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Auf der Tour

Teil 13

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Veränderungen nicht nur auf dem Platz

Nachdem wir das Bundesligaspiel gewonnen hatten, war es mir wichtig, so schnell wie möglich wieder in den normalen Trainingsalltag zu kommen. Maxi war auch dreimal in der Woche dabei und am heutigen Donnerstag sollte Marco vorgestellt werden. Tim und Carlo hatte ich natürlich bereits vorab über unsere Entscheidung informiert.

Gerade Tim war etwas enttäuscht und auch sauer auf mich. Er hatte sich auf mich fixiert. Einerseits für ihn sicher gut, da er dadurch stabiler geworden war, aber andererseits jetzt natürlich verunsichert. Ich hatte ihm aber erklärt, dass Marco für ihn ein guter Trainer sein würde und ich auch immer für ihn ansprechbar bleiben würde. Damit hatte er sich erst einmal zufrieden gegeben.

Ich stand mit Maxi, Justin, Dustin und Fynn auf dem Trainingsplatz.

„Maxi, den Ball mit mehr Druck zurückspielen. Du bist doch noch jünger als ich. Das sollte besser gehen.“

„Jaja, alter Antreiber.“, kam von ihm zurück und ein exzellent gespielter Passierball.

„Sehr gut. So möchte ich das sehen. Los, jetzt einmal Positionswechsel.“

Ich stoppte den Ball und sie tauschten ihre Stellungen auf dem Platz. Weiter ging es und ich erhöhte das Tempo. Teilweise brachte ich zwei Bälle ins Spiel. Damit wurde es richtig schwierig und sie waren gezwungen, immer beide Bälle im Auge zu behalten.

Diese Übung war schon sehr anspruchsvoll. Ich hatte sie von Jan abgeschaut und ließ die Jungs richtig laufen. Heute sollten sie ihre Grenzen austesten. Bis zum Sonntag hatten wir genug Zeit zum Regenerieren. Und als ich dann noch eine richtige Schleiferübung auspackte, hörte ich das erste Mal so etwas wie Unmut. Aber alles im Rahmen.

„Hey, Leute. Wenn ihr auf die ATP Tour wollt, müsst ihr total fit sein. Da weht ein anderer Wind. Und seht es positiv, wenn Charles hier wäre, würde es noch unangenehmer werden.“

„Boah, Chris. Du bist heute echt gemein. Aber stimmt schon. Charles ist viel gnadenloser als du.“, stöhnte Fynn bei einer Trinkpause.

„So, zum Abschluss für heute noch einen Satz zwei gegen zwei, aber kein Doppel. Es wird im Team Einzel gespielt. Wer den Punkt macht darf auf dem Feld bleiben. Bei den anderen wird dann gewechselt. Es wird normal gezählt.“

Die vier schauten sich etwas ratlos an. Diese Spielform kannten sie noch nicht. Ich war selbst gespannt, wie sie das umsetzen würden. Dafür ging ich ein paar Treppenstufen nach oben. Zwischen die beiden Center Courts auf denen die Bundesligapartien gespielt wurden. Von dort hatte ich einen guten Überblick über den Platz. Dort bekam ich von Marco und Thorsten Besuch.

„Hi Chris, ich habe dir unseren neuen Kollegen mitgebracht.“

„Hi Thorsten, sehr schön. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“

Dabei umarmte ich Marco herzlich zur Begrüßung.

„Na, bist du schon wieder fleißig dabei, deine Jungs auf Vordermann zu bringen?“

„Ja, heute müssen sie mal etwas mehr an Ausdauer und Kondition arbeiten. Hast du mit Tim und Carlo schon Kontakt gehabt?“

„Nein, nicht so richtig. Ich habe sie mir einmal beim Training angeschaut als du im Urlaub weiltest. Die anderen Kinder habe ich auch nur oberflächlich gesehen.“

„Vielleicht könnt ihr ja das erste Training gemeinsam machen?“, fragte Thorsten.

„Das ist eine gute Idee. Wie siehst du das, Marco?“

„Sehr gern. Thorsten hat mich schon vorgewarnt. Tim scheint nicht so begeistert zu sein, dich als Coach zu verlieren.“

„Ja, das ist so. Ich kann es auch verstehen. Dennoch muss er damit klarkommen. Es hätte ja auch sein können, dass ich mal krank werde. Aber ich bin in Zukunft noch weniger in der Base und er würde ständig wechselnde Trainer haben. Das halte ich für weitaus schlechter. Da ich aber weiß wie du arbeitest und wir immer sehr ähnliche Vorstellungen über Trainerarbeit mit Jugendlichen haben, sollten wir ein richtig gutes Team werden.“

„Ich freue mich jedenfalls auf diese neue Herausforderung. Vielleicht gelingt es uns ja, auch von den jüngeren Spielern noch den ein oder anderen nach ganz vorne zu bringen. Ich habe jedenfalls Lust auf diese Aufgabe.“

Nebenbei hatte ich immer ein Auge auf meine Jungs unten auf dem Platz. Sie spielten fleißig weiter, obwohl ich nicht mehr direkt am Platz stand. Hier konnte ich erkennen, dass sich ihre Einstellung weiterentwickelt hatte und sie sehr professionell und eigenverantwortlich arbeiteten.

Heute stand für meine Truppe noch ein Termin bei der Physio an und ich hatte die letzte Einheit mit Tim und Carlo. Die beiden kamen auch pünktlich zum Platz und machten sich warm. Zuvor begrüßten sie Marco und mich. Marco hatten sie auch schon auf unseren früheren Turnierreisen kennengelernt und das erleichterte uns diesen Wechsel.

Als sich meine vier Jungs von uns verabschiedeten, hatte mich Justin noch einmal an die morgige Einweihungsparty erinnert. Tim und Carlo waren dabei, ihre Schläger auszupacken, als mich Carlo fragte:

„Werdet ihr am Sonntag noch in der Bundesliga spielen oder fliegt ihr schon früher nach Barcelona?“

„Wir werden Sonntag hier sein und spielen. Wir wollen Meister werden, jedoch weiß ich nicht, ob die Jungs zum Einsatz kommen werden. Auf jeden Fall sind wir aber dabei.“

„Cool, wir sind auch wieder dabei. Wir dürfen die Platzcrew unterstützen. Dann sehen wir uns am Sonntag.“

„Nein, wir sehen uns am Freitag, oder seid ihr nicht da zur Einweihungsparty von Justin?“

„Doch, klar. Da habe ich gar nicht dran gedacht. Du kommst ja auch. Das ist cool.“

„Okay, Marco muss ich euch nicht mehr vorstellen. Ihr kennt euch ja schon. Marco wird ab heute euer Training leiten. Aber wie schon besprochen, bleibe ich für euch immer ansprechbar, sollte es Probleme geben. Außerdem sollt ihr mit den vier Jungs zusammen trainieren, wenn wir hier in der Base sind. Habt ihr bis hierhin noch Fragen?“

Die beiden schauten sich an und schüttelten ihren Kopf.

„Sehr schön, dann kann Marco beginnen.“

Marco übernahm das Kommando und ließ die beiden sich warmspielen. Marco spielte mit und somit konnten die Jungs sich einen Eindruck von Marcos Fähigkeiten am Ball machen. Das Training nahm schnell Fahrt auf und ich spürte, dass ich durch das Stehen am Rand kalt wurde. Da gab es für mich nur zwei Möglichkeiten. Entweder duschen gehen oder mich bewegen. Ich entschied mich für die zweite Variante und spielte ein wenig mit.

Tim freute sich wie ein Schneekönig, dass ich mitmachte. Auch Carlo war wie immer bestens gelaunt und als Marco sie zu einem Doppel herausforderte, wurde Tim mutig.

„Wir schlagen eine Wette vor. Wenn wir gegen euch gewinnen, müsst ihr uns zu einer Fassbrause einladen. Sollten wir verlieren, müssen wir euch einladen. Deal?“

Eigentlich hatte ich bei einem regulären Training solche Spiele bislang abgelehnt. Aber bevor ich antworten konnte, hatte Marco bereits eingewilligt. Da konnte ich jetzt schlecht nein sagen.

Marco kam zu mir und flüsterte mir ins Ohr:

„Sorry, was macht dein Rücken? Ich habe nicht an deine Verletzungen gedacht. Kannst du ein Doppel spielen?“

Ich nickte ihm zu und erwiderte nur:

„Ich höre halt auf, wenn es Probleme gibt. Die Aufgabe würde uns ja nur eine Fassbrause kosten.“

Es wurde sehr lustig und Marco hatte sehr schnell verstanden, wie er sich bei Tim und Carlo Vertrauen erarbeiten konnte. Wir spielten nur einen Satz, weil die Zeit nicht für mehr reichte. Dieser Satz wurde im Tie-break entschieden und beim Stand von 6:5 für uns musste ich aufschlagen. Ich entschied mich für einen Kickaufschlag nach außen. Carlo hatte Mühe an den Ball zu kommen und Marco konnte den Punkt am Netz verwandeln.

Tim und Carlo akzeptierten ihre Niederlage und beim Handshake zeigte sich die Entwicklung insbesondere bei Tim.

„Na gut, aber ihr hättet auch schon viel früher gewinnen können. Ihr habt uns mitspielen lassen. Marco, du bist echt gut. Aber es hat trotzdem viel Spaß gemacht. Dafür zahle ich die Fassbrause sehr gerne.“

„Das freut mich. Dann kann Marco also als Coach weitermachen?“, fragte ich lachend.

„Ja, er darf gerne bleiben. Aber du musst dich hier auch mal sehen lassen. Ich würde es schade finden, wenn du gar nicht mehr hier bist.“

„Keine Sorge, Carlo. Wir kommen natürlich immer wieder in die Base und machen hier Trainingsphasen. Außerdem könnt ihr mich in dringenden Fällen auch per Whatsapp oder Telefon erreichen. Ich glaube aber, dass Marco ein guter Nachfolger für mich ist. Wir beide kennen uns schon viele Jahre und haben schon immer gut zusammengearbeitet.“

Fynn: Maxi

Es war für Dustin, Justin und mich schon fast zur Tradition geworden, nach der Physio noch eine Fassbrause trinken zu gehen. Heute kam Maxi auch mit. Das empfand ich besonders schön, denn er hatte momentan keine schöne Zeit zu Hause. Justin hatte bereits eine Runde Getränke bestellt, als sich Maxi zu uns an den Tisch setzte.

„Es ist schön, dass du dir mal etwas Zeit mit uns nehmen kannst. Wie geht es dir mit der Situation zuhause?“

„Puh, manchmal bin ich einfach nur noch müde. Mama arbeitet wieder halbtags und dann kümmere ich mich um Papa. Da bleibt nicht viel Zeit für mich selbst. Die Schule gibt es morgens ja auch noch.“

„Und Hausaufgaben. Die musst du doch sicher auch machen?“

„Klar, Dustin. Das muss dann so nebenbei gehen. Manchmal freue ich mich nur auf das Training, um mal aus dem Haus zu kommen. Mir fällt gerade im Moment die Decke auf den Kopf. Deshalb hat mir Mama heute erlaubt, mit euch den Abend zu verbringen. Ich schlafe dann auch in der WG.“

„Hey, das ist ja cool. Dann können wir uns heute ja richtig Zeit lassen. Hast du überhaupt noch welche für deine anderen Freunde oder gar eine Freundin?“

Ich hatte auf unserer letzten Reise oft an ihn gedacht und war traurig darüber, dass Maxi nicht mehr mit uns unterwegs sein konnte. Aber mein Respekt für seine Entscheidung, sich um seinen Vater zu kümmern, war riesengroß.

„Freundin geht einfach gar nicht. Das war ja schon vorher zeitlich schwierig. Jetzt geht das gar nicht. Ihr habt ja einfach das Glück, dass ihr immer zusammen unterwegs sein könnt. Aber ich würde schon gerne eine Freundin kennenlernen. Ich fühle mich oft allein und manchmal auch irgendwie überfordert.“

Das konnte ich mir sehr gut vorstellen. Wie ich mit solch einer Situation umgehen würde, hatte ich mich sowieso schon oft gefragt. Aber keine Antwort darauf gefunden.

Heute Abend hatten wir noch einige nette Stunden und Maxi erzählte einiges von seinem Vater und dessen Entwicklung. Es war leider eher wahrscheinlich, dass er sogar noch weitere Infarkte erleiden könnte. Deshalb beschlossen wir, gegen unseren Trainingsplan den Abend im Billardcafé zu verbringen. Das morgige Training würden wir trotzdem schaffen. Es war eine Ausnahme.

Auch Justin freute sich über unsere Idee und so kamen wir gegen zwanzig Uhr in dem Café an. Dustin holte uns die Kugeln und ich bestellte am Tresen eine Runde Getränke. Dass wir bei alkoholfreien Getränken blieben, verstand sich von selbst. Für Dustin und mich war dieses Café mittlerweile ein Stammlokal geworden und wir waren dort als Paar bekannt. Deshalb konnten wir unsere Beziehung auch offen leben. Es fühlte sich gut und richtig für uns an. Chris hatte uns immer wieder ermutigt, zu zeigen was wir füreinander fühlen.

Mein Befinden war gut und auch Justin taute immer mehr auf. Der Umzug in unsere WG hatte ihm gutgetan und er war dort vollkommen integriert. Er half auch Martina wo immer es nötig war und von Tim und Carlo war er sowieso akzeptiert. Justin hatte sogar angefangen, den beiden bei Französisch für die Schule zu helfen. Justin hatte das schließlich als zweite Muttersprache.

Unsere Stimmung stieg von Minute zu Minute und als wir gegen Mitternacht das Lokal gemeinsam verließen, hatte Maxi so oft wie schon lange nicht mehr gelacht. Es war uns gelungen, ihn abzulenken und mit ihm einen tollen Abend zu verbringen. Auf dem Heimweg hing jeder für einige Augenblicke seinen Gedanken nach, als Maxi plötzlich meinte:

„Das war richtig toll mit euch heute. Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr das gemacht habt. Erst jetzt wird mir aber auch bewusst, wie sehr ich das vermisst habe.“

„Das glaube ich dir. Ich vermisse dich bei den Turnieren ebenso. Hoffentlich wird es für dich bald wieder mehr Freizeit geben und wir können gemeinsam auch auf Turniere fahren.“

Maxi schaute zu mir und mit einem lauten Seufzer antwortete er:

„Danke, Fynn. Aber ich glaube nicht, dass ich euer Niveau mit so wenig Training wieder erreichen und halten kann. Aber wer weiß.“

Plötzlich fiel Justin etwas ein.

„Du kommst doch morgen zu meiner Einweihungsparty, oder?“

„Das kann ich noch nicht endgültig bestätigen. Wenn Mama zu Hause ist, kann ich weg. Sonst geht das nicht. Das klärt sich erst morgen sehr kurzfristig. Es tut mir leid, dass ich das noch nicht sagen kann.“

„Das ist doch nicht schlimm. Es wäre nur schön, wenn du überhaupt kommst. Du musst auch nichts mitbringen. Ich würde mich echt sehr freuen.“

„Danke für die Einladung. Ich werde es jedenfalls versuchen und Mama hatte bereits schon gesagt, dass sie zu Hause sein möchte, damit ich zu dir kommen kann.“

In der WG verzog sich jeder schnell in sein Zimmer. Es war schon spät und morgen Schule. Aber Dustin und ich waren aber noch so aufgedreht, dass wir nach der gemeinsamen Dusche noch ein Weilchen auf der Couch saßen und uns unterhielten.

„Vielleicht sollten wir Chris einmal bitten, sich mit Maxi zu treffen. Er hat bestimmt Ideen, denn ich hatte sehr wohl registriert, als Maxi vorhin sagte, dass er sich manchmal überfordert fühlt.“

„Denkst du, dass das eine gute Idee ist? Maxi kann auch selbst bei Chris anfragen. Er sollte wissen, dass Chris weiterhin für ihn da ist. Außerdem hat er ihm das schon angeboten“

Dustin hatte Sorge, dass wir Maxi übergehen würden, wenn wir Chris einschalteten.

„Chris wird schon dafür sorgen, dass es nicht negativ auf uns zurückfällt. Aber selbst wenn Maxi das herausfinden sollte, finde ich das nicht schlimm. Es zeigt ihm doch nur, dass wir uns um ihn sorgen und ich vermute einfach, dass Chris mehr Ahnung von solchen Situationen hat als wir.“

Ich legte meinen Arm um meinen Freund und gab ihm einen liebevollen Kuss. Danach verlegten wir das weitere Kuscheln ins Bett.

Leider hatte die kurze Nacht ihre morgendlichen Folgen. Das Aufstehen für die Schule war mühsam. Es half aber nichts, ich musste aus dem Bett und unter die Dusche. Dustin war im Bad bereits fertig und zog sich an.

Entsprechend mürrisch betrat ich die Küche. Martina war wie immer bestens gelaunt und machte sich einen Spaß daraus, uns ein wenig zu foppen. Und Tim und Carlo nutzten das natürlich auch für ihren Spott.

„Na, war die Nacht wieder anstrengend? Selbst schuld, wenn ihr euch immer nachts noch vergnügen müsst, hahaha.“

Bei jedem Anderen wäre ich jetzt sauer geworden, aber bei Carlo war klar, dass er es immer nur spaßig meinte. Tim hingegen wurde sogar rot im Gesicht. Ihm war das Thema eigentlich immer etwas unangenehm. Dustin hingegen konterte und überraschte mich damit.

„Solange du gar nicht weißt wovon du redest, solltest du dich besser zurückhalten.“

Zuerst schaute Dustin nach seiner Ansage richtig böse, fing dann aber an zu grinsen, gab mir einen Kuss und Carlo einen kleinen Schubser. Das löste bei Martina ein befreites Lachen aus und auch wir mussten lachen. Damit war die Stimmung gleich wieder besser und ich endlich richtig wach.

Wie üblich nahmen Dustin und ich zur Schule die Räder. Damit würden wir heute Mittag eine halbe Stunde Zeit sparen können. Unser Tag war nämlich vollständig verplant. Außerdem stand für mich noch eine Physikklausur an. Heute würde ich seit langer Zeit mal wieder regulär mit meiner Klasse zusammen eine Arbeit schreiben. In Zukunft würde das mit Sicherheit nicht häufiger sein als bislang schon.

Vor dem Eingang trennten wir uns mit einem Kuss.

In meiner Klasse herrschte schon reichlich Aufregung, denn Physik war nicht unbedingt bei jedem ein beliebtes Fach. Ich mochte es, denn viele Dinge waren in der Realität gut zu gebrauchen. Erst in der Oberstufe vor dem Abitur würde Physik sehr der Mathematik nahekommen.

Als unser Lehrer den Raum betrat und die Aufgabenzettel verteilte, spürte ich nun doch etwas Nervosität und Anspannung. Erstaunlicherweise war dies jedoch vor einem Turniermatch viel größer. Ob das ein schlechtes Omen war? Eine Schulklausur erzeugte weniger Aufregung als ein Turnierspiel? Das war mir so noch nie bewusst geworden.

Die Klausur ging über zwei Schulstunden. Nachdem ich den Aufgabenzettel einmal komplett gelesen hatte, bekam ich ein gutes Gefühl. Für mich war keine Aufgabe auf den ersten Blick unlösbar. Ich begann mit den einfachen Aufgaben und arbeitete mich Punkt für Punkt durch die Arbeit. Meine Zeitplanung lief mir allerdings zum Ende doch ein wenig aus dem Ruder.

Mir lief die Zeit weg und es blieben noch zwei Aufgaben zu lösen, wobei ich bei einer Aufgabe feststellte, einen falschen Lösungsweg eingeschlagen zu haben, so dass ich noch einmal von vorn beginnen musste. Diese Zeit fehlte mir nun. Ich begann hektisch zu werden und erst, als ich mich zwang, in Ruhe zu denken, wurde es wieder besser. Chris hatte es mir immer wieder beim Training gesagt, dass ich unter Druck viel ruhiger arbeiten müsste. Das hatte mir jetzt den Arsch gerettet, denn dadurch schaffte ich es zumindest, bis auf die eine Aufgabe alles zu rechnen. Ob es auch vom Ergebnis stimmen würde, konnte ich nicht sagen. Mit dem Pausengong gab ich jedenfalls meine Klausur ab, war allerdings unzufrieden. Nicht mit dem Ergebnis, sondern wegen meines Fehlers, diese Arbeit unterschätzt zu haben.

In der Pause wartete Dustin schon gespannt auf mich. Sofort hatte er bemerkt, dass ich unzufrieden und geladen war.

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? War es so schlimm?“

Dann umarmte er mich und gab mir einen Kuss, der mich besänftigte. Schließlich konnte Dustin absolut nichts für meine Laune.

„Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe mich selbst in Schwierigkeiten gebracht.“

Nachdem ich ihm erklärt hatte, was genau abgelaufen war, musste er lachen. Er legte seinen Arm um mich und gab mir noch einen Kuss.

„Meine Güte, das ist doch echt kein Grund, so eine Flunsch zu ziehen. Du hast dich da doch selbst wieder herausgebracht. Also entspann dich mal etwas.“

„Jaja, du hast gut reden. Aber ich hätte in Physik mal eine richtig gute Klausur schreiben können. Jetzt muss ich hoffen, dass es kein Desaster wird. Ich habe eine Aufgabe nicht mehr lösen können.“

„Du bist doch gut in Technik und Physik. Da wirst du schon keinen totalen Blödsinn fabriziert haben. Du musst nicht gleich so negativ übertreiben. Außerdem kannst du es jetzt eh nicht mehr ändern. Schau nach vorn und ärgere dich nicht mehr so.“

Mein Freund hatte gut reden. Obwohl es ja stimmte was er sagte. Es fiel mir nur sehr schwer, das auch immer umzusetzen. Den Rest der Pause redeten wir nicht mehr über Schule sondern über die anstehende Einweihungsparty am Abend.

„Was bringen wir eigentlich Justin als Geschenk mit? Hast du eine Idee?“

„Ja, habe ich. Es wäre jetzt aber auch reichlich spät, noch etwas zu besorgen. Das fällt dir ja gerade sehr früh ein.“

Dustin wurde sogar etwas rot aus Verlegenheit.

