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Mission Down Under

Osterchallenge 2018

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Inhaltsverzeichnis

Ben: Ostern in Down Under

Die Luft brannte und flimmerte vor Hitze. Und das am Ende des australischen Sommers. So eine Hitze hatte es im April in Melbourne schon ewig nicht mehr gegeben. Ich saß glücklicherweise im klimatisierten Hotelzimmer und genoss ein üppiges Frühstück.

Es war die Woche vor Ostern und ich hatte Ferien. Nach anstrengenden Wochen in der Schule war ich froh, endlich einmal richtig ausspannen zu können. Mit meinen fünfzig Jahren zählte ich an unserer Schule bereits zu den alten Eisen unter den Mitarbeitern. Dennoch hatte ich immer noch sehr viel Freude an meinem Beruf, auch wenn die Vorgaben immer verrückter und schwieriger wurden. Bei manchen Lehrplänen stellte ich oft fest, wer sich so einen Unsinn ausgedacht hatte, konnte niemals in einer Klasse unterrichtet haben. Meine Aufgabe bestand darin, die Lehrer zu unterstützen. Ich war Schulsozialarbeiter.

Eigentlich war ich überhaupt kein Freund von Fernreisen, schon gar nicht über 20 Stunden im Flugzeug zu sitzen, aber dieses Mal war eine Ausnahme. Meine Cousine hatte mich gebeten, sie zu besuchen. Ihr Mann und Vater der beiden Söhne war vor wenigen Wochen völlig unerwartet gestorben.

Der älteste Sohn studierte bereits seit zwei Jahren in Sydney, aber der Jüngste machte ihr Sorgen. Er war fünfzehn geworden und litt sehr unter dem Verlust seines Vaters. Heute würde ich meine Cousine treffen. Sie lebte in einem Randbezirk von Melbourne. Ich war gestern mitten in der Nacht angekommen und deshalb für die erste Nacht in ein Hotel gegangen. Ab heute würde ich die Zeit bei ihr verbringen.

Da ich eh nicht viel von diesem Festtagstrubel hielt, war ich froh, Ostern nicht zu Hause sein zu müssen. Dort gab es noch so altmodische Verbote, dass am Karfreitag zum Beispiel Sportveranstaltungen nicht erlaubt waren. Sogar ein Tanzverbot gab es für alle Discotheken oder Clubs. Kein Wunder also, dass viele Jugendliche dafür überhaupt kein Verständnis mehr aufbringen konnten.

Wir hatten vereinbart, dass meine Cousine mich im Hotel abholt. Sie hatte den Wunsch, zuerst mit mir allein sprechen zu wollen. Die beiden Jungs hatte ich seit ihrem letzten Besuch in Deutschland nicht mehr gesehen. Damals waren sie fünf und zehn. Es war mir eigentlich klar, dass sich Jaden an mich nicht mehr wirklich erinnern konnte. Höchstens von Bildern.

Das Hotel war nicht luxuriös, aber sehr angenehm und zweckmäßig eingerichtet. Ich saß in einem bequemen Ledersessel in der Lounge, als meine Cousine durch die klassische Drehtür hereinkam. Ich hatte sie trotz der vielen Jahre sofort wiedererkannt. Allerdings sah sie mitgenommen aus. Kein Wunder nach dem Tod ihres Mannes.

„Hi Ben. Schön, dass du gekommen bist.“

Ben war mein Rufname. Eigentlich hieß ich Benjamin, aber alle nannten mich nur Ben. Früher sagten sie Benny zu mir, aber seit ich etwa zwanzig war, wollte ich nur mit Ben angesprochen werden.

„Hi Aura, wie geht es dir? Möchtest du mit mir hier noch einen Kaffee trinken oder hast du etwas anderes geplant?“

Ich umarmte sie und wir nahmen am Tisch wieder Platz. Ich gab einem Hotelmitarbeiter ein Zeichen und bestellte noch zwei Kaffee.

„Wie war dein Flug? Bist du sehr müde durch die Zeitumstellung und auch die lange Zeit unterwegs?“

„Es geht, aber ich muss das nicht ständig haben.“

Sie lächelte. Es war ein echtes Lächeln. Obwohl sie schlimme Wochen durchlebt hatte, strahlte sie eine Wärme aus, die mich beeindruckte.

„Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du meinetwegen diese weite Reise auf dich genommen hast. Aber du bist eben das gleiche Sternzeichen wie Pete. Ihr seid beide Fische. Ich habe immer gedacht, ihr könntet Brüder sein.“

„Wie lange ist Pete jetzt tot? Drei Wochen oder wie lange ist das her?“

„Nein, es sind schon sechs Wochen. Die Zeit rennt und irgendwie bin ich auch froh, dass die Zeit weiter läuft. Ich hoffe so, dass es uns bald wieder besser gehen wird. Das Leben muss ja weitergehen.“

Sie seufzte tief und es kam eine für mich bedrückende Stimmung auf. Wie sollte ich jetzt reagieren? Ich blieb einfach ruhig und gab ihr einen Moment Zeit, sich wieder zu sammeln. Dann fragte ich sie:

„Wie geht es Jaden und wie geht es dem Großen?“

„Da fragst du etwas sehr Schwieriges. Ich kann es nicht so genau sagen. Michael hat es äußerlich gut verkraftet, aber er redet nicht über diese Situation, während Jaden sehr traurig ist. Er zeigt es aber nicht. Wenn er allein in seinem Zimmer ist, weint er viel. Das tut mir in der Seele weh. Warum kann er mir gegenüber seine Gefühle nicht zeigen? Er konnte das doch auch bei anderen Dingen. Warum jetzt nicht mehr?“

Meine Cousine war sichtlich mitgenommen, verständlicherweise. Aber warum hatte sie mich gebeten nach Australien zu kommen? Das war bislang ja nichts Ungewöhnliches, wie sich Jaden verhielt.

„Ich denke, er möchte dich nicht noch mehr belasten. Er weiß und fühlt doch auch, was Pete für dich bedeutet hat. Er möchte dir gegenüber stark sein, wenn er das selbst auch nicht ist und das auch überhaupt nicht sein muss. Wir wissen das, aber für ihn ist das momentan noch zu schwer zu begreifen. Für Jungs in seinem Alter sind Gefühle oft sehr schwierig auszuhalten.“

„Das ist ein gutes Stichwort. Es klingt vielleicht blöd, aber das ist für mich der Grund gewesen, dich um Hilfe zu bitten. Du kannst vielleicht eher an Jaden herankommen. Du bist ein Mann und bist näher an Jungs dran.“

Ah, da kamen wir dem Grund schon näher.

„Aber ich habe keine eigenen Kinder. Ich arbeite nur mit Jugendlichen. Und er kennt mich doch vermutlich gar nicht mehr. Ich bin eher ein Fremder für ihn.“

„Nein, das glaube ich nicht. Er weiß, wer du bist. Er hat sich immer für deine Bilder interessiert. Du hast Pete diese tollen und von dir selbst gemalten Bilder geschickt. Davon war Jaden immer fasziniert. Erst vor wenigen Tagen hat er darum gebeten, deinen Schumacher F1 Ferrari in seinem Zimmer aufhängen zu dürfen.“

„Oha, wo hat der denn vorher gehangen?“

„In Petes Arbeitszimmer. Ich fand es toll, dass Jaden sich dein Bild in sein Zimmer gehängt hat. Vielleicht ist es auch eine Erinnerung an seinen Vater, aber er mochte das Bild schon immer ganz besonders.“

Das fand ich allerdings auffallend. Eigentlich hatte ich eher erwartet, dass er alles, was ihn an seinen Vater erinnern würde, verdrängt. Der Wunsch an Erinnerung kommt meist erst viel später. Wenn die akute Trauer verarbeitet ist.

„Malt er eigentlich selbst?“

„Nein, leider nicht mehr. Seit einigen Jahren hat er das aufgegeben. Er hat immer gemeint, er hätte kein Talent. Aber früher hat er häufiger Bilder gemalt. Und ich bin der Meinung, dass er Talent hat. Aber naja, Jungs eben.“

„Okay, das erinnert mich an die Beziehung zu meinem Vater. Er malt ja auch sehr schöne Bilder. Allerdings ganz andere Motive. Früher hat er das nicht akzeptiert, dass ich lieber technische Dinge male. Heute freut er sich, dass ich mir das Malen erhalten habe. Auch in der Schule kann ich manchmal die Schüler damit verblüffen.“

Sie schmunzelte. Ein schöner Anblick, dass sie in ihrer Trauer dennoch für einen kleinen Moment Freude empfinden konnte.

„Ja, es ist immer schade, wenn Eltern ihren Kindern vorschreiben wie sie ihre Freizeit gestalten sollen.“

Sie erzählte mir von ihrer Situation und dass sie immerhin finanziell abgesichert waren durch die Lebensversicherung von Pete. Auch für Jaden wäre die Möglichkeit gegeben, später studieren zu können. Jedenfalls würde es nicht an der finanziellen Seite scheitern. Aura arbeitete als Übersetzerin in einem großen Konzern. Momentan hatte sie sich aber beurlauben lassen.

„Weiß Jaden, dass ich heute zu Besuch komme?“

„Ja, natürlich. Er freut sich sogar, obwohl Freude für ihn momentan sehr schwierig ist. Bitte sei mit ihm nachsichtig. Er wird es dir vermutlich nicht zeigen können, wie sehr er sich auf dich freut. Neulich hat er mir mal gesagt, dass er dich gerne ein paar Dinge zu deinen Bildern fragen würde. Ich weiß nicht, ob er es tut. Ich befürchte nicht.“

„Na, da schauen wir einfach. Wenn es so ist, dass er nicht komplett zumacht und sich wirklich auf meinen Besuch gefreut hat, werden wir sicher ein paar gute Situationen bekommen. Was dabei herauskommt, werden wir sehen.“

„Wenn du magst, können wir aufbrechen. Außerdem müssen wir noch ein wenig einkaufen gehen.“

Als wir nach draußen kamen, traf es mich wie ein Schlag. Im Hotel war jeder Raum klimatisiert und angenehm temperiert. Davon war draußen überhaupt nicht die Rede. Es war drückend heiß. Und das im April!

Aura steuerte auf eine dunkle BMW Limousine zu. Schon komisch, dass sie am Ende der Welt auch deutsche Auto fuhren.

Es dauerte einige Zeit bis wir in eine Gegend kamen, die überhaupt nicht mehr nach Großstadt aussah. Dennoch gehörte es immer noch zu Melbourne, aber es sah eher nach Vorstadt aus. Fast nur Einfamilienhäuser mit schönen Gärten. Aura fuhr sehr ruhig und wir unterhielten uns über mich und das, was ich so in den letzten Monaten gemacht hatte. Ich war mir sicher, dass ich das mit Jaden noch einmal erzählen würde.

Plötzlich bog sie in eine Einfahrt und eine große Garage öffnete sich. Sie fuhr hinein und stellte den Motor ab. Wir stiegen aus und ich staunte über zwei bildschöne Motorräder, die in der Garage standen. Eine Buell XB9r und eine Harley Davidson Sportage, die aber komplett umgebaut war. Allerdings kein Chopper, eher elegant sportlich. Das gefiel mir sehr gut.

Ich hatte auch ein eigenes Motorrad und mir damit einen Lebenswunsch erfüllt, eine Walz Adrenaline. Aber die Buell kannte ich auch. Ein sehr schönes, sportliches Motorrad.

Aura bemerkte meinen Blick auf die Maschinen.

„Das sind die Motorräder von Pete. Er hat sich gewünscht, dass seine Söhne sie einmal fahren würden. Michael hat aber keinerlei Interesse daran und Jaden ist noch zu jung dafür.“

„Dann lass sie doch einfach noch stehen. Die werden doch nicht schlecht, wenn man sie richtig einlagert. Dann kann sie Jaden fahren, wenn er seinen Führerschein hat.“

„Da habt ihr ja schon ein Projekt, was ihr machen könntet. Jaden sitzt bereits oft auf der Buell. Er liebt dieses Bike.“

„Auch jetzt, nach Petes Tod?“

„Nein, momentan nicht. Zumindest habe ich es nicht mitbekommen.“

Mittlerweile waren wir im Haus angekommen. Es war angenehm temperiert. Die Klimaanlage machte gute Arbeit.

„Ist Jaden schon zu Hause? Oder hat er noch Schule?“

„Er ist noch in der Schule. Wir können heute aber zusammen zu Mittag essen, weil er heute keinen Nachmittagsunterricht hat.“

Ich schaute mich ein wenig um, während Aura in der Küche die eingekauften Sachen verstaute. Im Wohnzimmer standen überall Fotos von Pete, aber auch Bilder mit den Kindern. Ich konnte spüren, wie sehr Pete hier fehlte.

„Möchtest du etwas Kaltes zu trinken?“, rief Aura aus der Küche.

Ich ging zu ihr und fragte:

„Hast du vielleicht eine Saftschorle?“

„Sicher, nimm dir alles aus dem Kühlschrank. Eis bekommst du aus dem Crusher.“

Aura begann das Essen zuzubereiten. Schnell stiegen leckere Aromen in meine Nase.

„Wenn du magst, kannst du dich gern im Haus umsehen. Ich muss hier erst das Essen vorbereiten, damit wir auch essen können, wenn Jaden kommt.“

„Ich würde dir genauso gern beim Zubereiten helfen. Das Umschauen können wir doch später gemeinsam machen.“

Aura drehte sich um und fing an zu lachen.

„Okay, ich habe es vergessen, dass du ja ein guter Hobbykoch bist. Mit Pete konnte ich in der Küche nichts anfangen und Jaden ist da auch keine große Hilfe. Das hat er vermutlich vom Vater geerbt.“

Wir verstanden uns prima in der Küche und ich hatte den Eindruck, dass es Aura gut tat, mal wieder etwas Spaß zu haben. Wir alberten etwas herum und erzählten uns Geschichten aus alten Zeiten.

„Hast du Jaden sich mal in der Küche ausprobieren lassen? Oder hat er sich immer verweigert?“

„Weder noch. Verweigert hat er das nicht, aber seine Versuche waren eher kläglich. Und ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich oft nicht die Ruhe hatte, ihm etwas zu zeigen.“

„Das ehrt dich, dass du sagst, du hast deine Anteile daran. Hat er eigentlich schon eine Freundin oder was macht er sonst in seiner Freizeit?“

„Freundin? Nein, glücklicherweise hat er da noch keine Ambitionen. Das fehlte mir jetzt grade noch. Und sonst sitzt er viel am Computer und hat ein Faible für Motorräder. Früher hat er noch Volleyball gespielt, aber das hat er vor drei oder vier Jahren aufgegeben. Schade eigentlich, auch da hatte er Talent, genau wie beim Malen.“

„Also wäre da für mich ein Ansatz möglich. Ich habe ja selbst mal gespielt und habe ein Faible für Motorräder. Vom Malen mal ganz abgesehen.“

„Ben, wenn es dir gelingen würde, Jaden wieder etwas Spaß am Leben zu vermitteln, wäre ich dir sehr dankbar. Momentan hat er auf nichts mehr Lust. Er kapselt sich komplett ab. Selbst seine Freunde sagen das.“

„Seit wann sagen sie das? Erst seit dem Tod von Pete oder schon vorher?“

„Richtig heftig wurde es mit Petes Tod, aber Freunde hatte er schon vorher nur wenige mit nach Hause gebracht.“

„Hm, okay. Warten wir doch mal ab. Hat er sich sonst verändert? Ist er manchmal aggressiv oder eher lustlos?“

„Nein, eigentlich nicht. Nur, dass er momentan niemanden an sich heran lässt.“

„Klar, das ist in seiner Situation doch normal. Er will dich nicht mit seiner Trauer oder Wut belasten. Er ist mitten in der Pubertät. Da will man als Junge stark sein.“

Aura lächelte als ich das gesagt hatte.

„Du hast aber auch immer eine Erklärung parat. Hoffentlich kannst du für Jaden wieder etwas Lebensfreude finden. Ich mache mir einfach Sorgen.“

„Schauen wir doch mal. Ich bin sehr gespannt auf ihn. Ich habe ihn ja auch schon zehn Jahre nicht mehr gesehen.“

Das Essen war fertig vorbereitet und Aura schaute etwas unruhig zur Uhr.

„Sei doch nicht so unruhig. Jaden wird schon gleich heimkommen.“

„Ich weiß auch nicht, sonst habe ich mir auch nicht so viele Gedanken gemacht, aber seit Pete nicht mehr da ist, habe ich das Gefühl, ich bin jetzt für alles allein verantwortlich. Ich möchte verhindern, dass es Jaden noch schlechter geht.“

„Aber deshalb darfst du ihn auch nicht zu sehr bemuttern. Er ist ja kein Kleinkind mehr. Dennoch kann ich dich voll verstehen…“

In diesem Moment konnte man hören, wie die Terrassentür aufging und ein deutliches „Mama, wo bist du?“ zu hören war. Aura lächelte, als sie Jadens Stimme hörte. Sie ging ihm aus der Küche entgegen und ich konnte hören, wie sie sich freudig begrüßten. Aura betrat wenige Augenblicke später die Küche und ein schmaler, blonder Junge folgte ihr.

Ich musste wirklich zweimal hinschauen, denn dieser Junge hatte nichts mehr mit dem Bild von Jaden gemein, was ich in Erinnerung hatte. Inzwischen hatte er in etwa meine Größe erreicht, aber sein Körperbau war noch nicht sehr männlich. Auch schien er mitten im Stimmbruch zu sein. Denn er begrüßte mich mit leiser Stimme. Es schien so, als ob es ihm peinlich wäre, wenn ihm seine Stimme nicht gehorchte.

