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Feindkontakt

Teil 5

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Informationen

Vorwort der Redaktion

Liebe Leser,

die folgende Geschichte befasst sich unter anderem mit der Thematik Suizid. Dies ist ein sensibles Thema, das Nickstories.de nicht unkommentiert lassen kann und will. Deshalb haben wir uns entschieden diese Geschichten generell mit einem Vorwort zu versehen.

Für uns ist dieses Thema in Stories kein Tabu, aber wir wollen deutlich machen, dass Selbstmord mit Sicherheit kein Weg ist, um ein Problem zu lösen. Jeder, der sich in einer scheinbar aussichtslosen Lage befindet, sollte wissen, dass er Hilfe finden kann.

Wenn du jemanden kennst, der über diesen Schritt nachdenkt oder ihn geäußert hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen und versuchen mit dieser Person zu reden. Erst dann wird deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist.

Wenn du über Selbstmord nachdenkst, bitten wir dich, Kontakt mit einer Hilfseinrichtung aufzunehmen, bevor du etwas tust, das für deine Freunde und deine Familie ein unwiederbringlicher Verlust sein wird.

Informationen und Notrufnummern findest du z.B. unter: www.telefonseelsorge.de

 

Noah ist ein bisschen beleidigt, obwohl er es nicht zugibt. Gestern tat ich ihm den Gefallen und trug meine Schuluniform. Ich wollte ihn so richtig schön anmachen, hab das auch ganz gut hinbekommen, denn er warf mich auf sein Bett, knöpfte mein Hemd auf, rieb sich an mir...und als ich wieder aufwachte, war seine Stimmung irgendwie im Eimer. Aber mir fielen einfach die Augen zu und weg war ich. Wie ätzend ist es denn, wenn dein Freund dir zwei Stunden beim schlafen zuschaut, wo er dich eigentlich dringend vögeln wollte?! Mir könnte jedenfalls nicht peinlicher zumute sein. Und ich kann nicht mal garantieren, dass es nicht wieder passiert. Meine Müdigkeit fällt leider auch nicht bloß bei Noah unangenehm auf.

Vorhin sprach mich ein Lehrer an. Ob ich eventuell Probleme mit Drogen hätte, wollte der Herr Pädagoge wissen. Ey, die ganze verdammte Schule weiß, dass ich mit Noah zusammen bin, was in der Gemeinde als abartig schlimm angesehen wird, und der fragt nach Drogen. Bin ich vielleicht aus versehen in einem Parallel-Universum gelandet? Da, wo alle irgendwie vollkommen verblödet sind? Mann, der Gedanke ist echt unheimlich. Da ich keine Lust hatte, mich lange mit dem Typen herumzuärgern, versprach ich, zukünftig keine Drogen mehr anzurühren und im Unterricht ab sofort wieder wacher zu sein. Wahrscheinlich fühlte sich der Lehrer verarscht...er sah so aus. Na ja, dann hat er wenigstens eine Ahnung, wie ich mir vorkam.

Als ich das Schulgebäude verlasse, trifft mich fast der Schlag. Noah steht draußen. Das ist eigentlich nichts Weltbewegendes, aber die Art wie er dasteht...mit dem Rücken am Tor, ein Bein lässig angewinkelt, Kippe in der Hand. Wie ein Stricher, der auf Freier wartet.

"Hey, Schuljunge", grinst er gefährlich sexy.

"Und?", frage ich. "Was kostet's?"

Er schnippt die Zigarette weg und spielt an meiner Krawatte rum. "Was willst'n haben?"

Aus meiner Hosentasche krame ich einen Geldschein. "Hier sind zehn, darf ich dir dafür ins Gesicht spritzen?"

"Du bist so ein Penner, Bennie", schmollt er.

"Okay, was tust du denn für zehn Euro, mh?"

"Dafür mache ich mir nicht mal die Hose auf. Und den Mund schon gar nicht."

"Du sollst auch nicht dir die Hose aufmachen, sondern mir. Krieg ich einen Kuss?"

"Ja...aber ohne Zunge."

"Wie langweilig."

"Wenigstens schlafe ich nicht ein."

Bedröppelt lasse ich meine Arme baumeln.

"Geil, ich hab mich innerhalb von zwei Sekunden in ein Arschloch verwandelt. Tut mir leid." Er zieht mich an sich heran und gibt mir einen süßen Kuss auf den Mund. "Lass uns gehen. Mom hat Lasagne gekocht."

Nach dem Mittagessen liege ich mit Noah auf dem Bett und erzähle von meinem Gespräch mit dem Lehrer und der Befürchtung, in einem Parallel-Universum gefangen zu sein.

"Mh...sowas ist schon möglich, bei Doctor Who beispielsweise. Bist du in der letzten Zeit mal in einer blauen Telefonzelle gewesen?"

"Telefonzelle?", frage ich wirr. "Doktor...Who?"

"Yes", strahlt er, "Exactly."

"Ganz ehrlich, Noah, ich hab manchmal nicht den leisesten Schimmer, wovon du redest."

"Du kennst Doctor Who nicht? Au je."

Ich zucke ratlos die Schultern.

Noah verdreht die Augen und seufzt theatralisch. "Der Doctor ist ein Timelord. Der letzte, um genau zu sein. Und er reist in seiner Tardis durch Zeit und Raum."

"Aha."

"Der Doctor ist so cool, lässig und sexy...also jedenfalls der neunte."

"Es gibt mehrere?"

"Ja, inzwischen sind es zehn."

"Und die reisen alle zusammen in dieser...dings..."

"Tardis. Nein. Der Doctor regeneriert sich, wenn er tödlich verletzt wird. Er reist immer mit einer Begleiterin. Momentan ist das Rose. Du solltest ab und zu mal den Fernseher einschalten."

"Und du solltest ihn vielleicht ab und zu mal ausschalten", bemerke ich.

"Um was zu tun?"

Normalerweise würde ich so was antworten wie: um mit deinem Freund zu vögeln. Bestimmt erwartet Noah, dass ich es sage. Aber wie so oft in letzter Zeit bin ich viel zu erschöpft.

"Siehst du, es gibt keinen vernünftigen Grund. Außer das Herbstfest am Samstag. Da gehen wir doch zusammen hin, oder?"

Unser Herbstfest ist eine ippelige Kirmes. Auf dem Marktplatz und um die Kirche herum werden ein paar Buden und Karussells aufgebaut...nichts wirklich Aufregendes.

"Ich knutsch mit dir in der Geisterbahn", lächelt Noah.

"Wir hatten hier noch nie eine Geisterbahn. Gruselige Monster und Ungeheuer, die brave Leute erschrecken, sind zu unkatholisch."

"Verdammt", zischt er. "Knutschen wir halt am Autoscooter."

"Und kriegen von deinen ehemaligen Freunden und meinen ehemaligen Freunden die Fresse voll."

"Wir können uns natürlich auch bis an unser Lebensende in meinem Keller verstecken."

"Ich hab mir diese Scheiße nicht ausgesucht, Noah."

