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DSDMB

Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Ferdi

Ich wollte anders … und jetzt habe ich anders. Wo Michi sich zu viele Gedanken gemacht hat, macht Schröder sich zu wenige. Und in meinem Kopf rast alles dahin, weil ich eigentlich selbst nicht so genau nachvollziehen kann, was heute Nacht eigentlich passiert ist. Also außer den Sex-Teil. Das kann ich alles noch immer sehr gut nachvollziehen, was sehr hilfreich ist für Schröders momentanes Vorhaben.

„Na also, jetzt hast du gefälligst entspannt zu sein“, grinst er.

„Was wohl heute so ansteht?“

„Ist doch egal, das werden wir dann schon sehen. Sowas wie Mitspracherecht gibt’s hier ja eh nicht.“

„Aber ich würd mich halt gern drauf einstellen können …“

Er lacht mich aus. Sehr nett.

„Ich geh dann mal duschen“, knurre ich.

Das hätte ich mir auch sparen können, denn gleich nach dem Frühstück steht mal wieder ein Dauerlauf an und im Anschluss daran noch Tanztraining und zwar Jury-Entscheidungsrelevantes, denn Cosima ist anwesend und beäugt alle der Reihe nach kritisch, lobt Yoko, nörgelt an Irma rum und lacht Schröder sogar aus. Allerdings auf eine sympathische Art, wie ich finde. Er weniger. Etwas rüde fordert er sie auf, es doch besser zu machen … was sie prompt tut, so als hätte sie nur drauf gewartet, ihr Können vorführen zu dürfen. Tja, da guckt der Nepomuk dumm aus der Wäsche.

Um zwölf ist Schluss mit körperlicher Betätigung. Das ist auch gut so, denn langsam merke ich die schlaflosen Nächte … Sophie hält mir eine Flasche Evian hin.

„Du trinkst zu wenig.“

Verstohlen schiele ich zu Schröder, der seinerseits sofort den Blick abwendet. Toll. Ich gehe mich kurz duschen, die meisten anderen halten das wohl nicht für nötig und so mieft es am Esstisch ziemlich stark. Sophie und ich entscheiden uns spontan unseren Salat draußen im Schatten einer Palme einzunehmen.

„Willst du meine Shrimps?“, fragt sie und schiebt sie gleichzeitig auf meinen Teller.

„Nur wenn du mein Ei nimmst.“

„Sehr gern. Übrigens find ich deine Haare echt viel besser so.“

„Ja? Ich seh gar nicht so viel Unterschied. Im Gegensatz zu deiner Verwandlung zumindest.“

„Ich hab Leon gestern schon Handyfotos geschickt. Er findet’s auch toll.“

„Der Mann hat halt Geschmack.“

„Apropos Geschmack … ist’s okay, wenn wir über Michi reden?“

Ich bekomme zwar sofort Gänsehaut, weil ich an letzte Nacht denken muss … und an das neue Indiz, die Flasche … Die Wahrheit werde ich wohl nie erfahren, aber alles zusammengenommen, gibt es eigentlich ein recht klares Bild. Michi wollte nicht mehr leben …

„Michi wollte nicht mehr immer nur den langweiligen Brei. Er hat seinem Bruder dann zu verstehen gegeben, dass er gerne Pudding hätte.“

„Wirklich? Ich hab ihn noch nie Pudding essen sehen. Das war ihm viel zu zuckrig.“

„Na ja, jetzt achtet er wohl nicht mehr so auf seine Linie“, vermutet Sophie.

„Ja … wer hat dir das eigentlich erzählt?“

„Eine Kollegin. Angelika.“

„Ah ja, die.“

„Sie vermutet übrigens auch, dass Michi dich vermisst. Er scheint oft unruhig zu sein und gestikuliert rum und sie wusste nie, was er wollte. Bis sie ihm dann das Foto von dir hingelegt hat. Da hat er dann drauf gezeigt …“

„Ja, ich vermiss ihn auch …“

„Du Ferdi, darf ich dich was fragen?“

„Hm?“

„Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?“

Sie fragt das total nebensächlich, aber … es ist alles andere als nebensächlich gemeint.

„Was meinst du mit zusammen?“, frage ich blöde.

„Achso, verstehe. Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten oder so …“

„Bist du nicht“, lüge ich.

„Ist jedenfalls wirklich … inspirierend, wie du dich um ihn kümmerst …“

„Ja, das höre ich oft …“

„Sorry … also, ehm … findest du die Tomaten nicht auch irgendwie zu sauer?“

Ich schnaufe:

„Unser erster Kuss ist ungefähr acht Jahre her. Ich schätze, das kann man als Anfang unserer Beziehung bezeichnen, auch wenn wir davor schon befreundet waren …“

„Ernsthaft? Krass! Ich meine … wie alt warst du da? Zwölf?“

„Fast dreizehn …“

„Und ihr habt nie … was mit anderen gehabt oder so, zwischendurch?“

Ich schüttle den Kopf.

„Und warum haltet ihr das geheim?“

„Weil Michi das so wollte …“

„Okay … danke dass du’s mir anvertraut hast.“

„Darf ich dich jetzt auch was fragen, Sophie?“

„Klar“, nickt sie.

„Glaubst du, dass Michi irgendwann vielleicht wieder ein halbwegs normales Leben mit mir führen kann … vielleicht in zehn Jahren oder so?“

„Ferdi … komm schon …“, weicht sie aus.

„Sei ehrlich, ja?“

„Nein, das glaub ich nicht. Und das glauben auch die Ärzte nicht. Das weißt du doch.“

„Ich musste es nur irgendwie noch mal hören … ich meine … was erwartet man jetzt von mir? Dass ich trotzdem ewig treu warte oder so?“

Sie zuckt hilflos die Schultern.

„Weißt du … es gibt da jemanden …“

„Einen Kerl?“, fragt sie überrascht. „Wann hattest du denn Zeit, den aufzugabeln? Du verbringst doch jede freie Minute bei Michi.“

Ich zucke die Schultern und frage: „Ist das Untreue? Ich meine … wenn ich es Michi erklären könnte, dann würde ich das tun. Aber ich könnte ihm vermutlich nicht mal verständlich machen, was Fremdgehen eigentlich ist …“

„Beziehungen können nur Erwachsene miteinander führen. Ich meine, es ist juristisch sogar echt fragwürdig, ob du mit Michi überhaupt schlafen dürftest, wenn er es hinkriegen würde. Und auch geistig, ich meine … du kannst doch keine Beziehung mit jemandem führen, dessen Wortschatz kaum mehr als fünfzig Wörter umfasst!“

„Also ist es okay, wenn ich mich wieder verliebe?“

„Gott, Ferdi! Natürlich ist das okay!“

„Ich war mir nicht sicher …“

Sie stellt ihren Teller weg und umarmt mich.

„Wenn du drüber reden willst … ich hör gern zu …“

„Danke. Vielleicht komm ich drauf zurück.“

Noch so etwas, das jetzt anders ist. Früher habe ich alles mit mir selbst ausgemacht … jetzt schütte ich einer fast Fremden mein Herz aus.

Im Gesangscoaching teilt Stephano uns mit, dass wir alle für die nächste Entscheidung in einer Woche Disney-Songs einstudieren müssen. Für Vorschläge ist er offen, aber Englisch muss es sein, nicht Deutsch. Ob im Duett oder alleine, kommt auf den Song an. Ich glaube, ich kenne nur einen einzigen Disney-Song, und das ist das Lied von Balu. Nein, das taugt eher nicht für DSDMB …

Ein Kamerateam treibt sich auch wieder rum, filmt die Proben, hält einen Streit zwischen ein paar Kandidatinnen fest, mit denen ich bisher noch nicht das Vergnügen hatte und kommt auch recht unvermittelt auf Sophie und mich zu.

„Na ihr beiden?“

„Äh … hallo …“, lächle ich müde.

„Anstrengend?“

„Und wie. Aber macht auch alles sehr viel Spaß.“

„Klar, vor allem, mit so netten Leuten“, findet Sophie.

„So, wie nett denn?“, grinst der Mikroträger.

„Nicht so wie du denkst!“, winkt Sophie ab, aber der Mikroträger lässt nicht so schnell locker:

„Also ich hab mich hier ja etwas umgehört und ihr wurdet schon oft zusammen gesehen. Na, läuft da was?“

Endlich raffe ich, worauf der die ganze Zeit hinaus will. Sophie kreischt:

„Quaaatsch! Ich hab zu Hause in Deutschland einen ganz tollen Freund.“

„Soso, na wir bleiben dran. Oh, da hinten sehe ich was Interessantes. Anette und Karina tun es schon wieder! Zickenalarm!“

Und damit zieht das Team ab. Sophie schaut mich fassungslos an.

„Die spinnen ja wohl!“

„Ach na ja, die suchen halt die große Story, ist ja ihr Job …“

„Aber wenn Leon das sieht! Der dreht durch. Sowas kann er gar nicht ab …“

„Ach komm schon, wenn du’s ihm erklärst …“

„Ja, hoffentlich muss ich‘s ihm einfach nicht erklären.“

„Na ja … wir scheinen hier ja fertig zu sein. Lust auf Pool?“

„Nee, ich schau lieber mal, was Yoko und Schröder treiben.“

Und schon flüchtet sie. Große Klasse. Das hat dieser Mikro-Heini ja prima hinbekommen …

Schröder

Disney-Songs… mir bleibt doch wirklich gar nichts erspart!

Also Bambi ist ’n toller Film, aber die Lieder gehen natürlich gar nicht. Wobei die im Original etwas erträglicher sind. Dschungelbuch… zu abgedroschen. Mary Poppins hab ich als sehr kleines Kind geliebt…supercalifragilisticexpialidocious… zu riskant. Okay, ich werde einfach singen, was man mir sagt. Damit hat’s der Fuchseder bis hierher geschafft. Also.

Wenn übrigens dieses beschissene, verfickte, beknackte Tanzen nicht wäre, dann wäre es hier eigentlich total auszuhalten. Ich… hasse… einstudierte Schritte zu irgendeinem dämlichen Lied. Cosima, die blöde Sau, hat mich ausgelacht. Ist das zu fassen? Okay, wenn ich mich gesehen hätte… ich hab mich gesehen, hängen ja überall Spiegel im Tanzraum… also der Anblick hat ungefähr das ausgelöst, was die schlimmsten Knallkoppkandidaten der bekannten Casting-Shows in einem auslösen: Grauen! Man will nicht hingucken, aber weggucken geht auch nicht. Die Faszination des Schrecklichen. Das ist Schröder beim Tanzen!

Wieso kriegt der kleine Paolo das eigentlich so gut hin? Der ist bestimmt heimlich Michael Jackson und Justin Timberdings-Fan und das Emo-Styling ist bloß Tarnung, weil’s momentan so hip ist.

„Hey, Schröder“, lächelt Yoko und reicht mir netterweise ein Glas Fruchtsaft, um das ich sie nicht gebeten hatte.

„Ich hab mit Ferdi geschlafen“, platzt es aus mir heraus.