„Hallo, du bist Ben?“

„Hi Jaden. Ja, das stimmt. Ich bin Ben aus Deutschland.“

Ich reichte ihm meine Hand, die er zögerlich nahm. Sein Händedruck war weich und schüchtern. Seine ganze Körperhaltung war schüchtern, fast ängstlich. Ich beließ es bei dieser Begrüßung und umarmte ihn nicht. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm unangenehm sein könnte. Unsere Verbindung war ja auch noch nicht so eng. Vielleicht ergab sich das noch.

Wir sollten uns an den Tisch setzen, damit Aura das Essen servieren konnte. Ich ließ mir das aber nicht nehmen, ihr dabei zu helfen. Jaden saß am Tisch und beobachtete mich ganz genau. Erst als alle Sachen auf dem Tisch standen, nahm ich gegenüber von Jaden am Tisch Platz.

„Wie war die Schule?“, fragte Aura.

„Wie immer zur Zeit, ätzend.“

Jaden verdrehte dabei leicht die Augen. Aura holte bereits Luft, um ihn zurechtzustutzen, aber überraschenderweise kam ihr Jaden mit einer Frage an mich zuvor:

„Hattest du einen guten Flug? Wie lange bist du unterwegs gewesen?“

„Abgesehen von den zweiundzwanzig Flugstunden war es ein ruhiger Flug, danke.“

„Bei euch ist es noch ziemlich kalt, oder? Hier ist es ja für deutsche Verhältnisse gerade sehr heiß.“

„Richtig. Wir haben teilweise noch Frost in der Nacht gehabt. Von daher finde ich das noch sehr anstrengend hier.“

Es war eine nette und aufmerksame Unterhaltung. Keinerlei Provokation oder gezeigte Lustlosigkeit. Also überhaupt nicht negativ und entsprechend verwundert schaute mich meine Cousine an.

Nebenbei genoss ich das leckere Essen. Auch Jaden schien es zu schmecken, allerdings war die Menge, die er zu sich nahm, sehr gering. Er war auch als Erster mit dem Essen fertig, blieb aber am Tisch sitzen. Aura fragte:

„Was hast du heute noch vor? Sind viele Hausaufgaben zu machen?“

„Nichts Besonderes. Hausaufgaben gehen so. Ich könnte zu Stephen fahren, der macht heute Abend eine Grillsession.“

„Wer ist denn Stephen? Den Namen kenne ich noch nicht.“

„Stimmt, der ist bei uns neu in der Klasse. Er ist erst vor Kurzem mit seinen Eltern hier hergezogen. Er hat einige aus unserer Klasse eingeladen. Da wollte ich hingehen.“

„Sehr schön, das freut mich. Ist zwar schade, dass das ausgerechnet heute ist. Schließlich ist Ben aus Deutschland gekommen.“

Das war doch eigentlich genau das, was Aura in der letzten Zeit so vermisst hatte. Jaden reagierte unsicher.

„Geh auf jeden Fall zu deinem Freund. Ich bleibe ja noch ein paar Tage. Wir können noch genügend Zeit zusammen etwas unternehmen. Mach dir einen schönen Abend mit deinen Freunden.“

Der Junge bekam ein Lächeln in sein Gesicht und seine Augen leuchteten. Zum ersten Mal kam Leben in das Gesicht des Jungen.

„Darf ich aufstehen. Ich muss noch die Hausaufgaben fertig machen bevor ich zu Stephen gehe.“

„Ausnahmsweise. Ich wollte Ben gleich unser Haus zeigen. Möchtest du dabei mitkommen oder sollen wir nur bei dir im Zimmer vorbeischauen?“

„Ich mache lieber schon meine Aufgaben.“

Jaden stand vom Tisch auf und verschwand nach oben in sein Zimmer. Ich schaute ihm nach und überlegte, was mich an diesem Jungen irritierte. Irgendetwas passte nicht zusammen. Ich wusste allerdings noch nicht was. Auch meine Cousine schien vom Verhalten ihres Sohnes überrascht gewesen zu sein.

„Das ist doch echt komisch. Seit Wochen hängt er zu Hause rum und vergräbt sich in seinem Zimmer. Aber ausgerechnet wenn du aus Deutschland kommst geht er weg.“

„Hihi, ja irgendwie schon seltsam, aber wir sollten uns doch freuen, wenn es wieder aufwärts geht. Ich finde es richtig, dass er heute dorthin geht. Vielleicht wird daraus ja eine neue Freundschaft, die Jaden jetzt so dringend bräuchte.“

„Ja, du hast ja Recht. Dennoch finde ich es schade, dass er ausgerechnet am ersten Tag deines Besuches weggeht.“

„Das passt schon. Zeigst du mir jetzt mal euer Haus? Ich bin echt neugierig, auch wie der Garten aussieht. Davon hast du ja schon so geschwärmt.“

„Ja, dann mal los. Den Garten machen wir zum Schluss. Dann können wir gleich dort bleiben.“

„Ist das nicht viel zu heiß draußen?“

„Warte es ab.“

Sie ging aus der Küche und führte mich durch das Haus. Es war ein schönes Haus, sehr wohnlich eingerichtet. Kein Luxus, sondern funktional und sehr helle Räume. Überall waren Bilder an der Wand. Ich fand sogar zwei Bilder, die ich gemalt hatte und ihnen vor einiger Zeit geschenkt hatte.

„Wer hat diese Bilder ausgesucht? Oder habt ihr davon auch welche selbst gemalt?“

„Oh nein. So gut kann von uns keiner malen. Pete hat immer wieder mal ein Bild mitgebracht. Und deine Bilder haben immer einen besonderen Platz bekommen. Wir kommen jetzt in den Garten. Ach ja, was ich völlig vergessen habe, dein Zimmer haben wir unten im Keller eingerichtet. Dort haben wir zwei Gästezimmer.“

„Okay, dann lass mich doch bitte zuerst den Koffer nach unten bringen. So steht er hier doch etwas im Weg. Ich komme dann zu dir in den Garten. Aber was mir einfällt, wollten wir nicht auch bei Jaden vorbeigehen? Oder lieber nicht?“

Sie lächelte und gab eine vielsagende Antwort:

„Doch, du solltest bei ihm reinschauen. Es ist glaube ich besser, wenn du allein gehst. Ich gehe schon in den Garten.“

Nachdem ich mein Gepäck nach unten gebracht hatte, stieg ich die Treppe ins Obergeschoss hinauf. Aus Jadens Zimmer drang Musik, die mir bekannt war, die neueste Scorpions CD. Ich klopfte an seiner Tür und ein

„Herein“

kam als Antwort. Ich öffnete die Tür und betrat ein sehr ordentliches Jugendzimmer. Lediglich das Bett war nicht gemacht.

„Na, machst du noch Hausaufgaben?“

„Ja, leider. Mit Physik habe ich im Moment so meine Probleme. Manchmal verstehe ich es einfach nicht mehr. Das nervt mich total, denn ich mag eigentlich Physik voll gerne.“

Jaden saß in einer kurzen Hose und T-Shirt am Schreibtisch. Ich stellte mich hinter ihn und schaute auf seine Unterlagen. Das Thema war das Ohmsche Gesetz und alles was sich mit Strom beschäftigte.

„Wo liegt denn dein Problem?“

Er zeigte mir eine Aufgabe in seinem Buch und da wurde es mir klar. Es war eigentlich kein Problem des Stromes, sondern die Aufgabenstellung als solche. Er konnte mit den Textaufgaben nichts anfangen. Für mich war es allerdings auch nicht so einfach, weil die Aufgaben natürlich in Englisch gestellt waren. Ich brauchte einige Zeit, bis ich alles im Detail verstanden hatte.

Was mir aufgefallen war, dass es Jaden schwerfiel, sich zu konzentrieren. Er war unruhig und konnte kaum still sitzen. Sein ganzer Körper schien angespannt.

„Erkläre mir doch bitte einmal, wie du an so eine Aufgabe herangehst.“

Er las mir dir Aufgabe vor und begann, mir seine Gedanken zu schildern. Bis zu dem Moment, wo er den Faden verlor und sich darüber aufregte. Er steigerte sich immer mehr in seinen Frust und seine Wut, bis Tränen flossen. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte bitterlich.

Für einen Augenblick war ich wie gelähmt. Dieser Ausbruch kam ohne Vorwarnung, allerdings war mir sehr schnell wieder bewusst geworden, in welcher Ausnahmesituation sich Jaden befand. Ich legte meine Hände auf seine Schultern und streichelte beruhigend seinen Nacken.

Es dauerte einige Momente bis er spürte, dass er nicht allein war. Ich schaute mich um und nahm mir einen Stuhl, den ich neben seinen Schreibtischstuhl stellte.

„Hey, versuche, dich wieder etwas zu beruhigen.“

Er nickte nur und fing sich etwas.

„Sorry, ich wollte das nicht, aber momentan kann ich einfach nicht mehr richtig lernen. Nichts klappt so, wie ich es möchte.“

„Das ist doch aber auch verständlich. Dir geht es einfach nicht gut. Und ich finde es vollkommen normal, dass es dir zurzeit nicht gut geht.“

Er schaute mich mit einem fast leeren Blick an. Wieder liefen Tränen über sein Gesicht. Ich nahm ihn einfach in den Arm und hielt ihn fest.

Es dauerte einige Minuten bis er sich richtig beruhigt hatte. Wir sprachen dabei nicht. Ich ließ ihn einfach gewähren und es tat ihm gut.

Plötzlich sagte er leise:

„Danke, das tat einfach mal gut. Ich habe sonst niemanden, dem ich sagen kann, dass es mir schlecht geht und ich so traurig bin.“

„Dass du deine Mutter damit nicht belasten möchtest, kann ich verstehen. Was ist aber in der Schule? Kannst du nicht mit einem Lehrer darüber sprechen? Habt ihr keinen Vertrauenslehrer oder so etwas?“

Er zuckte mit den Schultern und stützte seinen Kopf auf die Hände.

Mir ging einiges durch den Kopf.

Jaden hatte plötzlich den Verlust seines Vaters zu verkraften, befand sich in der Pubertät und hatte Schwierigkeiten in der Schule. Das war einfach zu viel auf einmal.

„Wie lange ist der Stephen schon in deiner Klasse?“

„Noch nicht lange, vielleicht drei Wochen.“

„Wie kommst du mit ihm klar?“

„Gut. Er ist sehr nett und nicht so wie die anderen. Er geht auch nebenbei etwas arbeiten, damit er sein Taschengeld aufbessert. Und er interessiert sich nicht nur für Partys und Mädchen wie die anderen aus meiner Klasse.“

„Weiß er denn eigentlich, dass dein Vater vor einigen Wochen gestorben ist? Oder hast du ihm das noch nicht gesagt?“

„Keine Ahnung, ob die anderen es ihm gesagt haben.“

„Also du hast noch nicht mit ihm darüber gesprochen?“

Jaden schüttelte seinen Kopf.

„Ich mache dir mal einen Vorschlag. Du gehst heute Abend auf diese Grillparty und vielleicht kannst du ihn ja mal zu dir einladen. Deine Mutter und ich möchten ihn kennenlernen und hier könntest du in Ruhe mit ihm sprechen. Vielleicht versteht er dich und kann dir helfen, dass du dich wieder besser fühlst.“

Er schaute mich verwundert und ratlos an.

„Ich soll ihm sagen, dass ich gerade oft traurig bin? Dann merkt er doch, dass ich ein Weichei bin.“

„So ein Unsinn. Warum solltest du ein Schwächling sein? Wer sagt denn so einen Schwachsinn? Du hast einen der wichtigsten Menschen überhaupt verloren. Da ist Trauer etwas ganz Normales und sehr wichtig, um wieder nach vorne schauen zu können. Ich sehe es als etwas sehr Starkes an, wenn Menschen ihre Trauer und ihr Unverständnis zeigen und darüber sprechen können. Du kannst auch mit mir jederzeit darüber sprechen. Aber du brauchst auch Freunde, die dir zuhören und dich ablenken oder auffangen können. Aber mit Schwäche hat das überhaupt nichts zu tun.“

„Du glaubst also, dass ich normal bin. Und dass ich traurig sein darf?“

„Absolut. Deine Mutter ist auch traurig und sie wird sich sicherlich Gedanken machen, warum du nicht zu ihr kommst, wenn du traurig bist. Ihr braucht euch gegenseitig und mach deiner Mutter nichts vor. Wenn es dir schlecht geht, redet darüber. Das hilft euch viel mehr, als davor wegzulaufen.“

Er schaute mir in die Augen und ich konnte spüren, dass es in seinem Kopf arbeitete.

„Komm, leg deine Schulsachen weg. Mach dich etwas frisch und geh mit mir nach draußen in den Garten. Ich glaube, deine Mutter wird sehr überrascht sein, wenn du mit mir in den Garten kommst.“

Jetzt tauchte sogar wieder ein kleines Lächeln in seinem Gesicht auf.

„Okay, wartest du auf mich? Ich geh mich gerade waschen.“

„Wenn du das möchtest, warte ich hier auf dich.“

„Cool, danke. Bis gleich.“

Schon war er aus seinem Zimmer verschwunden. Ich schaute mich etwas um, allerdings ohne irgendetwas anzufassen oder zu bewegen. Tatsächlich hingen zwei von meinen Bildern in seinem Zimmer.

Nach einem kurzen Moment stand ich auf und schaute aus dem Fenster in den Garten. Aura hatte sich unter einem großen Baum an den kleinen Gartenteich gesetzt.

„Wenn du willst, können wir jetzt zu Mama gehen.“

Fast erschrocken drehte ich mich um.

„Boah, du hast mich jetzt aber erschreckt.“

Dabei musste ich lachen. Jaden schien verunsichert, er schaute mich an. Mit zwei schnellen Schritten ging ich auf ihn zu, drehte ihn um und verließ mit ihm sein Zimmer.

„Wann musst du die Physikaufgaben fertig haben?“, fragte ich kurz bevor wir die Terrasse betraten.

„Morgen zur dritten Stunde. Aber irgendwie schnalle ich das einfach nicht.“

„Ah, das schaffen wir. Keine Sorge, wenn wir uns etwas erholt haben, machen wir das gemeinsam fertig.“

„Du glaubst echt, ich kann das noch lernen?“

„Na klar. Ganz sicher. Wirst du gleich sehen. Jetzt entspannen wir uns aber mal etwas mit deiner Mutter am Teich.“

Aura hatte uns bereits gehört und stand von ihrer Liege auf. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, dass ich Jaden mitbringe.

„Das ist ja schön, dass ihr beide zu mir kommt. Jaden, kannst du noch einen Stuhl von der Terrasse holen.“

„Lass mal, ich geh schon. Du kannst dich ruhig zu deiner Mutter setzen. Das schaffe ich auch selbst.“

Schnell hatte ich mir von der Terrasse einen gemütlichen Rattansessel geholt. Es war erstaunlich, wie angenehm es dort im Schatten am Wasser war, trotz der großen Hitze.

Aura hatte für alle genug kalte Getränke vorbereitet. Es war toll zu sehen, wie sich meine Cousine freute, dass es mir gelungen war, Jaden mit nach draußen zu bringen.

„Hast du Ben schon gezeigt, wo du seine Bilder aufgehängt hast?“

Jaden war diese Frage unangenehm, denn jetzt fiel ihm auf, dass er mit mir darüber gar nicht gesprochen hatte.

„Dazu hatten wir noch keine Zeit, Aura. Wir haben uns mit seinen Hausaufgaben befasst.“

„Die ganzen zwei Stunden, die ihr oben verbracht habt? So lange macht Jaden sonst nie Aufgaben.“

„Mama, Ben hat mir erklärt wie ich Physik machen kann. Jetzt habe ich sogar Hoffnung, dass ich da wieder richtig mitkommen kann.“

Aura schaute anerkennend zu mir, sagte zu Jaden:

„Mein Sohn, wenn du momentan mal nicht so gut mitkommst, ist das kein Grund in Panik zu verfallen. Ich glaube, wir haben gerade genug andere Baustellen. Von mir bekommst du deswegen garantiert keinen Druck.“

Jaden schwieg und schaute weg. Er war offensichtlich, dass nach diesem Satz beide ihre Schwierigkeiten hatten, ihre Fassung zu wahren.

Ich wechselte für eine Zeit das Thema und berichtete von mir aus Deutschland. Jaden hörte sehr interessiert zu. Insbesondere, als ich von einem Fall berichtete, bei dem der Tod eines Elternteiles durch einen Unfall zum Problem wurde.

Allerdings begann er nach einigen Minuten abwesend zu wirken. Außerdem wurde es für ihn Zeit, sich für das Treffen bei Stephen vorzubereiten. Aura ließ ihn gehen und erfreulicherweise verabschiedete er sich von mir auch mit einer Umarmung. Genau wie bei seiner Mutter.

„Und schau dir vielleicht noch einmal die Physikaufgabe an. Du hast vorhin ja gesehen, wie ich das gemacht habe.“

Er nickte und verschwand im Haus.

Als er im Haus war, holte Aura tief Luft.