"Deshalb sollten wir allen zeigen, dass sie uns nicht fertig machen können."

Er hat ja Recht. Wir sind schließlich keine Schwerverbrecher, sondern bloß ineinander verliebt.

Also schlendern wir am frühen Samstagabend händchenhaltend über den Marktplatz. Mir ist verboten übel, aber ich lächle tapfer und probiere, Spaß zu haben. Eigentlich ist das Herbstfest eine feine Sache, denn ich liebe die bunten Lichter und den Geruch von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln...heute jedoch kann ich mich nur mäßig daran erfreuen. Noah ist ein absoluter Schatz und unglaublich kitschig. Er schenkt mir ein Lebkuchenherz, auf dem "Mein kleiner Liebling" steht. Danach teilen wir uns einen Fruchtspieß. Und danach kommen uns Tim, Sissi, Elisa und ein paar Jungs aus meiner Klasse entgegen.

"Na...wie wär's mit 'nem bisschen rosa Zuckerwatte für die beiden Schwuchteln?", ruft Tim extrem tuckig.

"Wie wäre es mit einem Arschtritt für den Vollidioten?", ruft Noah zurück.

Elisa schaut demonstrativ in die andere Richtung und zieht ihre Busenfreundin an uns vorbei.

Tim griffelt an meinem Lebkuchenherz rum, das ich in der Hand halte.

"Mann, Schneider...also wirklich. Kauft er dir nächste Woche das Hochzeitskleidchen, mh?"

"Das braucht er nicht. Ich kriege meinen Fick auch ohne vorher zu heiraten", grinse ich horrorartig.

"Dann wünsche ich viel Glück, wenn du deinen Bräutigam deiner Mama vorstellst. Sie wird entzückt sein."

"Du bist und bleibst ein Arschloch", schüttelt Noah den Kopf. "Wenn's drauf ankommt, seinen besten Freund abzuschießen, anstatt ihm zu helfen...das nenne ich großartig."

"Deine Freunde haben mich zusammengeschlagen, Mistsau", zischt er.

"Und was hat Bennie damit zu tun? Denkst du, er hat sie angeheuert, oder was?"

"Er nicht, aber du vielleicht."

"Du bist echt zu dämlich, Junge."

"Hast Angst, dich selber mit mir anzulegen, was?"

"Logisch", entgegnet Noah spöttisch, "ich zittere wie Espenlaub."

"Okay, Winter, hier und jetzt."

"Klar, lass uns mit Fruchtspießen duellieren, armer Irrer."

"Dann halt morgen", erklärt Tim, der offensichtlich die Absurdität des Ganzen immer noch nicht begriffen hat.

Noah wendet sich an mich. "Bennie, wie konntest du all die Jahre mit so einer Knalltüte befreundet sein?"

"Bevor du angefangen hast, ihm schöne Augen zu machen, war alles in Ordnung", regt Tim sich auf.

"Ach darum geht es. Du bist eifersüchtig."

"Das hättest du wohl gerne. Aber ich bin keine Schwuchtel."

"Das hab ich auch nicht gemeint."

"Tim, jetzt komm endlich", brüllt Sissi, worauf er an uns vorbei stampft.

"Lust auf 'ne Runde Autoscooter?", fragt Noah.

Ich hab eher Lust, ein Schlückchen Gift zu trinken. Besonders als ich sehe, dass seine Ex-Gang das Geländer bevölkert.

"Muss das sein?"

"Auf jeden Fall."

Wie nicht anders zu erwarten machen Martin und seine Freunde Jagd auf uns, kaum dass wir in den Karren sitzen. Nach drei Runden gegen-die-Bande-schmettern hab ich die Schnauze voll. Und wahrscheinlich ein paar Rippen gebrochen.

"Wir haben es versucht, Noah", sage ich müde, "lass uns nach Hause gehen."

"Dann haben die gewonnen."

"Is mir egal, ich...", muss mich übergeben. In die Mülltonne neben dem Pommesstand. Das ist weder für mich besonders appetitlich, noch für die umherstehenden Bratwurstesser.

Geduldig wartet Noah bis ich fertig bin, wischt mit seinem Ärmel durch mein verschwitztes Gesicht und setzt mich abseits vom Trubel auf den Rand eines Blumenkübels, weil mir so schwindlig ist, dass ich kaum noch stehen kann.

"Ich hol dir eine Cola...für den Kreislauf."

Hoffentlich tut er ein Schlückchen Gift hinein.

Während mein Schädel dröhnt, die Geräuschkulisse in meinen Ohren schmerzt, dämmert mir langsam, dass Noah und ich tatsächlich nirgendwo sein können. Egal, wo wir auftauchen, irgend einer macht immer Stress. Langsam ziehe ich das Messer aus meiner Tasche. Das Messer, das Martin mir an die Kehle gehalten hat. Ich hatte es heimlich eingesteckt...für alle Fälle. Zittrig fahre ich mit der Spitze über mein Handgelenk. Es scheint so einfach. Ein gezielter Schnitt und...

"Ey, Schneider...du hast wohl den Arsch auf."

Tim hockt vor mir und legt seine Hände auf meine.

"Hast du noch nicht genug?", murmele ich.

"Wenn du einen Artikel in der Zeitung haben willst, denk dir was anderes aus, okay?", sagt er leise und nimmt mir das Messer ab.

Meine Augen füllen sich mit Tränen. "Was willst du überhaupt?"

"Dich vor einer Dummheit bewahren. Selbstmörder kommen nicht in den Himmel, das solltest gerade du wissen. Und hör auf zu heulen, sonst denken die Leute, ich hätte mit dir Schluss gemacht."

"Leck mich."

"Nee, das kann mal schön dein Freund übernehmen."

Matt hebe ich meinen Kopf und blicke mich um. "Noah...wo ist'n der?"

"Offensichtlich nicht da, wenn er gebraucht wird. Ich hab dir gesagt, der Typ ist eine Assel."

"Tim", knurre ich genervt.

"Was geht'n hier ab?"

Noah ist zurück. Mit einem Becher Cola.

"Dein Freund wollte sich die Pulsadern aufschneiden", bölkt Tim. "Ist dir wohl scheißegal, dass es ihm schlecht geht, was?"

"Bennie, bist du okay?", fragt Noah besorgt und drückt mir die Cola in die Hand.

"Nein, er ist nicht okay, du Schwachmat."

"Selber Schwachmat. Hast du dich vielleicht mal gefragt, warum es ihm so schlecht geht? Ich werd dir auf die Sprünge helfen...deinetwegen."

"Klar. Hab ich ihn etwa seiner Freundin ausgespannt und diese schwule Nummer mit ihm durchgezogen?"

"Verpiss dich, Tim."

"Verpiss du dich, Noah."

Ey, jetzt reicht's! "Verpisst euch beide. Bin ich hier im Kindergarten, oder was? Ihr zwei seid so dämlich, dass es weh tut. Ihr müsstet schreien vor Schmerz. Schlagt euch von mir aus die Köpfe ein, aber ohne mich. Ich hab genug Probleme", brülle ich und mache, dass ich nach Hause komme, lege mich ins Bett, ziehe mir die Decke über die Ohren und heule mich in den Schlaf.