„Ja, ich bekenne mich schuldig. Aber Justin hat auch nichts gesagt, was er sich vielleicht wünscht.“

„Das werden wir sicher auch nicht erleben. Justin würde niemals offen sagen, dass er sich etwas wünscht. Aber ich habe etwas für sein neues Zimmer besorgt. Was ihm dort eindeutig noch fehlt ist etwas Grünes, nämlich Pflanzen.“

„Cool, sehr gute Idee. Nur wie bekommen wir die Pflanzen in die WG transportiert? Auf dem Fahrrad wird das etwas schwierig.“

„Ja, Schatz, das stimmt und wäre echt schwierig. Deshalb habe ich Chris gebeten, sie heute Abend mitzubringen. Es ist ein Gemeinschaftsgeschenk von Maxi, Chris und uns beiden.“

„Du denkst auch an alles. Dafür liebe ich dich ja so.“

Als Dank erhielt ich einen schönen Kuss und den Nacken gekrault. Dustin wusste genau, wie er mich besänftigen konnte. Ich bekam eine Gänsehaut und auch noch etwas anderes. Deshalb war ich froh, dass es just in diesem Moment zum Pausenende läutete.

Chris: eine weitere Entscheidung für die Zukunft

Am heutigen Freitag war das letzte richtige Training vor der Bundesligapartie am Sonntag. Morgen würden wir nur ein leichtes Mannschaftstraining machen. Thorsten hatte mich gebeten, vor dem Training im Büro vorbeizuschauen. Am Abend stand noch die Einweihungsparty von Justin an.

„Hi Chris. Schön, dass du schon da bist. Möchtest du eine Fassbrause oder eine Latte?“

„Hi, Thorsten. Bitte eine Latte, danke schön.“

Thorsten ging kurz hinaus und kam wenige Minuten später mit einem Tablett und zwei Latte zurück.

„Wie geht es dir? Ist alles im grünen Bereich?“

„Danke der Nachfrage, alles in Ordnung. Ich hoffe nur, dass die Jungs heute Abend nicht zu tief ins Glas schauen werden. Justin gibt seine Einweihungsparty.“

„Ach, das ist ja cool. Hat er extra auf deine Rückkehr gewartet?“

„Ja, ich denke schon. Mal sehen wie das heute Abend wird. Aber weshalb sollte ich bei dir vorbeischauen? Du hast doch ein Anliegen.“

„Ja, habe ich. Und dieses Mal betrifft es dich persönlich. Du pendelst ja immer noch jeden Tag nach Halle. Hast du nicht Lust, dir hier eine Wohnung zu nehmen? Dann würde es doch viel einfacher für dich werden. Und du hättest die vielen Kilometer Fahrt nicht mehr.“

„Naja, die Fahrtkosten bezahlt ihr ja und für das Suchen einer Wohnung habe ich doch gar keine Zeit. Bin ja ständig unterwegs.“

„Genau deshalb habe ich für dich gesucht. Nein, ich habe nicht gesucht, mir wurde aber eine Wohnung angeboten und ich finde die sehr interessant für dich. Was meinst du?“

„Keine Ahnung, ich habe mich mit dem Thema echt noch nicht beschäftigt. Aber im Grunde genommen hast du schon recht. Ist aber eine Kostenfrage und sie sollte nicht zu groß sein. Muss ja auch die Nebenkosten bezahlen können.“

„Schon klar, aber wir haben ein Interesse, dass du hier in der Nähe bist und nicht erst eine halbe Stunde Anfahrt hast. Hättest du denn Lust, dir das mal anzuschauen?“

„Klar, anschauen kostet ja nichts. Hier in Halle?“

„Ja, ganz in der Nähe der WG von den Jungs. Ist aber nicht direkt nebenan, eine Straße weiter.“

„Hey, das ist ja echt nicht weit. Wann sollen wir das machen? Heute ist schlecht. Morgen vor dem Mannschaftstraining wäre gut.“

„Okay, ich werde mal nachfragen, ob wir uns die Wohnung morgen ansehen können. Ich sage dir nachher Bescheid, ja?“

„Das ist gut. Wie groß ist sie eigentlich und wie viel Zimmer hat sie denn?“

„Ganz genau weiß ich das nicht, aber so ca. 65 qm und zwei Zimmer.“

„Hm, na da bin ich mal gespannt.“

Ich hatte zwar schon mehrfach den Gedanken gehabt, mir eine kleine Wohnung in Halle zu suchen, aber so wirklich hatte ich das nicht umgesetzt. Es war mir auch zu kompliziert und zu zeitaufwendig. Wenn die Wohnung mir jetzt gefallen würde, könnte ich mir das aber gut vorstellen.

Allerdings stand noch das Abschlusstraining an und da wollte ich meine Jungs noch einmal mental an ihre Grenzen bringen. Als ich nach draußen kam, liefen Dustin und Fynn gerade an mir vorbei. Sie machten sich warm. Justin traf ich auf dem Platz beim Seilspringen. Ich stellte meine Tasche auf der Bank ab und dehnte mich etwas. Heute wollte ich zu Beginn einige Bälle mitspielen, um einige Stresssituationen erzeugen zu können, mit denen sie sich auseinandersetzen mussten.

Als Dustin und Fynn zu uns an den Platz zurückkamen, stutzte Dustin.

„Nanu? Spielst du heute mal wieder mit?“

„Ja, habe ich vor. Mal sehen, was der alte Drache noch kann.“

„Cool“, grinste Justin, „dann werden wir heute viel Spaß haben.“

„Los, nehmt euch die Schläger und los geht's. Wir spielen im T-Feld ein paar Bälle für das Ballgefühl.“

Wenige Minuten später war die Stimmung bestens auf dem Platz und plötzlich hielt ich den Ball fest.

„So, genug schön gespielt. Jetzt wird ein Davis Cup gespielt. Zwei Einzel im halben T-Feld und dann ein Doppel. Welches Team zuerst zwei Punkte hat, gewinnt. Der Verlierer muss den Platz abziehen.“

„Wer mit wem?“, fragte Dustin.

„Ist doch klar, Du mit Fynn gegen Chris und mich.“, antwortete Justin wie aus der Pistole geschossen.

„Einwände?“, fragte ich aufgrund des fragenden Gesichtsausdrucks bei Dustin.

„Nö, passt schon. Aber ihr werdet nicht gewinnen.“

Ich reagierte nicht auf diese Aussage sondern klatschte mich mit Justin ab und dann ging es los. Zuerst spielten wir parallel zwei Einzel im halben T-Feld bis zehn. Der Ball musste vorsichtig ins Feld gespielt werden. Hier zählte Geduld und Genauigkeit. Und viel Ballgefühl, da der Ball kaum Geschwindigkeit bekam. Das Feld war zu klein dafür.

In meinem Einzel gegen Fynn spielte ich fies und mit allen Tricks, die ich in den vielen Jahren kennengelernt hatte. Fynn wurde richtig garstig, denn er hatte kaum eine Chance gegen mich. Ich gewann mit 10:5. Justin verlor sehr knapp mit 9:11 und damit musste die Entscheidung im Doppel fallen. Dort verzögerte ich immer wieder das Spiel, indem ich mir das Handtuch nahm oder bei 5:5 eine Trinkpause einlegte. Alles Dinge, die ich von den Jungs so nicht sehen wollte. Provokation war heute von mir angesagt. Wie lange würden sie sich noch konzentrieren können und wann würde ihre Leistung und Geduld abstürzen?

Beim Stand von 9:9 nahm ich mir ein neues Griffband und wollte es wechseln, als Dustin das erste Mal Unmut äußerte.

„Sag mal, was soll das jetzt? Das kannst du auch gleich nach dem Spiel machen. Ich finde, es reicht langsam mit deinen Spielchen.“

Ich reagierte nicht darauf, sondern wickelte in aller Ruhe ein neues Griffband auf den Schläger, stellte mich wieder ins Feld und wir machten direkt zwei einfache Punkte. Damit hatten wir gewonnen und Dustin und Fynn mussten am Ende den Platz abziehen. Fynn ärgerte sich sehr über seine zwei einfachen Fehler am Schluss.

„So, bevor wir locker weitermachen, möchte ich, dass wir uns an der Bank treffen. Wir sollten über das Match einmal sprechen.“

„Boah, ich bin aber auch echt zu blöd. Du hast uns mit Absicht provoziert und ich war so dumm und bin voll darauf eingestiegen. Jetzt wo du uns zur Bank holst, ist mir das sonnenklar geworden.“

Ich schaute Fynn an und musste schmunzeln. Dustin schüttelte den Kopf und ergänzte:

„Und ich habe auch nichts gemerkt. Aber na klar. Du hast uns immer wieder gesagt, lasst euch nicht vom Gegner aus der Ruhe bringen. Geht euren Spielrhythmus weiter und bleibt ruhig.“

„Und wir beiden Deppen machen bei der erstbesten Gelegenheit genau das Falsche. Mist!“

„Okay, ich bin schon beruhigt, dass ihr es jetzt begriffen habt. Ich hatte schon Sorge, dass ihr das überhaupt nicht bemerkt. Was könnt ihr aktiv gegen so eine Situation machen?“

„Hm, eigentlich nicht viel. Außer sich nur auf den nächsten Punkt zu konzentrieren und weiter zu spielen. Mit der normalen Gelassenheit. Das ist Sache des Schiedsrichters.“

„Sehr guter Gedanke, Fynn. Ihr müsst euch das aber auch wirklich selbst einreden. Immer wieder. Es wird immer Gegner geben, die mit allen Mitteln versuchen werden, euch das Leben schwer zu machen.“

„Ja, du hast ja recht. Allerdings ist das für mich nicht einfach. Es fühlt sich schlecht an, wenn man dem hilflos ausgeliefert ist.“

„Hilflos bist du nur, wenn du es an dich heranlässt. Bleibst du gelassen und spielst einfach dein Spiel, dann kann es dir egal sein ob der Schiedsrichter eingreift oder nicht. Du machst dich selbst nur verrückt. Du beginnst darüber nachzudenken und damit verselbstständigen sich deine Gefühle und Gedanken. Das ist dann der Beginn von deinem Untergang.“

„Cool, so habe ich das noch nicht gesehen. Das ist toll, wie du uns das erklären kannst. Das werde ich nicht vergessen. Und ich hatte schon ernsthaft Zweifel, ob du wirklich Chris bist oder vielleicht ein Doppelgänger.“

Als Justin das gesagt hatte, brachen wir in Gelächter aus. Das war ein guter Punkt, es auf sich beruhen zu lassen. Zum Abschluss des heutigen Trainings ließ ich noch drei Handicap Übungen machen. Auch hier war es zwingend erforderlich sich nur auf den Ball zu konzentrieren.

Körperlich war das heutige Training nicht anstrengend, dafür aber mental umso mehr. Daher ließ ich zum Schluss noch einen Satz entspanntes Doppel spielen. Das konnten Dustin und Fynn auch gewinnen.

„So, bevor ihr zur Physio geht, noch eine kurze Besprechung für morgen. Um elf Uhr ist Mannschaftstraining angesetzt. Ich habe aber die Bitte von Thomas an euch weiterzugeben, dass ihr bitte schon um halb elf im Besprechungsraum sein sollt. Er möchte, wie schon gesagt, mit euch etwas besprechen.“

Dann verabschiedete ich mich und wollte noch bei Tim und Carlo vorbeischauen. Heute hatten sie Training nur bei Marco und das wollte ich in Ruhe beobachten.

Das Schöne an ihrem Platz war, dass ich von der Terrasse aus bequem zuschauen konnte, ohne bemerkt zu werden. Auf den ersten Blick war Carlo schon sehr locker, während sich Tim noch eher reserviert zeigte. Marco hingegen ließ sich nicht beeinflussen und blieb seiner Art treu. Mir gefiel das für das erste Training gut.

Mir wurde gerade eine Fassbrause gebracht, als Gerry Weber die Terrasse betrat. Zielstrebig kam er an meinen Tisch und fragte:

„Hi Chris, darf ich mich zu dir an den Tisch setzen oder möchtest du lieber noch in Ruhe beobachten?“

Nachdem ich einen großen Schluck der Brause genommen hatte, antwortete ich:

„Hallo Gerry, nein sehr gern. Setz dich bitte.“

„Danke, ich hole mir noch etwas zu trinken. Möchtest du noch eine Fassbrause?“

„Gern, davon kann ich nie genug haben.“

„Habe ich mir schon gedacht.“

Gerry lachte und ging noch einmal zurück ins Clubhaus, um wenige Minuten später mit einem Lächeln wieder zu mir an den Tisch zu kommen. Ohne Getränke.

„Du musst dich noch einen Augenblick gedulden. Die Fassbrause muss erst nachgelegt werden. Du hast wohl einen Run auf dieses Getränk ausgelöst. Da bin ich mit dem klassischen Pils etwas altmodisch.“

„Ich werde schon nicht so schnell verdursten. Außerdem würdest du dann mit Justin, Dustin und Fynn Ärger bekommen. Wenn ich dann nicht mehr da bin und du Schuld daran hast.“

Eigentlich war meine Bemerkung schon etwas gewagt. Immerhin war Gerry Weber die graue Eminenz in Halle. Dieser lockere Spruch war vielleicht doch etwas heftig. Ich war drauf und dran mich schon dafür zu entschuldigen, da fing Gerry an zu lachen.

„Nein, das ist mir zu gefährlich. Dann sorge ich lieber dafür, dass du hier immer genug Fassbrause bekommen kannst.“

„Das gefällt mir. Fassbrause ist für mich Nervennahrung.“

In diesem Augenblick kam unsere Wirtin mit einem Tablett zu uns und brachte die Getränke. Gerry stieß mit mir an und es entwickelte sich ein lockeres Gespräch. Bis zu dem Zeitpunkt als er mich auf das sonntägliche Bundesligaspiel ansprach.

„Wir können ja am Sonntag Meister werden. Am letzten Spieltag konnte ich eine deutliche Verbesserung in der Kommunikation zwischen dir und Thomas erkennen. Hat sich dein Verhältnis zu ihm etwas verbessert oder hat er noch große Probleme deine Meinung und dein Wissen zu akzeptieren?“

„Momentan läuft es gut zwischen uns beiden und wir ergänzen uns. Er hat die etablierten Spieler und ich kümmere mich um meine Nachwuchsspieler. Allerdings komme ich auch gut mit Robin und Struffi aus. Bei den anderen Spielern halte ich mich besser zurück. Ich möchte keinen zusätzlichen Stress am Spieltag haben.“

„Einerseits sicher eine kluge Art, damit umzugehen. Andererseits bin ich der Meinung, dass ihr gleichberechtigt seid. So war es besprochen. Also kannst du dich genauso bei den anderen Spielern einschalten, wenn du mit einer seiner Entscheidungen nicht einverstanden bist. Nur weil er als Bundeliga Coach mehr Erfahrung hat, heißt das ja nicht, dass du keine Ahnung im Umgang mit den Profis hast.“

„Danke für deinen Hinweis, aber ich halte es für nicht klug, einen Streit heraufzubeschwören. Ich sage ihm schon meine Meinung, aber wenn er anders entscheidet, dann muss er das auch verantworten.“

„Gut, das stimmt sicher. Du bist ein guter Teamplayer. Lieber mal zurückstecken am Spieltag und dafür das Team nicht verunsichern. Aber sprichst du mit Jan auch mal über diese Situationen?“

„Nein, der hat genug andere Baustellen. Da will ich ihn nicht auch noch damit belästigen. Und bei den Teambesprechungen ist Thomas ja nur selten dabei.“

„Ok, das habe ich verstanden. Wie siehst du denn für Sonntag unsere Aufstellung? Es geht um die Meisterschaft.“

„Jaja, ich weiß. Dennoch würde ich die Jungs wieder spielen lassen. Sie haben am letzten Spieltag unter Beweis gestellt, dass sie dem gewachsen sind und den Gegnern auch wehtun können. Außerdem haben sie es sich auch verdient. Aber Thomas wird das anders sehen. Er wird mit den Ausländern auflaufen. Hat er mir auch schon angedeutet. Wenn er meint, dass es für das Team besser ist, dann muss er das so machen.“

Gerrys Blick wich mir nicht eine Sekunde aus. Seine Miene wurde ernst und ich bemerkte, dass ich erneut offene Kritik geäußert hatte, wie Thomas die Mannschaft aufstellte.

„Gut, dann werde ich dir jetzt mal etwas erklären. Du hast in den letzten Monaten hier so viele Dinge angeschoben und Ideen umgesetzt. Vor allem erfolgreich umgesetzt. Dass Thomas von sich unheimlich überzeugt ist, weiß ich auch. Aber die Bundesliga ist meine Verantwortung. Ich stelle den Kader mit Thorsten und den Coaches zusammen. Thomas ist nur noch zu den Spielen hier, weil er in Österreich lebt und dort seine eigene Tennisschule hat. Ihr macht morgen noch ein Mannschaftstraining, oder?“

„Ja, morgen um elf soll es losgehen. Vorher habe ich noch ein Meeting mit Thorsten und Thomas.“

„Gut, ich werde mir da etwas überlegen. Sag deinen Jungs noch nichts, aber ich möchte, dass sie am Sonntag spielen. Sie haben sich das verdient. Genau wie du es gesagt hast. Das muss belohnt werden. So ist unsere Vereinsphilosophie. Gute Arbeit zahlt sich aus. Robin ist am Sonntag nicht da und es soll Sousa spielen. Wenn Niko in Umag ausscheidet, soll er auch spielen, aber darauf können wir uns nicht verlassen. Daniel Munoz de la Nava kommt auch morgen an. Das hat Thomas so organisiert. Ich werde mit Jan telefonieren und das mit ihm besprechen. Sei beruhigt, ich weiß was ich tue. Du sollst dich auf deine Arbeit mit den Jungs konzentrieren und ich werde mir etwas dazu überlegen.“

Dann wechselte er das Thema. Wir redeten nur noch über grundsätzliche Dinge und zum Schluss stellte er mir die eigentlich schwierigste Frage:

„Wie siehst du heute deine Entscheidung hier einzusteigen? Würdest du es wieder tun?“

„Ja, absolut. Ich habe viel hinzugelernt und es ist uns gelungen, die Jungs voranzubringen und vor allem auch zu stabilisieren. Selbst Tim ist jetzt mit der Therapie auf einem guten Weg. Und was mir noch sehr wichtig ist, ich konnte meine Beziehung zu meinem Bruder deutlich verbessern. Das zählt viel für mich.“

„Das gefällt mir. Es freut mich, dass du zu Jan wieder ein besseres Verhältnis hast. Er hat mir bestätigt, dass du gute Arbeit machst und er sich auch darüber freut, dass ihr gemeinsam arbeitet. Das wäre wohl so nicht zu erwarten gewesen.“

„Allerdings. Er gibt mir viel Sicherheit und das gibt mir Freiheiten in meinen Entscheidungen. Also ich bin sehr zufrieden.“

„Dann wollen wir mal dafür sorgen, dass das so bleibt. Was machst du heute noch?“

„Ich werde gleich unter die Dusche springen und nach Hause fahren. Heute Abend ist die Einweihung bei Justin. Da werde ich hinfahren und mal schauen was sie so vorbereitet haben.“

„Hast du Sorge, sie könnten deswegen am Sonntag nicht fit sein?“

„Nein, sie wissen genau was auf dem Spiel steht. Das würden sie nicht riskieren.“

„Okay. Sehr schön. Dann wünsche ich euch viel Spaß heute Abend. Wir sehen uns morgen oder spätestens am Sonntag.“

Ich hatte kurze Zeit später noch ein gutes Gespräch mit Tim und Carlo. Gerade für Tim war der Trainerwechsel nicht einfach, aber Marco hatte ihm ein gutes Gefühl gegeben und Tim versprach mir, sich auf Marco einlassen zu wollen. Mir war es wichtig, dass dieser Wechsel für alle keine neuen Probleme machen würde.

Als ich am Abend an der WG ankam, wuselten alle durcheinander. Lustig war der Empfang von Justin. Er hatte sich vor dem Eingang positioniert und empfing dort alle Gäste persönlich. Ähnlich wie bei einem Staatsempfang. Aber ich musste zugeben, mir gefiel das gut. Es war etwas anderes und da die anderen Gäste es auch mit Humor nahmen, war alles im grünen Bereich.

Justin nahm mich in Empfang und anders als bei den Jungs zuvor, bekam ich eine Fassbrause gereicht.

„Hallo Chris, ich freue mich, dass du gekommen bist. Damit du einen guten Start in den Abend hast, gibt es auch ausreichend Fassbrause. Prost!“

„Hi Justin, danke schön. Ja, ich muss doch aufpassen, dass ihr morgen und am Sonntag auch fit seid. Nein, Spaß. Ich finde es klasse, dass du deine Freunde eingeladen hast. Hoffentlich haben Dustin und Fynn auch bei der Vorbereitung geholfen.“

„Ja, auch Tim und Carlo haben geholfen. Vor allem beim Renovieren. Das war echt cool hier.“

„Sehr schön. Es freut mich, dass sie dich alle so nett aufgenommen haben. Es wurde höchste Zeit, dass du aus der Isolation im Hotel kommst. Jetzt lass uns reingehen und mit den anderen Spaß haben. Oder musst du noch länger draußen auf Gäste warten?“

„Nein, ich denke es sind jetzt wohl die meisten bereits anwesend. Ich komme mit rein.“

Wir gingen den Flur entlang und Justin ging direkt in den Garten. Ich wollte aber einen Blick in die Küche werfen, da ich dort Martina vermutete. Und ich wurde nicht überrascht. Martina machte die letzten Vorbereitungen für das Buffet zum Essen. Besonders gut gefiel mir, dass Tim und Carlo ihr dabei halfen.

„Hi Chris, schön dass du auch gekommen bist. Jetzt sind wir wieder alle vereint. Es ist schön, dass Justin jetzt auch hier wohnt.“

„Hallo zusammen. Sieht toll aus was ihr hier zaubert. Ja, Tim, das sehe ich auch so. Es wurde einfach Zeit, dass Justin zu euch kommt. Ihr versteht euch ja auch gut.“

„Möchtest du vielleicht einmal die Dips probieren?“, fragte Martina.

