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Auf der Tour

Teil 14

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Neugier in Barcelona

Wir befanden uns im Landeanflug und ich war sehr neugierig wie dieser neue Abschnitt beginnen würde. Ich hatte auch wieder einiges zu lernen, denn die Abläufe auf der Challenger Tour waren schon etwas anders. Die Turniere waren erheblich größer und aufwendiger und noch besser durchorganisiert.

Das bekamen wir bereits direkt am Flughafen zu spüren. In meinen Unterlagen hatte ich einen Treffpunkt, wo sich die Teilnehmer einfinden sollten. Von dort würden wir mit einem Shuttle-Dienst in unser Hotel gebracht. Ich hatte dem Veranstalter im Vorfeld unsere Ankunft mitgeteilt und als wir mit unserem Gepäck am Treffpunkt ankamen, stand ein junger Mann für uns bereit. Er begrüßte uns sogar auf Deutsch. Das empfand ich als ausgesprochen nette Geste und es gab mir ein gutes Gefühl.

Schnell waren unsere Taschen in dem Van verstaut und es ging Richtung Hotel. Der Weg vom Flughafen führte uns auch durch weite Teile der Stadt. Nebenbei bekamen wir von unserem Fahrer sogar einige Informationen zur Stadt. Er war Student für Deutsch und Englisch auf Lehramt. Das erklärte auch seine recht guten Deutschkenntnisse. Meine Jungs waren zwar aufmerksam, aber ich konnte auch erkennen, dass gerade Fynn und Dustin sehr angespannt waren.

Unser Hotel hatte Thorsten so gewählt, dass wir die Anlage in der Nähe hatten und der Shuttle-Dienst keine langen Fahrstrecken benötigte. Der Verkehr in Barcelona war eine Katastrophe. Vor dem Hotel hielt unser Fahrer, der sich übrigens als Sergio vorgestellt hatte, und wir nahmen unsere Taschen aus dem Kofferraum. Ich bedankte mich für den hervorragenden Service und wollte schon Richtung Eingang gehen, als er mir noch eine Visitenkarte gab. Unter der dort angegebenen Telefonnummer konnten wir uns den Shuttle-Dienst bestellen. Er hatte mich nur darum gebeten, dies möglichst einen Tag vorher zu machen, um besser planen zu können.

Das war natürlich schon ein Unterschied zu den Future- oder Juniorenturnieren. Ich hatte die Jungs schon ins Hotel vorgehen lassen, damit sie uns an der Rezeption anmelden konnten. Damit wollte ich auch einmal sehen, ob sie sich schon in einer spanischen Stadt mit Englisch zurechtfinden würden.

Allerdings staunte ich nicht schlecht, als ich an der Rezeption feststellte, dass Justin sich mit der netten Angestellten fließend in Spanisch unterhielt.

Ich erhielt die Chipkarte für mein Zimmer und Justin verteilte auch die anderen Karten. Auf dem Flur angekommen stellte ich fest, dass unsere Zimmer nur wenige Meter auseinander lagen. Das war natürlich sehr praktisch.

„Justin, gibt es noch wichtige Informationen für uns? Du hast doch bestimmt alles erklärt bekommen.“

„Ja, ein paar Dinge sollten wir beachten. Vielleicht treffen wir uns in zehn Minuten bei Fynn und Dustin auf dem Zimmer. Dort ist vermutlich am meisten Platz.“

„Sehr gut, einverstanden. Dann richtet euch erst einmal ein und bis gleich.“

Mein kleines Zimmer war sehr modern und gut ausgestattet. Ich hatte W-Lan und auch mein Handy konnte ich dort einwählen. So konnte ich über das Internet umsonst telefonieren. Sehr praktisch.

Auf dem Zimmer lagen Speisekarten in drei Sprachen. Dieses Hotel war ganz offensichtlich auf internationale Gäste vorbereitet und dennoch recht günstig. Thorsten hatte eine gute Auswahl getroffen und das teilte ich ihm auch gleich direkt per Mail mit. Wir waren gut angekommen und gut untergebracht.

Anschließend nahm ich mit dem Turnierveranstalter Kontakt auf. Dustin hatte aufgrund seiner letzten Erfolge sogar eine Wild Card für das Hauptfeld bekommen. Das war etwas Besonderes für einen Deutschen in Spanien. Die Informationen waren ansonsten in Ordnung. Wir konnten am nächsten Tag zwei Stunden trainieren und dann am übernächsten Tag würde die Qualifikation beginnen.

Fynn öffnete mir die Tür ihres Zimmers und ich erkannte schnell, dass die beiden ein großes Doppelzimmer bekommen hatten.

„Hui, ihr könnt euch nicht über mangelnden Platz beklagen. Sogar eine kleine Sitzgruppe habt ihr.“

„Das stimmt, Chris. Außerdem ist alles sehr sauber und ordentlich. Thorsten hat ein gutes Hotel ausgesucht.“

„Naja, vermutlich hatte er von Jan einen Tipp erhalten. In Barcelona gibt es ja auch das ATP 1000 er Turnier. Da muss er ja auch jedes Jahr ein gutes Hotel haben.“

In diesem Augenblick klopfte es und Justin betrat das Zimmer. Wir waren vollzählig.

