zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Feindkontakt

Teil 6

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort:

Machen wir uns nichts vor... irgendwann muss Schluss sein. Sonst wird aus einer kleinen Bennie-und-Noah-Ficki-Bums-Geschichte noch eine Lebensaufgabe. Also, viel Spaß mit dem letzten Teil :-)

 

London war toll und Noah ist beleidigt. Wegen der Nichtverabschiederei. Ich hatte ihm zwar eine sms geschickt, in der ich die Gründe erklärte, aber er hat zurück geschrieben, dass ich ihm das vorher hätte sagen können. Dann hat er mir noch viel Spaß gewünscht, allerdings war deutlich herauszulesen, dass es nicht nett gemeint war. Mann, ich wollte doch einfach nur keine lange Heulerei, weil der Gedanke, zehn Tage ohne ihn verbringen zu müssen, schon schlimm genug war. Ist doch verständlich, oder? Ich hoffe, Noah hat das inzwischen ein bisschen eingesehen, sonst behalte ich nämlich mein Geschenk für ihn!

„Ist dir eigentlich klar, dass du seit zwei Stunden kein Wort mehr gesprochen hast?“

Tim hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht mich vorwurfsvoll an. „Schneider, dein Typ kriegt sich schon wieder ein. Und wenn nicht, ist er der Pisser, für den ich ihn halte und du…“

„Wenn du jetzt sagst, dass ich dann wieder mit Elisa zusammen sein kann, hau ich dir eine rein“, warne ich ihn.

„Es muss ja nicht unbedingt deine Ex sein. Von mir aus, such dir einen süßen Kerl.“

„Ich hab einen.“

„Was auch immer. Ich bin jedenfalls froh, dass wir gleich zu Hause sind und ich mich von meinem Bespaßungsprogramm erholen kann.“

Tim hat echt ganze Arbeit geleistet. Jedesmal, wenn ich wegen Noah mies drauf war, hat er irgendwas gemacht, um mich abzulenken. Erstaunlicherweise funktionierte es. Bloß nicht nachts, wenn ich allein im Bett lag. Obwohl…als ich die dritte Nacht hintereinander heimlich in mein Kissen schniefelte, platzte ihm anscheinend der Kragen.

„Ey, wenn du nicht sofort aufhörst zu flennen, passiert was, Schneider. Soll ich mich vielleicht auch noch zu dir legen und mit dir kuscheln, oder was?“

„Würdest du?“, fragte ich, meinte es jedoch nicht ernst.

„Denkst du, ich hätte Probleme damit? Ich bin mir meiner sexuellen Orientierung sicher genug, dass es mir nichts ausmacht, meinen besten Freund tröstend in den Arm zu nehmen. Allerdings finde ich, du solltest dich zusammenreißen und mich endlich schlafen lassen.“

Das tat ich dann, weil ich auf eine Kuschelrunde mit Tim nun wirklich nicht scharf war.

„Wolltest du nicht mit Lydia Schluss machen?“

Tim dreht den Emily-Strange-Button hin und her. „Ja, aber ich kann ihr doch trotzdem was schenken.“

„Und was hast du für Sissi mitgebracht?“

„Sissi bekommt mich, das wird ja wohl reichen. Außerdem soll sie mir erstmal ihre Muschi schenken.“

„Geh lieber in Deckung, wenn du ihr das so sagst“, grinse ich.

„Geh du lieber in Deckung“, entgegnet er, „da vorne steht deine Mutter, um dich abzuholen.“

Ach du Scheiße!! Die steht da tatsächlich auf dem Schulhof und winkt aufgeregt. Willkommen daheim!

Zum Glück kennen meine Klassenkameraden meine Mutter, somit bleiben mir blöde Sprüche erspart. Nicht erspart bleibt mir die peinliche Begrüßungsumarmung, die mit dem mütterlichen Kopfstreichler einhergeht und mit ihren Lippen auf meiner Wange endet. Ich bereue zutiefst, dass ich aus dem Bus gestiegen bin.

„Hast du dich gut erholt, Junge? War es schön?“, faselt sie, während ich darauf warte, dass meine Taschen ausgeladen werden. „Erzähl doch mal…habt ihr viele Kirchen besichtigt?“

Haben wir. Ungefähr alle, die es in London gibt.

Tim wird übrigens von Sissi abgeholt. Gott sei Dank ist Elisa nicht dabei. Irgendwie hatte ich gedacht…na ja, dass vielleicht Noah…aber das hätte gleich wieder Stress gegeben.

„Bist sicher müde, Benjamin. Lass uns nach Hause gehen“, brabbelt sie gehetzt und blickt sich nach allen Seiten um. Bestimmt denkt sie ebenfalls, dass Noah noch auftaucht.

Nachdem sie festgestellt hat, wie dämlich es ist, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht antwortet, darf ich meine Klamotten auspacken und mich in mein Zimmer verziehen. Eigenartig, dass man glaubt, es müsste sich was verändert haben, obwohl man bloß ein paar Tage weg war. Meine Mutter scheint zu glauben, ich hätte mich in London wieder in ihren kleinen, heterosexuellen, braven Jungen verwandelt. Wie sie auf diese wahnwitzige Idee kommt, ist mir schleierhaft. Ich hab jedenfalls nicht erwartet, dass sie Noah zur Feier meiner Ankunft hierher einlädt und selbstgebackenen Bienenstich kredenzt. Noah…mir wird ganz kribbelig, wenn ich an ihn denke. Ich vermisse ihn so sehr, dass ich’s nicht mehr aushalte. Ich muss ihn sehen!

Ausnahmsweise klopfe ich nicht an sein Fenster, sondern klingele an der Tür, wie es sich gehört. Mama Winter umarmt mich fröhlich, was sich nicht so peinlich anfühlt wie bei meiner eigenen Mama.

„Schön, dass du wieder da bist, Bennie“, lächelt sie. „Wie war London?“

„Anstrengend, aber gut.“

„Noah ist unten…bleibst du zum Essen?“

„Weiß ich noch nicht.“

„Dann vielleicht bis später.“

Noah hockt auf seinem Bett und liest.

„Hey“, strahle ich, höre jedoch augenblicklich damit auf, als ich seinen düsteren Gesichtsausdruck bemerke.

„Hallo, Benjamin“, sagt er eisig.

Der ist immer noch sauer…ich geh kaputt. Verdammt, ich hätte meine Schuluniform anziehen sollen, um ihn zu besänftigen.

„Ich…bin zurück“, erkläre ich blöde. „Grad angekommen.“

„Schön.“

„Noah, was soll der Scheiß? Leg das verfickte Buch weg und…vergiss es, Blödkopp“, zische ich.

„Wenn du hier bist, um mich zu beleidigen, dann geh am besten wieder. Auf so was hab ich jetzt echt keine Lust.“

„Würdest du dich bitte freuen, dass ich wieder da bin?“, frage ich gereizt.

Noah grinst horrorartig und klatscht ein paar Mal in die Hände. „Reicht das?“

„Verdammt, ich hab mich so auf dich gefreut und du machst alles kaputt“, maule ich.

„Vielleicht solltest du nicht immer bloß an dich denken“, schlägt er vor.

Hatte der in den letzten zehn Tagen eine schlimme Gehirnoperation? Möglicherweise hat man ihm aus versehen das Hirn eines Affenarschs eingepflanzt.

„Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht“, versuche ich, seine Laune zu bessern.

„Wie reizend.“

„Dann mach’s doch auf“, sage ich und lege das Tütchen neben ihn.

Schnaufend grapscht er rabiat danach, lässt den Inhalt in seine Hand plumpsen und…

„Eine kleine Tardis“, lächelt er. „Ein verfluchter Tardis-Schlüsselanhänger.“

„Sehr richtig. Ich war mit Tim im Doctor-Who-Shop.“

Noahs Ausflug in die Nettigkeit endet recht schnell. „Danke, dass ist echt süß von dir.“

Danach herrscht wieder Eiszeit. Ich vergesse kurz mal Stolz, Enttäuschung, Trotz, Wut und den ganzen Bullshit und setze mich auf seinen Schoß.

„Du hast mir gefehlt“, flüstere ich weich.

„Tatsächlich?“, flüstert Noah schnippisch.

Das kann mich nicht provozieren. Ich greife nach seinen Handgelenken und drapiere seine Arme um meinen Körper.

„AUA“, brüllt er plötzlich, kombiniert mit einem etwas schmerzverzerrten Gesicht.