„Wow. Ben, ich weiß nicht wie du das gemacht hast, aber heute habe ich wieder ein wenig meinen Jaden gesehen, wie ich ihn kannte. Er hat dich akzeptiert. Das ist so schön.“

„Nein, das täuscht. Er versucht oft stark zu sein, obwohl er überhaupt nicht stark ist. Er ist sehr zerbrechlich und verletzlich. Allerdings habe ich ihm versucht zu erklären, dass es normal ist, dass er jetzt oft traurig ist. Er soll aufhören, uns etwas vorzumachen.“

„Das hast du ihm so gesagt? Und er ist nicht ausgeflippt? Als ich das vor zwei Wochen versucht habe, ist er komplett abgedreht.“

„Nein, er versteht nur noch nicht, dass es normal ist, in dieser Situation traurig zu sein und es nicht zu verstehen, warum ausgerechnet sein Vater gestorben ist. Das habe ich versucht, ihm zu erklären. Mal schauen, ob davon etwas hängen geblieben ist.“

„Aber was ich jetzt nicht verstehe, ich habe ihm doch genau das auch erklärt. Warum kann er das von dir akzeptieren und von mir nicht?“

„Weil du seine Mutter bist. Ich bin vielleicht ein Freund oder ein Bekannter, der Lebenserfahrung hat und seine Sprache spricht. Vor mir muss er nichts verstecken. Ich bin in wenigen Wochen wieder in Deutschland.“

„Manchmal denke ich, ich mache vieles falsch. Kannst du das verstehen?“

„Klar, damit habe ich ja häufiger beruflich zu tun. Aber ich sehe das anders. Eltern haben eine andere Position als die Freunde der Kinder. Und Kinder brauchen sowohl gleichaltrige Freunde, wie auch erwachsene Freunde außerhalb der Familie. Jaden hat momentan weder das eine noch das andere. Das ist unglücklich. Warte es ab. Wenn sich zu Stephen wirklich eine Freundschaft entwickelt und Jaden sich auf mich einlässt, dann wird sich dein Sohn wieder fangen. Wir müssen jetzt Geduld haben und damit rechnen, dass nicht alles glatt laufen wird.“

Der frühe Abend verlief sehr ruhig. Wir redeten über alles Mögliche, aber ich ließ das Thema Pete ganz bewusst außen vor. Aura würde sicher über ihn reden, wenn sie das Bedürfnis dazu hatte.

Ein erstes Erfolgserlebnis konnte ich noch erleben. Bevor Jaden das Haus verließ, zeigte er mir seine Physikaufgaben. Als ich ihm bestätigte, dass er alles richtig gemacht hätte, strahlte er und bedankte sich fast überschwänglich. Es war niedlich, dass er sich so freuen konnte.

Der Tag ging zu Ende und nachdem wir ein kleines Abendbrot gemacht hatten, bemerkte ich doch den Jetlag. Ich wurde früh sehr müde. Aura hatte anscheinend schon darauf gewartet.

„Na, holt dich die Zeitumstellung jetzt ein? Lass uns für heute Schluss machen und du gehst noch schnell unter die Dusche und dann versuchst du, etwas Schlaf zu finden. Möchtest du morgen ausschlafen oder was hast du dir gedacht?“

„Lass uns doch gemeinsam frühstücken. Jaden wird ja sehr früh los müssen oder nicht?“

„Ja, das können wir gern machen. Dann esse ich mit Jaden morgen nichts, sondern wecke ihn nur und leiste ihm Gesellschaft. Er wird bestimmt müde und nicht ausgeschlafen sein.“

Ich verabschiedete mich von meiner Cousine und zog mich in mein Zimmer zurück. Bevor ich einschlief, gingen mir noch einige Gedanken durch den Kopf. Aber es half mir, zur Ruhe zu kommen.

Jaden: Stephen und seine Familie

Meine Güte, Ben scheint ja 'n cooler Typ zu sein. Er hat mir mal so eben Physik erklärt und zwar so, dass ich es doch verstanden habe. Außerdem hat er mir noch ermöglicht, dass ich zu Stephen darf, obwohl Mama erst gemeckert hatte.

Jetzt war ich aufgeregt, denn Stephens Familie kannte ich ja noch nicht. Es fühlte sich gut an, dass er mich auch eingeladen hatte. Hoffentlich würde es auch so schön werden, wie Stephen es gesagt hatte.

Als ich vor ihrer Haustür stand, war ich aufgeregt. Es war schon lange her, dass ich einen Freund besucht hatte. Seit Papas Tod wollte ich Mama nicht so oft allein lassen und außerdem sollte niemand bemerken, dass ich oft sehr traurig war. Ich wollte nicht als Schwächling dastehen. Aber Papa fehlte mir sehr. Fast jede Nacht träumte ich von Papa und den schönen Dingen, die wir gemeinsam gemacht hatten.

Bevor ich weiter nachdenken konnte, stand eine Frau vor mir. Sie fragte:

„Hallo, dich kenne ich noch nicht. Bist du vielleicht Jaden?“

Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich nahm sie und entgegnete:

„Hallo. Ja, das stimmt. Ich bin Jaden.“

„Das ist schön. Komm doch herein. Die Jungs sind schon im Garten und machen den Grill an.“

Ich hatte eine Kühltasche mit Fleisch dabei. Es sollte jeder etwas mitbringen, damit es für Stephen nicht so teuer wird. Seine Mutter nahm mir die Tasche ab und schickte mich in den Garten.

Dort staunte ich nicht schlecht. Es waren nur drei Jungs, die um den Grill standen. Stephen hatte mich gesehen und winkte mir sofort zu. Also ging ich auf die drei zu. Es waren noch Marc und Leyton am Grill. Beide aus unserer Parallelklasse, aber keiner aus unserer Klasse. Das freute mich, denn mit denen konnte ich absolut gar nichts anfangen, im Gegensatz zu Stephen. Mit ihm konnte ich mich über normale Dinge unterhalten, ohne dass es um Saufen und Ficken ging. Mir ging dieses Gehabe sowas von auf den Keks.

„Hi Jaden. Schön, dass du gekommen bist. Kennst du Marc und Leyton schon?“

„Hi Stephen. Ja, ich kenne sie schon. Hi Marc, hi Leyton.“

Wir begrüßten uns und ich stellte mich zu ihnen an den Grill.

„Jaden, hast du die Physikaufgaben verstanden? Ich komme damit überhaupt nicht klar. Du bist doch in Physik richtig gut.“

„Boah, müssen wir jetzt noch über Schule sprechen? Ich dachte, wir sind zum Spaß haben hier?“

„Ja, das schon, aber wenn ich morgen die Aufgaben nicht habe, bin ich am Arsch. Dann drückt mir der Lehrer eine fünf rein. Das kann ich mir nicht erlauben.“

„Hm, na gut. Ich will mal nicht so sein.“, lachte ich und fuhr fort: „Aber ich habe es auch nur hinbekommen, weil ich Hilfe vom Cousin meiner Mutter bekommen habe. Der ist nämlich heute aus Deutschland zu Besuch gekommen.“

„Aus Deutschland? Das ist ja cool.“

„Ja, und er selbst ist auch cool. Der hat mir das total gut erklärt. Endlich habe ich das richtig verstanden. Deshalb kann ich es dir jetzt auch erklären. Kannst du den Grill für einen Moment allein lassen?“

„Klar, Leyton kann das übernehmen. Wir können zu mir ins Zimmer gehen. Dort kannst du mir das erklären.“

Das taten wir dann auch und siehe da, innerhalb von einer Viertelstunde hatte Stephen es auch verstanden.

„Cool, danke dir. Du bist echt nett. Nicht so abgedreht wie die anderen bei uns in der Klasse.“

„Da sagst du was. Das geht mir nur noch auf den Keks. Ich freue mich, dass du anders bist.“

„Aber hallo, deshalb hab ich dich ja auch als einzigen aus unserer Klasse eingeladen. Lass uns wieder nach draußen gehen, die anderen sollen nicht so lange auf uns warten.“

Was mir in Stephens Zimmer aufgefallen war, er hatte ebenfalls kaum Poster an der Wand. Eher richtige Bilder oder tolle Fotografien. Das gefiel mir gut.

Draußen brannte die Kohle bereits richtig und Leyton fragte Stephen:

„Wo hast du das Fleisch? Wir könnten in ein paar Minuten die ersten Sachen auflegen.“

„Das hört sich gut an. Jaden hat Steaks mitgebracht und ich habe Würstchen besorgt. Meine Mutter hat das Fleisch bestimmt kalt gestellt. Ich gehe eben schnell rein und hole die Sachen.“

„Kannst du auch etwas zu trinken mitbringen? Am Grill ist es ganz schön heiß.“

„Warte Stephen“, stoppte ich ihn. „Ich komme mit rein und helfe tragen.“

„Cool, danke dir. Gehst du bitte in die Küche. Meine Mum soll dir die Fleischtüten geben. Ich gehe in den Keller und hole uns Getränke.“

Ich betrat die Küche und Stephens Mutter kam aus dem Wohnzimmer zu mir.

„Du möchtest die Grillsachen holen, Jaden?“

„Ja, genau. Stephen hat mich geschickt. Er ist in den Keller gegangen für die Getränke.“

Sie ging an den großen Kühlschrank und gab mir einen Korb mit den Sachen.

„Was machst du denn in den Osterferien? Fahrt ihr weg?“

„Nein, dieses Jahr ist uns gar nicht nach Ferien machen zumute.“

Als ich das gesagt hatte, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Aber es war zu spät und Stephens Mutter fragte natürlich nach. Jetzt hatte ich nur zwei Möglichkeiten, entweder die Wahrheit zu sagen oder mir ganz schnell eine Notlüge auszudenken.

Mir wurde plötzlich ganz komisch. Als ob mir jemand den Boden unter den Füßen wegzog.

„Jaden, ist alles in Ordnung?“, hörte ich noch. Danach wurde es dunkel.

Als ich die Augen wieder offen hatte, saß Stephens Mutter neben mir in der Küche und hielt mich fest.

„Geht es wieder? Was ist denn los?“

„Ja, danke. Jetzt geht es wieder. Mir ist einfach schwindelig geworden. Ich weiß auch nicht, aber …“

Ich war mir nicht sicher, ob ich es jetzt sagen sollte. Stephens Mutter ließ mir Zeit und ich entschied mich, es ihr zu sagen.

„Wir haben momentan eine schwierige Zeit in der Familie. Mein Vater ist vor sechs Wochen ganz plötzlich gestorben….“

Ich konnte mich nicht mehr wehren. Die Tränen flossen einfach wieder. Es war so peinlich. Einige Momente später erst realisierte ich, dass ich von ihr gehalten wurde und sie mir über den Kopf streichelte. Sie blieb einfach bei mir sitzen.

Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, standen leider auch Stephen, Leyton und Marc in der Küche. Stephens Mutter bat sie, sich zu uns zu setzen.

„Mama, was ist passiert?“, fragte Stephen sofort.

„Warte, lass Jaden noch etwas Zeit. Ich möchte erst wissen, ob ich es euch sagen darf.“

Sie schaute mich an und ich konnte nur nicken, denn meine Stimme war immer noch nicht in der Lage mir zu gehorchen.

„Er hatte mir gerade erzählt, dass sein Vater vor sechs Wochen gestorben ist. Da haben ihn seine Gefühle überrollt. Und durch den ganzen Stress ist ihm etwas schwindelig geworden.“

„Scheisse“, kam es von Leyton.

Stephen schwieg betroffen. Marc schüttelte seinen Kopf und sagte:

„Krass, das haben wir nicht gewusst. Wie scheisse ist das denn?“

„Jungs“, sagte Stephens Mutter, „nehmt Jaden mit nach draußen und kümmert euch um ihn. Er braucht jetzt Freunde, die zu ihm halten. Und behaltet das für euch. Er hat mit Sicherheit seine Gründe, warum es in der Schule nicht bekannt ist.“

„In unserer Klasse hätte ich das auch nicht erzählt, Mum. Da sind so viele Vollpfosten. Das muss keiner auch noch haben.“

„Ich glaube, wir sollten uns mehr darum kümmern. Warum hast du uns davon noch nichts erzählt?“

„Es hilft doch eh nichts. Aber um Jaden werde ich mich kümmern. Kommst du mit nach draußen an den Grill? Oder hast du keinen Hunger mehr?“

Das kam so nett rüber, dass sich ein kleines Lachen aus meinem Gesicht stahl. Es war das erste Mal, dass mich ein Gleichaltriger so mitfühlend behandelt hatte.

„Doch, ich komm mit. Lasst uns den Abend jetzt damit nicht kaputt machen.“

Etwas später standen wir zu dritt wieder am Grill und hatten das Grillgut auf dem Rost fast komplett fertig, als Stephens Vater zu uns kam.

„Hm, das riecht aber lecker. Habt ihr vielleicht für einen hungrigen Vater auch etwas übrig?“

„Klar, Papa. Ich wusste es ja, dass du immer für ein Steak zu haben bist.“

Wow, das hätte ich mich zu meinem Vater so nicht getraut zu sagen. Aber Stephens Vater blieb locker und lachte. Er kitzelte Stephen, der sofort kreischend zu Boden ging.

„Also Jungs, wenn euch Stephen mal geärgert hat, einfach nur kitzeln und er macht was ihr wollt.“

„Boah, Papa. Du bist so fies.“

„Hey Stephen, du hast doch damit angefangen. Also beschwer dich nicht.“, erwiderte Leyton.

„Gut gekontert, Leyton. Aber dich kenne ich noch gar nicht.“, sagte Stephens Vater und zeigte auf mich.

„Ähm ja, stimmt. Ich heiße Jaden und bin in Stephens Klasse.“

„Ah, du bist Jaden. Von dir hatte ich schon gehört. Du sollst der einzige Junge in der Klasse sein, der vernünftig ist. Stephen hatte mir bereits erzählt, was für Granaten ihr in der Klasse habt.“

Das war mir zwar jetzt etwas peinlich, aber es tat auch gut, dass Stephen über mich zuhause so positiv erzählt hatte.

„Wie lange braucht ihr denn noch bis wir essen können?“

„Zehn Minuten, Papa. Und wollen wir auf der Terrasse essen oder im Haus?“

„Was meint ihr denn? Es ist doch euer Grillabend.“

Stephen schaute uns an und sehr bestimmt sagte er:

„Terrasse finde ich besser. Oder wollt ihr ins Haus?“

Wir hatten nichts dagegen und damit war es entschieden. Seine Eltern schienen auch richtig cool zu sein. Ich fühlte mich hier so wohl wie seit Papas Tod nicht mehr. Es war die richtige Entscheidung, hergekommen zu sein.

Es war während des Essens schön, dass Stephens Eltern sich Zeit nahmen, mit uns gemeinsam draußen zu sitzen. Wir unterhielten uns über die Situation in der Schule und wie ätzend das manchmal war. Stephens Vater blieb eher ruhig, während seine Mutter sich richtig aufregte. Irgendwann wurde ich von seinem Vater gefragt:

„Ist das korrekt, dass du, genau wie Stephen, oft von diesen Chaoten angemacht worden bist? Nur, weil du keinen Bock hast, ihren Unsinn mitzumachen?“

„Das stimmt leider. Aber ich mache trotzdem nicht mit. Außerdem sind wir ja jetzt auch zu zweit. Da trauen sie sich nicht mehr, uns anzugreifen. Einfach armeselig, sich nur über Saufen und Poppen unterhalten zu können. Wenn mein Vater das noch mitbekommen hätte, würde es dem ein oder anderen heute nicht so gut gehen.“

„Dein Vater hat dir andere Dinge vermittelt, deine Freizeit zu verbringen? Was machst du in deiner Freizeit? Wir suchen für Stephen noch einen Sportverein.“

„Hm, momentan habe ich nicht viel Lust irgendetwas zu machen. Aber früher habe ich Volleyball gespielt und besonders gern Beachvolleyball.“

„Echt? Das habe ich auch schon gespielt. Gibt es hier in der Nähe eine Möglichkeit?“, fragte Stephen dazwischen.

Seine Eltern schauten mich an und ich überlegte einen Augenblick.

„Ja, bis ich aufgehört habe, hatte ich hier gespielt. Wir könnten da ja mal zusammen vorbeischauen. Vielleicht ergibt sich dort ja eine Möglichkeit zu spielen.“

„Das wäre echt schön. Vielleicht findest du ja auch wieder Spaß daran, wenn du mit einem Freund dort spielst.“

Kein schlechter Gedanke von seinem Vater. Stephen war sehr nett und anders als alle meine anderen Freunde. Ich sagte zu und wir schauten im Internet nach den Trainingszeiten. Damit war klar, dass wir übermorgen dort mal hingehen wollten. Hoffentlich hatte Mama nichts dagegen, weil ich ja dann wieder unterwegs wäre und Ben zu Besuch war.

Der Abend wurde noch sehr lustig. Wir spielten einige Spiele am PC, aber auch Gesellschaftsspiele. Das war schön, denn früher hatte ich auch mit meinem Vater solche Spiele gemacht. Leyton und Marc gingen gegen halb elf nach Hause und ich wollte mich auch so langsam auf den Weg machen, aber dummerweise hatte ich vergessen, meine Lichtanlage an meinem Mountainbike aufzuladen. Im Dunkeln ohne Licht nach Hause fahren, war keine gute Idee. Das war erstens sehr teuer, wenn man erwischt wurde und auch gefährlich.

Stephen schlug vor, dass ich bei ihm übernachten sollte. Also rief ich Mama an und bat um die Erlaubnis. Erstaunlicherweise fragte sie nicht mal nach dem Grund. Sie erlaubte es mir einfach.