„Zuerst mal, woher sprichst du so gut Spanisch, Justin? Du überrascht mich immer wieder.“

Justin grinste und erwiderte:

„Naja, ich habe mich in der Schule für lebende Sprachen interessiert. Ich hatte mir damals schon überlegt, wenn ich mal mit dem Tennis viel unterwegs sein würde, wäre das sicher nicht von Nachteil.“

„Streber“, kam es spontan von Fynn mit einem fetten Grinsen.

„Mag sein, aber….“

Weiter sprach er nicht, denn er hatte bemerkt, dass Fynn einen Scherz gemacht hatte.

„Wisst ihr, es ist manchmal echt schwer für mich zu erkennen, ob es ernst gemeint ist oder nicht. Dafür fehlen mir einfach die Feinheiten in der deutschen Sprache.“

„Mach dir keinen Kopf. So geht mir das im Englischen. Und die Briten haben einen ganz anderen Humor. Ich finde bei euch Kanadiern ganz toll, dass die Kinder mindestens zweisprachig in der Schule aufwachsen. Das vereinfacht doch vieles später.“

„Welche Sprachen sprichst du denn, Chris?“, fragte Justin.

„Also wirklich gut kann ich eigentlich nur Englisch. Ein wenig Französisch aus der Schule ist noch hängengeblieben.“

„Ahja, ok. Dann gebe ich euch jetzt mal die Hotelinformationen weiter: Das Frühstück steht ab sieben Uhr bereit und kann bis halb zehn eingenommen werden, Mittagessen gibt es ab zwölf Uhr bis halb drei und Abendessen von achtzehn bis dreiundzwanzig Uhr.“

„Gut, das Mittagessen dürfte für uns eher selten infrage kommen. Gibt es sonst noch etwas, was wir wissen sollten?“, fragte ich.

„Es gibt im Keller noch eine Sauna und einen kleinen Pool. Den können wir ohne Aufpreis benutzen.“

„Cool, davon werden wir bestimmt Gebrauch machen.“, freute sich Fynn.

„Ach ja, und es gibt noch einen Fitnessbereich. Den könnten wir auch nutzen, aber der ist erst am Nachmittag geöffnet.“

Ich schaute auf die Uhr. Bis zum Abendessen hatten wir noch etwas Zeit und ich wollte, dass sich die Jungs noch etwas bewegen würden.

„Sehr schön, dann gehen wir in einer Viertelstunde noch eine Runde in den Fitnessraum. Anschließend duschen und dann gemeinsames Abendessen. Morgen geht es zwei Stunden auf den Platz. Beim Abendessen gebe ich euch die Auslosung und dann beginnt unser Abenteuer Barcelona.“

„Cool, Chris. Ich freue mich sehr auf dieses Turnier. Auch wenn wir vermutlich recht früh nach Hause fahren müssen. Aber gegen richtige Profis zu spielen, wird uns noch weiter nach vorn bringen.“

„Naja, Dustin. Du bist ja hier sogar direkt im Hauptfeld. Der Veranstalter hat dir eine Wild Card gegeben. Also wirst du hier auf jeden Fall wieder Weltranglistenpunkte bekommen. Das soll aber nicht heißen, dass wir das bereits immer von euch erwarten. Lernt einfach viel und arbeitet hart. Dann sehen wir, wie weit es geht. Habt ihr noch Fragen?“

Die Jungs schauten sich an und es schien alles geklärt zu sein. Also löste ich die Versammlung auf und ging in mein Zimmer, um mit Torsten zu telefonieren und mir aus der Datenbank dann noch Informationen zu unseren Gegnern zu holen.

Im Fitnessraum ließ ich die drei noch einmal richtig schwitzen. Insbesondere auf dem Laufband forderte ich sie richtig. Dustin stöhnte zwischendurch, dass sie bei der Belastung am nächsten Tag gar nicht mehr richtig spielen könnten.

Ich konterte gerade bei ihm, dass er ja noch drei Tage Zeit zum Trainieren hätte und daher Schonung gar nicht notwendig wäre. Das quittierte er mit einem gequälten Lächeln, während Justin und Fynn ihr Programm still und ruhig abspulten.

Wie ich bereits aus der Auslosung wusste, musste Justin am Abend des übernächsten Tages spielen und Fynn sogar erst in der sogenannten Nightsession unter Flutlicht. Das war eine neue Situation für uns. Bislang kannten sie nur Tageslicht bei ihren Spielen. Ich überlegte deshalb sogar, wenn möglich, unser morgiges Training in den Abend zu verlegen. Das wollte ich gleich beim Abendessen mit ihnen besprechen.

