zu gehen, wo ich wohne. Was dagegen, wenn ich ein bißchen bei dir rumhänge und auf deine schwachsinnige Schwester warte?«

»N-Nein.«

Während ich mich auf sein Bett fallen lasse, friemelt er nervös am CD-Player rum. »Hey...ich wußte gar nicht, daß du MUSE hörst«, staune ich.

Er zuckt nur die Schultern, wird rot und lächelt verlegen, bevor er sich an die andere Ecke des Bettes setzt.

»Also...jetzt mal ganz unter uns, wer ist das geheimnisvolle J, an das du nur mit Herzchen denkst, mh?«

»Was?« schreit er.

»Caro hat erzählt, du bist in J verknallt.«

»Die soll sich um ihren Dreck kümmern«, zischt er.

»Na komm, sag schon, ich erzähl's auch nicht weiter. Versprochen.« Ich male mir ein Kreuz auf die Brust und zwinker ihm zu.

»Darf ich dich mal was fragen?«

»Klar...wenn du mir sagst, wer J ist.«

»Wie...wie hast du dich in Nils verliebt?«

Ah, mein Lieblingsthema...GRRRR! »Weiß nicht, ist eben so passiert.«

Echt, ich erzähle doch nicht dem kleinen Bruder meiner Freundin derart intime Sachen. »Ja aber...warum?«

»Nils ist der unglaublichste Mensch auf der Welt.«

»Ja aber...er ist doch ein Junge. Macht dir das nichts aus?«

»Nö. Dir etwa?«

»Nein«, antwortet er hastig. »Ich meine, es ist doch ok, wenn man schwul ist, oder? Auch wenn viele Leute das nicht begreifen.«

»Ja, worauf willst du hinaus? Und überhaupt...du bist dran. Hast du Jasmina gesagt, daß du dich in sie verknallt hast?«

»Jasmina?«

»Ja, Caro meint...«

»Caro hat von nichts eine Ahnung«, unterbricht er mich. »Wieso hattest du Freundinnen, wenn du doch schwul bist?«

»Cassi, ich bin nicht schwul.«

»Äh...?«

»Ok, ich liebe Nils und er ist zufällig kein Mädchen. Das ist alles.«

»Du meinst, du findest andere Jungs nicht toll?«

»Genau das. Wieso willst du das alles wissen? Hattest du Angst, ich würde dich anmachen oder sowas? Bist du deshalb immer so verkrampft in meiner Nähe?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich dachte...du könntest mir sagen, was und wie...aber wenn du gar nicht...«

»Himmel, geht's noch ein bißchen rätselhafter? Cassi, was ist los?«

Er rutscht nervös hin und her. »Ich...ich finde Jungs toll.«

Ich finde keine Worte. Ich meine, WAS?

Mann, der kleine Caspar steht auf Jungs. Ich werd bekloppt. Und ich habe verflucht noch mal nicht die geringste Ahnung, was ich ihm sagen soll?!

»Jetzt bist du schockiert, oder?«

»Neenee, nur überrascht.«

»Na toll, frag mich mal«, erwidert er gequält.


Cassis Geständnis will mir einfach nicht aus dem Kopf. Nicht, daß ich es schlimm finde. Ich meine, hey...ich küsse Nils. Nein, ich bin nur wirklich absolut überrascht. Und es tut mir leid, daß ich da irgendwie auch nicht so der richtige Gesprächspartner für ihn bin. Mich interessieren nun mal keine anderen Jungs. Selbst wenn ich nicht so Nils-fixiert wäre, würde ich nicht plötzlich auf die Idee kommen, mir irgendeinen Typen zu krallen. Hab mal die Jungs in der Schule abgecheckt, einfach so, und festgestellt, daß ich keinen von den Ekelfressen küssen will. Ich weiß ja auch nicht, auf was Schwule so stehen aber ich denke, Cassi könnte sowas sein. Wenn ich schwul wäre, fänd ich ihn süß, glaube ich. Vielleicht sage ich das aber, weil er mich manchmal an Nils erinnert. Cassi hat nämlich auch so Honighaare und blaue Augen, allerdings nicht so knisternde wie mein Freund. Überhaupt ist ja niemand, weder Typ noch Tussi, so wahnsinnig hübsch wie Nils! Au weia...ich muß ihn schon wieder aufs Heftigste vermissen und qualvoll vor mich hin seufzen. Außerdem fahren meine Gedanken mal wieder total Achterbahn. In Berlin gibt's zum Beispiel massig schöne Jungs, oder? Was, wenn welche davon Nils kennenlernen und verführen? Ich meine, Nils ist der schönste von allen und wäre sicher wahnsinnig umschwärmt in Schwulen-Kreisen. Ich weiß ja ganz genau, daß mich andere Jungs nicht interessieren aber wie ist das bei ihm? Immerhin fand er mich zuerst süß. So eine verdammte Kacke. Jetzt muß ich nicht nur Angst haben, daß Mädchen ihn anmachen, sondern auch noch über Jungs nachdenken. HILFE!! Und ich hänge hier in diesem Kaff und hab keine Ahnung, was bei ihm abgeht.