Irgendwann, mitten in der Nacht, werde ich wach, weil jemand leise an die Fensterscheibe klopft. Es ist Noah. Benommen öffne ich das Fenster.

"Bist du wahnsinnig? Meine Mutter tötet dich."

"Mir doch egal", wispert er und klettert ins Zimmer.

Ich schließe sicherheitshalber die Tür ab. Kaum hab ich das getan, schlingt Noah seine Arme um mich.

"Du wolltest dich nicht wirklich umbringen, oder?"

"Natürlich nicht. Hältst du mich für bescheuert?"

"Du darfst mich nicht allein lassen, Bennie", schnieft er.

"Lass ich nicht. Aber jetzt musst du gehen. Meine Mutter... Wir sehen uns morgen, ja?"

Nachdem er gegangen ist, lege ich mich wieder ins Bett und penne den gesamten Sonntag.


"Ey, Schneider...Puddingbrezel?", grinst Tim am Montagmorgen.

"Äh...?"

"Hör zu, ich bin ein Arschloch gewesen. Aber dann hab ich nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass mir unsere Freundschaft wichtiger ist als...na ja, als alles andere eben."

"Ich hatte nicht vor, mich umzubringen. Du musst also nicht unbedingt nett zu mir sein, um dein Gewissen zu beruhigen oder so was."

Tim greift nach meinem Arm und sieht ziemlich zerknirscht aus. "Ich mein's ernst. Und ich hab inzwischen begriffen, dass ich es mit dem Gefasel von wegen Feind und so...ähem... übertrieben habe. Tut mir leid, dass ich dich Schwuchtel genannt hab. Du weißt, es ist mir egal, ob du auf Typen stehst oder nicht. Ich war vielleicht wirklich eifersüchtig...weil du nur noch mit Noah zugange warst. Wir haben uns kaum noch gesehen, das hat mich angepisst."

"Ich liebe Noah."

"Schon klar, aber als du noch in Elisa verschossen warst, war alles irgendwie einfacher. Sissi macht mir die Hölle heiß und Elisa heckt mit ihr andauernd beknackte Pläne aus, wie sie dich zurück kriegen kann. Die Frau ist total besessen von dir, echt ekelhaft."

Mh, scheint so, als hätte er auch ein paar anstrengende Wochen gehabt.

"Gib mir schon die verdammte Puddingbrezel", lächele ich schwach.

Da Tim wieder mit mir redet, reden natürlich auch ein paar von den Jungs wieder mit mir. Die anderen halten mich wahrscheinlich weiterhin für abartig, was mir egal ist. Richtige Freunde waren das eh nicht. Mehr so was wie Noahs Deppen. Ich bin froh, dass Tim seinen Verstand grad jetzt zurück hat, weil nächsten Monat diese blöde Klassenfahrt nach London ansteht, die ich eigentlich schon ausfallen lassen wollte, weil es keinen Spaß macht, eine fremde Stadt zu besuchen, wenn dich alle hassen und vermutlich niemand mit dir das Zimmer teilen will.

Zwar fühle ich mich körperlich noch reichlich angeschlagen, aber ich wette, Noah wird heute Abend sehr sehr glücklich sein! Ich besuche ihn direkt nach dem Unterricht.

"Hallo, Schuljunge", begrüßt er mich.

Kleiner Schleicher, so beiläufig das vielleicht klingen sollte...sein gieriger Blick verrät ihn.

"Hey", sage ich so verrucht es bei einem 'Hey' eben möglich ist, lockere meine Krawatte und lehne mich gegen die Tür.

"Hast du Hunger? Mom ist nicht da, aber ich kann dir 'ne Pizza machen, wenn du magst."

Ich öffne die obersten Knöpfe an meinem Hemd. Noah schluckt geräuschvoll. Mal sehen, wie lange er braucht, um mich flachzulegen.

"Na ja, wir können auch später essen", faselt er und hat mich mit den Augen schon komplett entkleidet.

Offenbar braucht er heute mehr Aufforderung als sonst, also ziehe ich mir langsam das Hemd aus der Hose und fasse an mir rum. Noah springt kopfschüttelnd auf und drängelt sich an mich.

"Ey, du bist so was von fällig, Schneider, das ist dir klar, oder?"

Meine Hände wandern unter sein Shirt. "Kristallklar, Winter."

Er küsst mich wild, schubst mich aufs Bett und...diesmal schlafe ich nicht ein.

"Ich hab dich vermisst", wispert er, als es vorbei ist, und knabbert zärtlich an meinem Nacken.

"Ich dich auch." Umständlich drehe ich mich um, dass ich ihn ansehen kann. "Lass uns nie wieder so lange aufhören damit."

"Das war ja nicht grad geplant."

"Es war meine Schuld, tut mir leid."

"Bennie..."

"Und deshalb kriegst du heute alles, was du willst."

"Hab ich doch."

"Nee, ich meine...wirklich alles. Du darfst mir ins Gesicht spritzen."

Noah starrt mich einen Moment fast geschockt an, dann rückt er von mir weg. "Ist okay, Bennie, ich bin schon gekommen."

"Dann eben später."

"Ehrlich…das muss nicht sein."

"Hä? Du redest davon, seit wir uns kennen. Was ist denn auf einmal los?"

"Ich kann das nicht, wenn ich weiß, dass du das eklig findest."

"Ist doch egal", zucke ich die Schultern. "Ich werd's überleben."

"Sex funktioniert nicht, wenn einer dem anderen nur einen Gefallen tun will", erklärt er. "Und manche Phantasien sind sowieso nicht dazu da, ausgelebt zu werden."

"Meine Schuluniform ziehe ich doch auch bloß für dich an", gebe ich zu bedenken.

"Aber ich würde das niemals von dir verlangen, wenn ich wüsste, dass du dich unwohl dabei fühlst."

"Mh..."

"Oh Gott, Bennie, sag mir jetzt nicht, dass du dich unwohl dabei fühlst."

"Na ja, also irgendwie abartig ist es schon." Noah sieht dermaßen entsetzt aus, dass ich kaum noch ernst bleiben kann. "Aber das bin ich erstens gewohnt von dir und zweitens...ich ziehe mich gerne hübsch für dich an", kichere ich und umarme ihn.

"Okay, ich will jetzt mindestens eine peinliche sexuelle Vorliebe von dir hören. Damit ich mich auch ständig darüber lustig machen kann."

"So was hab ich nicht. Ich bin ja schließlich normal."

"Irgendeine abartige Vorliebe oder Phantasie hat jeder Mensch."

"Dann bin ich wohl kein Mensch."

"Los, erzähl schon", fordert er.

"Was denn? Alle meine Phantasien lebe ich mit dir aus."

