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Second serve

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Frank erklärt die Situation

Nachdem sich Dustin auch bei mir geoutet hatte, wollte ich mit dem Onkel das weitere Vorgehen besprechen. Unglücklicherweise war Herr Listen diesem gerade über den Weg gelaufen und es schien so zu sein, dass sie nicht einer Meinung waren. Ich kam direkt in eine Auseinandersetzung zwischen Frank und Herrn Listen. Sie stritten sehr heftig. Erst als Herr Listen bemerkte, dass ich in der Nähe stand, beendete er das „Gespräch“ und verließ den Ort.

„Ein widerlicher Kerl. Und dann in so einer wichtigen Position. Ätzend.“

Frank war immer noch richtig in Rage und ich wartete noch einen Augenblick, damit er sich wieder beruhigen konnte.

„Entschuldige, aber der Typ geht mir auf den Keks. Er glaubt, er weiß alles besser, kann alles und alle anderen sind dumm.“

„Ja, da stimme ich absolut zu. Aber leider und das finde ich viel schlimmer, sind die Herren im Verband seiner Meinung. Auch viele Eltern lassen sich von ihm besabbeln und glauben ihm alles.“

„Naja, wenn Eltern von der Materie keine Ahnung haben, was sollen sie denn machen?“

„Das ist ein gutes Stichwort. Ich würde mich gern mit dir etwas ausführlicher unterhalten. Dustin hat mir gerade etwas anvertraut, dass die Lage nicht gerade einfacher für ihn machen wird.“

Frank schaute sich um und meinte dann: „Ja, ich weiß. Dass er schwul ist, wird es nicht leichter machen. Dennoch werde ich alles tun, was mir möglich ist, damit er sein Talent umsetzen kann. Aber ich würde es begrüßen, wenn sich auch im WTV mal etwas verändert.“

„Ja, absolut. Ich fürchte nur, da können wir lange warten. Selbst die schlechten Ergebnisse und Entwicklungen der Spieler scheinen dort nicht auf Interesse zu stoßen. Warum haben in den letzten Jahren wohl keine Spieler aus dem Verbandskader den Sprung in die Spitze geschafft? Alle guten Spieler aus dem Bereich WTV kamen aus privat organisierten Teams.“

„Die Funktionäre müssen wohl sehr selbstverliebt sein.“

Dabei mussten wir beide lachen. Das war das Einzige, was uns blieb. Es mit Galgenhumor zu nehmen.

„Eine andere Frage, hast du Lust mit mir einen Kaffee zu trinken? Dann können wir uns über Dustin und den möglichen weiteren Weg unterhalten. Ich würde dich gern einladen.“

Damit überraschte er mich zwar, allerdings passte das auch wieder in mein Bild von Frank. Er schien sehr genau zu wissen, was Sache war und er hatte vermutlich auch die Mittel, sich um Dustin zu kümmern.

„Gern, da sage ich nicht nein.“

Wir machten uns auf den Weg und unterwegs liefen mir Carlo, Mattes und auch Sascha über den Weg. Mattes gab mir kurz einen Überblick, wer wann spielen würde und fragte auch:

„Darf ich eigentlich auch Doppel spielen? Vielleicht finde ich ja jemanden, der mit mir spielen will.“

„Natürlich, das musst du nicht extra fragen. Such dir jemanden und meldet euch dann an. Ich bin mit Frank im Clubhaus einen Kaffee trinken. Also wenn ihr mich braucht, kommt einfach ins Clubhaus.“

Frank und ich betraten das riesige Clubhaus und setzten uns an einen der Tische, die ein wenig abseits der Theke standen. Vorher hatten wir uns jeder einen Cappuccino bestellt.

„So, vielleicht fange ich einfach mal an zu erzählen, was ich über Dustins Familie weiß.“

Ich nickte ihm zu und er begann zu erzählen.

„Also zuerst einmal, ich möchte dich bitten, alles was ich dir zur Familie sage, für dich zu behalten. Wenn Dustin dir etwas erzählt, umso besser, aber ich möchte dir einige Dinge erklären.“

„Ist mir klar, keine Sorge.“

Für einen Moment schaute er nach draußen und schien zu überlegen, ob es richtig sei, was er tat.

„Mein Bruder ist eine schwierige Person. Er ist beruflich sehr erfolgreich. Hat auch finanziell sicher viel verdient und ein gutes Leben. Er hat als Softwareentwickler bei SAP richtig viel Kohle gemacht. Bis er vor einigen Jahren mit sich selbst Probleme bekam. Heute ist er zwar immer noch bei SAP, aber es ist nur noch ein Job für ihn. Er ist ausgebrannt. Zu Hause regiert er wie ein Diktator. Meine Schwägerin ist oft überfordert und darunter leidet auch Dustin. Er ist meist sich selbst überlassen und hat niemanden mehr, der ihm als Leitfigur dient. Sein Tennis hat ihn oft aufrecht gehalten.“

Er hielt inne und nippte an seiner Tasse. Ich konnte mir vorstellen, was gerade in ihm vorging.

„Weißt du, es fällt mir nicht leicht über meinen Bruder so negativ zu berichten, aber ich will, dass der Junge wieder lachen kann. Als mir Dustin von dir erzählt hatte und ich dieses Leuchten in seinen Augen sah, da wusste ich, du hast den Jungen verstanden.“

Ich stutzte.

„Moment, er hat dir bereits von mir erzählt?“

„Oh ja, er fand es toll, wie du mit deinen Spielern umgehst und wie du ihnen etwas erklärst. Wenn du ihn dabei gesehen hättest, wüsstest du, er hat dich sofort akzeptiert und würde dir garantiert keine Probleme machen.“

Ich schmunzelte, denn das war mir auch schon aufgefallen, dass er sich jedes Mal gefreut hat, wenn er sich von mir einen Rat geholt hatte.

„Als sein Vater dann herausbekommen hatte, dass Dustin schwul ist, ist dort eine Bombe hochgegangen, die aber schon lange schwelte. Dustin wurde von meinem Bruder böse verprügelt und ist dann zu mir geflüchtet. Ich hätte am liebsten Strafanzeige gestellt, aber Dustin hatte Angst und wollte das nicht. Ich habe mich dann von ihm überreden lassen, es nicht zu tun.“

Oha, da taten sich ja Abgründe auf. Ich musste jetzt aufpassen, dass ich bei Dustin kein Erdbeben auslöste, dem er nicht gewachsen war.

„Eigentlich hättest du das dennoch tun müssen, aber ich verstehe schon deine Lage. Wir sollten gemeinsam mit Dustin daran arbeiten. Ich gehe mal davon aus, dass du damit keine Probleme hast, dass er schwul ist.“

Er fing an zu lachen:

„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe es schon länger vermutet. Dustin hat in letzter Zeit immer weniger für die Schule getan und hatte zu nichts mehr richtig Lust. Erst hatte ich gedacht, er würde vielleicht Drogen nehmen, aber als er mir dann von seinen Problemen zu Hause erzählte, wurde es mir klar. Er hat ja auch immer wieder Andeutungen gemacht und jetzt ist es endlich raus. Ganz sicher werde ich ihn unterstützen. Das Beste würde sein, er könnte für eine Zeit lang von zu Hause weg. Seinen Vater werde ich schon wieder in die Spur bringen und seine Mutter ist sowieso auf Dustins Seite. Sie kann sich nur nicht durchsetzen.“

„Aber wie geht es mit Dustin und seinem Tennis weiter? Er ist beim Verband raus und braucht einen neuen Trainer und auch einen anderen Verein.“

„Deshalb bin ich ja heute hier. Ich wollte dich fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, ihn bei euch unterzubringen. Kannst du ein Probetraining organisieren?“

„Ich hatte ja schon gesagt, für diese Turnierreise kann er bei uns trainieren und ich werde Thorsten nachher informieren, dass er bei uns aus den bekannten Gründen bleibt. Dabei wäre das eine gute Gelegenheit, ein Probetraining zu vereinbaren. Dafür müsste Dustin das aber auch wollen.“

„Er hat mich gebeten, dich darum zu bitten.“

„Nein, so geht das nicht. Du musst ihm sagen, er soll das bitte selbst tun.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“

Dabei grinsten wir uns an. Für mich war klar, ich würde mich natürlich für Dustin einsetzen, aber er sollte lernen, für seine Dinge selbst zu kämpfen. Er sollte spüren, ich würde auf seiner Seite stehen.

„Da ist noch etwas, Fynn hat ebenfalls große Probleme zu Hause und ich habe das Gefühl, die beiden ergänzen sich gut. Ich werde versuchen, beide mehr miteinander spielen zu lassen. Ich glaube, sie können sich gegenseitig aufbauen.“

„Ja, und ich glaube noch etwas anderes, aber das musst du unbedingt für dich behalten. Es wäre für Dustin sehr peinlich. Ich glaube, Dustin mag Fynn und hoffentlich macht er sich da nicht falsche Hoffnungen.“

Ich überlegte einen Moment und dann machte es „Klick“.

„Ah, jetzt verstehe ich. Du meinst, Dustin hat sich in Fynn verguckt?“

Frank nickte und wir mussten schmunzeln.

„Nun, keine Ahnung, ob und wie Fynn das aufnehmen würde. Lassen wir das doch einfach mal auf uns zukommen. Eines weiß ich aber, Fynn hat mit der Homosexualität von Dustin gar keine Probleme. Bin mal gespannt, wie die anderen damit umgehen, sollten sie es bemerken.“

Wir wechselten nun das Thema und konzentrierten uns auf das Geschehen des Turnieres. Es würde zwangsläufig auch wieder zum Aufeinandertreffen mit dem Verband kommen.

Fynn: Dustin und ich träumen von der Zukunft

„Dein Onkel scheint echt in Ordnung zu sein. Du kommst mit ihm gut klar, oder?“

Dustin und ich waren auf einem Platz und schlugen uns ein. In einer kleinen Pause saßen wir auf der Bank.

„Jau, auf jeden Fall. Er hat mir immer geholfen und ist der Einzige, der meinem Vater auch mal die Meinung sagt.“

„Scheinbar hilft das aber nicht. Ich weiß genau, wie das ist. Wenn mein Alter mal wieder breit ist, muss ich aufpassen. Sonst teilt er auch aus. Am liebsten bin ich nur noch auf dem Platz. Da kann ich in Ruhe trainieren.“

„Ja, bislang hatte ich da auch immer einigermaßen Ruhe, aber das Verbandstraining war schon seit Wochen nur Quälerei. Ich bin froh, dass ich mit Listen nichts mehr zu tun habe. Auch wenn ich jetzt sicher nicht mehr die guten Turniere spielen kann. In meinem kleinen Verein habe ich keine Trainingspartner und wer soll mich zu den Turnieren begleiten?“

„Scheiße, ich weiß. Aber warte mal ab. Ich glaube Chris und dein Onkel hecken irgendwas aus. Sie sitzen schon so lange im Clubhaus, das macht Chris sonst nicht.“

„Du meinst, sie reden über mich?“

„Ja, ich denke schon. Was macht dein Onkel eigentlich beruflich? Es scheint ihm ja nicht so schwer zu fallen, dich zu unterstützen.“

„Er ist bei uns im Krankenhaus Chefarzt in der Kinderklinik.“

„Oh, ok. Aber er hat keine eigenen Kinder?“

Dustin schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein, er ist auch nicht verheiratet. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin aber schon über zehn Jahre zusammen.“

Wir standen auf und spielten uns wieder Bälle zu. Das Tempo stieg deutlich an und ich fühlte mich gut. Auch Dustin schien sich besser zu fühlen und wir hatten wieder richtig Spaß. Leider mussten wir nach weiteren zehn Minuten den Platz frei machen. Auch andere Spieler wollten sich warmspielen.

„Komm, wir gehen mal schauen, was die anderen so machen. Außerdem bist du ja auch gleich dran mit deinem Match.“

Mit unseren Taschen bepackt, machten wir uns auf den Weg zum Clubhaus. Unterwegs kamen wir bei Carlo und Sascha vorbei. Sie wärmten sich ebenfalls auf. Marco stand bei ihnen am Platz und begrüßte uns.

„Hallo ihr beiden. Ich habe schon gesehen, ihr spielt Doppel?“

„Hi, Marco. Ja, wir wollen mal schauen, ob wir das überhaupt können.“

Ich war erstaunt, dass Dustin so locker war. Eben machte er noch einen angespannten Eindruck.

„Ach, ganz sicher. Ich glaube sogar, dass ihr ein gutes Doppel spielen könnt. Lasst es auf euch zukommen. Ihr seid ein gutes Team und ganz wichtig, ihr versteht euch auf dem Platz.“

Dustin lächelte und sah mich dabei an. Ich war mir sicher, wir hatten den gleichen Gedanken, denn gleichzeitig erwiderten wir darauf:

„Nicht nur auf dem Platz.“

Jetzt war es Marco, der laut zu lachen begann.

„Ok, ihr habt sicher recht. Dann habt mal viel Spaß. Carlo und Sascha wollen auch einen Versuch starten. Wird bestimmt lustig.“

„Cool, mal sehen, wen uns die Auslosung beschert. Es ist ja eine Konkurrenz für alle. Hoffentlich bekommen Carlo und Sascha einen fairen Gegner.“

Marco blieb ganz entspannt:

„Ja, das wird schon. Außerdem müssen sie auch lernen, dass andere Spieler schon viel weiter sind. Sie können nur etwas hinzulernen. Und, wer weiß, vielleicht schaffen sie eine Überraschung.“

Dustin und ich marschierten nun zur Turnierleitung und wollten unsere Startzeiten erfragen. Dort wurde Dustin gleich auf Platz 10 geschickt, um sein Einzel zu spielen.

„Hey, dann mal viel Erfolg. Ich zieh mir ein trockenes Hemd an und komme gleich.“

Er drehte sich noch einmal um und umarmte mich kurz. Das überraschte mich doch ein wenig, denn es war unüblich. Eher schlug man sich mit den Händen ab, aber ich fand es sehr vertraut. Es war für mich auch ein Freundschaftsbeweis. Ich ging anschließend in die Umkleide, während sich Dustin mit seinem Gegner zum Platz bewegte.

In der Umkleide war kaum Betrieb. Ich stellte meine Tasche ab und nahm mir ein neues Shirt aus der Tasche. Gleichzeitig holte ich mir eine Banane heraus. Für einen Moment gingen mir doch ein paar Gedanken durch den Kopf, die wenig mit Tennis zu tun hatten.

Es war komisch, dass ich ausgerechnet jetzt Dustin als Freund zurückgewonnen hatte. Mir tat es gut, vor allem, weil ich vielleicht einen Freund an meiner Seite hatte, der genau wusste, wie ich mich fühle. Der Stress zu Hause holte mich wieder ein und für einen Moment dachte ich an meinen kleinen Bruder. Das war keine gute Idee, denn in meinem Magen kam Unruhe auf. Ich verließ fluchtartig die Umkleide und lief zu Dustin an den Platz. Ich musste schnell auf andere Gedanken kommen und mich wieder auf Tennis konzentrieren.

Etwas irritiert sah ich, dass Chris und Frank immer noch nicht bei Dustin am Platz standen. Sie hatten wohl sehr Wichtiges zu besprechen. Ich würde es begrüßen, wenn Dustin zu uns nach Halle wechseln würde. Vielleicht gab es dafür ja eine Lösung. Beim Spielstand von 2:2 im ersten Satz erschienen sie dann auch endlich am Platz. Sie unterhielten sich angeregt und es schien so, als ob Frank sehr zufrieden war.

Dustin beobachtete nach jedem Ballwechsel ganz genau, wie sich Chris und Frank verhielten. Dadurch verlor er sehr schnell den Faden und lag 2:5 zurück. Sein Gesicht sprach Bände. Er war ziemlich ratlos. Ich entschloss mich, Dustin zu unterstützen, auch gegen die Regeln. Ich ging beim Seitenwechsel zu ihm, legte ihm meine Hände auf die Schultern und redete auf ihn beruhigend ein:

„Sag mal, was machst du hier? Hör auf, ständig zu Frank zu schauen. Sie haben sicher eine gute Lösung für uns. Du musst dich nur auf dein Spiel konzentrieren. Los, fang an zu spielen.“

Ich konnte sofort fühlen, wie sich unter meinen Händen, seine Schultern entspannten und er frei und tief durchatmete. Er stand auf und schaute mich an. Seine Augen begannen zu leuchten. Ich hatte das Gefühl, bei Dustin etwas aufgeweckt zu haben. Er lächelte mich an.

„Ja, du hast recht. Ich werde aufhören zu denken. Jetzt geht’s los.“

Er schlug mit der Hand in meine hingehaltene Hand ein und was dann passierte, war sehr merkwürdig. Er explodierte förmlich und kämpfte sich in das Spiel zurück. Es war einfach unglaublich. Bei jedem Punkt pumpte er sich auf und feuerte sich an. So hatte ich Dustin noch nie erlebt, aber es half. Er gewann den Satz noch im Tie-Break und dann den zweiten Satz souverän mit 6:2.

Ich hatte die ganze Zeit an der Bank gestanden, während Chris immer etwas im Hintergrund blieb. Dustin suchte immer nur den Blick zu mir, nicht zu seinem Onkel. Jetzt stand er vor mir und sagte:

„Danke, du hast mir ordentlich in den Arsch getreten. Ohne deine Worte hätte ich nicht gewonnen.“

Völlig verschwitzt umarmte er mich erneut. Er war einfach erleichtert, dieses Spiel noch gewonnen zu haben. Chris und Frank kamen jetzt auch hinzu und gratulierten ihm. Chris und ich gingen ein paar Schritte zurück, damit Frank sich einen Moment allein mit Dustin unterhalten konnte.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte mich Chris.

„Ich? Gar nichts. Ich habe nur versucht, ihn aufzubauen und ihm den Druck zu nehmen. Er war so verkrampft. Ich habe keine Ahnung, was da passiert ist.“

Chris schaute mich skeptisch und kopfschüttelnd an.

„Jedenfalls hast du anscheinend genau das Richtige gemacht.“

„Ich habe es bestimmt nicht mit einem Plan getan. Ich wollte einfach nur, dass er aufhört, immer nur zu Frank zu schauen.“

„Ja, ich habe es bemerkt. Du hast sicher eine gute Idee gehabt. Ihr ergänzt euch gegenseitig. Das gefällt mir sehr gut.“

„Darf ich fragen, was du mit Frank so lange besprochen hast? Gibt es große Probleme?“

Chris schaute mich eindringlich an und dann kam vielsagend von ihm:

„Es ist schwierig für Dustin, aber du wirst ihm sicher eine große Hilfe sein. Ich werde mit Thorsten heute noch telefonieren und das mit ihm besprechen.“

„Heißt das, er bleibt bei uns?“

„Das heißt, er bleibt bis zum Ende dieser Reise bei uns und das Weitere muss ich erst mit Thorsten klären. Du kannst aber für ihn etwas tun.“

„Echt? Was denn?“

„Motiviere ihn, sich voll reinzuhängen. Je besser er spielt, desto größer die Chancen, dass Thorsten ihn bei uns aufnehmen kann. Außerdem wird Frank ihm erklären, dass er selbst bei mir anfragen soll, ob er bei uns bleiben kann.“

Wow, das bedeutete, Chris würde ihn bei uns aufnehmen und sich auch für ihn einsetzen. Ich freute mich, denn ich würde dadurch wieder einen guten Partner bekommen und außerdem noch mit einem guten Freund zusammen sein können.

Mittlerweile waren auch Frank und Dustin zu uns gekommen und wir wechselten schnell das Thema. Dustin fragte mich:

„Wann bist du denn mit deinem Match dran?“

Ich schaute zur Uhr. „Gleich, ich mache mich auch besser mal warm. Sonst wird die Zeit zu knapp. Kommst du dann zum Gucken?“

Er schaute mich an und grinste.

„Klar Mann, ich will doch was lernen. Außerdem hat man auf dem Platz nicht so viele Freunde, da will ich doch etwas für unsere Freundschaft tun.“

Chris mischte sich jetzt ein.

„Komm, sieh zu, dass du dich aufwärmst und Dustin zieht sich schnell trockene Sachen an. Ich habe keinen Bock, einen von euch noch verarzten zu müssen.“

Das war ein gutes Stichwort. Ich hatte völlig vergessen, dass ich ja noch die Fäden über dem Auge drin hatte. Würde es Probleme geben? Allerdings schien sich Chris damit überhaupt nicht zu beschäftigen. Für ihn lief alles wie immer. Also ging ich mich aufwärmen. Ich vertraute Chris da total. Er würde mich sicher nicht spielen lassen, wenn es gefährlich war.

Während des Aufwärmens bekam ich mit, dass Carlo und Sascha zum Doppel auf den Platz gingen. Das sah schon komisch aus. Ihre Gegner waren bestimmt zwanzig Zentimeter größer als sie. Hoffentlich würden sie nicht zu sehr abgeschossen. Ich gab ihnen noch einen kurzen Gruß mit und verließ die Anlage, um mich einzulaufen.

Dabei gingen mir wieder Gedanken an zu Hause durch den Kopf. Wie würde es meinem Bruder gehen. Und wie konnte ich die Situation zu Hause für mich verbessern. Es wurde mir erneut bewusst, wie angenehm es hier war. Ich konnte mich frei bewegen, brauchte keine Angst vor meinem Vater zu haben und hatte sogar noch einen guten Freund an meiner Seite. Wie in Trance lief ich durch die Gegend. Erst, als ich die Anlage wieder vor Augen hatte, kam ich in die Realität zurück.

Vor dem Eingang zum Clubhaus stand ein Junge und fragte mich: „Bist du Fynn?“

Ich schaute ihn an, nickte und erwiderte: „Ja, müssen wir beide spielen?“

„Genau, ich bin Stefan.“

Er gab mir die Hand und ich sagte ihm, dass ich noch meine Tasche holen würde. Einen Augenblick später liefen wir nebeneinander zum Platz. Chris stand mit Mattes bei Carlo und Sascha am Platz. Mit einem kurzen Armzeichen gab ich ihm zu verstehen, dass ich auf den Platz gehe. Er antwortete und ich wusste, er würde bestimmt gleich auch bei mir vorbeikommen.