Während ich mich so richtig in Fahrt grüble, klingelt das Telefon.

»JA?« brülle ich.

»Hi, Süßer!«

»Nils?«

»Nein«, sagt er gedehnt, »der Weihnachtsmann. Wieso fragst du so dämlich? Mit wem hast du denn gerechnet, mh?«

»Du fehlst mir so schrecklich«, fange ich gleich an zu jammern.

»Gott...du fehlst mir auch, Juli. Lotte und Tom machen ständig auf glückliche Beziehung und ich muß dich die ganze Zeit vermissen. Ist das vielleicht fair? Überall wimmelt es von Verliebten. Zum Kotzen. Wann besuchst du mich wieder?«

»Wo treibst du dich denn immer rum, daß du so viele Verliebte siehst?«

»Ach die lungern doch an jeder Ecke«, erklärt er.

»Lungern da vielleicht auch welche, die...in dich verliebt sind?«

»Hä? Bist du bescheuert? Als würde mich das interessieren. Warum fragst du so komisch?« »Weiß nicht. Ich möchte halt wissen, was du ohne mich machst.«

Ich höre, daß er sich eine Zigarette anzündet.

»Ok, was ist los? Gedankenachterbahn, oder was?«

»Nee...nicht direkt«, antworte ich ausweichend.

»Juli, rede mit mir.«

Geht nicht, ich komme mir gerade irgendwie sehr blöd vor. Bin eifersüchtig auf Leute, die es gar nicht gibt. Noch nicht. Und es ist doch nur eine Frage der Zeit bis Nils die Nase voll von mir hat. Natürlich hat der bald keinen Bock mehr auf Fernbeziehung und schnappt sich ein hübsches Mädchen. Oder einen hübschen Jungen. Und es gibt einfach nichts, was ich dagegen tun kann. Außer nach Berlin ziehen, was der Mann und die Frau mir sicher verbieten werden. Eigentlich könnten wir auch jetzt gleich Schluß machen.

Oh Mein Gott...was zur Hölle denke ich denn da?

»Hallo...bist du noch dran?«

»Äh, ja. Klar.«

»Und du willst mal wieder alles mit dir selbst ausmachen, hab ich recht?« Er seufzt leise. »Juli, du bist echt verdammt anstrengend.«

»Tut mir leid.«

»Hör zu, ich bin noch verabredet. Laß uns später telefonieren.«

»Mit wem triffst du dich denn?« frage ich mißtrauisch. Bestimmt ist es jemand, der nicht so anstrengend ist.

»Schröder wollte was wegen der Band mit mir besprechen.«

»Ok, wenn dir das jetzt wichtiger ist, als mit deinem Freund zu telefonieren«, entgegne ich patziger als geplant.

»Ich würde das Treffen sofort verschieben, wenn mein Freund mit etwas zu sagen hätte«, erwidert er ebenso patzig.

Streiten wir gerade?? Kacke, wir streiten nie!

»Ich liebe dich, Nils.«

»Ich lieb dich auch. Bis später.«

Er legt auf, bevor ich noch Tschüß sagen kann.

Na das ist doch prima gelaufen. Ich finde es irgendwie ätzend, ich zu sein!


Caro und Chris präsentieren mir grad das, was Nils mit Lotte und Tom hat. Glückliche Beziehung, Verliebtheit im Endstadium. Schon mal was von Rücksichtnahme gehört? Offensichtlich nicht. Mann, ich freue mich für Caro, ganz ehrlich, aber ich mag denen nicht beim Küßchen Küßchen zusehen. Ich bin angepißt, weil Caro so gedankenlos ist. Die weiß doch, wie es mir geht. Das heißt, wahrscheinlich weiß sie das nicht. Wir haben ewig nicht mehr allein rumgehangen. Immer ist ihr Freund dabei. Oder Steffi. Oder sonst jemand. Ich finde, Caro hat sich sehr verändert. Das ist vermutlich gar nicht mal so ungesund für sie. Mich nervt es trotzdem. Hab halt immer noch keine Lust auf Party und feiern und Freunde und smalltalk. Sie dagegen geht total auf in ihrem neuen Bekanntenkreis. Klar, daß sie mich Stubenhocker nicht mehr braucht. Seit BUFFY zuende ist, hat sie ja anscheinend keinen Grund mehr, sich mit mir zu treffen.