Natürlich hatte das zur Folge, dass wir uns noch lange in Stephens Zimmer unterhielten. Aber es tat mir gut, mit ihm zu reden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn schon lange zu kennen. Wir sprachen über unsere Hobbies und Vorlieben. Was ich total überraschend fand, er hatte begonnen, ein eigenes Kochbuch zu schreiben. Stephen entwickelte eigene Soßen und Dips. Das fand ich echt spannend.

Durch unser langes Quatschen, schliefen wir erst weit nach Mitternacht ein. Entsprechend schwierig gestaltete sich das Aufstehen. Aber wir waren beide pünktlich in der Schule, wenn auch noch ziemlich müde.

Ben: Vertrauen baut sich auf

Erstaunlich gut ausgeschlafen, klingelte am nächsten Morgen mein Handywecker. Die Sonne schien durch die Vorhänge und als ich diese zurückschob, erblickte ich einen stahlblauen Himmel ohne eine einzige Wolke.

Ich betrat kurze Zeit später die noch im Schatten liegende Terrasse. Aura saß mit einer Zeitung am Tisch und es war bereits alles vorbereitet.

„Guten Morgen, Aura. Vielen Dank für dieses toll aussehende Frühstück. Hat mit Jaden heute früh alles geklappt?“

„Guten Morgen, Ben. Ich hoffe mal. Aber Jaden hatte gestern noch angerufen und gefragt, ob er dort schlafen könnte. Da er einen guten Eindruck am Telefon gemacht hat, habe ich das ausnahmsweise während der Woche erlaubt.“

„Sehr schön. Das freut mich sehr, dass es ihm bei Stephen dann offensichtlich gut gefallen hat.“

Aura lächelte und es war schön zu sehen, dass es ihr etwas besser ging.

„Was möchtest du heute machen? Jaden wird so gegen drei am Nachmittag zurück sein. Bis dahin könnten wir etwas unternehmen.“

„Ich dachte, wir unternehmen mit Jaden etwas. Ich könnte dann heute morgen mal nach den Motorrädern schauen. Du sagtest, dass sie schon mehrere Wochen nicht mehr gelaufen sind. Das ist nicht so gut.“

„Das ist eine gute Idee. Ich hole dir mal die Schlüssel. Wenn du sie zum Laufen bekommst, darfst du ruhig mal eine Runde drehen. Pete hat sie mindestens einmal pro Woche gefahren. Er sagte immer, für die Elektrik wäre das gut.“

Nach dem Frühstück betrat ich die Garage mit einem komischen Gefühl. Schließlich waren die Motorräder Petes ganzer Stolz gewesen. Gerade bei der Buell wurde ich nervös. Sie war ein Exemplar aus einer auf 250 Stück limitierten Serie. Petes Plan war es, dass Jaden sie eines Tages fahren sollte. Jetzt sah alles anders aus. Jaden musste noch mindestens ein Jahr warten, bis er den Führerschein machen durfte. Allerdings wusste ich von Aura, dass er bereits auf diesen Tag hinfieberte. Also sollte ich versuchen, dieses Bike zum Leben zu erwecken. Damit würde ich Jaden zumindest eine große Freude bereiten.

Leider kam nur ein lautes „Klack“ als ich den Schlüssel umdrehte. Die Batterie war platt. Auch ein typisches Buell Problem. Wenn diese Bikes länger standen, entlud sich die Batterie recht schnell. Motorräder hatten auch generell kleinere Batterien als Autos.

Ich suchte mir in der Garage ein Starthilfekabel und schaute, ob die Sporty ansprang. Das tat sie sogar recht gut. Ich stellte sie schnell wieder ab und checkte dort zuerst noch den Ölstand und schob sie dann vor die Garage, stellte die Buell daneben und startete die Sporty. Nach einigen Minuten lief sie rund und dann schloss ich das Starthilfekabel an die Buell an. Leider hatte das nicht den gewünschten Effekt. Der Anlasser zog jetzt durch, aber anspringen wollte sie dennoch nicht.

Ich brach diesen Versuch ab und musste doch einmal genauer schauen, wo das Problem lag. Nach einer kurzen Prüfung stellte ich fest, dass der Tank der Buell komplett leer war. Ohne Benzin lief auch eine Buell nicht. Ich ging zurück in den Garten.

„Aura, kannst du bitte zur Tankstelle fahren und einen Kanister Benzin holen? Der Tank der Buell ist komplett leer. Deshalb springt sie auch nicht an.“

„Aha, das ist aber komisch. Pete hat seine Bikes nie ohne Sprit in die Garage gestellt. Aber gut, muss ich das sofort machen oder kann ich das dann mit dem Abholen von Jaden verbinden? Wenn ich eh losfahre, dann kann ich ihn auch von der Schule abholen.“

„Nein, kein Problem. Ich kümmere mich dann erst um die anderen Sachen bei den Bikes.“

„Wenn du einen Helm brauchst, nimm dir einen aus der Garage. Sie gehören Jaden und Pete. Vielleicht passt davon ja einer.“

„Wenn die Bikes wieder richtig laufen, dann könnte ich Jaden ja mal damit von der Schule abholen. Oder mag er das nicht?“

„Oh ja, das ist eine super Idee. Jaden würde sich bestimmt sehr freuen. Er liebte es, mit seinem Vater mal eine Runde zu fahren.“

Das sollte ich wohl hinbekommen. Auf dem Motorrad ist der Linksverkehr nicht mehr so kompliziert.

Eine Stunde später hatte ich alle Leitungen der Bremsen und Benzinzufuhr geprüft und bei der Buell auch die Elektrik gecheckt. Ich hatte genug Zeit, die Batterie aufzuladen. Also sollte sie auch direkt anspringen, wenn Aura mit dem Benzin kommen würde.

Was mich nachdenklich werden ließ, war die Tatsache, dass Pete immer genug Benzin im Tank hatte. Warum war der Tank jetzt komplett trocken? Hatte ich etwas übersehen? War der Tank vielleicht undicht und Pete hatte deshalb den Sprit abgelassen?

Aura stellte den BMW in der Einfahrt neben den Motorrädern ab. Jaden stieg mit einem Kanister in der Hand aus dem Auto und kam direkt auf mich zu.

„Hi Ben. Hier ist das Benzin. Hast du sonst noch Probleme gefunden?“

Aura war bereits im Haus verschwunden. Schade, denn jede gemeinsame Minute wäre jetzt sehr wertvoll für beide.

„Hi Jaden. Danke schön. Ja, ein paar Sachen habe ich gefunden, die gemacht werden mussten. Hoffentlich kann ich mit dem Benzin die Buell auch wieder starten. Die Sporty läuft wieder. Aber da muss ich dann noch die Bremsscheiben wieder sauber bremsen. Aber was mich viel mehr interessiert, wie ist es dir gestern bei Stephen ergangen und wie war die Schule heute?“

„Soweit alles gut. Gestern war richtig cool. Wir haben noch lange gezockt. Leider war das Aufstehen heute früh nicht so toll.“

Er stellte mir den Kanister in die Garage und gesellte sich zu mir. Er wollte mir über die Schulter schauen.

„Hast du keinen Hunger? Deine Mutter hat dir etwas Leckeres gekocht.“

„Doch, aber das kann ich gleich immer noch machen. Jetzt will ich erst wissen, ob sie anspringt.“

„Hihi, okay. Dann mach ich dir einen Vorschlag. Wir gehen erst rein etwas essen, dann kann die Batterie noch etwas laden und dann versuchen wir zusammen, die Buell zu starten. Deal?“

Jaden bekam wieder ein Leuchten in seine Augen und sagte nur noch:

„Deal!“

Während des Essens erzählte Jaden von seinem Abend bei Stephen. Ich hatte das Gefühl, dass sich da zwei Jungs gefunden hatten, die ähnliche Interessen verfolgten. Das wäre für Jaden in seiner jetzigen Situation enorm wichtig.

„Habt ihr euch wieder verabredet?“, fragte Aura.

„Ja, Mama. Übermorgen wollen wir zusammen zum Beachvolleyball gehen. Stephen möchte wieder Sport machen. Vielleicht kann ich ihm ja etwas dabei helfen, hier Anschluss zu finden.“

Ganz neue Töne, die von Jaden kamen. Ich nahm sie mit Freude zur Kenntnis und Aura staunte nur.

„Das würde mich freuen, wenn du wieder mit einer Sportart anfangen würdest. Wo trefft ihr euch übermorgen?“

„Ich hatte die Idee, wir treffen uns am Feld. Er weiß ja wo das ist.“

„Es ist doch dann Freitag, also ihr habt Wochenende. Frag doch Stephen, ob er abends bei uns zum Essen bleiben möchte. Ihr könnt ja ausschlafen.“

Auras Idee gefiel mir gut. So würden wir Stephen auch kennenlernen und vielleicht Jaden etwas unterstützen können.

„Ben, können wir jetzt wieder an die Buell gehen? Vielleicht bekommst du sie ja wieder zum Laufen.“

„Warum bist du eigentlich so scharf darauf, dass die Buell wieder läuft? Fahren kannst du sie ja noch lange nicht.“

Jetzt wurde Jaden doch unruhig. Meine Frage passte ihm überhaupt nicht. Das spürte ich. Ich war gespannt, was er antworten würde, aber meine Cousine ging dazwischen.

„Ihr könnt ruhig schon in die Garage gehen. Ich räume hier allein auf.“

Das war für Jaden natürlich die Rettung und mein Gefühl verstärkte sich, dass Jaden ein kleines Geheimnis mit der Buell hatte.

Jaden war einige Augenblicke vor mir in der Garage und hatte bereits den Kanister in der Hand, um ihn in den Tank zu füllen.

„Stopp! Warte bitte und stell den Kanister wieder ab.“, rief ich ihm zu.

Er schaute mich verdutzt an.

„Warum? Du hast doch gesagt, dass der Tank leer ist.“

„Richtig. Genau da liegt für mich eine Frage. Dein Vater hatte immer Benzin im Tank, wenn die Motorräder in der Garage standen. Also warum sollte die Buell ausgerechnet jetzt komplett trocken sein? Vielleicht ist der Tank irgendwo undicht und dein Vater wollte das reparieren.“

„Okee. Darauf wäre ich nicht gekommen.“

„Darum sage ich dir das ja. Also füll bitte nur ein bisschen Sprit ein. Ich möchte erst testen, ob alles dicht ist.“

Das tat er auch und ich nahm eine kleine Taschenlampe und leuchtete alle Verbindungen ab. Es blieb trocken. Also sollte Jaden den Kanister komplett einfüllen. Diese Ungereimtheit blieb mir im Kopf. Ich hatte ja einen anderen Verdacht, aber dafür war es noch zu früh, um etwas dazu zu sagen.

Ich nahm den Schlüssel und steckte ihn in das Zündschloss, drückte den Anlasser und nach einigen Umdrehungen sprang sie mit einem Grollen an. Dieser Zweizylindersound war einzigartig. Jaden schaute auf die Maschine und lächelte. Ich drehte ein- zweimal am Gasgriff und der Motor reagierte sofort.

Ich nahm mir einen Helm aus dem Regal, setzte ihn auf und sagte zu Jaden:

„Ich mache nur eine kurze Proberunde. Komme dann wieder zurück und wir checken dann, ob alles dicht ist.“

Jaden nickte. Ich setzte mich auf die Maschine und gab vorsichtig Gas. Schnell kam Freude auf. Dieses Bike war ein Gedicht. Sie lief ohne Probleme, bis auf die Tatsache dass der Tacho nichts anzeigte. Auch das war ein Buell spezifisches Problem.

Als ich zurück auf die Einfahrt rollte, wartete Jaden auf dem Rasen sitzend. Ich nahm den Helm ab und er kam sofort zu mir.

„Und? Wie fährt sie sich?“

„Gut, nur dass der Tacho nicht funktioniert. Aber ich kenne das Problem. Das dürfte der Sensor auf dem Primärzahnrad sein. Der geht immer gern kaputt.“

„Kannst du das reparieren?“

„Klar, wenn wir einen Ersatzsensor haben. Sonst muss der bestellt werden.“

„Papa hatte immer einige Ersatzteile im Regal liegen. Schau doch mal, ob du das passende Teil findest.“

Ich stellte den Motor ab und die Buell auf den Ständer.

Nach einer kurzen Zeit des Suchens, fand ich das gesuchte Teil. Jeder Buellfahrer hatte gerade dieses Teil immer zu Hause vorrätig. Es ging einfach regelmäßig kaputt.

Die Luft war immer noch warm und entsprechend verschwitzt war ich. Jaden schien eine Vorliebe für bunte T-shirts zu haben. Auch seine Shorts waren immer in kräftigen Farben gehalten. Allerdings schwitzte er kaum.

„Heute mache ich das aber nicht mehr. Ich brauche eine Dusche. Diese Hitze ist echt mörderisch.“

„Klar, Ben. Das kann ich verstehen. Aber ich freue mich sehr, dass du die Bikes wieder zum Laufen bekommen hast.“

Das Lächeln in seinem Gesicht stand ihm viel besser, als die Traurigkeit. Wir schoben beide Bikes wieder in die Garage und gingen in den Garten zu meiner Cousine.

„Mama, Ben hat beide Bikes wieder zum Laufen bekommen. Das ist cool.“

Aura lächelte. Aber vermutlich eher, weil ihr Sohn mit einem Lächeln im Gesicht vor ihr stand und nicht weil die Motorräder wieder liefen.

„Das ist schön mein Sohn. Vielleicht holst du Ben etwas zu trinken. Er sieht verschwitzt aus.“

„Lasst mich erst duschen gehen. Ich brauche eine Erfrischung.“

Jaden blieb für einen Augenblick bei seiner Mutter, während ich ins Haus duschen ging. Es war eine Wohltat und entsprechend entspannt kam ich wieder nach draußen.

„Ben, wenn du morgen den Sensor austauschst, darf ich dabei sein?“

„Das kann ich noch nicht versprechen. Wenn es besser passt, das morgens zu machen, dann mache ich das, weil es da noch nicht so heiß ist. Wann bekommt ihr eigentlich Ferien zu Ostern?“

„Nächste Woche Mittwoch ist erster Ferientag. Bleibst du noch etwas bei uns?“, fragte Jaden.

„Ja, geplant ist, dass ich zwei Wochen bleiben kann. Dann muss ich ja auch in Deutschland wieder arbeiten.“

„Cool. Dann können wir ja noch einiges unternehmen.“

Den Abend verbrachten wir gemeinsam zu Hause. Aura lud uns am späten Abend zum Essen ein. Sie kannte ein tolles, kleines Restaurant. Dort gab es auch australische Spezialitäten. Jaden wirkte auf mich entspannt. Längst nicht mehr so angespannt, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte.

Da in Australien die Schule erst um halb neun begann, war es in Ordnung, dass wir bis Mitternacht unterwegs waren. Wieder zu Hause, schickte meine Cousine Jaden ins Bett. Wir setzten uns noch etwas in den Garten.

„Wie siehst du Jaden im Moment?“, fragte ich meine Cousine.

„Momentan freue ich mich über seinen Zustand. Seit du hier bist, ist er wie ausgewechselt. Ich hoffe nur, dass ist nicht gespielt. Nicht, dass er mir etwas vorspielen möchte.“

„Nein, das glaube ich nicht. Er freut sich wirklich. Auch dass er sich mit Stephen verabredet hat, ist ein gutes Zeichen. Wir müssen nur aufmerksam sein. Gerade wenn er allein ist, dürften seine Trauer und Wut zurückkehren. Das geht nicht von heute auf morgen weg. Wie ist das eigentlich auf dem Friedhof? Geht ihr gemeinsam zum Grab?“

„Puh, ein ganz schwieriges Thema. Bislang wollte er nach der Beerdigung noch nicht auf den Friedhof gehen. Ich weiß auch nicht, was ich machen soll. Lasse ich ihn gewähren oder soll er mitgehen?“

„Auf keinen Fall zwingen. Er ist noch nicht soweit. Vielleicht kommt das aber bald. Gut, dass ich das weiß. Ich wollte dich nämlich morgen bitten, mit mir zum Friedhof zu gehen. Ich hätte ihn sonst gefragt, ob er mir das Grab zeigt. Das lasse ich dann aber. Wir sagen einfach nur, dass wir zum Friedhof gehen. Er soll frei entscheiden, ob er mitkommen will.“

„Aber wie lange soll ich da warten? Ich finde es Pete gegenüber so schade. Er hat für Jaden immer alles gemacht.“

„Das verstehe ich, aber Jaden kann es noch nicht. Er kann noch nicht mit seiner Wut und Trauer umgehen. Das ist zu bedrohlich für ihn. Er will dort nicht in Tränen ausbrechen und dich vielleicht belasten. Es braucht noch Zeit. Ich werde das ganz behutsam mit ihm besprechen. Vielleicht kommen wir zu Ostern an den Punkt, dass er mit uns hingehen wird.“

„Ich fände das so wichtig, dass er einen Ort der Trauer findet und nicht ständig damit rumläuft.“

„Das kommt noch. Er ist erst fünfzehn. Gerade für Jungs sind der Tod und die Trauer ganz heikle Themen. Vielleicht kommt auch die Freundschaft mit Stephen zu Hilfe. Er hat dort einen Freund in seinem Alter, mit dem er sich austauschen kann. Wir müssen Geduld haben.“

Die nächsten beiden Tage verliefen unauffällig. Ich war mit meiner Cousine am Grab von Pete. Allerdings ohne Jaden. Heute war Freitag und Jaden hatte sich mit Stephen zum Beachvolleyball verabredet. Anschließend blieb Stephen über das Wochenende bei uns. Für Aura bedeutete das etwas mehr Stress, aber ich hatte mir auch einige Dinge ausgedacht, um sie zu entlasten. Heute hatte ich vorgehabt, Jaden mit der Sporty zur Schule zu bringen.