„Wieso?“

Er zieht seinen linken Arm zurück und beißt sich auf die Unterlippe. Dann schiebt er mit der rechten Hand seinen Ärmel nach oben. „Deshalb.“

„Ach…du Scheiße!“

Feine schwarze Verschnörkelungen zieren die Innenseite seines Unterarms. Das Tattoo ist ein bisschen rot und krustig, also wohl noch nicht sehr lange da.

„Was ist das?“

„Ein altdeutsches B.“

„Du bist irre, weißt du das? Total durchgedreht. Wann hast’n dir das stechen lassen?“

„Kurz nachdem du weg warst.“

„Ein altdeutsches B, mh?“, überlege ich. „Steht das für Blödmann? Oder für bescheuerter Vollidiot?“

„Nee, für Bennie.“

Was soll man dazu sagen? Gar nichts. Man muss hingerissen sein und den Schwachkopf lieben!

„Tut das noch sehr weh?“

„Geht so.“

„Noah, ich töte dich, wenn du mich nicht sofort küsst.“

Er küsst mich. Ganz süß und zärtlich.


Nach der Schule mache ich einen Spaziergang durch den Wald, zum kleinen Tümpel, an dem ich mich oft mit Elisa getroffen hab. Keine Ahnung, wieso, denn eigentlich wartet Noah in seinem Keller auf mich. Ich lasse mich auf dem Baumstamm nieder, starre auf die grüne Brühe vor mir und finde, ich habe allen Grund, laut zu seufzen. Also tue ich es.

„Hey, Bennie“, säuselt es plötzlich neben mir.

Die hat mir grad noch gefehlt. Elisa setzt sich und starrt genauso dämlich auf den Tümpel.

„Geht’s dir gut?“

„Soll das ein Witz sein?“, entgegne ich schroff.

„Eigentlich nicht. Ich meine…du warst krank, dann in London…wir haben uns lange nicht gesehen, da fragt man eben, wie es geht.“

„Was willst du?“

„Mit dir reden“, antwortet sie und sieht mich an.

„Jedes mal wenn du mit mir reden wolltest, hast du versucht, mich rumzukriegen.“

„Du bist aber auch unwiderstehlich“, lacht sie übertrieben, dann wird sie wieder ernst. „Es hat ziemlich lange gedauert, aber ich denke, ich hab’s jetzt kapiert. Du gehörst zu Noah. Okay, es tut immer noch ein bisschen weh…“

„Willst du mich verarschen?“, unterbreche ich sie.

„Nein, ich will so etwas wie…Normalität zwischen uns. Ich hab es satt zu überlegen, wie ich dich zurückerobern kann. Und ich mag nicht mehr mit dem Gefühl aufwachen, eine frustrierte, rachsüchtige, eifersüchtige Hippe zu sein, die du hasst.“

Gott, jetzt fängt sie auch noch an zu heulen. Ob das wieder ein Trick ist? Freundschaftlich lege ich meinen Arm um ihre Schulter. Elisa unternimmt nichts, um das auszunutzen.

„Ich hasse dich nicht. Jedenfalls nicht sehr.“

„Ich würde mich hassen“, schnieft sie. „Ich würde mir einen Arschtritt verpassen, mich steinigen, mir die Augen auskratzen, alle Haare einzeln rausrupfen und den Skalp an meinen Gürtel tackern.“

„Lass deine Haare ruhig wo sie sind. Glatze würd dir nicht stehen.“

„Kann sein.“

Und dann reden wir. Einfach so. Über alles und nichts. Bestimmt zwei Stunden. Eine alte Vertrautheit hat sich zwischen uns aufgebaut. Ich hatte ganz vergessen, wie nett und lustig Elisa sein kann. Als es langsam dämmert, schrecke ich auf.

„Ich muss los…Noah wartet.“

„Okay“, nickt sie und lächelt. „Wir sehen uns.“

Verdammt, es ist tausend Uhr, als ich endlich bei Noah bin. Er liegt auf seinem Bett und döst offenbar vor sich hin. Der Fernseher läuft, allerdings ohne Ton.

„Hallo“, begrüße ich ihn zerknirscht, lege mich zu ihm und küsse ihn kurz auf den Mund.

„Hey.“

„Bist du sauer, weil ich so spät komme?“, frage ich unsicher, worauf er nur den Kopf schüttelt. „Also ich sag’s dir lieber gleich…ich hab mich mit Elisa verquatscht. Wir haben uns zufällig getroffen und ausgesprochen. Zwischen uns ist alles geklärt und sie wird nie wieder versuchen, mich anzumachen.“

„Ja? Ist doch gut.“

„Ehrlich, Noah, sie hat endlich begriffen, dass ich nix mehr von ihr will.“

„In Ordnung“, zuckt er die Schultern.

„Du bist nicht eifersüchtig, oder so?“

„Sollte ich?“

„Äh…nein“, antworte ich irritiert. „Was macht’n dein Tattoo?“

„Verheilt. Aber das juckt wie Sau.“

„Und was macht dein Schwanz?“, zische ich genervt, weil Noah sich wirklich merkwürdig verhält.

„Was soll die blöde Frage?“

Sag ich doch…er ist merkwürdig. Normalerweise müsste er mir unanständig grinsend eine Schweinerei vor den Latz knallen und mich flachlegen. Vielleicht ist seine Vorliebe für Schuluniformen sehr viel ausgeprägter als ich bisher angenommen hab. Vielleicht hat sich daraus ein Fetisch entwickelt und er kann nicht mehr ohne? Oder die haben ihn beim Tätowieren mit einer noch unbekannten Krankheit infiziert, deren Symptom aus völliger Gleichgültigkeit besteht.

„Hast du Lust, mich zu ficken?“

„Nee“, murmelt er träge, „ich bin irgendwie müde.“

„Soll das eine Anspielung darauf sein, dass ich vor einer Weile mal aus versehen eingepennt bin?“

Noah starrt mich zwei Sekunden an und schüttelt den Kopf. „Ich bin einfach nur müde, okay, Bennie?“

Wenigstens kuschelt er sich an mich, beziehungsweise ich darf mich an ihn kuscheln.


„Schneider“, strahlt Tim unheimlich, als ich ihn morgens auf dem Weg zur Schule treffe.

Meine Laune könnte nicht mieser sein. Hab schlecht geschlafen und mit Noah…na ja, keine Ahnung, der ist immer noch von der sonderbaren Krankheit befallen.

„Frag mich, was ich gestern gemacht habe…oder besser, mit wem.“

Der grinst wie ein verdammter Breitmaulfrosch. Ekelig.

„Ich denk nicht dran.“

„Sissi und ich…“, nickt er.

„Was?“, brumme ich, obwohl ich es mir vorstellen kann, das heißt, eigentlich kann ich’s mir nicht vorstellen, weil ich Sissi kenne.

„Wir hatten Sex. Also richtig, du verstehst?“

„Cool“, lüge ich.

„Willst du gar nicht wissen, wie es gewesen ist“, fragt er enttäuscht.

Mann, hat der den Schwachsinn?! Als würde mich das irgendwas angehen.

„Sensationell“, faselt er unbeirrt weiter. „Ich musste natürlich ein bisschen so tun, als hätte ich noch nicht so die absolute Erfahrung im Bett, die ich aber inzwischen, dank Lydia, sehr wohl habe. Trotzdem…sensationell.“

„Musst du mir damit auf die Eier gehen?“

„Was’n los? Stress zu Hause?“

„Nee, meine Mama hat sich urplötzlich in so eine richtige Schwulenmutti verwandelt und trägt nur noch regenbogenfarben. Und Noah wollte sie gleich adoptieren.“

„Entschuldigung“, schnauft er.

Eine Weile gehen wir schweigend nebeneinander her.

„Hast du mit Lydia Schluss gemacht?“

„Geht so. Ich hab überlegt, ob ich einfach zweigleisig fahre, aber das ist mir zu anstrengend. Außerdem ist Lydia eh wieder total an ihren Schwuppen interessiert.“

„Aha.“

„Wie ich hörte, hast du dich ziemlich lange mit Elisa unterhalten.“

Mädchen sind verfluchte Plaudertaschen!

„Hab ich. Und, nein, das hat nichts zu bedeuten.“

„Genau das hat sie auch gesagt. Aber ist doch cool, dass ihr euch nicht mehr hassen müsst.“

„Ja, ich freue mir ein Loch in die Socke.“

„Okay, dann hat es mit dem Brechmittel zu tun“, überlegt er.

Zum Glück haben wir die Schule erreicht und ich brauche ihm nicht zu antworten.