Nils ist ebenfalls nur noch unterwegs, was ich ihm nicht übel nehme. Ich meine, was soll er denn machen? Sich die Augen aus dem Kopf heulen und lamentieren, daß wir so weit auseinander wohnen?! Das ist mein Part. Wenigstens haben wir nicht mehr gestritten. Er liebt mich, ich liebe ihn und alles ist halbwegs in Ordnung. Bald sind Sommerferien...sechs süße Wochen mit ihm!! Das hält mich über Wasser.

Die Frau macht mich wahnsinnig. Nach dem Selbstmitleid hat sie jetzt ihre mütterliche Phase. Gluckt andauernd um mich rum, will ständig wissen, wie es mir geht, was in der Schule läuft und wie ich so zurecht komme mit der Situation. Die macht mir jetzt sogar jeden Morgen Frühstück! Gott, ist die irre. Wenn ich alt genug bin, werde ich sofort ausziehen.

Gestern hab ich den Mann und seine neue Freundin besucht. Er hat nicht gelogen. Die haben ein Zimmer für mich eingerichtet. Ariane ist eigentlich ganz ok. Nett aber nicht zu aufdringlich. Ich glaube, ihre Freundlichkeit war ernst gemeint. Der Mann hat gesagt, daß dieser ganze Scheidungskram eine Sache zwischen ihm und der Frau sei. Auch das glaubte ich. Immerhin spricht er nicht schlecht über die Frau...im Gegensatz zu dem, was hier abläuft. Die Frau läßt nämlich auch weiterhin kein gutes Haar an dem Mann. Er ist an allem Schuld. Er und diese Schlampe, die er vögelt.

Ich hätte es meinem Vater nicht übel genommen, wenn er nach der Ehe mit meiner Mutter schwul geworden wäre.

Bei dem Stichwort schwul fällt mir Cassi ein. Mit dem wollte ich ja noch reden. Ist irgendwie total untergegangen. Naja, werd ihn mal anrufen.

Bevor ich allerdings zum Hörer greifen kann, klopft es an die Tür. Und bevor ich »Herein« sagen kann, bollert sie schon auf und...ACH DU MEINE GÜTE!!

14-Loch-Doc's, endlos lange Beine in wildgemusterten zerrissenen Strümpfen. Schwarzer Mini, Silberkettengürtel, ein süßer nackter Bauchnabel, ein enges Shirt und rotbunte Haare bis zum Fuß.

»STELLA?« brülle ich ungläubig.

Sie strahlt. »Hi, Juli.«

Ich bin echt fassungslos. Wie lange hab ich sie nicht gesehen? Und plötzlich...wow! »Wie...wie kommst du denn hierher?«

Ihre Armreifen klappern, als sie sich durch die Haare fährt. »Mh, kriege ich vielleicht erstmal eine Umarmung?«

Noch immer baff stehe ich auf und drücke sie zaghaft. Ihre Arme schlingen sich um mich wie Tentakel. Stella fühlt sich ausgesprochen gut an. Wie vor einem Jahr in Italien. Nach der Begrüßung läßt sie sich aufs Bett fallen. Puh...was für eine Schönheit!! Ich weiß schon ganz genau, warum ich so auf sie abgefahren bin.

»Weißt du«, lächelt sie, »ich hatte mal wieder so einen Sentimentalitätsanfall. Mußte an Italien denken, dich vermissen und, ja, da hab ich einfach mal meinen Dad angehauen, deine Adresse rausbekommen und...hier bin ich.«

»Soso und dafür hast du über ein Jahr gebraucht, was?«

»Naja, ich hatte vielleicht ein bißchen Angst, daß du mich nicht sehen willst. Daß du mich total vergessen hast oder sowas«, erklärt sie.

HAHAHA...wie könnte man Stella wohl vergessen?!