„Okaaaay? Und warum meinst du, dass mich das etwas angeht?“

„Keine Ahnung. Vielleicht weil ich mit ihm nicht darüber reden kann.“

„Äh…?“

„Blöder, komplizierter Scheiß. Auf beiden Seiten.“

„Ich kann dir da leider auch nicht helfen. Ich meine, du kannst mir natürlich erzählen, wie es war und so.“

„Ums mal wie Markus auszudrücken… ich fand’s schweinegeil. Aber irgendwie… wir sind halt nie allein.“

„Wieso? Sophie und ich sind doch ausgezogen.“

„Ich meine, ich hab das Gefühl, dass Michi immer dabei ist. Das nervt. Und noch mehr nervt, dass ich kaum dazu komme mal zu überlegen was ich eigentlich fühle, verstehst du? Weil sich alles nur um Ferdis Befindlichkeit dreht. Ich kenne so was nicht. Auch, dass ich dich so vollsülze, ist völlig neu für mich. Sorry.“

„Schröder, du kannst sülzen so viel du willst.“

„Vorsicht“, ruft Sophie, die grad auftaucht, „die Kameramänner unterstellen jedem ein Verhältnis.“

„Hä?“

„Ich hab angeblich was mit Ferdi.“

„Ach du Schreck“, tut Yoko entsetzt, „weiß Leon das schon?“

„Haha.“

„Ich finde, wir wären ein cooles Paar“, grinse ich und schmiege meinen Kopf an Yokos Schulter.

„Ja, ich mag deine neue Frisur“, kichert sie und verwuschelt meine Haare ein bisschen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

„Ihr macht euch wohl überhaupt keine Gedanken, was irgendwann mal von euch im Fernsehen gezeigt wird, oder?“

„Solange ich nicht beim Laufen gefilmt werde“, sagt Yoko, „nö.“

„Solange ich nicht beim Tanzen gefilmt werde“, sage ich, „nö.“

„Ihr passt wirklich gut zusammen“, findet Sophie. „Schade, dass du schwul bist, Schröder.“

„Mensch, nicht so laut, wenn das die Kameras mitkriegen“, rege ich mich auf.

Sophie schnüffelt an meinem Glas. „Du hast dir heimlich einen gezwitschert, was?“

„Klasse Idee. Wo treibt sich eigentlich der Fuchseder rum?“, will ich wissen.

„Pool oder so.“

„Klar, der alte Wasserfetischist. Wenn er nicht grad duscht, hopst er im Pool rum“, lache ich und versuche, das Bild vom nackten Ferdi mit unzähligen Wassertropfen auf der Haut aus meinem Schädel zu kriegen.

„Musst du dich andauernd über ihn lustig machen?“, antwortet Sophie, wobei ihr Ton ziemlich scharf wird.

„Was’n mit dir los?“

„Ferdi hat’s momentan schwer genug, auch ohne deine blöden Späße auf seine Kosten.“

„Er hat den blöden Spaß auf seine Kosten ja nicht mal gehört. Und wer sagt dir, dass es andere hier nicht schwer haben? Cristian beispielsweise hängt durch, weil er seine Freundin vermisst. Und seine Tochter.“

„Und Irma hängt durch, weil sie ihre Haare vermisst“, prustet Yoko.

Jetzt muss Sophie auch lachen. „Du bist eindeutig zu oft mit dem da zusammen, Meereskind.“

Weil heute ein ziemlich anstrengender Tag gewesen ist, gehen alle Kandidaten ziemlich früh in ihre Zimmer.

Ich kann es kaum aushalten, mit Ferdi allein zu sein, weil… ich so irre scharf auf ihn bin und mir aber gleichzeitig dieses ungeheure Verliebtsein Angst macht. Und dass er mit seinem Handy rumspielt als ich reinkomme und sich sehr wahrscheinlich Fotos von Michi anguckt, macht’s auch nicht besser.

„He, Fuchseder.“

Er zuckt zusammen, als hätte ich ihn bei etwas Fiesem erwischt, legt das Handy weg und strahlt mich an. „He, Nepomuk.“

Verstohlen schiele ich nach dem Wodka. Die Flasche steht neben meinem Bett und sieht nicht leerer aus als gestern.

„Ich bin nicht betrunken, sondern freue mich nur, dich zu sehen“, erklärt er augenverdrehend.

„Aha“, antworte ich skeptisch, ziehe meine Schuhe aus und knalle mich aufs Bett. Hach, verlockender Alkohol. Vielleicht ein kleines Schlückchen, damit ich nicht drüber nachdenken muss, dass ich mit Sicherheit nächste Woche nach Hause fliegen darf, weil die Tanzerei nicht klappt. Die fucking Choreo fließt ja in die Entscheidung mit ein.

„Alles in Ordnung?“

HAHA…das fragt der Richtige!

„Eigentlich nicht.“

„Wenn es wegen gestern ist…“

„Fuchseder, es dreht sich nicht immer alles nur um dich. Überraschuuuuung!“, lächele ich horrorartig.

Er ist sofort verletzt. Na und? Bin ich ja wohl auch.

„Was ist denn los?“

„Nichts, worüber ich jetzt reden will.“

„Saufen ist natürlich besser, mh?“, entgegnet er und nimmt mir die Flasche quasi vom Mund weg.

„Bist du bescheuert?“, brülle ich ihn an. „Arschloch.“

„Wenn du so schreist, spreche ich nicht mit dir.“

„Sehr gut. Du gehst mir eh total auf den Sack.“

Hallo?? Was hab ich denn für schlechtes Zeug geraucht?

„Soll ich mit jemandem das Zimmer tauschen, damit ich dir weniger auf den Sack gehe? Mit Paolo vielleicht?“

„Nein, Idiot. Die kleine Pestbeule pisst mich noch viel mehr an, verdammte Scheiße.“

„Okay, wenn du dann alle Schimpfwörter und Kraftausdrücke durch hast, können wir möglicherweise schlafen, ja?“

„Das wird eine kurze Nacht. Ich kenne eine Menge Schimpfwörter und Kraftausdrücke.“

„Ich hege nicht den geringsten Zweifel.“

„Ferdi?“

„Was?“

„Kannst… du bitte mal herkommen?“

Einen Moment zögert er, dann lässt er sich neben mir aufs Bett fallen.

„Tust du mir einen Gefallen?“

„Weiß nicht… was denn?“

„Würdest du mir in den Arsch treten, wenn ich so bin wie gerade?!“

„Gilt das auch rückwirkend? Dann müsstest du mal kurz aufstehen.“

„Nee, ab jetzt. Darf ich dich küssen?“

„Seit wann fragst du, ob du mich küssen darfst?“, grinst er und… küsst mich.

„Und zur Strafe, weil ich vorhin so garstig war, muss ich jetzt den kleinen Wassermann weiter erzählen“, behaupte ich als wir ausgezogen unter der Decke liegen.

„Au ja“, seufzt Ferdi und kuschelt sich gemütlich an mich. „Die Zauberlaute. Der kleine Wassermann…“

„Übte, bis ihm die Finger weh taten, aber der Prinz kam nicht. Dafür allerdings Gottlieb Jericho Paulus. Offensichtlich gehörte Geduld nicht zu den Stärken der Hexe, deshalb hatte sie ihn nochmals zum kleinen Wassermann geschickt. Er verriet ihm den Trick mit der schnarrenden Saite, die nur ein einziges Mal an einer bestimmten Stelle der Melodie ganz vorsichtig gezupft werden musste. Der kleine Wassermann versuchte es und stellte fest, dass er gar keinen Unterschied hörte. Sofort wollte er sich bei Gottlieb Jericho Paulus beschweren, aber der war längst verschwunden. Kurz darauf klopfte jemand an die Kammertür.

Herein, rief der kleine Wassermann und traute seinen Augen nicht. Sein Prinz betrat mit unsicheren Schritten die Kammer.

Ich darf normalerweise nicht zu den Dienstboten gehen, sagte der Prinz, aber ich habe diese bezaubernde Melodie gehört… hast du sie gespielt?

Der kleine Wassermann nickte verlegen. Er konnte sich nicht erklären, wie der Klang der Laute bis in die Gemächer des Prinzen hatten dringen können. Und der Prinz konnte sich nicht erklären, wie er dem Jungen aus seinen Träumen auf einmal gegenüberstehen konnte. Es war ihm nicht geheuer.

Was tust du hier im Schloss, fragte er.

Kartoffelschälen und manchmal Gänserupfen, antwortete der kleine Wassermann.

Der Prinz setzte sich neben ihn, nahm seine Hände und sah, dass sie rau und geschunden waren.

Ich möchte, dass du zukünftig für mich spielst, sagte der Prinz. Ich möchte, dass du bei meiner Hochzeit diese schöne Melodie spielst, in einer Woche werde ich heiraten, die Prinzessin des Glitzerglitzergebirges.

Schöne Scheiße, fluchte der klei…“

„Ach, komm, Schröder“, protestiert Ferdi, „der kleine Wassermann ist vielleicht geknickt, aber er flucht sicher nicht ’schöne Scheiße’.“

„Meinetwegen. Der kleine Wassermann fühlte sich belogen und betrogen. Hatte ihm das Zaubermännlein nicht versprochen, der Prinz würde alles tun, was der kleine Wassermann wollte?! Niemals wieder würde er einem Zaubermännlein Glauben schenken, so viel war sicher. Tapfer nickte er, weil der Prinz sich gar so sehr freute. Immerhin brauchte er von nun an keine Kartoffeln mehr zu schälen, sondern durfte jeden Tag für eine Stunde mit seiner Laute dem Prinzen zur Zerstreuung dienen. Und nicht nur das. Der Prinz sorgte dafür, dass sein Musikant ein behaglicheres Zimmer bekam und ließ ihn sogar neu einkleiden.

Dann war es soweit. Der Tag der Vermählung war da. Alle Gäste hatten sich in der Schlosskapelle versammelt, der Pfarrer stand bereit. Der Prinz wartete auf seine Braut und den kleinen Wassermann hatte man seitlich des Altars platziert. Die Prinzessin des Glitzerglitzergebirges schritt anmutig durch den Mittelgang. Kleine Mädchen in hübschen Kleidchen streuten Rosenblätter und kleine Jungs in feschen Anzügen hielten die lange Schleppe des Brautkleids.

Auf das Zeichen des Prinzen begann der kleine Wassermann die vermeintliche Zaubermelodie zu spielen. Und ganz plötzlich hatte der Prinz keine Augen mehr für seine schöne Braut, sondern nur noch für den schönen Lautespieler. Ihm wurde warm und kribblig und dann noch wärmer und heiß und in seinen Ohren sirrte es und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Prinzessin, die inzwischen neben ihm stand, lächelte lieblich. Der Prinz schielte zum kleinen Wassermann.

Wir haben uns heute hier versammelt, um diesen Mann und diese Frau… der Prinz hörte nicht mehr zu. Es gab bloß noch die Melodie in seinem Kopf. Und als er gefragt wurde, ob er die Prinzessin zur Frau nehmen, sie lieben und ehren wolle, da sagte der Prinz…

Nein!

Ein Raunen ging durch die Reihen. Der König war erbost, die Königin schluchzte laut auf. Die Glitzerglitzerprinzessin stand da wie versteinert. Als der Prinz bemerkte, was er getan hatte, stürmte er auf den kleinen Wassermann zu, griff nach seiner Hand und lief mit ihm aus der Kirche.

Tief unten auf dem Meeresgrund schaute der König aller Meere in seinen Brunnen und sah, wie sein Sohn Hand in Hand mit dem Prinzen aus einer Kirche lief, direkt zum Strand. Schwester, herrschte er, was hast du angerichtet?