Im Unterricht bin ich ziemlich abwesend, weil ich bloß an Noah denke. Aber nicht so, wie sonst. Ich stelle mir nicht vor, wie er mich mit diesem sexy Schlafzimmerblick ansieht, während er seine Hand in meine Hose schiebt. Ich frage mich, was momentan bei uns schief läuft. Und wie so was überhaupt passieren kann. Wir sind absolut perfekt füreinander. Leider ist davon nichts mehr zu spüren. Seit London. Dass er noch beleidigt ist, weil ich mich nicht gescheit von ihm verabschiedet habe, glaube ich nicht. Dass Elisa der Grund ist, halte ich auch für unwahrscheinlich. Noah weiß, dass ich ihn liebe, ich hab’s ihm oft genug bewiesen. Und er lässt sich ein B auf den Arm stechen, aber wenn ich ihn küssen will, reagiert er total abweisend. Oh mein Gott!!! Ob er sich neu verliebt hat, als ich auf Klassenfahrt war? Oder möglicherweise hat er fremdgevögelt und jetzt ein schlechtes Gewissen? Mir wird übel. Aber hätte er sich dann den Anfangsbuchstaben meines Namens tätowieren lassen? Und wenn seine neue Liebe Bastian oder Benedikt oder Bruno heißt?! Oder…Blix. Mir wird kotzschlecht. Hastig stolpere ich aus dem Klassenzimmer, renne über den Flur aufs Klo und übergebe mich ins Becken. Das dauert etwas und als ich fertig bin, ist mir zittrig und schwindlig. Und Tim kommt herein.

„Ey, hast du gekotzt?“, fragt er, was ich überflüssig finde.

„Ich gehe nach Hause.“

„Okay, ich sag Bescheid und hol deine Sachen, ja?“

Meine Mutter ist super aufgebracht, weil ich so unplanmäßig nach Hause komme.

„Junge, was ist denn mit dir? Du bist ja ganz blass“, brabbelt sie besorgt.

Hab ich den Spruch nicht vor Wochen noch vermisst? Ich phantasiere mir was von Magen verdorben zusammen, worauf sie mich ins Bett schickt und mir Tee kocht. Ihr Verhalten ist irgendwie gruselig, aber das ist grad mein geringstes Problem.

Am Nachmittag schleiche ich mich zu Noah. Mir ist zwar noch wahnsinnig übel und eigentlich will ich die Wahrheit nicht wissen, aber so kann’s ja auch nicht weiter gehen.

„Hi, Bennie“, lächelt er wenig begeistert.

Der Begrüßungskuss ist kühl, reine Formsache. Ich trage meine Schuluniform und Noah hat nicht mal den Hauch einer Erektion…das ist kein gutes Zeichen. Das silberne Bennie-Armband liegt auf seinem Schreibtisch. Mein Hals schnürt sich zu.

„Hast du einen Anderen?“

Noah blinzelt mich genervt an. „Was? Wie kommst’n darauf?“

Ich deute auf das Armband.

„Ach so“, seufzt er, „ich krieg davon Ausschlag.“

„Das ist echtes Silber, davon kriegt man keinen Ausschlag.“

„Soll ich ihn dir zeigen?“

„Was ist los mit uns, Noah?“

„Keine Ahnung, was du meinst.“

„Okay, dann erkläre ich es dir. Findest du es momentan besonders harmonisch zwischen uns?“

„Eigentlich nicht“, gibt er zu.

„Genau. Wir knutschen nicht, du willst mich nicht anfassen, meine Schuluniform ist dir scheißegal…woran liegt das?“

Er zuckt die Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir…“

„Schluss machen?“, unterbreche ich ihn entsetzt.

„Nee, das nicht. Eher so was wie…eine Beziehungspause.“

Das war keine Frage. Und Beziehungspausen sind der Anfang vom Ende.

„Wie lange?“

Sein Schweigen macht mich wahnsinnig. Ich könnte ihn schütteln, ihm Verstand in den Schädel prügeln, aber stattdessen schlucke ich, murmele noch ein „Bis bald“ und verschwinde.

Draußen, als der kalte Herbstwind an meiner viel zu dünnen Jacke zerrt, kann ich nicht mal heulen. Mein Freund macht auf Raten mit mir Schluss und ich kann verdammt noch mal nicht heulen. Dabei spüre ich den Schmerz überdeutlich. Es tut dermaßen weh, dass ich mich augenblicklich selber vermöbeln würde, mir alle Haare ausreißen…wie Elisa das vorhatte. Leider würde das wohl nichts bringen. Es würde immer noch weh tun und ich wäre dem Schmerz immer noch hilflos ausgeliefert. Beziehungspause…was für eine Kacke. Er hätte doch sagen können, dass er mal zwei, drei Tage für sich braucht. Hätte ich verstanden. Aber gleich eine Pause, wo keiner weiß, wie lange die dauern soll. Außerdem hatten wir so was schon als ich in London war. Und während ich ihn vermisste wie bekloppt, ist ihm vermutlich aufgefallen, wie befreit er sich ohne mich fühlt.


Ich muss mich sehr zwingen, nicht bei Noah anzurufen und zu fragen, ob die Pause nun beendet ist. Oder um ihn wüst zu beschimpfen. Weil er mir halt so fehlt. Tim würde ihm schrecklich gerne ein paar Ohrfeigen verpassen, weil ich leide und seine Aufmunterungsversuche völlig ins Leere laufen. Hab mich einige Male mit Elisa getroffen und ihr ein bisschen was erzählt. Sie scheint tatsächlich keine Hintergedanken mehr zu haben, denn sie tröstete mich und versicherte mir, dass Noah und ich das schon wieder hinkriegen würden. Immerhin hätten wir bereits eine mehrmonatige Trennung überstanden. Ist nicht grad die feine Art, mich ausgerechnet bei meiner Ex auszuheulen, andererseits hat sie ja schließlich gefragt. Mit wem soll ich auch sonst darüber reden? Tim denkt nur an Gewalt und daran, möglichst bald wieder geschlechtlich mit Sissi zu verkehren. Meine Mutter würde einen irren Freudentanz aufführen, Weihnachten, Ostern und Geburtstag vorverlegen und vierzig Tage lang durchfeiern. Und meinem Vater ist bekanntlich alles egal. Bliebe bloß noch mein junger Lieblingspfarrer, der würde mich zwar verstehen, könnte mir jedoch auch nicht helfen. Niemand kann mir helfen. Außer Noah, aber der hat leider sein Gehirn verloren.


Verdammt, ich weiß, es ist ein Fehler. Irgendwas Blödes ist bis jetzt immer im Jugendzentrum passiert. Was sollte heute anders sein? Sicher ist Noah überhaupt nicht da, dafür aber seine Ex-Gang, die mich komatös prügeln wird. Letzteres ist mir relativ schnuppe. Seit ich Noah nicht mehr habe, ist mir eh alles egal. Das macht mich wütend. So sehr, dass ich es mit der gesamten Deppenmeute allein aufnehmen würde.

„Hallo Schönheit“, säuselt Blix, legt seinen Arm um meine Schulter und knibbelt an meinem Ohrläppchen rum.

„Du bist sauer auf mich“, entgegne ich und schiebe seinen Arm weg, „weil ich Tim angeschleppt habe, der euch Lydia ausgespannt hat.“

„Ich war sauer. Lydia ist längst wieder bei uns.“

„Dann solltest du vielleicht lieber mit ihr flirten, anstatt mit mir.“

„Du hältst ein bisschen am Ohr kraulen schon für flirten? Au je, Noah scheint’s ja nicht besonders drauf zu haben.“

Mein Gesicht verfinstert sich augenblicklich.

„Sorry“, murmelt er zerknirscht.

Na, fabelhaft. Anscheinend weiß bereits jeder, dass Noah und ich eine Beziehungspause machen.

„Ist er da?“

Blix nickt. „Total mies gelaunt. Mal ehrlich, der leidet genauso wie du.“

„Ach ja? Es war seine beschissene Idee. Also erwarte bloß kein Mitleid von mir.“

„Hast du Lust, ihn eifersüchtig zu machen?“

„Nein.“

Seine Lippen nähern sich meinem Ohr. „Schade“, haucht er.

Ich will dringend knutschen. Aber nicht mit Blix. Deswegen lasse ich ihn stehen und setze mich neben Noah aufs gammelige Sofa.

„Hallo“, fauche ich.

„Hey, Bennie“, nuschelt er tranig.

„Betrinkst du dich?“

„Allerdings.“ Um mir das zu beweisen säuft er die Bierflasche fast leer.

„Hat das einen bestimmten Grund?“

„Hat es.“

Das ist ja nicht zum Aushalten. „Würdest du mir bitte sagen, was zum Arsch los ist? Wenn du mich nicht mehr liebst…“

„Das ist es gar nicht“, unterbricht er mich.