»Darf ich ein paar Tage bleiben?«

»Klar. So lange du willst«, sage ich überschwenglich. So lange du bis zu den Sommerferien wieder verschwunden bist, damit ich zu meinem schönen Freund nach Berlin fahren kann, füge ich in Gedanken hinzu.

»Geil. Hab nämlich momentan nicht so große Lust auf meine Eltern. Die lassen sich grad scheiden.«

»Ach du Kacke. Deine auch? Mein Vater wohnt schon mit seiner neuen Freundin zusammen.«

»Ich weiß. Deine Mutter hat mich unten eine Stunde zugelabert. Ich dachte, die läßt mich gar nicht mehr weg.«

»Oh scheiße, Stella, das tut mir leid.«

Sie winkt ab. »Mach dir nix draus. Erzähl mir lieber, was du so getrieben hast. Wie geht's Caro?«

»Die hat einen Freund.«

»Ah, verstehe. Und für den hat sie dich abgeschossen, was? Zum Glück bin ich jetzt da. Ich bin dein Bespaßungsprogramm«, grinst sie und so wie sie das sagt, klingt es mächtig nach Drohung.

Schon in Italien war sie immer high. Dafür braucht sie keine Drogen. Es liegt einfach in ihrer Natur, fröhlich, ausgelassen und grinsend durch die Welt zu laufen. Und sie hat diese wundervolle Gabe, alle mit ihrer guten Laune anzustecken. Allerdings...vierundzwanzig Stunden am Tag volle Power, ist mir nach spätestens einer Woche zu viel.

»Und wie sieht's bei dir aus, Herzensbrecher? Kein süßes Mädchen, das sich nach dir verzehrt?«

Mir wird etwas unwohl. »Ähem...nee, momentan nicht.«

Sie legt sich bequem auf die Seite, das heißt, sie räkelt sich lasziv auf die Seite, und lächelt. »Ich sag's ja...zum Glück bin ich jetzt da.«

Au weia, die glaubt doch wohl nicht, daß ich mit ihr...das hätte ich vielleicht vor Monaten noch. Jetzt ist alles anders. Jetzt bin ich vergeben. Und treu.

Die nächsten drei Stunden erzählen wir uns alles, was im letzten Jahr so passiert ist. Aus irgendwelchen Gründen lasse ich das Wichtigste, Nils, aus. Wieso ihr sagen, daß ich mit einem Jungen zusammen bin? Wir hatten eine dreiwöchige Affaire, sind nicht einmal sehr befreundet also geht sie das nichts an, richtig? Stella bleibt eh nur einige Tage, danach wird sie sicher wieder für lange lange Zeit aus meinem Leben verschwinden. Und wenn nicht? »Du, wir müssen ab jetzt unbedingt für immer in Kontakt bleiben«, erklärt sie. Ich wußte nicht, daß Stella Gedanken lesen kann.

»Ja, die Gespräche mit dir sind mir total abgegeangen.« Sie kichert gefährlich. »Die Gespräche und der Sex. Haha...und daß du so rot wirst, wenn man dir sagt, wie gut du bist.« Mir ist tatsächlich sehr warm im Wangenbereich.

»Weißt du noch am letzten Abend, als wir es im Zelt getrieben haben, während alle draußen wie blöde am Lagerfeuer saßen und ‘Seasons in the sun‘ gröhlten?«

Als wär's gestern gewesen. Meine Güte, das war echt geil. Stella war so scharf auf mich, die hätte mich auch verführt, wenn wir kein Zelt gehabt hätten. Mein Magen fängt an zu grummeln...warm und kribbelig zu grummeln. Kein gutes Zeichen. Ihre Hand, die auf meinem Schenkel liegt, macht's auch nicht besser.

»Du siehst echt süß aus mit den längeren Haaren«, säuselt sie mit glänzenden Augen. Meine Jeans spannt etwas in unteren Regionen. Scheiße, eine Erektion ist das letzte, was ich im Augenblick gebrauchen kann. Wie kriegt die mich bloß immer so schnell so weit?? Stellas Hand setzt sich in Bewegung...oh oh...das klingelnde Telefon läßt mich aufspringen.

»Hallo?« rufe ich überstürzt.

»Hey, Sie.«

Großer Gott.

»Oh, äh, ich meine, hi...«, stammel ich mir einen dranlang. Aus dem Augenwinkel sehe ich, daß Stella ihre Schuhe auszieht, ihre Gürtel abnimmt und sich bequem in mein Bett kuschelt.