Jaden schaute überrascht, als er am Morgen auf die Terrasse kam und ich dort bereits mit dem fertigen Frühstück auf ihn wartete.

„Hi Ben, ist heute etwas Besonderes? Oder warum bist du schon so früh aufgestanden?“

„Ach, eigentlich nicht, aber ich habe mir gedacht, es könnte dir gefallen, wenn ich dich mit der Sporty zur Schule bringe.“

„Echt? Cool. Das hat Papa nur ganz selten gemacht. Warum eigentlich mit der Sporty, die Buell wäre mir noch lieber.“, grinste er.

„Kann ich mir vorstellen, aber überleg einmal wo da das Problem ist.“

Er überlegte und schaute mich ratlos an.

„Na, ganz einfach. Die Buell ist noch ein Singleseater. Die müssten wir erst umbauen und die große Sitzbank aufsetzen.“

„Mensch, richtig. Da hab ich nicht dran gedacht. Aber die Sporty ist auch cool, ich freue mich. Und Frühstück hast du auch schon gemacht, wow. Danke.“

„Ich habe mir gedacht, deine Mutter soll auch mal ausschlafen können. Wann kommst du mit Stephen aus der Schule?“

„Heute ist Freitag, da ist kein Nachmittagsunterricht. Also so gegen zwei werden wir hier sein. Was hast du heute so vor?“

„Heute früh wollte ich mit deiner Mutter mal etwas in die Stadt. Es kann also sein, dass wir noch nicht zurück sind, wenn ihr nach Hause kommt. Macht euch keine Sorgen, wir kommen dann bald. Ihr könnt euch überlegen, ob ihr nicht mal zusammen das Mittagessen für alle vorbereitet.“

„Spinnst du? Das geht gar nicht. Ich kann nicht kochen. Das würde in einer Katastrophe enden. Da warten wir lieber, bis ihr zurück seid.“

„Hihi, das wäre nicht so schön, wenn die Feuerwehr kommen müsste. Komm setz dich an den Tisch. Wir sollten frühstücken, sonst wird die Zeit zu knapp.“

Die Freude auf den Trip zur Schule konnte man dem Jungen sofort anmerken. Als er hinter mir auf der Sporty Platz nahm, startete ich den Motor. Ein dumpfer Sound breitete sich in der Straße aus. Es war aber nicht so laut, dass die Nachbarn aus dem Bett fielen.

Da wir noch etwas Zeit hatten, habe ich mit Jaden eine kleine Runde extra gedreht. Mit einem Grinsen stieg er von der Maschine und bedankte sich freudestrahlend bei mir:

„Wow, war das cool. Danke, Ben. Jetzt macht die Schule bestimmt mehr Freude. Vielleicht kannst du mich ja auch mal abholen. Dann musst du nicht extra so früh aufstehen.“

„Schauen wir mal. Mach dir einen guten Tag und bis nachher.“

Ich nahm seinen Helm und fuhr zurück, stellte die Sporty in die Garage und wunderte mich, denn der BMW war nicht in der Garage. Ich ging also in den Garten und fand auf der Terrasse einen fertig gedeckten Tisch. Auf einem Zettel stand eine Notiz von Aura. Sie war nur zum Bäcker gefahren, frische Brötchen kaufen.

Minuten später saßen wir am Tisch und für mich gab es ein zweites Frühstück. Aura gab sich große Mühe, mich bestens zu versorgen.

„Wie geht es dir heute, Aura?“

„Gut. Wirklich gut. Ich freue mich, dass Jaden dich an sich heranlässt. Vielleicht schaffen wir es ja doch noch, dass es ihm wieder besser geht. Ich hatte schon fast aufgegeben.“

„Na, schauen wir mal. Mein Eindruck ist auch ganz positiv, aber das kann sich auch wieder ändern. Du solltest dich mit ihm über die Zukunft unterhalten. Was möchte er eigentlich beruflich mal machen?“

„Am liebsten möchte er studieren. Allerdings hat er nicht gesagt, was er studieren möchte. Da hat er ja auch noch genug Zeit. Finanziell sollte das auch kein großes Problem sein. Pete hatte eine gute Lebensversicherung. Die soll für die Ausbildung der Kinder sein.“

„Und was ist mit dir? Wann möchtest du wieder arbeiten gehen?“

„Ich weiß es nicht. Eigentlich würde ich gerne wieder arbeiten. Es würde mir gut tun. Aber Jaden wäre tagsüber ganz allein. Das könnte ich zurzeit nicht ertragen.“

„Könntest du nicht in Teilzeit anfangen, damit sich Jaden erst noch mehr stabilisieren kann. Oder macht dein Arbeitgeber das nicht?“

„Ich habe noch nicht gefragt. Momentan bin ich nur froh, dass sie mich für die erste Zeit freigestellt haben. Da traue ich mich gar nicht, jetzt nach einer Teilzeitstelle zu fragen.“

Dafür hatte ich Verständnis, auch ich konnte mir aktuell nicht vorstellen, dass Jaden eine große Zeit des Tages allein wäre. Das würde nicht gut sein.

Ich hatte ihr noch geraten, das Gespräch mit ihrem Chef zu suchen und nach einer Lösung zu suchen. Dann fuhren wir in die Stadt. Aura zeigte mir einige sehr schöne Stellen von Melbourne. Die Zeit verging wie im Fluge und wir führten gute Gespräche. Es war schön zu hören, dass sie konkrete Pläne hatte. Wenn es nicht möglich war in Teilzeit zu arbeiten, würde sie es sich auch leisten können, eine längere Zeit nicht zu arbeiten. Jaden zuliebe.

Wir kamen leider erst gegen halb drei wieder nach Hause. Als wir das Haus betraten, kam uns ein toller Duft aus der Küche entgegen.

„Was ist denn hier los?“, fragte Aura aufgeregt.

„Ich vermute, dass dein Sohn sich in der Küche versucht. Lass uns mal schauen.“

Wir stellten unsere Taschen im Flur ab und ich öffnete die Küchentür. Was ich zu sehen bekam, erfreute mein Herz. Jaden stand mit einem anderen Jungen gemeinsam in der Küche und der Tisch stand voller verschiedenster Zutaten. Es sah zugegebenermaßen etwas wüst aus, aber das Aroma in der Küche war toll.

„Hallo, ihr zwei. Was sehen meine erstaunten Augen hier? Zwei talentierte Jungköche.“

Jaden drehte sich um, lachte und umarmte seine völlig überraschte Mutter. Ich wurde genauso freudig begrüßt.

„Nein, Ben. Das ist nur ein talentierter Jungkoch. Darf ich euch vorstellen, das ist Stephen.“

Stephen drehte sich um und ich gab ihm die Hand, schaute gleichzeitig mal auf den Herd. Das roch bereits atemberaubend.

„Was zaubert ihr denn da?“, fragte Aura mit einem Blick auf den wüst aussehenden Tisch.

„Chilli con carne.“

„Oh, sehr lecker. Ich hoffe nur, ihr mögt es nicht so extrem scharf.“

„Nein, nein. Keine Sorge. Alles normal. Und Jaden hat den Salat vorbereitet, inklusive Dressing.“

„Mein Jaden hat sich in der Küche versucht. Wow, ich freue mich. Stephen, das kannst du dir auf deine Fahne heften. Bei mir hatte er nie Interesse zu kochen. Kann ich dich nicht als Küchencoach für meinen Sohn engagieren?“

Ich fand diese Bemerkung lustig und auch Jaden musste lachen. Stephen schien das etwas unangenehm zu sein. So wie die beiden Jungs hier agierten, schienen sie sich bereits bestens zu verstehen.

„Komm, Aura. Wir gehen besser mal aus der Schusslinie. Draußen auf der Terrasse ist genug Platz für uns. Jungs, wenn ihr soweit seid, meldet euch. Wir haben Hunger. Also macht jetzt keinen Unsinn mehr.“

Ich schloss damit wieder die Küchentür und schob Aura vor mir her.

„Hey, ich muss Jaden doch zumindest noch sagen, dass sie hinterher noch aufräumen müssen.“

„Nein, das musst du überhaupt nicht. Schon gar nicht jetzt. Lass die beiden doch mal machen.“

Aura schien besorgt um ihre Küche. Ich war einfach entspannt und freute mich über die Art wie sich Jaden verhielt. Dieser Stephen schien etwas Besonderes zu sein. Das machte mich neugierig.

Nach einigen beruhigenden Worten, entspannte sich meine Cousine. Sie vertraute mir und ich vertraute den Jungs. Ich war mir sicher, dass wir ein tolles Essen serviert bekämen und die Küche hinterher auch akzeptabel aussehen würde.

Es dauerte auch nicht mehr lange und die beiden Jungs kamen gemeinsam zu uns auf die Terrasse.

„Mama, wir können essen. Es ist alles vorbereitet.“

„Super, wir haben auch richtig Hunger.“

Meine Cousine hatte mir gut zugehört und verkniff sich jeden Kommentar zum Aussehen der Küche.

„Mal eine Frage“, warf ich dazwischen, „können wir auch hier draußen essen? Hier ist es grade so angenehm.“

„Klar, dann bringen wir die Sachen nach draußen. Jaden, du musst ja eh noch den Tisch decken. Dann mach das doch gleich hier.“

„Ich helfe dir.“, sagte ich und stand vom Tisch auf. Jaden ging vor und zeigte mir die Schränke in denen das Geschirr stand. Aber ich wurde vor allem darin bestätigt, dass die Küche jetzt wieder tiptop aussah.

„Na, ich sehe deiner Nasenspitze an, dass ihr mächtig Spaß gehabt habt. Stephen scheint ja für dich der richtige Freund zu sein.“

„Oh ja, Ben. Er ist super nett und wir verstehen uns total gut. Er sitzt jetzt auch in der Schule neben mir und keiner der Chaoten nervt mich mehr im Unterricht. Stephen ist echt cool. Heute hat ihn einer der anderen angemacht und er hat ihn einfach abblitzen lassen. Echt krass.“

„Hihi, das ist doch schön. Und heute Abend geht es dann zum Beachvolleyball?“

„Genau, wenn wir gegessen haben, machen wir uns fertig. Weißt du was, wenn Stephen bei mir ist, muss ich nicht ständig traurig sein. Das fühlt sich gut an.“

„Das merke ich schon. Es freut mich für dich, dass ihr euch so gut versteht. Macht euch ein paar schöne Stunden beim Volleyball.“

Ich nahm einen Stapel Teller und trug sie nach draußen. Jaden folgte mir mit Besteck und einem Tablett mit Gläsern. Aura schaute uns nur staunend zu.

Das Essen war ein Gedicht von verschiedensten Aromen. Ich war begeistert und auch Aura fand es toll, was die Jungs gezaubert hatten.

„Vielen Dank an euch, Jungs. Das ist toll gelungen. Dürfen wir euch nochmal als Köche engagieren?“

Stephen wurde etwas rot und Jaden schaute betreten auf den Boden. Er wollte dazu etwas sagen, aber Stephen kam ihm zuvor:

„Untersteh dich jetzt zu behaupten, du hättest beim Kochen nichts gemacht. Wir haben das zusammen gezaubert. Also meinetwegen kochen wir gerne noch einmal. Jaden werde ich schon noch überzeugen, dass er wieder eine seiner tollen Ideen für die Soße beisteuert. Seine Soße kannte ich noch nicht.“

Nachdem die Jungs zum Beachvolleyball gegangen waren, saß ich mit meiner Cousine noch lange auf der Terrasse. Wir waren uns einig, dass Stephen einen großen, positiven Einfluss auf Jaden genommen hatte und wir das auf jeden Fall fördern sollten.

„Aura, ich habe mal eine Frage. Mir lässt diese Sache mit dem trockenen Tank bei der Buell noch keine Ruhe. Du hast gesagt, dass Pete niemals ein Fahrzeug mit trockenem Tank in die Garage gestellt hat.“

„Ja, und? Was beschäftigt dich dabei?“

„Naja, ich habe darüber nachgedacht und die einzige logische Erklärung, weshalb Pete das getan haben könnte, habe ich heute ausgeschlossen. Ich habe aber eine Vermutung und bräuchte deine Meinung dazu. Könntest du dir vorstellen, dass Jaden heimlich damit gefahren ist, bis der Tank leer war.“

Aura schaute mich entsetzt an.

„Jaden? Ohne Führerschein? Nein, ganz sicher nicht. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er so etwas macht.“

„Ok, aber so ganz kann ich diese Sache mit dem trockenen Tank nicht erklären. Naja, warten wir mal ab.“

„Du würdest ihm das zutrauen?“

„Aufgrund meiner Erfahrungen würde ich so etwas fast allen Jugendlichen zutrauen. Und Jaden hat großes Interesse an der Buell. Aber ich möchte ihm nichts unterstellen. Vielleicht klärt sich das noch von allein.“

„Ich hoffe das. Aber wenn er damit etwas zu tun hat, muss er sich warm anziehen. Das geht gar nicht.“

„Versprichst du mir etwas?“

„Was denn?“

„Wenn Jaden es doch gewesen ist, und er es mir gegenüber zugibt, dann musst du mir versprechen, ihn nicht zu bestrafen. Sonst würde er uns nie wieder etwas erzählen.“

„Du würdest sein Verhalten gut finden?“

„Nein, auf gar keinen Fall. Darum geht es doch gar nicht. Wenn er mir von sich etwas erzählt, dann darf das Vertrauen nicht bestraft werden. Ich würde ihm aber schon sehr deutlich klarmachen, dass er das nicht wieder tun darf.“

„Okay, das verstehe ich. Da stimme ich dir zu. Ich hoffe aber, dass es eine andere Ursache hat.“

Dann wechselte ich das Thema und wir unterhielten uns über unsere Familie und wo sie überall in der Welt verstreut war.

Es war schön zu merken, dass es Aura gut tat, sich mit mir über die Familie zu unterhalten. Auch als sie Geschichten erzählte, die sie mit Pete erlebt hatte. Sie spürte, dass es wichtig war, sie nicht weiter zu verdrängen. Als sie einmal die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, nahm ich sie in die Arme. Sie beruhigte sich schnell.

Erst gegen Mitternacht gingen wir ins Haus. Zwischendurch waren Stephen und Jaden auch zurückgekommen. Es hatte ihnen großen Spaß gemacht gemeinsam Volleyball zu spielen.

Als ich mich für die Nacht im Bad fertig machte, hörte ich oben noch Musik. Die Jungs waren noch wach und unterhielten sich, als ich klopfte.

„Hi Ben, komm herein. Wir unterhalten uns noch etwas. Das ist doch ok, oder?“

„Aber sicher doch. Ihr könnt doch morgen ausschlafen. Und mich musst du schon gar nicht fragen. Das ist ja Sache deiner Mutter.“

„Aber Mama ist grad nicht da und wir können grad schlecht nach unten gehen und fragen.“

Ich schaute die Jungs an und dann sah ich es. Sie hatten sich aufgrund der Wärme ihre Shorts ausgezogen. Ich musste schmunzeln, sagte aber nichts.

Der nächste Vormittag wurde spannend. Ich hatte mir die Buell vorgenommen, um den Tachosensor zu tauschen. Gegen elf tauchte Jaden bei mir auf. Er kam ohne Stephen.

„Guten Morgen, Jaden. Wo hast du Stephen gelassen?“

„Hi Ben. Er musste nach Hause, weil er seinem Vater im Keller helfen sollte. Aber er kommt später wieder.“

„Ok. Es ist schön, dass ihr euch so gut versteht.“

„Ja, finde ich auch total cool. Irgendwie macht mir das nichts aus, wenn ich traurig bin, das Stephen zu sagen. Gestern hat er mich getröstet, als ich wieder so traurig war.“

„Sehr gut. Das finde ich klasse. So muss das unter Freunden sein.“

„Ich habe aber eine Sache, die ich dich fragen möchte. Aber kannst du das vielleicht für dich behalten? Ich glaube, Stephen wäre es vielleicht unangenehm.“

„Okay, schieß los.“

Ich legte das Werkzeug beiseite und wir setzten uns vor die Garage auf den Rasen.

„Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber wenn jemand eine Regenbogenflagge trägt, ist der dann schwul?“

„Wie kommst du jetzt darauf? Hast du bei Stephen eine gesehen?“

„Ja, er hat einen kleinen Sticker auf seinem Rucksack gehabt.“

„Ah okay. Das muss aber nichts heißen. Aber der Regenbogen ist schon ein Symbol der Schwulenbewegung. Was beschäftigt dich dabei?“

„Ich bin mir unsicher, weil es super schön war, dass Stephen bei mir übernachtet hat. Aber ich weiß nicht, ob Mama das weiter erlaubt, wenn sie das mit der Regenbogenflagge wüsste.“

„Ok, aber viel wichtiger ist doch, wie du damit umgehst. Wäre es für dich ein Problem, wenn Stephen tatsächlich schwul wäre?“

Jadens Gesichtsfarbe veränderte sich zu einem kräftigen Rot. Er überlegte einen Moment, ehe er antwortete:

„Nein, das wäre mir echt egal. Obwohl, egal ist es mir vielleicht doch nicht, denn ich mag ihn schon und ….“

Er zögerte, ob er weiter erzählen sollte.