"Das kann nicht sein. Das geht gar nicht. Also…stehst du heimlich auf Lack oder Latex, machen dich Füße geil, willst du Windeln tragen oder soll ich dich anpinkeln? In ein Tier kann ich mich leider nicht verwandeln…falls dich so was anmachen sollte."

"Noah…", kreische ich lachend. "Du willst ein Beispiel, ja? Na schön...ich hab's mir aufregend vorgestellt, einen Typen zu vögeln, vor dem alle Angst haben."

"Wieso? Außerdem hat vor mir niemand Angst."

"Martin schon. Und du warst nun mal der Anführer einer Gang. Aber...in meiner Vorstellung warst du noch was anderes."

"Aha", lacht er triumphierend, "also doch eine geheime Phantasie. Was war ich denn? Kein Tier, oder?"

"Ein...", verflixt, jetzt ist mir wirklich peinlich zumute, "Vampir", nuschele ich.

"Wie bitte? Ich hab's nicht verstanden."

Er lügt. Ganz sicher!

"Ein Vampir. Du warst ein verdammter Vampir, herrgottnochmal."

"Cool", grinst er. "Vampire sind sexy. Hab ich dich ausgesaugt?"

"Das tust du doch andauernd."

Noah schlägt mir leicht gegen die Stirn. "Gebissen...in den Hals?"

"Ehrlich gesagt..."

"Warte, ich will mich bequem hinlegen", unterbricht er mich und...äh...legt sich bequem hin.

Ich hasse es, ihm Geschichten erzählen zu müssen! Besonders wenn es eine ist, die ich mir irgendwann mal ernsthaft ausgedacht habe, als ich noch nicht mit ihm zusammen war.

"Deine Vampirgang wollte mich abmurksen, aber du hast entschieden, mich in euren Schlupfwinkel mitzunehmen."

"Weil ich dich süß fand."

"Nein, weil du mich schlimm piesacken wolltest. Du hast mir so'n Halsband angelegt, das du unter Strom setzen konntest...damit ich nicht weglaufe."

"Igitt, wie gemein."

"Allerdings. Geschlagen hast du mich auch. Aber wenn die anderen das getan haben, bekamen sie von dir Dresche."

"Komm zum interessanten Teil, ja?"

"Eines nachts kamst du in mein Zimmer und hast mich gevögelt. Ziemlich hart, wenn du verstehst, was ich meine."

"Oh je...ich bin in deinen Träumen ein Vergewaltiger-Vampir. Sehr schmeichelhaft, Bennie, vielen Dank."

"Na ja...ein bisschen gefallen hat es mir schon, was dich natürlich total irritierte, als du's gemerkt hast. Die nächsten Nächte hat es dir dann auch gefallen, du bist immer zärtlicher geworden und schwupps waren wir verliebt."

"Ist das alles?", fragt er enttäuscht. "Warum hab ich dich nicht gebissen?"

"Hast du ja...manchmal. Wenn ich genügend gebettelt hatte. Allerdings hattest du immer Angst davor, dich nicht zurückhalten zu können. Du wolltest mich nämlich nicht töten, weil du mich so sehr geliebt hast."

"Deine Phantasie nervt", behauptet er. "Da ist viel zu viel Handlung drin. Ist dir bei der Halsbeißerei wenigstens einer abgegangen?"

"Absolut. Deswegen wollte ich es ja auch immer wieder."

"Trotzdem eine blöde Geschichte. Null Sauereien. Wie kannst du dabei geil werden?"

"Ich bin eben romantisch veranlagt."

Langsam arbeitet er sich an mir hoch, reibt seine Nase an meinem Hals und beginnt, an meiner Haut zu knabbern. "Ich wette, ich hab dich immer dann gebissen, wenn du kurz davor warst abzuspritzen", säuselt er und lutscht etwas heftiger.

Mir wird ein bisschen kribbelig. "Logisch."

Seine Hand wandert über meinen Bauch nach unten. "Und wenn ich kurz davor war."

Okay, ich werde Noah niemals wieder Vampirgeschichten erzählen! Mein Hals ist völlig zerlutscht und zerbissen als er endlich mit mir fertig ist. Klar, war das geil...aber, du meine Güte, ich sehe aus, als hätte mich jemand schlimm gefoltert. Wahrscheinlich wird meine Mutter mich zur Polizei schicken wollen, weil sie denkt, ich sei überfallen worden. Leider kann ich ihr nicht sagen, dass Noah bloß Vampir gespielt hat, weil sie dann tot umfallen würde.

"Ich hab ein klein wenig übertrieben, mh?", bemerkt er und streicht vorsichtig über meine Haut.

"Ich bin froh, dass ich mir nicht ausgedacht hab, aufgegessen zu werden", nicke ich.

"Ey, das würde ich nie machen", sagt er ernst.

"Danke, das beruhigt mich."

"Ich hab dich zwar gerne in mir...aber nicht so. Außerdem bist du viel zu dürr, wer soll'n davon satt werden?"

"Kannst mich ja vorher mästen, wie bei Hänsel und Gretel."

"Märchen sind zum Kotzen", findet er und schüttelt sich. "Super brutal. Kein Wunder, dass die Welt voll von kranken Spinnern ist."

"Genau", pflichte ich ihm bei, "total ekelhaft, wenn das Mädchen am Ende immer seinen Prinzen kriegt."

"Beim Struwwelpeter geht das Mädchen in Flammen auf. Und den Jungs wird der Daumen abgeschnitten oder sie werden magersüchtig und sterben, weil sie keine Suppe essen wollen."

"Der Struwwelpeter ist pädagogisch wertvoll. Oder möchtest du mit vierzig noch am Daumen nuckeln? Magersucht ist eine gefährliche Sache und mit Feuer spielen sowieso."

Noah setzt sich schwungvoll auf. "Der Struwwelpeter ist eine alte Arschgeige. Meine Kinder dürfen den erst lesen, wenn sie über einundzwanzig sind und das nervlich aushalten."

"Deine Kinder?", frage ich.

"Na ja, unsere. Ich meine, wenn wir irgendwann verheiratet sind, können wir doch... adoptieren...oder so. Würdest du bitte aufhören zu grinsen?!"

Ich kann nicht. Noah ist so unglaublich süß! "Du willst mich heiraten?"

"Ja, wieso? Willst du bei deinem katholischen Hintergrund etwa ewig mit mir in Sünde leben?"

"Wenn wir beide heiraten, fahre ich direkt in die Hölle. Aber da fahre ich eh schon hin, weil ich mich von dir bumsen lasse."

"Also willst du nicht", stellt er fest.

"Was?"

"Heiraten, Blödmann."

"Diese Diskussion hatten wir schon und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir zu jung dafür sind. Oder so ähnlich."

"Doch nicht jetzt", regt er sich auf, "irgendwann, später."

"Okay."

"Dann sag es."

"Ich heirate dich", sage ich...allerdings mit meiner besten Rammstein-Stimme.

"Du machst echt jeden romantischen Augenblick kaputt."

Oh je, er sieht wirklich ein bisschen verletzt aus. Da umarme ich ihn mal schnell.