Was mich allerdings irritierte, Chris hatte dieses Mal kein Wort mit mir über meinen Gegner gesprochen. Das tat er sonst immer. Nun gut, ich kannte den Gegner überhaupt nicht, aber irgendwie würde ich schon merken, wie das Spiel zu spielen ist.

Und dann bekam ich mit, dass Stefan wohl aus dem Kader vom WTV kam, denn Herr Listen stand bereits am Platz, als wir eintrafen. Das hatte mir noch gefehlt. Irgendwie kam Unruhe in mir auf. Ich fühlte mich unsicher.

Das Spiel entwickelte sich immer mehr zu einem Problem. Ich konnte zwar gut mithalten, aber Listen mischte sich ständig in das Spiel ein. Er gab lautstarke Anweisungen und bei jedem Seitenwechsel coachte er meinen Gegner. Das machte mich wütend, denn das war verboten, aber niemand von der Turnierleitung war anwesend und kümmerte sich darum. Ich regte mich immer mehr auf und fühlte mich ungerecht behandelt. Chris war auch nicht zu sehen und das in einer Situation, wo ich ihn dringend brauchte. Glücklicherweise kam Dustin in diesem Moment an unseren Platz.

Innerhalb kürzester Zeit hatte er die Lage begriffen und legte sich mit Listen an. Während wir spielten, hatte er sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Verbandstrainer eingelassen. Ob das so gut war? Ich konnte mich jedenfalls noch schlechter konzentrieren und das Spiel entglitt mir. Erst, als es zu lautstarken Wortgefechten kam, wurde Chris wohl aufmerksam und kam an meinen Platz gelaufen. Er schaute nur kurz, drehte sich um und war wieder verschwunden.

Bei mir stand es nicht gut. Ich lag 4:5 zurück und spielte einfach schlecht. Stefan war eigentlich kein wirklicher Gegner für mich, nur Listen hatte ihn immer wieder gut auf mein Spiel eingestellt und ich ließ mich von ihm provozieren. Meine Wut steigerte sich immer weiter. Plötzlich sah ich, dass Antonius Luig an den Platz kam. Er war vom Veranstalter als Oberschiedsrichter eingesetzt. Antonius war bei allen Spielern sehr beliebt, weil er Wert auf Fairness legte.

Er schaute sich kurz das Geschehen an, ging wortlos zu den Streithähnen Listen und Dustin, gab Listen einen kurzen Hinweis und verwies ihn des Platzes. Dustin bat er ebenfalls sich zu beruhigen und endlich konnte ich mich wieder auf mein Spiel konzentrieren. Es dauerte noch einen Moment, aber dann begann ich meinen Gegner zu zerlegen. Der zweite Satz dauerte nicht lang und ich hatte zu Null gewonnen. Dustin jubelte laut und ballte die Faust. Was ich toll fand, Stefan hatte sich beim Handshake für die Unfairness entschuldigt.

„Warum schickst du ihn nicht einfach weg?“, fragte ich ihn dann.

Er schaute mich an und wollte etwas sagen, aber Dustin war schneller.

„Weil es ihm sonst so ergehen würde, wie mir.“

Ich war erschrocken.

So hatte ich auch noch gar nicht registriert, dass sich mein Auge mit einem pochenden Schmerz meldete. Es war sogar wieder angeschwollen. Während des Matches war ich so auf das Spiel fokussiert, dass ich das überhaupt nicht bemerkt hatte. Dustin und ich standen vor der Bank, als mir plötzlich sogar etwas schwindelig wurde. Es drehte sich alles um mich und ich taumelte wohl ein oder zwei Schritte zur Seite. Dustin griff mir sofort in den Arm und hielt mich fest.

„Hey, was ist los? Geht es dir nicht gut?“

Sein Griff war fest, aber auch so, dass es nicht weh tat. Er stütze mich und führte mich zur Bank. Er ließ erst locker, als ich auf der Bank saß.

„Was ist los?“, fragte er mich erneut.

„Ich weiß nicht“, flüsterte ich. Mir war das schleierhaft. Dustin blieb bei mir auf der Bank sitzen und legte seinen Arm um mich. Das gab mir ein gutes Gefühl. Ich war nicht allein und er machte sich ernsthaft Sorgen. Keine dummen Sprüche, wie man es sonst von anderen gewohnt war.

„Kannst du aufstehen?“

„Gleich, lass mich noch einen Moment sitzen. Es geht bestimmt gleich wieder.“

Er blieb weiter an meiner Seite auf der Bank sitzen. Einerseits war mir das gerade total peinlich, aber es gab mir Sicherheit, dass er bei mir blieb.

„Bleib einfach noch einen Moment sitzen, ich ziehe für dich den Platz ab. Ok?“

Ich nickte.

„Danke, sorry. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist.“

„Man, kein Problem. Das wird schon wieder.“

Erst jetzt kam Chris wieder an den Platz zurück. Er hatte noch gar nicht mitbekommen, dass etwas nicht stimmte.

„Glückwunsch, du hast ja dann schnell kurzen Prozess gemacht. Sorry, aber ich musste noch mit Antonius etwas klären.“

Ich nickte wortlos. Als er dann noch Dustin sah, wie er den Platz abzog, wurde ihm klar, dass etwas nicht in Ordnung war.

„Was ist los? Du siehst blass aus.“

Ich musste aufpassen, wie ich antworten sollte. Chris würde mich doch sonst sofort aus dem Turnier nehmen.

„Hm, geht schon. Mir ist eben nur total schwindlig geworden.“

Mittlerweile war Dustin auch wieder bei uns und Chris schaute mich ganz genau an. Er fühlte über mein Auge und sagte dann:

„Ah, ich verstehe. Du hast durch das geschwollene Auge Gleichgewichtsprobleme. Dustin, begleitest du Fynn bitte ins Zelt. Er soll sich einen Moment hinlegen. Ich bringe euch etwas zum Kühlen.“

Ich wollte jetzt meine Tasche nehmen und aufstehen, aber Dustin war schneller. Er schulterte meine Tasche und half mir beim Aufstehen. Es ging doch ganz gut. Ich fühlte mich nur nicht sonderlich gut. Ich war verunsichert. Allerdings wich mir Dustin nicht von der Seite und führte mich zu meinem Zelt. Ich legte mich hin und irgendwie war mir das aber auch etwas unangenehm.

„Danke, dass du dich kümmerst. Hoffentlich geht das gleich wieder besser. Chris wird mir sonst verbieten, weiter zu spielen.“

„Wenn du nicht fit bist, ist das sicher auch richtig.“

Ich schaute ihn an und er machte nicht den Eindruck, als ob er sauer wäre. Denn das würde ja auch bedeuten, dass wir kein Doppel spielen konnten. Das wollte ich aber unbedingt.

„Nein, ich will mit dir Doppel spielen. Also bis dahin muss das wieder besser sein.“

In diesem Moment legte Dustin seine Hand auf meinen Kopf und fühlte vorsichtig über die Verletzung. Es war, als ob ein Stromschlag durch meinen Körper ging. Ich bekam sofort eine Gänsehaut.

In diesem Moment kam Chris zu uns. Dustin zog sofort seine Hand zurück.

„So, hier ist ein Kühlpack. Leg dir ein Handtuch darum und dann auf das Auge. Dann sollte die Schwellung schnell wieder zurückgehen.“

Ich nickte und er gab Dustin das Pack. Dustin schien unsicher zu sein.

„Wo bist du, falls etwas sein sollte?“, fragte er Chris.

„Ich bin bei Mattes am Platz. Ihr habt noch etwa eine halbe Stunde bis zu eurem Doppel. Sollte aber Fynn nicht absolut fit sein, werde ich das Doppel canceln.“

„Klar, es macht sonst auch keinen Sinn zu spielen.“

Chris nickte bei Dustins Worten, ich hingegen wollte unbedingt spielen. Als Chris das Zelt wieder verlassen hatte, wollte ich aufstehen. Ich fühlte mich wieder besser.

„Mach aber langsam, Fynn. Ich brauche dich noch.“

Dabei grinste er mich an und ich musste lachen. Das Lachen tat uns beiden gut. Erst jetzt bemerkte ich die Anspannung bei Dustin. Ich stand langsam auf und hielt mir den Kühlakku an die Stirn. Vor dem Zelt stehend drehte mich Dustin zu sich um und nahm mit seiner Hand meine Hand zur Seite.

„Lass mal sehen.“

Er schaute sich die Schwellung an und fuhr mit seiner Hand ganz behutsam wieder über die Schwellung. Da war wieder dieses Gefühl. Sofort bekam ich erneut eine Gänsehaut. Ich schüttelte mich einmal und Dustin fing an zu lächeln. Wieder fuhr er über mein Gesicht.

„Fühlt sich schon viel besser an. Die Schwellung ist schon zurückgegangen. Tut das eigentlich nicht weh?“

Ich schüttelte den Kopf und war doch verwirrt. Wie kann eine einfache Berührung so eine Reaktion hervorrufen?

„Danke, es wird schon viel besser. Lass uns wieder zu den anderen gehen. Ich glaube, ich kann auf jeden Fall weiterspielen.“

Es war das wichtigste Turnier unserer Reise und ich wollte auf keinen Fall darauf verzichten. Einerseits gab es viele Ranglistenpunkte zu ergattern und zum anderen war das Preisgeld auch nicht von schlechten Eltern.

Dustin ging wortlos neben mir, als wir die Anlage wieder betraten.

„So, wollen doch mal schauen, was die anderen so machen.“

Dustin schien mit den Gedanken für einen Moment ganz weit weg gewesen zu sein.

„Äh, was hast du gesagt?“

Eigentlich wäre es sehr lustig gewesen, aber das Gesicht von Dustin sprach eine andere Sprache. Es war traurig und sehr ernst. Ich wiederholte einfach, was ich gesagt hatte und er reagierte fast mechanisch. Es irritierte mich. Warum war er plötzlich so anders, warum wechselten seine Gemütszustände so rapide. Eben war er noch so nett und freundlich und jetzt so kühl.

Dustin: Gefühle

Was war mit mir los? Im Zelt hatte ich Fynn berührt und über seine Verletzung gestreichelt. Ich habe gesehen, dass er eine heftige Gänsehaut bekam. Ich hätte am liebsten weitergemacht und ihn vielleicht sogar geküsst. Fynn war der einzige meiner Freunde, der wusste, dass ich schwul bin. Er ließ es zu, dass ich ihn berührte. Aber als Chris hinzukam, war ich zu feige, weiterzumachen. Warum eigentlich? Chris wusste es doch auch. Aber was wäre, wenn es jemand anderes herausfinden würde? Die Leute im Verband würden nur darauf warten, mich auszugrenzen. Bislang gab es keine schwulen Tennisspieler, selbst bei den Profis nicht. Offiziell. Ein paar Lesben gab es, aber bei den Herren? Nicht einen.

Mittlerweile waren wir wieder auf der Anlage und ich versuchte, so distanziert wie alle anderen zu wirken. Am liebsten hätte ich aber Fynn umarmt und ihm so meine Unterstützung gezeigt. Aber was wäre, wenn Fynn das gar nicht möchte und ich ihn in Schwierigkeiten bringen würde? Nein, ich musste weiterhin höllisch aufpassen. Leider.

Ich bemühte mich also, so normal und distanziert zu sein, wie alle anderen Spieler auch. Fynn schien es bemerkt zu haben, denn er schaute mich fragend an. Wie gern würde ich ihm meine Gefühle erzählen, aber wenn er nicht schwul ist, würde es peinlich werden. Ich brauchte mehr Sicherheit, aber wie konnte das gehen, ohne dass wir auffielen?

Plötzlich fragte mich Fynn:

„Sag mal, hast du schon mal ein Preisgeld bei einem Turnier gewonnen?“

Was für eine Frage, ich war überhaupt nicht bei der Sache und musste einen Moment überlegen. Da fragte er schon lachend:

„Na, wo bist du denn grade? Jedenfalls nicht hier.“

Boah, war das jetzt unangenehm. Ich wollte mich schon herausreden, aber er nahm es locker.

„Hey, ist doch nicht schlimm. Wenn du willst, kannst du mir nachher mal erzählen, wo du gerade mit deinen Gedanken warst. Aber jetzt kannst du ja meine Frage beantworten.“

Dabei fing er an zu lachen und ich musste auch lachen, obwohl es mir gerade total heiß wurde.

„Ja, nein.“

„Wie? Was denn nun?“

„Man, Fynn, lass mich doch ausreden. Nein, noch kein Preisgeld gewonnen, nur Pokale und Sachpreise, du?“

„Ja, gerade vor ein paar Tagen. Den ersten Scheck über 100 Euro.“

„Cool, was hast du damit gemacht? Hast du gefeiert?“

Er grinste und holte einen Umschlag aus der Tasche.

„Nein, ich habe ihn noch nicht mal eingelöst. Das könnte ich eigentlich hier machen. Dann gehen wir schön Eis essen.“

„Du solltest das Geld besser für dich ausgeben. Ich habe doch gar nichts dafür getan.“

Er schaute mich an und seine Gesichtszüge wurden weicher.

„Ist doch egal, du bist mein Freund. Ich möchte mit dir zusammen das Geld verbraten. Außerdem können wir ja hier unser erstes gemeinsames Preisgeld holen.“

Dabei grinste er wieder richtig fies. Es sah zu komisch aus und ich musste lachen. Wir hatten überhaupt nicht bemerkt, dass mein Onkel zu uns gekommen war.

„Na, ihr beiden Helden. Was macht dein Auge, Fynn? Kannst du weiter spielen oder ist es zu gefährlich.“

Mist, das hatte ich total vergessen. Erwartungsvoll schaute ich zu Fynn, aber er wiegelte ab.

„Alles schon viel besser. Ich will unbedingt weiter spielen. Außerdem hat mich Dustin bestens versorgt. So kann ich bestimmt spielen.“

Frank schaute zu mir und ich wurde wohl doch etwas rot, denn er zwinkerte mir zu und meinte:

„Das kann ich mir gut vorstellen. Dann seht mal zu, dass ihr euch fertig macht. Ihr seid nämlich auf dem nächsten freien Platz dran.“

Ich hatte es fast vergessen, wir waren zum Tennisspielen hier. Oh man, irgendwie war ich gar nicht wirklich bereit, ein Turnier zu spielen. Egal, das durfte ich Fynn nicht zeigen, er würde bestimmt sauer sein, er will immer gewinnen. Er war früher schon der ehrgeizigere von uns beiden gewesen. Allerdings wollte ich heute zeigen, dass ich mit ihm mithalten kann.

„Los, lass uns laufen gehen, sonst bewegen wir uns wie Mumien“, meinte er auch sofort.

„Jaja, ich komm ja schon. Alter Antreiber.“

Ich schubste ihn leicht in die Seite und kitzelte ihn kurz. Er schrie auf und wir mussten beide laut lachen. Fynn war kitzelig. Das würde ich bestimmt noch mal zu meinem Vorteil nutzen können. Danach gingen wir uns aber ernsthaft aufwärmen.

Das Spiel gestaltete sich doch schwieriger als erwartet, denn ich hatte große Schwierigkeiten mich zu konzentrieren. Immer wieder unterliefen mir einfache Fehler, die Fynn dann auszubügeln hatte. Glücklicherweise waren unsere Gegner im ersten Spiel nicht so gut. Wir gewannen trotz meiner schlechten Leistung recht locker. Wir gingen vom Platz und ich war unzufrieden.

„Sorry Fynn, so schlecht habe ich schon lange nicht mehr gespielt. Hoffentlich wird das schnell wieder besser.“

Ich war verunsichert und wusste eigentlich gar nicht warum. Fynn versuchte mich aufzubauen. Allerdings half mir das nicht so wirklich. Ich zog mich für einen Moment allein auf eine Bank zurück. Ich musste mich sammeln, sonst würde das Turnier schnell vorbei sein. Erst nach einigen Augenblicken hatte ich registriert, dass ich nicht mehr allein auf der Bank saß. Chris saß neben mir. Ich erschrak sogar ein wenig, weil ich ihn überhaupt nicht bemerkt hatte.

„Na, großer Meister. Hast du dich ein wenig beruhigt?“

Es klang nicht lächerlich, er fragte ernsthaft nach meinem Befinden. Das kannte ich bislang überhaupt nicht.

„Weiß nicht. Ich bin so gefrustet. Ohne Fynn wären wir so untergegangen. Und ich kann nicht mal sagen, warum ich so scheiße gespielt habe.“

Chris blieb ganz ruhig neben mir sitzen und hörte zu. Er ließ mich einfach weiter erzählen.

„Ich kann mich momentan nicht konzentrieren und meine Gedanken schweifen ab. Ich kann nichts dagegen tun. So kann ich das Probetraining bei euch doch vergessen.“

Chris sagte immer noch nichts. Ich wurde langsam unruhig. Ich schaute ihn an und er fixierte mich mit seinen Augen.

„Wohin schweifen deine Gedanken ab?“

„Ich weiß es nicht, mal dort, mal da. Es ist schrecklich.“

„Hm, schwierig, jemandem zu helfen, der selbst nicht weiß, was er gerade denkt. Wobei ich mir sicher bin, dass du genau weißt, was in deinem Kopf passiert. Oder sollte ich sagen in deinem Bauch?“

„Hä, wieso Bauch? Das verstehe ich nicht.“

Jetzt lehnte er sich an die Lehne zurück und holte tief Luft.

„Nun, ich habe das Gefühl, du bist nicht ehrlich zu dir selbst. Du kämpfst nicht nur auf dem Platz. Warum versuchst du, Fynn etwas vorzumachen und auch mir gegenüber? Dein Coming out ist noch lange nicht vorbei und du musst lernen, zu dir zu stehen. Erst dann wirst du merken, wer dich so akzeptiert wie du bist. Und eines sei dir gesagt, du bist ein netter Junge, der zudem noch unheimlich viel Talent hat.“

Ich hörte diese Worte und mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Hatte mich Chris durchschaut?

„Was meinst du damit konkret? Ich verstehe das irgendwie nicht. Soll ich offen sagen, dass ich schwul bin? Das kannst du doch nicht ernst meinen, oder?“

Chris musste sich sehr zusammennehmen, damit er nicht in lautes Gelächter ausbrach. Er legte seine Hand auf meine Schulter.

„Nein, ganz sicher nicht. Aber ich glaube, dass du mehr für Fynn empfindest, als nur Freundschaft. Außerdem hast du Angst vor deinem Zuhause. Du musst lernen, dass du so bist, wie du bist. Du kannst dir nicht aussuchen, ob du schwul bist oder nicht. Aber eines verspreche ich dir, wenn du uns vertraust und uns sagst, was dich belastet und wo wir dir helfen können, dann wirst du deinen Weg machen.“

Er machte eine kurze Pause und dann traf mich ein Blitz.

„Schau mich mal an, Dustin. Du magst Fynn mehr, als du bislang zugeben möchtest. Ich habe Fynn in den letzten Tagen beobachtet. Er freut sich ehrlich über die wiedergewonnene Freundschaft zu dir. Ihr solltet offen miteinander reden. Erst dadurch wirst du herausfinden, ob Fynn deine Gefühle erwidern kann.“

Ich war fassungslos, woher konnte Chris das wissen? Niemand wusste das. Nicht einmal ich habe es mir bislang eingestehen können. Mir schoss das Wasser in die Augen. Ich konnte nur noch schemenhaft erkennen, was um mich herum passierte. Allerdings blieb Chris ganz ruhig neben mir sitzen und hielt mich fest. Er sagte kein Wort mehr. Ich war total fertig. Wieso konnte er das wissen?

„Was … was soll ich jetzt machen? Ich kann doch nichts dafür, dass ich Fynn mag.“

Er gab mir ein Taschentuch und es war unglaublich. Er schaffte es innerhalb weniger Augenblicke mich zu beruhigen.

„Natürlich kannst du nichts dafür. Aber du solltest aufhören, dich zu belügen. Steh zu deinen Gefühlen. Ich kann dir nicht sagen, wie Fynn damit umgehen wird. Allerdings wird er nicht lange warten können, wenn du ihm nicht erklärst, was bei dir gerade passiert. Eines weiß ich aber auch, falls er deine Gefühle nicht erwidern kann, wird er dich dennoch als Freund akzeptieren. Du wirst dann sicher einen anderen netten Jungen finden, der dir als Partner zur Seite stehen wird. Nicht auf dem Platz, sondern im Leben.“

Dann hörte er auf zu sprechen und ich war total fertig. Er ließ mich einfach in Ruhe nachdenken und blieb bei mir.

„Denkst du wirklich, ich sollte es Fynn sagen?“

„Ja, ich denke schon. Nicht heute und auch nicht morgen, aber wenn du dir sicher bist, dass es so ist, dann solltest du mit ihm sprechen.“

Ich nickte stumm und er stand auf und sagte noch:

„Dustin, du brauchst weder vor mir noch vor Fynn Angst zu haben. Auch die anderen Jungs in unserer Gruppe werden dir nichts tun. Aber hör auf, dich selbst zu belügen.“

Dann ging er weg. Ich blieb noch einen Augenblick sitzen und musste mich sammeln. Wie gut, dass wir am Rande der Anlage saßen, wo kaum jemand vorbei kam. Das hätte mir noch gefehlt, dass mich jemand der anderen so gesehen hätte.

Fynn: Teamleistung

Der Erfolg im Doppel hatte auch eine negative Seite. Ich musste natürlich jetzt mehr Spiele am Tag machen. Das war schon anstrengend. Heute stand noch ein Einzel an. Zwei Einzel pro Tag waren bei großen Turnieren üblich. Mein kommender Gegner stand auch bereits fest und ich saß mit Chris bei der Vorbereitung. Diesmal konnte er mir genaue Details über den Spieler geben und mit mir eine Strategie ausarbeiten.

Allerdings war ich auch nicht mehr so richtig im Bilde, was die anderen so gemacht hatten. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt gewesen.