Die Wasserhexe zuckte die Schultern. Er ist verliebt, was kann man dagegen tun?!

Dieser sterbliche Prinz wird ihm das Herz brechen, genau wie einst ein…

Jaja, unterbrach ihn die Wasserhexe, ich weiß, was mit deiner Tochter geschehen ist. Deshalb habe ich deinem Sohn geholfen.

Du bringst das wieder in Ordnung, befahl der Meereskönig.

Am Strand ruhten sich der Prinz und der kleine Wassermann erstmal aus. Beide konnten sie noch nicht so gänzlich begreifen, was da eben geschehen war. Der Prinz spürte allerdings eine unglaubliche Sehnsucht, den hübschen Lautespieler zu küssen…“

„Das kann ich so gut verstehen“, wispert Ferdi und nuckelt ein bisschen an meinem Hals.

„Ey, wie soll ich wohl morgen erklären, von wem ich den Knutschfleck habe, den du grad herstellst?“

Ferdis Nuckeln stoppt.

„Natürlich traute sich der Prinz nicht.

Wer bist du, fragte er stattdessen.

Das darf ich dir nicht sagen, entgegnete der kleine Wassermann.

Warum nicht, wollte der Prinz wissen.

Weil ich dann sterben muss, war die Antwort.

Der Prinz verstand nicht die Bohne, aber er erzählte dem kleinen Wassermann von seinen seltsamen Träumen. Von dem Jungen, der auf einem Felsen gesessen und ihn angelächelt hatte und den er seither nicht vergessen konnte. Der kleine Wassermann strich seinem Prinzen zärtlich durch die Haare und auf einmal hatte sich der Prinz überhaupt nicht mehr im Griff. Er küsste den kleinen Wassermann auf den Mund.

Der kleine Wassermann schlang seine Arme um den Prinzen, drückte ihn ganz fest an sich und wollte ihn am liebsten nie wieder loslassen. Sehr lange küssten sie sich, aber als der Prinz den kleinen Wassermann ausziehen wollte, wehrte der seine Hände galant ab. Immerhin war es hell draußen, die Sonne schien und jeder hätte die beiden sehen können.

Die Wasserhexe fuhr zweigleisig. Selbstverständlich hatte sie vor dem Meereskönig gekuscht und versprochen, dafür zu sorgen, dass der Prinz zu seiner Braut und der kleine Wassermann ins Meer zurückkehren würde. Andererseits half sie den beiden, in dem sie Kontakt zu Clemens aufnahm, der bekanntermaßen täglich die Sonne ausknipste, damit es Abend und Nacht werden konnte. Und tatsächlich gelang es der Wasserhexe, ihn dazu zu bringen, eine Ausnahme zu machen.

Es wurde dunkel am Strand. Zahllose Sterne funkelten am Himmel und der Mond glitzerte silbrig, als der Prinz und der kleine Wassermann schließlich zum ersten Mal miteinander schliefen.

Als der kleine Wassermann jedoch am nächsten Morgen erwachte, war er allein. Vom Prinzen fehlte jede Spur. Fortsetzung folgt…“

„Du kannst doch jetzt nicht aufhören“, schmollt Ferdi.

„Ich bin müde. Außerdem haben wir ja noch ein paar Nächte, bis ich rausfliege.“

„Du fliegst nicht raus.“

„Hast du mich heute tanzen gesehen?“

Ferdi giggelt unterdrückt. „Ja, hab ich. Trotzdem, das Tanzen ist nur ein Teil der Entscheidung.“

„Wie auch immer… ich muss jetzt dringend pennen.“

„Nacht, kleiner Wassermann“, flüstert er und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

Ferdi

Ich weiß leider viel zu gut, wie sich der kleine Wassermann am nächsten Morgen fühlt. Nach einem ersten Mal allein aufzuwachen, ist echt schlimm. Das Schlimmste, was ich bis dahin erlebt hatte, glaube ich. Natürlich ist es danach noch viel schlimmer geworden. Aber wenn ich jetzt an die Nacht zurückdenke, dann kann ich überhaupt nicht einschlafen. Also denke ich lieber an Schröder und daran, wie es sein wird, morgen früh neben ihm aufzuwachen. Da fällt mir ein! Ich habe heute gar nicht mit Michi telefoniert! Verdammt. Jetzt ist es in Deutschland mitten in der Nacht. Das hab ich ja toll hingekriegt …

Am nächsten Morgen erfahren wir, dass die Disney-Songs bitte auch schauspielerisch umgesetzt werden sollen, also so musicalmäßig. Einige (vor allem Schröder) finden das ganz schrecklich. Ich stell es mir eigentlich ganz witzig vor …

Irma hat sich schon für ein Animismus-Lied aus Pocahontas entschieden. Das passt wie die Faust aufs Auge. Im Übrigen bekommen wir die Songs dann doch irgendwie zugeteilt. Und zwar von ein paar Amerikanern, die uns als Gesangs- und Tanzlehrer von Disney vorgestellt werden. Warum die so viel mitzureden haben, weiß keiner so genau, aber irgendwas liegt da in der Luft. Die vier Herrschaften hören und schauen sich nämlich jeden Einzelnen der fünfunddreißig Kandidaten an und ich komm mir ein bisschen so vor, als wäre ich zurück im Casting. Erst als das durch ist, und sich alle Coaches eine halbe Stunde zur Beratung zurückgezogen haben, kommen Stephano und Frankie alleine zurück und überreichen jedem bedeutungsschwanger (und sehr kameratauglich) ein Couvert.

Auf meinem steht „Lion King: Circle of Life“ und die Lyrics und Noten sind auch schon dabei. Aha. Ich glaub, ich hab den Film als Kind gesehen. Aber an den Song speziell …

„Cooooool!“, findet Sophie, nachdem sie mir den Zettel aus der Hand gerissen hat. „Ich hab auch was aus König der Löwen. Ich will jetzt gleich König sein!“, trällert sie.

„Ich kenn das gar nicht so …“, geb ich zu.

Stephano tritt neben uns:

„Wir haben DVDs von den Filmen, damit ihr auch den Kontext kennenlernt und vermitteln könnt. Und mp3s kann ich euch auch kopieren.“

„Ui, dann schauen wir nachher König der Löwen, ja, ja, ja??“, hüpft Sophie euphorisch rum.

Auch ansonsten scheinen alle recht zufrieden mit der Zuteilung zu sein.

„Na, Schröder? Ist’s Mary Poppins geworden?“

„Besser! Die kleine Meerjungfrau!“, freut er sich und zwinkert mir zu.

Na das passt ja!

Yoko hat was aus Mulan, was wohl ein in Asien spielender Film ist, und Paolo verkündet, eine kleine Marionette zu sein. Dabei wackelt er irgendwie komisch mit den dürren Gliedmaßen und erinnert tatsächlich sofort an Pinocchio. Und Cristian wird „Bare Necessities“ singen, was wohl eben das Balu-Lied ist. Ansonsten werden viele Prinzessinnenlieder verteilt, wobei Sophie und Yoko wohl ganz froh drüber sind, nicht Belle, Cinderella oder Schneewittchen verkörpern zu müssen, und dann gehen Sophie und ich erst mal auf einem Laptop-ähnlichen DVD-Player König der Löwen gucken. Meins ist gleich das Eröffnungslied.

„Okay, da muss ich mich aber gut einsingen“, fällt mit spontan dazu ein.

Jeder bekommt einzeln eine halbe Stunde mit einem Vocalcoach und einem Choreographen von Disney. Man merkt schon, die Leute sind Profis. Sie haben nicht gerade viel Geduld, wenn man was nicht auf Anhieb hinbekommt. Aber eigentlich kann ich alles ganz gut umsetzen, vor allem, weil meine Einzelstunden erst am späten Nachmittag stattfinden und ich den Song damit schon ganz gut intus habe …

Nach dem Abendessen (bei dem Schröder mir durch die Blume verspricht, die Wassermanngeschichte fortzusetzen) setzen die Coaches plötzlich eine feierliche Miene auf und die Kameras sind auch wieder in Betrieb. Markus bittet um Aufmerksamkeit und bekommt sie auch sofort:

„So, ihr Lieben. Wir haben noch eine kleine … nein, gigantisch große Überraschung für euch! Wie sich einige sicher schon gedacht haben, waren unsere Disney-Trainer nicht umsonst hier, sondern haben Talente für ein Festival im Animal Kingdom Orlando gesucht. Und auch gefunden. Einige Wenige von euch haben es geschafft, die Profis zu überzeugen. Und das ist eine beachtliche Leistung, ihr könnt stolz auf euch sein. Wer die Glücklichen sein werden, verrät euch jetzt die Disney-Crew.“

Spontaner Applaus. Ich weiß das gerade noch gar nicht so recht einzuordnen. Disney-Festival? Orlando? Wann überhaupt und wie soll das neben DSDMB überhaupt funktionieren? Eine der Trainerinnen tritt vor und erklärt mit starkem Dialekt:

„Wir haben hier sehr sehr viele jung Talente gesehen. Aber die Meisten von eusch braucken viel Training bis sie fertig sind, in einer Liveperformance vor großer Audience zu bestehen. Aber zwei junge Menschen glauben wir, sind ready to go. Und Ladies first, möckte isch einlade eine wunderschöne junge Dame, eine Hauptrolle zu spielen in unserem Jungle-Festival. Sophie, wir möckten dich als Simba sehen!“

Sophie zuckt neben mir richtig zusammen, dann springt sie Yoko um den Hals und dann der Trainerin, sich tausendmal bedankend. Viele neidische Blicke tauchen in der Menge auf, verpuffen aber zu aufgesetzten Lächeln und Gratulationen, als die Kamera die Reaktionen einfängt. Es dauert eine ganze Weile, bis alles wieder ruhig genug ist, damit die Amerikanerin weitersprechen kann.

„Nur ein weiterer Kandidat ist uns so positiv aufgefallen, dass wir ihn gerne dabei hätten. Isch will nicht besonders Spannung machen, also sage isch einfach: Ferdi, du bist dabei, wenn du Lust hast!“

Ich glaube, ich schaue ziemlich bescheuert aus der Wäsche, weil ich echt absolut gar nicht damit gerechnet habe. SO toll fand ich mich nämlich eigentlich gar nicht … aber mir fällt immerhin ein zu nicken und Sophie aufzufangen, die sich mir in die Arme wirft. Oh-kay, Orlando, ich schätze wir kommen!

Markus bittet noch mal um Aufmerksamkeit, tut sich dabei diesmal aber deutlich schwerer.

„Hört bitte noch mal her. Das Festival findet schon in vier Tagen statt, das heißt Sophie, Ferdi, ihr packt bitte jetzt sofort eure Koffer. Der Bus bringt euch noch heute Abend nach Orlando, damit ihr ab morgen früh an den Proben teilnehmen könnt. Die anderen werden die nächsten Tage an ihrer Choreo und den Songs feilen. Und in drei Tagen steht schon die nächste Juryentscheidung an, diesmal leider ohne B!, der hängt in Deutschland fest. Stephano und Frankie werden uns dafür beraten. Ferdi, Sophie, herzlichen Glückwunsch, ihr seid für diese Entscheidung gesaved. Die ganze Truppe wird dann natürlich nach der Entscheidung anrücken um euch zuzujubeln. Macht mir keine Schande. Und jetzt ab, Koffer packen! In einer halben Stunde ist Abfahrt!“

Leicht überfordert von den ganzen Glückwünschen von völlig Fremden bin ich ja schon. Ich reiße mich los und verschwinde ins Zimmer. Dort stelle ich fest, dass Schröder schon wartet und irgendwie ziemlich betrübt dreinschaut. Jetzt habe ich auch Zeit zu realisieren, dass ich ihn vier Tage nicht sehen werde … und ich bin froh, dass ich vor ein paar Nächten heimlich Fotos von ihm beim Schlafen geschossen habe. Wenigstens hab ich so was zum abends anstarren, wenn ich nicht einschlafen kann …

„Das is’n Ding, was?“, druckst er rum.