„Sehr gern.“

Sie gab mir einen kleinen Löffel und ich probierte alle vier Dips. Sie waren sehr unterschiedlich, aber alle gelungen.

„Wow, schmeckt klasse. Wer hat sich die ausgedacht?“

„Das sind alles Ideen von Tim und Carlo. Ich habe daran nicht mitgewirkt.“

„Super, davon hätte ich gern die Rezepte. Oder ist das geheim?“

Dabei wuschelte ich den beiden durch die Haare und erntete ein Lächeln der beiden. Gerade für Tim waren diese kleinen Anerkennungen sehr wichtig.

„Ich schreibe sie dir gern mal auf, wenn du möchtest.“

„Ja, gerne. Mach das bitte, Tim. Ich geh jetzt in den Garten. Mal schauen wer noch so gekommen ist. Bis gleich.“

Im Garten herrschte doch etwas mehr Trubel als ich erwartet hatte. Dort standen etwa fünfzehn junge Leute und unterhielten sich, Dustin hatte bereits den Grill angeworfen und Fynn unterstützte ihn beim Säubern des Grillrostes.

Dustin: Eine schöne Feier

Justins Einweihungsparty begann mit einer kleinen Panne. Als wir im Garten aufbauen wollten, stellten wir fest, dass unser Grill nicht mehr im Bestzustand war. Damit war grillen nicht mehr sicher möglich. Also musste Plan B her.

Martina hatte die Idee, im Club zu fragen. Dort standen immer zwei große Grills, die für unsere Feste benutzt wurden. Also rief ich Thorsten an und fragte ihn ob wir uns einen davon ausborgen durften. Thorsten hatte kein Problem damit, aber wir mussten die Roste noch gründlich reinigen.

Als Chris zum Abend eintraf, war Fynn immer noch mit dem Säubern beschäftigt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass wir nicht die richtige Methode hatten.

Chris kam zu uns an den Grill, natürlich mit einer Fassbrause in der Hand.

„Hey, da scheint jemand aber noch viel Arbeit vor sich zu haben. Der Rost sieht aber noch nicht so klasse aus.“

„Hi Chris“, stöhnte Fynn, „ja, das stimmt. Aber ich weiß auch nicht, wie man das besser sauber bekommt. Das klebt so heftig. Selbst mit der Drahtbürste geht das kaum ab.“

„Das stimmt. Ich gebe euch mal den Tipp, macht den Grill an. Und legt den Rost direkt über das Feuer. Das meiste brennt dann vom Rost ab und ihr könnt mit der Drahtbürste den Rest abschrubben.“

„Hey, das hört sich gut an. Darauf wäre ich nicht gekommen.“

Ich holte schnell die Briketts und den Anzündekamin. Damit würden wir sehr schnell eine schöne Glut bekommen.

Es dauerte nur wenige Minuten und der Rost lag inmitten der lodernden Flammen und die alten Reste brannten vom Rost ab. Dustin beobachtete das genau. Er wollte natürlich einen sauberen Rost haben, bevor das Grillgut aufgelegt wurde.

Ich war mittlerweile ins Haus gegangen und hatte Martina gebeten, mir das Fleisch und die Würstchen zu geben. Allerdings war ich doch etwas überrascht über die Mengen. Das würde ich niemals allein nach draußen schaffen können.

Carlo half mir die Sachen in den Garten zu bringen. Damit sie nicht warm wurden, hatte Martina bereits zwei Kühlboxen vorbereitet. Dort legte ich die Sachen dann hinein. Am Grill angekommen, züngelten die letzten Flammen am Rost. Chris schaute auch noch einmal nach dem Rechten.

„So, Jungs. Jetzt sieht der Rost doch gleich ganz anders aus. Die Glut ist auch klasse, es kann losgehen.“

„Nochmal Danke für den tollen Tipp mit dem Abflämmen. Sonst wäre ich wohl immer noch am Schrubben.“

„Gerne, da habt ihr wieder etwas gelernt für die Zukunft. Aber so langsam bekomme ich auch Hunger. Es kann also ruhig losgehen.“

„Oha“, kam Justin hinzu, „unser Drache wird hungrig. Da müssen wir schnell etwas dagegen tun. Hungrige Drachen sollen gefährlich sein.“

Ich musste lachen. Auch Chris gefiel dieser Spruch. Überhaupt wurde Justin immer lockerer seit er bei uns wohnte. Mir gefiel das gut. Für mich wäre das total schwer gewesen so lange abends immer allein sein zu müssen.

Chris war wieder ins Haus gegangen. Er wollte mit Martina noch etwas besprechen.

Justin hatte auch ein paar Freunde von uns eingeladen, die er mittlerweile kennengelernt hatte. Dadurch war im Garten gut was los. Justin hatte an alkoholischen Getränken nur etwas Bier besorgt. Martina hatte uns auch noch einmal an das wichtige Spiel am Sonntag erinnert. Sie hatte Sorge, dass sich einer von uns zu viel Alkohol einverleiben könnte. Das hatten wir aber im Vorfeld geklärt. Wir drei wollten komplett bei alkoholfreien Getränken bleiben. Das wäre sehr unvernünftig, jetzt Alkohol zu trinken. Was ich interessant fand, Chris hatte es uns nicht extra verboten, aber ich wollte nicht wissen was passieren würde, wenn wir jetzt nicht mit der richtigen Einstellung auffallen würden.

Ich hatte mittlerweile die ersten Steaks aufgelegt und stand mit meinem Schatz und einer Fassbrause in der Hand am Grill, als Chris zu uns kam.

„Mhh, das riecht schon gut. Justin hat ja auch andere Jugendliche eingeladen. Kennt ihr die? Wo hat er die kennengelernt?“

„Ja, Chris. Die kennen wir auch alle. Die meisten sind aus unserer Clique. Wir haben Justin ja auch häufiger mal mit zum Billard genommen. Ich finde es klasse, dass er sie eingeladen hat.“

„Ja, das ist schön. Er hat also auch hier mittlerweile Freunde gefunden, die nichts mit Tennis zu tun haben.“

Tim, Carlo und Martina kamen mit den Salaten nach draußen und Chris ging ihnen direkt zur Hand, um das Buffet aufzubauen. Ich konnte vom Grill nicht weg, aber Fynn half auch mit. So hatten wir das schnell erledigt und ich ließ mir dann auch bald eine Schale für die fertigen Steaks bringen.

Bevor das Essen begann, sollte Justin das Buffet offiziell eröffnen. Er zierte sich ein wenig, eine kleine Rede zu halten. Seine Sorge war sein Deutsch. Eigentlich vollkommen unbegründet, denn sein Deutsch war viel besser geworden und es wusste doch auch jeder von den Gästen, dass er erst wenige Monate in Deutschland weilte.

Erst hatte er Chris gebeten, die Eröffnung zu machen, aber Chris hatte das abgelehnt. Jetzt hatte er mich gefragt. Ich stand allerdings am Grill und konnte hier auch nicht weg. Fynn hatte ihm dann klargemacht, dass er es einfach machen solle. Chris würde ihm sicher helfen, falls es notwendig sein sollte. Darauf ließ sich Justin dann ein.

Cool war die Idee wie er sich Gehör verschaffte. Er nahm den alten Gong, der in der Küche hing und den Martina manchmal benutzte, wenn es zu laut wurde.

Er schlug zweimal den Gong und alle Augen richteten sich auf Justin. Er legte den Gong aus der Hand und wirkte überhaupt nicht mehr so selbstsicher wie sonst. Chris hatte sich etwas hinter ihm positioniert und nickte ihm mit einem Augenzwinkern zu.

„Ähm, willkommen liebe Freunde. Heute möchte ich mich an dieser Stelle bei meinen Freunden Fynn, Dustin, Maxi, Tim und Carlo bedanken. Ihr habt es erst ermöglicht, dass ich mit euch gemeinsam unter diesem Dach leben kann. Für diese Hilfe bin ich sehr dankbar. Heute wollen wir zusammen ein wenig feiern und die Zukunft einläuten. Bevor mich Dustin steinigt, weil ich Chris noch nicht erwähnt habe, möchte ich das an dieser Stelle tun.“

Jetzt drehte er sich um und bat Chris zu ihm zu kommen.

„Du bist immer für uns ansprechbar, egal ob es ein Problem beim Tennis oder ein Problem des Alltags ist, du hast immer eine rettende Idee. Deshalb habe ich mir gedacht, dir ein kleines persönliches Geschenk zu machen. Was das ist, sehen wir gleich. Jetzt möchte ich dir aber noch Dank sagen für die tolle Chance, die ich hier bekommen habe. Ihr habt mich einfach aufgenommen und ich durfte hier Freunde finden.“

Jetzt gab er Carlo ein Zeichen und dieser brachte einen großen, schweren Karton auf einem Rollbrett nach vorne.

„Danke, Carlo. Also Chris, damit du es mit uns auf den weiteren Reisen besser aushalten kannst, habe ich für dich das hier besorgt.“

Er zeigte auf den großen Karton und bat Chris nun, ihn aufzumachen.

Chris wirkte ehrlich überrascht und als er den Karton öffnete, begann er laut und herzlich zu lachen. Er drehte sich zu Justin um und umarmte ihn.

„Hey, Leute. Das ist ja Nervennahrung für Monate. Da sollten wir so manche Reise unternehmen können. Sogar Fassbrause mit Waldmeistergeschmack ist dabei. Vielen Dank, Justin. Die anderen Jungs werden es dir danken. Damit könnt ihr mich, falls mal nötig, gut besänftigen.“

Wie Justin das angestellt hatte, war mir ein völliges Rätsel. Gesagt hatte er uns jedenfalls davon überhaupt nichts. Umso schöner fand ich diese Idee.

Chris fragte in die Runde ob jemand auch eine Fassbrause möchte und es meldeten sich doch einige der Gäste, die neugierig wurden. Also ging Chris ins Haus und verschwand für einige Minuten.

Mir kam es schon sehr komisch vor, dass er so lange im Haus geblieben war. Und plötzlich tauchte er wie ein Phönix aus der Asche wieder auf. Mit zwei Körben voller Flaschen Fassbrause. Und er kam nicht allein wieder nach draußen.

Mir wären fast die Steaks auf dem Grill verbrannt, aber Fynn hatte aufgepasst und sie schnell vom Rost genommen.

Luc und Stef standen grinsend neben Chris und so sprachlos hatte ich meinen Freund schon ewig nicht mehr erlebt. Erst als Chris gesagt hatte:

„Ich habe übrigens draußen noch zwei Gäste aufgegabelt, die wollten mit euch feiern. Ich hoffe mal, dass das in Ordnung war, sie mitzubringen.“

Da lief Fynn auf sie zu und umarmte beide sehr herzlich. Chris lachte und kam zu mir an den Grill:

„Los, Dustin. Ich löse dich mal für die Begrüßung am Grill ab.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und begrüßte unsere Freunde aus der Schweiz herzlich.

„Das ist ja ne Überraschung und Chris hat uns überhaupt nichts davon gesagt. Wie cool.“

„Hi Dustin“, antwortete Luc mit einem Grinsen, „Chris konnte euch nichts sagen, da er auch erst vor zwei Stunden davon erfahren hatte. Wir wussten nicht, dass heute diese Feier ist. Aber Chris meinte dann, dass wir sicher gerngesehene Gäste wären.“

„Und dann hat er euch gleich mitgebracht oder wie?“

„Nein, er hat uns erst im Sportpark untergebracht und ist schon vorgefahren, damit es eine echte Überraschung wird und wir vor allem noch duschen konnten.“

„Diese Überraschung ist euch aber wirklich gelungen. Mega cool. Was möchtet ihr trinken?“

„Natürlich eine Fassbrause. Wir müssen ja schließlich dafür sorgen, dass ihr am Wochenende deutscher Meister werdet. Da wollen wir fit sein. Außerdem sind wir mit dem Auto da.“

„Echt? Ihr seid mit deinem Camaro gekommen? Die weite Fahrt?“

„Hahaha, nein. Das hätte Papa nicht erlaubt. Dafür ist er schon zu alt. Auch wenn er perfekt hergerichtet ist.“

„Aber von euch zu Hause ist das mit dem Auto eine weite Fahrt.“

„Das stimmt, aber wir sind auf der Durchreise nach München. Da hat uns Papa eins seiner Autos geliehen.“

Was ich komplett vergessen hatte, Chris stand die ganze Zeit am Grill. Das war eigentlich meine Aufgabe gewesen. Als ich mit Luc und Stef dorthin kam, war das Fleisch bereits fertig und Chris hatte schon alles auf der großen Platte deponiert.

„Sorry, Chris. Wir haben uns festgequatscht und ich habe dann vergessen, dass ich am Grill stehen sollte.“

„Ist schon ok, Dustin. Da es besonderer Besuch ist, lasse ich das mal durchgehen. Aber nicht, dass ich jetzt ständig irgendwas für euch übernehmen muss. Eigentlich bin ich heute Gast.“

Ich hatte sofort die rettende die Idee und griff in einen der Körbe, die Chris vorhin mitgebracht hatte, öffnete ihm eine frische Fassbrause und reichte sie ihm.

„Danke schön. Du hast schnell begriffen wie das Spiel läuft. Los, mach dich mit eurem Besuch vom Acker. Wir wollen endlich anfangen mit Essen.“

Natürlich saßen Luc und Stef neben Fynn und mir. Justins Freunden stellten wir Luc als Lucien Maergener vor. Wir wussten, dass es ihm unangenehm war Fremden gegenüber direkt mit seinem berühmten Vater angesprochen zu werden. Das respektierten wir natürlich und auch Chris hielt sich sehr bedeckt im Umgang mit Luc. Sie redeten zwar viel miteinander, aber das Thema blieb entweder bei seinem Studium und Ausbildung oder eben beim Tennis.

Erst als Carlo plötzlich aufgeregt wieder in den Garten kam und Tim erklärte, dass vorne auf dem Parkplatz ein echter Ferrari stehen würde, wurden die anderen neugierig. Chris fing an zu lachen und tippte Luc auf die Schultern:

„Na, ich glaube deine Tarnung ist spätestens jetzt aufgeflogen. Und ich nehme an, dass Marc dich damit nach München geschickt hat, damit Karl wieder einmal Hand an seine Kunstwerke legen soll. Oder?“

Luc lachte und nickte dabei.

Mittlerweile waren unsere Freunde und natürlich Carlo und Tim nach vorn gelaufen. Justin war auch mit. Nur Martina, Fynn, Chris, Maxi und natürlich Stef und Luc waren am Tisch geblieben.

„Solltest du nicht besser mal schauen gehen? Nicht, dass sie dem Auto zu nahe kommen und etwas kaputt geht.“

Mir war der Gedanke nicht geheuer. Aber Luc und auch Chris sahen das anders. Luc reagierte sehr gelassen:

„Und wenn schon, dann wird es für sie sehr teuer. Aber ich glaube Carlo wird genau aufpassen. Ich befürchte nur, dass ich gleich erklären muss, wie ein Student sich so ein Auto leisten kann.“

„Na, ich glaube, unsere Gäste werden sehr gut verstehen, warum du dich so verhältst. Aber sag ihnen einfach die Wahrheit. Du wirst uns ja noch häufiger besuchen und der ein oder andere wird dich dann auch wieder treffen. Wir werden sie bitten, es entsprechend zu behandeln. Das sollte klappen.“

Wir nickten sofort und sagten Luc unsere Unterstützung zu.

Jetzt warteten wir nur noch darauf, dass die anderen wieder zurück kommen würden. Der Vorteil war, wir hatten genug Steaks für uns und konnten richtig zuschlagen.

Mit der Situation waren unsere Freunde, die Luc noch nicht kannten, erst etwas überfordert, aber dann wurden Stef und Luc voll integriert und der Abend wurde noch sehr lustig. Selbst Chris lachte immer wieder und erzählte auch ein paar Anekdoten aus der Zeit bevor er zum Breakpoint Team kam.

Chris: Bundesliga und Besuch aus der Schweiz

Mit der Überraschung von Luc und Stef hatte ich nicht gerechnet. Allerdings passte mir diese Überraschung gut. Justin, Dustin und Fynn wurden dadurch ein wenig von der spannenden Situation abgelenkt.

Am Samstag waren alle Spieler zum Training gekommen. Auch Dustin, Fynn und Justin waren pünktlich am Platz. Thomas und ich hatten über die Aufstellung noch nicht endgültig gesprochen. Luc und Stef saßen auf der Tribüne und beobachteten genau, wie die drei mit den anderen spielten.

Thorsten hatte einen Termin zur Besichtigung der Wohnung organisiert. Allerdings erst nach dem Abschlusstraining. Also beobachteten wir, wie sich die Mannschaft auf den Sonntag vorbereitete. Thomas fragte mich plötzlich:

„Hast du mit Gerry schon gesprochen? Er möchte, dass morgen deine Jungs erneut spielen. Genau wie letzte Woche. Ich weiß nicht, ob das gut gehen wird. Wir haben mit Joao Sousa und Daniel Munoz de la Nava zwei sehr gute Leute. Und vielleicht kann Niko Basilashvili auch spielen. Ich denke, dass das die bessere Aufstellung wäre. Wie siehst du das?“

„Ganz ehrlich, die Jungs haben letzten Sonntag klasse gespielt und gezeigt, dass sie das Niveau halten können. Gerade auch im Doppel. Ich würde es begrüßen, wenn sie morgen erneut alle drei spielen. Ich wäre jetzt dafür, dass Justin und Fynn Einzel spielen und Dustin mit Fynn Doppel spielt.“

„Ich sehe das anders. Daniel, Niko und Joao schätze ich stärker ein. Wobei Niko morgen eher unwahrscheinlich hier sein wird.“

„Dann lass doch Daniel und Joao an eins und zwei Einzel spielen und Tim spielt Doppel. Entweder mit Justin oder Daniel.“

Ich war mir nicht sicher ob das die richtige Aufstellung sein würde. Aber mit diesem Kompromiss war ich einverstanden. Also einigten wir uns auf diese Variante. Nachdem alle zwei Stunden trainiert hatten, holten wir sie zusammen und stellten ihnen unsere Pläne für den Sonntag vor.

Thorsten war ebenfalls bei dieser Besprechung dabei und stimmte dieser Möglichkeit zu. Also würden wir am Sonntag so aufstellen.

Thorsten wollte direkt mit mir aufbrechen, um mir die Wohnung zu zeigen. Aber Dustin und Fynn hatten noch ein Anliegen.

„Was ist wenn wir morgen spielen und unseretwegen nicht gewinnen? Immerhin geht es um die Meisterschaft. Wir möchten nicht allein Schuld haben, wenn es nicht klappt.“

„Also, damit das klar ist. Ihr habt überhaupt keine Schuld. Wir gewinnen gemeinsam und wir verlieren gemeinsam. Jeder gibt sein Bestes. Ich bin aber der Meinung, dass ihr momentan richtig gut im Spielrhythmus seid. Ihr spielt so gut wie ihr könnt, alles andere ist meine Verantwortung. Setzt euch nicht so unter Druck, nur weil es morgen um die Meisterschaft geht. Wir stehen hinter euch.“

„Wer ist „Wir“? Thomas möchte es ja lieber anders.“

In diesem Moment kam Thorsten hinzu.

„Passt mal auf. Thomas hat euch in letzter Zeit nicht gesehen. Gerry Weber hat euch aber beobachtet und hat sich dazu mir gegenüber klar geäußert. Er wird morgen vor dem Spiel mit Thomas noch einmal sprechen. Wir wissen was ihr könnt und sind uns ganz sicher, dass ihr euch nicht verstecken müsst. Vor allem kennt euch der Gegner nicht. Ich bin mir sicher, dass ihr morgen ein sehr starkes Match zeigen werdet. Chris und ich haben uns daher für diese Variante entschlossen. Also wenn das schiefgehen sollte, dann war das unsere Entscheidung und unsere Verantwortung. Da ich aber auch Gerrys Meinung kenne, könnt ihr beruhigt schlafen gehen. Macht euch keinen zusätzlichen Druck. Das klappt ganz sicher.“

„Ok, wir möchten nicht, dass es unseretwegen Streit gibt. Was ist eigentlich, wenn Niko und Jan morgen hier sind? Dann ist doch Niko sicherlich gesetzt, oder?“

„Ja, das wäre die einzig denkbare Möglichkeit bei der sich noch etwas ändern könnte. Ansonsten richtet euch darauf ein, dass ihr wie besprochen spielen werdet. Wie weit seid ihr mit euren Tests der neuen Schläger? Habt ihr euch schon entschieden?“

„Ja, eigentlich schon. Ich bin mir nur nicht sicher ob ich morgen mit dem neuen Schläger spielen soll oder nicht.“

Fynn hatte sich für ein Modell entschieden, aber wir hatten nur zwei Testschläger pro Modell. Dustin schwankte noch und hatte deshalb das heutige Training noch mit dem alten Schläger gemacht. Justin hatte sich für das gleiche Modell wie Fynn entschieden. Jetzt war guter Rat teuer.

„Also, ich würde euch empfehlen, morgen mit dem alten Modell zu spielen. Wir haben vom neuen Modell nur wenige Schläger zur Verfügung. Da darf keine Saite reißen, sonst müsst ihr während des Matches das Modell wechseln.“

Damit waren sie meiner Meinung und so wollten sie es auch machen. Dustin und Justin hatten noch zwei Schläger zum Besaiten abgegeben. Fynn hatte seine Schläger noch am Freitag abgegeben und heute zurückbekommen.

Thorsten wurde langsam ungeduldig, denn er hatte die Zeit im Nacken und bat mich mitzukommen. Also verabschiedete ich mich von den Jungs und ging mit Thorsten zum Parkplatz.

Luc und Stef wollten heute Abend bei den Jungs bleiben. Das fand ich vollkommen in Ordnung. Hatte aber darauf hingewiesen, dass spätestens um halb zwölf für die Jungs Bettruhe angesagt war.