„Chris, wie sieht das eigentlich bei Carlo und Mattes aus? Ich habe nicht viel mitbekommen. Und haben Carlo und Sascha eigentlich ihr Doppel gewonnen?“

Chris grinste mich an:

„Nun, immerhin bemerkst du noch, dass wir noch andere Spieler haben, als dich. Nein, Carlo und Sascha sind im Doppel schon raus. Das macht aber gar nichts, sie sollten Erfahrungen sammeln. Im Einzel sind Mattes und Carlo noch drin. Genau wie Sascha. Marco und ich haben übrigens für dieses Turnier besprochen, euch gemeinsam zu betreuen. Also wenn ich grad beschäftigt bin, kannst du auch zu Marco gehen.“

„Ok, cool. Heute muss jeder noch ein Match machen? Wie machen wir das eigentlich mit der Unterbringung von Dustin? Er muss ja irgendwo schlafen.“

Chris lachte und schüttelte den Kopf.

„Ich dachte schon, du würdest da gar nicht drauf kommen. Er ist gerade dabei mit Frank sein Zelt neben eurem Zelt aufzubauen.“

Das war wieder so typisch für Chris. Er machte sich einen Spaß daraus, mich aufzuziehen.

„Echt? Cool. Ich geh mal rüber und schau, ob ich helfen kann.“

„Verletz dich nicht“, kam noch als ironischer Kommentar von Chris, aber ich war schon auf dem Weg.

Schon von weitem konnte ich erkennen, Frank und Dustin waren dabei ein großes Igluzelt aufzustellen. Allerdings schienen sie einige Schwierigkeiten zu haben, denn noch lag das ganze Zeug auf dem Boden verteilt. Ich beeilte mich, zu ihnen zu kommen und Frank schien auch nicht gerade der geschickteste Zeltbauer zu sein.

„Na, wie sieht das aus, braucht ihr Unterstützung?“, fragte ich lachend.

Frank schaute mich dankbar an.

„Oh ja, das wäre echt klasse. Ich habe von Zelten nämlich keine Ahnung. Ich hatte gehofft, Dustin würde das können, aber da habe ich mich wohl getäuscht.“

Ich schaute mir die Sachen auf dem Boden an und begann zuerst einmal, alles zu sortieren. Ich erklärte kurz, wofür was zu gebrauchen war und dann fingen wir an. Dustin war gar nicht so ungeschickt, er hatte nur noch nie ein Zelt aufgebaut. Ich erklärte ihm die Reihenfolge der Schritte und innerhalb weniger Minuten hatten wir das Zelt stehen. Jetzt musste es nur noch verankert werden. Dustin nahm den Hammer und schlug alle Heringe in den Boden, während ich die Schnüre spannte. Erst als wir alles soweit stehen hatten, fiel uns auf, dass Frank bereits still und heimlich verschwunden war.

„Dein Onkel ist ja auch nicht schlecht. Erst lässt er dich mit dem Zelt kämpfen und dann verpisst er sich einfach und lässt uns die Arbeit machen.“

Dustin schien das etwas unangenehm zu sein, denn seine Gesichtsfarbe veränderte sich in ein leichtes Rot.

„Ne, bestimmt nicht. Frank hat mir immer geholfen. Er hat vermutlich gesehen, dass du ein Profi bist und wollte dir nicht im Weg stehen.“

Ich schaute wohl recht merkwürdig aus, denn Dustin begann nach kurzem Zögern, laut zu lachen. Er schlug mir mit der Hand auf die Schulter.

„Nein, im Ernst. Vielen Dank für deine Hilfe. Ich habe das echt noch nie gemacht. Ich habe auch noch nie in einem Zelt geschlafen, mal sehen, wie ich das hinbekomme.“

Das war natürlich eine gute Steilvorlage für mich.

„Nun, es ist ganz einfach. Man legt sich in seinen Schlafsack und schläft einfach ein. Sollte auch für dich nicht so schwer sein.“

Das lockerte unsere Stimmung immer mehr und es dauerte nicht lange und wir balgten über den Rasen. Dustin kitzelte mich immer wieder und leider hatte er sehr schnell herausgefunden, wie kitzelig ich war.

„Hör auf, bitte“, japste ich nach Luft, „ich kann sonst nicht mehr spielen.“

Dustin lachte sich tot, denn ich lag unter ihm auf dem Bauch und er hatte mich vollkommen unter Kontrolle.

„Nur, wenn du mir zeigst, wie man im Zelt übernachtet.“

Gott sei Dank hatte er aufgehört, mich zu kitzeln. Beim Toben hatte ich gar nicht mehr an die Augenverletzung gedacht. Erst jetzt wollte ich mir an die Schläfe fassen, kam aber nicht an den Kopf mit der Hand, weil Dustin da noch drauf saß. Allerdings lockerte er nun seinen Griff und ich drehte mich unter ihm auf den Rücken. Dustin legte seine Hand auf meine Stirn und strich über die verkrustete Wunde. Wieder durchzuckte mich ein Stromschlag. Seine Berührung löste bei mir erneut Gänsehaut aus. Es war eine komische Situation und ich hoffte, niemand würde uns beobachten. Dustin war sehr behutsam und wir schauten uns an. Es war plötzlich still, keiner sagte mehr etwas und ich spürte leider auch, dass sich in meiner Hose etwas versteifte. Scheisse, das durfte doch nicht wahr sein. Was sollte ich jetzt tun?

Glücklicherweise hatte Dustin sich entschlossen aufzustehen. Er half mir noch hoch und wir schauten uns noch einmal sein Zelt an. Er legte seine Sachen ins Zelt und dann machten wir uns schweigend wieder auf den Weg zurück. Hatte er vielleicht doch etwas bemerkt? Was hatte das zu bedeuten, ich war verwirrt. Allerdings war es wieder ein tolles Gefühl, wie er mich berührt hatte.

Kurz vor Betreten der Anlage fragte mich Dustin: „Bei dir alles in Ordnung? Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Es tut mir leid, aber …“

Es schien ihm peinlich zu sein.

„Was meinst du? Ich fand es lustig. Können wir gern wiederholen. Allerdings sollten wir aufpassen, dass Chris uns nicht sieht, oder einer von den anderen. Das könnte sonst wirklich peinlich werden.“

„Also bist du nicht sauer? Ich meine, du weißt ja jetzt, dass ich auf Jungs stehe und nicht, dass du dich von mir belästigt fühlst.“

„Quatsch, das würde ich dir schon sagen. Ich fand das lustig. Vor allem, weil wir jetzt wieder ernst sein müssen. Die anderen spielen bestimmt schon. Wir sollten uns auch mal um die anderen kümmern.“

Wir gingen nebeneinander über den Rasen und sahen, dass Mattes gleich auf dem ersten Platz spielte. Dustin und ich stellten uns an den Zaun, Chris war nicht da und auch Marco war wohl gerade bei seinen Jungs. Also blieben wir bei Mattes. Er gab mir ein Zeichen, dass er uns gesehen hatte. Das Spiel lief recht gut und wir brauchten ihn nur hin und wieder mal etwas beruhigen, wenn er wieder zu ungeduldig war. Was mir auffiel, kaum ein anderer Coach oder Spieler stand an den Plätzen der spielenden Kollegen. Insbesondere der WTV glänzte da durch Desinteresse.

„Ist doch schon komisch, dass die Spieler vom Verband auf dem Platz fast immer allein sind. War das bei dir auch so?“

Dustin holte tief Luft und erwiderte mit einem bitteren Unterton:

„Ja, Listen kümmert sich nur um die Stars. Also die Leute, die schon richtig gut sind und immer sehr weit kommen sollen. Wir jüngeren Spieler wurden selten betreut. Wir durften immer nur für das bezahlen, aber wirklich betreut wurde ich nicht.“

Immer wieder nahm ich Blickkontakt mit Mattes auf und feuerte ihn auch an. Sogar Dustin klatschte auch Beifall, wenn ein guter Ball gespielt wurde. Ich fühlte mich gerade mit Dustin an meiner Seite sicher, Mattes bis zum Ende des Spieles zu begleiten. Mattes schien es auch gut umsetzen zu können, denn er lag deutlich vorn und hatte das Spiel im zweiten Satz gut im Griff. Wir bemerkten so gar nicht, dass Chris mittlerweile ebenfalls an diesen Platz gekommen war. Dustin entdeckte ihn dann aber doch.

„Schau mal, da hinten steht Chris, sollen wir rüber gehen?“

Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass ein Wechsel vom Spieler nicht so gern gesehen wurde, weil man sich auf diesen Ort eingestellt hatte und auch aus den Augenwinkeln heraus Blickkontakt hatte.

„Nein, es ist besser, wenn wir hier bleiben. Mattes hat uns hier entdeckt und es ist für ihn einfacher, wenn wir hier bleiben.“

Dustin wunderte sich. Solche Dinge hatte ihm bislang niemand erklärt. Chris schaute noch einen Augenblick und ging wieder zu einem anderen Platz. Dustin und ich blieben bis zum Sieg von Mattes an diesem Platz, gratulierten ihm noch und machten uns dann auf den Weg, bei Sascha mal zu schauen. Da hörten wir eine Durchsage der Turnierleitung. Ich sollte mich dort melden.

„Ok, ich geh mal zur Turnierleitung. Was machst du?“

„Ich geh trotzdem mal bei Sascha gucken. Wenn du spielen musst, sagst du dann Bescheid?“

„Klar, mache ich. Bis gleich.“

Auf dem Weg zur Turnierleitung gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Dustin war mir sehr schnell wieder sehr nahe gekommen. Wir verstanden uns bestens, als ob nie etwas zwischen uns gestanden hätte. Ich fühlte mich in seiner Nähe wohl. Ich konnte es auch überhaupt nicht verstehen, warum Menschen ein Problem damit hatten, wenn jemand schwul war. Für mich hatte sich nichts, aber auch gar nichts geändert. Im Gegenteil, ich mochte Dustin wirklich gern. Er war wieder mein bester Freund, wie in der Grundschule.

Chris: Zukunft für Fynn und Dustin?

Während des Gesprächs mit Frank wurde mir sehr deutlich, wie schwierig das Projekt werden würde. Eigentlich war im Team immer Bedingung, dass die Eltern hinter dem stehen, was die Spieler machen. Davon war hier, weder bei Fynn noch bei Dustin auszugehen. Wobei bei Fynn zumindest die Eltern nicht gegen uns waren. Allerdings musste er sich um alles mehr oder weniger selbst kümmern. Dustins Lage war weit komplizierter. Hier würden einige Gespräche anstehen und ich war mir überhaupt nicht sicher, ob das für uns zu regeln war.

Ich stand bei Mattes am Platz und konnte beobachten, wie gut sich Fynn um seinen Teamkameraden kümmerte. Er feuerte ihn an und gab ihm Sicherheit. Ich hielt mich im Hintergrund und ließ das die beiden machen. Auch Dustin schien sich zu Fynns Schatten zu entwickeln. Man sah die beiden kaum noch einzeln.

Das Vibrieren meines Handys ließ mich etwas abseits gehen. Mattes hatte sein Spiel gewonnen und Carlo war erst gerade auf den Platz gegangen, also konnte ich das Gespräch annehmen.

„Hi, Burghard“, meldete ich mich.

„Hi, Chris. Wollte mal hören, wie es denn so bei euch läuft? Thorsten hat mir schon etwas berichtet und du hast ja auch in deiner Mail schon ein paar Dinge berichtet. Hat schon einer von unseren Jungs heute gespielt?“

„Ja, Mattes hat gerade sein zweites Spiel gewonnen und Fynn und Dustin haben ihr Doppel und jeweils ihr erstes Einzel gewonnen. Ich vermute, Fynn geht gleich zum zweiten Einzel auf den Platz.“

„Ok, was machen die Youngster? Carlo´s Eltern haben gefragt, ob er nicht bei den großen Jungs untergeht.“

„Dem geht es richtig gut. Allerdings hat er sein Doppel verloren. Im Einzel ist er noch dabei. Gut gefällt mir der Teamgeist. Jeder unterstützt den anderen. Gerade bei Carlo sind Fynn und Mattes immer mit dabei. Läuft also. Fynn bringt sich hier sehr gut ein. Es tut ihm gut, von Zuhause weg zu sein.“

„Ja, Thorsten hat mir berichtet. Ich wollte dich mal fragen, denkst du, dass es Sinn machen würde, Fynn bei uns ins betreute Wohnen zu stecken? Vielleicht könnte er dort ohne den Stress zu Hause besser trainieren und sich freier entwickeln.“

Dieser Vorschlag von Burghard wunderte mich jetzt doch ein wenig. Eigentlich war er immer Fynn gegenüber sehr skeptisch. Er mochte ihn nicht so wirklich. Beim Training war er zwar immer fair und kümmerte sich um ihn, wie um jeden anderen, aber menschlich war zwischen den beiden immer eine Mauer.

„Wenn die Finanzierung dafür steht und er das möchte, klar. Das wäre sicher die schnellste Lösung für sein Problem zu Hause. Allerdings wird es mit dem nur dort wohnen nicht getan sein. Er braucht auch eine Unterstützung im Alltag. Soweit ist er noch nicht, dass er allein klarkommen würde.“

Es herrschte eine ungewöhnliche Stille für einen Moment. Burghard schien schon mehr zu wissen, als ich.

„Also gut, pass auf. Thorsten und ich haben mit deinem Bruder kurz telefoniert. Jan ist der Meinung, dass wir mit dir mal ein Gespräch führen sollten, wenn ihr wieder hier seid. Also in der nächsten Woche. Dann können wir auch über Dustin sprechen. Ich denke, wir werden eine Lösung finden, denn wir meinen, Dustin hat das nötige Talent. Er ist beim Verband nur völlig falsch trainiert worden. Hast du Interesse an diesem Gespräch?“

„Klar, wenn ihr meint, dass das sinnvoll ist. Ich bin ja nur aushilfsweise dabei.“

„Du weißt ganz genau, dass Jan dich aus bestimmten Gründen gebeten hatte, diese Turnierreise zu machen. Die Informationen, die du uns bereits gegeben hast, haben uns schon sehr weitergeholfen. Wir brauchen so Leute wie dich.“

„Danke, das freut mich. Also dann setzen wir uns kommende Woche zusammen. Was machen wir mit Dustin?“

„Er soll um einen Termin für ein Probetraining anfragen. Du klärst das mit Thomas direkt. Ich möchte, dass er sich hier vorstellt.“

„Soll er das nicht mit Thorsten klären?“

„Nein, Thorsten hat schon signalisiert, dass er kommen soll. Wir müssen nur die Finanzierung klären, aber der Junge ist gut. Wie wir das mit den Eltern hinbekommen, müssen wir gucken. Weißt du schon mehr über die Probleme bei ihm?“

Was sollte ich antworten? Konnte ich Burghard einweihen?

„Ja, ich weiß schon ein wenig mehr. Allerdings habe ich Dustin noch nicht gefragt, was ich erzählen darf und was nicht. Gib mir noch ein wenig Zeit. Sein Vater ist wohl das größte Problem.“

Burghard akzeptierte das sofort und wir vereinbarten für die kommende Woche einen Termin in der Base in Halle. Ich sollte Dustin überzeugen, dass er zum Probetraining kommen sollte. Das würde mir sicher leicht fallen. Der Junge war wirklich ein Talent und mir war auch klar, wenn Fynn mit Dustin zusammen trainieren würde, half das beiden weiter.

Ich verabschiedete mich von Burghard und versprach, mich am nächsten Tag wieder zu melden.

Der weitere Turnierverlauf entwickelte sich immer positiver. Alle drei meiner Jungs und Dustin erreichten das Halbfinale am nächsten Tag. Damit war nun wirklich nicht zu rechnen. Besonders interessant war nun, Dustin musste gegen Mattes spielen. Da war ich wirklich gespannt, wie die beiden das hinbekommen würden. Ich saß bei Marco am Tisch und wir redeten über den Turnierverlauf.

Er hatte von seinen Spielern noch zwei Spieler in der Hauptrunde im Halbfinale, Sascha war einer der beiden, und drei Spieler in der Nebenrunde. Wir tauschten unsere Erkenntnisse über die Gegner aus.

„Was meinst du, kann Dustin gegen Mattes gewinnen? Und wie siehst du Fynn morgen im U 21 Wettbewerb?“

Ich überlegte einen Augenblick, aber für mich war das keine große Frage.

„Dustin muss gegen Mattes gewinnen. Alles andere würde mich sehr überraschen. Er ist schon viel weiter als Mattes. Das einzige Problem könnte werden, dass er nicht frei spielen kann.“

Marco musste schmunzeln.

„Wie gehst du denn damit um? Schließlich sind beide deine Spieler.“

„Kein Problem. Ich halte mich ganz raus. Das wissen meine Jungs auch. Ich coache dann überhaupt nicht und werde auch keine Matchvorbereitung machen. Bei Fynn hoffe ich, dass er zur gleichen Zeit selber auf dem Platz sein muss.“

Wir saßen mit dem „Kindergarten“ von Marco am Tisch und es herrschte eine gewisse Geräuschkulisse. Marco schaute sich um und stellte überrascht fest, dass Sascha fehlte. Eigentlich war bei Marco abends immer gemeinsames Essen angesagt. Der Spielbetrieb war beendet und so war auch Zeit dafür. Mir war das zwar auch wichtig, aber bei vier älteren Spielern war das nicht immer erforderlich.

„Weißt du wo Sascha ist? Kann der mit Carlo unterwegs sein?“

„Puh, da fragst du mich was. Kann sein, soll ich mal nach den beiden suchen gehen? Ich muss eh mal bei uns im Lager vorbei. Frank wollte jetzt auch gleich nach Hause fahren.“

Ich stand vom Tisch auf und verließ das Clubhaus. Auf dem Weg zu den Zelten gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Warum hatte ich eigentlich immer die Jungs mit den schwierigen Situationen? Ich machte das ja in meinem Urlaub. Ein Kollege von mir hat mir auch schon mal gesagt, dass ich doch echt nen Schuss hätte. Da habe ich Urlaub und mache im Prinzip das, was ich im Job auch mache. Eigentlich kein schlechter Einwand, aber es machte mir ja Spaß.

Ich konnte schnell erkennen, dass Fynn bei Dustin im Zelt war, und Mattes lag auf dem Rasen und hatte sein Tablet vor sich liegen. Ich grüßte kurz und machte die Tür zum Wohnmobil auf. Ich konnte schon die Stimmen von Carlo und Sascha hören, bevor ich hereinkam. Als ich den Wohnraum betrat, schauten mich die beiden an und stutzten. Carlo fragte:

„Hi Chris, was gibt es denn? Wir spielen gerade „Quiz Duell“. Das ist total lustig und spannend.“

„Könnt ihr auch, aber Marco vermisst Sascha beim Essen. Ich würde vorschlagen, Sascha, du gehst schnell rüber und entschuldigst dich. Danach könnt ihr meinetwegen gerne weiter spielen.“

Sascha sprang fast panisch vom Tisch auf.

„Scheisse, ich habe total die Zeit vergessen. Ich bin schon unterwegs.“

Schon war er raus und ich mit Carlo allein, als es klopfte.

„Herein, die Tür ist offen“, rief ich.

Herein kam Frank mit Dustin und Fynn. Carlo verließ währenddessen das Wohnmobil. Er wollte im Clubhaus duschen gehen.

„Ich wollte mich von euch verabschieden. Ich muss wieder nach Hause fahren.“

„Oh, schade. Ich dachte, du würdest noch einen Moment bleiben. Aber gut, ich werde auf Dustin schon aufpassen.“

Fynn grinste und entsprechend war seine Bemerkung.

„Ich auch.“

Das führte dazu, dass Frank und ich lachen mussten.

„Ok, ok. Fynn passt auch auf.“

„Chris“, fragte Fynn, wir möchten noch etwas raus. Vielleicht irgendwo ein Eis essen oder einfach mal was anderes sehen. Ist das ok?“

Ich überlegte einen Moment, aber es sprach nichts dagegen.

„Ist ok, aber um zehn seid ihr wieder hier. Und nehmt ein Handy mit.“

Dustin schien sich zu wundern, dass ich so schnell damit einverstanden war.

„Das finde ich eine gute Idee“, meinte Frank, bat aber Dustin noch kurz mit nach draußen. Er wollte sich von seinem Neffen verabschieden. Fynn hatte meinen Wink verstanden und blieb bei mir.

„Danke, dass du mich verstanden hast. Ich glaube, es ist besser, dass die beiden noch einen Moment allein sprechen können.“

Fynn nickte und setzte sich zu mir.

„Du wirst dich sicherlich um Dustin kümmern. Morgen muss er gegen Mattes spielen. Ich möchte dich bitten, dich nicht in das Spiel einzumischen. Die beiden sollen das ohne unser Zutun spielen.“

„Ich weiß, hätte ich eh nicht gemacht. Ich finde es allerdings schade, aber so ist das wohl.“

„Kann dir auch bald passieren, dass du gegen Dustin spielen musst. Er wird sicher auch bald bei den U 21 spielen.“

Fynn freute sich sichtlich über diese Aussage.

„Erinnere ihn bitte daran, dass er mich um das Probetraining bittet. Vielleicht bekommen wir das sogar gleich nach unserer Rückkehr hin.“

„Das wäre ja cool. Ich werde ihn gleich noch einmal darauf ansprechen.“

Damit entließ ich ihn nach draußen. Es dauerte auch nicht lange, bis Frank wieder bei mir auftauchte.

„Bevor ich fahre, wie machen wir das nach eurer Rückkehr?“

„Gute Frage. Wirst du ihn abholen oder seine Eltern?“

„Vielleicht ist es besser, wenn ich ihn übermorgen bei euch in Halle abhole. Bis dahin werde ich noch nicht viel Gelegenheit gehabt haben, mit meinem Bruder zu sprechen.“

„Ok, wir melden uns bei dir, sobald wir genau wissen, wann wir ankommen. Vielleicht bekomme ich das auch hin, dass er direkt ein Probetraining machen kann. Dann müsste er nicht noch einmal extra nach Halle kommen.“

Frank fand diese Idee auch sehr gut und somit verabschiedeten wir uns. Ich bedankte mich noch einmal für sein Engagement. Dann verließ er uns.

Ich war für einen Moment allein und betrat die Wiese vor dem Wohnmobil. Es waren nicht mehr so viele Zelte da, morgen fanden nur noch die Halbfinals statt. Viele Teilnehmer waren schon weitergezogen zum nächsten Turnier.

