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DSDMB

Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Ferdi

Schröder küsst seit gestern irgendwie anders. Und er verhält sich auch anders. Das bilde ich mir nicht bloß ein. Ich hätte ihm nicht dieses krasse Bild zeigen sollen. Ich hätte ihm überhaupt kein Bild zeigen sollen. Warum konnte ich es nicht einfach sagen? ‚Mein Freund hatte einen schweren Autounfall und spricht sehr wenig auf die Reha an. Prognose: Gar nicht gut.‘ Damit hätte er doch alle nötigen Infos gehabt, aber ich musste ihn mit diesem Frankensteinbild schocken. Ich bin ja so bescheuert!

„Du musst auch mal zurückküssen“, beschwert sich Nepomuk.

„Sorry“, flüstere ich und versuche, meine Passivität wieder gutzumachen.

„Wir sollten jetzt mal Üben“, erklärt er ziemlich unvermittelt und setzt sich auf.

„Was?!“

„Morgen will der Mickey Mouse-Typ bestimmt Fortschritte sehen und ich hab keinen Bock die Nacht heute durchzuüben. Ich brauch mal wieder etwas Schlaf.“

„Was hast du dann letzte Nacht gemacht? Auf der Couch bist du ja jedenfalls nicht mehr aufgetaucht“, bemerke ich.

„Besonders gut geschlafen hab ich aber auch nicht, wie du dir vorstellen kannst“, schnappt er zurück.

„Tut mir leid, dass dir allein der Anblick meiner Probleme den Schlaf raubt, du egoistischer Idiot“, zische ich ungerechterweise, das ist mir im selben Moment klar, aber trotzdem stürme ich aus dem Raum.

„Ist Schröder im Zimmer?“, flötet der kleine Emo, der mir auf dem Flur entgegenkommt.

„Klar, bedien dich. Er gehört ganz dir.“

So ist es vermutlich für alle Beteiligten am Besten. Wie kam ich auch dazu, überhaupt drauf zu hoffen, dass sich irgendwer auf mich einlassen könnte? Und gerade Schröder! Das hätte nur im Chaos geendet. Das muss ich mir jetzt sofort aus dem Kopf schlagen. Am besten mit Sport. Der Tanzsaal ist jetzt bestimmt leer und da gibt es Hanteln und einen Crosstrainer und … Sophie und Yoko, die immer noch die Choreographie üben. Dann schließe ich mich eben an, warum auch nicht? Yoko hat es so dermaßen drauf, dass ich mir bestimmt noch was abschauen kann und außerdem bin ich so wenigstens gezwungen, mich zusammenzureißen um die zwei nicht merken zu lassen, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Wir finden uns im Garten zusammen, wo das Improvisationstraining stattfinden soll, und zwar mit Markus Liebherr, der sich ein Seidentuch und eine Baskenmütze besorgt hat und wirkt wie ein Schauspieler, der einen möglichst klischeehaften Schauspiellehrer verkörpern will. Na super, das kann ja spaßig werden. Als Schröder dann auch noch mit Paolo aufkreuzt, vergeht mir die Lust total. Aber hey: Darum geht’s hier doch. So zu tun als ob. Also tue ich einfach, als ob ich voll Lust drauf hätte.

Markus führt uns zwischen die Palmen, wo einige Stühle, Matten und sonstige Requisiten vorbereitet sind und lässt uns erst mal ein paar „Aufwärmübungen“ machen. Ein Kamerateam ist auch anwesend, was für die nötige Motivation sorgt. Wir müssen ein paar Sätze wie ein Nachrichtensprecher vortragen, auf Kommando ganz laut schreien und uns dann in Paaren zusammenfinden, wobei ich mich sofort an Dennis Rodman halte, der eigentlich Cristian heißt und mit bayrischem Dialekt spricht, sehr verwirrend. Schröder … und Paolo sind als Erste dran. In der Übung ist einer der Erzähler, der andere derjenige, der die Gestik macht, und damit das zusammenpasst, legt der Erzähler (Schröder) die Hände auf seinen Rücken und Paolos Arme winden sich um ihn herum und gestikulieren vor Nepomuks Brust … ja, jedenfalls hoffe ich, dass meine Aufgabe irgendwas mit Wut zu tun hat, da bräuchte ich gerade nicht viel zu schauspielern. Cristian und ich sind die Letzten.

„Also gut“, erklärt Markus. „Ihr zwei habt euch bisher ja ganz gut angestellt und scheint mir die Sache auch ernst zu nehmen. Deshalb starten wir jetzt mal ein Experiment. Ich möchte sehen, ob ihr in Kontakt mit all eueren Emotionen treten könnt auf Kommando. Natürlich nicht von einer Sekunde auf die andere, das erfordert Übung, aber … legt euch mal hin, jeder auf eine Matte. Die anderen setzen sich bitte in einen Kreis außen rum. … Gut. Also Ferdi, Cristian, schließt eure Augen, entspannt euch, geht in euch und erspürt, was ihr fühlt.“

Eine Ameise, die über meinen Arm krabbelt …

„Angst, Traurigkeit, Verzweiflung“, flüstert Cristian bedeutungsschwanger und Markus springt sofort drauf an.

„Sehr gut! Siehst du eine bestimmte Situation vor dir? Aus der Vergangenheit?“

„Ja …“

„Möchtest du uns davon erzählen?“

„Mein Vater war im Krankenhaus und wir wussten eine Nacht lang nicht, ob er durchkommt …“

Seine Stimme zittert übertrieben. Er spielt das echt schlecht.

„Gut, damit können wir arbeiten. Cristian, du bist ein Angehöriger. Jemand den du liebst, liegt im OP.“

Markus rückt ein paar Stühle zurecht und zerrt Yoko darauf. Cristian platziert er daneben.

„Wie fühlt ihr euch?“

„Überrumpelt“, stammelt Yoko.

„Ängstlich und verzweifelt“, wiederholt sich Cristian.

„Gut, ihr seid seit acht Stunden im Warteraum. Was weiter, Cristian?“

„Man sitzt da halt rum … so …“, stammelt er.

„Trinkt Kaffee“, ergänzt Yoko.

„Ja, weiter. Wie fühlt ihr euch? Jemand, den ihr liebt, liegt im OP“, erzählt er noch mal.

„Machtlos“, flüstere ich halb zu mir selbst, halb zu Cristian, um ihm weiterzuhelfen.

„Gut Ferdi“, lobt Markus und setzt sich neben mir auf den Boden.

„Man langweilt sich“, füge ich hinzu. „Und dann bekommt man ein schlechtes Gewissen, weil man sich langweilt. Man versucht, sich abzulenken, damit die Zeit schneller vergeht.“

Markus sieht mich auffordernd an.

„Eigentlich ist es ein bisschen, wie auf einen verspäteten Zug zu warten, weil man irgendwann keine Angst mehr haben kann. Es fühlt sich so an, als wären alle Botenstoffe, die Angst auslösen, aufgebraucht oder sowas. Dann kommt dieses Gefühl, betäubt zu sein. In den ersten Stunden grübelt man noch, geht alle Alternativen durch, überlegt, was man anders hätte machen können. Aber irgendwann kommt alles in einem zum Stillstand. Mechanisch holt man sich Kaffee, blättert durch Magazine, zählt Deckenpaneele … bis dann irgendwann … irgendwann ein Fremder kommt, jemand mit betont beruhigenden Gesichtszügen, jemand, der einem sagt, dass alles gut gegangen ist. Oder nicht. Erst da … erst da wird man wieder zum Leben erweckt und denkt für einen kurzen Moment, alles sei überstanden. Aber das ist ein Trugschluss. Denn jeder Tag entscheidet aufs Neue … es gibt kein ‚gut‘ mehr. Es gibt nur ‚besser als gestern‘. Langsam, schleichend … mit vielen Rückschritten. Und nach Wochen oder Monaten denkt man an die Stunden im Wartezimmer zurück, als alles angefangen hat, und man noch dachte, nach ein paar Stunden Ungewissheit würde man wissen, wie es ausgeht. Aber man weiß nie, wie es ausgeht. ‚Alles ist gut‘ ist vergänglich, und wenn es mal vergangen ist, dann … dann ist es weg, dann ist man nie mehr derselbe. Die Stunden im Wartezimmer sind nicht wichtig. Das ist gar nichts! Man verlässt dieses Wartezimmer nämlich in Wahrheit niemals mehr. Man sitzt da, blättert durch Magazine, trinkt Kaffee, zählt Deckenpaneele, geht zur Uni, lebt sein Leben um die Zeit schneller vergehen zu lassen. Manchmal verlässt man das Wartezimmer kurz, um sich die Beine zu vertreten, trifft ein paar neue Menschen, … vergisst vielleicht sogar für einen Moment, sich schlecht … und betäubt zu fühlen. Aber zurück muss man doch, … und dann ist man wieder alleine …“

Sophie umarmt mich. Sie hält mich ganz fest.

„Du bist nicht allein“, flüstert sie, was mich erst recht zum Schluchzen bringt.

Ich habe vergessen, dass mich zehn Augenpaare anstarren, dass eine Kamera alles filmt.

„Egal was passiert, du bist nicht allein, Ferdi. Und Michi auch nicht.“

„Danke“, flüstere ich und versuche, zur Ruhe zu kommen.

Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und steckt mir ein Taschentuch zu.

Ich sehe betretene Gesichter und die Kamera, die auf mich gerichtet ist. Das ist mir peinlich. Ich wische mir übers Gesicht. Markus bedeutet dem Team, das Filmen erst mal zu beenden. Er legt mir die Hand auf die Schulter.

„Wer ist Michi?“

„Mein bester Freund.“

„Komm erst mal wieder runter, und dann überlegen wir uns zusammen, was wir draus machen, ja?“

„Draus machen?“, frage ich überrascht.