Okay, ich hau ihm gleich eine rein, wenn der weiter so’n Schwachsinn brabbelt.

„Es ist nur…ich kann das irgendwie nicht mehr.“

„Was?“

„Alles eben.“

„Geht es etwas präziser?“

„Müssen wir das jetzt und hier besprechen?“

„Jetzt. Und hier.“

„Ich weiß auch nicht…vielleicht sind die ganzen Umstände doch irgendwie zu…heftig. Deine Mutter, deine Freunde, meine…mir ist das grad zu viel.“

„Mir auch. Brauche ich deshalb vielleicht eine verfickte Beziehungspause?“, rege ich mich auf.

Noah lächelt müde…traurig. „Es macht überhaupt keinen Sinn, mit dir zu reden, Bennie.“

„Du faselst ja auch nur Scheiße.“

Mann, ich will gar nicht so ekelhaft werden, aber ich bin so unglaublich wütend auf ihn, weil er mich nicht umarmt und küsst. Weil ich dringend angefasst werden will…und das ist nicht sexuell gemeint. Ich will einfach nur Noahs Hände auf meiner Haut. Und ich kann es nicht länger ertragen, einfach nur neben ihm zu sitzen.

„Kannst mir ja Bescheid geben, wenn du wieder bei Verstand bist. Allerdings solltest du damit rechnen, dass mich das dann vielleicht gar nicht mehr interessiert.“

Auf dem Weg nach draußen kommt mir Blix entgegen. Sehr gut. Noah müsste uns sehen können.

„Ihr habt wohl nicht alles geklärt, mh?“, fragt Blix.

„Entschuldige bitte“, sage ich, greife nach seinem Shirt, ziehe ihn mit einem Ruck an mich und küsse ihn auf den Mund. Blix ist zuerst überrascht, küsst mich aber zurück. Lange. Wenigstens fühlt es sich an wie eine Ewigkeit.

„Wow…Tiger“, grinst er als wir uns voneinander gelöst haben.

Was zum Geier mache ich eigentlich?

Blix umarmt mich. „Er hat’s gesehen…ich weiß aber nicht, ob er’s auch verstanden hat. Sieht irgendwie nicht…“

Jemand rempelt uns heftig an. Noah.

„Du bist ein Arsch“, zischt er und geht.

Ich fühle mich kotzig. Die Aktion war doch total überflüssig. Außerdem fängt mein Ohr schon wieder an zu klingeln, verdammte Scheiße.


Meine Mutter ist mir unheimlich. Ständig tut sie so, als hätte sie von nix eine Ahnung und plötzlich…sie weiß, dass ich Probleme mit Noah habe. Klar, hab ich ihr das nicht gesagt, aber sie ahnt es. Je schlechter es mir geht, desto fröhlicher wird sie. Und weil Elisa nachmittags mal hier war, denkt sie sicher, dass ich wieder mit ihr zusammen bin. Ich hätte sehr große Lust, irgendeinen Typen einzuladen und vor ihren Augen mit ihm rumzuknutschen, um ihrer Phantasterei ein Ende zu bereiten. Na ja, eigentlich ist es mir inzwischen vollkommen egal, was die Frau denkt und hofft. Hab mich damit abgefunden, dass ich eine Enttäuschung für sie bin. Damit wären wir so was wie quitt…immerhin ist ihr Verhalten für mich auch enttäuschend. Vielleicht sollte ich doch mal Paps fragen, ob ich bei ihm wohnen darf. Mich hält hier nichts mehr. Das zwischen Noah und mir ist vorbei. Da kann er noch so dämlich von Pause reden. Wenn man sich liebt, braucht man keine Pause. Also. Er hat sich entschieden, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr mit mir zusammen zu sein. Und ich hab keinen Bock, darauf zu warten, dass er endgültig mit mir Schluss macht. Weil…darauf wird’s ja hinauslaufen. Der Gedanke, ihm jeden Tag über den Weg laufen zu müssen, kickt mich auch nicht unbedingt. Ich bin jetzt fest entschlossen, morgen Paps anzurufen, um ihm meine Umzugspläne mitzuteilen.

Am Nachmittag spaziere ich durch den Wald zum kleinen Tümpel, setze mich auf den Baumstamm und nehme ein bisschen Abschied. Von Noah, von meinem Leben hier im Dorf. Es ist kalt und windig, verfärbte Blätter wirbeln auf dem Boden…passt alles genau zu meiner Stimmung. Obwohl in mir drin nicht mehr Herbst ist, sondern bereits eisiger Winter herrscht.

Und zwar der eisigste, den man sich vorstellen kann. Zum x-ten Mal frage ich mich, warum das alles ausgerechnet mir passieren muss. Logisch trennen sich andauernd irgendwelche Leute…meine Eltern beispielsweise…aber das mit Noah war so besonders. So einzigartig. Gott, ich vermisse ihn!

„Hey.“

Ach du Scheiße!!

„Kann ich mich setzen?“

„Kann ich’s dir verbieten?“

Noah hockt sich neben mich und sagt keinen Ton mehr. Okay, die wunderbare Aussicht auf den beschissenen Tümpel kann er auch allein genießen, finde ich, weshalb ich aufstehe.

„Können wir jetzt nicht mal mehr miteinander reden?“, fragt er zickig.

„Ich wüsste nicht, dass du grad etwas gesagt hättest.“

„Das ist ja auch nicht so einfach, wenn du dich wie ein Vollpfosten verhältst.“

„Ich?“, keife ich. „Du hast doch Schluss gemacht.“

„Hab ich nicht.“

„Entschuldige, du brauchtest eine Pause von deinem Freund, den du angeblich liebst.“

„Ist das ein Grund, gleich mit Blix rumzuknutschen?“

„Allerdings. Wenn du nicht mehr mit mir knutschen willst, muss ich halt wen anders nehmen.“

„Du hast nicht mal gefragt, wie es mir geht“, murmelt Noah.

„Warum auch? Hat es dich interessiert, ob ich mit deiner dämlichen Pause zurecht komme?“

Noah hebt den Kopf und sieht mich an. „Ich meine vorher, Bennie.“

Äh…ich stehe total auf’m Schlauch. „Was meinst du? Wann vorher? Was zur Hölle ist los?“

Noah rappelt sich hoch. „Vielleicht bleibst du noch eine Weile hier sitzen und denkst einfach mal drüber nach, mh?“

„Ja?“, brülle ich ihm hinterher. „Worüber denn, Spasti? Hä? Worüber?“

Ernsthaft, ich hab doch nichts getan, oder? Er ist derjenige, der sich komisch benimmt. Vor London war noch alles in Ordnung. Ich weiß wirklich nicht, was er überhaupt von mir will. Ich weiß allerdings, dass ich mir sein Verhalten nicht länger bieten lasse.

Nachdem ich eine Zigarette geraucht habe, um ein bisschen runterzukommen, fische ich mein Handy aus der Tasche und schicke Noah eine sms.

wenn du in spätestens zwei tagen nicht wieder normal geworden bist, ist es endgültig aus mit uns!!

Zwei Tage sind eine vernünftige Frist, finde ich. Ein paar Minuten später klingelt mein Handy.

wenn das alles ist, was beim nachdenken rausgekommen ist, tut’s mir echt leid für dich!!

Was soll’n das jetzt heißen?


Die Frist ist abgelaufen und Noah hat sich nicht gemeldet. Das ist doch wenigstens mal eine klare Aussage … so ganz ohne Worte. Ich nehme also mein Armband ab und beschließe, dass Noah jetzt offiziell mein Exfreund ist. Meine Mutter wird das vermutlich dermaßen glücklich machen, als wäre Jesus Christus höchstpersönlich wieder auf die Erde zurückgekommen. Deshalb habe ich mir überlegt, Paps doch lieber nicht anzurufen, um bei ihm zu wohnen. Weil, eigentlich kann ich ihn ja auch nicht sonderlich gut leiden. Und da ich momentan nicht homosexuell bin, dürfte es mit meiner Mutter keine Probleme mehr geben. Das einzig Blöde ist, dass ich Noah so doll vermisse. Aber das wird vorbeigehen. Jedenfalls fällt es mir doch im Traum nicht ein, seinetwegen wegzuziehen. Wäre ja noch schöner!

Nachmittags gehe ich zum Internat, wo Tim, Sissi, Elisa und ein paar andere Leute in der Herbstsonne sitzen.

„Ich hab mich von Noah getrennt“, erkläre ich und setze mich dazu.

„Endgültig?“, fragt Elisa.

„Allerdings.“

„Ich trau dem Braten nicht“, behauptet Tim.