Innerlich ging ich das Szenario durch, was mich in der kommenden Woche erwarten würde. Es sollte ein Planungsgespräch mit Thorsten , Burghard und mir stattfinden. Ich hatte für mich klare Vorstellungen, wie Dustin bei uns gefördert werden könnte. Nur würde seine Familie mitspielen?

Carlo kam mit Sascha zurück. Carlo hatte noch nasse Haare und Sascha hatte wohl doch noch etwas Ausgang von Marco bekommen. Die beiden machten sich wieder gemeinsam an ihr „Quiz Duell“. Ich hatte somit noch etwas Ruhe für mich. Ich schaute noch einmal bei Mattes vorbei, der aber weiterhin in seinem Tablet las.

Ich schaute auf die Uhr, es war kurz nach acht und jetzt bemerkte ich, dass ich Hunger hatte. Heute war der Ablauf durch die unterschiedlichen Spielzeiten so ungünstig, dass jeder zu einer anderen Zeit etwas gegessen hatte. Nur ich nicht, weil ich immer an einem anderen Ort gebraucht wurde. Fynn und Dustin waren eh allein unterwegs, sie würden sich schon versorgen. Auch wenn es ein Burger war, damit hatte ich kein Problem. Sie sollten sich das auch mal gönnen dürfen. Für mich eine gute Gelegenheit auch mal allein los zu gehen und sich im Ort einmal umzusehen.

Fynn: Ein lustiger Abend

Es war immer noch sehr warm, als wir uns in kurzen Hosen und Poloshirt auf den Weg machten. Ich wollte endlich mal wieder was anderes sehen, als einen Tennisplatz. Dustin schien sich genauso auf ein bisschen Ablenkung zu freuen, denn er fragte mich:

„Hast du irgendeinen Plan, wo wir hingehen könnten? Ich kenn mich hier überhaupt nicht aus.“

„Willkommen im Club der Ahnungslosen. Lass uns einfach mal losgehen. Ich habe mein Handy dabei, da können wir ja mal schauen, was es hier in der Nähe gibt.“

„Stimmt, das machen wir. Da hätte ich auch selber drauf kommen können.“

Ich nahm mein Handy heraus und hatte schnell unseren Standort eingegeben. Es dauerte einen kleinen Augenblick und es erschienen einige interessante Hinweise. Unter anderem ein Jugendtreff, der hier ganz in der Nähe sein sollte. Leider wollte Dustin das nicht so gerne. Also schaute ich weiter, als ich plötzlich ein Warngeräusch von Dustins Handy hörte.

„Mist, mein Akku ist fast leer. Ich habe vergessen ihn aufzuladen.“

„Du kannst bei mir mit schauen.“

Er stellte sich hinter mich und schaute mir über die Schulter, so dass wir gemeinsam suchen konnten. Sein Kinn blieb auf meiner Schulter liegen und da war wieder dieses Gefühl. Meine Haare auf dem Arm stellten sich auf und ich bekam wieder eine Gänsehaut. Diese Nähe war mir neu und es verunsicherte mich. Schnell entschied ich mich, was wir tun wollten.

„Hast du Bock auf ne Partie Billard?“

Er nahm seinen Kopf von meiner Schulter und lachte.

„Klar, gerne. Ich habe aber noch nicht oft gespielt.“

Wir machten uns direkt auf den Weg und nach zehn Minuten standen wir in einem Cafe, in dem sechs große Tische standen. Wir gingen zum Tresen und fragten nach einem Tisch und die junge Frau hinter der Theke gab uns die Kugeln heraus und wir konnten uns einen freien Tisch aussuchen.

„Möchtest du was trinken“, fragte ich Dustin.

Er schaute mich etwas unsicher an, aber dann meinte er: „Eine Cola bitte.“

Ich bestellte also eine Cola für Dustin und für mich ein Spezi. Wir gingen zum Tisch und bauten die Kugeln auf. Wir spielten einfach drauflos. Bei einigen Bällen glänzten wir mit unserem Unvermögen, aber es gab auch ein paar spektakuläre Bälle. Auf jeden Fall hatten wir mächtig Spaß. Es stellte sich heraus, dass ich ein wenig mehr Erfahrung mit diesem Spiel hatte und so kam es, dass sich Dustin auch ein paar Stöße erklären ließ. Wir standen gerade hintereinander am Tisch und ich zeigte ihm die richtige Haltung, um einen Stoß ausführen zu können.

„Hast du eigentlich gefragt, was das hier kostet? Ich hoffe, ich habe genug Geld dabei.“

Mit dieser Frage überrumpelte er mich, denn ich wollte es ja erst als Überraschung zum Schluss sagen.

„Du musst dir heute keine Gedanken machen. Die hundert Euro vom Preisgeld sollten wohl reichen für heute.“

Er drehte sich um und schaute mich aus seinen leuchtenden Augen an. Ich musste mich zurücknehmen, um nicht lachen zu müssen. Er sah wirklich komisch aus.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Klar, ich hatte es dir doch schon einmal gesagt, das Geld verbraten wir gemeinsam. Und heute fangen wir damit an.“

Sein „Danke“ fiel sehr überschwänglich aus, aber im gleichen Moment konnte ich auch so etwas wie Trauer bemerken. Oder zumindest Nachdenklichkeit.

„Was ist? Stimmt etwas nicht?“

„Nein, schon gut. Es ist nichts.“

„Los, sag schon, was bedrückt dich?“

Er zögerte und ich legte das Queue an die Seite. Es war offensichtlich, er hatte ein Problem.

„Los, erzähl. Was ist jetzt dein Problem?“

„Ich weiß nicht. Es ist seit ganz langer Zeit, dass ich mit einem Freund allein unterwegs bin und dann lädst du mich einfach noch ein. Das verwirrt mich.“

„Nun, ich finde, Freunde sind wichtig. Also möchte ich mit dir gemeinsam Spaß haben. Und wenn ich schon Geld bekommen habe, können wir es auch gemeinsam ausgeben.“

Er war unsicher, aber dann traute er sich doch. Er umarmte mich und bedankte sich für diese Worte. Es schien, als hätte er bislang wenig Anerkennung erfahren. Das kannte ich auch, nur bekam ich die auf dem Tennisplatz von meinen Trainern. Daher war ich auch so auf Tennis fixiert. Erst, als ihm bewusst wurde, dass wir ja nicht allein waren, sondern in einem öffentlichen Cafe, wo jeder sehen konnte, dass er mich umarmt, zuckte er zurück und schien sogar ängstlich zu sein.

„Sorry, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen, aber …“

„Warum? Ich finde es normal, wenn zwei Freunde sich umarmen. Es macht mir nichts aus.“

„Aber du weißt, dass ich … also ...“

Er wurde richtig verlegen. Eigentlich war es lustig, ihn so zu sehen, aber mir wurde schlagartig klar, was er meinte.

„Dustin, es ist ok für mich. Ich mache das auch mit meinen engsten Freunden. Und es macht mir nichts aus, dass du schwul bist.“

Jetzt bröckelte die Fassade. Er kämpfte mit seinen Gefühlen.

„Danke, es tut gut … Das hat noch keiner zu mir gesagt.“

Ich legte meinen Arm auf seine Schulter und stand direkt vor ihm. Wir schauten uns an und ich spürte wieder dieses starke Gefühl. Ich verstand es aber einfach nicht. Allerdings beruhigte sich Dustin jetzt recht schnell wieder. Es wurde auch langsam Zeit für uns, den Rückweg anzutreten. Wir räumten die Kugeln wieder zusammen und gaben sie zurück. Ich bezahlte und wir verließen gemeinsam das Lokal.

„Danke Fynn, dieser Abend war toll. Warum war ich nur so blöd und habe auf meine Eltern und den Listen so lange gehört?“

„Lass gut sein, jetzt hast du es doch begriffen. Was anderes, Chris hat mich daran erinnert, dass du ihn noch um ein Probetraining fragen sollst. Wann willst du das machen? Wir haben nur noch morgen und er muss das ja schließlich noch in der Base klären.“

„Meinst du wirklich, ich sollte das machen? Bin ich wirklich gut genug dafür?“

„Ich finde, ja. Außerdem würde es Chris auch nicht sagen, wenn er nicht glaubt, dass es Sinn macht. Es könnte eine Chance sein. Ich habe es bis heute nicht bereut. Das Einzige, was ich schade finde, dass Chris nicht mein Trainer ist. Er macht das so toll. Er hat immer Zeit für mich oder die anderen.“

„Warum ist Chris nicht dein Trainer? Ich dachte, er wäre Coach in Halle.“

Während wir sprachen, waren wir auf dem Rückweg zur Anlage. Der Mond stand schon hell am Himmel und somit war es recht hell.

„Nein, Chris arbeitet nicht dort. Er hat einen anderen Beruf, aber sein Bruder hat das Team gegründet und ist dort Headcoach.“

„Sein Bruder? Ich habe den noch nie auf einem Turnier gesehen. Immer nur Burghard Rehmann oder Thomas Dappers.“

„Das stimmt. Er ist auf der Profitour mit zwei Spielern unterwegs. Deshalb ist er selten da.“

„Echt? Das ist ja cool. Weißt du auch noch, wer das ist?“

„Klar, Gilles Simon und Gael Monfils. Zwei Franzosen.“

„Boah, wie geil. Die sind richtig gut. Beide um die Nummer zehn in der Weltrangliste.“

„Genau. Aber ich habe ihn auch erst einmal in der Base gesehen. Er ist halt viel unterwegs.“

Wir waren wieder an unseren Zelten angekommen und ich schaute, ob Chris im Wohnmobil war. Es war alles dunkel und Carlo schlief sicher schon. Also machten wir uns fertig und saßen noch einen Moment draußen vor dem Zelt in Boxershort und T-Shirt.

„Kann ich dich mal etwas fragen?“

Dustin schien lange darüber nachgedacht zu haben, ob er mich wirklich fragen möchte.

„Natürlich, schieß los.“

„Es ist aber eine sehr persönliche Frage.“

„Schon ok, wenn ich sie nicht beantworten möchte, sage ich es dir. Ok?“

Er nickte und überlegte immer noch, wie sollte er sich ausdrücken. Es fiel ihm sichtlich schwer.

„Was hast du gedacht, als du das mit den Pornos gehört hattest? Warst du auch so angewidert wie mein Vater?“

Ihm standen sofort die Tränen in den Augen, es wühlte ihn auf und ich konnte es fühlen, wie viel Überwindung es ihn kostete.

„Nein, warum sollte ich. Es ist nichts dabei. Außerdem habe ich auch schon Pornos geschaut und mir dabei einen gewichst. Dein Vater ist da echt verklemmt.“

Er nickte und seufzte.

„Aber warum rastet er so aus? Ich kann es doch nicht ändern, dass ich eben Jungs mehr mag als Mädchen.“

„Das weiß ich leider nicht. Vielleicht war er enttäuscht oder ..., keine Ahnung. Jedenfalls eines weiß ich ganz sicher. Du bist für mich ein genauso guter Freund, egal ob schwul oder hetero. Aber mal eine Gegenfrage, wo hast du die her? Aus dem Internet?“

Er nickte und sagte nicht mehr viel. Es arbeitete in ihm und ich fühlte mich auch unsicher. Was sollte ich tun?

„Wie viele Filme hattest du denn? Und hat er die jetzt gelöscht?“

„Naja, so um die zwanzig herum. Klar, er hat die gelöscht, aber ich habe sie noch auf meinem Stick. Ich habe immer nur ein paar auf dem PC gehabt. Die anderen immer auf dem Stick.“

„Hihi, clever gemacht. Also hast du noch was zum gucken?“

Er musste schmunzeln und nickte.

„Cool, und was ist anders bei einem schwulen Porno? Ich habe noch nie sowas gesehen.“

„Ich glaube, sie sind genauso wie die normalen Filme, nur ohne Mädels. Halt nur Jungs und ihre Schwänze.“

Das Letzte sagte er sehr leise. Er hatte Angst, dass uns irgendjemand hören würde. Ich wurde allerdings neugierig. Würde er mir wohl davon etwas zeigen?

„Hast du den Stick dabei?“

Wieder nickte er nur. Er war unsicher, ob er weiter darüber sprechen sollte.

„Würdest du mir einen Film mal zeigen? Ich bin neugierig.“

„Echt jetzt? Aber nur ohne Ton. Wenn das die anderen merken, was wir hier machen, bekommen wir Probleme.“

„Ok, ohne Ton. Aber wer sollte denn etwas merken. Wir können in dein Zelt gehen. Da sieht keiner was.“

Wir krabbelten in sein Zelt und ich wurde ein wenig nervös. Allerdings schien er auch etwas angespannt zu sein, denn er hatte ein wenig Schwierigkeiten, den Stick mit dem Tablet zu verbinden. Allerdings klappte es dann. Es war ein Internet Video. Die beiden Jungs sahen nicht viel älter aus als wir selbst. Dustin wurde unruhiger und meinte:

„Wenn es dir unangenehm wird, sag es ruhig.“

Ich grinste, denn jetzt war meine Neugier geweckt. Und das wollte ich jetzt doch wissen.

Der Film entwickelte sich wie jeder andere dieser Art. Es gab nur keine Frauen, sondern zwei hübsche Jungs, die sich miteinander vergnügten. Dustin wurde immer unruhiger. Ich konnte erkennen, dass er mit der Hand immer häufiger über seine Boxer strich. Er schien erregt zu sein. Mich trieb die Neugier an, denn ich hatte auch noch nie mit einem anderen über diese Dinge gesprochen.

„Du findest den Film immer noch geil, oder?“

Wie ein erwischter Straftäter zog er seine Hand aus seiner Hose. Ich musste lachen, denn ich machte es ja zu Hause auch nicht anders.

„Naja“, flüsterte er, „ich habe schon ein paar Tage nicht mehr gewichst und jetzt macht es mich schon geil.“

Was er nicht sehen und ahnen konnte, ich war mittlerweile aus den gleichen Gründen wie er ziemlich erregt und meine Latte spannte doch recht heftig in der Boxer.

Er griff sich erneut in die Hose und bei mir siegte die Neugier. Ich ließ ihn in Ruhe weitermachen und das machte mich einfach auch immer geiler. Irgendwann fing er sogar leise an zu stöhnen und ich konnte auch nicht mehr anders, als meinen in die Hand zu nehmen.

Einige Augenblicke später hatte sich unsere Anspannung gelöst und wir waren mit der Beseitigung unserer Spuren beschäftigt. Dustin war heftig gekommen. Es schien ihm peinlich zu sein, dass sein Saft überallhin gespritzt war. Ich fand das nicht schlimm. Ging mir zu Hause auch manchmal so. Hier hatte ich allerdings ein Handtuch drüber gelegt, bevor es bei mir losging. Er schien zu erregt gewesen zu sein.

Wortlos brachten wir alles in Ordnung und mittlerweile war es schon ziemlich spät geworden. Ich wollte gerade in mein Zelt hinüber gehen, als Dustin leise meinte:

„Sorry, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Nach einigen Tagen hatte ich einfach Bock.“

Er hatte es scheinbar gar nicht bemerkt, dass ich, genauso wie er, mir den Spaß gegönnt hatte.

„Kein Ding, ich hatte doch auch Bock. Das gehört dazu.“

„Ich habe es noch nie gemacht, wenn ein anderer dabei ist. Tut mir leid, dass ich so geil war.“

„Es hat mir auch Spaß gemacht und der Film war echt nicht schlecht.“

Jetzt mussten wir beide kichern. Laut lachen hätte uns verraten, also mussten wir uns zusammennehmen.

„Es war nicht unangenehm für dich?“, fragte er noch mal unsicher nach.

„Nein, überhaupt nicht. Es tat gut, Druck abzubauen.“

Damit war das Thema für den Tag erledigt und ich verabschiedete mich von Dustin. Er umarmte mich mit einem leisen „Danke“.

Dieses Erlebnis beschäftigte mich noch einige Minuten bevor ich einschlief. Allerdings musste ich eingestehen, dass es mir gefallen hatte.

Dustin: Finaltag

Ich schlief sehr unruhig und meine Träume waren auch nicht gerade besonders toll. Als mich morgens mein Handy weckte, drückte ich den Alarm weg und sortierte für einen Augenblick meine Gedanken. War das gestern wirklich passiert? Wie würde Fynn heute damit umgehen? Außerdem musste ich heute gegen Mattes Halbfinale spielen. Das machte alles nicht einfacher. Ich krabbelte leise aus meinem Zelt, um duschen zu gehen. Es war kurz vor acht, als ich im Clubhaus ankam. Es war noch nicht viel los, nur einige Spieler der Nachwuchsklasse waren bereits dabei, vor dem Frühstück laufen zu gehen. Das war etwas, was ich gar nicht mochte. Vor dem Frühstück laufen gehen. Hoffentlich würde ich das auch in Zukunft nicht machen müssen.

Als ich aus der Dusche kam und mit dem Handtuch in der Hand auf der Terrasse stand, kam mir Chris entgegen. Er war morgens schon bestens gelaunt und hatte immer einen lockeren Spruch auf Lager. Das war erstaunlich. Wie konnte er so früh schon so wach sein.

„Moin, Dustin. Gut geschlafen? Du hast ein hartes Match vor dir.“

Dabei grinste er über sein ganzes Gesicht. Ich wusste, er hatte zwar recht, aber es war nicht so ernst gemeint. Er wollte mich ein wenig aufziehen.

„Hi Chris. Nein, nicht wirklich. Die Träume waren weniger lustig, aber dennoch soll sich Mattes warm anziehen. Freiwillig gewinnt er nicht.“

Er zwinkerte mir zu und dann wurde er ernst.

„Cooler Spruch, gefällt mir. Was ich dir noch sagen will. Ich werde bei eurem Spiel nur Zuschauer sein und ich werde Mattes auch nicht vor dem Spiel einstellen. Ihr sollt euch fair auf dem Platz begegnen. Mir ist es egal, wer gewinnt, ich möchte eine gute Leistung von euch sehen.“

„Ok, danke für die Information. Wie ist das mit Frühstück? Machen wir das gemeinsam oder jeder für sich?“

Er schaute zur Uhr und gab mir die Anweisung:

„Gemeinsam. Frühstück ist immer gemeinsam. In zwanzig Minuten treffen wir uns hier wieder.“

Ich fand das richtig gut, dass er Wert darauf legte, morgens gemeinsam mit allen am Tisch zu sitzen. Ich ging zu meinem Zelt, Fynn war auch schon wach und kam mir entgegen.

„Hi Dustin, schon so früh unterwegs?“

„Danke, ja. Ich konnte nicht mehr schlafen.“

„Das ist blöd. Wir sehen uns gleich beim Frühstück, ich geh vorher noch duschen.“

„Ok, bis gleich.“

Er war wie immer, dass beruhigte mich etwas. Allerdings war mir immer noch unwohl bei dem Gedanken, was gestern passiert war. Ich legte meine Sachen ins Zelt und nahm mir meine Tennistasche über die Schulter. Ich überlegte noch, ob ich auch wirklich alles dabei hatte, und ging dann gespannt zum Clubhaus. Dort herrschte mittlerweile reges Treiben. Vor allem die jüngeren Spieler waren schon sehr lebhaft dabei, über die neuesten Dinge zu quatschen. Es war mir ein Rätsel, wie man schon am frühen Morgen so lebendig sein konnte. Marco war bereits ebenfalls anwesend und er begrüßte mich gut gelaunt.

„Hi Dustin, wie geht’s dir vor dem Match gegen Mattes? Hast du schon mit Chris gesprochen?“

„Guten Morgen Marco, abgesehen von zu wenig Schlaf ist alles ok. Ja, Chris hat mir schon gesagt, dass er sich raushält. Wie läuft es bei euch?“

„Ich bin zufrieden, aber auch froh, wenn es heute vorbei ist. Dann fahren wir wieder nach Hause und ich kann mich etwas erholen.“

Im Hintergrund tobten schon zwei Jungs lautstark durch das Clubhaus. Sie waren vielleicht elf oder zwölf. Ihre Stimmen waren noch richtig hell. Entsprechend nervig war das am frühen Morgen. Marco schien es ebenso zu gehen, denn er drehte sich plötzlich um und fing einen der beiden Jungs ein und hielt ihn fest. Der erschrak sich richtig, weil Marco so schnell war. Marco gab ihm zwei ruhige Sätze mit auf den Weg und schon war Ruhe. Toll, beim Verband hätte das sofort einen Riesenanschiss gegeben. Mir gefiel das gut, wie Marco und Chris mit uns umgingen.

Ich sah, dass Mattes und Carlo gemeinsam das Clubhaus betraten und sich bei Chris anmeldeten. Mattes kam direkt zu mir:

„Moin, Dustin. Wir beide dürfen gleich um neun auf den Platz. Wollen wir zusammen frühstücken oder möchtest du lieber mit Fynn allein sein?“

„Hi Mattes, natürlich essen wir gemeinsam. Das finde ich total cool. Im Verband gab es sowas nicht. Hast du eigentlich Fynn gesehen?“

Er grinste und zeigte auf den Eingang, dort kam er mit nassen Haaren herein und sah schon toll aus. Frisch gestylt aus der Dusche. Er begrüßte Chris und die anderen und dann gab uns Chris ein Zeichen, dass wir uns an einen Tisch setzen sollten. Er bat kurz um Ruhe.

„So, erst einmal für alle noch mal einen guten Morgen. Heute stehen die Halbfinals und Finals an. Für Fynn und Dustin auch im Doppel. Carlo hat heute schon frei und deshalb bekommt er eine Sonderaufgabe als mein Assistent.“

Das führte bei allen zu lautem Gelächter. Chris verstand es einfach, für gute Laune zu sorgen.

„Das heißt aber auch, Carlo hat Weisungsbefugnis. Ich möchte darum bitten, dass wir uns hier gut präsentieren und möglichst viele gute Spiele heute sehen. Also genießt das Frühstück. Nach dem Frühstück möchte ich Dustin und Fynn im Wohnmobil sehen. Die anderen können sich einschlagen oder anderweitig beschäftigen.“

Oha, was das wohl zu bedeuten hat. Ich war mir nicht bewusst, dass wir etwas angestellt hatten. Oder hatte er etwa von dem gestrigen Abend mitbekommen? Fynn schien aber überhaupt nicht beunruhigt. Er unterhielt sich die ganze Zeit mit einem anderen Spieler. Ich nahm mir meinen Teller und ging zum Frühstücksbuffet. Dort traf ich Fynn, der vor mir mit seinem Teller stand. Er drehte sich um und schaute mich mit einem Lächeln an.