Als wir bei mir im Auto saßen, fragte mich Thorsten:

„Was würden die Jungs eigentlich machen, wenn du nicht für sie verantwortlich wärst?“

„Vollkommen klar, sie würden sich jemand anderen suchen oder sie würden von euch jemand anderen bekommen. Also da bin ich mir absolut im Klaren darüber, dass ich nicht unersetzlich bin.“

„Blödmann, so habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich meinte…“

„Klar, ich weiß. Du bist der Meinung, dass sie sich immer auf mich verlassen. Aber das dürfen sie bis zu einem gewissen Punkt auch. Dafür bin ich ja da, ihnen so viel beizubringen, dass sie das bald alles allein können oder zumindest weitestgehend allein. Und ich achte auch darauf, dass sie es mehr und mehr eigenverantwortlich können.“

Thorsten schaute mich fragend an.

„Ja, ist so. Schau mal, ich muss sie nicht mehr darauf hinweisen, dass sie auf einer Feier während der Turniersaison keinen Alkohol konsumieren sollten. Das wissen sie mittlerweile, teilweise auch aus leidvoller Erfahrung. Oder dass sie heute Abend nicht bis in die Puppen mit Luc und Stef unterwegs sind. Ich kann mich hundertprozentig darauf verlassen. Sowohl bei meinen Jungs als auch bei Stef und Luc. Sie halten sich bislang sehr gut an gemachte Deals.“

„Okay, du musst hier vorne rechts abbiegen.“

Das tat ich und nach weiteren fünfhundert Metern standen wir vor einem schönen Einfamilienhaus.

Ich war verblüfft, denn es war von einer kleinen Mietwohnung die Rede gewesen.

„Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?“

„Ja, absolut. Komm einfach mit und du wirst es verstehen.“

Thorsten ging vor und ich folgte ihm einfach. Er klingelte an der schönen, modernen Eingangstür. Die Tür öffnete sich und eine Frau um die vierzig stand vor uns. Sie begrüßte Thorsten sehr freundlich.

„Hallo Thorsten, hallo Chris, kommt herein. Möchtet ihr vielleicht einen Kaffee?“

Thorsten schaute mich an und ich nickte. Allerdings war ich nun komplett verwirrt. Woher kannte die Frau unsere Namen? Ich konnte mit diesem Gesicht irgendwie nicht viel anfangen.

„Es ist schön zu sehen, wenn du einmal vollkommen ahnungslos bist. Das ist Frau Büscher. Sie ist die Mutter eines unserer Jugendlichen. Und da der Student, der in der Souterrainwohnung gewohnt hatte, mit dem Studium fertig ist, steht sie leer. Und da wir mal im Verein angefragt hatten, ob jemand eine Wohnung zur Verfügung hat, hatte sie sich gemeldet. Ihr Sohn spielt mit Tim und Carlo in einer Mannschaft, daher kannte sie dich auch bereits.“

In diesem Augenblick kam Frau Büscher mit zwei Kaffee zurück.

„Bitte sehr, Thorsten hatte gesagt ohne alles. Ich hoffe, dass ist so richtig.“

„Ja, vielen Dank. Das ist genau passend.“

„Schön, das freut mich. Dann können wir meinetwegen in die Wohnung gehen. Sie ist noch nicht wirklich vorbereitet, aber zum Anschauen sollte es reichen.“

Wir folgten ihr die Treppe hinunter und kamen in einen hell gefliesten Flur. Von dort gingen wir auf eine stabile Holztür zu. Frau Büscher schloss die Tür auf und wir betraten einen recht großen Flur. Das hatte ich nicht erwartet. Eine weitere Überraschung war der eigene Eingang seitlich am Haus.

„Schon mal vorab. Diese Zwischentür ist normalerweise immer abgeschlossen. Wir hatten das Untergeschoss mal für meinen Mann als Büro geplant, aber dann hat er sich mit einem Freund zusammengetan und wir brauchten es nicht mehr. Deshalb ist diese Tür hier noch drin. Sie wird aber eigentlich nicht mehr benutzt.“

Auf dem Flur stand ein schönes Sideboard und hing ein großer Spiegel. Der Spiegel brachte einiges an Licht in den dunklen Flur. Mir gefiel das.

Sie zeigte uns das Tageslichtbad mit einer großen, ebenerdigen Dusche und einer Toilette. Vom Flur gingen drei weitere Türen ab. Hinter der einen Tür lag das sehr schöne und helle Wohnzimmer. Der Clou, eine kleine Tür mit einer Treppe in den Garten. Für ein Souterrain gab es viel Tageslicht in dem Raum.

Das Schlafzimmer hatte deutlich kleinere Fenster und daher auch weniger Helligkeit. Das war mir beim Schlafzimmer auch überhaupt nicht wichtig. Sehr schön gefiel mir die kleine, aber sehr gut ausgestattete Küche. Sie wurde mit der Wohnung vermietet. Es gab eine Satellitenanlage für das gesamte Haus. Die Anschlüsse für Internet, Sat-Anlage und Telefon waren bereits vorhanden. Also alles in allem eine sehr schöne Wohnung. Außerdem gefiel mir das freundliche Auftreten von Frau Büscher. Es war mir sehr wichtig, mit dem Vermieter gut auszukommen.

Es gab im Flur, Küche und Bad einen hellen Fliesenboden, im Wohnzimmer lag ein Laminat, das mir allerdings gar nicht gefiel. Da würde ich entweder verschiedene Teppiche drüber legen oder mit der Vermieterin über ein neues Laminat verhandeln.

Außerdem gab es noch eine Waschküche mit Trockenraum für die Wäsche.

„Bevor du dir weitere Gedanken machst, für dein Motorrad wäre auch gesorgt. Du kannst es neben der Garage unterstellen. Dort stehen auch unsere Fahrräder.“

„Cool, ihr habt echt an alles gedacht. Fast zu schön, um wahr zu sein. Wo ist der Haken?“

Thorsten fing an zu lachen und auch Frau Büscher schmunzelte. Thorsten fing sich wieder und sagte:

„Siehst du, was habe ich dir gesagt?“

„Äh, was habe ich verpasst?“, fragte ich.

„Nichts, alles gut. Wie findest du die Wohnung? Könntest du dir das vorstellen?“

„Die Wohnung ist toll, aber sie dürfte nicht zu bezahlen sein. Mit der Ausstattung und allem drum und dran. Ich habe ja auch noch meine Wohnung, die muss ebenfalls bezahlt werden.“

„Sie würde dir aber gefallen?“

„Ja, gar keine Frage. Aber ich möchte mich nicht aus meinem Ort komplett verabschieden. Zumindest noch nicht. Und zwei Wohnungen kann ich mir einfach nicht leisten. Jedenfalls nicht in dieser Kategorie.“

„Kristin, wie schon erwartet, kann sich Chris nicht so schnell entscheiden. Ich werde das mit ihm noch besprechen, aber halte mir die Wohnung bitte frei. Chris hat noch nicht alle Fakten bekommen und wir haben an diesem Wochenende auch noch das Bundesliga Finale.“

„Kein Problem, Thorsten. Wir werden auch am Sonntag da sein. Ein weiterer Titel wäre toll. Und erst recht mit den jungen Spielern.“

Wir verabschiedeten uns und stiegen wieder in mein Auto.

„Ich glaube, wir haben da noch etwas zu klären. Hatte dir Jan denn nichts über die Wohnung erzählt?“

„Nein, warum sollte er denn auch?“

„Weil es eigentlich seine Idee war. Er wollte dir das vorschlagen und dir auch erklären, wie wir uns das gedacht haben.“

„Aha und nein. Ich habe keine Ahnung von was du sprichst. Aber wenn ihr darüber gesprochen hattet, wirst du mir das ja auch erklären können.“

„Das will ich gerne machen. Also pass auf, du fährst ja mittlerweile fast täglich nach Halle. Das sind jeden Tag eine Stunde Zeit, die dir im Auto verlorengeht. Gut, wir bezahlen dir eine Kilometerpauschale, aber die viele Zeit können wir dir nicht zurückgeben. Jan hatte die Idee, dir diese Wohnung zur Verfügung zu stellen. Damit sparen wir viele Kilometer bei deinem Dienstwagen, du sparst viel Zeit und wir schonen auch noch die Umwelt. Du kannst also deine Wohnung behalten so lange du möchtest und dennoch von Halle aus zur Arbeit fahren.“

Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Entsprechend sprachlos saß ich hinter dem Steuer. Das war Jans Idee?

„Hm, das ist schlüssig. Das gefällt mir. Ich weiß nur noch nicht wie das mit dem Einzug gehen soll. Ich bin die nächsten drei Wochen ständig unterwegs.“

„Das läuft uns nicht weg. Nur die Wohnung läuft weg, wenn wir nicht schnell zusagen. Dafür ist sie zu gut. Gerade von der Lage her.“

„Allerdings. Es ist eine tolle Wohnung, sie gefällt mir gut.“

Thorsten holte sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer. Ich konzentrierte mich wieder auf den Verkehr.

„Hi Kristin, Thorsten hier. Ich wollte nur sagen, Chris wird bei euch einziehen. Machst du bitte den Mietvertrag fertig und bringst mir den ins Büro. Die Details klären wir später.“

Thorsten machte aber auch gar keine Gefangenen. Als er das Handy wegsteckte, grinste er mich an.

„So, damit du es dir nicht noch anders überlegst. Du ziehst dort ein. Fertig. Wie das alles geht und wann, das klären wir noch. Da du ja deine Wohnung behalten wirst, brauchst du eh eine neue Einrichtung. Der Umzug als solches, fällt also nicht so groß aus.“

„Du denkst aber auch an alles. Nur, damit ich näher bei euch bin.“

„Klar, wir können dich dann auch viel mehr einspannen. Du bist ja immer in der Nähe.“

Bei jedem anderen wäre ich jetzt sauer geworden. Hier mussten wir beide nur lachen und meine Stimmung stieg von Minute zu Minute. Dieser Gedanke gefiel mir immer besser, je länger ich darüber nachdenken musste.

„Aber den Jungs erzählen wir das bitte erst, wenn alles in trockenen Tüchern ist und der Einzug konkret wird. Ich möchte unseren Fokus auf die anstehenden Turniere legen und nicht auf meinen Umzug.“

„Ja, sicher ein guter Gedanke. Jetzt fokussieren wir uns aber auf das Bundesligafinale. Hast du heute noch etwas zu erledigen oder fährst du jetzt nach Hause?“

„Ich fahre nach Hause und werde zur Entspannung noch eine Runde Motorrad fahren. Morgen wird ganz sicher kein Urlaubstag.“

„Hahaha, nein. Das hast du richtig erkannt. Pass gut auf dich auf, wir brauchen dich morgen. Keine wilden Sachen mehr, bitte.“

Dabei mussten wir beide lachen. Thorsten stieg an der Anlage aus und ich machte mich direkt auf den Heimweg.

Zu Hause machte ich mir dennoch zuerst einen schönen Tee. Das ist bei mir zu einem kleinen Ritual geworden. Bevor ich nach einem anstrengenden Tag auf das Motorrad stieg, nahm ich mir eine Auszeit. Fünfzehn Minuten, um zur Ruhe zu kommen und sich auf das Motorrad einzustellen.

Danach zog ich meine Kombi an und holte die Panigale aus der Garage. Schon wieder waren einige Tage vergangen, ohne dass ich sie bewegt hatte. Stillstand quittierte sie meistens mit sehr launischem Kaltlaufverhalten.

Ich schaltete die Zündung ein und wartete bis die Benzinpumpen Druck aufgebaut hatten. Dann drückte ich den Anlasser und der Zweizylinder erwachte. Schnell beruhigte sich der Lauf und für eine kalte Ducati hörte sie sich gut an.

Diese Minuten nutzte ich jetzt, um meinen Helm und die Handschuhe anzuziehen und im Anschluss auf die Straße zu rollen. Ich freute mich auf diese Ausfahrt.

Die ersten Kilometer fuhr ich die Reifen warm und gewöhnte mich wieder an diese Maschine. Danach drehte ich entschlossener am Gashahn und die Panigale flog nach vorn. Immer wieder faszinierend, was für eine Kraft dieses Gerät freisetzte. Mein Puls ging hoch und alle Sensoren im Körper waren in Alarmstellung. Beim Motorradfahren durfte man keine Sekunde unaufmerksam sein. Aber dann machte es auch großen Spaß.

Spontan hatte ich mich entschieden, etwas essen fahren zu wollen. Mir war nach etwas italienischem und ich wusste auch sofort wo ich mit den Motorradsachen auch willkommen war.

Als ich die Maschine auf dem Parkplatz von Carlos Eltern abgestellt hatte, fühlte ich mich gut. Der Kopf war wieder frei und beim Öffnen der Jacke strömte frische Luft in meine Lungen. Der Auspuff knisterte und ich nahm meinen Helm, die Handschuhe und den Nierengurt mit in Richtung Eingang.

Der Parkplatz war gut gefüllt. Hoffentlich würde ich noch einen Tisch bekommen. Carlo hatte mir vor einiger Zeit geraten, an den Wochenenden zu reservieren.

Ich betrat den Gastraum, schaute mich um und war beruhigt. Es war noch Platz. Carlos Mutter kam auf mich zu. Sie hatte mich wohl noch nicht erkannt und wollte schon fragen, als sich ihr Mund zu einem Lachen formte und sie mich einfach zur Begrüßung umarmte.

„Hallo Chris. Das ist aber eine schöne Überraschung. Darf ich dir diesen Tisch anbieten.“

Es war ein schöner Tisch, von dem ich nach draußen schauen und die Enten auf dem See beobachten konnte.

Ich hatte meine Jacke über den Stuhl gehängt und meinen Helm auf die Ablage am Fenster gelegt, als Carlos Mutter zurückkam und mir die Karte gab.

„Hast du schon einen Getränkewunsch?“

„Ja, danke. Ich hätte gern ein Ginger Ale.“

„Sehr gern. Wie geht es dir? Ich hoffe, Carlo macht euch nicht zu großen Stress. Er war schon traurig, als er uns berichtet hatte, dass du nicht mehr sein Trainer bist.“

„Ich kann es mir gut vorstellen. Das war auch der einzige Punkt, der mir bei dieser Sache überhaupt nicht gefallen hat. Aber man muss realistisch bleiben. Ich bin noch weniger in der Base und gerade Tim und Carlo brauchen einen festen Coach. Mit Marco haben wir genau den richtigen für die beiden gefunden. Das wird gut werden, ganz sicher. Außerdem werde ich immer für beide da sein, sollte ich in Halle sein. Und falls es mal Probleme geben sollte, kann er mich immer ansprechen.“

„Genau das haben wir ihm auch gesagt. Er war unsicher, ob er das noch dürfte, wenn du nicht mehr für ihn verantwortlich wärst.“

„Immer. Er kann mich immer ansprechen. Egal, wo ich bin. Sollte Carlo meine Hilfe oder meinen Rat brauchen, kann er sich überall bei mir melden. Sag ihm das noch einmal, bitte.“

„Das werde ich machen. Ganz bestimmt. Hast du schon etwas aus der Karte gefunden oder dürfen wir dich heute Abend einmal mit etwas Schönem überraschen?“

„Oh, das hört sich spannend an. Aber du musst bitte daran denken, dass ich keinen Alkohol in meinem Essen haben darf. Auch in den Soßen nicht. Dann lasse ich mich gern überraschen.“

„Oh, sehr schön. Da wird sich mein Mann freuen, wenn ich ihm erzähle, dass du heute als Gast hier bist und er dich überraschen soll.“

Leider stellte ich erneut fest, dass eine Motorradkombi zum Essen denkbar ungeeignet ist. Ich hatte zwar schon seit vielen Jahren kein Leder mehr sondern Textilmaterialien, aber dennoch war bequem anders.

Nachdem ich ein Potpourri verschiedenster und exzellenter Pasta erhalten hatte, kamen Carlos Eltern an meinen Tisch. Sie brachten mir einen Latte Macchiato mit und setzten sich zu mir. Dieses Gespräch wurde sehr interessant, aber auch sehr lustig. Ich erhielt doch einige Informationen über Carlo und seine Art, wie er mit dem Trainerwechsel umging.

Nach einer guten halben Stunde bedankte ich mich für das hervorragende Essen und ließ mir die Rechnung geben.

Typisch für Carlos Eltern hatten sie mir nur ein Standardessen von der Karte berechnet. Dafür legte ich einen Schein einfach auf den Tisch als ich nach vorn ging, um mich zu verabschieden.

„Vielen Dank für den netten Abend bei euch und seid unbesorgt, Carlo wird mit Marco gut zurechtkommen. Aber sagt Carlo auch, er soll sich weiterhin an mich wenden, wenn er Probleme bekommen sollte. Ich werde immer ein offenes Ohr für ihn haben.“

Fynn: Es wird ernst

Die letzte Nacht vor dem Finale hatte ich sehr unruhig geschlafen. Auch Dustin war nicht minder angespannt. Heute Morgen fehlte mir Chris. Er hätte uns ganz sicher beruhigt und aufgefangen. Aber wir waren in der WG allein. Luc und Stef würden direkt zur Anlage kommen und auch Chris war erst dort für uns da.

„Komm, lass uns schnell zur Anlage fahren. Ich bin so nervös vor diesem Spiel. Hier drehe ich am Rad. Das gibt noch ein Unglück.“

Ich schaute Dustin an und musste lachen. Er hatte das so trocken ausgedrückt, aber im Grunde hatte es den Nerv getroffen. Mir ging es genauso, nur Justin schaute uns verständnislos an. Er hatte seinen Kaffee noch nicht ausgetrunken und ohne Kaffee würde Justin das Haus nicht verlassen.

„Kannst du deinen Kaffee nicht einfach austrinken? Ich möchte hier weg. Zu den anderen in den Club.“, drängelte Dustin.

„Nun reg dich ab. Wir haben noch reichlich Zeit und wenn ihr es so eilig habt, dann fahrt doch einfach schon. Ich kenne den Weg und schaffe es auch allein, zum Platz zu kommen.“

Sein Grinsen verriet mir, dass er mit Dustin spielte. Das war allerdings in dieser Situation nicht klug.

„Komm, Dustin. Er will dich doch nur ärgern. Wir nehmen unsere Taschen und fahren einfach. Wenn er zu spät kommt, ist er selbst schuld.“

Dabei drehte ich Dustin in Richtung Tür und schob ihn vor mir her. Draußen hatte sich Dustin wieder beruhigt und fuhr neben mir her.

Plötzlich rauschte Justin von hinten an uns heran und bremste ab. Bevor Dustin etwas sagen konnte, begann Justin:

„Sorry, Jungs. Ich habe echt nicht gedacht, dass ihr wirklich so aufgeregt seid. Ich wollte mir einen Spaß machen. Tut mir leid.“

Dustin akzeptierte diese Entschuldigung ohne weiteren Kommentar. Ich war mir sicher, dass Justin genau gewusst hatte, sollte Chris von dieser Aktion erfahren, wäre ihm ein Elfmeter sicher gewesen. Das wollte er dann doch nicht haben.

Chris mochte diese Spielchen vor einem Match überhaupt nicht, zumal Justin auch gewusst hatte, dass Dustin vor einem wichtigen Spiel immer sehr angespannt war.

Wir rollten durch das große Eingangstor an der Anlage und ich konnte das Motorrad von Chris bereits auf dem Parkplatz erkennen. Den Ferrari von Luc konnte ich nicht sehen, aber dafür Luc und Stef, die bereits auf uns zu warten schienen. Sie standen vor dem Spielereingang auf dem Rasen. Thorsten war bei ihnen und entsprechend flapsig fiel ihre Begrüßung aus. Wir waren fünfzehn Minuten zu früh eingetroffen.

„Wow, Fynn. Ihr seid aber früh heute.“

Thorsten schaute demonstrativ auf seine Uhr als er das gesagt hatte.

„Er wollte uns nur beweisen, dass er auch früh aufstehen kann.“, nahm mich Stef in Schutz.

„Leute, guten Morgen. Ich bin so aufgeregt, dass ich unbedingt schon hierher fahren wollte. Ich muss mich beschäftigen.“

„Dann geht doch einfach schon mal eine Runde laufen. In zwanzig Minuten treffen wir uns auf dem Center zwei.“

Wo kam diese Stimme denn her? Ich schaute mich um und da kam Chris gerade die Treppe vom Clubhaus herunter. Er kam zu uns und begrüßte jeden von uns mit einer Umarmung. Diese Vertrautheit hatte mir gefehlt. Sofort fühlte ich mich besser und ging beruhigt mit Dustin und Justin in die Umkleide.

„Hast du den alten Benz auf dem Parkplatz gesehen?“, fragte mich Justin.

„Äh, nein. Warum sollte ich das? Gehört der einer wichtigen Person?“

„Allerdings, das ist Jans Oldtimer. Da bin ich ganz sicher.“

„Jan? Aber der ist doch mit Niko beim Turnier.“

In diesem Augenblick kam Chris zu uns in die Umkleide.

„Bevor ihr euch den Kopf zerbrecht. Jan ist auch hier. Er hat Niko mitgebracht und der wird auch spielen. Alles andere zur Aufstellung besprechen wir später. Für euch ändert sich gar nichts. Macht euch normal warm und beruhigt euch wieder.“

„Wann hast du davon erfahren? Gestern hieß es noch, er sei beim Turnier.“

„Ja, Dustin. Ich weiß es auch erst seit heute früh. Also keine Panik, das dürfte für uns nur ein großer Vorteil sein. Jan als Coach auf der Bank und Niko als Nummer eins sind eine Verstärkung.“

„Jan sitzt auch auf der Bank? Was ist mit dir? Ich möchte dich auf der Bank haben.“

„Leute, beruhigt euch. Für euch ändert sich gar nichts, das sagte ich doch bereits. Los, macht euch fertig und wärmt euch auf. Konzentriert euch auf euch selbst. Jan wird euch eine Hilfe sein, nicht mehr und nicht weniger. Und falls es euch beruhigt, natürlich werde ich bei euch auf der Bank sitzen, sofern möglich.“

Was meinte Chris mit „sofern möglich“? Das verstand ich gerade gar nicht und Chris schien es zu ahnen. Er schaute mich an und fing furchtbar an zu lachen.