»Hallo...bist du ins Koma gefallen?«

»Äh, nein.«

»Was dann?«

»Äh...ich kann grad nicht so gut reden«, erkläre ich und halte die Hand etwas vor den Hörer.

»Wieso nicht?«

»Darum.«

»Ah, verstehe. Naja, ich wollte auch eigentlich nur kurz deine Stimme hören, dir sagen, daß ich dich vermisse und...daß ich dich liebe.«

»Okay.«

»Und, daß ich dich ganz dringend küssen möchte.«

»Aha«, entgegne ich und wische mir verstohlen Schweiß von der Stirn.

Stella streicht sich übrigens gerade aufreizend am Bauch rum. Weiß der Teufel wieso. »Ehrlich, Juli, ich weiß gar nicht, was mit mir los ist aber...ah, wenn du jetzt hier wärst...ich... mhhhh, ich würde sofort über dich herfallen.«

Oh mein Gott! Im Bett eine räkelnde Traumfrau und am Telefon mein notgeiler Freund. Ich halt's im Kopf nicht aus. Dummerweise klingt seine Stimme unglaublich sexy und sein leises Seufzen und Schnurren...mir wird ganz schön heiß! Die Erinnerung an unser erstes richtiges, bis zum äußersten gehendes Sextelefonat von letzter Woche brennt sich in mein Hirn. Da hat Nils sich auch so...so geil angehört. Normalerweise hätte ich mich schon längst irgendwo hingeknallt und meine Hand in die Hose geschoben aber das fällt leider aus. Obwohl ich es echt dringend gebrauchen könnte.

Nils‘ Lauten nach zu urteilen ist er gerade dabei, mit seiner Hand wer weiß was anzustellen. Der Gedanke daran bringt mich nicht gerade runter.

»Hör mal...das ist jetzt wirklich EXTREM ungünstig.«

»Ich weiß«, schauft er, »tut...tut mir leid, Juli...mhhh...gott, ich liebe es, deinen Namen auszusprechen. Juli...«

»Äh...laß uns später telefonieren, ja?«

»Nein...warte, ah...sag mir irgendwas, ganz egal. Ich will nur deine Stimme hören...bitte, Juli. Ich...mh...ich bin fast soweit.«

ICH gehe kaputt. Nils holt sich einen runter und ich hab hier den Streß?! Stella schnauft gelangweilt vor sich hin, raucht wie ein Schlot; in meinem Unterleib brodelt es und Nils kriegt den ganzen Spaß. Naja, wahrscheinlich werde ich ihn so am Schnellsten los. Zu meinem Leidwesen fällt mir spontan nicht ein, was ich ihm sagen könnte. Außer daß ich scharf auf ihn bin, was jedoch definitiv ausfällt. Obwohl ihn das vermutlich sofort...äh...ja. Ok, ich seufze also einfach nur, wobei ich versuche, es für Stella genervt und für Nils erotisch klingen zu lassen.

Wenn das hier erledigt ist, bin ich reif fürs Sanatorium!

Nils seufzt nicht mehr. Er stöhnt leise. Dafür schlägt mein Herz umso lauter. Der Schweiß auf meiner Stirn kraucht über die Brauen und tropft mir in die Augen. Ich fühle mich wie im schlimmsten Horrorfilm, während ich zu Gott bete, daß Nils endlich kommt und ich nicht!

Stella räuspert sich demonstrativ. Ich drehe kurz meinen Kopf und lächle ihr aufmunternd zu. Mein wichsender Freund hat's anscheinend geschafft, sein Schnaufen klingt wesentlich entspannter. Ich dagegen würd jetzt vermutlich sogar eine Ziege vögeln. Zum Glück ist keine da. Nur meine bezaubernde Ex, die schon wieder an sich rumfriemelt.

»Danke«, haucht es aus dem Hörer.

»Okay...«, röchel ich zurück.

»Wir sprechen uns später?«

Kann der bitte sofort mit dieser Telefonsexstimme aufhören?!

»Hm-hm.«

»Ich liebe dich, Juli. Und wenn wir uns sehen...ah, du weißt schon...«

Total erschöpft sinkt der Hörer auf die Gabel und ich auf den Boden. Herzstiche, ich habe soeben fiese Herzstiche. Ein Infarkt?!

»Juli...mein Gott, was...was ist denn los?«

Stella ist mit einem Satz neben mir und berührt sanft meine Schulter. Panikartig schubse ich sie weg.

»Sorry«, murmle ich.

»Wer war denn das am Telefon?«

Mein sexbesessener Freund!