„Genug für heute, Leute. Duschen und dann Abendessen. Oder möchte heute noch jemand in die Sauna?“

„Nein, besser nicht. Wenn ich das jetzt noch mache, schlafe ich dort sofort ein. Ich bin platt. Lasst uns bitte gleich zum Essen gehen.“

Justin bekam ein Grinsen in sein Gesicht. Dustins Aussage hatte irgendetwas bei ihm im Kopf ausgelöst.

Beim Essen hatten es Dustin und Fynn auffallend eilig. Wir machten noch ein kurzes Briefing für den kommenden Tag und dann baten sie mich, sich zurückziehen zu dürfen. Erneut grinste Justin auffallend.

Mir war natürlich auch klar, was ihr Begehren sein würde. Allerdings konnte ich das auch verstehen. Sie hatten während des Turnieres selten Zeit, ihre Beziehung zu pflegen.

„Okay, wenn ihr nichts mehr habt, dürft ihr gehen. Allerdings ist um halb zwölf Bettruhe angesagt. Betonung liegt auf Ruhe.“

Obwohl wir uns schon so lange kannten, erröteten die beiden leicht als sie aufstanden. Justin schaute ihnen nach und fragte mich:

„Denkst du das gleiche wie ich?“

„Hihi, da ich nicht weiß, was du schon die ganze Zeit im Kopf hast, kann ich dir deine Frage nicht beantworten. Aber bevor du dir überlegst, ob es für dich auch Sonderregelungen geben könnte: Ich habe ein wenig Mitleid mit den beiden. Sie haben während eines Turnieres sehr wenig Gelegenheit sich nahe zu sein. Also lasse ich sie heute einmal gewähren und wir beide machen uns einen netten Abend ohne die beiden.“

Dieser nette Abend wurde wirklich sehr angenehm. Justin und ich hatten uns überlegt, noch einen kleinen Spaziergang durch die nähere Umgebung zu machen. Dabei kamen wir an einem schönen Café vorbei.

Wir betraten das Lokal und bekamen einen gemütlichen Platz für zwei Personen. Justins Spanischkenntnisse erleichterten mir die Auswahl.

„Wie geht es dir bei uns in Deutschland? Fehlt dir nicht ein wenig die Heimat und deine Familie?“

„Seit ich in der WG wohne, geht es mir viel besser. Diese langen Abende vorher immer allein zu sein, dass war schwierig. Auch meine Familie vermisse ich manchmal. Aber dass ich in Halle trainieren kann und von dir betreut werde, hat mich in meinem Tennis weitergebracht. Das wäre vermutlich mit meinem Vater nicht gutgegangen.“

„Ist denn das Verhältnis immer noch so angespannt? Oder hat es sich normalisiert seit du bei uns in Halle bist?“

„Durch die große Distanz ist es deutlich entspannter geworden. Manchmal denke ich sogar, dass ich mich früher vielleicht nicht immer richtig verhalten habe. Heute kann ich meine Eltern sogar um Rat fragen, ohne dass mein Vater gleich erwartet seinen Rat umzusetzen.“

„Er fängt an zu akzeptieren, dass du selbst entscheidest?“

„Ja, so ungefähr. Er kann es ja auch nicht beeinflussen. Er ist nicht hier.“

Bei dem letzten Satz spürte ich bei Justin Erleichterung.

„Darf ich dir eine persönliche Frage stellen, Chris?“

„Natürlich, fragen darfst du alles.“

„Jaja, ich weiß schon. Aber bist du mit deiner Position zufrieden? Du machst so viel für uns und dennoch ist dein Bruder dein Chef und kann dir vorschreiben wie du arbeiten sollst. Dabei kennt er uns doch kaum. Findest du das nicht blöd?“

„Nein, es ist ja nicht so, dass er sich oft in meine Arbeit direkt einmischt. Wir sprechen viel in den Teamsitzungen über die Entwicklung der Spieler und jeder Coach hat die Möglichkeit Ideen einzubringen. Jan bringt sich mit seiner großen Erfahrung genauso ein wie ich. Nur wenn er einen konkreten Anhaltspunkt hat, dass etwas falsch läuft, macht er klare Vorgaben. Also ich empfinde die Situation momentan als sehr angenehm. Wir arbeiten gut miteinander. Das war ganz sicher nicht immer so. Von daher bin ich mit der Konstellation sehr zufrieden.“

„Kannst du auch eigene Entscheidungen durchsetzen?“

„Natürlich. Gerade auf den Turnierreisen muss ich ja allein entscheiden und trage für euch die Verantwortung. Aber ich kann mich jederzeit mit dem Team besprechen, wenn ich möchte.“

„Wie siehst du unsere Situation heute? Können wir wirklich den Sprung zum Profi schaffen? Ich habe manchmal Zweifel, ob ich mich schnell genug entwickeln kann.“

„Ihr seid eher vor dem Plan zu sehen. In den letzten Monaten habt ihr großartige Fortschritte gemacht und dass ihr heute bereits auf der Challengertour spielt, ist nicht zu erwarten gewesen. Ob es tatsächlich für die große ATP-Tour reichen wird, kann man heute nicht vorhersagen. Es können Verletzungen kommen oder andere Probleme. Also ich sehe das entspannt und lasse es auf uns zukommen.“

„Nehmen wir mal an, wir würden es tatsächlich schaffen. Wirst du uns dann auch weiter trainieren? Dann wären wir ja noch mehr unterwegs. So wie Jan mit seinen Spielern.“

„Ich kann es dir nicht sagen. Aber das heißt nichts. Wenn mir jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, ich würde einmal mit meinem Bruder als Chef arbeiten, dann hätte ich ihm wohl einen Vogel gezeigt. Von daher, abwarten.“

Justin musste lachen, als ich das gesagt hatte.