„Für die Sendung. Was du gerade abgeliefert hast, macht dich bei den Zuschauern unvergesslich. Wenn es erst zum Televoting kommt, wirst du davon total profitieren.“

„Ich soll Michi benutzen, um bei den Leuten gut anzukommen?“

„Kämst du damit klar?“

„Kann ich drüber nachdenken?“

„Geh dich erst mal frisch machen, wir machen solange ein paar andere Übungen. Das Kamerateam ist noch zwei Stunden da …“

„Okay …“

Schröder

Mir ist echt übel. Wären wir gerade nicht dabei, unsere Emotionen miteinander zu teilen, würde ich glatt ’ne Runde kotzen gehen. Klar, dass Ferdi ausflippt, wenn ihm so tolle Stichwörter geliefert werden. Na und? Ich hätte ihn nicht getröstet, selbst wenn ich gedurft hätte. Ich bin nämlich ein egoistischer Idiot … sagt Ferdi und der muss es wissen, ist schließlich auch einer.

Mal ehrlich, seit wir uns kennen, beschäftigen wir uns doch nur mit seinen Problemen. Andauernd hab ich versucht, ihm zu helfen. Mit seinem Bruder … in Berlin, als er nicht wusste, wohin … damit er überhaupt mal schlafen kann, erzähle ich ihm bekloppte Gutenachtgeschichten … und ich bin sogar damit einverstanden, unsere Knutschereien geheim zu halten. Und was ist der Dank? Er knallt mir Michis Horrorbild vor den Latz und ist beleidigt, weil ich mit dem ganzen Scheiß nicht sofort super zurechtkomme. Es interessiert ihn einfach null, wie es mir geht.

Logisch, mich hat das, was er gerade erzählt hat, auch traurig gemacht, aber noch viel trauriger finde ich, dass ich Ferdi überhaupt nicht wichtig bin. Außer vielleicht, wenn ich ihn küsse oder er mich als Einschlafhilfe braucht. Hat er mich ein einziges Mal gefragt, wie es sich anfühlt, in jemanden verliebt zu sein, der mit seinem Herzen meilenweit weg ist … in irgendeinem Krankenhaus oder in Erinnerungen an eine Zeit, als Michi noch selbstständig mit Messer und Gabel essen konnte? Der Unfall hat offenbar nicht bloß aus Michi einen Zombie gemacht.

„Schröder“, spricht mich der Fuzzi an, „was hast du bei Ferdis Geschichte empfunden?“

„Brechreiz“, entgegne ich wie aus der Pistole geschossen und ernte von den übrigen Kandidaten komische Blicke.

„Möchtest du uns das vielleicht erklären?“

„Nein, das möchte ich nicht.“

„Ich finde es toll, dass er so offen darüber gesprochen hat“, findet Irma, „und man hat total gemerkt, dass es das erste Mal war und er das Ganze in dem Moment echt gefühlt hat. Sicher hat ihm das auch geholfen.“

„Ja, bestimmt macht es ihm nicht mehr so viel aus, dass sein bester Freund quasi über Nacht schwachsinnig geworden ist, jetzt, wo er mal drüber geredet hat.“

„Was ist dein Problem, Schröder?“, zischt Sophie.

„Ich hab kein Problem.“

„Dann verhalte dich auch nicht wie ein Arschloch. Mir gefällt’s nicht, wie du über einen kranken Menschen sprichst. Ein bisschen mehr Respekt, okay?“

„Das ging nicht gegen einen kranken Menschen, sondern gegen die Ökotante, die meint, wir säßen hier in einer Gruppentherapie.“

„Sophie hat vollkommen Recht“, behauptet Irma schrill. „Du hast überhaupt keinen Respekt und trampelst lächelnd auf den Gefühlen anderer Leute herum.“ Dabei glotzt sie verstohlen zu Paolo rüber.

„Leute“, mischt sich der Fuzzi ein, „ich schlage vor, wir beruhigen uns jetzt mal wieder und machen mit der Songinterpretation weiter. Es reicht nämlich nicht, wenn ihr auf der Bühne einfach nur euer Liedchen singt. Ihr solltet schon auch verstehen, was ihr da singt und worum es geht. Wenn ihr es nicht schafft, Emotionen zu transportieren, nützt euch die beste Stimme nichts, weil das Publikum nicht auf euch anspringen wird. Irma und Paolo, fangen wir mit euch an.“

Ferdi kommt zurück, als Irma gerade behauptet, nicht zu verstehen, warum es dumm ist, „Ich liebe dich“ zu sagen.

„Weil es ein Risiko ist“, stöhne ich genervt. „Weil du nie weißt, wie derjenige drauf reagiert und du das bisschen, was du mit dieser Person hast, nicht durch etwas Dummes wie ’ich liebe dich’ kaputt machen willst. Aber in dem Lied geht es vielleicht auch darum, dass die Wörter irgendwie abgenutzt klingen, weil sie eben oft so bedeutungslos dahergesagt werden und deshalb nicht mehr richtig ausdrücken, was man fühlt, auch wenn man es in dem Augenblick ernst meint. Oder so ähnlich. Was weiß ich. Ist doch eure Aufgabe, den Song zu interpretieren.“

„Ich finde mich da überhaupt nicht wieder“, erklärt Irma blasiert.

„Wen wundert’s?“, raune ich Yoko zu. „Die ist wahrscheinlich nur darauf programmiert, ihre innere Mitte zu finden. Ihr Gehirn hat sie jedenfalls längst verloren.“

Yoko kichert hinter vorgehaltener Hand.

„Und ich kann mich auch nicht in irgend etwas hinein fühlen, wenn pausenlos gegiggelt wird“, behauptet die Eso-Schnepfe.

„Frag doch, ob du bei der nächsten Entscheidung ’Mein Freund der Baum’ singen darfst. In das Lied kannst du dich bestimmt total hinein fühlen“, rate ich ihr.

„Wenn du nichts konstruktives mehr beizusteuern hast, dann halt dich zurück, Schröder“, findet der Fuzzi.

Yoko und Sophie sind absolut sicher, dass ihr Song (Stay von Shakespear’s Sister) den Kampf zwischen Gut und Böse beschreibt. Genauer gesagt, den Kampf um eine Seele. Würde ja auch das Video dazu verdeutlichen. Also … die beiden nehmen die Sache hier auch sehr ernst. Die wissen sogar schon ungefähr, wie sie das auf der Bühne rüberbringen wollen. Ich glaub, die kommen weiter!

Ferdi und ich sind mit den übrigen Kandidaten am nächsten Workshopnachmittag dran. Ist wahrscheinlich ganz gut so, Ferdi sieht immer noch reichlich mitgenommen aus.

„Geht’s wieder?“, frage ich vorsichtig.

„Ich hab jetzt keine Zeit, ich muss noch was mit Markus besprechen.“

„Mit welchem Markus?“

Er starrt mich entgeistert an. „Markus Liebherr.“

„Müsste ich den kennen?“

„Der sitzt neben B! und Cosima in der Jury und du hattest den ganzen Nachmittag mit ihm zu tun. Sag mal, kriegst du eigentlich auch mal irgendwas mit?“, ranzt er mich an und lässt mich einfach stehen.

Als ich unser Zimmer betrete, kann ich gar nicht so schnell kucken, wie Sophie es verlässt.

„Wow, ich bin heute wohl so eine Art Arschloch vom Dienst.“

„Na ja“, entgegnet Yoko, „sie hat ja auch keine Ahnung was los ist. Wusstest du, dass Sophie mit Ferdis Freund Physiotherapie macht?“

„Nee, woher denn?“

„Deshalb ist sie angepisst. Weil sie ihn halt kennt und natürlich auch mitkriegt, wie Ferdi sich um ihn kümmert und unter der Situation leidet. Und wenn du dann so abfällig …“

„Noch mal, ich wollte mich keineswegs abfällig über Ferdis Freund äußern. Aber dir ist Irmas Gelaber doch auch auf den Sack gegangen, oder?“

„Ja, klar.“

„Außerdem ist Ferdi nicht der Einzige, der leidet. Natürlich kann ich mit meinen Problemchen nicht gegen seine Geschichte anstinken, aber … es tut trotzdem weh.“

„Du hast dich richtig doll verliebt“, stellt sie fest.

„Ich hab einfach Angst, mich auf eine aussichtslose Sache einzulassen. Und dass es keiner wissen darf, macht’s noch komplizierter.“

„Tja, da ist es mit so einem kleinen Paolo wahrscheinlich leichter.“

„Blöd nur, dass ich null auf ihn stehe. Ich wünschte wirklich, ich hätte mich niemals zu diesem bescheuerten Castingscheiß angemeldet.“

„Warum fliegst du dann nicht nach Hause und lässt jemanden nachrücken, der DSDMB ernst nimmt?“

Ferdi ist rein gekommen und hat offensichtlich meinen letzten Satz gehört.

„Äh … ich geh mal kucken, wann es Abendessen gibt“, murmelt Yoko und schiebt sich an Ferdi vorbei.

„Was würdest du denn ohne mich machen, hä? Wenn ich dir beim Casting nicht geholfen hätte, wärst du gar nicht hier.“

„Und wenn ich die Jury nicht bequatscht hätte, wärst du nicht hier“, entgegnet er lässig.

„Na und? Brauchst du mich etwa nicht, um wenigstens mal ein paar Stunden schlafen zu können?“

„Sind wir ein bisschen größenwahnsinnig? Der einzige Mensch, den ich brauche, ist Michi, sonst niemand. Daran wird sich nie etwas ändern.“

Das war deutlich genug. Für mich ist das Thema „Ferdi“ abgeschlossen. Endgültig!

„Schön, dass wir das jetzt geklärt haben.“

„Allerdings.“

Die nächsten Tage versuchen wir, uns aus dem Weg zu gehen, wann immer es irgendwie möglich ist. Die Songinterpretation bekommen wir einigermaßen hin und beim Üben müssen

wir uns halt tierisch zusammenreißen. Die negative Spannung zwischen uns ist natürlich nicht unbedingt förderlich, aber egal. Entweder reicht es für die Entscheidung oder eben nicht.