"Ich heirate dich", flüstere ich ihm ins Ohr. Und zwar ganz süß und ernst gemeint.

"Das ist ein Versprechen, das du nicht mehr zurücknehmen darfst."

"Wieso sollte ich auch? Ich liebe dich für immer und ewig."


Happy End, ja? Nein, falsch gedacht. Meine Mutter ist schließlich noch immer gegen Noah und alles, was mit schwul zu tun hat. Elisa denkt noch immer, sie würde mich irgendwann zurück kriegen. Noahs Deppen wollen uns bestimmt noch immer vermöbeln. Und mir wird noch immer öfters einfach so duselig, schwindlig und schlecht. Zu viel Stress kann offenbar tatsächlich krank machen. Wenn mein verrücktes Mütterlein sich wenigstens mal mit Noah unterhalten würde...dann würde sie nämlich feststellen...nee, würde sie nicht. Vielleicht muss man sich damit abfinden, dass die eigene Mutter nicht mit der Partnerwahl einverstanden ist. Blöderweise hab ich aber den Drang, sie davon zu überzeugen, dass Homosexualität nichts Schlimmes ist. Egal, was der Papst sagt. Egal, was in der Bibel steht. Egal, ob in Amerika ein paar gehirnlose Ex-Schwule das Licht gesehen haben. Und vollkommen egal, was ein Verein sagt, der sich "Christliche Mitte" nennt. Für die bin ich eine naturwidrige Triebverirrung, unglücklich und ruhelos. Allerdings empfinde ich nach sexuellem Kontakt keinerlei Abscheu vor mir selber. Im Gegenteil. Ich bin die pure Entspannung und Glückseligkeit, wenn Noah mich gevögelt hat. Oder ich ihn. Also, liebe Christliche Mitte: fick dich ins Knie und schieb dir deine Propaganda den Arsch hinauf, anstatt sie in unseren Briefkasten zu stecken!

Leute, die mit menschenverachtenden Sprüchen gegen andere hetzen und sich dann noch auf Gott berufen, sind der Witz schlechthin. Der Meinung ist übrigens sogar meine Mutter, die findet, dass man von "Seuche" und "ausrotten" nicht einmal in Bezug auf Homosexualität sprechen darf.

"Ich finde, wir brauchen ein Zeichen", erklärt Noah und steckt sich ein Stück Schokosplitterkuchen in den Mund. Der Verrückte hat tatsächlich schon wieder für mich gebacken. Allerdings hat Mama Winter ihn diesmal dabei überwacht...wegen der Küchensauerei.

"Meinst du ein Zeichen wie die Batman-Fledermaus, die in den Himmel gestrahlt wird, wenn Unheil droht? Oder ein Zeichen von Gott?"

"Ein Zeichen der Zusammengehörigkeit. Immerhin sind wir jetzt verlobt."

"Oh...", entgegne ich betroffen.

"Aber nicht so was Kitschiges wie Ringe", überlegt er.

Ich atme erleichtert auf.

"Vielleicht ein Tattoo?"

"Das erlaubt meine Mutter sofort."

"Armbänder?"

"Oder Fußkettchen", kichere ich.

"Okay, vergiss es."

"Noah, wir wissen doch, dass wir zusammen sind. Alle wissen das. Wir brauchen also gar kein Zeichen."

"Ich will aber eins", schmollt er und verschränkt die Arme vor der Brust.

Erwähnte ich schon, dass mein Freund unglaublich süß ist? Wahrscheinlich, oder?!

"Wenn du eine vernünftige Idee hast, lass sie mich wissen."

"Sag mal, dir bedeutet das Ganze wohl überhaupt nichts."

"Hör schon auf, beleidigt zu spielen", seufze ich und stupse seine Nasenspitze.

Er schnauft, zieht eine Grimasse, versucht angestrengt, ernst zu bleiben...und reibt grinsend seine Nase.

"Du bist so doof."

"Stimmt. Ich hab nämlich total vergessen, dir zu sagen, dass ich mich mit Tim vertragen habe."

"Logisch. Ich meine, irgendwann musste der Typ sein Gehirn doch mal wieder einschalten. Allerdings hätte ich gewettet, dass er noch ein bisschen länger dafür braucht."

"Damit haben wir schon mal einen Feind weniger."

Noah legt sich hin und zieht mich in seine Arme. "Muss ich jetzt etwa nett zu dem Penner sein?"

"Ein bisschen. Also wenigstens irgendwie höflich", antworte ich und streichele seinen niedlichen Bauch.

"Okay. Ich arrangiere mich mit deinem Freund und du lässt dir ein Zeichen einfallen", beschließt er. "Frag ihn, ob er am Samstag Zeit hat...dann gehen wir aus."

Mir wird spontan schlecht. "Noah, man kann hier nicht ausgehen. Bloß ins Jugendzentrum und da gehe ich sicher niemals wieder hin."

"Martin und die Deppen dürfen da nicht mehr rein."

"Seit wann?"

"Seit ich dem Chef gesagt habe, dass die gerne mit Messern spielen...und ich hab noch ein paar Sachen dazu erfunden."

"Du hast gelogen?", tue ich entsetzt. "Cool. Dann sehen wir uns nach dem Tod ja doch in der Hölle."

"Aber erst gehen wir ins Jugendzentrum."


Also die Idee, Tim mit ins Jugendzentrum zu nehmen, war nicht die beste. Dabei war es zuerst ein fast lustiger Abend. Noah und Tim haben sich echt bemüht, freundlich zueinander zu sein und bekamen das auch ganz gut hin. Sogar mit Blix, Florian und Lydia hat Tim sich gut verstanden. Allerdings amüsierte er sich mit Lydia ein wenig zu gut, weshalb Blix und Flori total sauer waren...auf mich, weil ich Tim schließlich angeschleppt hatte. Lydia beschimpfte die beiden daraufhin wüst und erklärte, dass die mich mal schön in Ruhe lassen sollten, denn ich hätte mit der Sache nicht das Geringste zu tun und sie hätte es sowieso satt, dass die zwei andauernd ohne sie rumvögeln würden. Zum Schluss gab sie beiden den Laufpass und zog mit Tim ab. Tja, und der hat jetzt ein schlechtes Gewissen, weil er Sissi betrogen hat. Allerdings grinste er den ganzen Tag, denn immerhin hatte er endlich Sex und der scheint auch noch ziemlich toll gewesen zu sein.

"Ey, Schneider, die Frau ist einfach...wow, die hat mich sowas von vernascht, völlig irre", faselte er. "Scheiße, wenn das Sissi erfährt...die killt mich."

Übrigens hatte ich Sonntagnacht einen Hörsturz! Ach du Scheiße!!