»Ein...ein Bekannter. Der...der hat mir gesagt, daß seine Mutter einen schweren Unfall hatte.«

»Oh nein, das ist ja schrecklich«, flüstert sie und schlingt ihre Arme um mich. »Kann ich dir irgendwie helfen?«

Bin ich ausversehen in einer Witzshow gelandet??

»Laß...laß mich nur einen Augenblick zu mir...äh...finden.«

»Ok, Babe«, wispert sie und drückt kurz ihre Lippen auf mein Haar.

Die Herzstiche werden weniger, mein Puls ist wieder normal, der Schweiß wegewischt und eine Zigarette angezündet.

»Willst du reden?«

»Worüber?« frage ich verwirrt.

»Über den Unfall...deinen Bekannten?«

»Nee, im Moment nicht. Das...das ist nicht so schlimm. Ich meine, ihr ist nicht sehr viel passiert. Ich war nur so geschockt, das ist alles. Es geht mir gut«, versichere ich. »Wow, da bin ich aber froh.«

Das bin ich ebenfalls und beschließe, daß ich jetzt ganz schnell was zu trinken brauche. Etwas mit viel Alkohol.

Wir trinken also Campari, der nach Hustensaft schmeckt, und sie versucht wirklich die ganze Zeit mich anzumachen. Legt ihren Kopf an meine Schulter, schmiegt sich an mich, schlängelt ihre Finger unter mein Shirt. Solche Späße halt. Ich bin nach einer Weile so besoffen, daß mir alles egal ist. So egal, daß ich einschlafe.


Drei Tage ist Stella jetzt schon hier und irgendwie sieht es nicht danach aus, daß ich sie bald wieder los bin. Sie scheint sich bei mir sehr wohl zu fühlen. Nils hab ich mal lieber nichts davon erzählt, sondern immer mit ihm telefoniert, wenn Stella kurz woanders weilte. Ich hab ein schlechtes Gewissen, ihm das zu verheimlichen...immerhin ist ja nix passiert...keine Ahnung, wieso ich es mache?!

Ich würde nämlich wissen wollen, wenn eine von seinen Ex-Flammen sich plötzlich bei ihm breitgemacht hätte. Und ich würde vor Eifersucht den Verstand verlieren. Er könnte mir noch so oft beteuern, daß nichts läuft. Wäre ich vielleicht da,um mich davon zu überzeugen? Nein, wäre ich nämlich nicht. So wie Nils nicht da ist. Weshalb ihn also verrückt machen, richtig? Wieso ihm sagen, daß die süße Stella, mit der ichleidenschaftlichen Sex hatte, immer noch scharf auf mich ist und mich andauernd anmacht?

In meinem Bett wollte sie schlafen...mit mir. Nun, ich habe ihr mein Bett überlassen und schlafe selbst auf der Luftmatratze. Man muß ja nicht vorsätzlich etwas provozieren. Ok, ich fühle mich natürlich sehr geschmeichelt aber ein bißchen geht mir die Situation doch auf den Geist. Mann, ich liebe Nils. Vielleicht sollte ich Stella das einfach sagen?! Sie würde das sicher verstehen. Ich denke nicht, daß sie was gegen Schwule hat. Warum auch? Schließlich hat sie mir mal gesagt, daß sie nicht ausschließen kann, sich in ein Mädchen zu verlieben.

»Was machen wir heute, Julilein?« fragt Stella und legt ihr Kinn auf meine Schulter. Super, fängt das schon wieder an. Mhhh...sie riecht nach Jasmin. Ich gehe trotzdem etwas auf Abstand.

»Wie wäre es mit ausgehen, Sabine?«

Sofort verzieht sie das Gesicht. »Bist du sauer auf mich?«

»Nein.«

»Warum nennst du mich dann so?«

Ich muß grinsen. Stella haßt es, wenn man sie mit ihrem richtigen Namen anredet. Stella heißt sie nämlich nur, weil sie, genau wie ich, ein sehr großer Fan von »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« ist. Das war übrigens die erste unglaubliche Gemeinsamkeit, die wir feststellten und über die wir hemmungslos reden konnten. Ich liebe das Buch. Und den Film. Fand beides nicht die Spur abschreckend sondern ziemlich geil. Besonders die Szenen, in denen die sich Drogen spritzen. Erst den Arm abbinden, dann mit den Fingern über die Armbeuge streichen, leicht mit der flachen Hand draufschlagen und schließlich die Nadel reinhauen. DAS sieht einfach geil und dramatisch aus.