Ansonsten hängt Ferdi viel mit Sophie und Yoko rum und ich geselle mich gezwungenermaßen zu Paolo, der dadurch wahrscheinlich neue Hoffnung schöpft. Mann, mich kotzt alles so dermaßen an, dass ich echt schon wieder kurz davor bin, hinzuschmeißen.

Das Schlimme ist … ich vermisse Ferdi, obwohl wir uns täglich sehen.

Bei der letzten Probe vor der Entscheidungsshow läuft alles schief. Ich hatte irgendwann zwischendurch mal die Idee geäußert, die „Shes“ in dem Lied durch „Hes“ zu ersetzen, aber Markus, der Fuzzi, war dagegen. Erstens würde das angeblich zu schwul wirken und zweitens sei Elisa eindeutig ein Mädchenname, ob ich den dann auch noch schnell ändern wollte.

Na ja, und weil Tanzerei zu dem Song logischerweise gar nicht funktioniert, stehen wir jetzt die ganze Zeit über ziemlich blöde in der Gegend rum. Mit anderen Worten: jeder singt seinen Part und das war’s. Mehr passiert nicht. Mit einem Mädchen wäre es einfacher. Da könnte man sich anschmachten und in der zweiten Strophe eine Rose überreichen und so. Vielleicht sollte ich mir ein Kleid anziehen?! Aber dann wäre unsere Darbietung eine Lachnummer.

Jedenfalls steckt Ferdi vermutlich noch der Fuzzi-Spruch von wegen schwul in den Knochen, denn er versemmelt bei der Probe ein paar Töne und ärgert sich so sehr darüber, dass er verkrampft und wieder knödelig singt, was mich so rausbringt, dass ich wieder ins punkige Grölen verfalle.

„Du bist zu hoch“, erkläre ich gereizt. „Dein Part muss tief und düster klingen. Bist schließlich ein Mörder.“

„Und bei dir klingt es, als hätte die liebliche, unschuldige Elisa literweise Whiskey getrunken und danach mit Rasierklingen gegurgelt.“

„Entschuldige, dass ich mich nicht extra für den Auftritt einer Hodenoperation unterzogen habe, damit ich mich wie ein Mädchen anhöre. Die Zeit der Kastraten ist leider vorbei.“

„Kastriert wurden kleine Jungs, bei dir wäre der Zug eh schon abgefahren“, weiß der Fuzzi, „ansonsten gebe ich euch beiden Recht. Ferdi, ein wenig tiefer. Und Schröder … versuch einfach mal für drei Minuten zu vergessen, dass du Punk bist, ja? Etwas mehr Gefühl und weniger zum Pogen animieren wollen. Jungs, es ist nun mal so, bei dem Song müsst ihr allein durch euren Gesang überzeugen. Also konzentriert euch darauf, dann wird’s schon klappen. Stephano hat behauptet, ihr würdet bereits kleine Fortschritte machen … zeigt mal was davon.“

Ferdi

Ich weiß nicht, ob meine Entscheidung richtig war. Was wird Michis Mutter davon halten, dass ich unsere (zensierte) Geschichte im Fernsehen breittrete? Aber andererseits: Was hat sie schon zu sagen? Sein Onkel ist sein rechtlicher Betreuer und der weiß, dass Michi nichts dagegen hätte, das hab ich am Telefon auch schon mit ihm geklärt. Auf die Art kann Michi doch irgendwie noch an seinem großen Traum, so eine Castingshow zu gewinnen und sich als Sänger zu etablieren, teilhaben … Natürlich ist das nur Schönrederei, um einen Vorteil für mich rauszuschlagen aber … ich glaube, wenn die Dinge andersrum lägen, dann … dann würde Michi genau so handeln. Gott, ich vermisse ihn! Die kurzen Telefonate bei denen ich mir meistens nicht mal sicher bin, ob er mich erkennt, machen das eigentlich nur noch schlimmer. Aber um mein Gewissen zu beruhigen, rufe ich doch jeden Tag an. Und jede Nacht sitze ich auf dieser riesigen Couch und hoffe, dass Schröder kommt und mir erzählt, wie es dem kleinen Wassermann weiter ergeht. Ob er seine Laute inzwischen besser im Griff hat?

Aber Schröder kommt nicht, und ich kann’s ihm nicht verübeln. Wer spielt schon gern die zweite Geige? Und genau das würde ihm blühen, wenn er mit mir zusammen wäre. Daran kann ich nichts ändern. Mein Leben hat damals genau so aufgehört wie Michis Leben. Und was wir jetzt machen … dieses Dahinfristen … da darf einfach kein Dritter mit hineingezogen werden. Das könnte ich Schröder nicht antun, dafür hab ich ihn zu gern.

Aber im nächsten Moment klingt das in meinen Ohren wieder wie eine billige Ausrede, weil ich mich nicht traue, neu anzufangen. Weil ich keinen Weg sehe, wie ich das machen könnte, ohne Michi zu verraten. Ich schulde ihm meine Loyalität, denn wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre ER heute hier und würde einen Durchmarsch hinlegen, wie ihn noch keine deutsche Castingshow bisher erlebt hat. Er hat das hier verdient, nicht ich. Er hat dafür geschuftet, ich hab mich nur an seine Fersen geheftet. Schon im Kindergarten hab ich ihn ständig imitiert, und jetzt lebe ich sein Leben, weil er es nicht mehr leben kann. Ich profitiere davon, dass es ihm schlecht geht!

Diese Erkenntnis trifft mich, während ich in der Generalprobe mit Schröder singe und mich mal wieder wie Michi anhöre. Sofort versuche ich, meine Stimmklangfarbe zu verändern, woraufhin Schröder mich anmotzt, ich würde nicht genug mörderisch klingen oder sonstwas. Nur mit Mühe kann ich das Beben in meiner Stimme unterdrücken und klinge augenblicklich knödlig, das merke ich selbst. Ach Scheiße! Nach der Liebherr-Standpauke klappt es auch nicht wirklich besser. Ich bin einfach raus, weiß nicht, wen ich eigentlich verkörpere. Nick Cave? Michi?

„Du musst deinen Weg finden, diesen Song zu singen“, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

Stephano hat wohl schon eine Weile zugehört. Er sitzt in einer Ecke des Musikzimmers und rappelt sich, seinen Blick fest an mich geheftet, auf.

„Lasst uns allein“, fordert er Markus und Schröder auf.

Markus ist wohl nicht sonderlich begeistert von dem Befehlston, fügt sich aber. Schröder schließt lautstark die Tür.

Stephano stellt sich mir herausfordernd gegenüber.

„Warum singst du diesen Song nicht auf deine Art?“

„Weil ich nicht weiß, was meine Art ist.“

„Das glaube ich nicht. Ich glaube du hast Angst davor. Vielleicht ist Schröder auch nicht dein Traumduettpartner für so ein Lied …“

„Das ist es nicht“, erkläre ich schnell. Vielleicht zu schnell.

„Dann ist genau das dein Problem? Er ist dein Traumpartner für dieses Lied, aber du willst das nicht zeigen?“

Weil ich ihn irgendwie nicht anlügen kann oder will, sage ich gar nichts.

„Hör mir mal zu, Ferdi. Die Kunst ist, es wirken zu lassen, als würdest du es spielen, es aber in Wahrheit zu meinen.“

„Häh?“

„Niemand würde auf die Idee kommen, dass du was mit Schröder hast, nur weil es auf der Bühne so wirkt. Sei du selbst und jeder wird dich für einen grandiosen Schauspieler halten.“

„Und wenn der Schuss nach hinten losgeht?“

„Dann wird das Material eben so geschnitten, dass er NICHT nach hinten losgehen kann. Das hier ist eine Castingsendung und du bist ein Charakter darin. Und zwar kein schwuler Charakter, sondern ein Mädchenschwarm. Du bist also relativ sicher. Sei heute Abend einfach du selbst, dann wird es funktionieren. Vertrau mir, ich bin Profi“, zwinkert er … irgendwie mehrdeutig. „Und jetzt entspann dich noch ein paar Stunden. Der Song sitzt, du musstest nur noch deine Rolle finden. Hals- und Beinbruch.“

Schröder wartet vor der Tür und will wissen, ob wir noch weiter proben.

„Nein, das war’s. Nachher klappt alles, versprochen. Ich geh jetzt noch ein bisschen Schwimmen, dann mach ich Yoga und dann versuch ich zu schlafen. Ich bin echt ziemlich fertig …“

„Aber …“

„Vertrau mir.“

„Als du das das letzte Mal gesagt hast, durften wir kilometerweit durch die Gegend hecheln.“

Ich zwinkere ihm plötzlich überdreht zu und kann es kaum erwarten, in den kühlen Pool zu springen.

Kurz vor der Show, zu der eine kleine, bunt beleuchtete Bühne unter den Palmen im Garten aufgebaut worden ist, finden sich auch die anderen zwei Jurymitglieder ein. Natürlich werden die Vorbereitungen sofort unterbrochen und alle scharen sich um die Neuankömmlinge. Drei Kamerateams sind unterwegs und fangen Impressionen ein. Gut dass ich mir schon überlegt habe, was ich anziehe. Viel Auswahl hatte ich eigentlich nicht, denn irgendwie hab ich fast nur Kleidung von Michi im Koffer. Also ist es meine schwarze Jeans geworden und ein einfaches schwarzes Shirt. Ich weiß nicht, warum, aber ich hab Schröders Nietengürtel geklaut und umgelegt. Und meine Haare hab ich einfach mehr oder weniger so gelassen, wie sie nach dem Pool aussahen. So wie alle, renne ich mit einem DSDMB-Morgenmantel über den Klamotten rum. Für den Überraschungsmoment und damit beim Abpudern keine Spuren drauf zurückbleiben. Eines steht fest: wie Michi sehe ich jetzt definitiv nicht mehr aus. Aber bin das ich? Keine Ahnung.

Langsam kommt Hektik auf. Licht- und Soundeinstellungen werden überprüft, Haare zurechtgezupft, Textzettel panisch studiert … ich gehe ums Haus, pflücke eine der Papageienblumen, die hier scheinbar wild wachsen und verstecke sie in meinem Ärmel, um sie unauffällig irgendwo auf der Bühne zu platzieren, wo ich sie nachher hervorzaubern kann …

Schröder

Alle haben den Verstand verloren!