„Mhm … Nepomuk … ich glaub, ich werd dich echt ziemlich vermissen …“

„Quatsch, dazu wirst du gar keine Zeit haben, so eingespannt bist du da. So viel Stress, ich würd nicht mit dir tauschen wollen …“

„Wahrscheinlich brech ich auf der Bühne vor Übermüdung zusammen … Na ja, Schlaf wird überbewertet.“

„Wir schaffen es bestimmt irgendwie zu telefonieren … und dann erzähl ich dir die Geschichte vom Wassermann weiter …“

„Das wäre schön. Und dass du mir ja nicht rausfliegst in drei Tagen, ja? Reiß dir gefälligst den Arsch auf. Wehe du kommst nicht mit, um mich auf der Bühne zu bewundern …“

„Ich werd da sein. Versprochen. Und wenn ich die verdammte Choreo Tag und Nacht üben muss. Hab ja eh nix Besseres zu tun, ohne dich.“

„Wir sehen uns ja bald wieder …“

„Ich werd dich trotzdem vermissen“, erklärt er trotzig und so niedlich, dass ich ihn dafür einfach küssen muss.

Woah, Schmetterlinge im Bauch. Lange her, dass die so umtriebig waren …

„Hilfst du mir packen?“

„Klar …“

Schröder

„Das ist nicht packen“, schnauft Ferdi und flitscht meine Hände weg, die grad seine Hose öffnen wollten.

Mann, wenn der mich aber auch aus heiterem Himmel SO küsst, nachdem ich erfahren habe, dass er die nächsten vier Tage nicht bei mir sein wird… na ja, schätze, so was wie ’nen Quickie kann ich vergessen. Wäre mir auch eh viel zu wenig.

Ferdi verzichtet dann gänzlich auf meine Hilfe beim Packen, küsst mich noch mal, bis ich kaum mehr weiß, wie ich heiße, und dann ist auch schon Abfahrt. Ich kann nichts weiter tun, als ihm blöde hinterher zu starren.

Yoko legt ihren Arm um meine Schulter. „Okay, wir haben noch zwei Tage, um dich für den Auftritt fit zu kriegen. Das wird ein hartes Stück Arbeit, aber wenigstens hast du so keine Gelegenheit, vor Sehnsucht kaputt zu gehen“, wispert sie.

Ich hab überhaupt keinen Bock. Weder aufs Tanzen, noch auf meinen scheiß Disney-Song. Under The Sea… supi, ich verkleide mich für den Auftritt als Languste, damit komme ich bestimmt weiter.

Ey, der Fuchseder hat mich total angesteckt mit seinem Nicht-schlafen-können. Die halbe Nacht hab ich wach gelegen, ihn vermisst und mir überlegt, wo der Prinz abgeblieben ist… wahrscheinlich hockt der irgendwo und umklammert eine Evian-Flasche… Ach ja, zwischendurch bin ich auch mal kurz aufs Klo, um zu kotzen. Vermutlich haben sich durch das viele rhythmische Rumhopsen meine Gedärme verknotet oder so was in der Art.

Jedenfalls ist meine Laune beim Frühstück eher mies und dass Paolo schon wieder so zutraulich neben mir sitzt, hebt sie nicht unbedingt.

Das Tanztraining ist der absolute Horror. Frankie sieht aus, als wollte er mich abknallen, dabei möchte ich mich wirklich anstrengen. Aber wenn ich in jeder Sekunde dran denken muss, dass ich Ferdi wahrscheinlich niemals wieder sehen werde, wenn ich das hier vermassele, dann… bin ich halt zu nix mehr zu gebrauchen.

Nachmittags kann ich mir den Text nicht merken, weshalb Stephano jetzt auch noch pissig auf mich ist.

„Wenn es dir ernst ist mit der Band“, labert er, „dann musst du in der Lage sein, einen Text zu singen, obwohl du ihn scheiße findest, Schröder. Reiß dich endlich zusammen, ich bin doch nicht zum Spaß hier und du wohl erst recht nicht.“

Ich muss wohl ziemlich bedröppelt gucken, denn sein Gesichtsausdruck wird etwas freundlicher.

„Nimm den Zettel dazu, damit die Töne wenigstens schon mal sitzen, mh? Der Text prägt sich ein, wenn du dich mit dem Lied beschäftigst.“

Mann, ist das ein Optimist!

Abends telefoniere ich kurz mit dem Fuchseder, der mir allerdings bloß erzählt, wie toll da alles ist und was weiß ich. Ich sage ihm, dass ich müde bin und beende sein Gefasel. Danach kippe ich mir den restlichen Wodka rein. Ey, das ist doch einfach Scheiße, dass ich nach nur einem Tag ohne den Penner schon ein totales Wrack bin. Was soll’n das?! Ich meine, wie lange kennen wir uns? Grad mal ein paar Wochen oder so… weiß nicht, irgendwie kommt einem hier jegliches Zeitgefühl abhanden, Mann, welcher Tag ist heute?? Jedenfalls bin ich neunzehn Jahre lang ohne Ferdi ausgekommen, also werde ich bestimmt nicht gleich krepieren, weil er mal vier Tage weg ist. Es geht mir eh auf den Geist, wie sehr er sich bei mir eingeschlichen hat.

Am nächsten Morgen werde ich durch süße, kleine Küsse am Hals geweckt. Allerdings merke ich sofort, dass irgendwas nicht stimmt. Ferdi riecht ganz anders. Ich drehe mich um und schaue geradewegs in Paolos lächelnde Emo-Visage.

„Du siehst echt süß aus, wenn du schläfst“, behauptet er und will sich an mich drängen.

„Hast du jetzt komplett die Bodenhaftung verloren?“, brülle ich und schubse ihn weg.

„Ich dachte, wo du momentan allein hier im Zimmer bist…“

„Hör verdammt noch mal auf, mich zu bestalken.“

„Schröder… ich… ich möchte doch nur in deiner Nähe sein, kannst du das nicht verstehen?“, fragt er leise und mit gefährlich feuchten Augen.

Heulende Jungs am frühen Morgen kann ich gar nicht ab, deswegen, und nur deswegen, schmeiße ich Paolo nicht raus, sondern ziehe ihn in meine Arme und bleib eine Weile mit ihm liegen.

„Krieg das nicht in den falsche Hals, okay?“, sage ich vorsichtshalber.

Leider fängt Paolo an, mich unter der Decke zu befummeln und das kann ich nun wirklich nicht ab.

Ich stehe auf, gehe duschen und flüchte mich danach zu Yoko und Cristian.

Das Laufen mit Corinne, der Sadistin, ist eigentlich ziemlich cool. Tut ganz gut, sich mal richtig auszupowern, obwohl ich die Zigaretten deutlich merke. Yoko scheint es nicht zu stören, dass ich mich ihrem Tempo heute nicht anpasse… und selbst wenn, könnte ich grad keine Rücksicht auf sie nehmen.

„Was ist los, Schröder?“, grinst die Sadistin überrascht, während wir im Garten auf die letzten Kandidaten warten. „Hast du dich über Nacht in Speedy Gonzales verwandelt?“

„Nee, ich dachte halt, ich bring den Scheiß so schnell wie möglich hinter mich.“

„Du sollst aber auch nicht übertreiben, ja? Kondition muss man aufbauen, die kriegt man nicht, weil man einmal schnell gelaufen ist.“

Nachdem wir endlich wieder vollzählig sind, gibt’s wie immer noch eine halbe Stunde Yoga.

Bei der Choreo am Nachmittag hilft mir Yoko und ich rechne ihr hoch an, dass sie so geduldig ist. Ich glaube, Frankie hat’s inzwischen total aufgegeben, mir was beizubringen.

Beim anschließenden Gesangstraining brauche ich nur einmal kurz auf meinen Zettel zu schielen, weiß aber immer noch nicht, wie ich überzeugend eine singende Languste darstellen soll. Stephano verdreht genervt die Augen, als ich ihm das mitteile.

„Schröder, mach mich nicht sauer, ja? Sing einfach das Lied und tu so, als würd’s dir super viel Spaß bringen.“

Okay, ich singe also das Lied, hüpfe ein wenig hin und her, veranstalte mit meinen Armen wellenartige Bewegungen… und krieg fast selber einen Lachkrampf dabei.

„Wenn’s gar nicht anders geht, treibe ich extra für dich ein Langustenkostüm auf“, droht Stephano.

„Dann erkennt mich wenigstens keiner“, murmele ich.

Irgendwann zwischendurch telefoniere ich mit Timo, der sich allerdings nicht beschwert, dass ich mich ewig nicht bei ihm gemeldet habe, sondern mir in allen Einzelheiten die Geburt seiner Tochter schildert.

„Dreitausendeinhundertachtundfünfzig Gramm, zweiundfünfzig Zentimeter und kerngesund“, erklärt der stolze Papa.

„Timo, ich hab keine Ahnung von solchen Sachen. Sag mir lieber, wie die kleine Nichte heißt.“

„Anna Marie“, seufzt er, „und natürlich ist sie ungefähr das hübscheste, süßeste, niedlichste Baby der gesamten Station… der ganzen Welt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie klein alles an ihr ist. Ehrlich, Nepi, ganz klein… die Finger und Zehen, total winzig.“

Er muss momentan ziemlich duselig vor lauter Glück sein, weil er mich seit zehn Jahren nicht mehr Nepi genannt hat… außer, er wollte mich ärgern.

„Wann kommst du?“, fragt er.

„Äh…“

„Du möchtest deine Nichte doch sicher sehen.“

„Schick mir ein Foto, ich kann hier grad nicht weg.“

„Nepomuk, was ist denn bitte jetzt wichtiger als deine Nichte? Irgendein beschissenes Punkkonzert?“

„Ich bin momentan in Florida“, lasse ich die Bombe platzen.

„Sehr witzig. Entschuldige, dass ich dachte, es würde dich interessieren…“

„Ernsthaft, Timo, ich bin in Florida. Bei DSDMB.“

„Verarsch mich nicht, Kleiner. Sag doch einfach, dass dir meine Tochter am Arsch vorbei geht.“

„Geht sie mir nicht, aber würdest du mal bitte eine Sekunde zuhören? Ich hab bei diesem dämlichen Casting mitgemacht und… na ja, hab’s halt in den Workshop geschafft und der findet in Florida statt.“

„Mom hat das mit keiner Silbe erwähnt.“

„Klar nicht. Außer Paps bist du der Einzige, der davon was weiß.“

„Du bist zum Kotzen“, findet er. „Nie erzählst du mir irgendwas.“

„Hab ich doch eben.“

„Du weißt genau, was ich meine.“

„Ich hab hier jemanden kennen gelernt…“

„Und?“, schnauft er.