„Mir doch egal.“

„Dann ist ja wohl alles wieder in Ordnung“, findet Sissi. „Ich meine, jetzt könnt ihr euch endlich wieder mal ein bisschen mit Noahs Deppen prügeln.“

„Also das muss ich nicht unbedingt haben.“

Sissi verzieht das Gesicht. „Du redest schon seit Wochen davon, dass du einem der Deppen noch was schuldig bist.“

„Schlägereien sind für’n Arsch. Da hat man nichts zu gewinnen. Außer vielleicht eine blutige Nase und blaue Augen. Darauf bin ich nicht scharf.“

„Hast du dich heimlich vom Dalai Lama berühren lassen oder woher kommt diese plötzliche Erkenntnis?“, grinse ich.

„Nee, von mir“, grinst Sissi zurück. „Tim weiß jetzt, dass Liebe besser ist als Gewalt.“

„Liebe nervt. Und Liebe tut manchmal viel mehr weh als eine blutige Nase und blaue Augen.“

„Wie tiefsinnig“, rülpst Tim.

Elisa ist übrigens seltsam still. Hoffentlich denkt sie nicht, dass ich mit ihr was anfange, nur weil ich nicht mehr mit Noah zusammen bin. Andererseits … ich wüsste vielleicht schon ganz gerne, wie es ist, mit einem Mädchen zu schlafen. Möglicherweise würde mir das gefallen. Mehr als mit Noah. Nee, das ist Blödsinn. Perfekter als mit Noah geht’s nicht. Sofort geistert mir der Kerl durch den Schädel. Und sofort hab ich heftigen Liebeskummer.

„Wollen wir spazieren?“, wispert Elisa in mein Ohr.

„Nee. Wieso?“

„Siehst traurig aus. Vielleicht magst du drüber reden.“

„Hab ich grad getan. Noah und ich haben Schluss gemacht. Logisch, dass ich da nicht strahle wie die Sonne.“

„Also liebst du ihn immer noch“, stellt sie fest.

Oh nein, sie rechnet sich doch Chancen aus.

„Es reicht aus, um mich nicht gleich in eine nächste Beziehung zu stürzen.“

„Wer redet von Beziehung“, lächelt sie flirtig.

„Hatten wir nicht abgemacht, dass wir nur Freunde sind?“

„Die Abmachung gilt nur so lange du mit Noah zusammen bist“, zuckt sie die Schultern.

„Und du glaubst, wenn wir beide miteinander vögeln hab ich meine große Liebe schwuppdiwupp vergessen, ja?“

„Bennie“, schnauft sie, „du kotzt mich an. Was ist an dem verdammten Idioten so wahnsinnig toll, dass du immer, immer, immer nur ihn im Kopf hast?“

Mh, ich könnte sie fragen, was an mir so wahnsinnig toll ist, dass sie immer nur mich im Kopf hat…aber ihre Laune ist eh schon im Eimer.

„Entschuldige“, entschuldigt sie sich, „das war offensichtlich ein kleiner Rückfall. Wir sind Freunde, Bennie, auch wenn’s mir manchmal noch schwer fällt.“

Sie stupst mir ihren Ellenbogen in die Seite. Ich stupse ihr meinen Ellenbogen in die Seite. Dann umarmen wir uns freundschaftlich.

„Nee, oder?“, brüllt plötzlich jemand.

Noah.

„Hätte ich mir ja denken können. Kaum haben wir’n bisschen Stress, schon hängt dir die kleine Schlampe am Hintern.“

Hä? Hat der einen Anfall?!

„Schluss machen kann man wohl kaum als ein bisschen Stress bezeichnen“, erkläre ich.

„Du hast Schluss gemacht. Schätze, ich weiß jetzt auch, warum.“

Traut der mir wirklich zu, dass ich mit Elisa…ey, das ist doch nicht zu fassen. Hat der etwa alles, was zwischen uns gewesen ist, vergessen? Was wir durchgemacht haben, was wir uns gesagt haben…und er denkt ernsthaft, ich hätte grad nichts besseres zu tun, als mit Elisa rumzumachen? Wie kann sich jemand, den man liebt, über Nacht in so ein verdammtes Arschloch verwandeln? Oder war ich vor lauter Verliebtheit einfach bloß völlig verblendet?

„Du weißt einen Dreck. Seit Wochen verhältst du dich wie ein Vollidiot und jetzt hast du noch den Nerv, hier diese Eifersuchtsnummer abzuziehen? Verpiss dich, Winter!“

„Wenn du mal für eine Minute aufgehört hättest, nur mit dir selber beschäftigt zu sein, wärst du vielleicht drauf gekommen, warum ich mich so verhalten habe. Aber du bist eben ein egoistischer, ignoranter Penner. Und ich bin froh, dass ich dich und deinen ganzen ’meine-Mutter-hasst-Schwule-und-meine-Freunde-hassen-mich’ Jammerscheiß endlich los bin.“

„Ach ja?“, schreie ich. „Den ganzen Scheiß hatte ich doch nur deinetwegen. Entschuldigung, dass ich nicht super damit klargekommen bin, dass meine Mutter mich für ein abartiges Subjekt hält. Natürlich hätte ich viel mehr auf deine Pseudoproblemchen mit deinen Bilderbucheltern eingehen müssen.“

„Oh, es tut mir so leid, dass meine Eltern nicht solche Freaks sind wie deine, Bennie. Was hab ich mir nur dabei gedacht, in einer intakten Familie aufzuwachsen?“

„Du hast doch den Arsch auf. Hör auf, mich vollzulabern. Geh dahin zurück, wo du hingehörst. Zu deinen asozialen, messerschwingenden Deppen.“

Noahs Augen blitzen wütend. „Du bist ja offensichtlich schon da, wo du hingehörst. Und all deine Probleme, die du meinetwegen hattest, sind schlagartig weg. Das ist doch für uns alle die perfekte Lösung“, lächelt er bitter und geht.

„Meine Güte“, stöhnt Tim, „wieso müsst ihr eure Streitigkeiten immer in der Öffentlichkeit austragen?“

„Warum hast du die Sache nicht aufgeklärt?“, will Elisa wissen.

„Welche Sache?“, zische ich.

„Die Umarmung. Dass sie nichts weiter zu bedeuten hatte.“

„Hätte er mir eh nicht geglaubt. Außerdem, so wie der sich aufgeführt hat...“

„Jedenfalls hab ich keine Lust, schon wieder Gegenstand eurer Streitereien zu sein. Zumal wir überhaupt nicht mehr zusammen sind.“

Man, sind hier eigentlich alle komplett irre?

„Ich gehe nach Hause“, beschließe ich. „Mir reicht’s für heute.“


Irgendeine Arschgeige muss meiner Mutter gesteckt haben, dass es zwischen Noah und mir aus ist, denn ich bekomme wieder regelmäßig Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Na ja, es waren genug Leute da, die unsere Auseinandersetzung mitgekriegt haben, einer von denen wird’s gewesen sein. Ich hasse es, meinen privaten Kram vor Freunden und Schulkumpanen auszubreiten. Und ich hasse Noah. Wie kommt der dazu, mir den Stress mit meiner Mutter vorzuwerfen? Als hätte ich mir ihre Abneigung gegen Homos ausgesucht. Was ich alles für ihn auf mich genommen habe, was ich seinetwegen alles aushalten musste und der knallt mir so Kacksprüche vor den Latz. Spinnt wohl, der dämliche Wichser! Froh ist er also, dass er mich los ist, ja? Wie schön. Da weiß ich doch wenigstens, was sein Liebesgeschwafel wert gewesen ist. Nämlich gar nichts. Und Elisa kann mich auch am Arsch lecken. Bloß weil ich die Umarmung nicht erklärt hab, muss sie nicht gleich wer weiß was annehmen.

Das fröhliche Gesicht meiner Mutter kann ich momentan überhaupt nicht ertragen. Bevor ich Gefahr laufe, sie mit dem Holzkreuz aus der Essecke zu erschlagen, mache ich mich lieber vom Acker. Bekloppterweise ist der einzige Ort, an dem ich mich grad aufhalten kann, die Kirche. Ich will nämlich weder meine Freunde sehen, noch im Wald hocken, wo Noah spontan vorbeikommen könnte. Dem würde ich sofort die Fresse polieren.

„Benjamin“, begrüßt mich der junge Pfarrer.

„Gott zum Gruße“, lächele ich horrorartig.

Drei Omas sitzen verstreut umher und beten still vor sich hin. Wie immer.

„Kann ich dir helfen?“

„Sehe ich so hilfsbedürftig aus?“

„Ehrlich gesagt, ja“, lächelt er freundlich.