Alle laufen hier in Morgenmänteln herum!

Alle … außer mir!

Beim Abpudern kriegt man doch eh entweder ein Handtuch umgelegt oder es wird mit Kosmetiktüchern hantiert. Was will man mehr?!

Yoko sieht unglaublich spektakulär aus in ihrem Dämoninnen/Hexen-Outfit mit dramatisch-dunklem Make-up an den Augen. Ehrlich, wenn ich hetero wäre, würde ich sie spätestens nach dem Auftritt flachlegen! Sophie sieht aus wie ein Weihnachtsengel. Hübsch, aber … engelig langweilig eben. Ich stehe auf düster, was die Frage aufwirft, warum ich so verzweifelt auf Ferdi stehe. Vielleicht ist es eher sein kompliziertes Innenleben, das mich anspricht. Nee, Bullshit! Seine Visage ist zum Niederknien und sein Körper … okay, Schröder, krieg dich wieder ein, du willst nicht mit ’ner Erektion auf die Bühne gehen!!

Wo wir grad beim Thema sind … es ist eigentlich total unmöglich, sich hier irgendwo gescheit einen runterzuholen. Null Privatsphäre. Oh Gott, ich sollte nicht an so was denken. Ich muss gleich lieblich und unschuldig sein. Und ein Mädchen.

Ferdi wollte nach seiner Privatstunde mit Stephano übrigens nicht mehr weiter proben. Das macht mich jetzt ein wenig nervös. Was wenn er mir, um den Song gut rüberzubringen, gleich vor laufenden Kameras mit einem Stein den Schädel einschlägt?! Nachdem der mich SO angezwinkert hat, traue ich dem Fuchseder doch alles zu!

Los geht’s. Cristian und ein Mädchen mit Rihanna-Haarfrisur dürfen zuerst „Summer Wine“ singen. Wenn man dabei den Videoclip mit Ville Valo plus schnuckeliger Partnerin vor Augen hat, wirkt das hier … sehr eigentümlich. Aber singen tun sie nicht schlecht.

Danach kommen Kandidaten aus der anderen Gruppe. Einige sind gut, andere nicht. Paolo und Irma. No comment!

Showtime! Wir sind gleich dran. Ferdi wirbelt seinen Morgenmantel weg … ey, ist das etwa mein Gürtel? Glaube kaum, dass der so etwas in seinem Kleiderschrank liegen hat. Mh, hätte auch mal vorher fragen können, der Penner. Seine Hände sind leer und seine Klamotten nicht ausgebeult … aber er könnte den Stein für meinen Kopf natürlich auch vorher irgendwo auf der Bühne versteckt haben. Mann, sieht der geil aus, so gänzlich in Schwarz. Ihn würde ich tatsächlich jetzt sofort flachlegen wollen, und zwar mehrmals hintereinander …

Okay, ran ans Mikro. Fuck, die Musik setzt so plötzlich ein, dass ich beinahe meinen Einsatz verpasst hätte. Grad noch mal die Kurve gekriegt. Nicht grölen, Schröder! Gefühlvoll.

„For my name was Elisa Day“, hauche ich.

Ferdi singt mich fast ins Nirwana. Mir laufen Ameisenarmeen über die nackigen Arme. Und sein Blick ist echt … wild und … irre und … unbeschreiblich sexy.

„On the second day I brought her a flower“, räuspert er und hält mir wie aus dem Nichts auf einmal eine Blume hin, die ich reflexartig annehme und wahrscheinlich aus Versehen so kucke, als wollte ich ihn zum Dank küssen. Wir kommen uns ziemlich nah. Ach du Scheiße, das war’s. Morgen fliegen wir nach Hause! Gezwinkert hat er auch schon wieder.

Aber was der kann, kann ich schon lange. Ich fange bei meiner zweiten Strophe stark an zu schmachten. Und er schmachtet mindestens genauso zurück.

Nach ungefähr vier Minuten ist der Auftritt beendet.

„Ich hasse dich“, wispere ich ihm zu, als wir von der Bühne verschwinden und knalle ihm seine dämliche bunte Blume vor den Latz.

Sophie und Yoko sind die Letzten und eindeutig die Besten. Sogar die Jury klatscht spontan.

Die beiden müssen sich also keine Sorgen machen.

Wir anderen müssen warten bis die Jury sich beraten hat. Das dauert eine Weile, aber schließlich werden wir nach und nach auf die Bühne gerufen. Übrigens nicht in der Reihenfolge, in der wir gesungen haben.

Zwei Mädels, die’s nicht gebracht haben, sind schon mal weg vom Fenster. Cristian ist weiter, die falsche Rihanna … nicht.

„So, kommen wir zu unserem Engelchen“, lächelt B!, „und zur bösen Hexe. Der Song ist klasse, habt ihr total gut ausgesucht. Der Gesang war überirdisch, beziehungsweise unterirdisch, was aber in deinem Fall, Yoko, positiv gemeint ist. Die Performance war der Hammer. Großes Kompliment von mir.“

„Ja, ich bin ein bisschen sprachlos“, labert Cosima. „Ich hatte wirklich den Eindruck, ihr würdet um meine Seele kämpfen. Ganz toll gemacht.“

„Ich fand’s schweinegeil“, ist der knappe Kommentar vom Fuzzi.

„Ja, ja und nochmals ja“, verkündet B!.

Sophie und Yoko fallen sich jubelnd in die Arme.

Nur wenige Minuten später machen Paolo und Irma dasselbe, die sind nämlich auch weiter.

Ein DSDMB-Mitarbeiter schubst Ferdi und mich auf die Bühne. Mir ist kotzschlecht.

„Ferdi, Schröder“, beginnt B!, „ich muss sagen … es ist echt ein bisschen warm geworden bei eurem Auftritt“, lacht er sich kaputt.

Oh Mann, so abgeschmackte Schwulensprüche können auch nur von dem kommen. Da ist bei mir sofort Fremdschämen angesagt.

„Ich weiß ja, dass ihr bei den Proben große Schwierigkeiten mit dem Song hattet“, erklärt der Fuzzi, „davon war auf der Bühne aber überhaupt nichts mehr zu sehen oder zu hören.“

„Ich fand es geradezu süß“, lächelt Cosima.

B! nickt. „Ja, genau. Ich hab euch fast abgenommen, dass ihr verknallt seid. Und um so zu tun, als wäre man in Schröder verknallt, muss man wohl … echt was drauf haben als Schauspieler. Also, Ferdi, ich hoffe, du hast deinen Koffer schon gepackt.“

Äh … was?

Mein Duettpartner wird kreidebleich. Hauptsache, der kippt nicht aus den Latschen.

„Umso mehr kannst du dich nachher beim Auspacken darüber freuen, dass du hier bleibst“, grinst B! breit.

Fein, der Fuchseder atmet wieder!

„Danke“, japst er.

Danach ist es sekundenlang still. B! wird vom Fuzzi kurz angestoßen.

„Ach ja … Schröder“, murmelt er beiläufig, „kannst auch auspacken, du bleibst ebenfalls noch ’ne Runde.“

Ich freue mich wie Hulle … für die Kamera. In Gedanken trete ich mit meinen schweren Schuhen mehrfach in B!’s Fresse.

Das offizielle Ergebnis der ersten Entscheidung: drei Mädels und zwei Jungs sind raus und werden umgehend zum Flughafen gebracht! Tja, das geht hier ratzfatz.

Die übrigen Kandidaten feiern … es gibt sogar Alkohol, was mir persönlich total gelegen kommt. Ich will mich echt nur noch abschädeln und fange sogleich damit an.

Paolo latscht irgendwann zu mir rüber, setzt sich auf meinen Schoß und knutscht mich vor versammelter Mannschaft auf den Mund.

„Ist das nicht geil?“, strahlt er.

„Hab mich bei ’nem Kuss schon mehr amüsiert“, bemerke ich und schiebe ihn von mir runter.

„Ich krieg dich irgendwann“, droht er.

„In deinen Träumen, Kleiner.“

„Da hatte ich dich schon längst. Und es hat dir gefallen.“

„Wie schön für mich“, rülpse ich und stehe auf. „Ich muss mal kurz an die frische Luft. Allein!“

Ferdi ist nämlich rausgegangen und ich hab dringend ein paar Takte mit ihm zu reden, bevor ich ihm aufs Maul haue. Dafür, dass er mich aus der Fassung gebracht hat. Dafür, dass er meinen Gürtel geklaut hat. Dafür, dass er so wahnsinnig heiß ausgesehen hat. Dafür … dass er Michi liebt und nicht mich.

Er hockt hinter Sträuchern versteckt im Garten und stiert in die Ferne. Ah, bestimmt denkt er an seinen Freund, verzehrt sich grad nach ihm. Ich kippe meinen Cocktail runter, den Cristian für mich gemixt hat, und nehme neben dem Sehnsüchtigen Platz.

„Hey, willst du gar nicht feiern?“

„Ist mir zu viel Trubel da drin.“

„Mir auch.“

„Warum suchst du dir mit Paolo kein ruhiges Zimmer, wo ihr ungestört seid?“

„Weil … ich immer noch lieber mit dir ungestört wäre“, gebe ich zu.

„Du hasst mich“, nuschelt er ein bisschen bedröppelt. Und ein bisschen wütend.

„Hab ich wohl auch allen Grund zu.“

Sein Kopf schnellt nach oben und er hat wieder diesen wilden Ausdruck in den Augen. „Ich hab uns den Arsch gerettet, Schröder. So angewurzelt wie wir beim Proben dagestanden haben, wären wir nie weiter gekommen.“

„Eben. Dein ganzes Getue war bloß Show. Glückwunsch. Um so zu tun, als wär man in mich verknallt, muss man ein verdammt guter Schauspieler sein. Ehrlich, hättest einen Oscar verdient.“

Langsam schüttelt er den Kopf und rückt näher. Sehr viel näher. Sein Blick wird weich. „Nepomuk“, wispert er.