Den Abend empfand ich als entspannend und aufschlussreich. So oft hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, mit Justin in Ruhe mal ein Gespräch führen zu können.

Zwei Tage später wurde es ernst für uns. Fynn und Justin hatten am Abend ihre erste Qualifikationsrunde zu spielen.

Wir hatten gut trainiert und uns akklimatisiert. Meine Jungs waren hochmotiviert und die Auslosung hätte schlechter sein können. Keiner musste gegen einen Gesetzten spielen und auch Dustin hatte das Glück in der ersten Hauptrunde einen Qualifikanten zugelost zu bekommen.

Ich hatte mit Fynn und Justin die Strategie bereits besprochen und Dustin übernahm das Betreuen seines Freundes auf dem Platz. Justin war fast parallel angesetzt, daher entlastete mich Dustin schon mit seiner Unterstützung.

Dustin: Abenteuer Barcelona

Meine Anspannung war mit jedem Tag in Barcelona angestiegen. Heute ging es endlich los und mein Freund spielte sein erstes Match. Chris hatte uns gut eingestellt und vorbereitet, dennoch spürte ich Nervosität. Es fühlte sich anders an als bislang. In meinem Kopf kreisten die Gedanken, dass es mehr Bedeutung hatte, ein Challenger zu spielen. Chris hatte uns zwar immer wieder gesagt, dass es kein besonderes Turnier sei. Dennoch wollte ich etwas Besonderes leisten. Auch jetzt auf der Tribüne in der Coaching Box. Überhaupt, eine Coaching Box, das kannte ich nur von den Gerry Weber Open. Das war das große Rasenturnier in Halle.

Hier bekam jeder Teilnehmer einen Ausweis und jeder Coach auch. Damit hatte man Zugang zu allen Bereichen. Zumindest als Spieler so lange man im Wettbewerb war, als Trainer konnte man überall hin, wenn noch ein eigener Spieler im Turnier war.

Das Einschlagen war beendet und der Schiedsrichter rief das obligatorische „Time“ und es wurde ernst. Hier wurde auch bereits in der Qualifikation mit Linienrichtern gespielt. Das war für uns neu.

Fynn hatte schnell mit mir Blickkontakt aufgenommen. Er hatte sich für Rückschlag entschieden und bereitete sich jetzt auf den ersten Aufschlag vor. Sein amerikanischer Gegner war als guter Aufschläger bekannt. Allerdings spielten wir hier auf Sand und nicht auf Hartplatz. Das sollte vielleicht ein kleiner Vorteil sein.

Mein Freund begann furios. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, denn er ging auf jeden Ball offensiv drauf und spielte einfach. Wow, dachte ich, hoffentlich macht er so weiter und fängt nicht an zu denken.

Im Gegensatz zu Chris konnte ich nicht ruhig auf meinem Platz sitzen bleiben. Nach jedem gewonnenen Punkt pushte ich Fynn nach vorn. Er suchte immer wieder meinen Blick und ich gab ihm mit Gesten eine Antwort.

Ein unglaublich guter erster Satz ging im Tie-Break mit 10:8 für Fynn zu Ende. Er konnte tatsächlich auch spielerisch dagegenhalten.

Mich kostete allein dieser eine Satz enorm viel Energie. Wie konnte Chris das bloß über den ganzen Tag aushalten? Mein Respekt wuchs von Spiel zu Spiel im zweiten Satz. Auch hier zeigte Fynn großes Tennis. Sein Gegner hatte nicht einen Breakball und somit reichte ein Break beim Spielstand von 1:0 im zweiten Satz, um das Match mit 6:4 im zweiten Satz tatsächlich zu gewinnen.

Leider war es hier nicht möglich, sofort auf den Platz zu laufen und ihm zu gratulieren. Ich musste warten, bis Fynn endlich vom Platz in die Umkleide kam.

„Boah, endlich kann ich dir gratulieren.“

Wir umarmten uns und ich gab ihm den Siegerkuss. Da in der Umkleide noch viele andere Spieler waren, wurden wir natürlich beobachtet. Aber wie in Deutschland sprach niemand mit uns. Ich war gespannt, wie sich das hier entwickeln würde. Jetzt wollten wir aber Justin noch unterstützen und gingen gemeinsam zu seinem Platz. Auch hier gab es Tribünen und Chris saß in seiner Coachingbox. Unsere Ausweise wurden vor dem Betreten der Tribüne kontrolliert, erst danach durften wir uns zu Chris setzen.