„Glaube kaum, dass Sie mir tatsächlich helfen können. Was verstehen Sie schon von Beziehungskrisen? Sie dürfen sich ja nicht mal verlieben.“

„Na ja, ich darf schon, allerdings sind gewisse Spielregeln einzuhalten“, erklärt er, „übrigens bin ich nicht als Pfarrer auf die Welt gekommen. Ich hatte als Teenager auch mal eine Freundin.“

Mir will beinahe rausrutschen, dass ich dachte, er sei, wenn überhaupt, schwul. Und verknallt in mich.

„Also, möchtest du erzählen, was dich bedrückt?“

Was soll’s?! Plaudere ich halt ein wenig aus dem Nähkästchen. Vom Stress mit meiner Mutter, mit meinen Freunden, mit Noahs Freunden, seinem komischen Verhalten, der Beziehungspause, meinem Ultimatum und schließlich noch von unserem letzten Streit.

Und wo ich mal dabei bin, fällt mir ein, dass wir uns bereits häufiger gestritten und fast getrennt haben. Einmal sogar ganz richtig für mehrere Monate. Nur die Schlägereien lasse ich weg.

Der Herr Pfarrer betupft seine Stirn mit einem Taschentuch. Ich denke allerdings, dass diese Geste eher lustig sein soll.

„Scheint so, als hättet ihr eine…äh…sehr leidenschaftliche Beziehung.“

„Kann sein.“

„Oder anders ausgedrückt…ihr seid zwei Hitzköpfe, die nicht gerne über ihre Gefühle sprechen, sondern sich lieber wüst beschimpfen.“

„Wir haben andauernd über Gefühle gesprochen.“

Er schlägt seine Beine übereinander und faltet die Hände. „Ja, vielleicht wenn es um positive Gefühle ging.“

„Nee“, schüttele ich den Kopf, „wir haben uns auch gesagt, dass wir Angst davor haben, dass einer Schluss macht.“

„Und hast du deinen Freund auch gefragt, warum er eine Pause von dir braucht?“

„Ja, aber er hat mir keine vernünftige Antwort gegeben. Nur Vorwürfe gemacht.“

„Möglicherweise möchte er, dass du von selbst drauf kommst, dass er auch schwache Momente hat und dann jemanden zum Anlehnen braucht“, überlegt er.

Noah und schwach? Ich lach mich kaputt. Der war der Anführer einer Gang, verdammte Scheiße!

„Ich bin doch kein Gedankenleser“, grummele ich. „Wenn er sich anlehnen will, soll er den Mund aufmachen.“

Der Pfarrer lächelt gutmütig. „Deine Sturheit wird dich nicht weiterbringen, Benjamin. Sicher befindest du dich in einer schwierigen Situation mit deiner Mutter und Menschen, die eure Beziehung nicht akzeptieren…vielleicht hast du darüber die Gefühle deines Freundes ein bisschen aus den Augen verloren.“

„Er ist froh, dass er mich und meine Probleme los ist. Das waren ungefähr seine Worte. Da kann er wohl kaum von mir erwarten, dass ich mich mit seinen Gefühlen befasse“, entgegne ich.

„Man sagt im Zorn leider viele Dinge, um den Anderen zu verletzen…weil man selber verletzt ist.“

„Also bin ich an allem Schuld, ja? Weil ich ein egoistischer, ignoranter Penner bin. Das waren übrigens exakt Noahs Worte.“

„Es geht gar nicht um Schuld. Sondern darum, deinen Stolz und deine Sturheit über Bord zu werfen und einen Schritt auf ihn zuzumachen.“

„Wieso ich? Warum nicht er?“

„Liebe bedeutet auch nachgeben und verzeihen.“

„Amen“, bemerke ich. „Im Grunde sind das alles bloß Spekulationen, richtig? Was, wenn das alles ein Haufen Scheiße ist und Noah mich einfach nicht mehr liebt? Wenn ich diesen Schritt auf ihn zumache und er sich den Arsch ablacht, weil er längst einen neuen Freund hat?“

Der Pfarrer scheint einen Moment zu überlegen. „Das könnte natürlich passieren. Aber wieso sollte er sich die Mühe machen und dir schlimme Dinge sagen, wenn er nichts mehr für dich empfindet?“

„Vielleicht weil er Spaß dran hat“, schlage ich vor, weiß allerdings irgendwie, dass das Quatsch ist. „Er fehlt mir“, murmele ich. „Danke für das Gespräch.“

„Immer gerne, Benjamin.“

Eigentlich möchte ich ihn noch fragen, was er gegen unkeusche Gedanken tut, ob er es sich dann selber besorgt und wie er es überhaupt ohne Sex aushält, aber…na ja, ist ja seine Privatsache, oder? Und ich hab eh noch was Wichtiges zu erledigen. Nachdenken. Ist das nicht irre? Ich denke ernsthaft über das nach, was mir ein Kirchenmann erzählt hat. Es könnte nämlich sein, dass ich tatsächlich meistens mit mir beschäftigt war und nie gefragt habe, wie es Noah mit der ganzen Scheiße geht. Weil ich davon ausgegangen bin, dass er das alles so locker wegsteckt, was vielleicht gar nicht stimmt. Jedenfalls muss ich rausfinden, ob er deswegen beleidigt ist. Dann muss ich mich entschuldigen, ihm sagen, dass ich ihn liebe und er sich ruhig auch mal bei mir anlehnen kann, wenn ihm danach ist.

Gerade will ich an sein Fenster klopfen, da entscheide ich mich spontan dagegen. Ein Typ hockt in seinem Sessel. Florian. Mir wird leicht unwohl und mein Herz klopft unangenehm schnell. Als Noah reingelatscht kommt, oben ohne übrigens, Florian quasi aufspringt und die beiden sich umarmen, tastet meine Hand nach einem riesigen Stein, mit dem ich erst die Fensterscheibe und danach zwei Schädel einschlagen kann. Leider liegt hier so etwas nicht herum. Bedröppelt schleppe ich mich nach Hause. Obwohl bedröppelt nicht das richtige Wort ist. Mein Aggressionspegel ist dermaßen hoch, dass ich die ganze Welt vernichten könnte!! Noah, die alte Pissratte, fickt seine Florian-Type in unserem Bett. Hoffentlich hat er es wenigstens vorher frisch bezogen. Was für ein Penner. Labert von Beziehungspause und hat längst wieder was mit seinem Ex am Laufen. Ob Blix und Lydia gleich auch noch vorbeischauen? Sicher ist das altdeutsche B auf Noahs Arm in Wirklichkeit gar kein B, sondern ein F. Oh Mann, und ich hatte vor, mich zu entschuldigen!

„Schneider…du siehst aus, als wolltest du dringend jemanden killen“, bemerkt Tim einige Tage später, als wir zusammen zur Schule gehen.

„Ja.“

„Einen, den wir kennen?“

„Allerdings.“

„Was ist passiert?“

„Er vögelt mit seinem Ex.“

„Autsch! Woher weißt’n das?“

„Hab sie beobachtet.“

„Beim Ficken?“, fragt er entsetzt.

„Nee, solange wollte ich nicht warten.“

„Schon gehört? Die Deppen wollen wieder Krieg.“

„Wie bitte?“

„Gestern hatten sie zwei von unseren Jungs in der Mangel.“

„Mann, hört die Kacke nie auf?“

„Das können wir nicht einfach so hinnehmen, Schneider.“

„Meinetwegen“, seufze ich, „mischen wir die Deppen halt ein bisschen auf…oder lassen uns von denen aufmischen.“

„Dir ist aber schon klar, dass dein Ex-Brechmittel dabei sein könnte, oder?“

„Der hat mit den Deppen gar nichts mehr zu tun.“

„Und wenn doch?“

„Trete ich ihm in die Eier. Was sonst?!“

„Okay, also morgen nach der Schule.“

Ich hätte nie gedacht, dass mir so was noch mal passieren würde. Egal. Eine kleine Schlägerei lenkt mich wenigstens von meinem Liebeskummer ab. Und ich kann es Martin, dem Deppenkönig, endlich heimzahlen. Dass er mir das Gesicht zerschneiden wollte, hab ich nämlich noch nicht vergessen.


Die Prügelei ist in vollem Gange. Rabiat schubse ich ein paar Ohrfeigengesichter aus dem Weg, weil ich Martin suche. Allerdings wird der gerade von Tim zu Brei geschlagen. Oder besser gesagt, die hauen sich gegenseitig die Fresse blutig. Na ja, ein Depp ist so gut wie der andere. Schnappe ich mir halt den nächsten Blödmann, knalle ihm meine Faust aufs Nasenbein und trete kräftig nach, als der zu Boden geht. Leider schaffe ich nur einen Tritt, weil mich jemand von hinten packt und durch die Gegend schleudert. Zum Glück scheint mein Körper so viel Adrenalin zu produzieren, dass ich überhaupt keine Schmerzen spüre und mir ein bisschen vorkomme wie der unglaubliche Hulk. Sofort werfe ich mich erneut ins Getümmel und kloppe wild drauflos.