„Ja“, wispere ich zurück, bevor sich unsere Lippen treffen.

Oha, meine Eingeweide fahren Achterbahn. Mein gesamter Körper kribbelt. Ich bin so dermaßen in den blöden Kerl verschossen, dass es mich selber anekelt. Ferdis Kuss ist ungefähr fantastillionenmal schöner und aufregender als Paolos Emo-Geknutsche!

„Du schmeckst fruchtig, kleiner Wassermann“, stellt er fest und streicht mit dem Zeigefinger über meinen nackten Oberarm, „und … du hast ’ne Gänsehaut.“

„Ja, verflixt, und ’ne Latte hab ich jetzt auch“, zische ich, ohne nachzudenken. Großartig!

„Oh je“, lächelt er gemein, „da hab ich ja was angerichtet. Willst bestimmt, dass ich dir einen runterhole, oder?“

„Kannst du’s nicht noch ein bisschen dreckiger sagen?“

„Schröööööder“, krakeelt es durch den Garten.

Ey, der kleine Emo fehlt mir noch. Ich gebe Ferdi ein Zeichen, still zu sein und ziehe ihn weiter in das Blumengestrüpp. Damit er mich auch wirklich nicht verrät, küsse ich ihn einfach. Ferdi scheint das nicht zu stören, er hat seine Arme um mich gelegt, wuselt durch meine Haare und drückt sich an mich.

Die Schröder-Rufe verstummen, aber wir knutschen trotzdem weiter.

Ferdi

Irgendwie hab ich mir das anders vorgestellt. Schröder ist jetzt auch noch sauer wegen der Showsache, dabei dachte ich, dass er das voll toll finden würde. Und die Blume hat er mir ins Gesicht geschmissen. Diese Impulsivität ist so anders, als alles, was ich gewohnt bin. Aber anders ist jetzt gerade gut. Anders brauche ich jetzt. Anders wird mir mitten unterm Knutschen. Ich reiße mich gerade noch rechtzeitig von Schröder los, um in die Büsche und nicht in ihn zu kotzen.

„Waaaah!“, macht er.

„Wurgs“, mache ich und spucke die ganzen vier Cocktails wieder aus.

„Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du dir so die Kante gegeben hast“, faselt Schröder, während ich mit Reste hochwürgen beschäftigt bin.

„Ich trinke eigentlich nie …“

„Dafür knutscht du aber ganz schön oft besoffen mit mir …“

„Michi hat nie auch nur einen Tropfen getrunken …“

„Falsches Thema, Fuchseder.“

„Ich denke eben viel an ihn.“

„Willst du mir eigentlich absichtlich wehtun?“

„Ich will nur ehrlich sein …“

„Tu mir den Gefallen und lass es.“

„Schröder, ich hab dich echt gern. Du bist nicht das Problem. Ich bin das Problem.“

„Geht’s vielleicht noch klischeehafter?“

„Darf ich heute Nacht bitte mit dir schlafen?“

„Was?!“

„Ich würd dich echt gern ficken, Schröder. Ich glaub ich hab noch nie das Wort ficken gesagt. Ficken.“

„Bist du bescheuert?!“

„Nein, verknallt … und besoffen. Aber vor allem verknallt. In dich, weil du so anders bist.“

„Als Michi?“

„Als alle. Yoko und Sophie nehmen das Zimmer von den drei geflogenen Mädels, weißt du? Haben sie dir das noch nicht gesagt? Wir haben jetzt also ein Zimmer ganz für uns allein …“

„Fuchseder, wie ernst meinst du eigentlich den Müll, den du da laberst?“

„Ziemlich. Okay, hör zu: Ich weiß, du hattest es die letzten Tage nicht leicht mit mir. Und ich weiß, dass ich nicht grad ne gute Partie bin … aber ach verdammt, ich will einfach wissen wie’s ist, mit dir zu schlafen. Knutschen ist nämlich schon mal ziemlich toll. Und ich bin grad in der Stimmung, alles anders zu machen als bisher. Ich hab in meinem Leben erst mit drei Leuten geknutscht, Schröder! Mit Michi, dir und Sabrina Stegwart in der siebten Klasse beim Flaschendrehen. Ich meine, du bist doch der passive Part im Bett, oder?“

Er schaut mich an, als hätte ich jetzt einfach nur komplett den Verstand verloren. Um das zu überprüfen, lasse ich das Gespräch in meinem Kopf noch mal Revue passieren und … schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Tut mir leid. Ich bin einfach nur viel zu besoffen …Ich geh mir jetzt erst mal Zähne putzen, und dann … keine Ahnung … ich weiß nicht, ich bin nur gerade … ich will gerade zwanghaft nicht ich sein, versteht du?“

„Absolut nicht!“

„Ich auch nicht“, seufze ich und gehe.

Ich putze meine Zähne und lege mich auf Schröders Bett. Wie das riecht! Ich liebe es. Diese Spur von Maggi, etwas Leder und Tabak und irgendwas Süßem.

Die Sonne blendet mich, mein Schädel dröhnt.

„Na siehst du? Ein paar Cocktails und du schläfst wie ein Baby“, lästert Schröder.

„Nich so laut, bitte“, flüstere ich zurück.

„Einmal O-Saft und Obstsalat, bitteschön.“

„Ich glaub ich krieg jetzt nix runter …“

„Danach geht’s dir besser. Hör auf mich, glaube mir“, schielt er irgendwie komisch.

„Ich hab Kopfweh.“

„So ergeht es kleinen Schluckspechten halt.“

Ich schaue zum Fenster. Da, in einer Bierdose steckt … die Papageienblume! Schröder folgt meinem Blick und erklärt:

„Irgendwie hat mich das Teil an einen Kumpel zu Hause erinnert. Der hat die gleiche Frisur. Also konnt ich sie nicht einfach wegwerfen …“

„Verstehe“, grinse ich.

„Nimm nie wieder mein Zeug, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Sonst muss ich dich leider töten“, droht er und macht meinen … seinen Gürtel auf.

„Sorry …“

„Kannst ihn dir jederzeit wieder leihen. Steht dir verflucht gut.“

„Meinst du? Ich weiß nicht … ich fühl mich irgendwie verkleidet. Aber in Michis Zeug fühl ich mich auch verkleidet …“

„Mhm …“

„Sorry …“

„Schon okay. Is ja normal, dass du über deinen Freund reden willst. Du vermisst ihn bestimmt …“

„Ich vermiss ihn seit zehn Monaten … aber dich hab ich in den letzten Tagen auch vermisst.“

Er schaut mich ziemlich überrascht an. Dann lächelt er.

„Dito.“

„Tut mir leid …“

„Was tut dir leid?“

„Alles eben. Dass bei mir alles so kompliziert ist … und dass du in mich verknallt sein musst … und dass ich dir fast in den Mund gekotzt hätte …“

„Reden wir nicht mehr davon!“, schüttelt er sich. „Du musst übrigens bald in die Gänge kommen. Die Jury hat uns ins Wohnzimmer bestellt.“

„Hab ich noch Zeit zu duschen?“

„Wenn du das in ner viertel Stunde hinkriegst?“, grinst er.

„Wenn ich mich beeile … was ist denn daran so lustig?“

„Dir ist schon klar, dass kein normaler Mensch so ewig duscht wie du, oder?“, lacht er.

„Ich hab jetzt keine Zeit für Hygienefatischisten-Diskussionen“, lache ich zurück.

Nicht nur die komplette Jury, sondern auch die drei Coaches erwarten uns bereits im Wohnzimmer.

„Guten Morgen, Schröder. Wie immer der Letzte, was?“, grinst B! süffisant.

„War meine Schuld“, gebe ich zu.

„Wie auch immer. Heute wird ein Scheiß-Tag, ihr Lieben. Corinne und Frankie haben einiges mit euch vor. Ich möchte nicht mit euch tauschen, das sag ich euch. Und wehe ich hör Klagen“, labert er weiter.

Wunderbar, und das mit meinem Kater. Da hab ich mir ja einen tollen Zeitpunkt für Ausflüge in den Alkoholismus ausgesucht …

„Aber!“, unterbricht B! das verhaltene Gemurmel. „Ein paar von euch springen dem Sensenmann noch mal von der Schippe. Weil während eure Kollegen leiden, dürfen sechs von euch die Füße hochlegen und sich hübsch machen lassen. Nicht so hübsch wie ich, aber hexen können unsere Stylisten ja auch nicht, nich wahr?“, lacht er sich über seinen eigenen Scherz kaputt. „Und wer das halbe Dutzend glücklicher Jungs und Mädels ist, die rundumerneuert werden, verraten euch jetzt die andern.“

Frankie, der Tanzcoach, fängt an.

„Irma, ich finde, dein Stil könnte etwas zeitgemäßer werden. Deshalb hab ich dich ausgesucht.“

Irmas wässrige Augen treten aus ihren Höhlen hervor.

„Ich lass niemanden an meine Haare!“

„Klar nicht. Da fände man vermutlich noch n paar neue Lausarten drin, so wie bei Marley“, tuschelt Schröder mir zu.

„Wer im Glashaus sitzt, mein Lieber“, tuschle ich zurück und zupfe an einer der komischen Würste die sich mit den sonst so weichen Haaren vermischen.

Er knurrt mich ein bisschen an, sonst hat er dem aber nichts zu entgegnen.

„Tja, Irma. Du kannst auch gern nach Hause fahren“, erklärt Cosima irgendwie feindselig. Daraufhin ist Mutter Erde plötzlich sehr still.

Die Sklaventreiberin Corinne lässt ihren Blick gefährlich durch die Menge wandern.

„Yoko. Es muss doch eine Frisur geben, die dein Gesicht schlanker aussehen lässt als es ist.“

„Bitsssch“, niest Schröder und fängt sich dafür einen gutmütig-drohenden Blick von Markus ein.