Erst hab ich mir nichts weiter gedacht, aber als das ekelhafte Piepsen im Ohr nicht wegging und ich alles wie durch Watte hörte, schleppte mich meine Mutter, die das zufällig mitbekam, zum Arzt. Offenbar kann so etwas durch Stress ausgelöst werden und überhaupt befand der Onkel Doktor meinen Allgemeinzustand als besorgniserregend. Hab dem nämlich dummerweise erzählt, dass ich immer gleichzeitig müde und nervös bin, mir öfters einfach so schwumselig wird, weil ich nicht regelmäßig esse, und meine Mutter meinen Freund hasst. Das ging logischerweise erst, nachdem er Mom ins Wartezimmer geschickt hat. Die wollte doch tatsächlich während der Behandlung dabei sein...ist das zu fassen?! Als ob ich ein Kleinkind wäre!

Jedenfalls krieg ich jetzt eine Woche lang jeden Tag eine Infusion und soll irgend so'n pflanzlichen Scheiß zur Beruhigung nehmen. Und meiner Mutter wollte der Doc eine Gesprächsgruppe vorschlagen, in der Eltern versuchen, mit ihren homosexuellen Kindern klar zu kommen. Zum Glück konnte ich ihn davon abhalten.

Noah war total im Arsch, als ich ihm am Telefon sagte, was passiert ist, und wollte mich sofort besuchen, was ich ihm ausreden musste, denn meine Mutter glaubt selbstverständlich, dass er an allem Schuld ist. Wahrscheinlich glaubt Noah das ebenfalls ein bisschen, was mir wiederum das Herz bricht. Wenn jemand für meinen Zustand nichts kann, dann ja wohl er! Mom fühlt sich dazu berufen, Krankenschwester zu spielen...ständig will sie mir Suppe, Saft und Vitamine einflößen, sitzt an meinem Bett und zum Arzt darf ich auch nicht allein gehen. Wie ich dabei gesund werden soll ist mir schleierhaft. Zumal sie mir das Handy weggenommen hat, weil ich absolute Ruhe brauche. Leider bin ich viel zu schwach, um zu protestieren. Also hab ich Tim gebeten, Noah auszurichten, dass ich momentan nicht telefonieren kann. Tim darf mich natürlich besuchen, denn er ist ja nicht schwul. Elisa darf mich auch besuchen, obwohl ich darauf nun wirklich keine Lust habe. Aber mich fragt ja wieder mal keiner. Paps hat sich lange mit Mom unterhalten und sagte hinterher zu mir, dass das alles so nicht weitergehen könne und wir müssten eine vernünftige Lösung finden. Die wird vermutlich so aussehen, dass Noah und ich auf einen anderen Planeten ziehen, wo es weder wahnsinnige Mütter, noch Deppen, noch Exfreundinnen gibt.

Da ich tatsächlich nicht noch mehr Stress haben will, verhalte ich mich total passiv. Lass mich von Mom betütteln, erspare Elisa meine Fick-dich-ins-Knie-Sprüche und vermisse Noah heimlich. Das funktioniert einigermaßen, weil ich ja weiß, dass ich in ein paar Tagen wieder bei ihm bin.

Am Donnerstag geht's mir schon wesentlich besser. Das Ohr-Piepsen ist weg und schwindlig wird mir auch nicht mehr.

"Ey, Schneider", grinst Tim, der grad ins Zimmer latscht und eine Tüte schwenkt. "Puddingbrezel?"

"Bloß nicht", stöhne ich. "Meine Mutter hat mich die letzten Tage dermaßen vollgestopft...ich hab sicher hundert Kilo zugenommen."

"Ja? Siehst aus wie immer", zuckt er die Schultern.

"Irgendwas Wichtiges passiert?"

"Zum Beispiel?"

"Keine Ahnung...irgendwas eben."

Tim setzt sich bequem auf mein Bett. "Ich hab ein Date. Mit Lydia. Das Blöde ist nur, dass Sissi genug geschmollt hat und wieder was von mir will."

"Aha. Und willst du sie noch?"

"Weiß nicht. Doch, schon. Lydia ist zwar mega scharf, aber nicht unbedingt zum Verlieben. Die stört es nicht mal, dass ich immer noch irgendwie mit Sissi zusammen bin. Übrigens soll ich dich von Lydia grüßen und es tut ihr leid, dass du krank bist."

"Danke. Hast du...vielleicht was von Noah gehört?"

Tim knabbert nervös auf seiner Unterlippe. "Ja, aber das erzähle ich nur, wenn du mir versprichst, dich nicht aufzuregen und ihm nicht zu sagen, dass du's weißt."

"Okay", nicke ich irritiert.

"Also...er war hier."

"Was?", kreische ich, was ein schwerer Fehler ist, weil sofort mein Ohr klingelt. "Wieso? Wann?"

"Dienstag, glaub ich. Er wollte dich besuchen, aber deine Mutter hat ihn nicht rein gelassen."

Mir wird schlecht vor Wut. "Was noch?"

"Na ja, in Ruhe lassen soll er dich halt. Und..."

"Ja?"

"Das war's", behauptet er.

"Blödsinn."

"Sie hat gesagt, du hättest eingesehen, dass er dich krank gemacht hat. Dass du ihn nicht mehr sehen willst und...dass du wieder mit Elisa zusammen bist. So etwas in der Art."

Scheiße, ich krieg grad noch 'nen Hörsturz!

"Allerdings hab ich dem Brechmittel gesagt, dass sich deine Mutter das alles nur ausgedacht hat. Also reg dich nicht auf."

Ich reg mich gar nicht auf, ich ziehe meine Klamotten an.

"Hey, was hast du vor?"

"Dreimal darfste raten."

"Zum Brechmittel", murmelt er. "Bennie, es tut mir echt leid...wegen allem."

"Lass uns nicht rührselig werden, ja?"

Tim tätschelt mir kameradschaftlich den Rücken und verabschiedet sich.

"Benjamin, du sollst doch im Bett bleiben", brabbelt meine Mutter aus dem Wohnzimmer. "Wieso bist du angezogen?" Hastig legt sie ihre Brille ins Etui und folgt mir in den Flur. "Benjamin, ich rede mit dir."

Ich antworte nicht, sondern starre sie eisig und angeekelt an...schlage sie praktisch mit ihren eigenen Waffen.

"Du sagst mir auf der Stelle, wohin du gehst."

Ohne ein Wort nehme ich meine Jacke vom Haken.

"Ich verbiete dir..."

Mir doch egal. Ich verschwinde, bevor sie mich noch weiter zufaselt.

Noah ist ziemlich überrascht. Mann, und er sieht so fertig aus, wie ich mich die Woche über gefühlt habe.

"Hi, Bennie…wie geht's?"

"Am liebsten gut", grinse ich und umarme ihn.

"Ich hab mir echt Sorgen gemacht", flüstert er.

"Sorry."

"So war das nicht gemeint."

"Meine Mutter ist 'ne Sau. Ich hoffe, du hast ihr den ganzen Scheiß nicht geglaubt."

Noah sieht mich an. "Wieso…ah, verstehe, Tim hat geplaudert."

"Allerdings. Deswegen bin ich auch gleich hergekommen."

"Leg dich sofort hin", fordert er streng.

"Was?"

"Du bist immer noch krank. Magst du Tee haben?"

"Nee, aber du musst mich bekuscheln", erkläre ich und ziehe ihn zu mir aufs Bett.