„Mensch, Fynn. Überleg doch mal, ich kann nur auf einer Bank sitzen. Solltet ihr parallel spielen, kann ich nicht bei euch gleichzeitig sein. Jetzt macht euch nicht ins Hemd. Es ist nur ein Mannschaftsspiel. Das kennt ihr doch alles schon.“

„Aber nicht um die deutsche Meisterschaft. Das kennen wir noch nicht.“

„Es ist genau der gleiche Ablauf wie letzte Woche, Dustin. Was ist? Seid ihr fertig?“

Ich schaute meinen Freund an und nickte ihm zu. Justin hielt uns die Hand hin und ich schlug ein. Dustin machte es mir gleich und dann joggten wir nach draußen. Chris blieb zurück.

„Chris hat echt die Ruhe weg, oder? Seid ihr nicht aufgeregt?“

„Doch, bin ich. Aber Chris hat uns bislang immer die richtigen Dinge gesagt. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Wir müssen ihm einfach vertrauen. Er wird uns nicht im Regen stehen lassen. Also tun wir jetzt was gefordert ist. Wir machen uns warm. Dann sehen wir weiter.“

Typisch Justin. Er schaute nach vorn und blieb ruhig. Ich sagte mir das auch, aber so wirklich klappen wollte es nicht. Aber ich bemühte mich, nur auf das kommende Match fokussiert zu sein.

Als wir drei auf dem Center zwei ankamen, war Chris bereits dort und unterhielt sich mit Jan und Thomas. Wir nahmen uns unsere Schläger und wollten ein paar Bälle schlagen, als Jan signalisierte, dass wir zu ihnen kommen sollen.

„Hallo Jungs. Wie ist die Lage bei euch?“

„Guten Morgen, Jan.“. antwortete ich, „Gut, aber etwas aufgeregt. Wie werden wir heute spielen?“

„Über das Netz und bitte ins Feld.“, kam von Chris als Antwort.

Jan schaute zu seinem Bruder und begann laut zu lachen. Thomas starrte Chris sprachlos an und schüttelte seinen Kopf.

„Chris, das war gut.“, kicherte Jan immer noch, „aber jetzt ernsthaft. Niko spielt an Position eins, Daniel Munoz de la Nava an zwei, Fynn an drei und Justin an vier. Wer Doppel spielt, sehen wir später. Fragen dazu?“

Wow, Jan wollte wirklich mit Justin und mir im Einzel spielen. Das schien er auch überhaupt nicht mehr diskutieren zu wollen, denn als Thomas Bedenken äußerte, wies er ihn mit dem Argument zurecht, dass wir im letzten Spiel die Partie gewonnen hatten. Heute wäre es kein Unterschied zum letzten Wochenende, außer dass die Meisterschaft heute entschieden würde.

Jan schickte Justin und mich direkt zu Nikolosz auf den Platz. Ich musste an Position drei noch etwas warten, aber Einschlagen war für alle angesagt. Egal ob man Einzel spielte oder nicht.

Für mich war Niko noch recht unbekannt. Jan war erst einmal mit ihm in der Base zum Training. Chris hatte ihn bereits häufiger kennengelernt. Niko war Georgier und der neue Spieler von Jan auf der Tour.

Die Zusammenarbeit mit Gilles hatte er nicht verlängert. Gilles brauchte neue Impulse und sie hatten sich im Guten getrennt. Gilles durfte aber weiterhin gern bei uns trainieren. Auch mit seinem neuen Coach.

Nikolosz Basilashvili war ein Georgier, der bislang noch nie mit einem eigenen Coach unterwegs war. Jan hatte er über Gilles kennengelernt. Jan wollte eigentlich eine längere Pause einlegen, aber die Zusammenarbeit mit dem netten Georgier hatte ihn doch gereizt. Chris hatte uns über diese neue Entwicklung unterrichtet, so dass es heute zwar das erste Aufeinandertreffen auf dem Platz war, aber kennengelernt hatten wir uns bereits beim letzten Trainingsbesuch.

Wir wurden von Niko freundlich empfangen und ohne lange Vorreden ging es zur Sache. Sehr schnell fand ich ein Gefühl für den Ball und fühlte mich gut. Auf dem Platz war die Aufregung schnell verflogen.

Auch Justin ließ sich nicht lange aufhalten und schoss die Bälle genauso hart zurück wie sie von Niko zu uns kamen. Es dauerte nur wenige Minuten und Jan und Chris standen auch bei uns am Platz.

Luc und Stef waren mittlerweile auch bei uns angekommen. Chris erklärte ihnen gerade etwas, als Jan uns an der Bank zusammenholte.

„So, ich möchte euch kurz die Strategie für eure Gegner erläutern. Und bevor ihr euch unnötig aufregt, natürlich ist Chris für euch weiterhin verantwortlich, aber ich kenne Justins Gegner sehr gut und kann dir daher viel zu ihm sagen. Ich würde dir sogar vorschlagen, dass ich bei dir auf der Bank sitze, während Chris bei Fynn bleibt.“

Justin schaute zu Chris, der sich weiterhin mit Luc und Stef sehr angeregt unterhielt. Jan schien das zu missfallen, denn er fragte Justin:

„Sag mal, du kannst das aber schon selbst entscheiden, ob ich bei dir auf der Bank sitzen darf oder nicht?“

„Äh ja, klar. Nur möchte ich mit Chris keinen Ärger haben.“

Jan kniff für einen Augenblick seine Augen zusammen und runzelte seine Stirn. Danach fing er an zu lachen.

„Also um mit Chris richtig Ärger zu bekommen, musst du andere Dinge machen. Natürlich habe ich mich mit Chris abgesprochen. Es war sein Vorschlag und er hat gesagt, dass du das selbst entscheiden sollst.“

„Ach so, das habe ich nicht gewusst. Dann machen wir das so. Ich möchte deine Informationen nicht missen. Ich möchte heute nämlich deutscher Meister werden.“

Justin hatte echt eine besondere Art von Humor. Jan schien das zu gefallen, denn er klopfte ihm lachend auf die Schulter.

Was mir allerdings in diesem Moment bewusst wurde, ich hatte heute erst einen Kuss von Dustin bekommen. Mein Freund fehlte mir. Dustin schlug sich auf dem anderen Platz mit Tim Pütz und Daniel Munoz de la Nava ein.

Jan entließ uns nach einer kurzen Strategiebesprechung und das nutzte ich, um das Kussdefizit auszugleichen. Dustin schien es genauso ein Bedürfnis zu sein wie mir, denn als er mich an der Bank bemerkte, kam er direkt zu mir und gab mir den ersehnten Kuss.

Die ersten Zuschauer waren mittlerweile auch auf der Anlage und Thorsten bat uns noch zu einem Pressetermin. Diese Termine mochte ich überhaupt nicht gern. Erst recht nicht, als klar wurde, dass Dustin und ich ein Interview geben sollten.

Luc und Stef bekamen das mit und blieben neugierig in unserer Nähe. Ich hätte fast einmal eine Frage nicht beantworten können, weil ich zu sehr auf unsere Freunde geachtet hatte. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als mich durch Albernheiten abzulenken.

Chris: Ein besonderer Tag

Eigentlich hätte ich es gern gesehen, wenn sich meine Jungs nur auf ihr Spiel fokussieren würden und sich nicht von Luc und Stef ablenken lassen würden. Aber dieses Mal sah ich die Ablenkung als sehr positiv. So konnten Fynn und Justin viel Druck abbauen, indem sie mit Luc und Stef herumalberten oder wie bei dem Interview, von ihnen zum Lachen gebracht wurden.

Um kurz vor elf hatten wir uns alle für die Vorstellung auf dem Center Court eins eingefunden. Die Tribünen waren bereits sehr gut gefüllt. Auch unser Gegner aus Aachen hatte zwei Busse mit Anhängern mitgebracht. Auch Aachen konnte noch Meister werden. Es war also ein richtiges Endspiel.

Als ich von Frank Höfen aufgerufen wurde, brandete erneut lauter Beifall auf. Ich bekam eine Gänsehaut. Jan wurde als letzter und Teamkapitän vorgestellt. Ich konnte bei vielen Zuschauern Verwunderung in den Gesichtern erkennen. Mit Jan und Nikolosz hatte kaum jemand gerechnet.

Meine Anspannung stieg von Minute zu Minute. Jetzt musste es langsam losgehen, sonst würde meine Nervosität auffallen. Das würde mit Sicherheit für meine Jungs von Nachteil sein, wenn offensichtlich wird, dass ihr Coach auch nervös ist.

Plötzlich kam Jan und drückte mir eine Flasche Fassbrause in die Hand.

„Hier, damit du dich beruhigst. Was ist los? Du bist doch sonst die Ruhe selbst.“

„Aber nur äußerlich. Es stimmt, ich bin sehr aufgeregt. Ich kann dir nicht einmal erklären warum. Vielleicht weil es das entscheidende Spiel um die Meisterschaft ist.“

„Sieh zu, dass du schnell wieder in deinen Ruhemodus findest. Fynn wird mit Daniel beginnen. Du wirst auf der Bank gebraucht und zwar als Meister der Gelassenheit. So, wie dich deine Jungs kennen. Und damit du genug Nervennahrung hast, habe ich ausreichend Fassbrause in der Kühltruhe deponieren lassen.“

„Hahaha, aber das ist beruhigend. Es kann zumindest dann nicht daran liegen, wenn es schiefgeht.“

„Warum sollte es schiefgehen? Du machst es genauso wie immer. Sei für deine Jungs ansprechbar und sei du selbst. Dann wird das gut.“

„Danke, ich werde mich jetzt auf die Bank setzen und wenn das Match beginnt, wird es mir sicher besser gehen.“

Bevor ich dort Platz nahm, wünschte ich dem gegnerischen Coach ein faires Match. Fynn saß bereits auf der Bank. Ich hielt ihm meine Hand hin und er schlug ein. Das war schon fast zum Ritual vor einem Match geworden.

Das war für uns das Signal, jetzt wurde es ernst und das Spiel begann.

Fynn startete furios. Ohne Angst vor dem bekannten Gegner, Phillip Kohlschreiber war Davis Cup Spieler, spielte er nach vorne. Mit aggressiven Returns setzte er seinen Gegner von Beginn an unter Druck. Bis zum Spielstand von 4:4 konnte Fynn keinen der insgesamt sechs Breakbällen nutzen. Dann spielte Kohlschreiber einen sehr guten ersten Aufschlag und rückte ans Netz nach. Fynn traf den Ball exzellent und mit vollem Risiko schlug er den Ball an seinem Gegner vorbei.

Das Publikum tobte und das Break war perfekt. Fynn führte 5:4 und schlug zum Satzgewinn auf.

„Geiler Return, damit hat er nicht gerechnet. Jetzt denk nicht mehr über das Break nach, sondern fokussiere dich nur auf deinen Aufschlag. Lass ihn nicht wieder ins Spiel zurück. Geh weiter auf den Ball und bleib aggressiv.“

Fynn wippte angespannt mit dem Fuß auf dem Boden. Als der Schiedsrichter sein „Time“ sprach, stand Fynn von der Bank auf und schaute auf die Tribüne. Ich verstand es nicht, dass er den Blick ausgerechnet jetzt auf die Tribüne legte. Aber plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er zwinkerte mir zu. Das hatte ich so noch nicht erlebt.

Was er allerdings dann auf dem Platz ablieferte war ganz großes Kino. Er gab nicht einen Punkt bei seinem Aufschlag ab und gewann den Satz mit 6:4. Ein ohrenbetäubender Lärm von Drucklufthörnern und Applaus tobte in der Satzpause über den Platz, inklusive der La Ola Welle.

Ich bekam eine Gänsehaut von der Stimmung. Auch Thorsten schien beeindruckt zu sein, denn er blieb bei uns an der Bank stehen und schaute über die Tribünen. Erst als es sich etwas beruhigt hatte, gab er mir den Spielstand vom anderen Einzel. Dort lag Daniel zurück. Er hatte den ersten Satz mit 2:6 verloren.

„Wo ist Jan eigentlich?“, fragte ich Thorsten.

„Der steht mit Nikolosz und Justin auf dem Platz und bereitet sie auf ihr Spiel vor. Warum fragst du? Möchtest du ihn hier an der Bank haben? Dann sag ich ihm Bescheid.“

„Nein, nein. Alles gut. Passt schon.“

Gedanklich war ich aber gerade dabei, mich zu hinterfragen. Sollte ich Fynn zurücknehmen und die Strategie verändern oder ihn weiter offensiv spielen lassen?

Ich war plötzlich verunsichert. Es gab objektiv dafür keinerlei Grund. Also ließ ich meinen Verstand gewinnen und schickte Fynn weiter nach vorn. Fynn durfte auf keinen Fall meine Zweifel spüren. Sonst wäre er auch ins Nachdenken gekommen.

Glücklicherweise lief das Match weiter und Fynn ließ nichts mehr anbrennen. Er gewann auch den zweiten Satz und damit stand es 1:1 nach den ersten beiden Einzeln. Daniel hatte deutlich in zwei Sätzen verloren.

Jetzt gingen Justin und Nikolosz zeitgleich auf den Platz. Eigentlich wollte Jan bei Justin auf der Bank sitzen. Das ging jetzt aber nicht mehr. Ich benötigte aber noch ein paar Minuten, um mit Fynn die Nachbesprechung zu machen und ein wenig zu verschnaufen. Jan würde natürlich bei Niko auf der Bank sitzen und ich sollte bei Justin das übernehmen. Da aber Justin direkt im Anschluss an Fynns Partie auf den Platz gehen musste, übernahm Thomas den Platz auf der Bank bei Justin.

Als ich nach etwa fünfzehn Minuten wieder an den Platz zurück kam, stand es bereits 0:3 und Justin spielte vollkommen verunsichert. Von Thorsten war auch nichts zu sehen. Nur Dustin saß hinter der Bank und auch Tim Pütz unterstützte Justin. Nach wenigen Minuten hatte ich begriffen, dass Thomas eine komplett andere Strategie verfolgte und damit natürlich Justin verunsichert hatte. Was sollte ich jetzt tun? Innerlich kochte ich vor Wut. Wieder hatte sich Thomas über das zuvor Besprochene einfach hinweggesetzt. Wieder hatte er meine Strategie außer Kraft gesetzt, ohne das mit mir zu besprechen.

Ich schaute mir das noch weitere zwei Aufschlagspiele an, und entschied mich dann zu handeln, da auch Justin sehr unzufrieden war. Thomas gab nur Anweisungen und führte keinen Dialog mit Justin. Das regte mich tierisch auf.

Als der erste Satz mit 1:6 verloren gegangen war, ist mir für einen Moment die Diplomatie verloren gegangen. Ich schickte Thomas mit einer direkten Ansage einfach von der Bank und setzte mich neben Justin.

Es war mir jetzt egal ob Thomas Headcoach von der Bundesliga war. Justin brauchte mich und meine Art zu coachen. Das war das was zählte.

Innerhalb von den drei Minuten in der Satzpause, hatte ich Justin wieder auf meine Linie gebracht. Ich übernahm auch die volle Verantwortung für diese schlechte Abstimmung zwischen uns Trainern. Darüber würde mit Sicherheit noch zu sprechen sein.

Ich machte Justin meine Strategie deutlich und sofort spürte ich, dass er sich innerlich nicht dagegen sträubte. Er war davon überzeugt, dass er das umsetzen könnte.

Jetzt ging das Match von vorn los und ich wusste, Justin würde explodieren. Ich wusste genau, dass er kein Defensivkünstler war. Justin musste selbst agieren und Druck aufbauen. Kontrollierte Offensive war das Zauberwort. Wobei mein Fokus auf der Kontrolle lag. Damit hatte er noch Probleme.

Aber seine Returns schlugen richtige kleine Krater auf der anderen Seite. Sein Gegner war komplett überrumpelt worden und schnell führten wir 3:0 mit einem Break. Justin wirkte viel entspannter und ich hatte den Disput mit Thomas für einen Augenblick ausgeblendet. Justin und ich kommunizierten sehr gut und mein Gefühl sagte mir, dass Justin der bessere Spieler ist. Ob es mental auch reichen würde, das musste man abwarten.

Interessant war die Reaktion von Justin, als sich Luc, Stef, Dustin und Fynn hinter uns an den Platz setzten. Bei jedem Seitenwechsel nahm er Kontakt mit ihnen auf. Es gab ihm Sicherheit und ich konnte mich sogar etwas entspannen. So selbstbewusst wie Justin jetzt auftrat, konnte eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.

Es ging auch nichts mehr schief. Jedenfalls nicht in dem Match. Justin ließ dem Gegner keine Chance und gewann im dritten Satz den Champions Tie-Break mit 10:1 sehr deutlich.

Damit stand es 2:1 für Halle und die Zuschauer flippten vollkommen aus. Aachen war eigentlich klarer Favorit gewesen und das ließen die Fans den Gegner deutlich spüren. Für mich war das ein guter Grund, schnell zum letzten Einzel zu gehen. Mit Justin würde ich danach die Nachbesprechung machen. Das ganze Publikum saß nun bei Niko am Platz. Jan wirkte voll konzentriert auf der Bank.

Plötzlich wurde ich von der Seite angestoßen. Luc schaute mich grinsend an:

„Hey, du kannst doch nicht einfach abhauen. Wir haben dir noch gar nicht gratuliert. Diese Aktion mit Thomas war geil. So wie du den abserviert hast, total cool.“

„Erinner mich nicht daran, das dürfte vermutlich noch richtig Theater geben. Aber für Justin und das Spiel war es notwendig. Jetzt sehen wir zu, dass Niko den dritten Punkt macht, dann brauchen wir nur noch ein Doppel zu gewinnen.“

Mein Körper lief auf Höchstleistung und ich war komplett im Tunnel abgetaucht.

Plötzlich drehte sich Jan zu uns um und gab ein Zeichen. Keiner verstand was er meinte und von uns wollte. Thorsten machte einen Schritt nach vorn zur Bank und sprach mit Jan. Dann drehte er sich um, zeigte auf mich und winkte mich heran.

„Was ist los?“, fragte ich aufgeregt.

„Du sollst Jan für ein paar Minuten auf der Bank vertreten. Er muss dringend auf die Toilette.“

„Ich? Aber ich kenne Niko doch kaum. Das gibt noch mehr Ärger mit Thomas. Aber gut, wenn Jan das möchte, setze ich mich natürlich auf die Bank.“

Ich kam auf den Platz und hörte noch die letzten Worte von meinem Bruder, die er an Niko richtete. Dann stand Jan auf und gab mir eine kurze Einweisung in das Spiel.

„Deine Aufgabe ist, dass Niko nicht wieder das Ballern anfängt. Er soll einfach so weiterspielen. Und falls es schwierig wird, erinnere ihn daran, dass er Ärger bekommt, wenn er nicht das macht was du sagst.“

Dann verschwand mein Bruder lachend in der Menge und lief Richtung Clubhaus.

Niko schaute mich an und hielt mir seine Hand hin. Mein Puls schlug mir bis zum Hals. So aufgeregt war ich schon ganz lange nicht mehr. Hoffentlich lief das Spiel einfach weiter bis mein Bruder wieder zurück war.

Ich schlug seine Hand ab und das „Time“ des Schiedsrichters ertönte. Ich musste mir mit einem Blick auf die Anzeigetafel den Spielstand besorgen. Niko hatte den ersten Satz im Tie-Break verloren, führte jetzt aber mit 4:1 im zweiten Satz.

Ich verhielt mich genauso wie ich das bei meinen Jungs auch machte. Ich pushte ihn nach jedem gemachten Punkt und beruhigte ihn genauso bei Fehlern oder auch dummen Aktionen. Nach wenigen Punkten hatte ich vergessen, dass ich auf einem Platz mit 2500 Zuschauern saß und gerade dabei war, die Nummer 25 der aktuellen Weltrangliste zu betreuen. Ich konzentrierte mich auf das Match und jeden einzelnen Punkt.

Richtig unruhig wurde ich, als Niko beim Stand von 5:2 zum Satzausgleich aufschlug und seinen Aufschlag ungeduldig verspielte. Beim Seitenwechsel machte ich ruhig, aber sehr bestimmt deutlich, dass er geduldiger sein muss. Ich gab klare Impulse und hatte aber auch die Hoffnung, dass Jan bald zurück sein würde. Ich hatte nicht die Absicht auch noch im Champions Tie-Break auf der Bank sitzen zu müssen.

Ich schaute mich zu Thorsten um und wollte wissen wo mein Bruder denn blieb. Thorsten zuckte nur mit den Schultern.

Als Niko dann bei 5:4 erneut zum Satzausgleich aufschlug, saß ich vor dem ersten Punkt vollkommen angespannt auf der Bank. Hoffentlich würde Niko den Satz jetzt beenden. Er konzentrierte sich vor jedem Aufschlag erstaunlich lange, machte aber dem Gegner keine Geschenke mehr und gewann den Satz. Erneut musste der Champions Tie-Break die Entscheidung bringen.

Drei Minuten Satzpause gab mir Zeit, mit Niko zu sprechen und ihn mit Nachdruck an die taktische Marschrichtung zu erinnern. Von Jan war immer noch nichts zu sehen. Ich fragte bei Kolja nach, der die Beine von Niko massierte. Aber er wusste auch nicht, warum Jan noch nicht zurück war.

Thorsten stand mittlerweile neben mir und reichte mir mit einem Grinsen eine Fassbrause.

„Hier, die brauchst du jetzt. Und bevor du auf komische Ideen kommst, du bleibst auf der Bank sitzen, auch falls Jan zurückkommen sollte. Jetzt wird nicht mehr gewechselt. Du machst das außerdem sehr gut.“

Die Zuschauer tobten und ich hatte das Gefühl, eher in einem Fußballstadion zu sein als auf einem Tennisplatz.

Ich forderte von Niko noch einmal wenige Minuten Disziplin und Konzentration in jeder Situation. Dieser Einzelpunkt hatte eine vorentscheidende Rolle. Das war mir vollkommen bewusst und das gab ich an Niko auch weiter. Er war ein Vollprofi und da konnte ich auch etwas mehr fordern als bei meinen Jungs. Jetzt stand der Erfolg des Teams im Vordergrund.

Der Platz war fertig hergerichtet und der Schiedsrichter gab sein „Time“. Es sollten zehn wichtige Minuten in diesem Endspiel folgen.