Ich hab mir früher, so mit zehn oder elf, immer vorgestellt, ich würde zu einer total kaputten Drogenclique gehören und war wie berauscht, als Stella meinte, sie hätte das auch. Allerdings kamen wir schnell überein, daß sowas eben nur in Büchern und/oder Filmen romantisch ist. Im richtigen Leben will ich damit nichts zu schaffen haben. Drogen hab ich noch nie ausprobiert.

»Also, ich hab keine Lust auf ausgehen«, reißt Stella mich aus meinen Gedanken.

»Was dann?« frage ich.

»Wie wäre es, wenn wir einfach hier bleiben und kuscheln, mh?«

Ach du Schreck! Wie soll ich mich denn da rausreden?

»Ähem...ja, nee...« Toller Anfang, Juli!

Sie setzt sich auf und blickt mich an. »Juli, ich will jetzt endlich wissen, was los ist. Ich meine, hab ich Ausschlag oder was? Seit drei Tagen versuche ich, dir näher zu kommen und du blockst ab. Mach ich dich denn gar nicht mehr scharf? Wenn du eine Freundin hättest, würde ich das ja noch verstehen aber so...wir haben beide niemanden auf den wir Rücksicht nehmen müßten, was spricht also dagegen?«

NILS. Nils spricht dagegen. Mein Freund, den ich so sehr vermisse.

»Ich...ich kann das einfach nicht. Nicht, wenn meine Mutter hier rumläuft.«

»Ok, willst du in ein Hotel gehen?« grinst sie.

Nein, nach Berlin.

»Hör mal«, sagt sie weich, »wenn du mich nicht mehr auf diese Art anziehend findest, ist das in Ordnung. Sag's halt und ich lasse dich in Ruhe. Aber...naja, ich hab schon gemerkt, wie du mich anschaust. Da ist doch noch immer etwas zwischen uns.«

»Stella, ich...«

Sie unterbricht mich, indem sie mich küßt. Ich bin so überrascht, daß ich sie ausversehen zurück küsse. Das wiederum versteht sie als Aufforderung, weiter zu gehen. Sie setzt sich auf meinen Schoß und schlängelt ihre Hände unter mein Shirt.

Ich kann das nicht tun. Ich kann das nicht tun. Ich kann das nicht tun.

Stellas Finger spielen mit meinen Brustwarzen, während sie sich langsam auf mir bewegt. Entschuldigung aber wie soll man dabei keine Erektion bekommen?!

Als ich durch ihre Haare wuseln will, bleibt das Herzchenarmband darin hängen. Ich nehme es ab.

Was zur Hölle mache ich hier eigentlich? Und warum muß sie an meinem Hals lutschen und mir ziemlich schmutziges Zeug ins Ohr flüstern? Ich wünschte, sie wüßte nicht so genau, worauf ich anspringe.

Oh Gott...Stella zieht ihr Shirt aus. Ich fasse sie ein bißchen an und ehe ich weiß, wie mir überhaupt geschieht, liegen wir schon ineinander verschlungen unter der Decke.

Sex mit Stella ist einfach geil. Was soll ich sagen? Daß ich keinen Spaß hatte, mit ihr zu schlafen? Daß sie mich verführt oder genötigt hat? Ich wollte es genauso wie sie. Ich bin ein treuloses Schwein. Hab gleich die erstbeste Gelegenheit genutzt, meinen wunderschönen, süßen, ahnungslosen Freund zu betrügen.

Stella kuschelt sich in meinen Arm und seufzt wohlig. Mir ist nach kotzen.

»Ich...ich hol uns mal was zu trinken«, murmle ich und gehe in die Küche.

Als ich mit grünem Tee zurück komme, sehe ich sie sitzend im Bett. Die Decke ist ein wenig verrutscht und gewährt mir einen hübschen Blick auf ihren Busen. Mit den zerwuselten Haaren sieht sie echt umwerfend aus. Sie lächelt, raucht eine Zigarette und...telefoniert?? Mir wird schlecht. Mein Puls rast, meine Beine geben fast nach.

Ok, ganz ruhig, Juli. Das muß nichts bedeuten. Vielleicht ist Caro dran oder einer von Stellas Freunden.

»Ja«, kichert sie, »er ist grad reingekommen. Was? Nee, der hat die Hände voll, mußt dich noch eine Weile mit mir begnügen.«

»Wer ist denn dran?« frage ich zittrig mit Schweißperlen auf der Stirn.