"Es war total schrecklich, dich eine Woche nicht umarmen zu können", sagt er leise.

"Ja, du warst wahrscheinlich viel zu beschäftigt damit, außerordentlich köstlich zu sein, was?"

Mir wird ein bisschen kribblig als ich Noahs kichernden Atem an meinem Nacken spüre.

"Sehe ich vielleicht aus wie Judge Fudge?"

"Zum Glück nicht. Bin mir nämlich nicht sicher, ob ich mich dann in dich verliebt hätte."

"Für dich zählen bloß Äußerlichkeiten, mh?"

"Es ist schon von Vorteil, dass du so eine hübsche Visage hast", nicke ich.

"Sagst du mir jetzt, wie es dir wirklich geht?"

Langsam drehe ich mich zu ihm um. "Wenn ich bei dir bin, geht's mir gut."

"Ich will kein romantisches Gefasel, Bennie."

"Mein Ohr ist wieder okay und wenn ich schön meine Tropfen nehme, bilde ich mir ein, mich ruhig und entspannt zu fühlen."

"Was'n für Tropfen?"

"Baldrian. Allerdings bräuchte ich für das Leben mit meiner Mutter eher Valium oder Heroin. Leider wollte der Doc mir beides nicht verschreiben."

"Baldrian macht Katzen geil", behauptet Noah.

"Miau", sage ich und grabsche ein bisschen an ihm rum.

"Auf keinen Fall", schüttelt er den Kopf.

"Wir haben uns eine Woche nicht gesehen und du willst keinen Sex?"

"Sehr richtig. Du musst dich nämlich noch schonen."

"Jawohl, Herr Doktor, Sir."

"Und solltest du jemals Valium oder Heroin nehmen, bringe ich dich um, Schätzchen."

Behaglich schmuse ich mich in seine Arme. "Ich hab längst die perfekte Droge gefunden."

"Schneider, Schneider…du machst echt tolle Liebeserklärungen."

"Wer redet denn von Liebe? Ich bin süchtig nach dir, das heißt, ich kann gar nicht anders. Ist wie bei Alkoholikern oder Junkies."

"Also wenn du anders könntest, wärst du jetzt nicht hier?"

"Doch", zucke ich die Schultern, "weil ich dich liebe."

"Bist du ganz sicher, dass du einen Hörsturz und nicht etwa einen Hirnsturz hattest?"

Oh Mann, es tut so verdammt gut, bei Noah zu sein!


Tim hat eine heimliche Wochenend-Affäre mit Lydia. Er behauptet, es gehe nur um Sex…lieben tut er Sissi. Na ja, wenn er meint. Was seine Freundin mit ihm anstellt, wenn sie herausbekommt, dass er hinter ihrem Rücken rumvögelt, möchte ich nicht wissen.

Paps hat sich übrigens noch nicht für ein Gespräch zu dritt angemeldet. Es scheint ihm nicht weiter wichtig zu sein, eine Lösung zu finden. Vielleicht denkt er, es würde sich alles von selbst einrenken. Der alte Traumtänzer sollte seine Frau doch inzwischen besser kennen.

Dafür hat Frau Winter angeboten, sich mit Mom zu unterhalten…so von Mutter zu Mutter. Das hab ich aber sofort abgelehnt. Mom würde im Dreieck springen, wenn sich Fremde in unser Familienleben einmischen würden. Ich bin ein bisschen am Ende, weil ich keine Ahnung hab, was ich noch machen soll. Offenbar wird es darauf hinauslaufen, dass ich irgendwann den Kontakt zu ihr abbreche, sollte sie mir nicht einen winzigen Schritt entgegen kommen. Sie muss Noah nicht mögen, sie muss ihn bloß als meinen Freund akzeptieren. Und sie muss akzeptieren, dass ich bin wie ich bin! Leider kann ich darauf warten bis in alle Ewigkeit. Also der Plan geht so: irgendwann, wenn wir achtzehn sind, ziehen wir in die Stadt und leben glücklich die nächsten paar hundert Jahre vor uns hin. Das wird logischerweise nicht funktionieren, denn für ein gemeinsames Leben in der Stadt braucht man Geld. Wahrscheinlich mehr als Noahs Eltern rausrücken würden. Um gescheit zu verdienen, braucht man einen vernünftigen Beruf und vielleicht will man ja eh erstmal studieren, wenn man mit dem Abi fertig ist. Ich hasse es, mir über so eine Erwachsenenscheiße Gedanken zu machen.

Mh, ich könnte natürlich auch Hausfrau werden und Noah die Kohle heim bringen lassen, kümmere mich um die Blagen und einmal im Monat gibt's im Bett 'ne Pflichtnummer. Grausige Vorstellung, dass ich Noah bloß einmal alle vier Wochen ranlasse! Sicher würde er sich den Sex woanders holen. Uaahhhh…die Vorstellung ist noch grausiger. Noah hat ja wohl mit mir zu schlafen, nicht mit irgendeinem fremden Kerl!

Gestern hab ich Paps in seiner schicken Stadtwohnung besucht. Allerdings nur, um ihm ein bisschen Taschengeld abzuknöpfen, weil mein Freund unbedingt ein Zeichen haben will und so was halt relativ teuer ist.

"Wofür brauchst du denn so viel Geld", wollte er wissen.

"Für meine Flucht", antwortete ich.

"Ist es noch nicht besser? Ich hatte deine Mutter gebeten…"

"Gebete kommen bei ihr immer gut", unterbrach ich ihn, steckte das Geld ein und verabschiedete mich.

Jetzt bin ich auf dem Weg zu Noah und irre gespannt, ob ihm mein total unoriginelles Geschenk gefällt. Vorsichtshalber zog ich mich nach der Schule nicht um, weil…meine Schuluniform gefällt dem kleinen Freak ganz sicher!

Das Mittagessen mit seinen Eltern ist saulustig. Noah starrt mich an wie ein geiferndes Tier und hat gleichzeitig einen roten Schädel. Vermutlich denkt er, seine Eltern merken, dass er ein verdammter Klamottenfetischist ist…buahahahaha!

Als wir in seinem Keller sitzen ist er anscheinend deswegen verärgert.

"Blöder Penner…legst es darauf an, dass ich vor meinen Eltern über dich herfalle, ja? Und was soll überhaupt das schwule Teil da an deinem Handgelenk?"

Ich setze mich auf seinen Schoß und wedele mit meinem Handgelenk vor seiner Nase rum. "Das ist das Zeichen…also jedenfalls die eine Hälfte davon", lächele ich und krame das zweite silberne Armband aus meiner Hosentasche.

Noah beäugt es skeptisch, friemelt es dann um sein Gelenk. "Das ist total unoriginell", mault er und strahlt gleich darauf, "aber ich liebe es. Oh, wie süß, auf meinem steht dein Name."

"Damit du ihn nicht aus versehen vergisst."

"Ich wette, auf deinem steht Noah."

"Cleveres Kerlchen."