Als sich Niko zum ersten Punkt auf den Platz stellte, konnte ich Jan unten an dem Eingang stehen sehen. Er nickte und zeigte mir den Daumen hoch. Blieb dort aber stehen.

Die ersten drei Punkte verliefen ohne Minibreak und es stand also 2:1 für uns als Aachen wieder aufschlug. Ich gab Niko nur noch Handzeichen, das Publikum hielt den Atem an und nach jedem Punkt für uns brach ein Jubelsturm aus. Pure Gänsehautatmosphäre.

Jan blieb an seinem Platz stehen und nahm mit Niko auf dieser Seite des Platzes Blickkontakt auf. Mehr nicht. Er gab keine Zeichen und sprach auch nicht mit ihm. Beim Stand von 3:2 machte Niko das wichtige Minibreak. Seitenwechsel bei 4:2 für uns.

Als sich der Gegner für den Aufschlag vorbereitete und den Ball hochwarf, klingelte tatsächlich ein Handy. Das konnte doch nicht wahr sein. Der Aufschlag landete im Aus und verständlicherweise war der Aachener Spieler richtig sauer.

Es entstand große Unruhe auf der Tribüne und der Aachener Trainer beschwerte sich beim Schiedsrichter. Dieser gab erneut den Hinweis an die Zuschauer, die Handys auszuschalten. Regeltechnisch wäre jetzt der zweite Aufschlag vom Aachener Spieler gekommen, aber Niko sagte ihm auf Englisch:

„First serve“

Das war eine sehr faire Geste und bei den Profis sehr ungewöhnlich. Mir gefiel das gut. Zeigte es doch, wie fokussiert Niko war. Er wusste, dass dieser eine Punkt das Match nicht entscheiden würde. Außerdem hatte er sämtliche Sympathien der Zuschauer endgültig auf seiner Seite.

Aachen machte zwar diesen Punkt, aber Niko brachte seine Aufschläge durch und führte jetzt mit 6:3. Dann machte sein Gegner einen Doppelfehler und bei 7:4 schlug Niko erneut auf. Die Stimmung auf der Tribüne war unglaublich. Eine La Ola Welle zog über den Platz und der Schiedsrichter musste zweimal zur Ruhe auffordern.

Niko lächelte als er sich auf den Aufschlag konzentrierte. Er spielte Serve and Volley und machte den Punkt. Ich sprang von der Bank auf und jubelte mit geballten Fäusten. Schnell beruhigten sich unsere Fans wieder und jetzt entwickelte sich ein extrem langer Ballwechsel. Über dreißig Mal ging der Ball mit hoher Geschwindigkeit über das Netz. Die Spannung war greifbar und mein Puls stieg immer weiter an. Dann kam das „Aus“ vom Schiedsrichter. Er hatte den Ballwechsel unterbrochen. Aachen zweifelte diese Entscheidung an und bat den Stuhlschiedsrichter sich den Abdruck anzuschauen. Das war eine ganz enge Entscheidung.

Alle Augen waren auf den Schiedsrichter gerichtet, der bestätigte seine Entscheidung und damit war es unser Punkt. Der Gegner lamentierte und gab auch den nächsten Punkt schnell ab. Damit hatten wir den ersten Matchball. Allerdings bei Aufschlag des Gegners. Dieser wehrte mit zwei sehr guten Aufschlägen beide Matchbälle ab. Jetzt stand es 9:6 und Niko hatte die Matchbälle drei und vier.

Mit dem ersten Aufschlag machte er den direkten Punkt und das Spiel war entschieden. Jetzt brach ein ohrenbetäubender Lärm auf der Tribüne aus und die ganze Mannschaft stürmte auf den Platz und umarmte Niko. Wir führten 3:1 nach den Einzeln.

Meine Nerven hatten allerdings deutlich gelitten und ich versuchte mich schnell aus diesem Gewusel zu verabschieden. Ich brauchte etwas Ruhe.

Dustin: Unruhe im Team

Sofort nach dem Matchball von Niko war Chris verschwunden. Thorsten und Jan standen mit Thomas vor dem Clubhaus und sie schienen zu streiten. Jan war ungehalten über irgendetwas. Ich hatte dafür kein Verständnis, vor allem weil Chris nicht dabei war. Für mich entstand der Eindruck, Chris wäre der Grund ihrer Diskussionen.

Jetzt stand es zwar 3:1 für uns, aber wer sollte mit wem Doppel spielen? Fynn und Justin kamen mit Tim Pütz zu mir und wir verschwanden auf einem der hinteren Plätze. Dort störten uns kaum Zuschauer und wir konnten uns auf die Doppel vorbereiten.

„Was habt ihr für eine Vorstellung? Wie würdet ihr die Doppel aufstellen?“, fragte uns Tim während wir uns einschlugen.

Ich wollte mich eigentlich gar nicht dazu äußern. Ich spürte die angespannte Lage und auch Fynn hielt sich zurück. Nur Justin hatte eine klare Vorstellung.

„Daniel ist kein Doppelspieler, wir brauchen noch einen Punkt, von daher würde ich Niko mit dir ins erste Doppel stellen und Dustin und Fynn ins zweite Doppel.“

„Was ich nicht verstehe, warum wird Chris nicht in diese Diskussion einbezogen? Alle, außer Chris stehen auf der Terrasse und diskutieren. Was soll das?“

„Das solltest du Thorsten oder Thomas fragen, Dustin. Ich kann es dir nicht sagen. Aber das darf jetzt auch nicht unser Thema sein. Wir brauchen noch einen Punkt und da ist es egal, wer den macht. Hauptsache, wir machen ihn.“

Es regte mich auf, dass Thomas wieder einmal mit Chris nicht einverstanden war. Obwohl Chris alles richtig gemacht hatte. Thomas hätte Justin in die Niederlage gecoacht. Entgegen der vorher gemachten Absprachen. Das konnte ich nicht begreifen.

„So lange Thomas nicht auf die Idee kommt, sich bei uns auf die Bank zu setzen, ist mir das egal. Ich habe keine Lust mehr, mich derart betreuen zu lassen. Wäre Chris nicht einfach auf die Bank gekommen, hätte ich mein Spiel klar verloren.“

„Richtig, das sehe ich genauso, Justin. Thomas ist ein Sturkopf. Er akzeptiert Chris immer noch nicht. Egal was sie besprochen haben. Und so kann es nicht weitergehen.“

Fynn hatte das ausgesprochen, was ich schon lange gedacht hatte. Ich habe mich aber nicht getraut, es auch laut auszusprechen.

Wir spielten uns die Bälle zu und erhöhten das Tempo. Ich hatte gerade meinen Rhythmus gefunden, als Jan plötzlich bei uns am Platz stand.

„So Leute, kommt ihr bitte einmal zusammen. Wir möchten die Aufstellung besprechen.“

„Wo ist Chris? Warum wird er nicht einbezogen? Ihr diskutiert und er ist nicht dabei. Thomas hält sich grundsätzlich nicht an die Absprachen und macht was er will. Darauf habe ich keinen Bock mehr. Wenn Chris sich nicht bei mir auf die Bank gesetzt hätte und ihn weggeschickt hätte, würde es jetzt nicht 3:1 stehen.“

Puh, das war ein Frontalangriff gegen Jan und seine Teamstrategie. Das hätte ich mir nicht getraut. Aber Justin war richtig geladen und auch Fynn schien auf Krawall aus zu sein.

„Justin hat Recht. Thomas hat komplett andere Vorstellungen und erwartet von uns, dass wir stumpf das machen was er will. Er kennt uns doch gar nicht wirklich. Chris weiß wie wir ticken und was wir können und vor allem weiß er was wir noch nicht können. Ich fühle mich nicht mehr wohl, wenn Thomas auf meiner Bank sitzt.“

Jan hörte sich das kommentarlos an und blieb äußerlich ruhig. Nur seine Augen verkleinerten sich sichtbar. Hoffentlich würde es jetzt keinen richtigen Streit geben. Mir war es wichtig, dass Chris auf meinem Platz sitzt, was Thomas dann machen würde, war mir egal. So lange Chris bei uns war, konnte er uns nicht stören.

„Leute, kommt mal wieder runter. Chris hat mir seine Vorstellungen von der Doppelaufstellung bereits gegeben. Jetzt ist er einfach mal raus, um sich zu beruhigen und wieder Kraft zu tanken. Was die Situation mit Justin im Einzel betrifft, darüber sprechen wir nach dem Spiel. Jetzt müssen wir noch ein Doppel gewinnen. Das ihr jetzt mit Thomas Probleme habt, ist mir vollkommen klar. Aber wenn ihr euch weiter aufregt, dann geht euch die Konzentration verloren. Es geht um die deutsche Meisterschaft. Reißt euch zusammen und verschiebt eure Wut auf später.“

Seine Unzufriedenheit war deutlich. So klare Kritik hatte ich von Jan noch nicht gehört. Fynn hatte auch nicht richtig zugehört, denn er wollte auf eine Diskussion mit Jan einsteigen. Das wäre jetzt ganz sicher nicht klug. Ich zog meinen Freund am Arm zu mir und sagte leise zu ihm:

„Lass das jetzt. Jan hat es begriffen. Wir müssen noch einen Punkt holen. Los, reiß dich zusammen und das klären wir später.“

Fynn schaute mich mit großen Augen an, Jan blieb hinter Fynn stehen und schaute uns genau an. Er sagte aber nichts. Er wartete auf Fynns Reaktion.

Fynn schloss für einen Moment die Augen und dann drehte er sich wortlos zu Jan. Dieser lächelte jetzt und gab ganz ruhig seine Vorstellung der Doppel ab.

„Also, Thorsten, Chris und ich haben die Idee Niko mit Fynn erstes Doppel spielen zu lassen und Tim mit Dustin das zweite Doppel. Justin darf pausieren und euch unterstützen. Tim und Dustin haben bereits sehr gut zusammen gespielt. Fynn wird von Niko geführt und hat somit keinerlei Druck. Gewinnen können wir beide Doppel und Chris wird bei Tim und Dustin auf der Bank sitzen. Ich übernehme das erste Doppel. Wie ist eure Meinung dazu?“

„Wenn Thomas uns in Ruhe lässt, können wir das gerne so machen.“

Fynn war immer noch nicht zur Ruhe gekommen und das musste ich schnell regeln. Jan würde ihn in diesem Zustand nicht spielen lassen.

„Jetzt lass es gut sein. Jan hat doch klar gesagt, dass Chris bei uns sein wird und Jan bei euch. Konzentrier dich auf das Doppel. Thomas kann uns mal.“

Jan schaute mich erstaunt an, und ich erschrak über meine Wortwahl.

„Ja, Dustin. Genau so habe ich mir das vorgestellt. Du hast es begriffen. Jetzt bring das bitte noch deinem Freund bei und alles wird gut.“

Jan hatte mir das nicht übel genommen. Ich glaube, er konnte nachvollziehen, in welch schwieriger Situation wir waren.

Wir spielten noch etwa zehn Minuten auf diesem Platz. Nachdem sich Fynn etwas beruhigt hatte, konnte ich auch wieder normal mit meinem Freund sprechen. Ich bekam sogar einen Kuss von ihm. Das war sehr schön, denn eigentlich hätten wir bester Stimmung sein müssen. Wir standen vor einem großen Erfolg und hatten es selbst in der Hand.

Wir packten unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg zum Clubhaus in den Spielerbereich.

Dort herrschte eine komische Stimmung. Thorsten und Jan diskutierten miteinander, aber Chris fehlte. Nur Thomas stand vorne am Eingang.

„Wo ist Chris?“, fragte ich direkt.

„Leute, beruhigt euch. Gerry ist auf dem Weg zu Chris. Thomas wird euch nicht weiter ärgern.“

„Es ist aber hoffentlich klar, dass Chris nichts falsch gemacht hat. Thomas hat sich nicht an die Absprachen gehalten und Chris hatte keine andere Wahl als sich einfach auf die Bank zu setzen. Ich hätte sonst niemals gewonnen.“

„Ganz ruhig, Justin. Bitte beruhigt euch. Dieses ganze Theater ist gerade absolut unpassend. Wir müssen noch ein Doppel gewinnen. Jan hat das mit Chris bereits geregelt und Gerry wird Chris jetzt noch einmal den Rücken stärken.“

Ich fühlte mich im Moment ganz komisch. Wir spielten um die deutsche Meisterschaft und es gab Stress in der eigenen Mannschaft. Das hatten wir in Halle so noch nie erlebt. Mit erhöhtem Puls warteten wir jetzt auf die Rückkehr von Chris. Jan kam als erster zu uns.

„So, die Doppel müssen beginnen. Geht bitte auf den Platz. Chris kommt jeden Moment hinzu. Ich gehe direkt mit Niko und Fynn auf den Center eins.“

„Nein“, widersprach ich.

„Ohne Chris gehe ich nicht auf den Platz. So eine Aktion wie vorhin mache ich nicht noch einmal mit. Entweder geht Chris mit uns auf den Platz oder ich warte bis er hier ist.“

Jan wurde ungehalten, denn wenn das Doppel nicht innerhalb einer bestimmten Zeit auf dem Platz sein würde, gäbe es Strafpunkte oder gar einen Matchverlust.

Glücklicherweise betrat in diesem Moment Chris die Umkleide. Ohne große Erklärungen nahm er mich und Tim mit auf den Platz. Die Zuschauer klatschten bereits rhythmisch in gespannter Erwartung.

„Dustin, du musst jetzt jegliche Unruhe ausblenden. Wir können nach dem Spiel alle Dinge besprechen und Jan und Gerry werden dazu auch einiges erklären, aber jetzt brauche ich dich mit voller Konzentration auf dem Platz.“

„Ja, ich habe das verstanden. Ich werde alles dafür tun, dass wir gewinnen. Aber es wäre einfacher, wenn Thomas sich anders verhalten hätte.“

„Ja, das stimmt. Aber das können wir nicht mehr ändern. Also, können wir jetzt anfangen?“

Mir wurde gerade bewusst, dass ich mich einige Minuten lang nicht besonders mannschaftsdienlich verhalten hatte.

„Ja, sorry. Ich habe es verstanden und es tut mir leid, dass ich mich so bockig verhalten habe. Jetzt rocken wir aber den Platz.“

Chris schaute mich an und begann heftig zu lachen. Thorsten schüttelte den Kopf als er hinter uns auf der Tribüne Platz genommen hatte. Chris hielt mir seine Hand hin und ich sollte sie abschlagen.

Das machte ich direkt und hüpfte mit Tim auf den Platz. Jetzt galt es und ich war hochmotiviert zu beweisen, dass wir zu Recht auf dem Platz standen.

Chris: Gerry spricht ein Machtwort

Nach dem Einzelsieg von Niko musste ich einfach mal Luft holen und mich beruhigen. Thomas raubte mir mit seinen Störfeuern den letzten Nerv. Ich hatte keine Lust, mir meine Jungs von ihm verrückt machen zu lassen. Auch wenn er Headcoach für die Bundesliga war, hatte er sich, aus meiner Sicht, an die Absprachen zu halten.

Der Gipfel der Unverschämtheit war dann, mir nach dem Einzel noch Vorwürfe zu machen, ich würde gegen seine Autorität arbeiten.

Bevor ich etwas Unkluges gesagt hätte, war ich geflüchtet und hatte mich in mein Auto gesetzt. Dort schottete ich mich für einige Minuten komplett ab. Mein Puls beruhigte sich wieder leicht, aber meine Gedanken kreisten um die Situation. So wollte ich nicht weiter mit dem Bundesligakader arbeiten. Aber konnte ich das Jan auch so einfach auf den Tisch legen?

Ich wusste ja noch nicht einmal wie sich Jan zu der Sache positionierte. Seit seinem Toilettenbesuch hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen.

Plötzlich klopfte es an mein Auto und ich zuckte zusammen. Gerry Weber stand an meiner Fahrertür und suchte anscheinend nach mir.

Ich ließ die Scheibe herunter und er fragte sofort:

„Was ist los? Warum flüchtest du? Du wirst gebraucht.“

Ich öffnete ihm die Beifahrertür und bat ihn, sich zu mir zu setzen. Dann erklärte ich ihm die Situation und was aus meiner Sicht vorgefallen war. Er hörte mir aufmerksam zu und als ich die Frage formuliert hatte, ob es so für mich überhaupt noch Sinn machen würde, weiter mit dem Bundesligakader zu arbeiten, platzte ihm der Kragen.

„Hast du sie noch alle? Du machst einen hervorragenden Job. Jan hat sich gerade tierisch mit Thomas gestritten. Er hatte das mitbekommen und genau das war der Grund, warum er nicht sofort zurück auf die Bank gekommen war. Er hat sich Thomas richtig zur Brust genommen und von mir wird er gleich nach dem Spiel noch etwas zu hören bekommen, was er schon lange nicht mehr gehört hat. Meine Geduld ist zu Ende. Ihr reißt euch den Hintern auf, um für die Jungs alles zu ermöglichen und er sieht nur sein eigenes Ego. Und jetzt fängst du auch noch an, an dir zu zweifeln? Es reicht jetzt. Du gehst bitte sofort zu den Jungs und beruhigst deine Truppe. Wir wollen Meister werden und haben eine grandiose Mannschaft dafür. Genau jetzt bist du gefragt. Jan hat mir gesagt, dass du vermutlich zweifeln würdest. Jetzt sage ich dir aber, du hast das Match von Justin gerettet und auch bei Niko hast du exzellente Arbeit gemacht. Los, Thomas ist nicht mehr dein Problem. Deine Aufgabe ist jetzt, die Jungs auf dem Platz zu unterstützen, denn sie brauchen einen guten Coach. Ihren Coach, den sie gut kennen. Ich werde dir den Rücken freihalten und dafür sorgen, dass dir Thomas nicht mehr dazwischen funken kann.“

Mit so einer Ansage hatte ich nicht gerechnet. Gerry war stinksauer und ließ auch keinen Zweifel daran, dies an Thomas auszulassen. Ich schaute mit leerem Blick nach vorn aus der Windschutzscheibe. Gerry saß neben mir und erwartete von mir eine Antwort. Was sollte ich jetzt tun?

„Also gut, Gerry. Nur weil ich absolutes Vertrauen in dich habe, werde ich mich heute wieder auf die Bank setzen und weil die Jungs es verdient haben.“

„Richtig. Genau das habe ich jetzt hören wollen. Los, du wirst gebraucht. Dein Bruder vertraut dir und die Mannschaft auch. Also wir werden jetzt deutscher Meister. Dann wird gefeiert und die Probleme werden danach gelöst. Das verspreche ich dir.“

Er öffnete die Tür und wartete bis ich ebenfalls ausstieg. Erst danach ging er voraus und ließ mich dann allein zur Mannschaft weitergehen.

Auf dem Weg zur Kabine kam mir Carlo bereits entgegen. Er war sehr aufgeregt.

„Endlich. Da bist du ja. Dustin ist schon total aufgeregt und wartet auf dich. Er will nicht ohne dich auf den Platz gehen. Was ist hier eigentlich los? Wir führen und es ist total schlechte Stimmung in der Mannschaft. Das verstehe ich nicht.“

„Alles gut, Carlo. Ja, es ist gerade ein wenig Stress und ich habe etwas Luft holen müssen. Jetzt geht es aber wieder und wir greifen wieder an.“

Dustin saß mit einem bösen Gesicht in der Umkleide und auch Tim schien es nicht gelungen zu sein, ihn zum Hinausgehen zu bewegen. Als er mich sah, hellte sich die Miene auf und er verließ umgehend mit mir die Umkleide.

Auf dem Platz wurden wir frenetisch empfangen. Das machte es mir einfach, mich auf das kommende Match zu fokussieren. Ich wollte mir noch eine Fassbrause aus der Truhe nehmen, aber plötzlich hielt mir jemand bereits eine geöffnete Flasche entgegen. Als ich zugriff, schaute ich in das Gesicht von Gerry Weber. Luc und Stef standen neben ihm und zeigten mir ihre Daumen hoch. Das war schon ein lustiges Bild und es sorgte für einen Anstieg meiner Laune.

Während des Einschlagens herrschte Partystimmung auf der Tribüne. Es wurde geklatscht, gejubelt und Fahnen geschwenkt. Obwohl ich schon viele Jahre als Zuschauer bei Bundesligapartien dabei war, hatte ich das noch nie in dieser Form so erlebt.

Tim hatte mit Dustin bereits während des Einschlagens Kontakt aufgenommen und die Führungsrolle übernommen. Als das „Time“ vom Schiedsrichter kam, hielt ich ihnen meine Hand hin und wünschte ihnen ein gutes Match. Ich nahm wieder auf der Bank platz und Tim begann mit seinem Aufschlag das Spiel.

Damit konnte Dustin noch etwas Zeit bekommen ins Match zu finden. Dustins erste Ballkontakte waren noch sehr vorsichtig. Er spielte den Ball ins Feld, ohne Risiko einen Fehler zu machen.

Das hatte aber auch zur Folge, dass er am Netz keinen Volley tot machte. Der Ball kam wieder ins Spiel und Tim musste im Nachrücken den Punkt machen.

Als es 40:30 für uns stand, rief ich Dustin zu:

„Mutig den Volley spielen.“

Er schaute nicht zu mir, aber er nickte. Hoffentlich hatte ich jetzt nicht zu viel Druck aufgebaut. Tim kam vor dem Aufschlag noch einmal nach vorn und sprach kurz mit Dustin. Dann konzentrierte sich Dustin nur noch auf den Ball und ging mutig in den Return. Er traf den Ball zwar nicht perfekt, aber er machte den Punkt und damit war das erste Spiel unser.

Tim pushte Dustin und beide stürmten auf die Bank. Ich schlug Dustin ab und nickte beiden zu. Das war ein guter Beginn.

Mein Adrenalin war vermutlich genauso hoch wie bei den Spielern. Dennoch musste ich äußerlich ruhig bleiben. Pushen ja, aber nicht übertreiben. Der erste Satz wurde für uns sehr spannend. Es gab bis zum 5:5 kein Break. Jetzt musste Dustin aufschlagen und ich konnte die Anspannung in seinem Körper sehen. Tim sprach beruhigend auf ihn ein, aber ich hatte kein gutes Gefühl.