„Na, auch den Weg zum Buffet gefunden?“

Das Lächeln hatte sich zu einem breiten Grinsen verändert.

„Ja, ich musste ja nur dir folgen. Wo du bist, wird das Essen nicht weit sein.“

Er knuffte mich in die Seite und fast hätte ich meinen Teller fallen lassen.

„Au, wenn du so weiter machst, kann ich gleich nicht spielen.“

„Ach, das ist ja auch unser Plan. Mattes hat mich dafür bezahlt.“

Wir schauten uns an und dieses Kribbeln war sofort wieder da. Allerdings schien bei Fynn diesmal auch etwas passiert zu sein, denn er lachte richtig befreit auf. So hatte ich ihn noch nie lachen gesehen. Allerdings hatten wir dadurch nun die volle Aufmerksamkeit des ganzen Raumes. Alle Augen starrten zu uns und ich wurde rot. Das war jetzt peinlich. Schnell nahmen wir uns etwas zu essen und setzten uns wieder an den Tisch. Fynn saß neben mir und wir unterhielten uns über den kommenden Tag. Ich wollte unbedingt gleich bei dem Gespräch fragen, ob ich in Halle ein Probetraining bekommen würde. Fynn hatte mich noch einmal bestärkt und diese Chance wollte ich nutzen. Ansonsten ging es beim Frühstück nur um die Matches vom Tage.

Nachdem ich fertig war mit Essen, wartete ich noch auf Fynn. Draußen schien bereits die Sonne und ich beschloss, auf die Terrasse zu gehen. Was wollte Chris von uns? Mir gingen seltsame Gedanken durch den Kopf. Plötzlich stand Fynn neben mir.

„So, dann wollen wir mal in die Höhle des Löwen.“

Ich muss ziemlich erschrocken ausgesehen haben, denn Fynn beruhigte mich sofort wieder.

„Keine Panik, das war Spaß. Chris will mit uns nur ein paar Dinge klären, auch für die Rückfahrt. Also alles gut.“

„Puh, ich dachte schon, wir hätten vielleicht was ausgefressen, ohne es bemerkt zu haben.“

Chris: Weichen stellen für die Zukunft

Ich saß bereits im Wohnmobil und schaute mir die Ergebnisse unserer Reise an. Ich begann, für Thomas einen Bericht zu schreiben und dabei die Ergebnisse nicht allein zu bewerten. Ich ließ alle Entwicklungen einfließen, insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung von jedem Spieler. Dabei konnte ich auf die Datensätze der anderen Trainer aus vorhergehenden Reisen zurückgreifen. Dabei traten manchmal recht interessante Entwicklungen zu Tage. Diesmal waren sowohl Fynn als auch Carlo besonders auffällig, allerdings im positiven Sinne.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Fynn betrat mit Dustin den Wohnbereich. Ich schaute von meinem Laptop auf und bat die beiden, sich zu setzen.

„So, wie geht es euch heute Morgen? Seid ihr fit?“

Fynn antwortete: „Joa, abgesehen von ein wenig Schlafmangel geht es uns gut.“

Dabei schaute er zu Dustin hinüber, der mit dem Kopf zustimmend nickte.

„Ok, für heute ist ja schon alles geklärt, aber ich möchte mit euch den weiteren Verlauf klären.“

Bevor ich weiter sprechen konnte, unterbrach mich Fynn.

„Chris, Dustin hat ein Anliegen. Können wir das vielleicht als erstes besprechen?“

Ich schaute zu Dustin, dem es sichtlich schwer fiel, sofort zu reagieren. Fynn half ihm dabei, indem er ihm zunickte und lächelte.

„Also ..., ich weiß nicht, ob ich das so einfach ansprechen sollte, aber wie du ja mitbekommen hast, ist meine Lage, was Tennis betrifft, gerade schwierig. Also ..., naja ..., Fynn meinte, ich sollte dich fragen, ob ich vielleicht bei euch ein Probetraining machen darf?“

Ich musste schmunzeln. Dustin war sogar etwas rot geworden, als er mit dieser Frage kam.

„Soso, du möchtest zu uns wechseln? Hast du dir das gut überlegt?“

„Ja. Ich habe mit Frank und auch mit Fynn gesprochen. Beide meinten, ich wäre gut genug, das zu versuchen.“

„Und was meinst du selbst?“, fragte ich etwas provokant. Ich wollte, dass er aufhört, immer die anderen vorzuschieben.

„Wie meinst du das?“

„Na, was denkst du denn selbst? Glaubst du an dich? Und was sagt deine Familie? Irgendwer muss das ja auch finanzieren.“

Er zögerte und Fynn wollte sich einmischen, aber ich wollte das nicht. Dustin sollte für sich allein sprechen.

„Ich weiß nicht, was meine Eltern dazu sagen. Ehrlich gesagt habe ich eh Angst davor, nach Hause zu fahren. Hier geht es mir richtig gut.“

„Ok, das ist doch eine Aussage. Was hältst du davon, wenn ich dir jetzt einen Vorschlag mache?“

Sein Kopf zuckte zur Seite und er schaute Fynn an, der genauso überrascht schien.

„Äh, ja klar. Ich bin gespannt.“

„Gut. Unsere Idee ist, du fährst mit uns zurück nach Halle. Dort wirst du zuerst bei Thomas ein Probetraining machen und dann unterhalten wir uns mit deinem Onkel, der dich ja eh abholen wird. Danach sehen wir weiter. Ist das ok für dich?“

Er war irritiert. So einfach hatte er das nicht erwartet.

„Was soll das denn kosten?“

„Was?“

„Na, das Probetraining.“

„Das kostet dich gar nichts. Das Einzige, was du einbringen solltest, ist maximaler Einsatz.“

„Cool, ich bekomme echt die Chance bei euch vorzuspielen?“

„Jap, ich bin davon überzeugt, dass du talentiert bist und das schaffen kannst, bei uns ins Team zu kommen. Da du eh schon da bist, wenn wir zurückkommen, macht das Sinn, es gleich zu machen.“

Er war erleichtert und freute sich mit einem Strahlen im Gesicht.

„Danke, ich werde versuchen, alles zu geben.“

„Falsch, nicht versuchen, machen“, widersprach ich sofort.

Fynn bekam sofort einen Lachanfall. Dustin war verunsichert.

„Passt schon. Aber du sollst es nicht versuchen, sondern einfach machen.“

Das beruhigte ihn und ein Lächeln erschien wieder in seinem Gesicht.

„Ok, damit ist das soweit geklärt. Alles Weitere dazu sehen wir dann. Heute möchte ich, dass du gegen Mattes alles gibst. Keine Rücksicht auf ihn nehmen. Wenn du gewinnst, hast du verdient gewonnen und es wird kein Problem deswegen geben.“

„Chris“, meldete sich Fynn, „hat Thomas schon gesagt, mit wem er das Probetraining machen soll?“

Ich grinste, denn ich wusste natürlich schon, was geplant war, aber das wollte ich noch nicht alles verraten.

„Ja, du wirst sein Trainingspartner sein. Und noch jemand, der dann gerade Zeit hat. Das klärt Thomas noch.“

„Cool“, meinte Dustin. Fynn grinste ebenfalls und damit war unser Gespräch eigentlich beendet. Allerdings hatte ich noch eine Sache.

„Was ich euch beiden noch sagen wollte, es gefällt mir richtig gut, dass ihr beide immer für die anderen ansprechbar seid. Gerade für Carlo ist das ganz wichtig, von euch zu lernen. Es macht mir Spaß, euch dabei zu haben.“

Das entspannte die Situation noch weiter und ich entließ die beiden Jungs. Sie sollten sich nun ausschließlich auf ihr bevorstehendes Match vorbereiten.

„Ihr könnt schon mal vorgehen. Ich muss noch ein paar Sachen hier machen. Macht euch rechtzeitig warm, vor allem Dustin. Du musst ja gleich als erstes auf den Platz.“

Die beiden Jungs standen auf und bedankten sich noch einmal. Dann verließen sie gemeinsam das Wohnmobil. Die Erleichterung war Dustin deutlich anzumerken. Ich nahm sofort mein Handy und telefonierte mit Thomas. Wir besprachen die Details und somit war klar, dass morgen nach unserer Ankunft das Probetraining stattfinden wird. Ich schloss den Laptop und verließ das Wohnmobil. Die Sonne hatte schon richtig Kraft und entsprechend angenehm warm war es bereits in der Sonne.

Auf der Anlage war schon reger Betrieb. Die ersten Halbfinalpartien hatten begonnen. Carlo kam zu mir und ich gab ihm den Auftrag beim Spiel von Dustin und Fynn die Statistik zu machen. Außerdem sollte er ein paar Videostudien machen. Ich erklärte ihm die Kamera und das Programm vom Tablet.

„Meinst du, ich bekomme das hin? Ich habe das noch nie gemacht.“

„Klar, du machst das schon. Bist ja ein cleveres Kerlchen.“

Dabei zwinkerte ich ihm zu und er strahlte über das Gesicht. Carlo war wirklich ein lieber Junge, dem es ein wenig an Selbstvertrauen fehlte. Das versuchte ich ihm zu geben. Er hatte große Fortschritte während dieser Reise gemacht.

Plötzlich meldete sich mein Handy. Als ich sah, wer mich da anrief, staunte ich nicht schlecht. Mein Bruder! Das geschah sonst eigentlich nur, wenn bei uns in der Familie etwas passiert war. Da war es dann aber umgekehrt. Da rief ich ihn an. Er war eigentlich immer unterwegs.

„Hi Jan, was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“

Sein Lachen am anderen Ende verriet mir, dass er genau wusste, was ich meinte.

„Hi Chris, Thomas sagte, du bringst einen neuen Spieler für uns mit? Ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen in der Base bin, bevor ich am Mittwoch wieder losfliege. Ich werde also dabei sein und möchte auch mit dir etwas besprechen. Thorsten hat ja schon mit dir gesprochen oder?“

Das waren ja ganz tolle Neuigkeiten. Ich freute mich sehr über diese Information.

„Cool, du bist morgen auch da. Da müssen wir aber mal zusammen essen und einen Tee trinken. Ja, Thorsten hat mir eine Andeutung gemacht und meinte, wir sollten uns mal zusammensetzen.“

„Gut, wie läuft es bei euch? Heute noch Spieler von uns dabei?“

„Ja, drei Jungs im Halbfinale und mindestens einer davon im Finale. Fynn spielt im Nachwuchshalbfinale und kann auch das Finale erreichen. Dustin muss gegen Mattes im Halbfinale spielen. Die gehen jetzt auf den Platz.“

„Hört sich gut an. Wie läuft das mit Fynn. Ist er bei dir auch so schwierig, wie hier in der Base? Thomas und Burghard haben sich ja schon öfter mal über sein Benehmen beschwert.“

„Absolut problemlos. Im Gegenteil, er setzt sich für die anderen ein und kümmert sich. Mir gefällt das sehr gut, wie er sich hier entwickelt. Je länger wir unterwegs sind, desto besser wird das. Aber ich habe mit Burghard schon gesprochen. Es hat viel mit seiner Familie zu tun.“

„Ok, reden wir morgen drüber. Ich will dich nicht länger aufhalten. Weiterhin viel Erfolg und wir sehen uns dann morgen.“

Damit beendeten wir unser Gespräch und ich widmete mich wieder den aktuellen Matches. Carlo stand bereits bei Mattes und Dustin am Zaun und machte fleißig seine Statistiken. Fynn hingegen stand hinter der Bank von Dustin. Beim Seitenwechsel konnte ich beobachten, wie sie miteinander sprachen und Dustin sich von Fynn ein paar Hinweise holte. Das gefiel mir überhaupt nicht. Es war klar besprochen, dass die beiden allein spielen sollten. Ich wartete noch einen weiteren Seitenwechsel ab. Es passierte leider wieder, dass Fynn sich einmischte. Mattes schaute fragend zu mir und ich konnte ihn gut verstehen. Das konnte nur Stress geben. Ich wartete noch einen Moment, bis beide wieder auf dem Platz standen, dann ging ich zu Fynn.

„Kommst du bitte mal mit“, bat ich Fynn freundlich, aber bestimmt.

Er folgte mir sofort an eine etwas abseits gelegene Stelle. Dort konnten wir niemanden stören.

„Was soll das? Warum fängst du jetzt an, Dustin zu unterstützen? Das ist unfair Mattes gegenüber. Wir hatten doch klar besprochen, dass die beiden allein spielen sollen.“

„Aber ich mach doch gar nichts. Ich habe nur ein paar Worte mit Dustin gewechselt und ihm gesagt, er soll einfach spielen.“

„Genau das sollte nicht passieren. Ich möchte dich jetzt nicht mehr in der Nähe dieses Spieles sehen. Du kannst dich lieber mal auf dein Spiel vorbereiten.“

Das passte ihm jetzt ganz und gar nicht und er wollte noch einen Versuch starten, mich zu überreden. Das ließ ich nicht zu und schickte ihn weg. Ich war sauer und ließ ihn das auch spüren.

Nachdem Fynn gegangen war und ich erkennen konnte, dass er sauer auf mich war, ging ich wieder auf meine Beobachterposition zum Spiel zurück.

Das Spiel entwickelte sich zu einem hochklassigen Match. Der erste Satz war sehr eng und ging für mich überraschend an Mattes. Mal sehen, ob Dustin nun nervös werden würde oder ob er noch zulegen konnte. Eigentlich war er schon einiges besser als Mattes. Dustin begann den zweiten Satz sehr stark und führte schnell mit 3:0. Allerdings spielte Mattes weiterhin sehr gut mit und ein Break brachte ihn zum 2:3 wieder heran. Er machte den Ausgleich mit einem guten Aufschlagspiel. Plötzlich flog das erste Mal der Schläger von Dustin auf den Platz. Mit lautem Unmut machte er seiner Wut Luft. Ich mochte es nicht, wenn Spieler ihren Schläger warfen. Allerdings wollte ich das noch einen Augenblick beobachten. Einmal sollte es erlaubt sein. Mattes erkannte seine Chance und spielte hervorragendes Tennis. Es war wieder alles in der Reihe und Dustin führte beim Seitenwechsel 4:3. Das nächste Spiel war sehr ausgeglichen und beim Stand von Vorteil für Mattes gab es einen strittigen Ball, den Dustin ausgab. Es gab eine kurze Diskussion auf dem Platz und sie einigten sich auf die Wiederholung des Punktes. Den gewann dann Dustin und Mattes brachte das aus dem Konzept. Er verlor das Spiel zum 3:5 und dann den Satz. Jetzt war es Mattes, der unzufrieden über den Platz tobte. Auch dort flog der Schläger einmal. Ich schaute mir das an und beschloss, in der Satzpause mal beiden Jungs einen kleinen Hinweis zu geben.

Ich brauchte nicht viel zu sagen, denn sie wussten beide genau, dass ich das nicht mochte. Der dritte und entscheidende Satz wurde im Match-Tiebreak gespielt. Es war sehr spannend, aber Dustin hatte am Ende das Quentchen mehr Glück und gewann mit 13:11. Entsprechend niedergeschlagen war Mattes jetzt. Er saß noch mit seinem Handtuch über dem Kopf auf der Bank, während Dustin bereits den Platz abzog. Ich ließ beiden einen Moment, um sich zu sammeln und zu beruhigen. Mein Weg führte zum Platz von Fynn, der auch mittlerweile begonnen hatte. Carlo kam zu mir und gab mir das Tablet zurück.

„Was meinst du? Wie war das Spiel?“

„Es war ein gutes Match von beiden. Mattes hätte es auch gewinnen können. Dass Fynn sich am Anfang nicht an die Absprachen gehalten hat, fand ich blöd.“

Carlo grinste mich an und meinte: „Naja, man hat ja gesehen, was du davon gehalten hast. Dustin hatte sich übrigens nach dem Spiel bei Mattes entschuldigt. Das habe ich noch mitbekommen.“

Das erstaunte mich doch. Gut, dann würde ich mal abwarten, wie Mattes gleich so drauf sein würde bei der Nachbesprechung. Dustin kam schon mit seiner Tasche an Fynns Platz und steuerte direkt auf mich zu. Carlo ging zu Fynn hinter die Bank und wollte ihn unterstützen.

Dustin stellte seine Tasche ab und stellte sich neben mich.

„Sorry für meinen Ausraster, aber das musste mal sein. Ich habe nicht gut gespielt, aber irgendwie habe ich es nicht hinbekommen. Mattes war gut und hätte es auch verdient gehabt zu gewinnen. Warum spielt er nicht immer dieses Niveau?“

Ich lachte laut und konnte es eigentlich kaum glauben. Das hätte ich nicht besser sagen können. Dustin schien irritiert und stutzte.

„Passt schon, Dustin. Diese Aussage hätte auch von mir sein können. Aber was mich viel mehr gestört hat, war …“

Dustin fiel mir ins Wort.

„Ja, ich weiß. Es tut mir auch leid, dass Fynn sich nicht an die Absprachen gehalten hat. Er hat aber wirklich nicht viel gesagt. Ich habe mich bei Mattes schon entschuldigt.“

„Warum musst du dich entschuldigen? Wenn sich einer entschuldigen muss und sollte, dann ja wohl Fynn. Er hat es doch getan und nicht du. Darüber rede ich auch noch mit ihm. Das geht so nicht. Ich möchte nicht wissen, wie er das in so einer Situation empfinden würde.“

„Ja, ich weiß. Nur jetzt muss er selbst spielen. Ich wollte Mattes aber sagen, dass ich das nicht gewollt hatte.“

„Ok, das ist in Ordnung. Ich werde wohl Mattes gleich ein wenig aufbauen müssen. Dabei hat er richtig gut gespielt. Aber wenn man verloren hat, fällt es einem schwer, das sofort sehen zu können.“

Er nickte nur stumm. Sein Blick ging schon zu Fynn, aber ich ließ es nicht zu, dass er so verschwitzt am Platz stehen würde. Ich bestand darauf, dass er sich zuerst frisch machen sollte. Widerwillig fügte er sich meiner Anweisung. Er musste ja noch ein Einzelfinale spielen. Das Doppelfinale auch noch, denn ihre Halbfinalgegner hatten das Spiel wegen einer Verletzung nicht spielen können.

Gute neunzig Minuten später hatte Fynn seinen ersten Matchball verwandelt und ging zum Handshake ans Netz. Das war eine wahre Meisterleistung. Er hatte seinen Gegner jederzeit im Griff und spielte das souverän nach Hause. Interessant zu sehen war, wie Dustin Fynn gratulierte. Er umarmte ihn vor Freude auf dem Platz. Beide waren sehr euphorisch und machten den totalen Blödsinn auf dem Platz.

Ich rief über den Platz:

„Jungs, macht mal halblang. Hier finden noch andere Spiele statt.“

Sofort nahmen sie sich zurück und wurden ruhiger. Dennoch waren beide wie aufgedreht. Mattes stand mit Carlo neben mir und schüttelte nur den Kopf. Carlo fragte mich nicht ganz ernst gemeint:

„Sag mal Chris, wie alt sind die beiden? Ich dachte schon, ich wäre manchmal noch albern, aber das ist ja noch alberner.“

Ich schaute zu Carlo und Mattes fing schon an zu kichern.

„Da könntest du sogar recht haben, aber andererseits ist es doch ok. Wenn sie dabei immer so gut spielen und so viel Spaß haben. Meinetwegen.“

Jetzt prustete Mattes los und bekam einen Hustenanfall, weil er sich verschluckt hatte. Carlo schlug ihm auf den Rücken und so beruhigten sich alle auch schnell wieder. Fynn war mittlerweile mit Dustin bei uns angekommen und ich brauchte nicht viel zu dem Spiel zu sagen. Es war einfach nur gut. Ich hatte allerdings jetzt ein Problem. Beide mussten noch ein Einzelfinale spielen und ein Doppelfinale. Das würde richtig heftig werden.

„Dustin und Fynn, ich möchte kurz mit euch sprechen. Lasst uns mal etwas abseits gehen.“

Die beiden schauten etwas verdutzt, folgten mir aber sofort.

„Was ist denn Chris, haben wir was angestellt?“, fragte mich Dustin.

„Nein, nein, schon ok. Nur, wollt ihr das Doppel wirklich auch spielen? Ihr habt beide noch ein Einzelfinale zu spielen.“

Dustin schien plötzlich unsicher zu sein. Er schaute Fynn an und wartete auf seine Antwort. Dieser überlegte nicht lange.

„Klar spielen wir auch das Doppelfinale. Mein Halbfinale war jetzt nicht so anstrengend. Was meinst du, Dustin?“

Dustin hingegen war schon deutlich ruhiger, aber er wollte Fynn nicht enttäuschen. Außerdem hatte er auch Blut geleckt. So erfolgreich war er schon lange nicht mehr. Sie entschieden sich, das Doppel zu spielen. Ich war einverstanden und wollte mich schon umdrehen, als Fynn mich noch einmal ansprach:

„Ähm Chris, da ist noch eine Sache.“

Ich erwiderte erstaunt: „Ja?“

„Also ich glaube, ich sollte mich auch bei Dir entschuldigen für die Sache während des Spiels bei Mattes. Du hast Recht gehabt, es war unfair Mattes gegenüber.“

„Gut, ich akzeptiere deine Entschuldigung und freue mich über deine Einsicht. Vielleicht solltest du das aber Mattes auch sagen, denn er war derjenige, dem du am meisten geschadet hast.“

Jetzt grinste er schon wieder.

„Schon passiert. Wir haben das geklärt.“

Donnerwetter, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ich lobte ihn für diese Reaktion und dann bereiteten sie sich auf das Doppel vor.