„Mich verliebt.“

„Richtig? Oder schläfst du nur mit dem?“

„Nee, richtig. He, bist du noch da?“

„Allerdings. Ich überlege nur, ob ich tatsächlich mit meinem Bruder spreche oder vielleicht doch nur mit einem Stimmenimitator. Also… DSDMB, ja? Mann, dann… hast du etwa den B! kennen gelernt?“

„Yep. Der ist genauso so’n Arsch wie im Fernsehen.“

„Und du… ich meine, kann ich dich auch irgendwann in der Glotze sehen?“

„Na ja, vermutlich schon. Ich weiß aber nicht, wann das alles gesendet wird.“

„Hey, Kleiner“, sagt er leise, „ich bin echt stolz auf dich.“

„Danke, Papa“, grinse ich. „Vergiss das Foto nicht, ja? Und grüß deine Frau und gib meiner Nichte einen Kuss. Und… drück dich bloß nicht vorm Windelnwechseln.“

„Mach’s gut, Onkel Schröder. Viel Glück.“

„Was Sophie und Ferdi wohl jetzt machen?“, fragt Yoko abends, während einer Tanzpause.

Ich hatte sie gebeten, noch mal mit mir die blöde Choreo zu üben, die wir bereits morgen früh der Jury im Tanzraum präsentieren müssen. Glücklicherweise nicht einzeln, sondern in der Gruppe.

„Keine Ahnung.“

„Kannst du deshalb nicht eine Minute still sitzen? Weil du ihn vermisst?“

„Ich will nicht rausfliegen“, entgegne ich.

„Ja, aber… entweder du nimmst das hier alles plötzlich unwahrscheinlich ernst, oder du willst dich bloß ablenken.“

„Ablenken“, nicke ich, „und nicht rausfliegen.“

„Das wird schon alles“, versucht sie mich aufzumuntern.

„Wer weiß, ob ich ihm überhaupt so doll fehle wie er mir. Ob ich ihm so doll fehle wie… Michi.“

„Ach, Schröder“, seufzt sie und umarmt mich.

„Ich bin froh, dass ich mit dir reden kann. Sowieso, dass wir uns kennen gelernt haben. Ich mag dich echt gerne, Meereskind.“

„He, werd jetzt nicht sentimental, okay? Das verkrafte ich nicht“, lacht sie. „Los… weiter geht’s!“

Die Tanzerei vor der Jury möchte ich für immer aus meinem Gedächtnis löschen. War das übel! Hoffentlich kann mein Auftritt einiges rausreißen. Wie schon bei der ersten Entscheidung wird eine Bühne aufgebaut und alle sind furchtbar nervös. Cristian und ich zeigen uns gegenseitig Babyfotos aufm Handy. Die kleine Nichte ist wirklich sehr klein, da hat Timo nicht übertrieben. Außerdem ist sie mindestens genauso runzlig wie B!’s Visage.

Heute scheint irgendwie nicht mein Tag zu sein. Der Auftritt, den ich hinlege, hat eher was von ungewollter Comedy. Ich hab auch das Gefühl, dass ich manchmal etwas zu schnell bin… oder die Musik ist zu langsam, wie man’s nimmt, gut ist was anderes.

Yoko ist natürlich mal wieder toll, Cristian und Paolo ebenfalls und sogar Irma zeigt, dass sie zu Recht hier ist.

Die vier kommen auch alle weiter.

Zwei Kandidaten hatten nicht so viel Glück und meine Entscheidung steht noch aus.

Vor mir fliegt jedoch das Mädel, das mit beim Umstylen gewesen ist. Scheint nicht viel gebracht zu haben, der neue Haarschnitt. Sie trägt’s mit Fassung.

„Schröder... das war… eine ziemliche Nullnummer“, verkündet der Fuzzi, der offenbar B!’s Rolle übernommen hat. „Du bist durch den Song gesprintet, hast kaum auf die Musik geachtet und bei mir ist echt nix angekommen. Das einzig Positive… du hast die meisten Töne getroffen.“

„Ja“, nickt Cosima, „aber kann das reichen? Ich find, dass du ein guter Typ bist und so, weißte ja, aber Sympathiepunkte werden leider jetzt nicht mehr vergeben. Die Choreo war auch komplett für die Tonne. Mensch, was ist denn los mit dir? Willst du nicht in die nächste Runde?“

„Doch“, murmele ich geschockt.

Dann sind die zwei anderen, die neben mir stehen, dran, sich runterputzen zu lassen. Die waren aber objektiv betrachtet besser als ich und wie der Fuzzi eben behauptet, kommt nur noch einer von uns weiter. Das war’s also für mich. Ladies and Gentlemen, danke für Ihre Aufmerksamkeit, Schröder verlässt gleich das Gebäude!

Ferdi

Sophie und ich werden also zusammen mit den vier Disney-Angestellten in einen Kleinbus gesetzt und dort sofort noch weiter aufgeklärt. Es wird eine Live-Show geben und zwar auf einem Platz im Animal Kingdom, mit Blick auf den Tree of Life, der wohl ein riesengroßer, künstlicher Baum ist, der das Zentrum des Themenparks bildet. Die Show steht passenderweise unter dem Motto „Our Planet“ und wird neben Musicals auch Einspieler enthalten, die den Leuten näher bringen, was sie tun können, um den Planeten und seine Bewohner zu schützen. Denn natürlich darf der Mensch sich nicht über die Tiere stellen und so … Disney eben. Und dazu werden vor allem Songs aus Pocahontas, Bärenbrüder und natürlich König der Löwen performt. Außerdem wird es ne Show mit Greifvögeln und so geben und Elefanten dürfen gestreichelt werden und so weiter. Aufklärungsarbeit und emotionale Bindung an die wilde Natur schaffen, irgendwie so was. Sophie ist sofort total hin und weg, während ich noch drüber nachdenke, wie dressierte Vögel und Kuschelelefanten irgendwem ein realistisches Bild von der Natur zeigen können …

Die über fünf Stunden Fahrzeit werden außerdem genutzt, um uns den Text dermaßen ins Hirn zu prügeln, dass ich ihn in meinem Leben nicht mehr vergessen werde.

„Traust du dir das Intro zu?“, fragt Denise, die deutsch sprechende Gesangslehrerin mich unvermittelt und starrt mich an als könne sie so direkt in mein Gehirn sehen.

„Ehm, ja, also die Töne treff ich. An der Aussprache müsste ich wohl noch feilen.“

„Ich glaube auch, dass du das hinkriegst“, findet sie mit sich plötzlich entspannenden Gesichtszügen.

Okay … die Frau ist … exzentrisch.

„Nants ingonyama bagithi baba”, spricht sie mir langsam und deutlich vor und will wohl, dass ich nachspreche.

Was für ein Kauderwelsch …

Ein gutes Stück nach Mitternacht kommen wir im Hotel an und bekommen ein Zimmer zusammen, was Sophie offensichtlich Unbehagen bereitet.

„Ich bin schwul, schon vergessen?“, frage ich sie als wir allein sind. „Das kannst du auch deinem Freund sagen.“

„Trotzdem bist du ein Kerl. Leon wird das gar nicht gefallen.“

„Ach komm schon, glaubst du nicht …“

„Egal. Nicht zu ändern. Lass uns schlafen, wir haben morgen viel vor.“

Ja, schlafen …

Eine heiße Dusche entspannt mich genug, dass ich mich neben die schon tief schlafende Sophie legen und zumindest etwas vor mich hin dämmern kann.

Noch vor dem Frühstück am nächsten Tag werden wir von einem schwarzen Mittvierziger zu einer Begehung abgeholt, wir müssen also unser bestes Englisch hervorkramen. Der Park hat noch geschlossen und wirkt so verlassen irgendwie geisterhaft. Nirgendwo bewegt sich etwas. Überall sind tropisch anmutende Pflanzen, Sümpfe, gepflasterte Wege, künstliche Felsen, …. und über allem thront ein absurdgroßer Baum. Nirgends sind Vögel oder plätscherndes Wasser. Das bemerke ich auch gegenüber unserem Guide.

„Die Tiere sind alle noch in ihren Gehegen und Volieren. Und die Wasserpumpen laufen auch nicht die ganze Nacht durch“, erklärt er ganz selbstverständlich, so als wäre es das Normalste auf der Welt, dass Vögel nachts irgendwo geparkt werden …

Uns wird der Platz gezeigt, wo an dezenten, als Lianen getarnten Kabeln, schon Licht- und Soundinstallationen angebracht werden.

„Von da drüben kommen die Zebras. Und die …“

„Zebras?“, fragen Sophie und ich gleichzeitig.

„Natürlich, gleich zur Eröffnung, du singst den ersten Song, richtig?“, fragt er mich.

„Ähm … Circle of Life.“

„Genau. Das ist immer der Einstiegs-Song.“

„Immer?“

„Das Our-Planet-Festival findet alle drei Monate statt.“

„Achso, irgendwie dachte ich, das wäre ein besonderer Anlass, was Einmaliges.“

„Genau das sollen die Besucher auch glauben. Wenn das so wäre, würden sie wohl kaum zwei Hauptrollen an so Grünschnäbel wie euch vergeben, was?“, lacht er.

Irgendwie ist meine Motivation danach sehr gedämpft. Aber was habe ich von Disney auch anderes erwartet?

Wir werden in ein Hintergebäude geführt, wo es zwitschert und pfeift. Sophie bekommt erzählt, dass sie ihren Auftritt mit einem Nashornvogel auf dem Arm oder wo auch immer bestreiten wird. Also so einem echten. Wir bekommen „Zazu“ gleich mal vorgestellt. Okay, ich würde nicht mit Sophie tauschen wollen …

„Dein Löwenbaby lernst du heute Mittag kennen.“

„Was?!“ Sofort denke ich an die Song-Szene aus dem Film. „Ich muss das doch nicht über den Kopf hieven und so?“

„Sicher doch. Keine Sorge, der kleine Simba beißt … kaum.“

„Bist wohl mehr so der Hundetyp, was?“, lacht Sophie und pfeift ihrem hässlichen Bühnenpartner ein bisschen was vor.

Ich würde doch gern mit ihr tauschen …

Nach dem Frühstück stoßen wir zu den Proben. Ein ganzer Gospelchor ist anwesend und eine ziemlich original wirkende Pocahontas in Schlabberklamotten singt gerade Irmas „Colors of the Wind“.

Als ich an der Reihe bin, kann ich so richtig spüren, dass die Leute alles andere als einverstanden sind, dass ich jetzt plötzlich den Lead übernehme. Bin ich froh, dass der Text sitzt und ich auch ansonsten schon was ganz passables abliefern kann. Sophie merkt man ihre Nervosität ziemlich an und gleich nach ihren zehn Minuten mit Background-Gesang verschwindet sie erst mal und heult sich vermutlich bei ihrem Leon-Proll aus, der ihr mit seinen Eifersüchteleien zusätzlich das Leben schwer macht.

Nach dem Mittagessen werde ich ins Großkatzenhaus geführt, wo tatsächlich ein paar Löwenbabies rumschleichen und mit rohen Fleischbrocken spielen. Noch trennt mich eine Glasscheibe von ihnen, aber schon ist ein Tierpfleger in grünem Polohemd dabei, den Kleinsten der Bande von seinem Ekel-Spielzeug loszureißen und kommt wenige Sekunden später mit ihm auf mich zu.