„Ich glaube, wer gerne Veränderung in seinem Leben hätte“, überlegt Stephano, „ist Ferdi. Oder?“

Ich nicke. Anders aussehen ist der erste Schritt zum anders sein.

„Dankeschön.“

„Seht ihr, der Junge hat Manieren“, findet B! und wirft Yoko und Irma einen herablassenden Blick zu.

Ich komme mir ein bisschen vor wie früher in der Schule, wenn ein Lehrer mal wieder fand, die anderen sollten mehr wie Michi und ich sein. Das hat uns nicht gerade viele Freunde eingebracht …

Markus ist mit auswählen dran und entscheidet sich für eine unscheinbare Kandidatin, die mir bisher noch nicht mal aufgefallen war. Cosima fragt:

„Sophie, haste Lust? Ich komm ja mit und berat euch und so. Und ich hab ein paar Ideen, was man mit deinen schönen langen Haaren anstellen könnte. Na?“

Sophie scheint sich echt zu freuen. Und mal ehrlich, sie trägt echt immer nur Pferdeschwanz … aus ihr könnte man sicher mehr machen. B! grinst irgendwie ziemlich fies in unsere Richtung.

„Tja Schröder. Die Matte muss ab. Und wenn du dich beschwerst, fliegste. Also tu mir den Gefallen und reiß dein großes Maul auf.“

Genau das hat der gerade vor. Ich dreh mich zu ihm um und flüstere:

„Nepomuk, denk dran, wir haben hier jetzt ein eigenes Zimmer, hm?“

Mit der Zunge stoße ich kurz gegen die Innenseite meiner Wange, so wie er das mal gemacht hat. Er lacht auf.

„Ich find auch, dass es mal wieder Zeit ist für ’ne neue Farbe“, grinst er zähnefletschend.

„Können wir den letzten Teil noch mal für die Sendung machen?“, fragt der Kameramann.

B! räuspert sich:

„Schröder! Ich möchte dich gern mit anderer Frisur sehen. Man muss ja wandelbar sein, nicht wahr?“

„Danke, den Rest schneiden wir zusammen.“

Wir werden auch sofort zusammen mit Cosima in einen Kleinbus verfrachtet und fahren noch mal über die uns schon bekannte Brücke an den Strand. Yoko und Schröder tuscheln miteinander über Irma, die sich von Cosima gerade bequatschen lässt, dass Neues doch nicht immer schlecht ist. Sophie erzählt, dass sie vorhin auf Michis Station angerufen hat, und dass er zum ersten Mal eine ganze Portion Brei ohne Hilfe aufgelöffelt hat.

„Da wäre ich gern dabei gewesen!“, strahle ich.

„Sein Onkel war da. Er lässt dich schön grüßen. Und weißt du was? Er hatte Michis Bruder dabei.“

„Was? Wie das?“

„Keine Ahnung, hat alle überrascht.“

„Aber seine Mutter …?“

„Die war nicht dabei. Aber der Kleine soll echt süß mit Michi umgegangen sein. Hat ihm vorgelesen und so.“

„Naja, immerhin … hätte ich Martin gar nicht zugetraut.“

„Was ist mit dem kleinen Schluckspecht?“, fragt Schröder von der anderen Seite.

„Er hat seinen Bruder besucht.“

„Ich dachte du bist sein Bruder?“, fragt er verwirrt.

„Nee, Michi.“

Er scheint die Ereignisse am Hauptbahnhof noch mal zu rekapitulieren.

„Ach stimmt. Daher hast du der Tante von der Bahnhofsmission auch erzählt, du würdest Michael Kolber heißen.“

„Gut kombiniert, Schrö-lock.“

„Danke, Fuchson.“

Unsere Knie berühren sich kurz wie zufällig und ich will sofort mehr, was aber natürlich in einem vollbesetzten Kleinbus nicht geht …

Nach kaum zehn Minuten Fahrt die Küstenstraße entlang, vorbei an endlosen Surf- und Souvenirshops, biegen wir in eine Querstraße ein und parken in einem Hinterhof. Cosima führt uns wieder nach vorne, zur frisch gestrichenen Front mit Blick auf den Strand.

„Willkommen in Rudis Beach-BARber-Shop. Haarschnitte mit Drinks inklusive. Und natürlich hab ich die Stylisten meines Vertrauens einfliegen lassen.“

Gespannt treten wir durch die etwas marode wirkende Glas-Holztür und finden einen kleinen, schon recht vollen Salon vor.

Schröder

Mir schwant Unheil! Drinks finde ich zwar gut, aber wenn der Fuchseder einen (und ich betone EINEN) über den Durst getrunken hat, wird der total ausfallend. Das geht aber hier schon mal nicht. Die Chef-Stylistin, der Cosima ihr Vertrauen schenkt, ist in Wahrheit die Tochter von Pippi Langstrumpf und Dr. Mabuse … sie trägt lustige Zöpfe und hat einen irren Blick.

„Ich hab’s mir anders überlegt“, erkläre ich.

„Und ich mir erst“, nickt Yoko heftig.

„Soll die Tante für euch den Kinderstuhl holen und euch mit Bilderbüchern ablenken?“, lacht Cosima.

„War nicht gerade von Drinks die Rede? Die würden’s auch tun.“

„Habt ihr nicht gestern schon gefeiert?“

Na ja, einen Begrüßungscocktail bekommen wir dann aber doch. Ferdi entscheidet sich zum Glück für die alkoholfreie Variante. Danach stellt Pippi Mabuse uns ihr Team vor, was nicht zu meiner Entspannung beiträgt. Ich bin echt empfindlich, was meine Haare betrifft.

„Hi, ich bin Nico“, behauptet ein dürres Factory-Girl, „und wie’s aussieht, darf ich dich ein bisschen verändern.“

„Kannst du einen vernünftigen Iro schneiden?“, frage ich hoffnungsvoll, während sie mich auf einen altmodischen Friseurstuhl drückt.

„Klaro. Werde ich aber nicht tun“, zwinkert sie. „Du hast so schöne Haare, da machen wir was ganz Tolles draus.“

„Bitte keine Warhol-Frisur, okay?“

„Lass dich überraschen.“

„Nee, echt. Das machen meine Nerven nicht mit. Sag mir lieber, was du planst.“

„Hey, vertrau mir!“

Ich schiele kurz zum Fuchseder rüber, der nicht die Spur angespannt wirkt. Logisch nicht. Der bekommt sicher nur die Spitzen geschnitten, weil er eigentlich schon perfekt aussieht.

Nico wirft ein weißes Laken über den Spiegel, wegen des Überraschungseffekts, wie sie erläutert, und wühlt danach in meinen Haaren rum.

„Also die sumpfigen Strähnen gehen absolut nicht. Haste selber gemacht, was?“

„Die müssen bleiben, auf jeden Fall. Du wirst das nicht verstehen, aber … die sind sozusagen lebenswichtig.“

„Wow, okay. Aber etwas ordentlicher gefärbt dürfen sie dann schon sein, ja?“

„Meinetwegen.“

„Gut, jetzt halt die Klappe und lass mich arbeiten.“

Ich mache heimlich mein Testament und versuche, mich irgendwie abzulenken. Dass ich dazu ausgerechnet an gestern Abend denke, ist ungünstig. Weil mir böse Ideen durch den Kopf spuken. Weil ich glaube, dass der Fuchseder so ziemlich alles macht, wenn er besoffen ist. Oh Mann, was für eine kleine versaute Vorstellung. Nein, Quatsch! Ich will, dass er bei klarem Verstand ist, wenn wir ficken. Haha … das war so süß, als er „Ficken“ gesagt hat. Wenn man den kleinen Schleicher lässt, kann der bestimmt noch ganz andere schmutzige Dinge sagen. Ich werde das zu gegebener Zeit mal überprüfen. Jetzt, wo wir ein Zimmer für uns alleine haben, kommt der mir nämlich nicht mehr so schnell davon.

Während die Farbe auf meinem Schädel einwirkt, bekucke ich mir meine Leidensgenossen.

Irma beschwert sich über die Chemie auf ihrem Kopf. Sie würde immer nur mit Henna färben.

Wenn die wüsste, dass sich ihre Haarlänge bereits SEHR dramatisch reduziert hat, würde sie vermutlich Amok laufen!

Sophie kriegt, so weit ich das erkennen kann, einen fransigen Stufenschnitt, der Fuchseder verschiedenfarbige Strähnchen.

„Du, Schröder“, piepst Yoko neben mir. „Sehe ich schon sehr schlimm aus?“

„Bis jetzt noch nicht, Meereskind“, beruhige ich sie.

Ferdi ist als Erster fertig. Der Schnitt hat sich nicht so wahnsinnig verändert. Aber mit den hellen und dunklen Strähnen sieht’s halt wirklich besser aus. Das Styling ist ebenfalls von Vorteil, weil’s ordentlich unordentlich wirkt. Er scheint jedenfalls zufrieden zu sein.

Sophie findet sich auch nicht mehr so langweilig wie vorher.

Yoko … wurde in eine asiatische Zwanzigerjahre-Schönheit verwandelt. Kurzer Bob, glatt, mit seitlichem Scheitel und Fransen, die bis über die Augenbraue gehen. Außerdem leuchten ihre dunklen Haare ein bisschen violett.

„Gewöhnungsbedürftig, aber cool“, findet sie. „Macht auch mein dickes Gesicht schmaler, oder?“

Als das Laken von meinem Spiegel genommen wird, kriege ich fast einen Infarkt. Nico hat aus mir eine Art Paolo gemacht. Ich habe eine gottverdammte Emo-Frisur!! Wie soll ich DAS bitte meinen Freunden erklären, wenn ich wieder zu Hause bin? Die grünen Strähnen sind schön ordentlich. Ich könnte mich von oben bis unten bekotzen. Mein Pony hängt über dem linken Auge bis zur Nasenspitze und alles ist irgendwie fransig. Ich kann fransig an mir nicht ausstehen.

„Mit ’nem bisschen Gel und Haarlack kannst du’s total wild verwuscheln und bist wieder punkig“, flüstert Nico mir ins Ohr.