"Ich hab dich lieb", wispert er und küsst mich.

"So lieb, dass du heute mit mir schläfst?"

"Ist das nicht viel zu aufregend für dich?"

"Angeber."

"Nein, ich meine…bist du dafür schon wieder gesund genug?"

"Ich hatte was am Ohr, Noah, ich war nicht dem Tode nah."

"Dann mach dich auf was gefasst, Schneider. Du weißt, was deine Schuluniform in mir auslöst", grinst er und will schon an meinem Hemd rumreißen.

"Warte. Ich…will, dass es lange dauert, okay? Wirklich richtig lange. Schließlich ist es das letzte Mal."

"Verstehe." Langsam bringt er mich in eine liegende Position und beugt sich über mich. "Ich werde dich nach allen Regeln der Kunst verführen."

Noah hält sein Versprechen. Stundenlang knutscht und streichelt er an mir herum, dass ich fast den Verstand verliere, und nachdem wir miteinander geschlafen haben, bin ich völlig entrückt.

"Denkst du, dass wir in zwanzig Jahren immer noch so scharf aufeinander sind?"

"Logisch", seufze ich.

"Wenn wir dann noch zusammen sind."

Erschrocken drehe ich mich zu ihm um. "Was soll'n das heißen?"

"Na ja, wie realistisch ist es denn, dass man ewig mit seiner ersten großen Liebe zusammen bleibt?"

"Keine Ahnung. Interessiert mich einen Scheiß, was realistisch ist. Außerdem…deine Eltern sind auch immer noch verliebt, oder?"

"Stimmt", nickt er. "Trotzdem. Die meisten Leute verlieben sich doch mehrmals."

"Wir nicht."

"Wie kannst du so sicher sein?"

"Was ist los, Noah? Willst du Schluss machen?"

"Das ist mit Abstand die blödeste Frage, die du jemals gestellt hast. Ich hab nur mal nachgedacht und bin froh, dass du die ganze Sache ähnlich siehst", antwortet er und kuschelt sich an mich. "Allerdings warst du mal in Elisa verschossen…"

"Du auch", unterbreche ich ihn.

"Und hast bestimmt währenddessen nicht damit gerechnet, dich irgendwann in wen anders zu verlieben."

"Kann sein."

"Warum bist du bei mir dann so sicher?"

"Sag mal, muss ich dir jetzt echt erklären, dass es von Anfang an total zwischen uns geknallt hat und wie verdammt perfekt es war? Bist schließlich dabei gewesen."

"Mhhh…", macht er verträumt.

"So was passiert nicht andauernd. Schon gar nicht mehrmals. Und erst recht nicht mit Elisa."

"Wenn wir eine eigene Wohnung haben, kaufen wir uns einen Hund?", fragt er plötzlich.

"Nein."

"Aber…"

"Wenn überhaupt eine Katze", bestimme ich, "mit der man schmusen kann. Hunde sind doof."

"Sind sie nicht. Und zum schmusen hast du mich."

"Ich schlage vor, wir besprechen das, wenn's mal so weit ist."

"Meinetwegen", brummelt er, "dann will ich aber immer noch einen Hund. Groß, schwarz und mit riesigen Füßen."

"Glaubst du vielleicht, der kann uns beschützen, wenn meine durchgeknallte Mutter mit einer Horde christlicher Fundamentalisten vor unserer Tür steht, um uns im Namen Gottes zu eliminieren?"

"Deine Mutter würde ja nur mich töten. Dich würde sie anschließend zwangsverheiraten…mit Elisa."

"Und wieso muss ich in deiner Zukunftsvision den schrecklicheren Part übernehmen?"

"Na ja, tot zu sein ist sicher auch nicht lustig", behauptet er.

"Ohne dich leben zu müssen aber schon, oder wie?"

"Ach, du findest bestimmt total schnell einen schnuckeligen Bengel, der mich ersetzt."

"Ja, na klar", rege ich mich auf und schlage ihm leicht gegen die Stirn, "als ob dich irgendjemand ersetzen könnte, Idiot."

"Wahrscheinlich wird es ein englischer Boy sein, der dir den Kopf verdreht. Und ich bin nicht da, um ihn dir wieder gerade zu rücken."

Einerseits freue ich mich total drauf, endlich mal ein paar Tage hier weg zu kommen,

andererseits… zehn Tage ohne Noah!

"Ich könnte dich ja heimlich mit nach London schmuggeln."

"Willst du mich in deinem Koffer verstecken?"

"Klar, wenn du da rein passt", zucke ich die Schultern.

"Lass mal…ich reise gerne mit etwas mehr Beinfreiheit."

Ich umarme meinen Süßen und stupse seine Nase. "Du weißt doch, dass ich mich nicht in zehn Tagen mal eben schnell verliebe und nach England auswandere, sondern in jeder Sekunde an dich denken werde, mh?"

"Einmal stündlich reicht. Schließlich sollst du auch ein bisschen Spaß haben. Aber nicht mit anderen Jungs…und nicht die Art von Spaß, die du mit mir hast."

"Okay, du aber auch nicht."

Noah verdreht die Augen. "Mit wem denn? Hier gibt's niemanden, der…"

"Vielleicht sind Blix und Florian auf der Suche nach was Neuem…nachdem Tim ihnen das Mädchen geklaut hat", unterbreche ich ihn.

"Wow, die zwei sind echt sauer, dass Lydia nicht mehr für sie zur Verfügung steht. Tim muss es im Bett ziemlich drauf haben."

"Tim war 'ne Jungfrau, weil Sissi ihn nie rangelassen hat."

"Das warst du auch und kuck mal, was mit etwas Übung aus dir geworden ist", grinst er. "Du kannst inzwischen blasen wie eine französische Hure."

Wie bitte? "Wo hast'n den Spruch her?"

"Hab ich irgendwo gelesen."

"Nimm das sofort zurück, Arschloch."

Der Penner lacht sich kaputt. Ist das zu fassen?!

"Wenn's doch stimmt…"

"Erstens kannst du das gar nicht beurteilen, weil du wohl kaum weißt, wie eine französische Hure irgendetwas macht und zweitens…nimm das sofort zurück…Arschloch!", brülle ich, schubse Noah weg und trete noch mal leicht nach.

"Das war ein Kompliment", schmollt er und reibt seinen nackigen Oberschenkel.

"Ein Kompliment ist, wenn man jemandem sagt, dass er schöne Augen hat oder gut küsst."

"Sowas sage ich dir doch nicht, nachdem du mich getreten hast. Außerdem sagst du das auch nie zu mir."

"Ich muss eh nach Hause", beschließe ich und ziehe mich an. "Packen…für London."

Als ich an der Tür bin, umarmt Noah mich von hinten. "Ich lieb dich, Bennie."

"Bis in zehn Tagen."

"Warte…", entgegnet er überrascht, "sehen wir uns morgen nicht mehr?"

"Nein."

"Aber wir haben uns noch gar nicht richtig verabschiedet."

Ich gebe ihm einen schnellen Kuss auf den Mund und gehe.

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