„Ferdi, das ist Mitch. Er wird den Simba spielen.“

„Hallo Mitch …“, flüstere ich und trete unwillkürlich einen Schritt zurück.

Niedlich ist er ja schon, aber … die Pfoten sind größer als die eines Schäferhundes. Und Hunde haben keine solchen Klauen …

„Mitch ist mit seinen drei Monaten schon sehr bühnenerfahren. Er lässt sich auch gerne auf den Arm nehmen. Hier.“

Und schon halte ich per Überfalltaktik das schwere Baby. Der Kleine schnüffelt neugierig an mir rum, legt seine Tatze auf meinem Arm ab und gähnt genüsslich.

„Das sind mal Zähne …“

„Keine Sorge. Er wird nicht versuchen, mit dir zu spielen. Unsere jungen Löwen sind sehr gut erzogen.“

„Schön zu hören …“

„Du solltest jeden Tag etwas Zeit mit ihm verbringen, damit du sicherer im Umgang wirst.“

„Okay … aber … was soll ich denn mit ihm anstellen? Ich meine … spielen ist wohl ungünstig.“

„Doch klar, mit Spielsachen eben. Und du kannst ihn füttern und er schmust auch gern mal. Er ist wirklich eher ein ruhiger Junge.“

„Hm … sieht aus, als würde er am liebsten einschlafen …“

Am Nachmittag geht es daran, am Ausdruck zu feilen, so richtig musicalmäßig, allerdings ist es wieder so, dass ich nur zehn Minuten einen Coach für mich alleine habe, ansonsten probiert jeder so vor sich hin. Dann gibt es auch noch eine Kostümanprobe. So afrikanisches Ethnozeug. Mir fällt auf, dass ich einer von sehr wenigen Weißen bin. Sophie hab ich auch schon lange nicht mehr gesehen. Abends schleppe ich mich noch zur Löwenbaby-Fütterung, die mir ja auch echt gut gefällt. Schröder ruft kurz an, aber … ich kann ihm irgendwie nicht erzählen, dass hier alles voll Fassade ist, also behaupte ich, dass es toll ist, ich viel lerne und … na ja, ich erzähle ihm halt nur von den guten Sachen. Er beendet das Gespräch nach ein paar Minuten, vermutlich um die Handyrechnung zu schonen. Und dann bin ich dermaßen müde, dass ich ungeduscht ins Bett falle und erst um fünf Uhr früh wieder aufwache, feststelle, dass Sophie die Nacht nicht im Zimmer verbracht hat und gleich mal ein paar Minuten mit Michi telefoniere. Mir graut schon vor der Handyrechnung …

Sophie treffe ich erst bei den Proben wieder und sie erklärt, sie habe ein anderes Zimmer gefunden, mit einer der Tänzerinnen zusammen. Das muss ich wohl so hinnehmen, auch wenn ich es ziemlich lächerlich finde. Ich meine, sie könnte nackt vor mir rumspringen und das würde mich absolut kalt lassen, so schwul bin ich. Schon immer gewesen. Aber ich werde mir nicht den Mund fusselig reden. Da hab ich Besseres zu tun. Tanz steht heute auch auf dem Programm, wobei ich da nur ab und an in vorgefertigte Choreos einsteigen muss, wenn ich grad nicht singe. Auch kein großes Drama, eigentlich. Ein paar DSDMB-Kameras sind dabei und filmen ein paar gestellte Szenen. Alles Fassade, sag ich doch …

Am letzten Tag vor dem Festival wird tagsüber geschlafen, denn die Nacht soll zum Proben genutzt werden, am Auftrittsort. Und dazu muss der Park natürlich geschlossen sein. Heute müsste ja auch die Jury-Entscheidung anstehen. Was, wenn Schröder an der Choreo gescheitert ist und nicht mit nach Orlando kommt, sondern schon längst im Flieger nach Hause sitzt? Ich glaub nicht, dass ich ihn und Michi gleichzeitig vermissen könnte, das wäre einfach zu viel. Und dieses ganze Getue hier, so hab ich mir das alles nicht vorgestellt. Dafür mache ich keine Musik … Ich glaub nicht, dass ich hier wirklich richtig bin und schon gar nicht ohne Schröder. Aber als ich mich um fünf Uhr abends auf den Weg zu den Proben mache, (ich habe tagsüber tatsächlich schlafen können, das hab ich schon öfter gemerkt: schlafen, so lang es hell ist, geht besser als nachts) ist Schröders Handy aus.

Ich finde ein Wahnsinns-Spektakel vor und überall stehen Menschen mit exotischen Tieren rum. Zebras, Strauße, Gnus, sogar zwei mittelgroße Elefanten. So viele Leute haben gearbeitet, um das hier alles perfekt scheinen zu lassen, das Timing, alles. Noch vierundzwanzig Stunden bis zur Show. Noch vierundzwanzig Stunden, bis ich Schröder VIELLEICHT wiedersehen kann. Und jetzt wird das eineinhalbstündige Live-Spektakel in allen Einzelheiten, mit allen Auftritten und allen Nebendarstellern und Licht und Tieren durchgemacht. Dreimal, bis alles perfekt funktioniert. Und ich muss zugeben, mitreißend ist das alles auf jeden Fall. Als ich Mitch am Ende meines Songs hochhebe, bekomm ich selbst Gänsehaut. Ein fünfzigköpfiger Gospelchor und ein Live-Orchester sind halt nicht mit meiner Schulbigband zu vergleichen. Ich hab jetzt richtig Lust auf den Auftritt und falle um drei Uhr morgens ganz schön müde in mein Bett. Gut dass ich den Eröffnungssong habe, die anderen werden noch mal eine Weile beschäftigt sein, und das obwohl morgen Mittag noch eine letzte Kostümprobe und dann das allgemeine Einsingen auf dem Programm steht. Irgendwie komm ich mir plötzlich selbst SEHR professionell vor … wieso schockiert mich der Gedanke, morgen vor tausenden Leuten live zu singen eigentlich gar nicht?

Schröder

Ich scheiß mir beinahe in die Hose vor Aufregung. Jetzt sagt doch endlich, dass ich meine Taschen packen und abhauen soll, verdammt noch mal, dann hab ich’s wenigstens hinter mir.

Nein, jetzt werden auch noch Stephano und Frankie befragt. Ich drehe durch! Und höre erst wieder zu als mein Name fällt.

„Schröder… aus dem wird sicher nie ein perfekter Tänzer“, prophezeit Frankie, „aber man muss sagen, er hat echt gekämpft, die letzten Tage.“

„Um es mal ganz deutlich zu sagen“, meldet sich Stephano, „er hat sich den Arsch aufgerissen. Und obwohl er herbe Rückschläge einstecken musste, hat er nicht aufgegeben.“

Wow… also damit hab ich jetzt nicht gerechnet.

Der Fuzzi nickt. „Können wir uns darauf verlassen, dass du dran bleibst, Schröder? Dass du jetzt nicht nachlässt und bei der nächsten Entscheidung wieder was richtig tolles ablieferst?“

„Äh… ja klar. Auf jeden Fall“, antworte ich total entgeistert.

„Das hat mich genauso wenig überzeugt wie dein Auftritt. Dir scheint…“

„Ich WILL in diese verdammte Band!!“, schreie ich.

„Na also“, lobt der Fuzzi, „es geht doch. Willkommen in der nächsten Runde.“

Diesmal ist meine Freude echt.

Yoko und Cristian stürmen auf mich zu und erdrücken mich fast.

„Danke“, flüstere ich ihr ins Ohr. „Ohne dich hätte ich’s nicht geschafft.“

„Du wolltest immer üben“, widerspricht sie.

„Morgen nach dem Frühstück ist Abfahrt. Schließlich wollen wir alle sehen, wie sich unsere beiden DSDMB’ler beim Festival in Orlando schlagen“, krakeelt der Fuzzi.

Die Nacht ist ziemlich kurz, weil wir natürlich feiern und ich überlege, ob Ferdi sehr überrascht sein wird, wenn er mich sieht. Ich meine, ist er überrascht, hat er mir nicht zugetraut, dass ich’s hinkriege. Wie auch immer, ich hab beschlossen, ihm die frohe Botschaft nicht am Telefon zu übermitteln. Will ihn ja auch nicht bei irgendwas Wichtigem stören oder so. Außerdem find ich’s gut, dass ich offensichtlich doch noch ohne ihn feiern kann.

Nach dem Frühstück werden kurz ein paar Sachen gepackt, weil der Fuzzi uns gesagt hat, dass wir erst morgen Abend zurückfahren werden, was logischerweise mit lautem Jubel kommentiert wurde. Die Fahrt dauert ungefähr fünf Stunden. Ich verbringe die Zeit hauptsächlich mit schlafen. Aber ungefähr eine halbe Stunde bevor wir da sind, fängt es in meinem Magen an zu kribbeln.

„Dein Grinsen ist total unauffällig“, verdreht Yoko kichernd die Augen.

Im Hotel ist dann wieder der übliche Zimmeraufteilungsstress. Yoko, Cristian, ich und ein Typ namens Leander schnappen uns ein Zimmer. Wo Ferdi und Sophie sich rumtreiben… who knows?!

Viel Gelegenheit, sich im Park umzuschauen, hat man heute noch nicht, weil die Show wohl bald schon stattfinden soll. Es sind auf jeden Fall unglaublich viele Menschen unterwegs und in einem Bereich kann man umherstreunende Ziegen streicheln. Super, oder? Als hätte ich das zu Hause im Streichelzoo vom Tierpark nicht. Na ja, was soll’s?! Ich lasse mir von einer kleinen Ziege die Hand abschlecken und werde dabei von Yoko fotografiert.

Dann finden wir uns mit unzähligen anderen Touris zur Show ein. Aber wir haben natürlich Plätze in der ersten Reihe, weil wir ja schließlich keine gewöhnlichen Touris sind… haha. Die Show stellt sich übrigens als totales Spektakel heraus… mit echten Tieren… Zebras, Strauße und so. Ferdi, ach du Scheiße, wer hat den denn so verkleidet? Hab ihn erst gar nicht erkannt, als er anfing, etwas Unverständliches in die Gegend zu brüllen. Zum Schluss der Nummer hält er ein lebendiges (!) Löwenbaby in die Höhe. Die Menge klatscht wie irre. Hoffentlich ist die kleine Raubkatze gut trainiert und übersteht den Tumult hier, ohne größeren Schaden zu nehmen.

Also insgesamt… das Gesinge ist sicher toll, aber… mich langweilt so Musicalzeugs eben, besonders wenn es so afrikanisch ist. Völlig egal, ob da nun echte Tiere durchs Bild laufen oder nicht. Ferdi und Sophie sehen aber wirklich aus, als würden sie solche Auftritte andauernd machen. Beeindruckend, wenn man bedenkt, wie viele Leute ihnen dabei zuschauen. Der Fuzzi und Cosima scheinen sehr zufrieden zu sein. Ich dagegen kann es kaum erwarten, Ferdi mal fünf Minuten für mich allein zu haben.

Daraus wird allerdings erst mal nichts, weil ja nach der Show sämtliche Kandidaten plus Markus und Cosima die beiden neuen Stars am Disney-Himmel bestürmen, ihnen auf die Schultern klopfen und tausend Fragen stellen. Der Konkurrenzkampf ist für eine Weile vergessen, alle fanden Ferdi und Sophie großartig. Irgendwann schaffe ich es dann tatsächlich, wenigstens Sophie zu umarmen.