Als ich mich für einen kurzen Moment umschaue, steht Noah plötzlich vor mir. Fuck, was will der denn hier? Macht doch wieder gemeinsame Sache mit seiner ehemaligen Gang, oder wie?

„Du blöde Sau“, brülle ich und gehe auf ihn los.

Er wehrt meinen Schlag ab, zerrt an meinem Shirt und…küsst mich?! Bekloppt vor Wut schubse ich ihn weg und spucke ihm vor die Füße.

„Geh und fick deinen neuen Freund, Arschloch!“

„Fick du doch deine kleine Schlampe“, zischt er.

„Ich hasse dich!“

Meine Faust trifft sein Auge, seine meinen Wangen-Kieferbereich. Beim anschließenden Rumgerangel gehen wir beide zu Boden. Noah liegt unter mir und versucht, sich zu befreien, aber ich halte seine Hände fest und…presse meinen Mund auf seinen. Der Penner beißt mir in die Lippe und wirbelt mich herum. Offensichtlich weiß keiner von uns so recht, ob wir nun miteinander kämpfen, oder uns aggressiv küssen sollen. Deshalb machen wir einfach beides.

„Ich liebe dich“, wispert Noah, rappelt sich hoch und läuft davon.

„Die feige Ratte verpisst sich“, schreit irgendeiner.

Ich bin nicht mehr Hulk, sondern wieder Bennie. Meine Visage schmerzt und erst jetzt merke ich, dass mir Blut aus der Nase läuft. Ich wische es mit dem Handrücken weg, stehe langsam auf und schwanke zum Internatshof.

Fünf Minuten später ist Tim da. Breit grinsend, mit zerzausten Haaren, zerrissenen Klamotten, blutigen Fingerknöcheln und ziemlich lädiertem Gesicht.

„Wir haben gewonnen“, erklärt er stolz.

Sissi und Elisa kommen raus, um uns zu verarzten.

„Ich hatte das mit der Prügelei letztens als Scherz gemeint“, faucht Tims Freundin.

Elisa betupft vorsichtig meine Nase. „Ganz wie in alten Zeiten, mh?“, lächelt sie horrorartig. „Das nächste Mal kannst du meinetwegen ins Krankenhaus fahren. Ich bin dafür nicht mehr zuständig.“

„Danke“, nuschele ich müde.

„Sag mal, Schneider…hab ich das vorhin richtig gesehen, oder ist mir Blut in die Augen gelaufen? Hast du mit dem Brechmittel…geknutscht?“

„Wie romantisch“, zischt Elisa, drückt mir den Lappen in die Hand und stampft ins Internat zurück.

Sissi pappt Tim wenigstens noch ein Pflaster über die Augenbraue und schmatzt ihm einen Kuss auf die Stirn, bevor sie ihrer Busenfreundin nacheilt.

„Also ist das Kapitel noch nicht zu ende.“

„Keine Ahnung“, zucke ich die Schultern. „Er hat gesagt, dass er mich liebt.“

„Während ihr euch gegenseitig aufs Maul haut? Verdammt guter Zeitpunkt. Hör mal, Schneider, der Typ ist offenbar ein Fall für die Klapsmühle. Bleib weg von dem.“

Ich gehe erstmal nach Hause. Da ist meine verrückte Mutter total entsetzt, als sie mich, meine dreckigen Klamotten und meine Verletzungen sieht.

„Benjamin“, japst sie und greift sich theatralisch ans Herz, „was um alles in der Welt ist passiert?“

„Ich habe mich geprügelt“, erkläre ich ruhig.

„Du hast was?“

„Geprügelt“, wiederhole ich.

„Aber…mit wem? Warum?“

„Mit einigen Deppen, weil die uns und wir die nicht leiden können.“

„Hast du jetzt komplett den Verstand verloren?“, keift sie. „War dieser…dieser Junge etwa auch dabei?“

Mann, geht die mir auf den Geist.

„Mutter, es ist alles in Ordnung. Ich habe mich nicht zum ersten Mal geprügelt. Aber es war bestimmt das letzte Mal.“

„Ich erkenne dich überhaupt nicht mehr wieder, Benjamin“, schüttelt sie den Kopf.

Bevor sie Noah an allem die Schuld geben kann, mache ich die Zimmertür zu und werfe mich aufs Bett.

Irgendwie ist doch alles kackig. Wieso hat er gesagt, dass er mich liebt? Wieso vögelt der Florian und liebt mich? Ist der übergeschnappt? Und bin ich es, weil ich ihn trotzdem auch noch liebe?

Am nächsten Abend besuche ich Noah in seinem Keller. Ich brauche eine klare Ansage, ob er mich liebt oder Florian. Damit er nicht aus versehen die falsche Entscheidung trifft, trage ich vorsichtshalber meine Schuluniform.

Noah schüttelt den Kopf. „Subtilität ist nicht so deine Stärke, mh?“

„Hä?“

„Du versuchst gar nicht erst, den Grund deines Besuchs zu verschleiern“, erklärt er und zuppelt an meiner Krawatte.

„Hatte keine Zeit, mich umzuziehen.“

„Lügen ist auch nicht dein Ding.“

„Was war das gestern?“

„Zuckerbrot und Peitsche oder so. Keine Ahnung. Seit wann haust du dich wieder mit den Deppen?“

„Und du?“

„Ich bin da total zufällig reingeraten. Wusste nicht mal, dass was stattfindet. Anscheinend hatte sich noch nicht bis zu deinen Freunden rumgesprochen, dass ich nicht mehr zur Gang gehöre. Einer ging auf mich los, da musste ich mich halt wehren.“

„Was macht’n dein Auge?“

„Wird bunt. Genau wie deine Wange.“

„Wir sollten einige Sachen besprechen“, finde ich.

„Dann zieh dich bitte aus, weil…solange du die hier trägst“, er streicht mit den Fingern über meine Jacke, „läuft mein Hirn echt auf Sparflamme.“

„Und wie zum Teufel soll ich ein ernstes Gespräch mit dir führen, wenn ich dabei nackt bin?“

„Ich fürchte, dann müssen wir mit dem ernsten Gespräch bis nach dem Sex warten.“

Das geht so nicht! Er kann nicht erst eine Pause von mir brauchen, mal eben Florian vögeln, mich küssen, mir eine reinhauen und dann mit Sex um die Ecke kommen. Deshalb ziehe ich zwar meine Jacke aus, setze mich aber ganz ordentlich aufs Bett. Noah lacht schnaufend und setzt sich…auf meinen Schoß. Er lockert meine Krawatte, löst den Knoten und hält die Enden fest, sodass ich einen leichten Druck im Nacken spüre. Also irgendwie scheint er mich missverstanden zu haben.

„Was zum Teufel hast du vor?“

„Dir beim Ausziehen helfen…damit wir endlich miteinander reden können“, entgegnet er, lässt die Krawatte los und beginnt, mein Hemd aufzuknöpfen.

„Sag mal, nimmst du Drogen?“

„Nee, warum fragst du?“

„Weil du offensichtlich glaubst, mit einem Fick ist alles geklärt.“

„Ich liebe dich. Du fehlst mir. Die Beziehungspause war eine schwachsinnige Idee…aber mich hat auf einmal alles so fertig gemacht. Deine Mutter, die Deppen, die fiesen Blicke, wenn ich durchs Dorf gehe…und irgendwie hab ich das aus versehen auf dich geschoben. Dachte, es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich wollte mich einfach mal eine Weile ausklinken. Meine Ruhe haben. Dass du in der Zwischenzeit was mit Elisa hattest, gefällt mir zwar nicht, aber schließlich bist du hier, also ist es egal. Solange du mir nicht gleich sagst, dass du wieder mit ihr zusammen sein willst. Sonst noch was?“

„Allerdings. Erstens hatte ich nichts mit Elisa. Zweitens hättest du mir sagen können, was mit dir los ist und drittens…warum musstest du in der Zwischenzeit mit deinem Ex vögeln?“

Noahs Augen werden riesengroß. „Ich hab was mit wem? Meinst du Flori?“

„Ich hab euch gesehen. Durchs Fenster.“

„Bennie, er war hier, um mit mir zu reden.“

„Und wieso musst du dafür neuerdings nackt sein und dich von dem Typen befummeln lassen?“

„Ich kam aus der Dusche, weil ich stundenlang Schlagzeug gespielt hatte und völlig verschwitzt war. Flori hat mich umarmt, weil’s mir schlecht ging. Gute Freunde machen das.“

„Genau. Du hast aber auch gedacht, dass ich was mit Elisa habe, nur weil wir uns umarmt haben. Als wäre ich irgendein Flittchen, das in der Gegend rumbumst. Kriegst du übrigens jetzt keinen Ausschlag mehr?“, frage ich und deute auf das silberne Bennie-Armband an seinem Handgelenk.