„Ja, und? Wo ist das Problem?“

„Naja, ich weiß nicht so richtig, ob ich mehr auf Mädchen oder Jungs stehe. Bislang hatte ich noch gar kein Interesse an Sex, aber manchmal stelle ich mir schon bestimmte Sachen vor. Verstehst du?“

„Hihihi, ja ich denke schon. Aber das finde ich total normal. Habt ihr da gestern Nacht drüber gesprochen?“

„Ja, auch. Und irgendwie war das schon ziemlich geil. Ich meine, ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen und Stephen sah das total cool und dann haben wir halt unsere Erfahrungen ausgetauscht. Und bald hatten wir beide eine Latte. Hatten ja keine Hosen mehr an. Und dann hat er einfach angefangen zu wichsen. Einfach so. Erst fand ich das peinlich, aber dann auch wieder spannend.“

„Okay, kann ich verstehen.“

Jaden saß neben mir und ich konnte seine Anspannung spüren. Ich ließ ihn in seinem Tempo erzählen und fragte auch nicht nach. Jetzt hatte er sich entschieden, mir davon zu erzählen, da sollte ich nicht drängen.

„Du findest das nicht schlimm?“

„Was? Was sollte ich schlimm finden?“

„Naja, also dass ich dann auch mitgemacht habe und wir dann beide ziemlich geil waren.“

„Quatsch, das ist überhaupt nicht schlimm. Machen viele Jungs. Wenn es euch beiden Freude gemacht hat, ist es doch in Ordnung.“

Es war ihm jetzt doch unangenehm. Er wollte noch etwas sagen, aber er war zu schüchtern.

„Jaden, du musst mir nichts erzählen. Aber wenn du mir etwas erzählen möchtest, kannst du das jederzeit vertraulich machen. Sexualität ist für mich kein Tabu.“

Er nickte stumm. War aber noch nicht so weit, mir mehr zu erzählen.

Wir schraubten jetzt gemeinsam an der Buell und als wir die letzte Schraube wieder festgemacht hatten, stieg bei mir die Spannung an. Hatte ich alles richtig gemacht? Würde der Tacho jetzt wieder laufen?

„Können wir nicht noch die Sitzbank umbauen? Ich würde gern mal eine Runde mitfahren.“

„Ach ja, klar. Das können wir noch machen. Weißt du, wo die andere Sitzbank ist?“

„Nein, ist sie nicht bei den anderen Teilen in der Garage?“

„Nein, ich habe dort bereits nachgeschaut. Hattet ihr denn überhaupt eine andere Sitzbank oder war das immer ein Singleseat?“

„Keine Ahnung, ich bin mit Papa immer nur auf der Sporty gefahren.“

„Hm, dann haben wir jetzt ein kleines Problem. So kannst du nicht auf der Buell mitfahren. Aber vielleicht finden wir die Sitzbank ja noch. Jetzt teste ich mal, ob wir richtig geschraubt haben.“

Den Schlüssel steckte ich in das Zündschloss, drückte den Startknopf und der große Motor brabbelte im Leerlauf vor sich hin. Ich setzte mir einen Helm auf und stieg auf. Ich legte den ersten Gang ein und fuhr los. Alle Anzeigen funktionierten perfekt. Schnell kehrte ich zurück und stellte die Buell wieder in der Garage ab.

Jaden kam zu mir und blickte neugierig zu mir.

„Und? Geht der Tacho wieder?“

„Jap, wir haben gute Arbeit gemacht. Alles funktioniert wieder.“

Mittlerweile war es schon nach ein Uhr mittags. Ich hatte etwas Hunger. Jaden hatte erst spät gefrühstückt und entsprechend noch keinen Appetit. Aura war im Haus und machte einige Arbeiten am Schreibtisch, als wir ins Haus kamen.

„Ah, die Heimwerker. Na, wie seid ihr vorangekommen?“

„Gut, Mama. Ben hat echt Ahnung. Er hat alles repariert und jetzt läuft sie wieder.“

„Das stimmt so nicht, Jaden. Wir haben es gemeinsam erfolgreich repariert. Wann wollte Stephen zurückkommen?“

„Ich weiß es gar nicht. Haben wir noch etwas geplant, Mama?“

„Ja, ich werde mit Ben heute Abend in die Stadt fahren. Wir werden in ein Konzert gehen.“

Oh, davon wusste ich noch gar nichts. Jetzt war ich aber neugierig geworden, aber meine Cousine schien nicht verraten zu wollen, was sie geplant hatte.

„Darf ich mit Stephen hier allein bleiben?“

Meine Cousine schaute mich fragend an. Das schien ihr nicht so zu gefallen, aber ich war der Meinung, dass das kein Problem sein sollte. Die beiden waren ja keine kleinen Kinder mehr und machten auch nicht den Eindruck, dass sie unvernünftig sein könnten. Also nickte ich ihr zu.

Da Jaden noch keinen Hunger verspürte, aß ich mit meiner Cousine allein zu Mittag. Dort besprach ich mit ihr die Situation.

„Jaden hat sich verändert seit du bei uns bist. Das gefällt mir gut. Er ist nicht mehr so still und er lacht wieder häufiger. Gerade wenn er mit Stephen unterwegs ist. Dieser Junge scheint für ihn etwas Besonderes zu sein.“

„Ja, das stimmt. Und mir gefällt das auch. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Jaden mich als Vaterersatz ansieht. Das sollte so nicht sein. Was passiert, wenn ich wieder in Deutschland bin?“

„Ganz ehrlich, mir ist es im Moment lieber, er hat jemanden wie dich als Ansprechpartner, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, als gar keine männliche Bezugsperson. Es ist mir schon klar, dass das keine Dauerlösung ist, aber vielleicht hilft es ihm über die schwerste Anfangszeit hinweg.“

„Wie siehst du den Stephen? Ich mag den Jungen. Er ist nett und intelligent, außerdem schon sehr selbstständig. Jaden profitiert sehr von ihm.“

„Das stimmt schon, aber ist dir bei Stephen etwas aufgefallen? Er hat einen Regenbogensticker auf seinem Rucksack. Das ist mir heute wieder aufgefallen. Ist er vielleicht schwul? Und was ist, wenn er sich bei Jaden Hoffnungen macht?“

„Was soll dann sein? Jaden wird ihm dann schon sagen, was er davon hält.“

„Hast du also diese Sticker auch schon gesehen?“

„Natürlich, ich bin ja nicht blind. Aber ich finde das total unwichtig, wenn sich die beiden verstehen. Es spielt für mich keine Rolle, ob hetero- oder homosexuell. Hauptsache der Charakter passt und das tut er sowohl bei Jaden, als auch bei Stephen.“

Jetzt schaute mich Aura ganz genau an und ich wusste, es arbeitete in ihr. Mal sehen, ob sie noch weitere Fragen in diese Richtung stellen würde oder ob sie es so beließ.

„Also hast du auch keine Bedenken, wenn Stephen heute hier nächtigt und wir nicht da sind?“

„Warum sollte ich Bedenken haben? Die beiden verstehen sich gut, können sich benehmen und was sollte also passieren? Deswegen wirst du das Konzert heute Abend nicht ausfallen lassen. Darauf hast du dich doch so gefreut.“

„Ja ja, ich habe verstanden. Vielleicht sollte ich einfach meinem Sohn vertrauen. Er wird schon zu mir oder zu dir kommen, wenn er ein Problem hat.“

Für diese Aussage gab es von mir spontanen Applaus. Meine Cousine schaute mich verdutzt an, fing dann aber auch an zu lachen. Das sah toll aus. Endlich konnte Aura auch wieder richtig lachen.

Jaden: Ein toller Abend

Meine Freude auf einen gemeinsamen Abend mit Stephen war groß. Mama hatte, nachdem Ben ihr gut zugeredet hatte, doch zugestimmt. Jetzt überlegte ich nur noch, welche kleine Überraschung ich für Stephen vorbereiten könnte. Schließlich kam er von einer Aktion mit seinem Vater, die sicher anstrengend war. Ich entschied mich für einen süßen Nachtisch zu sorgen.

Pudding kochen war etwas, was ich konnte. Also setzte ich einen Topf mit Vanillepudding auf. Damit die Milch nicht anbrannte, musste ich ständig rühren. Dieses Mal gelang alles und als ich den Pudding in den Kühlschrank stellte, hatte ich noch genug Zeit.

Ich räumte noch etwas mein Zimmer auf und stellte für uns genügend Getränke bereit.

Das Klingeln der Haustür erschreckte mich für einen Augenblick, so vertieft war ich in die Gedanken an Papa und was Ben schon für mich gemacht hatte. Entsprechend schaute mich Stephen an, als ich ihm geöffnet hatte.

„Hey, wie schaust du denn aus? Ist alles in Ordnung?“

„Hi, doch, alles ok. Hatte nur ein paar Minuten über meinen Papa nachgedacht.“

„Ok, und wie geht es dir damit?“

Während wir redeten, betraten wir mein Zimmer. Stephen schaute sich um und fing an zu grinsen.

„Du hat aufgeräumt. Meinetwegen? Und mehr als genug zu trinken gibt es auch. Sehr schön.“

„Naja, ein bisschen gemütlich soll es ja schon sein.“

„Gefällt mir. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Wie geht es dir mit den Gedanken an deinen Papa?“

„Nicht so gut. Auch, dass meine Mutter Ben nur meinetwegen aus Deutschland eingeladen hat, finde ich nicht so toll. Obwohl Ben echt cool ist und er schon viel für mich gemacht hat. Aber dass er extra aus Deutschland kommt, macht mir ein schlechtes Gewissen. Was kann ich denn dafür, dass mir Papa fehlt.“

„Du kannst da gar nichts für. Meine Mama hat mir gesagt, dass es wichtig wäre, wenn du mit deiner Mutter darüber sprichst und dich nicht zurückziehst. Und dass Ben nur deinetwegen gekommen ist, halte ich auch für nicht ganz richtig. Er macht doch hier auch Urlaub. Also ein schlechtes Gewissen musst du bestimmt nicht haben.“

„Das sagst du so einfach. Ich kann mich gegen meine Gefühle nicht wehren. Sie sind einfach da. Ben hat mir auch gesagt, ich soll Mama meine Trauer offen zeigen. Aber Mama geht es doch auch nicht gut.“

Stephen hatte sich mittlerweile auf die Couch gesetzt und hörte mir aufmerksam zu.

„Setz dich doch einfach mal hin. Und versuche dich nicht aufzuregen. Du hast keine Verantwortung für diese Situation. Aber du hast Verantwortung für die Art und Weise, wie du damit umgehst. Und das solltest du besser machen. Ben scheint echt cool zu sein. Das solltest du für dich nutzen. Ich glaube, der weiß richtig gut Bescheid und kann dir helfen.“

Darüber musste ich nachdenken, aber ich wollte jetzt nicht schon wieder über Probleme nachdenken. Ich wollte mit Stephen einen schönen, lustigen Abend verbringen. Allerdings fiel mir jetzt auch wieder sein Regenbogensticker am Rucksack ins Blickfeld.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihn danach zu fragen. Mich verließ jetzt aber der Mut. Vielleicht würde es später besser passen.

Wir zockten erst etwas am Computer und dann fragte er mich:

„Hast du schon Hunger? Wie machen wir das mit dem Essen?“

„Den Nachtisch habe ich schon gemacht. Wie wäre es, wenn wir uns heute mal etwas liefern lassen?“

Stephen war einverstanden und ich hatte heute mal Bock auf Pizza. Also ließen wir uns zwei große Pizzen liefern. Als wir diese verdrückt hatten, fragte ich ihn:

„Puh, meinetwegen können wir den Nachtisch auf später verschieben. Oder möchtest du jetzt noch Nachtisch?“

„Ne, lass mal. Lieber später.“

Wir setzten uns wieder vor den PC, aber schon nach einer halben Stunde hatte ich irgendwie keine richtige Lust mehr auf zocken. Ich brauchte etwas frische Luft. Stephen war einverstanden und wir legten uns im Garten auf den Rasen. Es war noch sehr mild und ein herrlicher Sternenhimmel war zu sehen.

Wir lagen auf dem Rasen und redeten über alle möglichen Dinge. Auch über die Schule und unsere Chaoten in der Klasse. Ich hatte das Gefühl, ich würde Stephen schon ganz lange kennen. So einen Freund hatte ich schon ewig nicht mehr. Plötzlich fiel mir der Regenbogensticker wieder ein. Aber wie sollte ich ihn fragen? Ich wollte ihn ja nicht bedrängen. Es interessierte mich einfach, denn ich kannte bisher noch gar keinen schwulen Jungen. Ich wusste ja selbst noch nicht einmal, ob ich mich mehr für Jungs oder mehr für Mädchen interessierte. Ich wurde unruhig, aber mir fiel keine gescheite Fragestellung ein.

„Was ist denn los, Jaden? Du bist so unruhig.“

Nein, das auch noch. Jetzt hatte es Stephen doch noch bemerkt. Wie kam ich aus der Nummer nur wieder raus?

„Es ist nichts. Ich habe nur gerade an etwas gedacht.“

„Hm, ok. Aber du weißt schon, dass du mit mir über alles reden kannst. Also wenn du ein Problem hast, lass es mich wissen. Gemeinsam kann man viel mehr schaffen, als allein.“

„Ja, ja. Dieser Spruch könnte auch von Ben sein.“

„Der ist ja auch gut und vor allem ist er richtig.“

„Okay, das stimmt. Aber manchmal sind Dinge nicht so einfach. Weißt du, ich habe eine Frage, die mich beschäftigt. Aber sie betrifft dich und ich weiß nicht, ob ich das einfach so fragen darf.“

„Okay, aber ich habe dir doch schon gesagt, dass wir über alles reden können.“

„Also gut.“

Mir war sehr heiß geworden und ich war aufgeregt.

„Es geht um deinen Regenbogensticker am Rucksack. Bist du vielleicht….“

„Hihihi, das ist jetzt echt nicht dein Ernst. Darüber machst du dir Gedanken und traust dich nicht darüber zu sprechen?“

Das verstand ich jetzt überhaupt nicht. Was sollte das denn jetzt?

„Naja, ich habe noch nie mit jemandem über so ein Thema gesprochen. Und es lässt mir keine Ruhe.“

„Und was ist wenn es so wäre? Sind wir dann keine Freunde mehr?“

„Doch, sind wir auf jeden Fall. Ich habe nur noch nie einen schwulen Jungen kennengelernt.“

„Gut, dann bin ich wohl der Erste, dem du begegnet bist.“

„Ähm, also du bist schwul? Wow!“

„Jap, bin ich. Und wie ist das für dich? Ich hoffe, du hast keine Angst vor mir.“

„Hä? Wieso sollte ich jetzt vor dir Angst haben? Ich finde es toll, dass du mir das einfach anvertraust. Ansonsten ändert sich für mich erst einmal gar nichts. Ich finde dich weiterhin sehr nett und bin froh, dass wir Freunde sind.“

Stephen schien erleichtert, denn so cool wie er sich präsentierte war er dann doch nicht. Das konnte ich an seinen leicht zitternden Händen sehen.

„Danke. Es ist schön, dass es für dich kein Problem ist. Ich mag dich als Freund auch sehr und du musst keine Angst haben, dass ich jetzt über dich herfalle. Obwohl ich dich schon richtig cool finde.“

Das löste bei mir Herzrasen aus. Er hatte gesagt, dass er mich cool findet. Irgendwie war ich aufgeregt und für einen Moment schloss ich meine Augen. Es kribbelte in meinem Bauch. Stephen sagte nichts weiter und das war auch gut so, denn so konnte ich mich wieder etwas beruhigen.

„Wissen deine Eltern bereits, dass du schwul bist?“

„Ja, schon drei Monate. Das hat mir unheimlich viel Sicherheit gegeben, dass sie hinter mir stehen.“

„Cool, und wie war das in deiner alten Schule?“

„Beschissen. In meiner Klasse gab es zwei homophobe Arschlöcher. Die haben mich ständig drangsaliert.“

„Und die anderen haben dich nicht unterstützt? Das ist ja ätzend. War das der Grund warum ihr hierher gezogen seid?“

„Auch, und ich möchte dich bitten, es auch für dich zu behalten. So eine Situation möchte ich dieses Mal vermeiden.“

„Klar, das verstehe ich sofort. Da gebe ich dir mein Wort drauf, dass ich das in der Schule keinem erzähle. Sowas braucht kein Mensch. Deshalb benutzt du in der Schule auch eine andere Tasche ohne Sticker.“

Unser Gespräch wurde immer vertrauter und persönlicher. Er erzählte mir sogar von seinem ersten Freund und warum das keine Zukunft hatte. Das war für mich seltsam, aber es fühlte sich gut an. Auch, dass ich ihm von meiner Situation erzählen konnte, tat mir gut. Irgendwann später, wir lagen immer noch draußen auf dem Rasen, fiel mir ein, dass ich ja noch einen Pudding gekocht hatte.

„Hast du jetzt Lust, meinen selbstgemachten Nachtisch zu testen?“

„Oh ja, das ist eine gute Idee. Was hast du denn schönes gemacht?“

„Ach, nichts besonderes. Nur einen Vanillepudding mit Sahne.“

Wir gingen in die Küche und als ich die Schüssel aus dem Kühlschrank nahm, schaute Stephen und grinste:

„Okay, das sollte für uns beide reichen. Wenn der so schmeckt wie er aussieht, dann wird davon nichts übrig bleiben.“

„Hihi, ok. Dann probier mal.“

Ich füllte uns zwei Schalen auf und es schmeckte mir einfach lecker. Auch Stephen fand es wohl gut, denn er nahm noch zweimal nach.