Wie sich herausstellen sollte, war das Doppel eine besondere Show. Sie hatten einen eigentlich übermächtigen Gegner, der sie allerdings nicht ernst genommen hatte. Meine Jungs spielten wie auf Speed. So motiviert und locker, immer einen Spaß auf den Lippen und völlig befreit. Sie feuerten sich immer wieder gegenseitig an. Kein schlechtes Wort fiel, wenn einer einen Ball verschlug. Mir verschlug es beinahe die Sprache bei so viel Engagement. Sie verloren dann zwar doch noch im dritten Satz, aber das war eine tolle Vorstellung gewesen. Beide waren auch überhaupt nicht enttäuscht, dass sie verloren hatten. Immer wieder konnte ich sie beobachten, wie sie vor dem Einzelfinale scherzten und sich gegenseitig aufzogen. Sie waren praktisch immer zusammen und sie entwickelten sich zu einem echten Team. Ich war sehr gespannt, wie das wohl weitergehen würde. Es zeigte sich immer deutlicher, wie gut sie sich früher wohl verstanden hatten und wie gut es beiden tat, diese Freundschaft wiedergefunden zu haben.

Dustin: Tennis macht wieder Spaß

Es war einfach geil, so gutes Tennis hatte ich schon ewig nicht mehr gespielt. Fynn und ich waren wieder wie früher ein unzertrennliches Paar. Das Doppel hatten wir zwar verloren, aber ich hatte einfach viel Spaß und das, obwohl wir verloren hatten. Fynn und ich hockten die ganze Zeit zusammen. Wir erzählten uns gegenseitig Witze und mussten immer wieder lachen. Ich hatte schon fast vergessen, wie das im Verband war.

„Was meinst du? Machen wir heute unser Double perfekt?“, fragte mich Fynn.

Ich verstand nicht gleich, was er von mir wollte und muss ihn wohl etwas komisch ausgeschaut haben.

„Mann, wenn wir beide unser Einzel gewinnen, haben wir doch zwei Titel für unser Team gewonnen. Also ein Double.“

„Ach so, aber ich bin doch noch gar nicht bei euch im Team.“

Dann geschah etwas Unerwartetes, Fynn legte seinen Arm um mich und meinte:

„Doch, du bist schon so gut wie aufgenommen. Glaub mir. Wenn Thomas schon sagt, er will dich gleich zum Probetraining sehen, dann haben sie erkannt, wie gut du bist. Außerdem möchte ich dich als Freund wieder häufiger dabei haben. Wer weiß, was die Zukunft bringt.“

Der letzte Satz ließ mich erschauern. Denn das war genau mein Problem. Ich hatte Angst vor der Zukunft. Wie würde ich zuhause empfangen werden. Irgendwann musste ich wieder dorthin zurück. Das machte mir Angst, aber Fynn schien das zu spüren. Er ließ seinen Arm um mich liegen und wir setzten uns auf eine Bank außerhalb der Anlage. Dort war es ruhiger.

„Was hast du Dustin? Du bist so nachdenklich?“

„Man, du kannst fragen. Was meinst du, was bei mir zuhause los sein wird, wenn ich wieder dorthin zurückkomme. Ich kann ja nicht ewig bei meinem Onkel bleiben. Davor habe ich Angst. Was ist, wenn ich nicht weiter Tennis spielen darf? Ein Schwuler in der Tennisszene ist mir noch nicht bekannt, oder dir?“

Jetzt schüttelte er den Kopf, aber umso bestimmter erwiderte er:

„Dann bist du eben der Erste. Na und? Ich mag dich, so wie du bist. Ich finde es geil, dass wir wieder so zusammen sind, wie früher. Das macht uns stark. Warte ab. Ich glaube Chris, wenn er sagt, dass es immer eine Lösung gibt. Man muss nur daran glauben. Meinst du, bei mir sieht das viel besser aus? Mein blöder Vater ist ständig besoffen und tobt zu Hause nur rum. Ich bin so froh, die Ferien weg zu sein und nur Tennis spielen zu können.“

Sein Arm blieb die ganze Zeit auf meiner Schulter liegen, und nachdem er das gesagt hatte, schwiegen wir beide für einen Moment. Da wurde mir bewusst, wie nahe er mir mittlerweile war. Es floss eine Wärme in meinen Körper und ungewollt bekam ich eine Reaktion in meiner Hose. Fuck! Nicht jetzt, dachte ich nur, hatte aber keine Chance es zu verhindern. Fynn musste es bemerken, zu offensichtlich war es in der kurzen Tennishose. Er zeigte aber keine Reaktion. Er blieb einfach genauso neben mir sitzen. Ein tolles Gefühl. Warum konnte er nicht auch schwul sein und wir würden ein Dreamteam werden?

„Was glaubst du, wirst du das Finale gewinnen?“, fragte er mich unvermittelt.

Diese Frage half mir, schnell wieder in die Realität zurückzukommen.

„Keine Ahnung, warum eigentlich nicht? Ich werde zumindest alles versuchen.“

„Das würde sich auch bestimmt positiv auswirken, wenn du mit einem Turniersieg zum Probetraining kommst.“

„Hm ja, schädlich wird es bestimmt nicht sein, aber abwarten. Ich finde es blöd, dass wir parallel spielen müssen. Ich würde gern bei dir zuschauen.“

„Ja, geht mir genauso, aber ist nicht zu ändern.“

Wir schauten beide instinktiv zur Uhr und mussten feststellen, es wurde für das Aufwärmen Zeit. Wir standen von der Bank auf und bereiteten uns gemeinsam auf unsere Finalspiele vor. Es war ein tolles Gefühl zu wissen, dass ich nicht mehr ein Einzelkämpfer sein musste. Auch, dass Fynn und die anderen aus dem Team keine Probleme mit mir hatten. Ob Carlo und Mattes wohl wussten, dass ich auf Jungs stehe?

„Dustin, kommst du?“

Dieser Ruf holte mich aus meinen Gedanken und ich schaute in das Gesicht von Chris, der etwa zehn Meter von mir entfernt auf mich wartete.

„Hä? Was ist los? Muss ich spielen?“

„Jep, du bist schon zweimal aufgerufen worden.“

Verdammt, das war ja wieder peinlich. Ich war so in Gedanken, dass ich das nicht mitbekommen hatte.

„Ich komme.“

Fynn umarmte mich noch einmal und wir wünschten uns gegenseitig viel Glück, dann marschierten wir mit unseren Gegnern auf den Platz. Jetzt musste jeder für sich kämpfen, aber ich hatte richtig Bock darauf.

Mein Spiel verlief sehr gut, mein Gegner machte es mir recht einfach. Ich gewann das Spiel locker in zwei Sätzen und komischerweise war meine Freude über diesen Turniersieg gar nicht so besonders groß. Klar, ich freute mich schon, vor allem bekam ich wichtige Ranglistenpunkte und würde bald auch in den Turnieren gesetzt werden. Oder ich bekam auch einmal eine Zulassung für den Nachwuchsbereich.

Schnell machte ich mich auf in die Umkleide, sprang unter die Dusche und beeilte mich enorm. Ich war so schnell wieder bei Fynn am Platz, dass Chris sogar nachfragte, ob ich denn auch wirklich unter der Dusche war. Meine Aufregung war größer, als bei meinem eigenen Spiel. Fynn hatte den ersten Satz verloren, führte aber im zweiten Satz mit einem Break. Erst beim Seitenwechsel hatte er mich bemerkt und gab mir komische Zeichen. Ich verstand gar nicht, was er von mir wollte. Erst Chris half mir auf die Sprünge:

„Er möchte wissen, wie du gespielt hast. Geh zu ihm. Er gibt sonst eh keine Ruhe.“

Dabei lachte Chris. Was sollte das eigentlich? Hatte ich was verpasst? Egal, ganz schnell war ich natürlich zu Fynn an die Bank gelaufen und in wenigen Worten konnte ich ihm erklären, dass ich gewonnen hatte. Obwohl er noch mitten in seinem Spiel war, strahlte er mich an und stand von der Bank auf, umarmte mich.

„Glückwunsch, ich finde das echt cool.“

Er löste sich wieder von mir, aber dieses Gefühl war toll. Ich sagte ihm nur noch ganz schnell:

„Jetzt mach mir das aber nach. Ich will, dass du auch gewinnst.“

Ohne zu antworten schaute er mich an und war schon wieder auf dem Weg zum Aufschlag. Er lächelte und zwinkerte mir zu. Da wusste ich, er würde gewinnen.

Das Spiel entwickelte sich wirklich unglaublich gut. Fynn zündete fast den Turbo. Er spielte so locker und befreit auf, dass mir das unheimlich vorkam. Ich schaute immer wieder zu Chris, der aber genauso erstaunt schien wie ich.

Jetzt wollte ich doch wissen, was Chris dazu meinte und lief mal schnell zu ihm an den Zaun.

„Was passiert hier gerade?“, fragte ich ihn.

Er zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich habe keine Ahnung, aber es gefällt mir. Meinetwegen kann er so weitermachen. Das ist gut für meine Nerven.“

Ich musste lachen, aber das hieß auch, dass Chris es ebenso wenig verstand wie ich. Egal, hoffentlich blieb das so und Fynn würde schnell gewinnen.

Meine Anspannung erhöhte sich mit jedem Ball, denn das Spiel wurde zunehmend noch spannender. Nicht weil Fynn schlechter wurde, der Gegner wurde immer stärker und spielte hervorragendes Tennis. Somit wurde dieses Match auch für die Zuschauer ein richtig tolles Spiel. Die anderen Spiele waren bereits sämtlich beendet und somit hatten alle anderen die Möglichkeit zuzuschauen. Entsprechend gut war auch die Stimmung. Ich wurde immer nervöser und musste schon seit Minuten aufs Klo. Es war aber einfach zu spannend und ich wollte partout nichts verpassen. Den zweiten Satz hatte Fynn gewonnen und im Finale wurde der dritte Satz ausgespielt. Es stand 4:4 und Fynn schlug auf.

Es half aber nichts, ich musste doch auf die Toilette, rannte ins Clubhaus, um so wenig wie möglich vom Spiel zu verpassen, aber als ich zurückkam stand es 4:5. Fynn hatte seinen Aufschlag abgegeben. Verdammt, kaum war ich weg, verlor er seinen Aufschlag. Ich war geknickt, denn der Gegner hatte bislang einen guten Aufschlag und ließ wenige Breakchancen zu.

Fynn nahm mit mir Blickkontakt auf und ich hatte das Gefühl, dass er mich vermisst hatte. Er schüttelte den Kopf. Hoffentlich war er jetzt nicht sauer auf mich. Ich feuerte ihn an und was dann geschah, war unglaublich. Er breakte seinen Gegner zu null. Unfassbar! Jetzt regte sich der Gegner tierisch auf und Fynn nutzte das, um seinen Aufschlag ohne Probleme zu gewinnen. 6:5 für Fynn. Wow, was für ein Match. Jetzt wurde mir bewusst, wie gut Fynn bereits war. Sein Gegner war immerhin die Nummer 35 in Deutschland und spielte regelmäßig in der 2. Bundesliga. In einem unglaublichen Finish gelang es Fynn, sich bei 8:7 im Tie-Break den ersten Matchball zu erspielen. Er schlug selbst auf ….. und machte einen Doppelfehler! Das durfte doch nicht wahr sein. Er machte aber den nächsten Punkt und hatte erneut Matchball, allerdings bei Aufschlag des Gegners. Ein langer Ballwechsel entwickelte sich. Keiner wollte den Fehler machen und sie spielten den Ball immer wieder nur lang in das Feld. Was für eine Spannung. Dann spielte der Gegner einen Ball etwas kürzer und Fynn stürmte auf den Ball zu und schlug einen Winner. Vorbei! Das Spiel war vorbei! Fynn hatte gewonnen. Meine Anspannung löste sich in einem kleinen Jubelschrei, der allerdings im Beifall und dem Jubel von Fynn unterging. Ich rannte schnell auf den Platz und Fynn schien vollkommen befreit zu sein. Er jubelte und umarmte mich. Es war mir egal, dass er total verschwitzt war.

Erst, als wir uns etwas beruhigt hatten, kamen auch Chris, Carlo und Mattes zu uns. Sie gratulierten Fynn ebenfalls. Carlo zog sogar für Fynn den Platz ab.

Ich musste mich für einen Moment auf die Bank setzen und Fynn setzte sich neben mich.

„Man, wie geil ist das denn? Ich fand, das war megageil gespielt.“

Er schnaufte immer noch ganz schön, aber strahlte und grinste.

„Ja, ich weiß auch nicht. Total geiles Gefühl gerade. Aber warum bist du bei 4:4 weggegangen?“

Verdammt, er hatte es wirklich bemerkt.

„Ich musste unbedingt aufs Klo. Ich konnte nicht mehr warten, sonst hätte ich mir in die Hose gemacht. Sorry.“

Er schaute mich an und fing an zu lachen. Erst einige Augenblicke später, als er sich wieder etwas beruhigt hatte, meinte er lachend:

„War das Match so aufregend? Und ich dachte schon, es gab ein Problem oder so.“

„Nein, wirklich nicht. Es tut mir auch leid, aber ich musste echt dringend aufs Klo.“

Jetzt umarmte er mich wieder und es war die pure Freude spürbar. So euphorisch hatte ich Fynn noch nie erlebt. Auch Chris war richtig aufgedreht, als er zu uns kam.

„Sag mal Fynn, heute musst du uns aber zur Feier des Tages einen ausgeben.“

„Bin ich Krösus? Womit soll ich das bezahlen für euch alle?“

„Na du hast doch jetzt genug Geld gewonnen“, warf Carlo ein.

Fynn schien es nicht so recht zu begreifen. Erst als Chris ergänzte:

„Dein Preisgeld, du Depp. Du hast soeben 250 Euro gewonnen. Und reichlich Punkte für die Rangliste.“

„Cool“, antwortete Fynn, „das ist dann wohl ein Argument. Also gut, ich lade euch alle auf einen Drink ein.“

Jetzt mussten wir doch lachen. Das hörte sich so an, als ob sich James Bond einen Wodka-Martini bestellen würde. Mal sehen, was das noch geben würde. Fynn nahm seine Tasche und wollte in die Umkleide gehen. Allerdings bat der Veranstalter darum, erst die Siegerehrung vornehmen zu können.

Nachdem alle ihre Pokale und Sachpreise bekommen hatten, waren nur noch unsere beiden Konkurrenzen dran. Ich bekam einen Pokal und einen Gutschein über 100 Euro eines Online-Sportartikelversandes. Das war sehr praktisch. Ich brauchte nämlich neue Tennisschuhe. Zuletzt kam Fynn an die Reihe. Sein Pokal war auch der größte von allen und er bekam einen Umschlag. Diesmal nicht mit einem Scheck, sondern mit richtigen Euroscheinen. Zwei Hundert Euro Scheine und ein Fünfziger. Ich hatte noch nicht oft einen Hunderter in der Hand. Entsprechend cool fand ich es, als Fynn mir einen davon mit den Worten gab:

„Hier, fühl mal. Damit du weißt, wie geil sich das anfühlt, so viel Kohle gewonnen zu haben.“

Chris hatte das mitbekommen und lachte laut. Egal, ich fand es total cool, dass er mir den einfach so in die Hand gab. Dann war der offizielle Teil vorbei und Fynn konnte duschen gehen. Chris stand mit Marco auf der Terrasse und ich hatte immer noch den Geldschein in der Hand. Jetzt wollte ich den aber doch wieder loswerden und folgte Fynn in die Umkleide. Er hatte sich bereits komplett ausgezogen und war auf dem Weg in die Dusche, als ich hereinkam. Sein Körper sah toll aus. Viel muskulöser als ich. Ich wurde etwas neidisch.

„Wo soll ich den hinlegen?“

Ich zeigte ihm den Schein und er grinste nur:

„Gar nicht, du kannst damit schon mal eine Runde Getränke bestellen. Ich möchte ein großes Bier zur Feier des Tages. Frag die anderen, was sie trinken wollen. Du kannst damit bezahlen und mir dann später den Rest wiedergeben.“

Etwas irritiert drehte ich mich um und ging wieder in den Clubraum. Ich erzählte Chris von Fynns Wunsch. Das hatte zur Folge, dass er einen Lachanfall bekam.

„Also gut. Ausnahmsweise sei das erlaubt mit dem Bier. Nimm du die Bestellungen auf, ich möchte eine große Fassbrause.“

Es dauerte nicht lange und die Bestellung war unterwegs. Ich hatte mir ein Alster bestellt. Allerdings hatte ich Chris doch noch einmal vorher gefragt. Ich durfte es ja eigentlich noch nicht. Er war aber einverstanden.

Als Fynn endlich aus der Dusche kam und sich neben mich setzte, standen die Getränke bereits auf dem Tisch. Er schaute in die Runde und griff beherzt zu seinem Bier.

„So, Leute. Ich möchte einmal danke sagen. Insbesondere an Chris für die tolle Betreuung und an euch für den guten Zusammenhalt. Es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Also Prost!“

Von uns allen kam vielstimmig zurück: „Prost, auf den Sieger!“

Dann stießen wir alle an und es wurde noch sehr lustig, denn Chris machte dann sogar den Siegersekt auf und jeder bekam ein Glas davon ab. Leider durfte er selbst nichts davon trinken. Er musste ja noch fahren und da war er absolut konsequent. Keinen Alkohol im Straßenverkehr.

Nachdem die Flasche Sekt auch leer war, mussten wir unsere Sachen packen und uns auf den Heimweg machen. Wir würden noch eine Rast machen und dort auch übernachten. Ankunft in Halle war erst am nächsten Tag geplant.

Fynn: Gute Stimmung und eine Überraschung in Halle

Ich war richtig aufgekratzt, denn der Alkohol zeigte Wirkung. Deshalb waren der Abbau und das Einpacken unserer Sachen recht lustig. Dustin und ich hatten uns immer wieder gegenseitig aufgezogen. Ich war nicht unbedingt der geborene Packer. Glücklicherweise hatten wir genug Platz im Wohnmobil und somit waren wir bald unterwegs in Richtung Heimat. Da das Auto kein Sportwagen war, hatten wir eine Reisegeschwindigkeit von nur 90 Stundenkilometern. Deshalb wollte Chris auch in einer Jugendherberge eine Übernachtung einschieben. Es war ihm zu anstrengend in einem Rutsch durchzufahren.

Dustin und ich saßen nebeneinander und die anderen beiden hinten im Wohnbereich. Durch die beiden Finals war ich aber total geschafft und der Alkohol tat sein Übriges. Dustins Kopf fiel immer wieder zur Seite. Es schien ihm also ähnlich zu gehen wie mir. Ich beschloss, meine Lehne ein wenig nach hinten zu stellen, um besser entspannen zu können. Das bedeutete allerdings, dass Dustins Kopf nun keine Möglichkeit mehr hatte, sich an meiner Schulter anzulehnen.

„Hm“, grummelte er vor sich hin und machte die Augen auf.

„Das ist gemein, wo ist mein Kopfkissen?“

„Hehe, ich habe es mir etwas bequemer gemacht. Stell doch deine Lehne auch zurück, dann sind wir wieder auf gleicher Höhe.“

„Hättest du das nicht für mich gleich mitmachen können. Ich war gerade so schön eingeschlafen.“

Er sah richtig zerwuselt aus. Seine Haare standen wirr in der Gegend herum und so wirklich wach war er auch nicht. Er fummelte am Sitz herum und bekam es aber nicht hin, die Lehne zu verstellen.

„Ich helfe dir mal, sonst bist du morgen noch nicht soweit. Ich will weiterschlafen.“

Also stellte ich Dustin die Lehne passend ein und ein Lächeln kam auf seine Lippen. Ich setzte mich wieder richtig in meinen Sitz und es dauerte nicht lange, da fiel Dustins Arm an der Seite herunter und landete auf meinem Oberschenkel. Erst wollte ich die Hand noch wegnehmen, aber ich war zu müde. Ich merkte noch, wie sein Kopf erneut an meine Schulter fiel, aber dann war ich auch schon eingeschlafen.

Von den nächsten Stunden bekam ich nichts mit. Ich war so kaputt, dass ich tief und fest geschlafen hatte. Durch ein Geräusch wurde ich wach, und als ich meine Augen öffnete, merkte ich, dass Dustin sich ganz eng an mich gekuschelt hatte und immer noch tief und fest schlummerte.

Das Geräusch war das helle Lachen von Carlo, der mit Chris vor uns stand und sich köstlich amüsierte über das Bild, welches wir abgaben. Ich wäre am liebsten sofort wach geworden, aber ich war einfach zu erschöpft. Also blieb ich sitzen und schaute schläfrig zu Dustin herüber. Dieser Anblick war schon recht eindeutig. Er hatte sein Hand auf meinem Bauch abgelegt und sein Kopf lag an meiner Schulter. Chris lächelte nur und Carlo grinste frech.

„Na, wie schläft es sich als Dustins Kopfkissen?“, fragte Carlo noch provozierend.

„Grrmbl, leider anscheinend nicht so gut wie Dustin. Aber sonst eigentlich ganz gut.“

So langsam wurde ich richtig wach. Dabei registrierte ich plötzlich wieder dieses Kribbeln im ganzen Körper. Die Berührungen von Dustin waren einfach heftig für mich. Mir wurde das erst jetzt bewusst, als ich wieder richtig wach war. Mattes war anscheinend schon ausgestiegen und Carlo verließ nun auch das Wohnmobil. Chris grinste immer noch und blieb bei uns.

„Du solltest die Schlafmütze dort“, er zeigte auf Dustin, „mal aufwecken. Wir sind an unserem Nachtquartier angekommen. Er kann dann im Bett weiterschlafen.“

Chris verließ das Wohnmobil noch mit der Ansage, dass wir zehn Minuten hätten, um unser Quartier zu wechseln. Also bemühte ich mich, Dustin so sanft wie möglich zu wecken. Bei jeder Berührung fühlte ich wieder dieses Kribbeln und Wärme in mir aufsteigen. Ich war total irritiert. Niemals zuvor hatte ich so etwas erlebt. Am Lächeln in Dustins Gesicht konnte ich erkennen, dass es ihm nicht unangenehm war. Erst nach weiteren Berührungen öffnete er seine Augen und schreckte hoch.