Justin hatte den ersten Satz knapp mit 5:7 verloren, kämpfte aber verbissen um jeden Punkt. Dennoch spielte er sein druckvolles Spiel und versuchte seinen Gegner in Schwierigkeiten zu bringen. Chris war während des Spieles komplett im Tunnel mit Justin. Er hatte ständig Blick- und Gestenkontakt mit ihm. Erst als es im zweiten Satz 3:2 für Justin stand und die Seiten gewechselt wurden, sprach er mit uns.

„Hi, na, wie war es bei euch? So wie Fynn strahlt, kann es nicht so schlecht gewesen sein.“

„Jap, ich habe gewonnen und mein Schatz hat mich super gecoacht.“

Fynn gab mir zur Bestätigung einen Kuss und Chris zwinkerte uns zu.

„Das ist doch mega cool. Damit haben wir schon unser erstes Ziel erreicht. Außerdem finde ich das klasse, dass ich jetzt von Dustin ersetzt werden kann. Da kann ich ja auch mal ausspannen und Dustin arbeiten lassen.“

„Blödmann“, erwiderte ich, „du hast viel mehr drauf als ich. Ich kenne Fynn halt gut, aber bei Justin würde ich auf dem Schlauch stehen.“

Das Spiel ging weiter und Chris gab mir nur lächelnd einen kleinen Klaps auf die Schulter. Danach konzentrierte er sich wieder nur noch auf Justin und das Spiel. Fynn und ich waren fasziniert wie sich Chris fokussieren konnte. Er spielte jeden Ball im Geiste mit. So wurde mir bewusst, wie anstrengend das für Chris war. Vor allem, er konnte nach einem Match ja nicht ausspannen, wenn wir fertig gespielt hatten. Er musste alle Spiele an einem Tag betreuen.

Und hier waren die Anforderungen deutlich höher. Ich hatte den Eindruck, dass es für ihn gar keine Luft zum Erholen gab. Justin kämpfte sich in das Match zurück und gewann den zweiten Satz im Tie-Break. In der Satzpause vor dem dritten Satz, ging Chris in die Umkleide, um sich mit Justin kurz zu beraten. Wir blieben auf unseren Plätzen.

„Eigentlich müsste Chris auch Konditionstraining machen. Er hat einen Marathon zu bewältigen, wenn wir alle an einem Tag spielen müssen. Ich finde das beachtlich.“

Mein Schatz schaute mich lächelnd an und mit einem Kuss antwortete er:

„Allerdings ist das beachtlich. Und er ist immer gut gelaunt, egal wie stressig es gerade ist. Da könnten sich die anderen auch einmal eine Scheibe von abschneiden.“

„Nein, auf gar keinen Fall. Dann hätten wir ja weniger von Chris.“

Jetzt schaute mich Fynn mit einem fragenden Blick an.

„Hä?“

„Na, wenn sie sich von Chris eine Scheibe abschneiden, dann bleibt für uns ja weniger übrig. Das geht nicht. Wir brauchen den ganzen Chris bei uns.“

„Hihihi, ja das stimmt auf jeden Fall. Das geht gar nicht.“

Ich belohnte meinen Freund für diese Erkenntnis erneut mit einem Kuss.

Wir waren sehr mit uns und dem Spiel von Justin beschäftig und bekamen so auch nicht mit, dass wir beobachtet wurden. Erst als Chris wieder bei uns war, machte er uns darauf aufmerksam.

„Ihr habt aber schon bemerkt, dass ihr von der örtlichen Presse bereits reichlich fotografiert werdet und über uns geredet wird.“

„Nö, warum sollte das so sein? Was haben wir verbrochen?“

„Verbrochen nichts, aber ihr seid immer noch eine Rarität in der Tennisszene. Ein schwules Paar, das auch noch gemeinsam erfolgreich ist. Das hat es bislang noch nicht gegeben. Entsprechend genießt ihr hier große Aufmerksamkeit. Das soll aber nicht heißen, dass ihr jetzt weniger offen mit euer Beziehung umgeht.“

„Da kannst du Gift drauf nehmen. Die Zeiten sind endgültig vorbei. Entweder sie akzeptieren uns so oder eben nicht. Dann müssen wir halt mit Erfolg überzeugen. Hihi.“

„Das gefällt mir gut. Erfolg können wir nicht garantieren, aber maximalen Einsatz. Den können wir garantieren. Und das zählt für mich. So, jetzt müssen wir aber schauen, dass Justin auch in die zweite Qualifikationsrunde einzieht.“

Und schon war Chris wieder im „Coaching Modus“. Unglaublich wie er das konnte. Er drehte sich einfach zum Platz und schon war er komplett in das Match eingetaucht. Justin begann auch sehr offensiv und setzte seinen Gegner noch mehr unter Druck. Damit hatte der anscheinend nicht gerechnet, denn Justin gelang sofort ein Break zum 1:0.