Eigentlich war es spät genug, um ins Bett zu gehen, aber irgendwie waren unsere Gespräche und seine Nähe für mich wachhaltend. Komischerweise waren Mama und Ben um halb zwei immer noch nicht zu Hause. Das nutzten wir, um noch etwas am PC zu zocken. Erst gegen zwei legten wir uns hin. Ich habe nicht lange gebraucht, um seit langer Zeit nicht traurig einzuschlafen.

Ben: Osterspaß

Die Tage bei meiner Cousine verflogen rasend schnell. Jaden entwickelte sich gut, wobei das am meisten an Stephen lag. Sie waren nahezu unzertrennlich geworden. Sogar für die Schule lernten sie gemeinsam. Aura wurde mittlerweile etwas misstrauisch, ob Jaden vielleicht damit etwas kompensieren wollte. Mir gefiel das gut, was die beiden Jungs machten.

Jetzt stand das Osterwochenende an und ich hatte mir einen kleinen Spaß aus Deutschland ausgedacht. Im großen Garten wollte ich ein paar Geschenke verstecken. Natürlich auch Süßigkeiten, aber ich hatte für Jaden eine besondere Überraschung geplant.

Aura hatte uns am Karfreitag zum Essen eingeladen. Sie hatte ein ganz tolles Restaurant in der Melbourner City ausgesucht, mit anschließendem Kinobesuch. Das wäre in Deutschland an einem Karfreitag ausgeschlossen gewesen.

Jaden war den Abend über sehr gesprächig. Überhaupt gefiel mir der Junge immer besser. Ich hatte auf dem Rückweg aus dem Kino zum Auto Jaden gefragt, ob er mit mir am Sonntag zum Grab seines Vaters gehen würde.

Ich hatte eine heftige Reaktion erwartet, aber er überlegte nicht lange mit seiner Antwort. Mit mir allein würde er hingehen, aber nicht mit seiner Mutter. Das empfand ich als sehr schade, aber ich konnte es auch verstehen. Er wollte sichergehen, dass seine Mutter seine Reaktionen nicht mitbekommen würde, falls er sich nicht unter Kontrolle halten könnte.

Ein typisches Verhalten für pubertierende Jungs. Ich ließ ihn gewähren und besprach das mit meiner Cousine. Sie fand das zwar schade, aber sie verstand ihren Sohn und ließ ihm diesen Freiraum.

Allerdings gab es ein Problem, wie sollten wir ohne Auras Hilfe dorthin gelangen? Sie brachte mich dann allerdings darauf mit dem Motorrad zu fahren. Das würde vielleicht für Jaden auch etwas einfacher sein. Also war meine Planung, am heutigen Sonntag nach dem Frühstück mit Jaden zum Friedhof zu fahren, im Anschluss würden wir gemeinsam zu Mittag essen und am Nachmittag gab es dann das lustige „Eiersuchen“.

„Was macht Stephen denn heute? Feiert er mit seiner Familie?“, fragte ich Jaden am Tisch.

„Ja, er hat heute leider keine Zeit. Sie fahren zu Freunden. Aber ich kann morgen zu ihm fahren. Wir wollen gemeinsam etwas in der Küche ausprobieren.“

„Am Ostermontag muss das aber nicht sein.“, meldete sich Aura.

„Mama, warum das denn nicht? Er hat mich eingeladen. Seine Eltern haben nichts dagegen.“

„Es ist ein Tag für die Familien. Da musst du nicht stören.“

Jetzt war es an der Zeit zu vermitteln.

„Stopp. Diese Diskussion führt nicht zum Ziel, sondern wird nur Stress und Streit machen. Jaden, hat dich nur Stephen eingeladen oder hat er seine Eltern gefragt?“

„Seine Eltern haben mir gesagt, dass ich morgen gerne kommen darf.“

Ich schaute Aura an und nickte ihr zu. Sie sollte zustimmen, aber das musste von ihr kommen.

Sie holte einmal tief Luft.

„Na schön, da kann ich jetzt schlecht etwas dagegen sagen. Dann scheinen sie dich wohl wirklich gern zu haben. Es ist okay, macht euch einen schönen Feiertag.“

Jaden freute sich sehr und erstaunlicherweise umarmte er seine Mutter zum Dank. An dem Gesicht seiner Mutter konnte ich auch ihre Überraschung erkennen. Freudig erwiderte sie diese Dankesgeste.

„Also der Tag morgen ist geklärt. Dann kommen wir zum heutigen Sonntag. Jaden und ich werden gleich zum Friedhof fahren. Dann essen wir gemeinsam zu Mittag und danach gibt es eine kleine Osterüberraschung. Was das sein wird, verrate ich noch nicht.“

„Cool, ich finde Überraschungen immer schön.“

Die Fahrt zum Friedhof nutzte ich, um noch eine größere Runde zu fahren. Jaden hatte ein Lächeln im Gesicht, als ich die Maschine auf dem Parkplatz abstellte.

„Du kannst richtig gut fahren. Ich möchte auch bald mit dem Führerschein anfangen.“

„Danke für dein Lob. Ich habe viel Freude am Motorradfahren und in Deutschland habe ich auch ein eigenes Motorrad. Wie geht es dir jetzt? Bist du wirklich das erste Mal am Grab seit der Beerdigung?“

Sein Gesicht veränderte sich schlagartig und seine Antwort kam sehr leise:

„Ja, ich konnte es einfach noch nicht. Mama ging es auch so schlecht und ich wollte es einfach nicht.“

„Ist doch auch in Ordnung. Bist denn jetzt wirklich bereit, mit mir zum Grab zu gehen?“

„Ja, mit dir fühle ich mich sicherer. Du wirst mir helfen, wenn es schlimm wird.“

Ich legte meinen Arm um seine Schulter und dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg.

Als wir den Weg zu Petes Grab erreicht hatten, ließ ich ihn etwas vorgehen. Er stellte sich vor den Grabstein und verharrte einige Momente. Seine Fassung währte nicht lange, er begann zu weinen und zu zittern. Ich ging jetzt an ihn heran und hielt ihn fest. Er ließ sowohl seiner Trauer als auch seiner Wut freien Lauf. Mein Arm lag unverändert um seine Schultern und ich ließ ihn gewähren, denn darauf hatte ich schon lange gewartet. Er sollte alles herauslassen können.

Erst nach einigen sehr heftigen Minuten schien er sich wieder zu beruhigen. Die ganze Zeit hatte ich ihn fest im Arm gehalten. Er schaute mit seinen roten Augen zu mir und sagte leise:

„Danke, dass du da bist. Es tut so weh.“

Ich schwieg und streichelte seinen Kopf. Für einige Augenblicke hatte ich Sorge, er könnte kollabieren, aber er stabilisierte sich.

„Ich habe noch so viele Fragen. Warum muss es ausgerechnet meinen Papa treffen? Warum?“

Das waren für mich sehr bittere Momente, aber er sollte sich auch gehen lassen dürfen. Erst als er sich wieder beruhigt hatte, flüsterte er dann:

„Lass uns bitte nach Hause fahren. Ich möchte später noch einmal herkommen. Kommst du dann noch einmal mit?“

„Wenn du das möchtest, komme ich wieder mit.“

„Danke. Es ist schön, dass du da bist.“

Ich nickte ihm wortlos zu und erst als wir das Grab verlassen hatten, wollte er wieder allein gehen. Am Motorrad angekommen, war er wie ausgewechselt.

„Danke, Ben. Ich bin froh heute hergekommen zu sein. Auch wenn es sehr weh tat, es hat mir irgendwie auch geholfen. Es ist schön zu spüren, dass du für mich da bist. Hoffentlich kann ich bald auch mit Mama herkommen.“

„Das freut mich für dich. Und gib dir die nötige Zeit. Wenn du soweit bist, sag es einfach deiner Mama. Sie wird sich freuen.“

Er nickte und dann machten wir uns auf den Heimweg.

Aura wartete neugierig auf unsere Rückkehr. Jaden sah noch etwas mitgenommen aus, aber er versteckte sich nicht vor seiner Mutter. Sie nahm ihren Sohn in eine innige Umarmung und entließ ihn dann ins Bad, damit er sich erfrischen konnte.

„Wie hat er es verkraftet?“, fragte sie mich.

„Es war sehr hart für ihn, aber er hat vieles herauslassen können. Ich würde mir wünschen, dass es der Anfang für ihn ist, mit der Trauer umgehen zu lernen. Er hat noch einen weiten Weg vor sich. Aber der erste Schritt ist gemacht.“

„Es wäre schön, wenn er seine Angst mir gegenüber ablegen könnte. Dann würde es für uns beide einfacher werden.“

„Das wird kommen. Du solltest ihn aber nicht drängen. Ich glaube, er entwickelt gerade einen eigenen Weg. Für ihn ist Stephen da auch eine wichtige Person. Vielleicht geht er mit ihm mal dorthin und kann ihm vermitteln, was für ein Verlust der Tod seines Vaters ist.“

„Ich freue mich, dass es dir so gut gelungen ist, an Jaden heranzukommen. Du sagtest, du hast heute Nachmittag etwas vorbereitet im Garten. Was ist das denn?“

„Ach ja, ich habe einen Osterbrauch aus Deutschland mitgebracht. Ich werde ein paar Dinge im Garten verstecken, die ihr beide dann suchen müsst. Wir nennen es Ostereier suchen. Heute wird das aber ohne Eier stattfinden. Schokoladeneier würden sofort schmelzen.“

„Das hört sich lustig an. Jetzt wird aber erst einmal zu Mittag gegessen.“

Jaden kam bald zu uns und beim Essen war er wieder recht entspannt. Überhaupt entwickelte sich Jaden positiv. Er begann, sich wieder mitzuteilen und auch seine Bedürfnisse zu nennen, insbesondere wenn es um seinen Freund Stephen ging. Diese Freundschaft schien sich für ihn als etwas Wichtiges zu entwickeln.

Nach dem Essen holte ich meine Kleinigkeiten zum Verstecken aus meinem Koffer und auch für Jaden einen Umschlag mit einem Stück Papier darin. Ich hatte ihm ein paar Zeilen aufgeschrieben, die für ihn eine Überraschung sein sollten. Ich war sehr gespannt auf seine Reaktion.

Für zehn Minuten schickte ich die beiden in die Küche. Dort waren sie gut beschäftigt. Somit konnte ich in Ruhe meine Sachen verstecken. Für meine Cousine hatte ich auch ein paar Kleinigkeiten mitgebracht. Unter anderem ein Buch, welches ihr Vater geschrieben hatte. Es lag seit Jahrzehnten bei meinem Vater im Regal. Das sollte heute in ihren Besitz übergehen.

Als ich alles versteckt hatte, ging ich in die Küche. Dort half Jaden seiner Mutter beim Aufräumen. Dabei unterhielten sie sich über Stephen und seine Familie.

„Ich bin soweit. Ihr könnt dann im Garten suchen gehen. Auf jedem Geschenk steht ein Name. Also sucht ihr nicht nur für euch selbst, sondern auch für den anderen mit.“

Ich verteilte noch zwei kleine Körbchen und dann sollte es losgehen. Die beiden machten sich mit großem Eifer auf die Suche. Aura fing irgendwann an zu lachen und Jaden machte es ihr nach. In bester Stimmung und mit immer wiederkehrenden Lachanfällen wurden die Körbchen gefüllt.

Ich machte Fotos von den schönsten Momenten, wo sie auch mal in die Büsche krabbelten. Es war einfach schön, dass sie dabei alles um sich herum vergessen konnten und sich beide gegenseitig halfen. Nach einigen Minuten waren die Körbchen gefüllt, wobei jeder auch einen Umschlag mit einem Namen darauf gefunden hatte.

„So, dann sortieren wir mal nach den Namen.“

Sie legten die Dinge auf den Gartentisch und jeder hatte gleich viele Sachen bekommen. Es waren Kleinigkeiten und die beiden Umschläge.

„Wow, das war cool, Ben. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das so viel Spaß machen würde. Eigentlich hatte ich gedacht, ich wäre schon zu alt, um Ostereier zu suchen.“

„Na, wenn ich mir deine Mutter so sehe, kann man nie zu alt werden zum Eiersuchen. Dann schaut jetzt doch einmal, was in euren Umschlägen ist. Aura fängt mal an.“

Sie öffnete den Brief und ich schaute auf ihre Augen. Es dauerte einige Sekunden bis sie meine Worte gelesen hatte. Plötzlich schaute sie mich an und fragte:

„Das ist doch nicht möglich, dass du ein Buch von Papa hast. Ich habe so lange danach gesucht. Es ist einfach kein Exemplar mehr zu bekommen.“

„Ich will dich nicht länger auf die Folter spannen. Schau mal hier.“

Ich hielt das Buch vor meinen Bauch und meine Cousine freute sich wie ein kleines Kind.

„Ben, das ist so wunderbar. Aber wo hast du das denn bloß her?“

„Es stand schon viele Jahre bei meinem Vater im Bücherregal. Ich habe ja gewusst wie sehr du ein Exemplar suchtest. Da habe ich meinen Vater überredet, es dir zu überlassen und es dann mitgenommen. Jetzt ist es hier.“

„Unglaublich, vielen Dank. Jetzt möchte ich aber wissen, was du für Jaden in den Umschlag getan hast.“

„Ich auch, Mama. Darf ich jetzt endlich aufmachen?“

„Na, dann mal los.“

Er riss den Umschlag auf und fand dort eine Karte. Er klappte sie auf und las meinen Text.

„Das… das kann nicht dein Ernst sein.“

„Doch, es kann.“, antwortete ich lächelnd.

Jaden kam auf mich zu und umarmte mich herzlich.

„Da scheine ich ja die richtige Überraschung ausgewählt zu haben. Möchtest du deiner Mutter nicht auch zeigen, was auf der Karte steht?“

Jaden strahlte und zeigte die Karte seiner Mutter. Aura las meine Worte, schaute mich an und begann zu lachen, richtig laut zu lachen.

„Ben, du bist verrückt. Genauso verrückt wie Pete. Ihr seid euch so ähnlich. Aber hast du dir das gut überlegt, Jaden in euren Sommerferien zu dir einzuladen? Ist das nicht zu viel für dich. Du sollst dich ja auch mal erholen.“

„Nein, ganz sicher nicht. Jaden ist ja kein kleiner Junge mehr. Außerdem wird er eh viel allein unterwegs sein, beziehungsweise mit seinem Freund.“

„Wie meinst du das denn?“, fragte Aura.

„Na, dann lies doch mal genau, was ich geschrieben habe. Dort steht etwas von ihr und euch. Ich gehe mal schwer davon aus, dass Jaden gern Stephen mitnehmen würde.“

Dabei zwinkerte ich Jaden zu, der mich entgeistert anschaute.

„Echt? Du würdest Stephen auch bei dir aufnehmen? Wir müssten also nur den Flug bezahlen?“

„Genau. Aber du musst natürlich vorher ihn und auch seine Eltern fragen, ob sie damit einverstanden sind.“

„Das mache ich gleich morgen. Ey, ist das geil. Vielen Dank, Ben. Das ist so obercool.“

Er umarmte mich erneut und strahlte über sein ganzes Gesicht. Dann packte er sein Körbchen und brachte seine Sachen nach oben in sein Zimmer.

Aura stand neben mir und wir schauten ihrem Sohn nach, als sie sagte:

„Du bist mir ja einer. Davon hättest du auch vorher mal etwas sagen können. Ich bin so froh, dass Jaden Abstand bekommen kann. Er wird in Deutschland ganz Vieles lernen können und hoffentlich wenig an seinen verstorbenen Vater denken müssen.“

„Genau das waren meine Gedanken. Er muss hier mal raus und wie du gerade gesagt hast Abstand gewinnen. Und Stephen ist genau der richtige Freund, mit dem er das machen kann. Allein würde er sich das wahrscheinlich noch nicht trauen.“

„Du solltest echt Psychologe werden. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie glücklich du mich in diesen Tagen gemacht hast. Du hast Jaden aus diesem Tal geholt. Vielleicht bekommt er für sich jetzt neue Ziele. Es ist so schön. Vielen, vielen Dank.“

Den restlichen Tag verbrachten wir gemeinsam mit einem Ausflug an einen wunderschönen See in der Nähe. Jaden wurde immer fröhlicher. Er konnte in diesen Momenten seine Trauer vergessen und schöne Dinge wieder genießen. Dennoch spürte ich hin und wieder seine negativen Gefühle. Er ließ sie aber auch zu und versteckte sie nicht mehr.

Am nächsten Tag war die freudige Erwartung Jadens sofort sichtbar. Er blieb zwar beim Frühstück am Tisch sitzen, aber seine Unruhe war nicht zu übersehen.

Plötzlich klingelte Jadens Handy. Das störte meine Cousine immer. Am Tisch ein klingelndes Handy war ihr ein Dorn im Auge. Da bedurfte es schon eines guten Argumentes, um keinen Unmut zu ernten. Aber innerhalb weniger Worte, die Jaden wechselte, wurde mir klar, dass es Probleme gab. Als Jaden das Gespräch mit den Worten:

„Ich frage meine Mama und Ben und melde mich gleich wieder bei dir, okay?“

„Na, was gibt es bei Stephen für ein Problem?“, fragte ich ihn.

„Ähm, ja. Also die Eltern müssen kurzfristig weg, weil Stephens Opa einen Unfall hatte. Sie müssen dort helfen und jetzt fragt er, ob er vielleicht zu uns kommen könnte. Er hat keine große Lust mitfahren zu müssen, weil er ja nichts helfen kann. Aber seine Eltern wollen ihn nicht allein hier lassen und ich soll deshalb jetzt auch nicht zu ihm zu Besuch kommen.“

Jetzt war ich gespannt. Was würde Aura entscheiden. Jaden schaute natürlich zu mir, aber das war nicht meine Baustelle. Das musste Jaden auch akzeptieren, dass ich an diesen Stellen nichts zu sagen hatte.