„Krieg ich bitte noch einen Begrüßungscocktail?“, japse ich völlig fertig.

„Ich dachte, es würde dir gefallen“, entgegnet sie beleidigt.

„Ja, passt schon.“

„AHHHHHHH … wo sind meine Haare?“, kreischt Irma.

Ihr tuckiger Coiffeur hebt ein paar Stripsel vom Boden auf. „Hier, Schätzchen. Soll ich sie dir einpacken?“

Das muntert mich sofort auf!

Zurück in der Villa sind wir natürlich Gesprächsthema Numero Uno.

„Schröder“, kreischt Paolo und befummelt meinen beknackten Emo-Schopf, „das ist ja geil.“

„Krieg dich wieder ein.“

„Na bitte … es geht doch“, nickt der Fuzzi zufrieden. „Yoko, beide Daumen nach oben. Leute, ihr seht alle top aus. Schöne Grüße von B!, der musste weg und freut sich auf die nächste Entscheidung mit super umgestylten Kandidaten. Und die frohe Botschaft des heutigen Tages … ihr habt bis morgen frei!“

Irma verschwindet in ihr Zimmer und veranstaltet wahrscheinlich eine Trauerfeier für ihre verschiedenen Haare. Ein paar Leute beschließen, zum Strand zu gehen, andere wollen was auch immer. Paolo rückt mir nicht von der Pelle und Ferdi glotzt eifersüchtig drein.

„Schröder, Ferdi … kommt ihr mit?“

„Auf jeden Fall, Meereskind. Egal wohin.“

„Ich hab immer noch Kopfweh“, antwortet Ferdi.

Na ja, wenn ich jetzt plötzlich auch nicht mehr mitgehen will … kommt das irgendwie komisch rüber, also verbringe ich den Nachmittag mit Sophie, Yoko, Cristian und einer kleinen Pestbeule am Strand.

Cristian ist echt nett, stelle ich fest, und im normalen Leben Barkeeper. Außerdem hat er in Deutschland seine Freundin und eine dreijährige Tochter, die er beide wahnsinnig vermisst.

Paolo ist tatsächlich grad erst sechzehn geworden (vor knapp vier Monaten) und wie er über seine Familie spricht, total behütet aufgewachsen. Ich denke an meine Familie und halte lieber die Klappe.

Abends sitzen einige von uns noch im Wohnzimmer und diskutieren darüber, wer welchen Song in der nächsten Entscheidungsshow wohl zu singen hat, wer rausfliegen könnte und wer vielleicht in die Band kommt. Ich höre nur gelegentlich hin, weil ich eher überlege, ob Ferdi nachher, wenn wir allein sind, noch weiß, was er gestern alles vom Stapel gelassen hat. Und ob er im nüchternen Zustand bringt, was er im besoffenen Kopf so dringend wollte. Wahrscheinlich nicht. Ich meine, Alkohol enthemmt und Ferdi ist ohne ein totaler Klemmi, der gestern zum ersten Mal „Ficken“ gesagt hat. Meine Güte, wie ist das denn bei Michi und ihm abgelaufen? Sicher schon mal immer nur im Bett. Und im Dunkeln. Und ohne dabei zu reden. Oder die haben sich bloß zuckersüßes Zeug ins Ohr geflüstert. Letzteres ist ja nicht generell bescheuert, aber … wenn ich geil bin, dann will ich’s halt auch geil haben!

Als Yoko und Sophie eine gute Nacht wünschen, beschließen Ferdi und ich ebenfalls schlafen zu gehen. Endlich!

Kaum hat er die Tür zugemacht, ziehe ich ihn an mich und küsse ihn auf den Mund.

„Waahhhh … langsam, kleiner Wassermann“, lächelt er und windet sich aus meiner Umarmung.

Ich ziehe es kurz in Erwägung, die angefangene Flasche Wodka, die noch im Wohnzimmer rumsteht, zu holen, um Ferdi gefügig zu machen. Aber das Risiko, dass er mich ankotzt, anstatt mir an die Wäsche zu gehen, ist einfach zu hoch.

„Sag mal, Fuchseder, musste dich dein Stecher eigentlich auch erst besoffen machen, um dich mal flachlegen zu können?“

„Du bist so ein Arschloch“, zischt er.

„Tut mir leid. Hey, es ist nur, weil … ich bin halt gefrustet, kannst du das nicht verstehen?“

„Nein“, antwortet er finster.

„Weißt du, das Rumknutschen mit dir und dass ich dich praktisch ständig vor der Nase hab und kaum … Privatsphäre … ich meine, keine Ahnung, wie es dir geht, aber …“ Mann, ich kann ihm einfach nicht sagen, dass ich mit ihm schlafen will. Oder überhaupt ein bisschen mehr als nur Küssen. Ich kann’s einfach nicht. Das ist doch lächerlich. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit derjenige, der immer Alkohol oder ’ne lustige Pille braucht, um jemanden ficken zu können. Wenn ich ehrlich bin, war ich dabei eigentlich noch nie vollkommen nüchtern.

Und wenn ich noch ehrlicher bin, hat mich der Gedanke, gevögelt zu werden, noch sie so dermaßen gereizt. Verdammt, wie soll ich denn bloß anstellen, dass er … mich …

Schweigend ziehen wir uns aus und zu meiner großen Überraschung legt Ferdi sich nicht in sein eigenes Bett, sondern in meins.

„Erzähl mir, wie es mit dem kleinen Wassermann weiter geht“, bittet er leise.

„Heute nicht.“

„Schade.“ Er schlägt die Decke zurück und hat wohl vor zu gehen, aber ich halte ihn fest.

„Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht bei mir haben will.“

Ich glaube, wir sind beide ziemlich nervös. Sein Herz rast ein bisschen als wir anfangen uns zu küssen. Meins auch.

„Weißt du noch, was du gestern gesagt hast?“

„Äh … nicht so ganz genau“, gibt er zu.

„Dass du alles anders haben willst als bisher. Ich hab da grad auch irgendwie Lust zu.“

„Hm“, macht er ein wenig verwirrt.

„Ich bin eigentlich nicht passiv … aber bei dir mache ich eine Ausnahme …“

Also wenn er jetzt nicht kapiert, was ich möchte, werd ich echt irre. Irgendwas MUSS jetzt einfach passieren!

Ferdi

„Ich finde deine Haare echt hübsch, irgendwie.“

„Häh? Ja danke“, stammelt Schröder.

„Das Grün musste bleiben, hm, kleiner Wass …“

„Fuchseder, laber nicht rum.“

„Tut mir leid, ich bin nur …“

„Nervös? Dann sind wir schon zwei.“

„Ich hab das noch nicht so oft gemacht …“, gebe ich zu.

„Kein Ding, dann blas ich dir eben erst mal einen“, erklärt er und taucht ab.

Ziemlich … irritierend, dass er auch im Bett so viel redet, irgendwie. Allerdings irritiert mich das nicht lange, denn … so viel könnte ich gar nicht trinken, dass ich so wenig nachdenke, wie in den nächsten Minuten. Er hat nicht übertrieben: Mit seiner Technik treibt er mich tatsächlich augenblicklich an den Rand des Wahnsinns. Und dann … dann geht er einfach weg! Ich liege auf dem Bett und bin sogar zu elektrisiert um zu widersprechen und sehe ihm dabei zu, wie er sich neben dem Bett auszieht und aus seiner Schublade Gummis und Gleitmittel holt.

„Himbeergeschmack“, faselt er glaub ich.

Davon will ich aber gar nichts wissen, ich will jetzt einfach nur, dass er sich auf mich setzt und ich ihn ganz fest an mich ziehen kann und dann will ich mich mit ihm über das Bett wälzen und an ihm rumgreifen und streicheln und küssen und dabei in ihm sein und eins werden und ich fühle ihn und höre ihn und sehe ihn und ficke ihn. Das Wort bekommt für mich eine ganz neue Bedeutung und kommen bekommt für mich eine ganz neue Bedeutung. Und Nepomuk … bekommt für mich eine ganz neue Bedeutung. Die Haare, die in sein Gesicht hängen. Das Muttermal an seinem Hals, das ich küsse. Das Heben und Senken seines Brustkorbes. Das Pochen seines Herzens. Das Leben in ihm. Schröder ist am Leben. Er ist gesund und stark und mutig und unabhängig und in mich verliebt. Er hat seine Arme um mich geschlungen, reibt seine Wange an meinem Kopf, atmet, seufzt, lebt.

Ich will ganz dringend in seine Augen schauen, ziehe sein Gesicht zu mir herunter. Sieht er glücklich aus? Zufrieden? Entspannt? Ängstlich? Verstört? Angeekelt? Ich versuche, ihn das mit einem Blick zu fragen. Er lächelt. Aber Lächeln kann man vortäuschen. Er atmet immer noch so schnell. Ist er nervös? Ist das Muttermal an seinem Hals nicht etwas lila? Was wenn das Krebs ist? Was wenn er einen angeborenen Herzfehler hat und wegen der Aufregung stirbt? Was wenn …

„Ferdi? Alles klar?“

„Du bist doch gesund, oder?“

„Fragt man das nicht, bevor man mit jemandem schläft? Aber hey, wir hatten ja das hier“, grinst er und zieht das Kondom von mir runter.

Er scheint das lustig zu finden.

„Kannst du bitte antworten“, zische ich.

„Ja, klar bin ich gesund, soweit ich weiß“, erklärt er fast eingeschüchtert.

„Fühlst du dich wohl? Hab ich dir weh getan oder so?“

„Ferdi, komm mal wieder runter. Alles cool.“

„Sicher? Hat es dir nichts ausgemacht?“

„Was is’n das für eine Frage? Ich hab dich doch quasi angefleht, mich zu ficken … und langsam wirst du mir unheimlich.“

„Soll ich lieber …?“

Ich lege mich vorsichtshalber neben ihn. Sofort steht er auf.

„Wo gehst du hin?“, frage ich leicht panisch.