„Oh, verdammt. Wo bin ich?“

„Endlich bist du wach. Ich dachte schon, ich müsste dich wachküssen.“

Das war natürlich nicht ernst gemeint und entsprechend laut lachte ich danach. Er hingegen grinste mich schelmisch an:

„Schade, warum hast du das nicht gemacht. Ich hatte gerade einen tollen Traum.“

Er stand von seinem Sitz auf und reckte sich. Da konnte ich auch erkennen, dass der Traum wohl wirklich sehr schön gewesen sein musste. Denn seine Hose spannte gewaltig über seinen Hüften. Ich konnte nicht anders, als zu der Beule hinzusehen. Er bemerkte das sofort und wurde total rot im Gesicht. Das ließ mich grinsen, denn jetzt war klar, was los war.

„Komm, Chris erwartet uns in fünf Minuten in unserem Zimmer. Da kannst du weiter pennen.“

Wir verließen das Wohnmobil, ich schloss die Türen ab und steckte den Schlüssel in meine Tasche. Dustin schlurfte neben mir her und so bemerkte er gar nicht, dass wir in einer sehr schönen Jugendherberge waren. Das Zimmer, welches uns Chris besorgt hatte, war mit einem Doppelbett ausgestattet und für eine Jugendherberge echt komfortabel, wie ich fand. Dennoch wollte ich nur noch schnell ins Bett und weiterschlafen. Dustin fiel förmlich ins Bett und war sofort wieder eingeschlafen.

Mir fiel das leider nicht ganz so leicht, denn ich musste immer wieder Dustin anschauen und die Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich fand ihn schön. Ich war glücklich, ihn als Freund zurückbekommen zu haben. Aber die Reaktionen meines Körpers verwirrten mich total. Plötzlich drehte sich Dustin auf die Seite und sein Arm legte sich wieder auf meinen Bauch. Sofort war das Kribbeln bei mir wieder da, aber es beruhigte mich merkwürdigerweise auch. Ich fühlte mich in der Lage, meine Augen wieder zu schließen und war kurz darauf eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wurden wir sehr früh von Chris geweckt. Es war kurz nach sieben, was für eine unmögliche Zeit. Aber wir wollten nicht zu spät in Halle eintreffen.

Das wirkliche Problem war allerdings, dass Dustin sich während der Nacht richtig an mich gekuschelt hatte und so lagen wir nicht mehr jeder in seiner Betthälfte, sondern er lag bei mir im Bett. Ich hatte supertief geschlafen und davon nichts bemerkt. Ich fand es auch nicht unangenehm, im Gegenteil, es fühlte sich sogar gut an, Dustin neben mir zu haben.

„Morgen ihr Schlafmützen. Aufstehen und duschen. Nach dem Frühstück geht es direkt nach Hause.“

Chris musste die Situation eigentlich erfasst haben, aber er reagierte überhaupt nicht darauf und glücklicherweise verließ er auch sofort wieder unser Zimmer, denn ich hatte eine Morgenlatte, die nicht ohne war. Das wäre mir doch echt zu peinlich gewesen. Also schnell aus dem Bett und auf die Toilette, bevor ich unter die Dusche sprang.

Dustin wurde erst ganz langsam wach und so war ich bereits fertig, als er endlich aus dem Bett stieg.

„Boah, wie kannst du so früh schon so wach sein“, grummelte er herum.

Gemein wie ich war, ging ich noch nass und nur mit dem Handtuch bekleidet auf ihn zu und begann ihn zu kitzeln. Er schrie kurz auf:

„Ihh, du bist ja nass, lass das.“

Schnell hatten wir eine richtige Kabbelei und er ließ es sich nicht nehmen, mir das Handtuch herunter zu reißen. Jetzt stand ich nackt im Zimmer und er blieb stehen und schaute mich an. Ich war irritiert.

„Ist was?“

Schnell schüttelte er den Kopf.

„Ne ne, schon ok. Ich geh auch mal schnell duschen.“

Ruck-zuck war er im Bad verschwunden und ich hatte zwar keine Ahnung, was das jetzt zu bedeuten hatte, zog mich jetzt aber schnell an, verließ unser Zimmer und ging zum Frühstück. Auf dem Weg dorthin gingen mir Gedanken durch den Kopf, die mich verunsicherten. Immer häufiger hatte ich Empfindungen, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Schon gar nicht, wenn ich mit einem meiner Freunde zusammen war. Bei Dustin war das total anders. Für einen kurzen Moment stellte ich mir die Frage: War das so richtig?

Dann betrat ich den Frühstücksraum und Carlo und Mattes waren bereits am Tisch. Chris holte sich gerade eine Kanne frischen Kaffee am Büffet ab.

„Guten Morgen“, sagte ich zu allen.

Chris drehte sich zu mir um und erwiderte: „Hi Fynn, wo hast du die andere Schlafmütze gelassen?“

Die anderen beiden begannen zu kichern, während ich am Tisch Platz nahm.

„Vermutlich zieht er sich gerade an. Als ich das Zimmer verließ, ging er gerade unter die Dusche.“

Es dauerte auch nur ein paar Minuten, bis Dustin ebenfalls am Tisch Platz nahm. Er setzte sich wortlos neben mich. Chris bekam wieder sein fieses Grinsen und ich wusste, es war jetzt besser nicht zu fragen, was gerade in seinem Kopf vorging.

Das Frühstück verlief recht still, und als wir alle fertig waren, gab Chris an alle den Auftrag:

„Jetzt macht jeder sein Zimmer abreisefertig und dann treffen wir uns in fünfzehn Minuten am Wohnmobil. Passt auf, dass ihr nichts vergesst.“

Carlo hatte wieder den Schalk im Nacken und antwortete: „Jawohl, Herr Kommandant.“

Dabei stand er vom Tisch auf und salutierte wie ein Soldat. Mattes, Dustin und ich bekamen einen Lachanfall, dem sich Chris schnell anschloss. Danach gingen wir unsere Sachen packen.

Der letzte Rest unserer Fahrt brachte keine besonderen Ereignisse mehr. Leider hatte das zur Folge, dass mir bewusst wurde, ich wäre bald wieder zu Hause und würde dort wieder den Stress erleben. Ich hatte mir aber vorgenommen, mir nicht mehr alles von meinem Vater gefallen zu lassen. Mal sehen, ob mir das gelingen würde.

Chris fuhr mit dem Wohnmobil auf den Parkplatz in Halle und stellte den Motor ab.

„Meine Damen und Herren, the eagle has landed. Sie dürfen die Gurte öffnen und das Fahrzeug verlassen. Die Fahrt endet hier.“

Das war so typisch für Chris. Carlo und Mattes kringelten sich vor Lachen, aber auch Dustin und ich fanden das lustig. Wir stiegen aus und nahmen unsere Sachen aus dem Kofferraum. Es war kurz nach zwei Uhr mittags und Chris wollte noch eine Ansage machen.

„So, Leute. Für Carlo und Mattes ist diese Reise jetzt zu Ende. Ihr könnt eure Eltern anrufen, dass sie euch abholen. Dustin und Fynn kommen mit mir mit. Wir haben noch einen Termin.“

Carlo und Mattes holten ihre Handys heraus und riefen bei ihren Eltern an. Chris hatte sich von beiden verabschiedet und war schon in Richtung Clubhaus unterwegs, als Carlo zu uns kam:

„War ne coole Reise oder? Dustin, ich hoffe, wir sehen uns bald hier wieder. Ich finde dich nett. Und dir Fynn, danke für deine Unterstützung. Es wäre schön, wenn du hier auch mal so nett sein würdest.“

Damit umarmte er mich und Dustin zum Abschied. Mattes stimmte ihm nur zu und die beiden blieben auf dem Parkplatz zurück. Ihre Eltern würden in wenigen Minuten hier sein. Die Aussage von Carlo gab mir zu denken. Da musste ich unbedingt Chris nach fragen. Wie war das wohl gemeint? Dustin und ich nahmen unsere Taschen und gingen ebenfalls ins Clubhaus. Ich telefonierte mit meiner Mutter und meldete mich zurück, erklärte ihr aber auch, dass ich hier noch etwas zu regeln hatte. Sie freute sich, meine Stimme zu hören. Allerdings konnte ich auch spüren, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

Dustin wartete auf der Terrasse auf mich.

„Na, hast du deine Eltern erreicht?“

„Ja, meine Mutter war Gott sei Dank dran. Sie freut sich, dass ich wieder da bin. Wie ist es bei dir? Hast du Frank erreicht?“

„Jap, er kommt her. Er will beim Probetraining dabei sein. Will aber vorher noch mit Chris sprechen.“

„Oha, was hat das denn zu bedeuten? Hat er was gesagt?“

Dustin schüttelte nur mit dem Kopf. Ich konnte mir vorstellen, dass das jetzt nicht einfach für ihn war. Hoffentlich klappte alles so, wie Chris sich das vorstellte. Dustin ging nach draußen auf die Terrasse und ich folgte ihm.

„Hey, was denkst du gerade?“, fragte ich Dustin.

Er schaute mir in die Augen und ich konnte die Unsicherheit fühlen. Da war es wieder. Das Kribbeln bei mir. Es verwirrte mich immer mehr. Was ist das bei mir?

„Ganz ehrlich, ich habe Schiss vor der Rückkehr nach Hause. Mein Vater hat mich schon so oft verprügelt und gedemütigt, bevor er herausbekam, dass ich auf Jungs stehe.“

Ich konnte diese Angst spüren, allerdings war das jetzt so ziemlich das Schlechteste, was er gebrauchen konnte. Er sollte gleich ein Probetraining machen, was darüber entscheiden konnte, wie es für ihn weitergeht. Wie sollte ich ihm jetzt helfen?

„Ich kann das verstehen, aber wenn du hier angenommen wirst, bekommst du vielleicht die Chance, von deinem Vater wegzukommen.“

Er war sehr niedergeschlagen, dennoch versuchte er mich anzulächeln:

„Vielleicht hast du ja Recht, aber selbst wenn ich hier trainieren könnte, allein kann ich das doch niemals bezahlen.“

Er ließ die Schultern hängen und schien zu resignieren.

„Hey, du hast mir versprochen, alles für dieses Probetraining zu tun. Also gib alles und versuch nur an deine Zukunft auf dem Platz zu denken. Dein Onkel hat Recht mit dem, was er gesagt hat. Es gibt immer einen Weg, wenn man etwas will.“

Sein Kopf zuckte zu mir und seine Augen begannen zu leuchten, als ob irgendetwas in seinem Körper passiert war.

„Würdest du denn weiter zu mir halten? Kann ich vielleicht auch mal bei dir bleiben, wenn ich es zu Hause nicht mehr aushalte?“

Ich ging auf ihn zu und stand jetzt direkt vor ihm. Ich legte meine Arme um ihn.

„Ja, wann immer du willst. Wir halten zusammen. Das haben wir doch früher auch immer getan. Uns wird keiner auseinanderbringen, auch dein homophober Vater nicht.“

Dustin tat das sichtlich gut. Er wurde wieder fröhlicher und bei mir stellte sich wieder dieses Gefühl von Wärme ein. Es war einfach schön, so einen Freund wie Dustin zu haben. Wir konnten wieder über alles reden und ich hatte das Gefühl, wir wären nie über Jahre getrennt gewesen. In diesem Moment trat Chris zu uns auf die Terrasse.

„Hier seid ihr. Ich habe euch schon überall gesucht. Ihr könnt euch mal fertig machen. Thomas wartet auf Platz 3 auf euch.“

Dustin trennte sich von mir und ging sich schon umziehen. Chris schaute mich fragend an.

„Was war denn los? Hat er seinen Onkel nicht erreicht oder hat er von zu Hause schlechte Nachrichten erhalten?“

Ich seufzte: „Nein, er hat einfach nur Angst vor seinem Vater und wie das weitergehen soll. Er sieht wenig Gutes für die Zukunft. Dabei kann er doch jetzt etwas für sich tun. Ich habe Schiss, dass er schon resigniert hat.“

„Das kann ich allerdings auch irgendwo verstehen. Wenn deine eigenen Eltern nicht zu dir stehen, ist das schon richtig beschissen. Du wirst das sicher am besten verstehen können. Ich kann dir aber versprechen, sowohl Thomas, als auch Jan wissen Bescheid. Ich habe sie über die Umstände informiert. Also komm, mach dich fertig. Die anderen warten auf euch.“

„Jan? Sag nicht, dass er heute hier ist. Ausgerechnet heute ist er hier, oder wie?“

Chris musste grinsen und er nickte.

„Ja, er wollte euch sehen. Da ich von euch nur Positives berichtet hatte, und er sonst viel Negatives von dir gehört hat, wollte er das jetzt selbst sehen.“

Scheiße, war das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Jedenfalls beeilte ich mich, so schnell wie möglich auf den Platz zu kommen. Als ich mich umgezogen hatte und mit der Tasche am Platz ankam, stand Chris bereits mit Tomas und Jan am Netz. Dustin wärmte sich auf.

Ich begrüßte Thomas und Jan. Wobei es schon etwas Besonderes war, Jan zu begrüßen. Ich hatte ihn eigentlich mehr bei den großen Turnieren im TV gesehen, als hier. Er machte einen entspannten Eindruck. Ich begann mich einzulaufen und mit dem Sprungseil auf Temperatur zu kommen. Plötzlich übernahm Thomas das Zepter und gab ein paar Anweisungen. Dustin nickte und ich begab mich in die geforderte Position. Das Tempo wurde immer höher und Dustin steigerte sich immer mehr in die Sache rein. Ich hatte wirklich Mühe das Tempo mitzugehen. Immerhin hatte ich eine harte Turnierserie hinter mir. Ich wunderte mich, woher Dustin noch diese Energie holte.

„Ok, Stopp!“, rief Thomas plötzlich in den Ballwechsel, „kurze Trinkpause.“

„Sag mal“, schnaufte ich, „wo hast du noch diese Power her? Ich bin schon echt gut am Schwitzen.“

Dustin schaute mich an und erwiderte: „Ich stelle mir bei jedem Ball vor, das wäre mein Alter. Da kann ich richtig Wut ablassen. Das tut gut.“

Ich nickte nachdenklich.

„Wie gut, dass ich nicht der Ball bin. Aber mach ruhig weiter so.“

Dieser Satz ließ mich aufhorchen. Wer hatte das gesagt? Außerdem löste das bei Jan und Chris ein Lachen aus. Da konnte ich erst sehen, dass Frank mittlerweile auch bei den anderen stand. Er hatte das gesagt.

Dustin freute sich, dass Frank endlich auch da war. Jan hingegen ging ein paar Schritte zu Thomas auf den Platz und sie flüsterten etwas miteinander. Thomas nickte kurz und dann verließ Jan den Platz. Er ging auf den Nebenplatz. Das war aber auf den Plätzen 1-3 nicht so einfach möglich. Auf diesen Plätzen fanden die Bundesligaspiele statt. Sie hatten richtige Tribünen und man konnte den anderen Platz nicht sehen.

Ich war etwas beruhigter, denn Jan war dafür bekannt, sehr hohe Ansprüche zu stellen. Thomas gab für Dustin ein paar Korrekturen und Hinweise und dann kam die Ansage.

„Fynn, du kannst dich einen Moment ausruhen. Danke. Jetzt macht Dustin ein paar Aufschläge und dann möchten wir noch einen Satz unter Matchbedingungen sehen.“

Ich ging zu Dustin und wir klatschten uns gegenseitig ab.

„Los, mach weiter so. Das sieht echt gut aus.“

„Danke dir für deine Hilfe. Sehen wir uns gleich noch?“

„Klar, ich bleibe, bis du fertig bist.“

Jetzt lächelte er wieder und begann mit den Aufschlägen. Ich hatte ein gutes Gefühl. Allerdings konnte ich jetzt sehen, dass Jan mit einem anderen Spieler die Tribüne herunter kam. Den hatte ich hier noch gar nicht gesehen. Allerdings war Chris Reaktion eindeutig. Er schien ihn zu kennen, denn er wurde ein wenig unruhiger. Als die beiden näher kamen, hatte ich ein beklemmendes Gefühl. Ich ahnte Böses, denn irgendwoher kannte ich dieses Gesicht. Er war deutlich älter als wir und sah völlig austrainiert aus. Dustin schaute auch neugierig und plötzlich realisierte er wohl, wer das war. Er schaute etwas ratlos zu Thomas, der hingegen zu Jan ging und sich mit ihm besprach und dann zu mir an die Bank kam. Der andere Spieler ging zu Dustin und begrüßte ihn. Ich konnte Dustins Verwunderung deutlich erkennen. Da machte es bei mir „Klick“. Das war Gilles Simon, der Franzose, der von Jan betreut wurde. Ein absoluter Weltklassespieler. Holla, was sollte das jetzt? Ich drehte mich zu Frank und Chris um, die allerdings bester Laune waren.

Ich stieg ein paar Stufen die Tribüne herauf und fragte: „Was wird das jetzt? Da hat Dustin doch gar keine Chance.“

Chris grinste mich an und erklärte: „Bleib ruhig. Wir wollen nur sehen, wie geht er mit dieser Situation um. Kann er trotzdem sein bestes Tennis abrufen oder bricht er jetzt ein. Es ist ein Mentaltest. Du kannst beruhigt sein, Jan ist ziemlich angetan von Dustin. Und das will was heißen.“

Ich musste mich jetzt erst einmal setzen. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Die beiden begannen nun, einen Satz zu spielen und ich saß immer noch auf der Steintribüne und schaute den beiden zu. Dustin suchte immer wieder den Blickkontakt zu mir. Er hatte natürlich überhaupt keine Chance, allerdings ließ Gilles ihn mitspielen. Er schlachtete Dustin nicht ab und Dustin zeigte wirklich eine gute Performance. Ich gab ihm immer wieder Zeichen und feuerte ihn an, wenn er einen guten Ball gespielt hatte. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich erschrak etwas, aber Jan hatte sich hinter mich gestellt und sprach mich an:

„Fynn, kommst du mal bitte mit. Ich möchte kurz mit dir sprechen.“

Wir kletterten die Tribüne hinauf und standen nun oben auf dem Plateau zwischen den Plätzen.

„Sag mal, wie lange kennst du Dustin schon?“

Ich berichtete Jan von unserer Geschichte und was alles vorgefallen war. Jan hörte ruhig zu und ließ mich in Ruhe zu Ende berichten. Als ich fertig war, nickte er nur und sagte:

„Gut, ich finde es übrigens richtig gut, dass du dich für ihn so eingesetzt hast. Chris hat mir schon berichtet. Ich möchte dich aber fragen, warum bist du hier so oft ein Arschloch den anderen gegenüber? Selbst Carlo hat dich vorhin gelobt. Was ist passiert?“

„Ich verstehe nicht ganz? Wieso bin ich sonst ein Arschloch?“

„Weil du nie mit den kleineren trainieren willst und ihnen auch aus dem Weg gehst. Du denkst nur an dich und deinen Vorteil. Du warst bislang nie ein Teamplayer. Ich hatte mit Thomas schon daran gedacht, dich rauszuwerfen, aber was mir Chris erzählt hat, wundert mich doch sehr. Warum bist du auf der Reise so anders gewesen?“

Ich hatte nicht bemerkt, dass Chris mittlerweile zu uns getreten war. Er meldete sich jetzt zu Wort:

„Weil er nicht mehr zu Hause war. Er konnte ohne Angst auf den Platz gehen. Jan, die beiden sind langjährige Freunde und haben beide kein einfaches Zuhause. Fynn hat erst auf der Reise begriffen und gespürt, wie gut es sich anfühlt, Teil eines Teams zu sein.“

Ich nickte stumm. Genau das traf es auf den Punkt. Ich war geschockt, dass ich sonst so negativ gesehen wurde. Das wollte ich eigentlich nie. Ein Egoist sein. Jan schien Chris verstanden zu haben, denn er gab mir zu verstehen:

„Gut, du kannst duschen gehen. Wir werden uns beraten, wie wir das regeln. Ich nehme an, du würdest gern mit Dustin trainieren, oder?“

„Äh, klar. Heißt das, er kann bei uns bleiben?“

Jan blieb äußerlich unbeeindruckt, aber dann lächelte er und sagte:

„Ich denke, Dustin ist ein riesiges Talent, dass durch den Verband über Jahre verhunzt und verheizt wurde. Wenn er zu uns wechseln möchte, ist er herzlich willkommen. Wir müssen noch über die Details und Finanzen sprechen. Aber ich will, dass du in Zukunft genauso weiter arbeitest, wie auf dieser Reise mit Chris. Ist das angekommen?“

„Ja, ich bemühe mich jedenfalls. Aber kann ich eine Bitte äußern?“

Jan und Chris schauten jetzt etwas irritiert.

„Könnte es mir Thomas nicht sagen, wenn ich mich wieder schlecht benehme oder so eigensinnig bin. Ich will das eigentlich gar nicht.“

„Das bekommen wir wohl hin“, meinte Chris jetzt. Dann verabschiedete sich Jan von mir und ich ging sehr nachdenklich duschen. Was war hier gerade passiert?

Ich stand zwanzig Minuten später unter der Dusche, als Dustin völlig fertig die Umkleide betrat. Allerdings konnte ich erkennen, er war ziemlich glücklich. Er kam an den Eingang zur Dusche und lachte mich an.

„Man, war das ein geiles Training. So macht Tennis echt Spaß. Und weißt du was?“

Ich war total ratlos und schüttelte nur den Kopf. Ich stellte das Wasser ab und ging auf ihn zu.

Völlig unvermittelt umarmte er mich und war total glücklich.

„Danke Fynn. Du hast mir sehr geholfen. Ich kann hier trainieren und ab sofort auch für Halle spielen. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin.“

In seinem Überschwang drückte er mich ganz fest an sich. Ich spürte wieder dieses tolle Gefühl in seiner Nähe. Er löste sich von mir und zog sich ebenfalls zum Duschen aus. Ich nahm mein Handtuch und verließ die Dusche. Sehr nachdenklich zog ich mich an, blieb aber in der Umkleide und wartete auf Dustin. Ich beobachtete ihn und mir wurde immer wieder bewusst, wie sehr ich ihn mochte. Wir waren endlich wieder richtige Freunde geworden. Ich war mir sicher, gemeinsam würden wir alle Probleme besser lösen können, als jeder für sich. Nur über meine Gefühle musste ich immer häufiger nachdenken. Hatte es mehr zu bedeuten, wenn ich in Fynns Nähe war, dieses Kribbeln oder diese Sicherheit zu haben, er würde mich verstehen. Während des Turniers war einfach keine Zeit darüber nachzudenken. Aber jetzt?