„Schröder…“, strahlt der Fuchseder plötzlich neben uns, „war das unglaublich! Und… hey, du bist hier!“

„Ja, war allerdings verflucht knapp.“

Und schon sind wir wieder von anderen Kandidaten umringt und Ferdi plaudert gemütlich, dass er komischerweise kaum Lampenfieber hatte, aber kurz vorm Auftritt doch noch nervös wurde und was für ein wahnsinniges Gefühl es ist, vor tausenden von Menschen zu singen und das Löwenbaby… blablabla. Sophie quatscht andauernd dazwischen, weil die genauso euphorisiert ist, und irgendwann labern alle durcheinander.

Mann, wenn ich die Leute hier bloß allesamt wegbomben könnte…

Ferdi

Nach meinem Song, der reibungslos funktioniert, muss ich noch im Kostüm bleiben, für’s große Finale, bei dem Mitch und ich noch mal auf die Bühne müssen. Das nutzt das DSDMB-Kamerateam, um mich mit dem Löwenbaby und später auch Sophie zu interviewen, und zwar in acht Anläufen, bis alles perfekt klappt und doch spontan aussieht. Von der restlichen Show bekomme ich also nicht viel mit und im Publikum kann ich die DSDMB-Leute auch nicht ausmachen, weil da alles dunkel ist und ich sowieso noch ziemlich von den Scheinwerfern geblendet bin. Denise steht mitfiebernd im Backstagebereich und dirigiert das Timing der Auftritte.

Nach dem großen Finale gebe ich Mitch bei seinem Pfleger ab, kündige aber an, nachher noch vorbeizuschauen, um mich zu verabschieden. Dann kann ich es wirklich nicht mehr erwarten Schröder zu sehen, denn das ganze Bühnenadrenalin lässt stark nach, ich werde ziemlich müde und will eigentlich nur noch in seinem Arm einschlafen … Aber natürlich läuft das nicht so einfach. Erst mal wollen sich noch ein paar Leute mit mir und anderen Darstellern fotografieren lassen. Dann endlich sehe ich die DSDMB-Meute und halte Ausschau nach grünen Haaren. Ich werde total bestürmt und Sophie taucht auch auf und wir müssen erzählen, was wir erlebt haben und die Kameras sind auch wieder da und wo zum Teufel ist Schröder?! Da. Er ist da, umarmt gerade Sophie. Mein Herz schlägt schneller. Aber losreißen geht noch nicht. Ein paar Minuten noch, das muss ich jetzt aushalten. Die Menge zerstreut sich nach und nach.

„Yoko will Mitch kennen lernen“, erklärt Sophie neben mir.

„Ich wollte mich auch noch von ihm verabschieden.“

„Gehen wir uns umziehen? Mir ist sau heiß in dem Kostüm“, stöhnt sie.

„Das Problem hab ich nicht. Ich komm mir eher zu nackt vor.“

„Ih-wo?!“, grinst Schröder, der plötzlich wieder neben mir ist und berührt mich wie zufällig am nackten Oberarm.

„Willst du das Löwenbaby auch kuscheln?“, fragt Yoko.

„Mh, kuscheln …“

„Na dann auf!“, übernimmt Sophie die Führung.

Wir lassen die Mädels ein Stück vorgehen, aber das nutzt uns nicht viel, hier sind überall noch Menschen und mit meinem Kostüm bin ich alles andere als unauffällig …

„Wer ist eigentlich rausgeflogen?“

„Fünf Leute, mit denen wir nicht viel zu schaffen hatten … ah doch, die Kleine, die beim Umstylen dabei war.“

„Ach die. Ja, die war irgendwie … nicht so der Bringer.“

„Sag mal, meinst du, dass du das Zeug über Nacht behalten kannst?“

„Den Aufzug?! Warum sollte ich das woll… oh. Schröder! Stehst du etwas auf Männer in Röcken?“

„Wenn sie deine Beine haben“, lacht er.

„Ich denke, es reicht eventuell, wenn ich das Kostüm morgen früh zurückbringe …“

„Was trägst du da eigentlich drunter?“, fragt er verschwörerisch.

„Boxersh… äh, ich meine … nichts. Absolut gar nichts!“

„Du bist ein verdorbenes Stück, Fuchseder.“

Als hätten wir uns abgesprochen, beschleunigen wir unseren Schritt und holen die Mädels ein, überholen sie sogar, verfallen in lockeren Trab und erreichen das Großkatzenhaus ein gutes Stück vor ihnen.

Ich hole gleich mal meine Klamotten, die ich vor der Show klugerweise hier gelassen habe, ziehe mich aber noch nicht um, sondern stelle Schröder Mitch vor, streichle den Kleinen noch ein bisschen und merke, dass Schröder das Tier zwar süß findet, aber mir immer auffälliger auf den Hintern starrt. Die Mädels kommen dazu und nehmen den Löwen sowieso total in Beschlag. Also können wir uns unauffällig verabschieden.

„Achso, Sophie, wo schläfst du heute?“

„Keine Ahnung …“

Yoko hat wohl irgendwie schon auf die Frage gewartet und erklärt:

„Wenn du Schröder bei dir aufnimmst, kann Sophie bei uns im Zimmer bleiben.“

Na das fügt sich doch mal genial … dachte ich, bis ich sehe, wie Schröder ihr einen dankbaren Blick zuwirft. Mir wird heiß. Scheiße, die weiß Bescheid! Die Erkenntnis trifft mich irgendwie ziemlich hart. Schröder hat es ihr erzählt. Außer uns vieren ist gerade niemand im Raum. Ich kann nicht einfach so tun, als hätte ich den Blick nicht gesehen.

„Sag mal, Nepomuk … kann es sein, dass du deinen Mund nicht hast halten können?“

„Ääääh?“, macht er einen auf ahnungslos, was mich erst recht wütend macht.

„Ich hatte dich gebeten, nicht damit hausieren zu gehen …“, erkläre ich gepresst und drum bemüht, nach außen ruhig zu wirken.

„Yoko hat’s selber rausgefunden … hätte ich sie anlügen sollen?“, fragt er dreist und ohne eine Spur von Reue.

„Super, echt toll. Ich sag’s dir, wenn irgendwas davon in der Show breitgetreten wird, dann …“

„Ja, was dann?“, will er angriffslustig wissen.

„Dann bin ich echt am Arsch, das ist dann! Mann Schröder, ich hab dir da echt vertraut.“

„Von mir erfährt keiner was, Ferdi, echt“, versichert Yoko.

„Nimm‘s nicht persönlich, aber ich kenn dich doch überhaupt nicht! Ich meine … wir sind Kontrahenten und weiß Gott was passiert, wenn der Druck zu groß wird und … ich hab hier einfach echt viel zu verlieren …“

„Yoko ist aber nicht so, Ferdi“, mischt sich Sophie ein, die sicher auch gleich noch erfährt, wer der Kerl ist, von dem ich ihr erzählt habe.

„Du weißt auch davon?“, fragt Yoko erstaunt.

„Dass Ferdi auf Jungs steht? Klar. Das kann sich jeder denken, der ihn mit Michi erlebt … aber warum hast du Schröder überhaupt davon erzählt? Ich meine, sorry, aber das kann man sich doch ausrechnen, dass er’s nicht schafft, bei so was den Mund zu halten … nichts für ungut, Schröder.“

„Ja, ich hätte es besser wissen müssen, da hast du recht“, erkläre ich bitter.

„Schröder?“, fragt Yoko in plötzlich besorgtem Tonfall.

Er hat sich von uns weggedreht und schon lange nichts mehr gesagt.

Scheinbar hat er nur die tobenden Löwenkinder beobachtet, jedenfalls erklärt er, dass es ihm leid tut und dass er es nicht hätte ausplaudern sollen. Damit geb ich mich zufrieden, was soll ich auch sonst tun?

„Sollen wir dann langsam mal los?“, frage ich.

„Klar … gute Nacht …“

„Nacht Schröder“, antwortet Yoko irgendwie niedergeschlagen.

„Wir müssen zum Haupteingang und von da aus ins Shuttle …“

„Ja, wir sind auch in diesem Resort-Hotel-Ding …“

„Ah, achso … ja also … erzähl doch mal von der Jury-Entscheidung und was ich noch so verpasst hab …“, bitte ich, weil die Stille irgendwie seltsam ist.

Aber die Sache mit Yoko noch mal ansprechen … will ich irgendwie auch nicht …

Während Schröder gerade erzählt, wie Paolo mit seiner Marionettennummer Applaus bekam und dass er wohl eine klassische Ballet- und Jazzdance-Ausbildung hat, klingelt mein Handy in der Tasche der Hose, die ich überm Arm hängen habe. Martin?! In Deutschland ist es jetzt mitten in der Nacht. Gott, da muss was passiert sein! Tausend Gedanken schießen mir in der kurzen Sekunde, bevor ich den Annahmeknopf drücke, durch den Kopf. Panik!

„Martin? Was ist passiert?!“

„Hallo erst mal. Ich wollt nur mal hören, was so läuft …“

„Hä? Mitten in der Nacht?“

„Ich bin grad aufgewacht, hatte einen nicht ganz so schönen Traum. Du kamst auch drin vor …“

„Toll, ehm … ich bin gerade etwas beschäftigt, also …“

„Ich hab Michi heute im Krankenhaus gefragt, ob er absichtlich gegen den Baum gefahren ist.“

„Was?! Wie kommst du dazu, ihn so was …“

„Ja DU redest ja nicht mit mir drüber, was passiert ist!“

„Weil ich ES-NICHT-WEIß! Wie oft denn noch?!“

„Oh bitte! Du hast immer ganz genau gewusst, was in seinem Kopf vor sich geht! Und ihr habt euch in der Nacht getroffen!“

„Und dann ist er nach Hause gefahren und das nächste, was ich höre, ist, dass er im Krankenhaus liegt. Ich bin auch nicht schlauer als du. Und jetzt …“

„Wieso hast du dann bei der Polizei ausgesagt, dass er eventuell wütend war, als …“

„Martin, hör jetzt auf, verdammt noch mal! Ich hab jetzt keine Zeit. Sprich nicht mit deinem Bruder über so einen Mist.“

„Keine Sorge, er hat nicht mal gewusst, was ich überhaupt meine. Hat was von vielen Bäumen und Bambis im Wald erzählt. Aber irgendwann finde ich schon noch raus, was wirklich passiert ist. Und wenn du irgendwas damit zu tun hast, dass mein Bruder jetzt ein windeltragendes, sabberndes …“

„Halt einfach deine Fresse, du Idiot!“, schreie ich noch, als mein Handy schon längst gegen eine Mauer knallt und in einigen Einzelteilen zu Boden rieselt.