„Ich schmeiß bloß das hier weg“, wedelt er mit dem zugeknoteten Gummi. „Und dann hol ich mir noch was zu trinken. Willst du auch was?“

„Ich geh schon. Bleib du hier, okay?“

„Äh … okay. Wasser, bitte …“

„Bin gleich wieder da“, verspreche ich, gebe ihm einen flüchtigen Kuss, ziehe meine Jeans an und husche über den Flur.

Im Wohnzimmer ist alles dunkel, genau wie in der Küche. Dabei belasse ich es, taste mich zum Kühlschrank und nehme eine große Flasche Evian heraus. Michi hat das immer getrunken. Auch in dieser Nacht im Januar. Die Flasche stand neben dem Bett, ich erinnere mich noch genau. Wir hatten sie extra von ihm zu Hause mit zu mir genommen. Immer wieder hat er nervöse kleine Schlucke draus getrunken. Und immer wieder hab ich ihm die Flasche aus der Hand genommen und sie wieder auf den Boden gestellt, hab ihn geküsst, versucht, ihn durch Streicheln zu beruhigen. Als wir nackt waren, hat er sie wieder genommen, genippt, sich an ihr festgehalten … und wieder hab ich ihn mit sanfter Gewalt davon losgerissen, hab ihn in die Kissen gedrückt, mich auf ihn gelegt … Als er sich später rausgeschlichen hat, hat er sie nicht mitgenommen.

„Ferdi?“ Ich schrecke hoch. „Warum sitzt du denn hier am Boden?“, will Schröder wissen.

Und Schröder will mir die Flasche wegnehmen, aber ich halte sie ganz fest. Er lässt von ihr ab. Das hätte ich damals auch tun sollen. Von ihm ablassen.

„Ferdi? Was ist mit dir?“

Schröder hört sich ängstlich an. Ihm geht’s nicht gut. Ich hab’s doch gewusst.

„Sag mir bitte ehrlich, ob es dir gut geht.“

„Mir geht’s scheiße, was denkst du denn? Du machst mir echt Angst. Kannst du mir bitte sagen, was los ist?“

„Er hat die Flasche nicht mitgenommen.“

„Wer?“

„Michi.“

„Welche Flasche?“

Ich zeige auf das Evian. Schröders Blick ändert sich, wird irgendwie … als hätte er gerade eine Erkenntnis gewonnen.

„Hast du Pillen oder sowas, die du regelmäßig nehmen musst?“, fragt er für mich völlig unvermittelt, deshalb schüttle ich nur verwirrt den Kopf und kann irgendwie nicht fassen, dass Schröder nicht kapiert, was es bedeutet, dass Michi die Flasche nicht mitgenommen hat.

„Wenn er die Flasche nicht mitgenommen hat, dann … ich meine, er wäre normalerweise nie ohne Flasche losgefahren, Schröder!“

„Okay … und was bedeutet das dann?“

„Das bedeutet … das bedeutet, dass Michi keinen Unfall hatte. Er hat versucht, sich umzubringen.“

„Was?! Okay, jetzt mal langsam, Ferdi. Gehen wir erst mal ins Zimmer zurück, ja? Und dann erzählst du mir, wie du auf sowas kommst.“

„Er hat die Flasche nicht mitgenommen, Schröder! Michi hat immer was zu trinken bei sich gehabt. Wenn er vorgehabt hätte, nach Hause zu fahren, dann hätte er die Flasche mitgenommen. Aber so dachte er … er bräuchte sie nicht mehr.“

„Aber komm schon … warum hätte Michi sowas tun sollen?“

„Wegen mir. Ich bin schuld, Schröder. Ich hab das schon die ganze Zeit gewusst, irgendwie. Aber jetzt, jetzt weiß ich es wirklich. Ich hab ihn in den Selbstmord getrieben und ich bin schuld, dass er jetzt für immer ein Pflegefall ist. Nur weil ich … dir geht’s doch gut, oder? Ich hab doch nichts getan, was du nicht wolltest, oder Schröder?“

„Nein, verdammt, jetzt hör doch mal auf, dir um mich Sorgen zu machen! Was redest du da, von wegen du bist schuld?“

„Ich hab mir geschworen, das nie wieder zu tun. Und dann hab ich’s doch wieder getan. Schröder, dir darf nichts passieren, okay? Versprich mir das.“

„Langsam schieb ich hier echt Panik, Fuchseder. Kannst du mir jetzt bitte sagen, was mir passieren sollte?“

„Du könntest sterben, oder schlimmer … so wie Michi.“

„Und warum sollte ich das tun?“

„Weil ich mit dir geschlafen habe.“

Schröder stiert mich völlig verständnislos an, bis sich ein kurzer Moment der Erkenntnis in seinen Gesichtszügen widerspiegelt.

Schröder

Das ist alles viel zu heftig … ich kann grad gar nicht mit so einer Scheiße umgehen. Ferdi ist total im Arsch, weil er anscheinend glaubt, er hätte seinen Freund in den versuchten Selbstmord getrieben. Und zwar, weil er es mit ihm getrieben hat. Oder er denkt, er könnte mit seinem Schwanz töten. Was weiß ich. Es ist echt schwierig, seinem wirren Gefasel zu folgen. Das Schlimme ist … er erinnert mich total an meine Mutter, die war nämlich auch ein bisschen so drauf, wenn sie ihre Pillen nicht genommen hatte … und wenn doch, war’s auch nicht viel besser.

Ungeschickt nehme ich Ferdi in den Arm, aber er schubst mich weg und zieht mich zwei Sekunden später panisch an sich.

„Tut mir leid“, brabbelt er.

Ich sag’s ja … wie meine Mutter! Die Flasche bohrt sich unangenehm in meinen Brustkorb.

„Fuchseder … ich krieg keine Luft.“

Sein Griff lockert sich. „Entschuldige bitte. Ich … es tut …“

„Halt mal eine Minute den Rand, ja? Und stell endlich die verdammte Flasche weg. Du machst mich auch schon total psychotisch“, unterbreche ich ihn und weiß dann irgendwie nicht, was ich sagen oder tun soll. „Lass uns ins Bett gehen.“

„Nein“, kreischt er.

„Hinlegen, einfach nur hinlegen und … reden.“

Unterwegs nehme ich doch noch den Wodka mit. So für alle Fälle.

Das zerwühlte Bett bringt augenblicklich die Erinnerung an eben zurück. Das war halt alles viel zu gut. Logisch, dass danach die Katastrophe kommen muss. Das Drama. Ich wollte es zwar anders haben als sonst, aber doch nicht SO anders, verflucht noch mal! Ferdi ist übergeschnappt und ich muss mich schon wieder mit Michi befassen, dem ich langsam echt die Pest an den Hals wünsche … auch wenn er eh schon gestraft genug ist.

„Es war falsch“, kriegt der Fuchseder sich immer noch nicht wieder ein.

„Ach ja?“, frage ich, inzwischen etwas genervt, lege mich neben ihn, decke uns halb zu und genehmige mir einen großzügigen Schluck Wodka. „Was denn genau?“

„Wieso brauchst du das ausgerechnet jetzt?“

„Ich sauf halt gern. Kennst mich doch. Es hat jedenfalls nichts mit dem zu tun, was zwischen uns gelaufen ist … falls du das gedacht haben solltest.“

An seinem Blick sehe ich deutlich, dass er’s tatsächlich dachte, oder noch denkt. Also lasse ich den Wodka Wodka sein und schmiege mich lieber an den Ferdi.

„Ich hab … ihn total gedrängt“, sagt er nach einer Weile in die Stille.

„Michi?“, frage ich überflüssigerweise. „Selbst wenn das stimmt, was er danach getan hat, dafür bist du nicht verantwortlich. Wenn es tatsächlich Absicht war, das mit dem Unfall, dann war es seine Entscheidung. Er hätte dir auch einfach in die Eier treten können.“

Ferdi starrt mich an als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Mann, ich weiß doch auch nicht, was ich sagen soll, damit’s ihm besser geht. Und ganz ehrlich, ich hab’s satt über einen Typen zu reden, den ich nicht kenne, besonders wenn ich mit einem Typen im Bett liege, den … ich echt gern hab.

Ja, ich kann mir wahrscheinlich nicht wirklich vorstellen, wie er sich fühlt, aber ich glaube … ich glaube, er WILL sich nicht mal vorstellen, wie es mir geht. Klar, er hat mich das ungefähr hundertmal gefragt, allerdings bloß aus irgendeiner völlig irrationalen Angst heraus, dass sich Erlebtes wiederholen könnte oder würde. Keine Ahnung, bin ich vielleicht ’n scheiß Psychologe?! Warum sagt er mir nicht einfach, dass er’s geil fand, mich zu ficken, dass er am liebsten für immer in mir geblieben wäre … das, was man eben danach sagt, wenn es einem etwas bedeutet hat?!

Die Nacht war nicht besonders erholsam. Ich hab schlecht geschlafen und Ferdi bestimmt überhaupt nicht. Er liegt da, die Arme hintern Kopf verschränkt, und starrt an die Decke.

„Wie spät ist es?“, flüstere ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.

„Früh. Wir haben noch über eine Stunde, bis wir aufstehen müssen.“

„Ey, Fuchseder, ich erfrier hier grad.“

Als er die Decke etwas höher zieht und um mich wickelt, lache ich beinahe los.

„Mir ist nicht kalt, Blödmann, ich will umarmt werden.“

„Oh …“ Er breitet seine Arme aus, damit ich mich bequem ankuscheln kann.

Vielleicht … also vielleicht sollte ich ihm einfach zeigen, dass ich nicht wie Michi bin.

Bloßes Reden dringt ja eher kaum zu ihm durch. Meine Hand gleitet über seinen Bauch, zwischen seine Beine.

„Schröder, was tust du da?“, fragt er skeptisch.

„Ich hol dir einen runter“, grinse ich.

„Aber doch nicht jetzt.“

„Äh … klar, jetzt. Du hast nicht eine Sekunde geschlafen und wer weiß, was uns heute erwartet, du brauchst also ganz, ganz dringend etwas … Entspannung.“

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