Chris: Wie geht es weiter

Nachdem Jan und Thomas mit Frank und Dustin vorläufig geklärt hatten, dass Dustin zu uns wechseln würde, stand noch ein weiteres Gespräch an. Thomas, Jan und Thorsten wollten noch mit mir ein Gespräch führen.

Bevor das begann, wollte ich noch mal mit den beiden Jungs sprechen und war in die Umkleide gegangen. Beide Jungs saßen auf der Bank nebeneinander und waren in ein Gespräch vertieft.

„Hi Chris“, strahlte mich Dustin an, „danke noch mal für alles. Frank hat vorläufig für mich die Kosten übernommen und ich freue mich, wieder ein sportliches Ziel zu haben. Dass ich dabei in Zukunft auch wieder mit Fynn gemeinsam spielen kann, ist noch ein Bonus obendrauf. Ich weiß ehrlich nicht, wie ich mich bei dir dafür bedanken kann.“

„Kein Problem, habe ich gerne gemacht. Aber du hast dir das verdient mit guten Leistungen. Jan würde dich sonst niemals aufnehmen. Er will Einsatz und Willen sich zu verbessern sehen. Wenn du also weiterhin hart arbeitest und nicht anfängst, das schleifen zu lassen, dann bekommst du hier die beste Unterstützung.“

Dustin legte seinen Arm auf Fynns Schulter und antwortete: „Fynn wird mir schon in den Arsch treten, wenn ich mich hängen lasse.“

Fynn schmunzelte und ich schaute die beiden an. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich hier eine besondere Situation entwickeln würde.

„Das Gleiche machst du aber auch mit Fynn. Er kann das nämlich auch ganz gut, sich mal hängen lassen. Was ich noch sagen wollte, wirst du jetzt zu deinem Onkel gehen oder wieder nach Hause?“

Dustins Gesicht wurde ernst.

„Ich kann bei meinem Onkel bleiben. Zumindest die kommende Woche noch. Bis dahin will er mit meinem Vater gesprochen haben. Hoffentlich bekommt er das hin.“

Ich holte eine Visitenkarte aus meiner Tasche und gab sie Dustin.

„Hier, falls du mal Hilfe brauchst oder fragen hast. Unter dieser Nummer erreichst du mich eigentlich immer. Auch nachts, aber dann bitte nur, wenn es wirklich brennt. Ok?“

Dustin stand auf, umarmte mich wortlos und zum Abschluss sagte ich dann nur noch:

„So, ich werde mich jetzt verabschieden. Vielleicht sehen wir uns ja bald wieder auf dem Platz. Jan wollte noch mit mir etwas besprechen. Euch wünsche ich vor allem viel Erfolg in euren Familien. Nehmt euch Unterstützung. Thomas und Burghard werden euch zuhören. Und wenn es sinnvoll ist, komme ich auch gern mal als Vermittler her.“

Fynn sah traurig aus.

„Warte, ich möchte dich noch etwas fragen.“

Ich drehte mich noch mal um.

„Ja?“

Er überlegte einen Moment und fragte mich:

„Warum bist du eigentlich nicht häufiger als Trainer dabei? Du machst das richtig gut. Carlo und Mattes haben das auch gesagt. Selbst wenn du noch deinen Beruf hast, ich finde es schade, dass du so selten hier bist.“

Ich musste lächeln. Es tat mir schon gut, das von ihm zu hören. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, meinen Beruf aufzugeben. Und Jan wollte nur Trainer, die auch die A-Lizenz hatten. Dafür fehlten mir sicher die Zeit und auch das Geld.

„Danke Fynn. Ich freue mich über das Lob. Wir schauen mal. Ich muss jetzt aber los. Jan und Thorsten warten auf mich.“

Ich verabschiedete mich von beiden Jungs und ging in das Besprechungszimmer, wo bereits Jan und Thorsten warteten. Thomas war noch nicht da. Jan fragte mich, ob ich etwas trinken möchte und ging in den Clubraum, um eine Bestellung aufzugeben. Ich setzte mich zu Thorsten an den Tisch.

„Na Chris, hast du alles gut mit den Jungs überstanden? Die sind ja manchmal schwierig und etwas anstrengend.“

„Naja, ich fand es dieses Mal sehr entspannt. Wenn das immer so gut läuft, will ich mich nicht beschweren. Ich weiß nur nicht, ob ich als Trainer euren Ansprüchen gerecht werde. Ich bin ja eigentlich eher der Pädagoge.“

Jan kam in diesem Moment zurück in den Raum und hatte die Getränke auf einem Tablett dabei.

„Du weißt ganz genau, dass wir dich nicht losschicken würden, wenn ich nicht glauben würde, dass du der Richtige dafür bist. Aber genau das soll auch unser Thema sein.“

Mein Bruder irritierte mich. Er war sonst immer sehr von sich eingenommen und überzeugt. Ich hatte nämlich in den meisten Fällen eine andere Auffassung vom Umgang mit den Kids.

Thorsten holte seinen Laptop hervor und klappte ihn auf. Es dauerte nicht allzu lange und er hatte meine Berichte von der Reise vor sich.

„So, wir haben deine Berichte gelesen und auch besprochen. Wir müssen feststellen, dass du in der kurzen Zeit mehr von den Jungs erfahren hast, als wir in einem ganzen Jahr. Also, so viele Hintergrundinformationen bekommen wir sonst nur sehr selten.“

Jetzt mischte sich auch mein Bruder wieder mit ein.

„Um es auf den Punkt zu bringen. Dass Fynn sich so einbringen würde und auch noch ein Turnier der höchsten Kategorie gewinnt, damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. Respekt!“

„Danke. Ja, es stimmt, Fynn war am Anfang nicht so einfach, aber wir sind ganz gut miteinander klargekommen.“

Jetzt mussten beide lachen und Jan war der Erste, der wieder ernst wurde.

„Schön, Thorsten und ich haben mit Burghard lange Gespräche geführt und wir sind übereingekommen, wir brauchen jemanden, der sich um die Probleme der Kids kümmern kann und der vor allem kompetent im Mentalbereich ist. Deshalb möchten wir dich fragen, ob du dir vorstellen kannst, unser Team gerade in unseren Wohngruppen zu unterstützen. Dort gibt es immer wieder Probleme mit Eltern und den Situationen der Kids. Ich hatte bislang gedacht, dass wir dort gut genug aufgestellt sind, aber wenn es dir gelingt, ausgerechnet Fynn so zu verändern, dann müssen wir darüber nachdenken.“

Thorsten warf ein: „Und wir haben auch darüber nachgedacht.“

Ich musste lachen.

„Ok, und dann seid ihr sicher zu einem Ergebnis gekommen.“

„Richtig“, Jan legte dabei eine Mappe auf den Tisch. „Wir haben uns überlegt, dass du unsere Betreuer im Wohnbereich beraten und unterstützen solltest. Gerade dann, wenn es schwierig wird oder um eine Krise zu verhindern. Du bist nicht direkt im Training involviert und von daher kannst du viel eher vermitteln. Dennoch verstehst du die Schwierigkeiten beim Tennis. Also, um es auf den Punkt zu bringen: Hier liegt ein Vertrag über eine Stelle auf Honorarbasis bei uns im Team. Du kannst also in deinem Beruf bleiben und dir das hier in Ruhe anschauen und wir werden uns dann in einem halben Jahr noch einmal zusammensetzen. Dann sehen wir, wo wir stehen und ob wir das vertiefen wollen. Was meinst du dazu?“

Das überraschte mich total. Mein Bruder hatte mir ein Angebot gemacht. Das wollte ich mir zumindest mal in Ruhe durchlesen und darüber nachdenken.

„Ich finde das interessant. Aber das möchte ich nicht sofort entscheiden müssen. Kann ich mir das ein paar Tage überlegen. Ich muss das auch mit meinem Beruf in Einklang bringen können.“

Jan nahm die Mappe und hielt sie mir hin.

„Hier, nimm das mit. Es steht alles Wichtige drin, und wenn du noch Fragen hast, melde dich. Damit du dir einen Überblick verschaffen kannst, würde ich vorschlagen, du triffst dich in der nächsten Woche mit Dennis in der Wohngruppe. Dort kannst du dir alles ansehen.“

„Ok, das mache ich. Eine Frage aber vorab. Habe ich dann beratende Funktion oder auch ein Mitspracherecht bei Entscheidungen?“

Thorsten grinste und Jan stöhnte: „Oh man, Thorsten. Du kennst ihn schon ganz gut. Ok, du hast gewonnen.“

Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

„Jan und ich haben gewettet, dass du genau das fragen wirst. Ich bin der Meinung, es macht nur Sinn, wenn du auch Entscheidungen treffen kannst. Also haben wir das auch so besprochen. Im pädagogischen Bereich hast du dann auch Entscheidungsbefugnis und was das sportliche betrifft, kannst du jederzeit mit den Trainern reden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir sind ein Team und arbeiten auch so.“

Ich war schwer beeindruckt. Das hatte ich von meinem Bruder so nicht erwartet. Er hatte sich früher immer für etwas Besseres gehalten und mich nicht ernst genommen. Jetzt bot er mir an, in seinem Team als ein Mitarbeiter und Entscheidungsträger mitzuarbeiten.

„Ok, ich nehme mir das mit und werde es mir überlegen. Ich bräuchte noch die Telefonnummer von Dennis, damit ich mit ihm einen Termin vereinbaren kann. Wie sieht das mit der Bezahlung aus?“

„Steht alles im Vertrag. Kannst du dort genau nachlesen, was alles vom Team bezahlt wird.“

Ich öffnete die Mappe und überflog es schnell. Was dort stand war beeindruckend. Das war sehr ordentlich.

„Ok, dann würde ich sagen, danke für das Angebot und ich werde mich bei euch melden.“

Wir gaben uns die Hand und Thorsten verabschiedete sich von mir. Jan schien noch ein Anliegen zu haben.

„Kommst du noch mit an die Theke? Wir können noch einen Cappuccino trinken.“

„Ja, gern.“

Er bestellte uns zwei Cappuccino und anschließend erklärte er mir: „Du wirst dich sicher wundern, warum wir das machen. Ich will es dir erklären. Du kennst ja auch die Probleme der Jugendlichen. Hier leben sie ohne Eltern und müssen ihren Trainingsalltag und die Schule bewältigen. Das ist nicht immer einfach. Allerdings bin ich erst so richtig aufmerksam geworden, weil ich mit Gael einen Spieler betreue, der genau an dieser Stelle als Jugendlicher alleingelassen wurde. Heute ist er unbestritten eines der größten Genies auf dem Platz überhaupt, aber er ist menschlich sehr schwierig. Manchmal würde ich ihn am liebsten auf den Mond schießen. Vielleicht gelingt es dir ja auch, mit ihm zu arbeiten. Er braucht in meinen Augen eine psychologische Begleitung. Das kann ich aber nicht leisten, dafür bin ich nicht geeignet. Thorsten hat dann die Idee gehabt, dich zu fragen. Du kennst dich im Tennis extrem gut aus, weißt, worauf es ankommt und kannst dich mit den Spielern sehr gut verständigen. Ich habe schon gehört, wie beliebt du bist. Also ich würde mich freuen, wenn wir zusammenarbeiten könnten.“

Das waren sehr überraschende Töne, die ich von meinem Bruder zu hören bekam.

„Danke, ich werde es mir sehr genau ansehen. Wenn ich einen Sinn und eine Möglichkeit sehe, euch zu unterstützen, werde ich das machen. Gib mir ein paar Tage Zeit.“

„Klar, schau dir alles an und wende dich an Thorsten. Ich fliege heute noch mit Gilles nach Kanada zum nächsten Turnier.“

Wir redeten noch einige Minuten über privates und unsere Eltern, dann verabschiedete er sich von mir. Ich stieg sehr nachdenklich ins Auto und fuhr nach Hause.

In der nächsten Woche war ich erneut nach Halle gefahren, um mir die Wohngruppen anzusehen. Es gab zwei davon. Eine war mit den jüngeren Spielern besetzt. Das waren vier Spieler im Alter von dreizehn bis fünfzehn. Sie kamen aus ganz Europa, um hier zu trainieren und auch zur Schule zu gehen.

Die zweite Gruppe war deutlich größer und hatte sieben Bewohner als Sollstärke. Momentan waren nur vier dort untergebracht. Sie waren zwischen sechzehn und neunzehn Jahre alt.

Bevor ich mit Thorsten zu den Wohnungen ging, traf ich Fynn beim Training. Er winkte mir vom Platz aus zu und rief noch:

„Chris, bist du gleich noch da? Ich muss dir unbedingt was erzählen.“

Ich gab ihm zu verstehen, dass ich noch ein paar Minuten hier sei, ging aber weiter zum Clubhaus. Dort traf ich auf Thorsten, der im Büro saß und telefonierte. Er bat mich, auf der Terrasse zu warten. Dort saß ich nun mit einer Tasse Tee und genoss die warmen Sonnenstrahlen.

Plötzlich kam Fynn auf die Terrasse geeilt und stellte sich an meinen Tisch.

„Hi Chris, kann ich kurz mit dir sprechen? Es ist wichtig.“

Er war noch total verschwitzt und schien vom Trainingsplatz direkt zu mir gekommen zu sein.

„Klar, setz dich doch erst mal und beruhige dich wieder. Ich werde schon nicht weglaufen.“

Er schaute sich kurz um, ob jemand in unserer Nähe war, und fing an zu erzählen.

„Es geht um Dustin. Er liegt seit gestern im Krankenhaus. Sein Vater muss wohl total ausgeflippt sein und hat ihn verprügelt. Da ist er abgehauen. Jetzt liegt er in der Klinik mit Prellungen und einer Lungenquetschung.“

Ich war schockiert. Wie bitter.

„Woher weißt du das? Hat er sich bei dir noch gemeldet?“

Fynn war sehr aufgewühlt und hatte Mühe sich zu konzentrieren.

„Vorgestern hatte er mir schon beim Training gesagt, dass sein Vater zu Hause richtig Stress machen würde und sein Onkel beruflich unterwegs sei und eben nicht da ist. Ich wollte ihn ab morgen über das Wochenende bei mir unterbringen.“

„Und woher weißt du nun das ganze Elend? Warst du schon im Krankenhaus?“

„Nein, aber seine Tante hat mich angerufen und mir das erzählt. Sie meinte, ich sollte vorsichtig sein, wenn ich ins Krankenhaus fahre. Nicht, dass mir der Vater über den Weg läuft.“

Das war eine ganz heftige Story. Ich konnte spüren, wie sehr sich Fynn aufregte. Wobei es sehr unwahrscheinlich war, dass der Vater im Krankenhaus auftauchen würde.

„Ok, wissen Thorsten oder Burghard schon Bescheid?“

„Nein, ich kann ihnen doch nicht erzählen, warum das für Dustin so schlimm ist. Hier weiß außer dir keiner, dass er schwul ist.“

Den letzten Satz sagte er sehr leise. Ich wurde immer wütender und mir wurde klar, jetzt brannte hier gleich die Luft. So würde es nicht weitergehen.

„Was hast du hier erzählt?“

„Dass er einen Unfall hatte.“

Ich nickte stumm und beschloss, direkt mit Thorsten zu sprechen.

„Komm mit, wir gehen zu Thorsten. Jetzt ist das Maß voll.“

Ich nahm ihn am Arm und zog ihn hinter mir her. Für einen Moment zögerte er, aber dann schien er begriffen zu haben, ich machte ernst. Wir betraten gemeinsam das Büro und Thorsten wunderte sich über unser Auftreten. Allerdings war auch ihm nicht verborgen geblieben, dass Fynn in Aufruhr war.

„Thorsten, wir haben da ein Problem. Es geht um Dustin.“

„Ja, ich weiß. Eine blöde Sache mit dem Unfall. Wir haben schon von der Mutter gehört, was passiert ist.“

„Es ist aber nicht wahr, was die Mutter erzählt hat. Die wahre Geschichte ist leider sehr viel schlimmer und ernster.“

Ich schaute jetzt zu Fynn und konnte seine Angst fühlen. Thorsten schien überhaupt nicht damit gerechnet zu haben, denn er schaute total verwirrt.

„Fynn, bitte erzähle Thorsten die ganze Geschichte. Von Anfang an.“

Er hatte panische Angst und wusste einfach nicht, ob er das tun sollte oder nicht.

„Ich verspreche dir, wir werden Dustin und dich nicht hängen lassen. Aber jetzt müssen wir etwas tun. Bitte!“

„Also gut, aber das wird etwas länger dauern. Ich habe noch Training.“

Ich schaute Thorsten an, der mittlerweile begriffen hatte, dass hier ein größeres Problem auf ihn zurollte.

„Chris, du gehst bitte mal zu Burghard und sagst ihm, dass Fynn heute nicht mehr auf den Platz kommt.“

Ich stand auf und ging zu Burghard. Er stellte auch keine weiteren Fragen und meinte nur:

„Ich habe es mir schon gedacht. Gut, dass du heute gekommen bist. Wer weiß, wie lange Fynn das noch ausgehalten hätte.“

„Das musst du mir später noch mal erklären, ich muss wieder rüber.“

Er nickte und lächelte nur. Dann machte er mit dem Training weiter und ich war wenige Augenblicke später wieder im Büro. Thorsten hatte für Fynn etwas zu trinken geholt und dann fand ein ganz wichtiges Gespräch statt. Fynn begann, uns alles zu erzählen. Von der Zeit, als er noch mit Dustin in der Grundschule befreundet war, bis zu dem Moment heute. Als er fertig war, herrschte eine beängstigende Stille im Raum. Fynn war völlig fertig und ich konnte es nachvollziehen. Bei Thorsten erkannte ich Fassungslosigkeit. Er saß mir mit großen Augen gegenüber und war total geschockt.

„Puh, das ist aber wirklich ne ganz heftige Geschichte. Wenn das stimmt, dann müssen wir sofort etwas unternehmen. Chris, was denkst du dazu?“

„Wir müssen Dustin schützen. Ich schlage vor, ich fahre mit Fynn ins Krankenhaus und werde mit Dustin sprechen. Dann sehen wir weiter.“

„Mach das, ich werde Dennis anrufen und ihm sagen, dass du erst heute Abend vorbei kommst.“

„Gut, danke.“

Ich wollte schon aufstehen, als Thorsten noch sagte: „Danke Fynn. Du hast dich richtig entschieden. Wer weiß noch, dass Dustin schwul ist?“

„Nur Chris, sein Onkel und ich. Hier sonst niemand.“

„Ok, ich werde das mit den Trainern besprechen. Für dich aber zur Beruhigung. Es wird sich für uns nichts ändern. Das verspreche ich dir und das kannst du Dustin auch ausrichten. Wir werden es auch keinem der anderen Spieler erzählen. Das soll er selbst entscheiden, wem er wann etwas erzählen will.“

Fynn wollte sich noch schnell umziehen und dann machten wir uns auf den Weg ins Krankenhaus. Im Auto sprachen wir nicht viel. Ich legte Fynn nur immer wieder meine Hand auf die Schulter, und als wir auf dem Parkplatz ankamen, sagte ich zu ihm:

„Keine Panik, wir werden Dustin helfen. Es wird jetzt zwar schwieriger, aber auch eine Chance, ihn aus der Situation zu holen. Du hast dich absolut richtig entschieden, Thorsten einzuweihen.“

Etwas beruhigter erwiderte er: „Meinst du? Ich hoffe, Dustin empfindet es nicht als Verrat.“

Einige Minuten später betraten wir gemeinsam das Krankenzimmer. Dustin lag in seinem Bett und hatte sein Tablet vor sich liegen. Er schrieb irgendetwas und erst nach einigen Augenblicken hatte er realisiert, wer in sein Zimmer gekommen war.

„Chris? Fynn? Wie kommt ihr denn hierher?“

„Hallo Dustin, wie geht es dir?“, fragte ich.

„Beschissen. Das Arschloch von meinem Vater hat mich verprügelt. Ich …“

Da brach er in Tränen aus. Es war einfach zu viel für ihn. Auch Fynn war sehr betroffen. Er wollte seinen Freund eigentlich trösten, traute sich aber nicht. Ich gab ihm ein Zeichen, dass er das tun sollte. Er setzte sich auf die Bettkante und nahm Dustin in die Arme.

„Ich lasse euch einen Moment allein, Fynn. Du kannst ihm alles erzählen, wenn er sich beruhigt hat. Ich warte draußen. Ok?“

Fynn nickte nur und ich verließ den Raum sehr nachdenklich. Was würde hier auf mich zukommen? Eines war mir klar, so konnte und durfte es nicht weitergehen.

Einige Minuten später kam Fynn zu mir und bat mich, wieder in das Krankenzimmer mitzukommen. Dustin wollte mich sprechen. Wir betraten gemeinsam sein Zimmer und er hatte sich wieder einigermaßen gefangen.

„Chris, was soll ich denn jetzt machen? Wo soll ich hin? Ich will nicht wieder in diese Hölle zurück.“

„Das kann ich so spontan noch nicht sagen. Klar ist, du gehst natürlich nicht einfach wieder zurück. Ich werde mich darum kümmern. Thorsten hat auch Hilfe zugesagt. Also von daher wird uns sicher etwas einfallen. Hier im Krankenhaus bist du erst einmal sicher. Ich werde deinen Arzt informieren und dann sollten wir über die weiteren Schritte gemeinsam nachdenken.“

„Er kann vielleicht für ein paar Tage zu mir, mein Vater ist für drei Wochen zur Kur. Da ist bei uns Ruhe.“

„Gefällt mir“, sagte ich. Auch Dustin schien das nicht schlecht zu finden. Außerdem würde es uns Zeit verschaffen. Wie das mit der Schule gehen würde, war mir allerdings noch nicht klar.

„Allerdings solltest du auch darüber nachdenken, deinen Vater anzuzeigen. Dann hast du auch rechtlich eine Handhabe gegen deinen Vater.“

Fynn saß die ganze Zeit bei Dustin auf dem Bett und hielt seinen Freund fest. Das war schon ein tolles Bild. Mir war klar geworden, hier hatten sich zwei Freunde wiedergefunden. Und ich wusste, jetzt war die Zeit für Veränderungen gekommen.

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