Und genauso kam es auch. Dustin bekam den sogenannten schweren Arm, spielte plötzlich zögerlich und machte leichte Fehler. Das Break war die logische Konsequenz und schnell gewann Aachen auch das folgende Spiel zum 7:5.

Dustin war am Boden zerstört und hatte sein Handtuch über den Kopf geworfen. Thorsten gab mir den Spielstand von unserem anderen Doppel. Dort führten wir deutlich. Das nahm mir Druck von den Schultern und jetzt wollte ich Dustin aus der Reserve locken.

„Hey Dustin, ein wirklich guter Spieler zeigt sich in der außergewöhnlichen Situation. Sich jetzt zu vergraben ist feige. Stell dich dem Spiel und zeige dir selbst, dass du das kannst.“

Für einen Moment geschah gar nichts. Dann zog er das Handtuch weg und schaute mich böse an.

„Was ist? Die Welt ist noch nicht untergegangen und sie wird auch nicht so schnell untergehen. Noch hast du die Möglichkeit etwas an der Schraube zu drehen. Weglaufen oder Aufgeben ist keine Lösung.“

„Boah, bist du böse. Ich werde dir beweisen, dass ich das besser kann. Außerdem …“

Er unterbrach den Satz und in seinem Kopf arbeitete es. Plötzlich schlug er sich gegen den Kopf und erwiderte:

„Ich bin so ein Idiot. Du ärgerst mich doch mit Absicht. Und ich steige auch noch voll darauf ein. Aber den Gefallen tue ich dir nicht mehr. Jetzt wird der Gegner erleben, was es heißt gegen Halle zu führen.“

Dustin nahm seinen Schläger, stand vor der Bank und ballte die Faust. Plötzlich zeigte er mit dem Finger auf mich und fragte:

„Was machst du, wenn wir das Spiel noch drehen?“

„Mich freuen und mit euch in der WG gemeinsam kochen.“

„Deal, aber wir dürfen aussuchen, was gekocht wird.“

Ich hielt ihm kommentarlos meine Hand hin, die er abschlug. Tim schaute mich völlig entgeistert an und folgte Dustin etwas ratlos auf den Platz.

„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee war, ihn so zu provozieren?“

„Frag mich das nachher noch einmal, Thorsten.“

„Du bist echt mutig. Das hätte ich mich niemals bei diesem Spielstand getraut.“

„Schau mal, Dustin macht sich verantwortlich für den Satzverlust. Verhindern kann ich das nur, indem ich dafür sorge, dass er nicht mehr darüber nachdenkt. Also muss ich etwas krasses oben drauf packen. Ob das funktioniert oder nach hinten losgeht, weiß ich auch erst nach dem Spiel. Aber es würde jetzt ganz schwer sein, ihn von diesem Trip herunter zu holen.“

Thorsten nickte nur wortlos, denn das Spiel hatte bereits wieder begonnen. Dustin spielte wie gedopt und tänzelte ständig am Netz auf und ab. Wie ein Duracell Hase, so aufgedreht.

Aber er fing an die Volleys und Returns einfach nur zu spielen. Ohne dabei nachzudenken. Tim ließ ihn einfach gewähren, auch wenn er es mal übertrieben hatte und einen einfachen Punkt vergeben hatte. Es gab nur positive Rückmeldungen. Das zeigte Wirkung, denn er fand in das Spiel zurück und machte Punkt um Punkt. Ohne planlos drauflos zu hacken. Je länger das Match dauerte, umso mehr Freude hatten wir daran.

Das andere Doppel entwickelte sich noch positiver und plötzlich gab es während eines Ballwechsels bei uns, einen ohrenbetäubenden Jubel auf dem anderen Platz. Thorsten war bereits mit Gerry zum anderen Platz gewechselt, weil dort die Entscheidung nahte. Auf unserem Platz drehte ich mich um und schaute in strahlende Gesichter von Stef, Luc und Justin.

Ich fragte nur schnell:

„Gewonnen?“

Luc und Stef nickten nur und plötzlich strömten die Leute alle zu unserem Platz und riefen „Deutscher Meister“.

Für einen Moment musste ich die Augen schließen und tief Luft holen. Ich spürte einen Kloß im Hals.

Meine Jungs hatten anscheinend bereits im Sekt geduscht als sie wieder an unserer Bank ankamen. Eigentlich hätten wir noch zu Ende spielen müssen, aber der Aachener Coach kam zu mir und bat um die Beendigung der Begegnung. Dieser Bitte kamen wir gerne nach. Bevor ich noch etwas tun konnte, war ich klatschnass. Dustin hatte sich einen Schlauch vom Platz genommen und einmal voll draufgehalten. Mich mit Sekt abzuduschen, hatten sie sich nicht getraut und ich war auch sehr dankbar dafür.

Plötzlich stand Jan bei mir an der Bank und umarmte mich ganz fest.

„Danke, für deine tolle Arbeit und heute ruhig geblieben zu sein. Ich bin stolz auf dich. Jetzt lass uns gemeinsam feiern. Wir haben es uns verdient. Und keine Sorge, das Thema Thomas habe ich nicht vergessen. Aber nicht mehr heute. Wir lassen uns jetzt durch nichts mehr die Laune verderben.“

Er drückte mir eine Fassbrause in die Hand und alle stießen mit mir an. Sie hatten entweder ein Bier oder einen Sekt in der Hand. Es war auch für mich in Ordnung, dass die Jungs auch Alkohol tranken. Heute musste das einfach mal erlaubt sein.

Jedenfalls musste ich schnell unter die Dusche und trockene Sachen anziehen. Mein Rücken würde mir morgen einen ganz üblen Tag bereiten.

Aber alle wollten uns gratulieren oder ein Autogramm haben. Ich hatte jedenfalls keine Chance vom Platz zu kommen. Der Pokal sollte noch überreicht werden und ein Meisterfoto musste gemacht werden. Immerhin hatte mir Jan seine trockene Jacke gegeben. Handtücher hatte ich auch genug. Es musste halt so lange reichen.

Meine Jungs waren ausgelassen und der Streit schien komplett vergessen zu sein. Für mich war er noch lange nicht aus dem Kopf und ich versuchte Thomas zu entdecken. Aber er war nirgends zu sehen.

Gerry Weber stand nun am Netz und wollte zum Publikum sprechen. Der Spielleiter der Bundesliga stand neben ihm mit dem Pokal. Als Gerry seinen Arm hob, wurde es plötzlich sehr still.

„Liebe Tennisfans und Freunde des TC Blau Weiß Halle. Heute ist es uns erneut gelungen, den Titel zu erringen. Wir sind Deutscher Meister!“

Sofort begann das Publikum zu toben und zu klatschen. Gerry übergab das Mikrofon an den Spielleiter. Dieser machte eine nüchterne Ansprache und übergab mit einem Händedruck den Pokal an Gerry. Gerry reichte diesen gleich an Thorsten weiter und nahm sich erneut das Mikrofon.

„Liebe Tennisfreunde, wir möchten heute mit euch gemeinsam feiern. Deshalb haben wir für euch etwas zu trinken und zu essen vorbereitet. Ab sofort gibt es an allen Getränkeständen Freibier und auch alkoholfreie Getränke. Wir sagen danke für diese unglaubliche Unterstützung. Unsere Mannschaft hat sich diesen Erfolg hart erarbeitet und insbesondere möchte ich heute unseren eigenen Nachwuchs erwähnen. Jan und sein Bruder Chris haben sie fürsorglich aufgebaut, betreut und sie ernten heute den Erfolg.“

Gerry gab Jan ein Zeichen und dieser nahm Justin, Dustin, Fynn und mich mit auf den Platz. Applaus kam auf und Gerry klatschte auch mit. Maxi hatte ich vorne bei Thorsten entdeckt und winkte ihn zu mir nach vorn.

„Oh, ich sehe gerade, Maxi ist auch hier. Das ist eine schöne Überraschung, komm bitte dazu, Maxi.“

Gerry schloss ihn nicht aus, auch wenn er momentan nicht mehr im Bundesligakader stand.

Es wurden noch viele Fotos gemacht und nach Minuten konnte ich endlich unter die Dusche flüchten.

Aber dass ich dort meine Ruhe haben würde, war ein Irrtum. Schon wenige Minuten später waren unsere Spieler auch dort und feierten bereits dort mit Bier und Sekt den Titel. Niko wollte unbedingt mit mir anstoßen und hielt mir wiederholt ein Bier entgegen.

Dustin hatte das mitbekommen und reichte mir eine Fassbrause zum Anstoßen. Dann erklärte er Niko auf Englisch, dass ich keinen Alkohol trinken würde. Diese Situation nutzte ich, um mich schnell anzuziehen und die Umkleide zu verlassen.

Das würde ich Niko zu einem späteren Zeitpunkt noch erklären. Jetzt sollte die Mannschaft für ein paar Minuten unter sich bleiben können und einfach fröhlich sein.

Draußen herrschte immer noch ausgelassene Feierstimmung. Es waren noch etliche Zuschauer auf der Anlage und ließen sich die Getränke munden. Ich verspürte Hunger und stellte mich an einem der Grillstände an, als mir Gerry über den Weg lief.

„Du brauchst dir hier nichts zum essen zu besorgen. Es wird in dreißig Minuten im Sportpark ein Mannschaftsessen geben. Dort werden wir den Tag ausklingen lassen. Für morgen 15 Uhr habe ich mit Thorsten bereits eine Besprechung angesetzt. Da würde ich dich gerne dabei haben. Jan ist leider schon unterwegs.“

„Ja, das ist in Ordnung. Ich denke mal, ich sollte meinen Jungs morgen trainingsfrei geben. Das könnte heute spät werden.“

„Ja, das halte ich für eine vernünftige Idee. So wie die heute drauf waren, haben sie sich das auch verdient. Sie sollen heute mal ausgelassen feiern dürfen. Oder wie siehst du das?“

„Naja, sie sollen sich nicht wegschießen. Aber ein bisschen feiern ist sicher in Ordnung.“

Danach trennten wir uns wieder. Erneut auf dem Weg ins Clubhaus musste ich viele Glückwünsche entgegennehmen. Dieser ganze Trubel war überhaupt nicht meine Welt, aber das Gefühl, heute deutscher Meister geworden zu sein, war großartig. Nur richtig genießen konnte ich es noch nicht.

Dustin und Fynn hatten mittlerweile auch die Umkleide verlassen und wir trafen uns vor der Treppe zum Clubhaus.

„Da bist du. Wir haben dich schon vermisst. Es ist ein geiles Gefühl mit dir Meister geworden zu sein und das wollten wir dir auch sagen. Danke für deine ständige Unterstützung. Hoffentlich werden wir auch weiterhin so gut zusammenhalten.“

„Danke, Fynn. Ich freue mich auch sehr über diesen Erfolg. Genießt es richtig. Ihr habt es euch verdient und für morgen ist trainingsfrei. Aber passt etwas mit dem Alkohol auf. Achtet bitte vor allem auf Justin. Er hat noch sehr wenig Erfahrung mit dem deutschen Bier.“

Dabei zwinkerte ich ihnen zu. Aufgrund ihres gelösten Zustandes konnte ich davon ausgehen, dass sie schon das ein oder andere Getränk intus hatten.

Dustin lachte und gab Fynn einen Kuss.

„Du kannst dir sicher sein, dass ich auf meinen Freund aufpasse, Chris. Fynn wird nicht noch einmal abstürzen. Sonst gibt das richtig Ärger.“

„Hey, sei kein Spielverderber. Ich will auch meinen Spaß mal haben.“, protestierte Fynn lachend.

„Bevor ich das vergesse, Gerry erwartet uns in einer halben Stunde zum Meisteressen. Also seht zu, dass ihr da in Bestform auflauft.“

„Ja, klar. Hat uns Thorsten schon gesagt. Keine Sorge, wir werden pünktlich sein, aber jetzt wollen wir noch etwas mit unseren Freunden feiern.“

„Bringt Luc und Stef doch bitte mit. Sie gehören ja im Prinzip zum Team dazu. Luc repräsentiert schließlich einen wichtigen Sponsor.“

„Meinst du echt? Gibt das keinen Stress?“

„Ja, macht das bitte. Das nehme ich auf meine Kappe, aber Gerry wird das sicherlich gut finden.“

Danach gab Dustin seinem Freund einen Kuss und sie verschwanden Richtung Außentheke. Dort wurden sie freudig und jubelnd empfangen. Für mich war das eine gute Gelegenheit, ins Clubhaus zu gehen. Dort zog ich mich an einen Tisch zurück und schaute mir das Treiben an. Für ein paar Minuten konnte ich zur Ruhe kommen, aber dann tauchte Jan an meinem Tisch auf.

„Das ist schön, dass ich dich hier treffe. Ich hatte schon befürchtet, dass du vielleicht schon geflüchtet bist. Es ist toll, mit dir zusammen an diesem Erfolg gearbeitet zu haben. Heute haben wir bewiesen, dass wir das können. Wenn wir beide es wollen, geht das sehr gut. Ich freue mich sehr, dass du vorhin die Verantwortung übernommen hast und dich auf die Bank gesetzt hast. Auch gegen Thomas Willen. Auch wenn ich vorhin gesagt hatte, dass wir uns heute damit nicht mehr beschäftigen möchten, sage ich dir, Thomas hat uns bereits verlassen. Gerry hat ihm nahegelegt der Feier fernzubleiben. Also genieße die Stunden mit der Mannschaft. Ich bin stolz auf uns.“

Und entgegen seiner sonstigen Angewohnheit bat er mich, mit ihm gemeinsam zum Sportpark zu laufen. Wir sprachen auf dem Weg nicht mehr über das Match heute. Es ging schon um die Planung für Barcelona. Jan würde morgen bereits wieder mit Niko aufbrechen. Daher hatten wir leider keine Zeit, morgen noch über die Zukunft zu sprechen.

Für mich war dieser Spaziergang etwas ganz besonderes. Jan und ich waren in den letzten Jahren nicht häufig allein unterwegs. Dieses Gespräch hatte etwas Warmherziges. So, wie ich Jan selten erlebt hatte. Aber es wirkte ehrlich und ich bekam ein gutes Gefühl.

Als wir im Sportpark ankamen, wurden wir bereits erwartet. Der Service hatte für uns einen großen Raum mit einer langen Tafel hergerichtet. Es gab sogar Tischkarten. Ich hatte keine Ahnung wie sie das so schnell hinbekommen hatten.

„Äh, ich habe da ein Problem.“

Jan drehte sich um und schaute überrascht.

„Warum? Was ist los?“

„Na ja, ich hatte jetzt nicht gedacht, dass das hier so einen offiziellen Charakter bekommt. Ich hatte Dustin und Fynn gesagt, sie mögen Luc und Stef bitte auch mitbringen. Immerhin vertreten sie mit Marc einen der wichtigen Sponsoren.“

„Ja, und? Wo ist das Problem? Hast du doch richtig gemacht. Sie gehören hier her.“

„Aber das wusste jetzt doch niemand und es wird vermutlich weder zwei Plätze noch Tischkarten für sie geben.“

„Macht doch nichts. Ich sorge dafür, dass sie einen Platz neben Dustin und Fynn bekommen. Kein Problem.“

Jan ging nach vorn zum Empfang und ich schaute mich um. Wirklich eine fürstliche Tafel hatte man aufgebaut. Ich bekam bereits etwas zu trinken. Plötzlich hörte ich Stimmen. Gerry und Thorsten betraten den Raum in bester Stimmung. Thorsten hatte den großen Pokal in der Hand, den er auf einem Tisch an der Seite abstellte.

Jan ging nach vorn zum Empfang und ich schaute mich um. Wirklich eine fürstliche Tafel hatte man aufgebaut. Ich bekam bereits etwas zu trinken. Plötzlich hörte ich Stimmen. Gerry und Thorsten betraten den Raum in bester Stimmung. Thorsten hatte den großen Pokal in der Hand, den er auf einem Tisch an der Seite abstellte.

Bevor Jan zurückkam, betraten Daniel Munoz und Tim Pütz den Raum. Kolja und auch Christoph kamen mit ihren Frauen. Thorsten begrüßte sie und zeigte ihnen ihre Plätze. Jan kam zurück und brachte zwei der Servicekräfte mit, die schnell den Tisch erweiterten und für Luc und Stef noch zwei Tischkarten mitbrachten.

Als wir dann alle am Tisch saßen, hatte niemand mitbekommen, dass noch umgebaut worden war. Gerry saß am Kopfende der Tafel und ich hatte meinen Platz zwischen Luc und Fynn. Jan saß neben Gerry Weber und es gab trotz der ausgelassenen Stimmung nur leise Gespräche.

Gerry schlug dezent mit dem Messer gegen sein Glas und alle Gespräche verstummten. Aber überraschenderweise übergab er an Jan das Wort.

„Bevor wir mit dem Essen beginnen, möchte ich kurz etwas sagen. Vielen Dank für diese tolle Saison. Das Team hat stets als Team gearbeitet und die etablierten Spieler haben unsere Youngster hervorragend aufgenommen und integriert. Das haben sie mit exzellenten Leistungen zurückgegeben und das Ergebnis haben wir heute bekommen. Den Meistertitel ! Ich möchte an dieser Stelle Gerry danken für sein Engagement und gerade heute für seine klare Position. Bei Justin möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen und mich für seine Besonnenheit bedanken. Sein Einzelpunkt war vorentscheidend. Bevor Dustin und Fynn mich jetzt steinigen, Chris hatte die Situation erkannt und richtig reagiert. Ich muss zugeben, dass ich mit dieser Sturheit von Thomas nicht gerechnet hatte. Dass im Nachgang einige unschöne Szenen stattgefunden haben, finde ich schade. Allerdings hat sich mein Bruder vorbildlich verhalten und die Situation gerettet. Über die Konsequenz möchte ich heute Abend nichts sagen, nur so viel, mein Dank geht an Chris und ich freue mich, dass wir beide so gut zusammenarbeiten. Dafür gebührt dir ein besonderer Applaus.“

Alle, auch die Profispieler applaudierten und ich bekam eine Gänsehaut. Diese Worte taten mir gut, auch wenn sie mein Unverständnis nicht lösen konnten.

Dann nahm Gerry die Gelegenheit wahr und eröffnete offiziell das Essen.

„Wie geht es euch jetzt?“, fragte ich Fynn und Dustin.

„Ziemlich gut, aber meine Familie fehlt mir heute ein wenig.“

„Stimmt. Warum waren sie denn ausgerechnet heute nicht da?“

„Papa ist auf einem Kongress und Mama ist mit Patrick über das Wochenende zu ihm gefahren. Patrick war auch nicht begeistert. Er wäre lieber hier gewesen.“

„Kann er immer noch nicht allein zu Hause bleiben?“

Dustin blies seine Backen auf und ich spürte, dass ich gerade ein ganz schwieriges Thema eröffnet hatte.

„Mama meint, dass er nur Blödsinn im Kopf hat und das Haus verwüsten würde. Ich bin ja auch nicht da und deshalb geht das nicht.“

„Ok, das ist schwierig. Meinst du, es wäre sinnvoll, wenn ich mal mit deiner Mutter sprechen würde? Mein Eindruck von Patrick hier beim Training ist positiv. Er ist deutlich vernünftiger geworden.“

„Das finde ich auch“, mischte sich Dustin spontan ein.

„Er ist viel zuverlässiger geworden. Neulich hatte er mich sogar um Hilfe bei einem Schulproblem gebeten. Und, das fand ich noch viel wichtiger, er hat gut zugehört, als ich ihm das erklärt hatte.“

„Das finde ich doch toll. Solche Dinge sind wichtig.“

„Aber Mama denkt immer noch, er ist ein kleines Kind. Ich meine, er wird bald vierzehn und kann auch mal allein zu Hause sein. Aber vielleicht kannst du ja Mama überzeugen.“

Das versprach ich zu versuchen und auch mit Patrick noch ein Gespräch zu führen. Das Essen entwickelte sich zu einem Festmahl mit vier Gängen.

Die Gespräche nebenbei gefielen mir gut. Luc und Stef erzählten von ihren Plänen in München und erinnerten mich daran, dass ich rechtzeitig Bescheid geben sollte, wenn wir in ihrer Nähe wären.

Was mir besonders gut gefiel, Dustin und Fynn zeigten ihre Partnerschaft ganz offen und auch wenn ich bei Niko das ein oder andere Mal einen irritierten Blick wahrnahm, blieben die beiden bei ihrer offenen Position.

Als wir gegen acht mit dem Essen fertig waren und noch das ein oder andere Getränk konsumiert hatten, stieg die Stimmung bei den Jungs deutlich.

Tim Pütz kam zu mir an den Platz und fragte mich:

„Kommst du noch mit etwas um die Häuser ziehen?“

„Oh nein. Das lass mal. Ihr könnt aber gern noch etwas feiern.“

„Dürfen die Jungs noch mit um die Häuser ziehen?“

„Wenn sie möchten, klar. Aber da sie noch nicht volljährig sind, muss einer von euch die Verantwortung übernehmen. Und sie sollten sich nicht wegschießen. Wir haben ab morgen Barcelona anstehen. Da sollten sie um Mitternacht in der WG sein.“

Das machte ich den Jungs auch noch einmal deutlich und nach einer weiteren halben Stunde im Sportpark machte sich die Gruppe auf den Weg. Luc und Stef wollten auch mit und von daher konnte ich ruhigen Gewissens abschalten. Da sollte nichts schiefgehen. Dafür war Luc viel zu vernünftig.

Wir verlegten unseren Platz in die Bar des Sportparkhotels und ließen uns dort in der Lounge nieder. Gerry war bestens gelaunt und erzählte einige Anekdoten aus den früheren Jahren. Ich unterhielt mich nebenbei ein wenig mit Nikolosz und erklärte ihm auch, dass ich seit achtundzwanzig Jahren keinen Alkohol mehr trinken würde. Das respektierte er sofort und wollte sich sogar für sein Verhalten auf der Anlage entschuldigen.

Als Jan gegen halb zwölf aufbrechen wollte, nahm ich die Gelegenheit auch wahr, mit ihm das Hotel zu verlassen. Sie starteten am Morgen direkt zum nächsten Turnier, während ich erst am Montagnachmittag fliegen würde. Dafür hatten wir vorher noch die Besprechung. Also ausruhen war für mich eher nicht angesagt.