Für uns war das ein Grund zu jubeln und ihn anzufeuern. Chris blieb hingegen regungslos auf seinem Platz und gab Justin nur ein oder zwei Zeichen. Und das klappte, genau wie bei unseren Spielen, hervorragend. Justin nickte nur kurz und spielte genauso furchtlos weiter.

Je genauer wir Chris beobachteten, desto weniger bekamen wir vom Spiel mit. Irgendwann hatte ich sogar den Spielstand aus den Augen verloren und musste Chris danach fragen.

„Wofür sitzt ihr eigentlich hier, wenn ihr nicht mal den Spielstand verfolgt.“

Das war mir peinlich, aber ich hatte nicht mit der Antwort von Fynn gerechnet:

„Sorry, Chris. Aber wir haben dich so fasziniert beobachtet, dass ich das Spiel nicht mehr richtig verfolgen konnte.“

Chris Kopf schnellte herum und er schaute uns mit großen Augen an. Für einen Augenblick hatte ich gedacht, er würde sich tierisch aufregen. Dann begann er zu lachen. Mitten in einem Ballwechsel.

Justin machte glücklicherweise dennoch den Punkt, aber schaute danach irritiert in Richtung unserer Box. Chris sammelte sich sofort wieder. Aber er sagte noch leise:

„Darüber sprechen wir später noch einmal. Aber jetzt müssen wir Justin anfeuern. Es fehlt nur noch ein Spiel zum Einzug in die nächste Runde.“

Dieses eine Spiel wurde allerdings noch zu einer echten Nervensache. Aber Justin brachte es nach Hause und jubelte, als er den Matchball verwandelt hatte. Ich umarmte Fynn und freute mich tierisch für Justin. Damit mussten Fynn und er nur noch ein Spiel gewinnen, um ins Hauptfeld zu kommen und Weltranglistenpunkte und Preisgeld zu bekommen. Irgendwie war das für mich noch nicht greifbar. Dennoch war die Freude groß.

Chris: Ein Traum oder Wirklichkeit?

Unglaublich wie sich das in Barcelona anließ. Justin und Fynn hatten mit einer tollen Leistung ihre erste Runde in der Qualifikation gewonnen und ich hatte jetzt die Aufgabe, sie auf den nächsten Gegner vorzubereiten.

Das Niveau der Qualifikation bei diesem Challenger hatte in etwa ein Halbfinale bei einem Future. Also war das bereits ein Riesenerfolg.

Entsprechend gelöst saßen wir abends im Hotel beim Essen. Ich hatte den Jungs bereits erklärt, dass jeder weitere Sieg als Überraschung zu sehen sei.

Während wir den Nachtisch verspeisten, fragte Dustin mich:

„Dürfen wir bald mit dem Führerschein anfangen?“

„Macht das, aber wann wollt ihr das nebenbei auch noch machen? Dafür ist momentan gar keine Zeit.“

„Ich dachte an eine Ferienfahrschule und das in unserem Urlaub machen zu wollen.“

Das einzig irritierende an diesem Thema war für mich der Zeitpunkt. Wir saßen in einem Hotel während eines Challengerturniers in Barcelona. Dass sie hier für solche Ideen Platz hatten, zeigte mir ihre positive Entwicklung. Es gab eine gewisse Gelassenheit mit der Situation.

Allerdings stand noch die Vorbesprechung der letzten Qualifikationsrunde an. Beide hatten sehr schwere Gegner, die deutlich höher in der Weltrangliste standen. Aber für mich vereinfachte es die Lage auch erheblich. Ich gab ihnen einfach eine strategische Marschroute und ließ es damit bewenden.

Nach einer kurzen Gedenksekunde fragte ich in die Runde:

„Möchte noch jemand einen Kaffee oder Tee?“

Justin meldete sich sofort und dann zogen die anderen beiden auch nach. So wurde es noch ein sehr interessanter Abend, in dem Tennis nur noch ein Randthema war.

„Wie ist eigentlich deine Situation mit Jan? Bist du zufrieden oder hast du es manchmal bereut, deinen alten Beruf aufgegeben zu haben?“

Dabei hatte sich Justin anscheinend nicht mit den anderen abgesprochen, denn Fynn schaute überrascht nach dieser Frage.

„Justin“, fragte dann auch Dustin, „musst du ausgerechnet hier dieses Thema anschneiden? Chris ist mitten im Turniermodus.“

„Lass gut sein, Dustin. Das ist doch eine berechtigte Frage. Ich möchte darauf mit einem klaren Ja antworten. Ich bin sehr zufrieden und das in jeglicher Hinsicht. Das Einzige was mir momentan fehlt, ist Erholung. Ich bin noch nicht so gelassen wie Jan bei den großen Turnieren. Ich will auch gar nicht darüber nachdenken, wie das bei einem großen ATP Turnier wäre. Das Verhältnis zu meinem Bruder hat sich deutlich verbessert. Allerdings weil wir beide uns aufeinander zu bewegt haben. Das möchte ich gerade für Fynn sagen. Die Veränderung in einer Beziehung geht nur, wenn beide Seiten sich bewegen. Und miteinander sprechen. Sonst wird das nicht gelingen. Und in unserem Fall hat mein Bruder den ersten Schritt gemacht. Ich habe mir nur lange überlegen müssen, ob er es ernst meint.“

„Das kommt mir bekannt vor.“, seufzte Fynn.

„Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich kann mich gut erinnern wie du mir deine Zweifel beschrieben hast und dich gefragt hast, meint dein Vater das ernst oder ist es nur Gerede.“

„Allerdings, ich habe einige Zeit gebraucht, um ihm wieder glauben zu können. Heute ist vieles schon gut geworden, aber manchmal traue ich ihm einfach nicht. Das sitzt tief und fühlt sich blöd an.“

Justin schaute immer wieder zwischen uns hin und her. Seine Familie war anscheinend ohne derartige Probleme und damit war das für ihn schwer nachvollziehbar.

„Was hättest du eigentlich gemacht, wenn Jan gesagt hätte, schön, dass du Fynn und Dustin aufgefangen hast, aber jetzt brauchen sie einen Proficoach.“

„Ich wäre zurück in meinen Beruf und hätte euch nicht weiter betreut. Darauf hätte ich keinen Einfluss nehmen können. Das wäre ganz allein die Entscheidung vom Team gewesen. Aber ich glaube, wir sehen heute, dass es gut war und ist, dass ich euch weiter betreuen kann. Oder wie denkt ihr darüber?“

Ich hatte diese Aussage mit einem leichten Augenzwinkern getätigt. Jetzt war ich gespannt auf die Reaktion der Jungs.

„Aber hallo! Ich möchte darüber gar nicht spekulieren. Mit Thomas hätte es ganz sicher früher oder später richtig Stress gegeben. Haben wir ja auch gerade wieder in der Bundesliga gesehen. Ich bin sehr froh, dass sich das Team so entschieden hat.“

Erst als es kurz vor Mitternacht war, fragte Justin erstaunt:

„Boah, Leute. Schaut mal auf die Uhr. Ist irgendetwas Besonderes heute, Chris? Sonst schickst du uns viel früher ins Bett, wenn wir am nächsten Tag spielen müssen.“

„Ja“, antwortete ich mit einem Lächeln, „es ist morgen die Finalrunde in der Qualifikation und ihr könnt euer größtes Preisgeld eurer bisherigen Karriere einfahren.“

Das verwirrte sie nun vollends.

„Leute, kommt mal klar. Ich möchte, dass es zur Normalität wird, was wir hier machen. Vielleicht werdet ihr bald auch ein ATP 250 er Turnier spielen und die Medien werden immer mehr auf euch aufmerksam werden. Ich möchte weg von der besonderen Situation. Es soll Alltag werden. Aber Justin hat schon recht, es ist jetzt Zeit für euch ins Bett zu gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag.“

Marc: Kultur und Tennis?

Chris war mit seiner Truppe deutscher Meister geworden, Luc und Stef waren dabei gewesen und sind anschließend nach München weitergefahren. Luc hatte mit Stef meinen Ferrari bei Karl abgeliefert und sollte sich vor Ort um die Veredelung kümmern. Ich wollte ein eigenes Auto mit einem Design von Luc darauf haben. Für die Oldtimer kam das nicht in Frage, also musste es ein aktuelles Fahrzeug sein.

Damit Sabine mit nach München kommen würde, hatte ich kurzerhand noch einen Städtetrip nach Barcelona gebucht. Sabine hatte ich nichts davon erzählt, weil ich sie damit überraschen wollte. Aber ich wollte mir vor Ort auch einen Überblick über die Entwicklung der Jungs machen und nebenbei ein wenig Kultur mit meiner Frau. Vielleicht würde ja der ein oder andere von der Tennistruppe zur Stadtbesichtigung mitkommen können.

Es war ihr erstes Turnier auf der Challenger Tour und hatte eine Dotierung von über 100 000 Dollar.

Barcelona war eine tolle Stadt und es lohnte sich auf jeden Fall, dort ein paar Tage Urlaub zu machen. Auf dem Rückweg würden wir über München fliegen und den Ferrari dann mit nach Hause nehmen.

Sabine und ich waren seit unserer Hochzeitsreise nach Neuseeland nicht mehr richtig im Urlaub. Jetzt hatte ich mir das kurzfristig überlegt, denn sie war noch nie in Barcelona.

Ich hatte die Flüge und das Hotel bereits gebucht und auch die Tickets bereits erhalten, als ich zu ihr in den Garten kam.

„Was machst du, Schatz?“, fragte ich.