Sie ignoriert mich. Faselt unbeirrt weiter mit dem Hörer. »Oh, das ist so süß, wirklich. Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte...nee, weiß ich auch nicht...kennst ihn doch.«

Ich knalle die Gläser auf den Boden. »Wer ist das?« brülle ich.

»Dein Freund«, sagt sie und reicht mir den Hörer.

Mein Gesicht wird kreidebleich...jedenfalls fühlt es sich so an. Tapfer schlucke ich an meinem Brechreiz und einer Menge Speichel. »Ha-Hallo?«

»Hallo Knallkopp.«

Wenn ich nur wüßte, was das zu bedeuten hat. Seine Stimme klingt normal. Allerdings könnte er sich nur verstellen. Ich hab ja keine Ahnung, was meine heimliche Beischlafpartnerin ihm erzählt hat. Die wird doch sicher nicht ausgeplaudert haben, daß wir beide... eben...oh Gott!

»Hi«, sage ich vorsichtig.

»Ok, zuerst...ich vermisse dich. Und zweitens, wieso hast du mir nicht gesagt, daß deine Ex da ist?«

Ich überlege für einen kurzen Moment, ihm vorzulügen, die Leitung sei schlecht, verwerfe das jedoch wieder. »Keine Ahnung. Ich wollte nicht, daß...äh, daß du dir irgendwie Gedanken machst.«

Nils seufzt. »Ich mache mir viel mehr Gedanken, wenn du mir solche Sachen verheimlichst. Juli, ich muß dir vertrauen können. Ich meine, die Entfernung zwischen uns ist schon schwierig genug. Wenn ich jetzt auch noch andauernd darüber nachdenken mußt, ob du mich anlügst oder weiß der Teufel was, gehe ich kaputt.«

»Tut mir wirklich leid.«

»Naja, wenigstens etwas. Und nun die Frage aller Fragen...läuft da irgendwas?«

Au je, ich bekomme wieder diese fiesen Herzstiche. »Nein«, höre ich mich sagen.

»Möchtest du, daß etwas läuft?«

»Nein, natürlich nicht.« Das war jetzt aber nicht gelogen. »Ich...ich liebe dich doch.« Die reine Wahrheit.

»Ich lieb dich auch, Juli. Bis später.«

»Bis dann.«

Jaja, ich bin ein Arschloch!

Stella hat sich inzwischen angezogen, trinkt Tee, raucht und wirft mir einen eigentümlichen Blick zu.

»Was?« frage ich gereizt.

Sie schüttelt den Kopf. »Wann wolltest du mir eigentlich erzählen, daß du einen schwulen Freund in Berlin hast, Juli, mh?«

»Hast du vielleicht Probleme damit?«

»Damit, daß du jetzt offensichtlich auch Jungs magst, nicht. Damit, daß du trotz fester Beziehung mit mir schläfst...ich weiß nicht. Hör zu, ich will dir bestimmt keine Moralpredigt halten, dafür bin ich selber viel zu verkommen«, grinst sie, »ich hätte es halt gerne vorher gewußt.«

»Was hast du zu ihm gesagt?«

»Daß wir gerade eben ganz phantastischen Sex hatten, Blödmann. Keine Angst, dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich mag dich, Juli, und ich vögel gerne mit dir aber ich bin nicht verliebt in dich und ich hab echt keinen Bock, eine Beziehung auf dem Gewissen zu haben. Mir reicht es, wenn wir befreundet sind. Nils und was du ihm sagst oder nicht, ist ganz allein deine Angelegenheit, alles klar?«

»Aber du findest, ich sollte es ihm sagen?« frage ich.

Sie überlegt kurz. »Keine Ahnung. Ich meine, ich kenne deinen Süßen ja nicht. Du liebst ihn, ja? Und du willst mit ihm zusammen bleiben? Dann sag's ihm besser nicht. Andererseits ist es sicher schwierig, so etwas mit sich rumzuschleppen.« Seufzend legt sie einen Arm um meine Schulter. »Mann, du bist aber auch ein Herzchen. Warum hast du mir nichts gesagt? Dann hätte ich wenigstens meinen Heiligenschein polieren und die vernünftigere Person sein können. Und du müßtest dich nicht beschissen fühlen.«

Bei den Stichwörtern Herzchen und fühlen, fällt mir auf, daß ich Nils‘ Armband nicht mehr trage. Hatte ich ihm nicht geschworen, es niemals abzunehmen?

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