„Es tut mir leid“, murmelt er ein bisschen verschämt.

„Nee. Mir tut’s leid. Ich hätte merken können…warte mal, wie hat sich der junge Herr Pfarrer ausgedrückt…dass du auch schwache Momente hast und jemanden zum Anlehnen brauchst.“

„Du hast dich mit Pater Romeo über uns unterhalten?“

„Ja, ich war verzweifelt. Außerdem ist der ganz okay.“

„Muss er wohl, wenn er in dich verknallt ist.“

„Das ist der gar nicht. Er hatte vor seinem Priesterjob mal eine Freundin.“

„Du hattest auch mal eine Freundin…“

„Küss mich schon endlich, Schwachkopf!“

Das tut er. Und logischerweise bleibt es nicht nur beim Küssen. Das Hemd hat er mir schnell ausgezogen, Gürtel und Hose aufmachen geht auch ziemlich fix.

„Findest du, wir sollten das jetzt tun?“

„Absolut“, nickt er. „Was ist besser als Versöhnungssex? Ich meine…wir haben uns doch versöhnt, ja?“

„Ja, aber…trotzdem. Irgendwie erscheint mir das nicht richtig.“

„Warum nicht?“

Das ist eine wirklich interessante Frage. „Weil ich immer noch ganz durcheinander bin.“

„Keine Angst, ich sorg dafür, dass du wieder völlig aufgeräumt bist.“

„Indem du mich bumst?“

„Gute Idee“, grinst er.

„Ernsthaft, Noah, ich denke…“

„Bennie“, unterbricht er mich und verdreht ein bisschen die Augen, „seit wann bist du so schwer rumzukriegen?“

Ich nehme an, es ist sein Schmollmund. Oder dieser verdammte Schlafzimmerblick. Vielleicht auch seine Finger, die über meine Haut streichen.

„Nicht aufgeben, okay?“

„Hab ich nicht vor“, flüstert er und küsst mich.


So, ich finde mal wieder, es ist Zeit für ein Happy End. Na ja, vielleicht nicht unbedingt für ein Ende, mehr so was wie…sie leben viele, viele Jahre glücklich miteinander vor sich hin, ohne Stress, ohne Trennungen, ohne blöde Deppen und ohne eine verrückte, katholische Mutter. Leider neige ich überhaupt dazu, ungemütliche Leute mordenderweise aus dem Weg zu räumen. Also versuche ich, damit zurande zu kommen, dass meine Mutter Noah für Abschaum hält und ihren einzigen Sohn an die Sünde, den Teufel oder was weiß ich verloren hat. Was soll ich sonst machen? In zwanzig Jahren immer noch hinter ihr herlaufen, in der Hoffnung, dass sie mich eines Tages doch noch so akzeptiert, wie ich bin?! Wird sie nicht. Niemals. Selbst wenn Papst Ratzinger auf einmal behaupten würde, dass Homosexualität gar nicht schlimm ist, sondern etwas ganz Wunderbares…selbst dann würde meine Mutter nicht von ihrer Meinung abrücken. Wahrscheinlich werde ich trotzdem noch einige Male versuchen, mit ihr zu reden…man ist ja leider harmoniesüchtig…irgendwann werde ich ausziehen und sie bloß noch kurz an Ostern, Weihnachten und ihrem Geburtstag besuchen, weil alles andere zu nervenaufreibend ist und ich meinen Freund ja eh nicht in ihr Haus bringen darf. Dass sie dann völlig allein gelassen rumhocken muss, ist aber verdammt noch mal nicht mein Problem!

„Ich hatte letzte Nacht einen total irren Traum“, erkläre ich.

„Hä?“, fragt Noah und kann sich kaum von Linus losreißen, der mitten in der Nacht durch die Stadt irrt und seine Schmusedecke sucht, weil Charlie Brown sie dummerweise während des Buchstabierwettbewerbs irgendwo verloren hat.

„Einen total irren Traum“, wiederhole ich, „von dir.“

„Cool. War ich Vampir, Pirat oder einer, der Messdiener verführt?“

„Römischer Kaiser.“

„Ach du Scheiße. Bennie, sei mir nicht böse, aber irgendwas stimmt nicht mit dir.“

„Lehn dich mal nicht zu weit aus dem Fenster, Klamottenfetischist.“

Noah stoppt Linus und schmust sich in meine Arme. „Okay, ich bin ganz Ohr.“

„Eigentlich gibt’s gar nicht so viel zu erzählen. Du warst halt römischer Kaiser und…“

„Warte mal…ich sah aber nicht so aus, wie bei Asterix, oder?“

„Nee, du hattest diese geilen Legionärsklamotten an. Tunika, Brustpanzer und so metallbeschlagene Lederstreifen.“

„Ich krieg ’ne Latte“, stöhnt er.

„Na, dann warte mal ab, wie’s weitergeht. Du hattest nämlich jede Menge Sklaven, die du gerne in dein Bett geholt hast. Nur einen nicht. Den hübschesten von allen.“

„Ich weiß genau, was passiert“, behauptet er.

„Tatsächlich?“

„Logisch. Schließlich kenne ich dich und deine Phantasien. Also…natürlich hab ich mich insgeheim nach meinem hübschen Sklaven verzehrt, aber nicht getraut, was mit ihm anzufangen, ja?“

„So ungefähr.“

„Aber irgendwann hab ihn mir dann doch mal geschnappt und war sehr überrascht, dass ihm gefiel, was ich mit ihm anstellte. Natürlich musste er mir trotzdem noch beibringen, wie zärtlich verführen funktioniert und ich kann davon ausgehen, dass ich ihm nicht ins Gesicht spritzen durfte, mh?“

„Sehr richtig. Übrigens war der Traum, im Gegensatz zu deiner Zusammenfassung, ziemlich geil.“

„Vielleicht hätte ich dich erzählen lassen sollen. Vielleicht wären dann wieder pochende Ständer, baumelnde Eier und so drin vorgekommen“, giggelt er.

„Du bist’n Arsch“, stelle ich fest. „Wieso willst du eigentlich immer Geschichten, hä? Nur, damit du dich kaputt lachen kannst?“

„Ich liebe deine Geschichten, ehrlich, Bennie. Ich könnte dir stundenlang zuhören. Bloß geil werde ich dabei nicht. Das ist aber nicht so schlimm, weil, um mich anzumachen brauchst du gar nicht viel tun. Setz dich einfach irgendwo hin und sei hübsch.“

„In meiner Schuluniform.“

„Ich kann auch ohne“, antwortet er schulterzuckend.

„Aber lieber mit, oder?“

„Ja, verdammt. Na und?“

„Tut dein Auge noch weh?“

„Wahrscheinlich so weh, wie deine Wange.“

„Wir sollten uns zukünftig nicht mehr so doll streiten, dass wir uns gegenseitig auf die Fresse hauen“, finde ich.

„Du hast angefangen.“

„Du wolltest eine Pause.“

„Weil du nicht gemerkt hast, dass es mir schlecht ging.“

„Hättest ja eher was sagen können.“

„Manchmal will man aber, dass der Freund, der einen angeblich in und auswendig kennt, so etwas spürt.“

„Hör schon auf, deinen Heiligenschein zu polieren. Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe.“

„Na ja, anstatt eingeschnappt zu sein, hätte ich tatsächlich was sagen können.“

„Noah…“

„Was?“

„Küss mich einfach, okay?“

„Du weißt, dass es dabei nicht bleiben wird, ja?“

„Allerdings“, strahle ich.

„Sexbesessener Irrer!“

„Selber! Sag mal, wie sieht eigentlich so ein altdeutsches N aus?“

„Würd sich auf deinem Arm gut machen.“

„Hoffentlich bekomme ich davon keinen Ausschlag.“

„Bennie…“, stöhnt er gequält.

„Ich mein ja nur.“

„Du bist total doof nachtragend.“

„Und du bist süß, wenn du schmollst. Können wir jetzt endlich…“

„Ficken?“, grinst er.

„Ich liebe dich“, wispere ich und küsse ihn.

„Ich dich auch“, wispert er zurück.

E N D E

Lesemodus deaktivieren (?)