Ich fuhr mit einem mulmigen Gefühl am nächsten Tag nach Halle. Die Auseinandersetzungen mit Thomas hatten bei mir Spuren hinterlassen. Das konnte auch der Titel nicht kaschieren. Allerdings hatte ich schon von Jan und auch Gerry vernommen, dass sie eher die Verantwortung bei Thomas sahen. Dennoch fand ich es schade, dass trotz des Titels diese Dissonanzen entstanden waren. Umso schöner empfand ich die Begrüßung durch Thorsten, als ich sein Büro betrat.

„Hi, Chris. Hast du gut geschlafen? Oder hast du etwa hinter den Jungs hergedacht?“

„Haha - Hi Thorsten. Nein, ganz ehrlich, das war für mich kein Thema. Wenn sie abgestürzt sein sollten, wäre ich zwar enttäuscht, aber aushalten müssten sie es ja. Allerdings habe ich noch keine Katastrophenmeldung bekommen. Das werte ich mal als gutes Zeichen.“

„Das war sicher vernünftig. Du bist nicht ständig für sie verantwortlich. Außerdem fliegt ihr ja nachher schon Richtung Barcelona. Da werden sie sich keine Blöße geben wollen. Hast du deine Sachen schon dabei, oder fährst du noch einmal nach Hause?“

„Nein, meine Tasche ist schon im Auto. Das würde keinen Sinn machen, erneut nach Hause zu fahren. Wie hast du eigentlich die Situation gestern gesehen? Habe ich mir vielleicht doch etwas vorzuwerfen, so wie Thomas es mir gesagt hat?“

„Aus meiner Sicht ein ganz klares NEIN. Aber warte bitte bis Gerry auch hier ist. Er möchte das mit dir klären. Jan hat jedenfalls gesagt, hätte er es gestern zu entscheiden gehabt, hätte er Thomas suspendiert. Während eines Spieles so eine Aktion, ist ein absolutes „No Go“. Da die Bundesliga aber Gerrys Zuständigkeit ist, muss er das entscheiden. Immerhin hat Gerry ihm bereits gestern nahegelegt, nicht zum Essen zu kommen. Ich glaube, Gerry hat das bereits für sich entschieden. Er wird uns das nur noch mitteilen. Aber warten wir noch einen Moment.“

„Ich empfinde es auch als ein falsches Signal an die Jungs. Wir fordern Geschlossenheit als Team, bekommen es aber nicht hin, während eines Mannschaftsspieles die gemeinsam beschlossene Strategie umzusetzen. Wo bleibt da unsere Glaubwürdigkeit?“

Meine Verärgerung war immer noch vorhanden und ließ gleich meinen Puls ansteigen.

Bevor Thorsten noch eine Antwort geben konnte, betrat Gerry das Büro.

„Hallo zusammen. Wie geht es euch heute? Habt ihr den Erfolg schon genießen können?“

„Es geht so, Gerry. Ich bin immer noch verärgert über die Situation mit Thomas.“

„Okay, dann lasst uns direkt beginnen. Ich möchte das auch nicht groß in die Länge ziehen. Gestern hat Thomas einfach den Bogen überspannt. Seit Chris bei uns in die Betreuung des Bundesligakaders eingestiegen ist, gab es mit Thomas Probleme. Das soll aber auf keinen Fall bedeuten, dass Chris dafür verantwortlich ist. Gestern war es einfach so, dass Chris das Match von Justin gerettet hat. Thomas kennt die Jungs eigentlich gar nicht mehr richtig. Chris ist viel näher dran und kann schnell reagieren. Da Thomas eigentlich nur noch zur Bundesliga herkommt, wird das immer wieder problematisch werden.“

„Brauchen wir ihn eigentlich wirklich noch?“, fragte Thorsten ganz direkt.

„Nein! Chris hat die Jungs an die Bundesliga herangeführt und jetzt können sie fest bei uns spielen. Dafür ist Thomas eher hinderlich. Deshalb werde ich den Vertrag mit ihm nicht verlängern. Er kann in Österreich seine Tennisschule führen und wir werden mit unseren Coaches die Bundesliga betreuen.“

„Das halte ich für eine gute Entscheidung, denn auch Lennart soll sich in das Projekt einarbeiten. Vielleicht übernehmen Chris und Lennart das gemeinsam?“

Thorsten schaute mich dabei an und Gerry nickte.

„Das ist genau meine Vorstellung. Chris übernimmt das verantwortlich und bekommt vom Team die Unterstützung. Es wäre daher gut, wenn ihr den nächsten Spielplan in eurer Planung berücksichtigen würdet. Wenn Chris mit den Jungs noch unterwegs ist, werden Lennart und Thorsten das Team führen.“

Puh, das war jetzt eine Überraschung. Thorsten überlegte noch einen Augenblick und ergänzte:

„Unser neuer Coach, Marco, könnte da auch gut mit einsteigen. Chris kennt ihn schon viele Jahre und er hat auch große Erfahrungen. Das würde sich gut ergänzen. Mir gefällt diese Idee gut.“

„Was meinst du dazu, Chris? Traust du dir das zu?“

„Naja, ich empfinde das als große Anerkennung und da ich mich ja eh um die Jungs kümmere, bietet sich das auch für die Bundesliga an. Ob ich immer den richtigen Draht zu den großen Profis finde, kann ich nicht versprechen, aber ich werde mich auf jeden Fall bemühen.“

„Jan hat das Coaching von Niko als sehr gelungen empfunden. Er traut dir das absolut zu. Ich denke, damit ist das geklärt. Außerdem werden sich Dustin, Fynn und Justin sicher nicht ärgern, wenn Thomas nicht mehr da ist. Ich traue dir das absolut zu und freue mich auf die nächste Saison mit dir als Headcoach.“

Damit hatte ich nicht gerechnet, aber über diese Anerkennung freute ich mich sehr. Jetzt war ich sehr neugierig, wie meine Jungs das aufnehmen würden.

Fynn: Abreise nach Barcelona nach einer tollen Meisterfeier

Als wir uns von Chris in den Abend verabschiedet hatten, konnte ich mir kaum vorstellen, wie sich dieser Abend entwickeln würde. Nachdem wir das Sportparkhotel verlassen hatten, meinte Tim zu uns, dass wir uns etwas „ziviles“ anziehen sollten. Wir hatten ja immer noch unsere Mannschaftstrainingsanzüge an. Also machten wir uns schnell auf in die WG und zogen uns normale Sachen an.

Tim hatte ein Großraumtaxi organisiert und damit ging es in die Stadt. Ehrlich gesagt, wir hatten überhaupt keinen Schimmer, wo vielleicht etwas los sein könnte. Außer abends mal Billardspielen oder ins Kino gehen, hatten wir bislang noch nichts gemacht.

Als wir auf einem Parkplatz ausstiegen, fragte ich mal in die Runde:

„Wo geht es eigentlich hin?“

„Lasst euch überraschen, wir ziehen einfach mal um die Häuser.“

Zehn Minuten später standen wir am Eingang zu einer Discothek. Dort wurden natürlich unsere Ausweise kontrolliert und Dustin, Justin und ich durften nur rein, weil die anderen sozusagen auf uns aufpassten.

Der Bass ging schon auf dem Weg in die Music Hall durch Mark und Bein. Als wir in den Raum kamen, blieb mir erst einmal die Luft weg. Viele junge Leute tanzten und feierten auf der großen Tanzfläche. Überall Lichteffekte und Nebelmaschinen, die das Ganze in eine spezielle Atmosphäre tauchten.

Die Musik gefiel mir sehr gut, weil vor allem kein Techno wurde gespielt. Sogar richtige gute Rock- und Discomusik kam aus den Lautsprechern. Schnell wippte mein Fuß mit und bevor ich lange überlegen konnte, hatte mich Dustin auf die Tanzfläche gezogen und rockte mit mir ab.

Justin ließ sich auch nicht lange bitten und gab richtig Gas. Justin hatte für die jungen Mädchen das passende Outfit und sah echt schick aus. Schnell hatte er zwei von den Girls um sich herum und je mehr Cocktails er intus hatte, desto mutiger wurde er. Dustin und ich hatten erkannt, sollte er mit der Schlagzahl weitertrinken, würde das für ihn ein ganz böses Ende nehmen.

Dustin hatte es mehrfach auf die freundliche Art versucht, aber erst die klare Ansage von mir zeigte Wirkung. Mürrisch, aber klug, folgte er meinem Rat und stieg auf Cola und Wasser um. Das lustigste war allerdings, je nüchterner er wieder wurde, desto weniger mutig flirtete er.

Dustin und ich amüsierten uns köstlich, als ihn eines der Mädchen fragte, ob er sie nach Hause begleiten würde. Justin erschrak heftig und lehnte das sofort ab. Das Mädchen zog beleidigt von dannen, aber Justin kam im Anschluss zu uns und fragte:

„Hätte ich mitgehen sollen? Wer weiß was die von mir wollte.“

Ich konnte nicht anders und fing heftig an zu lachen.

„Na, das ist doch klar, was die wollte. Die wollte von dir gepoppt werden.“

Dustin hatte auch bereits ein paar Cocktails getrunken und entsprechend locker saß die Zunge. Nüchtern hätte er so einen Ausdruck garantiert nicht verwendet. Cool war, dass Justin mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen konnte und naiv nachfragte.

Nachdem Dustin ihm mit klaren Gesten deutlich gemacht hatte, was gemeint war, bekam Justin einen knallroten Kopf und lehnte derartige Ambitionen seinerseits kategorisch ab. Ich fand das sehr lustig und natürlich musste sich Justin später auf dem Heimweg noch den einen oder anderen Spruch von uns anhören. Luc und Stef hatten sich den ganzen Abend sehr zurückgehalten. Wir trennten uns, als sie Richtung Sportparkhotel abbiegen mussten.

Obwohl wir alle mehr Cocktails und Bier getrunken hatten als geplant, hatte der Fußmarsch in die WG einen guten Nebeneffekt. Mein Alkoholpegel war deutlich nach unten gegangen und auch Dustin ging es ähnlich.

Es war bereits gegen halb eins, als wir uns leise in unsere Betten machten. Wir waren etwas zu spät und willten außerdem Tim und Carlo nicht wecken. Das hätte mit Sicherheit zu dummen Sprüchen am nächsten Morgen geführt.

Allerdings gab es dann doch noch einen kleinen Zwischenfall. Um vier Uhr in der Frühe hörten wir nämlich ein dumpfes Geräusch und einen lauten Fluch. Justin war anscheinend auf dem Weg zur Toilette irgendwo gegen gelaufen. Am nächsten Morgen beim Frühstück wurde es offensichtlich. Justin hatte eine kräftige Beule auf der rechten Stirn und Martina war recht besorgt, denn die Beule sah schon heftig aus.

„Wie hast du das denn geschafft?“, fragte sie Justin.

„Grr, ich bin heute Nacht aufgewacht und musste zur Toilette. Irgendwie war ich noch nicht ganz wach und bin gegen die offene Schranktür gelaufen.“

Dustin schaute mich an und seine Gedanken waren vermutlich die gleichen wie meine. Aber Martina hakte nach mit einer schnippischen Bemerkung:

„Na, ich denke mal, dass es da vielleicht auch noch eine andere Ursache gab. Einer der zwanzig Cocktails war wohl zu viel. Könnte das auch eine Rolle gespielt haben?“

Justin schaute pikiert Richtung Decke. Ich wollte Justin unterstützen:

„Also, so schlimm war es wirklich nicht, Martina. Klar, wir waren nicht mehr ganz nüchtern, aber betrunken war auch keiner. Jedenfalls nicht, als wir zu Hause waren.“

Martina schaute mich an, überlegte einen Augenblick und fing an zu lachen.

„Ok, ich will das auch gar nicht so genau wissen. Ein deutscher Meistertitel ist auch etwas Besonderes, aber ob Chris das auch so einfach hinnimmt? Das weiß ich nicht. Schließlich müsst ihr ihm das gleich erklären.“

„Ja, ja. Das wird wohl jetzt schwieriger werden mit dieser Beule bei Justin.“

Dennoch musste ich lachen, je länger ich darüber nachdachte. Chris würde bestimmt einen Spruch abgeben, aber er würde uns auch nicht den Kopf abreißen.

Unser Frühstück verlief im Anschluss ganz normal und den weiteren Vormittag verbrachten wir mit Taschen packen und uns auf die Abreise nach Barcelona vorzubereiten. Allerdings hatte Dustin noch etwas Nachholbedarf, was unsere Beziehung betraf. In der Disko hatte sich einfach keine Gelegenheit ergeben auch mal für uns zu sein. Deshalb hatten wir es uns nach dem Packen auf dem Sofa gemütlich gemacht und genossen die Zweisamkeit.

Gerade wurde es spannend als es an unserer Tür klopfte.

„Boah“, stöhnte Dustin, „was ist hier heute eigentlich los?“

„Ja, jetzt ist es echt etwas nervig, aber einer von uns muss wohl die Tür aufmachen.“

„Dann du, ich habe gerade die falschen Sachen an.“

Falsche Sachen war leicht untertrieben. Er hatte gerade seine Jeans ausgezogen und seine Latte in der Boxershort war deutlich erkennbar. Deshalb ging ich zur Tür und als ich öffnete, stand Justin vor mir.

„Sorry, wenn ich störe, aber habt ihr noch genügend Griffbänder? Ich habe nicht mehr genug und Chris wird mich steinigen, wenn ich das erst in Barcelona sage.“

„Hihihi, das stimmt wohl. Komm erst mal rein. Ich muss auch nachschauen. Sonst müssen wir im Club bei Thorsten noch vorbei und Nachschub mitnehmen.“

Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Dustin hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass ich jemanden mitbringen würde. Er lag immer noch nur mit Boxershort bekleidet auf dem Sofa. Justin schien das sehr peinlich zu sein. Er schaute pikiert zur Seite, während Dustin mit mir schimpfte:

„Du bist doch schon so ein Freund. Hättest ja auch mal was sagen können, dass Justin reinkommt. Der denkt doch jetzt wieder ganz böse Dinge von uns.“

Ich musste lachen.

„Unsinn! Außerdem wären diese Gedanken erstens nicht böse und zweitens hätte er auch Recht. Das ist doch kein Geheimnis, dass wir auch mal unseren Spaß haben wollen.“

Justin wurde rot, aber er konnte auch kaum sein Grinsen verbergen.

„Sorry, Fynn. Es tut mir leid, dass ich euch gestört habe.“

„Ach, alles gut. Ich geh mal eben nachschauen.“

Schnell konnte ich feststellen, dass unser Vorrat auch nicht mehr groß war. Ich ging zurück:

„Nein, wir müssen auch Nachschub haben. Gut, dass du jetzt dran gedacht hast. Chris hätte uns wieder in den Hintern getreten, wenn wir damit erst in Barcelona gekommen wären.“

„Ich habe eh ein bisschen Schiss vor Chris. Wenn der die Beule sieht, denkt er doch bestimmt, dass ich volltrunken gewesen bin.“

„Vielleicht warst du das ja auch. Jedenfalls hättest du dich richtig abgeschossen, wenn wir nicht aufgepasst hätten. Und heute früh um vier warst du jedenfalls bestimmt noch nicht wieder nüchtern.“

„Du bist mir ja ein Freund. Aber stimmt schon, ich war unvorsichtig gestern. Ihr habt mich vor Schlimmerem bewahrt. Da ist das jetzt wohl die gerechte Strafe.“

Jetzt konnte er richtig befreit lachen. Dieses Lachen fand ich immer wieder toll. Justin hatte ein positives Gemüt. Mit einem Augenzwinkern verließ er uns wieder und wünschte sogar noch viel Spaß. Und den hatten wir dann doch noch und entsprechend gut gelaunt trafen wir am Club ein. Justin hatte auch keine Bemerkung mehr zu der Situation gemacht. Er konnte es sich vermutlich denken, dass wir noch ein wenig Spaß miteinander hatten.

Mein Blick ging zur Uhr und ich stellte fest, dass wir sehr zeitig waren. Chris Auto stand auch noch nicht auf dem Parkplatz. Das nutzten wir, um uns noch mit genügend Griffbändern einzudecken.

Thorsten war mit uns im Materialraum und als wir die Griffbänder eingepackt hatten, fragte er uns:

„Habt ihr jetzt auch alle genug Schläger? Jeder sollte sechs Stück von seinem Modell mitnehmen.“

„Sechs?“, fragte Dustin erstaunt.

„Ja, damit ihr immer genug Material zum Wechseln habt. Und denkt an genug Rollen Saiten. Chris wird richtig böse sein, wenn ihr schlecht vorbereitet seid.“

„Dann fehlen mir noch drei Schläger.“, meldete ich mich.

Justin hatte auch nur drei Stück genommen. Lediglich Dustin hatte schon alle Schläger von seinem Modell.

Schwer bepackt kamen wir wieder nach draußen und gerade in diesem Augenblick betrat Chris die Anlage. Er schaute nur kurz und lachte.

„Hey, guten Tag und wird das ein Schwertransport?“

„Hi, Chris. Ja, wir wollen nicht noch einmal von dir abgeraucht werden, weil wir nicht gut vorbereitet auf eine Turnierreise fahren. Dieses Mal dürften wir gut ausgerüstet sein.“

Ein wenig hatte ich auch die Hoffnung, dadurch würde ich etwas von Justins Beule ablenken. Chris ging auch weiter, ohne eine Bemerkung zu machen. Lediglich gab er uns den Hinweis, dass wir uns in dreißig Minuten am Auto treffen würden.

„Er scheint es nicht bemerkt zu haben.“, atmete Justin ein wenig erleichtert auf.

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Chris entgeht eigentlich nichts, schon gar nicht, wenn bei uns etwas nicht stimmt. Warte ab, wenn wir ins Auto steigen, wird er mit Sicherheit etwas dazu hören wollen.“

Justin stöhnte leicht auf, aber was sollte er jetzt auch noch machen? Die Beule war nun einmal da. Immerhin war sie nicht farbig geworden. Das würde sonst noch auffälliger sein.

So langsam kehrte auch bei mir ein wenig Anspannung ein. Eine weitere Turnierreise auf der Challengertour stand bevor und meine Eltern hatten mir heute Morgen noch alles Gute gewünscht. Papa hatte extra aus der Arbeit angerufen und mir Glück gewünscht. Das war ein tolles Gefühl, wieder eine richtige Familie im Hintergrund zu haben. Papa hatte mich sogar gebeten, dass ich ihm Dustin ans Telefon gebe. Das war für Dustin sehr emotional.

Als wir zu dritt an Chris Auto standen und auf ihn warteten, glänzte Justins Beule in der Sonne. Die war für Chris überhaupt nicht zu übersehen. Justin setzte sich deshalb sein Cappi auf und damit lag die Stirn im Schatten. Dann kam auch schon Chris aus dem Clubhaus und verabschiedete sich noch von Marco, der gerade zum Training gekommen war.

„So, Jungs. Seid ihr gut drauf? Habt ihr den gestrigen Tag gut verkraftet und seid bereit für neue Taten auf der Tour?“

Nebenbei öffnete er die Heckklappe seines BMW und wir konnten unsere Taschen und Schläger einräumen. Justin wollte sich als erster nach hinten setzen, aber Chris bestand darauf, dass er vorne sitzen sollte. Mir war sofort klar, dass Chris schon längst die Beule bemerkt hatte.

Als wir dann nach etwa zehn Minuten auf die Autobahn gefahren waren, fragte Chris:

„Ich hätte jetzt gerne die Geschichte zu deiner Beule gehört, Justin. Und ich empfehle dir, dass du gleich die richtige Geschichte erzählst.“

Das war unser Chris. Unsere Vermutung bestätigte sich in diesem Moment. Er hatte schon längst bemerkt, dass etwas vorgefallen war und Justin machte auch erst gar keinen Versuch, die Geschichte zu beschönigen. Er erzählte sogar, dass er zu viel getrunken hatte und wir ihn vor Schlimmerem bewahrt hätten. Als er dann die Sache mit der Schranktür erzählte, stutzte Chris. Er schaute Justin für einen kurzen Moment sehr streng an, dann fing er an zu lachen.

„Hahaha, wenn du mir nicht die ganze Geschichte erzählt hättest, würde es mir jetzt sehr schwer fallen, dir das zu glauben. Aber das ist so dumm, dass ich dir das abnehme. Du kannst von Glück sagen, dass nicht mehr passiert ist. Das sollte in zwei Tagen erledigt sein und dich nicht beim Spielen behindern.“

„Du bist nicht verärgert? Immerhin haben wir uns nicht unbedingt professionell verhalten.“

„Warum sprichst du von „wir“? Dustin und Fynn haben sich nicht so abgefüllt wie du.“

„Ja, okay. Das ist wohl korrekt. Es tut mir leid, aber ich habe nicht gedacht, dass das deutsche Bier so stark ist. Unser Bier in Kanada wirkt nicht so krass.“

„Diese Entschuldigung akzeptiere ich, aber ich möchte während der Turnierreise keine Wiederholung dieser Geschichte haben. Ich erwarte ab sofort eine professionelle Arbeitshaltung.“

„Geht klar, Chris.“, kam es aus unserem Mund.

Danach musste er wieder lachen und das Thema war erledigt.

„Da ist aber noch ein Punkt, den ich euch mitteilen muss. Es gab heute Vormittag noch eine Nachbesprechung zu dem Thema Thomas.“

Oha, da geriet mein Blutdruck gleich wieder in Bewegung. Hoffentlich würde ich jetzt nicht zu hören bekommen, dass Chris Ärger bekommen hatte. Erzählte von dem Gespräch mit Gerry und Thorsten und als er zum Schluss erwähnte, dass er für die nächste Saison Headcoach für die Bundesliga sein würde, brach bei uns Jubel aus.

Ab diesem Zeitpunkt beschäftigte sich Chris nur noch mit dem anstehenden Turnier.

Als wir im Flugzeug nach Barcelona saßen, hatte ich unseren Meistertitel auch schon fast nicht mehr im Kopf. Ich war sehr gespannt was uns in Spanien erwartete.

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