„Was schaust du mich an. Ich bin die falsche Adresse. Das entscheidet ganz allein deine Mutter. Ich hätte zwar nichts dagegen, aber das heißt gar nichts.“

Es war klar, dass er seine Felle davonschwimmen sah, aber vielleicht hatte Aura ja mittlerweile begriffen, wie wichtig diese Freundschaft für Jaden geworden ist.

„Mama, darf Stephen zu uns kommen bis seine Eltern zurück sind, bitte?“

„Puh, das kommt sehr überraschend. Ben ist zu Besuch und du solltest auch etwas Zeit für ihn haben. Immerhin hat er dir diese tolle Überraschung geschenkt. Allerdings habe ich auch gemerkt, dass Stephen dir wichtig ist. Also gut, aber du musst versprechen, dass ihr auch Zeit für Ben haben werdet. Morgen habt ihr einen freien Tag, danach machen wir aber auch etwas gemeinsam.“

„Jaa, danke Mama. Darf ich ihn gerade anrufen und ihm das sagen?“

„Na, wie willst du das denn sonst machen. Zisch ab und sag ihm Bescheid. Aber quatscht nicht so lange.“

Und schon war er verschwunden. Aura lachte. Ein schönes Lachen, das in den vergangenen Tagen viel zu selten zu sehen war.

„Wie ein kleiner Junge ist mein Jaden jetzt. Woran liegt das denn wohl? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir irgendetwas entgangen ist. Weißt du etwas mehr als ich?“

„Ich? Nein, wissen nicht. Allerdings könnte es schon sein, dass uns irgendetwas entgangen ist. Warten wir mal ab, was da noch so kommt. Mir gefällt es aber sehr, wie er sich entwickelt.“

„Du machst mir fast Angst. Die Entwicklung in den Tagen seit du hier bist, ist erstaunlich gewesen.“

Sie hatte Recht mit dieser Sichtweise. Allerdings empfand ich das eher als Kompliment. Jaden kam zurück und strahlte, als er mitteilte:

„Stephen kommt um elf. Ist das ok?“

„Passt schon. Was wollt ihr eigentlich machen?“, fragte Aura.

„Stephen möchte mir ein paar Sachen in der Küche zeigen. Also werden wir heute das Mittagessen kochen.“

Ich musste lachen, als ich Auras Gesicht sah. Sie hatte vermutlich mit allem gerechnet, aber nicht damit.

„Ok, aber ihr wisst auch, es ist Ostermontag und da möchte ich gern eine Vorspeise, einen Hauptgang und einen Nachtisch. Strengt euch also an. Und Einkaufen könnt ihr heute auch nicht mehr.“

Wow, meine Cousine lief zur Hochform auf. Und erfreulicherweise blieb Jaden gelassen und konterte gewitzt:

„Kein Problem. Mit Stephen bin ich mir sehr sicher, dass das keine unmögliche Aufgabe wird.“

„Jetzt bin ich aber echt gespannt. Stephen wird noch einen anständigen Hausmann aus dir machen. Hihi.“

„Wer weiß, Ben. Hauptsache, er hilft mir mit der Situation umgehen zu können. Und das tut er ganz bestimmt.“

Augenzwinkernd legte ich meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich.

„Das ist schön. Ich bin gespannt, was ihr uns zaubern werdet. Wenn ihr Unterstützung braucht, sagt Bescheid. Dann packe ich mit an.“

„Danke. Wir sagen dann Bescheid. Stephen müsste auch gleich kommen. Ich räume schon mal mein Zimmer noch etwas auf.“

Schon war er wieder verschwunden.

„Also, dass er freiwillig sein Zimmer aufräumt, macht mich nun aber stutzig. Er tut so, als ob er ein Date hätte. Dabei kommt doch nur sein Freund Stephen zu Besuch.“

„Freu dich doch einfach. Es scheint wohl so zu sein, dass Stephen ein ordentlicher Mensch ist. Und dein Sohn möchte da nicht negativ auffallen.“

„Ob ich das glauben soll? Na, ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich hier etwas ganz anderes anbahnt.“

„Ja? Was denn?“

„Komm, tu nicht so unschuldig. Du müsstest das doch schon längst wissen.“

„Nein, ganz sicher nicht. Aber was wäre denn, wenn die Entwicklung dahin weitergeht, dass Jaden und Stephen sich näherkommen würden.“

„Ich würde mich freuen. Jaden hat sich bislang überhaupt nicht für Mädchen interessiert. Ich habe gedacht, dass er vielleicht noch nicht soweit ist, aber jetzt dämmert mir da etwas. Hoffentlich würde er zu mir kommen, wenn es so wäre, dass er schwul ist. Falls ihr darüber mal sprechen solltet, sag ihm bitte, dass er keine Angst haben muss. Ich würde weiterhin voll hinter ihm stehen und mich für ihn freuen, wenn Stephen sein Freund wäre.“

„Ich kann es ihm dann sagen, aber es wäre sicher viel besser, wenn du ihm das persönlich sagen würdest. Sollte es sich tatsächlich so entwickeln, wäre das für beide ein tolles Signal von dir.“

„Das mache ich dann auch. Ganz sicher, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er zuerst mit mir darüber sprechen wird. Es wäre aber auch völlig in Ordnung, wenn er zuerst zu dir geht.“

„Das kann vielleicht sein. Wir arbeiten hier zusammen. Dann wird es für alle am einfachsten sein. Schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Ich mag den Stephen. Er ist ein guter Junge. Aber ich bin nicht mehr lange hier.“

Aura lächelte und nickte. Wir tranken noch einige Tassen Tee und unterhielten uns, bis es an der Haustür klingelte.

Aura stand auf und ging zur Tür. Aber ich konnte hören, dass Jaden schon die Treppe herunter gelaufen kam.

Aura öffnete die Tür und ich konnte hören, wie sie Stephen begrüßte. Wenige Augenblicke später kam sie lachend wieder nach draußen.

„Na, was gibt es zu lachen?“, fragte ich.

„Also so aufgeregt wie mein Sohn eben war, muss dieser Stephen ja wirklich etwas Besonderes für ihn sein. Aber er ist auch wirklich ein sehr höflicher, gut erzogener Junge.“

„Ja, das ist er. Und er hatte es nicht immer leicht. Das hat Jaden mir schon angedeutet.“

„Sag mal, ist es denn eigentlich klar, dass Stephen auch auf Jungs steht? Was ist denn, wenn sich Jaden da vielleicht falsche Hoffnungen macht?“

„Hihi, nein das passt schon. Er hat sich Jaden gegenüber bereits geoutet. Das dürfte jetzt ganz allein an Jaden liegen, ob die beiden zusammen finden oder nicht. Allerdings ist sich Jaden überhaupt nicht sicher, was er eigentlich möchte. Wir sollten den beiden jetzt keinen Druck machen.“

„Nein, keine Sorge. Ich werde einen Teufel tun, und jetzt auf eine Entscheidung drängen. Dennoch ist mein Sohn schon sehr auf Stephen fixiert. Das fällt sogar mir auf.“

„Komm, lass es doch einfach auf dich zukommen. Und ich vertraue deinem Sohn da absolut. Er wird sich bestimmt melden, wenn er von uns einen Rat möchte.“

„Ja, von dir einen Rat möchte. Mich wird er ganz bestimmt nicht zuerst fragen. Aber das ist schon gut so. Seinen Vater kann er ja nicht mehr fragen. Das ist bitter, dass er jetzt damit auch allein fertig werden muss.“

„Muss er doch gar nicht. Du bist doch für ihn da und mich kann er dank des Internets auch in Deutschland erreichen. Er muss sich zuerst selbst finden, danach kommt alles andere von selbst. Warte ab, das wird schon.“

Unsere Unterhaltung hatte dafür gesorgt, dass wir nicht mitbekommen hatten wie die beiden Jungs in der Küche verschwunden waren. Irgendwann kam nur ein unglaublich leckerer Geruch auf die Terrasse.

Ich beschloss deshalb, dort einmal hereinzuschauen. In der Küche empfing mich ein Sammelsurium von Aromen. Einfach grandios. Stephen stand am Herd und Jaden assistierte ihm. Sie hatte mich noch gar nicht bemerkt, so vertieft waren sie in ihren Kochkünsten. Plötzlich gab Stephen Jaden seinen Löffel zum Probieren. Jaden testete und anschließend schaute er Stephen mit einem Lächeln an.

„Einfach genial. Das geht nicht besser. Lass dich drücken für diese Soße.“

Jaden umarmte Stephen und der hielt seinen Freund ganz fest. Ein schönes Bild.

Erst jetzt bemerkte mich Stephen und wollte Jaden sofort von sich drücken.

„Keine Panik. Ist doch schön, wenn ihr euch einig seid, dass es gelungen ist.“

Stephen wurde rot und auch Jaden schien es unangenehm zu sein. Sie beschäftigten sich wieder mit ihren Töpfen, Pfannen und schmeckten ab. Allerdings mit deutlich größerer Distanz als zuvor. Jaden bat mich ebenfalls zu probieren.

„Wow, das ist richtig gut. Lasst es so wie es ist. Perfekt gekocht.“

Die Jungs freuten sich und lachten. Sie schlugen sich gegenseitig ab und Jaden fragte:

„Wird Mama wohl zufrieden sein?“

„Aber hallo! Das ist grandios. Wenn ihr das nicht schmeckt, liegt es an ihrem Geschmack, aber ganz sicher nicht an euren Kochkünsten. Ihr seid ein gutes Team geworden. Finde ich cool.“

Stephen strahlte und streichelte Jaden vorsichtig über den Rücken. Fast nicht zu sehen, so schüchtern machte er das.

„Wann können wir denn essen? Sollen wir schon den Tisch decken?“

„Oh ja, das wäre gut. Wir sind hier gleich soweit fertig.“

Ich wollte schon die Küche wieder verlassen, als mich Jaden zurückhielt.

„Warte bitte einen Moment, Ben. Wir möchten dich etwas fragen.“

„Okay, schießt los. Was liegt an?“

Jaden wurde nervös. Stephen nahm seine Hand und stupste ihn an.

„Also es ist etwas schwierig zu erklären, aber… nun ja, ich habe dir ja gesagt, dass ich mich eigentlich noch nie für Mädchen interessiert habe und gedacht hatte, dass ich noch keine Freundin möchte, aber als ich Stephen kennengelernt habe, bin ich mir sehr schnell darüber klar geworden, was mit mir los ist.“

Er schaute Stephen an und es war zu niedlich wie dieser ihm über den Rücken strich und mit einem Kopfnicken Mut zusprach. Ich blieb ganz ruhig und wartete, bis Jaden soweit war, weiterzusprechen. Seine Stimme zitterte, als er sagte:

„Ich glaube, ich bin auch schwul und habe mich in Stephen verliebt.“

Jetzt schaute er mich erwartungsvoll an. Auch Stephen verlor etwas von seiner Coolness, als ich antwortete:

„Dann gratuliere ich euch und frage mal, wo ist das Problem? Hast du ihn schon gefragt, ob er mitkommt, mich in Deutschland zu besuchen?“

Stephen war für einen Augenblick verwirrt und Jaden bekam große Augen. Dann realisierte er, was ich gesagt hatte.

„Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit dazu. Aber wie geht es jetzt weiter? Ich habe Angst vor Mamas Reaktion.“

„Okay, das kann ich verstehen. Ich glaube allerdings, dass es für deine Mutter nicht mehr so überraschend kommt. Deine Mutter hat mich schon gefragt, ob ich etwas wüsste. Sie spürt, dass sich bei dir etwas entwickelt hat.“

„Du meinst, wir sollten es ihr einfach sagen? Was ist, wenn sie dagegen ist?“

„Dann wird es nicht einfacher werden, aber an der Sache wird sich ja nichts ändern. Du kannst es dir ja nicht aussuchen, ob du schwul bist oder nicht. Außerdem hast du mit Stephen und seiner Familie sicher Verbündete. So wie du mir von ihm erzählt hast, sollte es dort keine Schwierigkeiten geben, oder?“

Stephen lächelte und erwiderte:

„Ja, das ist korrekt. Meine Familie hat mich von Anfang an unterstützt und das weiß Jaden noch nicht, meine Eltern finden dich total nett und freuen sich.“

Das führte bei Jaden zu einer deutlichen Rotfärbung. Für mich war das der Zeitpunkt die beiden Jungs in der Küche allein zu lassen.

„Ihr macht das schon. Von mir bekommt ihr auch Rückendeckung. Ich würde dir nur raten, deiner Mutter zu vertrauen und es ihr zu sagen. Dann wird es einfacher für euch werden.“

Danach verließ ich mit einem guten Gefühl die Küche und begann mit Aura den Tisch zu decken.

Es dauerte auch nicht lange und die Jungs kamen zu uns. Jaden ging vorweg und jetzt war ich gespannt.

„Wir könnten eigentlich jetzt essen und mit der Vorspeise beginnen. Wie weit seid ihr?“

Aura schaute sich ihren Sohn an und anschließend zu Stephen.

„Wir sind fertig. Ihr könnt servieren. Ben und ich nehmen jetzt Platz und sind schon gespannt, was ihr uns gezaubert habt.“

Wir saßen bereits am Tisch und dann öffnete sich die Tür und die beiden Jungs brachten eine Suppe als Vorspeise. Eine Tomatencremesuppe mit einem Schlag Sahne in der Mitte. Also auch optisch sehr schön gemacht.

Geschmacklich war das allererste Sahne und meine Cousine nickte anerkennend, als sie Stephen ansprach:

„Also, das ist richtig gut. Du hast Talent in der Küche. Wie stellt sich denn mein Sohn in der Küche an?“

„Ähm, danke. Er ist voll dabei und hat auch gute Ideen. Manchmal muss ich ihm allerdings erklären, dass bestimmte Sachen nicht zusammenpassen.“

Also die Vorspeise war toll gelungen, jetzt stieg natürlich meine Neugier auf den Hauptgang, aber es sollte doch anders werden. Jaden bat um das Wort.

„Ähm, ja. Bevor ich mein Anliegen vorbringe, möchte ich euch bitten mich ausreden zu lassen. Und ich bin gerade sehr aufgeregt, weil es für mich ganz wichtig ist und ich nicht weiß, ob das richtig ist, was ich jetzt mache.“

„Du machst es aber spannend. Ich bin jetzt neugierig, was du dir überlegt hast.“, sagte ich beruhigend mit einem Lächeln. Ich hatte eine Ahnung, was nun kommen sollte.

„Also Mama, es geht um mich und uns. Bislang habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber seit Papa tot ist, fühlte ich mich oft sehr traurig und einsam. Dass Ben aus Deutschland gekommen ist, ist sehr schön für mich. Er hat mir viele Dinge erklärt und ist auch mit dafür verantwortlich, was jetzt kommt. Ich habe durch die Freundschaft zu Stephen ganz neue Gefühle kennengelernt und er hat mir wieder den Spaß am Leben zurückgegeben. Dabei ist mir aber auch klargeworden, warum ich mich noch nie für Mädchen interessiert hatte. Es liegt nicht daran, dass ich noch nicht soweit bin. Es liegt daran, dass ich auf Jungs stehe und mit Stephen meinen ersten Freund gefunden habe. Wir sind schwul und glücklich.“

Puh, das war ganz großes Kino von Jaden. Ich war tief berührt und merkte erst einige Sekunden später, dass mich beide Jungs erwartungsfroh und ängstlich anschauten. Ich nickte ihnen kurz zu, bevor Aura antwortete:

„Mein lieber Sohn, als deine Mutter bin ich weder blind noch blöd. Dass es bei dir in den letzten Wochen schwere Tage gab, ist mir bewusst. Es war für uns beide ganz sicher nicht einfach, aber wir haben zusammengehalten und werden das auch weiterhin tun. Ben hat mich innerlich schon auf diese Wahrheit vorbereitet. Heute überrascht mich das also nicht mehr so sehr. Es freut mich aber, dass du mir immer noch vertraust und weißt, dass wir zusammengehören. Stephen, ich begrüße dich in unserer Familie und bin froh, dass es dir gelungen ist, meinem Sohn behilflich zu sein in seiner Selbstfindung. Ich stehe voll hinter meinem Sohn. Ben, wie hast du das so schön gesagt, niemand kann sich das aussuchen, ob er schwul ist. Er ist es einfach, also machen wir daraus ein schönes Leben.“

Dann stand sie auf und umarmte Jaden ganz fest. Stephen stand etwas hilflos daneben. Ich gab ihm zu verstehen, dass wir vielleicht gemeinsam mal in der Küche nach dem Essen schauen sollten.

„Nicht dass du das falsch verstehst. Du bist für Jaden ganz wichtig und meine Cousine wird dir das auch noch zeigen, aber jetzt brauchen die beiden ein paar Minuten für sich. Lass uns mal nach eurem leckeren Essen schauen. Schließlich haben wir jetzt noch einen guten Grund zu feiern.“

Entsprechend aufregend wurden der Nachmittag und die nächsten Tage bis zu meiner Abreise zurück nach Deutschland. Die „Mission Down Under“ war erfüllt und ich war sehr neugierig, wie sich die beiden bei ihrem Besuch in Deutschland anstellen würden.

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