Ich zucke arg zusammen, als mir irgendwer die Hand auf die Schulter legt. Schröder. Er sammelt gleich darauf die Stücke meines Telefons auf und verstaut sie kommentarlos in seiner Hosentasche. Schweigend steigen wir in eines der Hotelshuttles, starren hinaus auf die orangenen Lichter des Parkplatzes … Martin wird nie erfahren, was wirklich passiert ist. Dafür muss ich auf jeden Fall sorgen. Aber so was wie mit Yoko könnte alles versauen. Warum musste Schröder auch unbedingt …? Ich versuche, meine Wut runterzuschlucken, merke, dass meine Knie irgendwie weich werden und ich ziemlich müde bin. Schröder bemerkt, dass ich ihn anschaue und lächelt … höflich. Aber ich habe gerade wirklich keine Energie mehr, mir darüber Gedanken zu machen …

Er hält mir jede Tür auf, durch die wir gehen und lässt mich zuerst ins Bad, fragt, welche Seite vom Bett ich haben möchte, stellt eine Wasserflasche aus der Minibar neben mich, bietet mir seinen Arm an … macht alles seltsam vorbildlich und … ja höflich eben. Gar nicht wie er sonst ist. Ob ihn das schlechte Gewissen wegen Yoko plagt? Hoffentlich ist ihm das eine Lehre, solche Aktionen künftig nicht mehr zu bringen … mit diesem Gedanken im Kopf schlafe ich, erschöpft wie ich bin, ein.

Schröder

Die erste Nacht nach vier verfluchten Tagen ohne Ferdi hab ich mir bestimmt anders vorgestellt. Und eigentlich fing alles ziemlich gut an, aber leider musste der Fuchseder dann wieder Panik schieben, Yoko verbal eins in die Fresse geben und wo er schon mal dabei war, mir auch noch was vor den Latz knallen. Ich hätte es besser wissen müssen… das bedeutet doch in Wirklichkeit: Ich hätte nie was mit dem bescheuerten Typen anfangen dürfen! Zwischendrin dann das Telefonat, bei dem es natürlich um Michi ging (oh, welch Überraschung!)… irgendwie hat mir das alles die Augen geöffnet. Ich muss mich da jetzt echt ausklinken, bevor ich wie Paolo ende. Wobei ich glaube, dass das bei Paolo mehr so ’ne Phantasieverknalltheit ist oder so. Aber ich bin viel zu real verliebt und das bekommt mir nicht. Also Schluss mit dem Gefühlsscheiß. Ist sicher auch für Ferdi angenehmer. Er braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, weil er seinen Freund betrügt und die Angst, dass irgendwas rauskommt, fällt auch weg, weil ja nichts mehr stattfindet, was rauskommen könnte… jedenfalls nichts zwischen ihm und mir. Ist doch super. Er kann sich wieder voll auf seine zwei Lieblingssachen konzentrieren: Michi und DSDMB! Tja und ich sollte DSDMB sowieso überhaupt ein bisschen ernster nehmen, weil ich nämlich echt nicht rausfliegen will. Und noch mal lässt mich die Jury bestimmt nicht weiter, weil ich mich zwar angestrengt hab, aber in der Entscheidung trotzdem einer der Schlechtesten gewesen bin.

Glücklicherweise pennt Ferdi heute auch ohne Gutenachtgeschichte. Unglücklicherweise möchte ich mich doch ganz gerne an ihn kuscheln. Allerdings gebe ich dem Drang nicht nach.

Selbstbeherrschung, mh? Hab ich doch als Kind irgendwann mal gelernt. Da hab ich dann nicht mehr auf die mich mobbenden Bälger eingeschlagen, sondern mich einfach weggedreht, wenn die ihre ätzenden Sprüche vom Stapel gelassen haben. Genau das mache ich jetzt auch. Ich drehe mich vom niedlich schlummernden Fuchseder weg.

Als ich morgens aufwache, hat er sich an mich gekuschelt. Träumt vermutlich, dass ich Michi bin. Drei Sekunden genieße ich seine Nähe, seine Wärme… dann schiebe ich ihn vorsichtig zur Seite, wobei er wach wird.

Ein bisschen tranig lächelt er mich an.

„Na, gut geschlafen?“

„Gut ist relativ“, zuckt er die Schultern. „Auf alle Fälle tief und ohne zu träumen.“

„Toll. Dann können wir ja frühstücken. Ich geh zuerst ins Bad, wenn’s dir nichts ausmacht.“

Ob es ihm was ausmacht, ist mir aber eigentlich schnuppe, weil ich eh schon auf dem Weg bin.

Uiuiui… das Frühstück ist echt frostig. Yoko ist immer noch sauer, weil Ferdi denkt, sie würde Geheimnisse ausplaudern, um einen Kontrahenten auszuschalten. Kann ich total verstehen. Ich an ihrer Stelle hätte Ferdi in den Arsch getreten.

Sophie steht offensichtlich nicht auf Spannungen und versucht, fröhlich über das Löwenbaby zu faseln. Sie scheitert kläglich. Für das süße Viech interessiert sich hier grad keiner.

Während wir uns finster belauern, erhebt sich der Fuzzi und erklärt, dass wir uns die nächsten paar Stunden im Park vergnügen dürfen, wobei wir natürlich gefilmt werden.

„Also… Spaß haben ist angesagt“, droht er. „Wir brauchen Material für die Sendung, die dann ausgestrahlt wird.“

„Ich hasse es, auf Knopfdruck gute Laune haben zu müssen“, spricht Yoko aus, was Ferdi, Sophie und mir wohl auch spontan durch den Kopf geht.

„Und wenn ihr unterwegs ein paar Touris findet, denen ihr was vorsingen könnt… umso besser“, zwinkert der Fuzzi. „Musik ist euer Leben, vergesst das nicht.“

„Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe“, schüttelt Sophie den Kopf.

„Schade, dass du deine Gitarre nicht mit hast, Schröder“, findet Yoko, „dann könnten wir gleich noch Geld sammeln… so straßenmusikermäßig.“

„Na los“, sage ich, „benehmen wir uns wie Profis und machen ein bisschen Show!“

Der Tag geht erstaunlich schnell vorbei, ist aber logischerweise ziemlich anstrengend, wegen immer lustig in die Kamera lachen und so. Wir werden in so ’ner Art Achterbahn gefilmt und bei einer Parade, wo Leute als Disney-Figuren verkleidet herumlaufen und die Zuschauer bespaßen. Ich schüttele Balu die Hand. Dann geht’s mit der Safari weiter, wo wir durch eine Landschaft gekarrt werden und allerhand Tiere zu sehen kriegen. Ein paar Kandidaten stellen sich anschließend wirklich vor dickbäuchige, amerikanische Touristen und singen denen was vor. Au weia!!

Anscheinend hat das Kamerateam danach für eine halbe Stunde ein neues Thema gefunden: Yoko und Schröder… crazy in love! Voll professionell spielen wir unsere Rollen. Erzählen, dass wir uns erst im Workshop kennen und lieben gelernt hätten und küssen uns sogar gelegentlich auf den Mund. Das macht dann tatsächlich Spaß. Also nicht das küssen, obwohl Yokos Lippen echt super knutschig-weich sind, sondern ich meine … so insgesamt.

„Und das ist unser Baby“, behaupte ich und halte das Handyfoto der kleinen Nichte in die Kamera. Timo ist hundertpro begeistert, wenn er seine Anna Marie im Fernsehen sieht.

„Habt ihr nicht gesagt, ihr hättet euch erst hier in Florida kennen gelernt?“, fragt der Mann mit dem Mikro irritiert.

„Ja, ich bin jetzt auch überrascht, wie schnell ich Mutter geworden bin“, lacht Yoko.

„Okay“, melde ich mich zu Wort, „das ist selbstverständlich nicht unser Kind, sondern meine Nichte, wie ihr euch denken könnt.“

„Und wenn einer von euch rausfliegt und der andere weiter kommt?“, wechselt der Mikromann das Thema.

„Das wäre natürlich total traurig“, antwortet Yoko, „aber ich gönne meinem Schatz den Erfolg und würde ihm dann auch weiterhin die Daumen drücken.“

„Genau“, nicke ich, „so was würde uns nicht auseinander bringen.“

„Das reicht“, entscheidet der Mikromann. „Wir sprechen uns wieder, wenn’s dazu kommen sollte, ja?“, grinst er blöde.

Der Fuchseder zieht eine Fresse, als würde ihm irgendwas weh tun, womit ich mich jedoch nicht befassen will.

Erst als wir am späten Nachmittag im Hotelzimmer unsere Sachen zusammen packen, frage ich ihn, ob alles in Ordnung ist.

„Klar“, entgegnet er, irgendwie beleidigt.

„Ach so…“, ich greife in meine Hose, die ich grad in die Tasche stopfen will, und drücke ihm die kaputten Einzelteile seines Handys in die Flosse, „dein Handy ist im Arsch.“

„Das sehe ich selber.“

„Kannst meins haben, wenn du mit Michi telefonieren möchtest“, biete ich ihm an. „Sag einfach Bescheid, wenn du’s brauchst, okay?“

„Schröder, was ist los mit dir?“

„Wie, was soll denn sein?“

„Diese Geschichte mit Yoko… wolltest du mir damit irgendetwas sagen?“

„Zum Beispiel?“

„Keine Ahnung. Seit wann tust du für die Öffentlichkeit so als wärst du hetero?“

„Du meinst, das hatte was mit dir zu tun?“

„Na ja, weil halt niemand erfahren soll, dass ich schwul bin. Vielleicht wolltest du mir dadurch zeigen…“

„Fuchseder, hör auf, so dermaßen um die Ecke zu denken. Ich fand’s einfach nur lustig. Und Yoko auch. Die ist nämlich echt super nett und… du solltest dich vielleicht mal bei ihr entschuldigen.“

„Wofür denn? Dafür, dass ich ehrlich war? Ich kann eben Leuten, die ich erst seit einigen Tagen kenne, nicht vertrauen. Ist doch wohl normal.“

„Und dass ich meine Klappe nicht halten konnte, ist ja auch quasi die Bestätigung. Hättest es besser wissen müssen, Fuchseder. Der Schröder kann doch bei so was seine große Fresse nicht halten. Der Schröder ist doch eine gedankenlose Arschgeige.“

„Das hab ich nie gesagt. Und Sophie SO auch nicht.“

„Is ja auch egal. Ich will mich nicht streiten. Yoko weiß, dass wir gevögelt haben. Komm damit klar, oder lass es bleiben. Mehr Möglichkeiten hast du, glaub ich, nicht.“

Ferdis Augen reißen auf. „Du… hast… ihr… DAS… erzählt? Und behaupte jetzt nicht, sie wär da von selbst drauf gekommen. Auf so was kommt man nicht einfach.“

WOW… das nenne ich ein Eins-A-Eigentor!! Da hilft nur noch rausreden, was das Zeug hält.

„Ja, nicht in allen Einzelheiten. Aber wenn sie gemerkt hat, dass ich in dich verknallt bin, wird sie sich wahrscheinlich auch gedacht haben, dass wir nicht nur Händchen halten.“

„Was denn noch alles?“, regt er sich auf. „Hast du ihr auch von Michi erzählt, ja? Dass ich ihn gegen seinen Willen gef… dass er nicht wollte und ich trotzdem nicht aufhören konnte und er am nächsten Morgen weg war und ich ihn erst im Krankenhaus wieder gesehen habe, weil er gegen einen verdammten Baum gefahren ist, weil ich ihn… unbedingt ficken musste?“

Shit, der flippt ja völlig aus! Ihm laufen Tränen übers Gesicht, was er sicher nicht mal merkt und er zittert am ganzen Körper und seine Hände hat er zu Fäusten geballt.

Vorsichtig mache ich zwei Schritte auf ihn zu, greife nach seinen Händen und versuche, seine Finger zu lockern.

„Ferdi“, sage ich leise, mehr fällt mir grad nicht ein.

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