„Ich schneide den Magnolienbaum etwas zurück. Und ich habe mir die Obstbäume genauer angesehen. Sie sehen nicht gesund aus. Schau dir mal die Blätter an. Vielleicht sollten wir doch mal einen Fachmann befragen.“

„Das halte ich für eine gute Idee. Ich weiß auch schon welchen Fachmann ich zu Rate ziehen möchte.“

„Hast du noch Kontakt zu Benny? Er hat ja damals unseren Garten neu gestaltet.“

„Ja, ich habe noch eine Handynummer und eine Email Adresse. Ich werde ihn fragen, ob er sich unseren Garten noch einmal anschauen kann.“

„Das wäre doch schön. Irgendwie ist das alles schon ganz schön gewachsen und bei den Obstbäumen kenne ich mich überhaupt nicht aus.“

Gedanklich hatte ich mir eine Notiz gemacht und würde das schön finden, sich mit Benny wieder zu treffen. Jetzt wollte ich aber Sabine mit der Wochenendplanung überraschen.

„Darum kümmere ich mich. Wir haben schließlich Benny damals versprochen, dass wir uns melden werden, wenn wir seinen Rat benötigen. Aber Schatz, ich habe noch ein anderes Problem.“

Jetzt drehte sie sich und schaute mich an. Ihre Augen wurden für einen kleinen Moment sehr schmal, bis sie ernst erwiderte:

„Was ist passiert? Was hast du kaputt gemacht?“

„Ich? Nichts, aber ich wollte dich fragen, ob du am kommenden Wochenende schon etwas vor hast?“

„Puh, da muss ich überlegen. Nein, ich denke nicht. Warum fragst du das? Eventuell wollten Mick und Lukas zu Besuch kommen.“

„Hm, das glaube ich jetzt eher nicht. Ich habe nämlich ein kleines Attentat auf dich vor. Wir werden am Donnerstagabend in den Flieger steigen und uns Richtung Barcelona aufmachen. Am Montagmorgen fliegen wir dann nach München und nehmen den Ferrari wieder mit nach Hause. Vielleicht bleiben wir auch noch ein paar Tage dort. Was hältst du davon?“

„Wie willst du jetzt noch Flüge bekommen und vom Hotel ganz zu schweigen. Aber Barcelona wäre toll. Da wollte ich immer schon einmal hin.“

„Ich brauche keine Flüge und kein Hotel mehr zu bekommen, weil ich bereits alles habe. Wir können einfach losfahren und uns verwöhnen lassen.“

Sabine schaute mich an wie von einem anderen Stern.

„Das ist nicht dein Ernst. Wie geil. Du kannst mich immer noch überraschen.“

Sie umarmte mich mit einem intensiven Kuss.

Meine Entscheidung, das einfach so zu machen, schien also auf Gegenliebe gestoßen zu sein.

„Dann müssen wir ja schon unsere Koffer packen. Wenn wir morgen bereits starten, dann muss ich mich besser jetzt um meine Sachen kümmern.“

Sabine lachte dabei und erneut wurde mir bewusst, dass sie und Luc sich doch mehr ähnelten als man auf den ersten Blick sehen konnte. Ein umwerfendes Lachen, genau wie es mich damals bei Luc so fasziniert hatte.

Am Abreisetag hatten wir noch unsere Kinder informiert, dass wir nach Barcelona fliegen. Luc wies uns natürlich sofort auf das Turnier hin und dass unsere Freunde dort spielten. Als ich ihm mitteilte, sie dort auch besuchen zu wollen, musste ich allerdings darauf bestehen, dass er ihnen nichts verraten durfte.

In Genf am Flughafen ging alles reibungslos. Beim Boarding wurden wir sehr freundlich empfangen. Sabine rechnete allerdings nicht damit, dass wir „first class“ fliegen würden. Eigentlich war ich kein Freund von diesem übermäßigen Luxus, aber heute sollte es etwas Besonderes sein.

„Sag mal, Schatz, ich finde unsere Plätze gerade nicht. Die Flugbegleiterin schickte mich in diese Richtung, aber hier kommt nur noch die first class.“

„Da bist du auch genau richtig. Wir werden es uns an diesem Wochenende einfach nur gutgehen lassen. Und mit der Anreise beginnen wir.“

Ich nahm Sabine zärtlich in den Arm und ließ uns von einer Flugbegleiterin den Platz zeigen. Sabine schaute mich verwundert an und wir ließen uns in den Luxussesseln nieder.

Bevor die Maschine vom Gate rollte, bekamen wir schon die ersten Getränke gereicht. Sabine entschied sich für einen Rotwein, ich nahm lieber etwas Alkoholfreies und entschied mich für einen Ipanema.

Während des Fluges begann bereits unsere Erholungsphase. Wir wurden nach Strich und Faden verwöhnt. Es gab sogar noch ein kleines Essen. Die neunzig Minuten Flugzeit vergingen schnell und Sabine schien nach der butterweichen Landung über etwas nachzudenken.

„Sag mal, Schatz. Was hast du vor? Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du irgendwas noch im Schilde führst.“

„Hihi, ja, ich bekenne mich schuldig. Eine Sache möchte ich in Barcelona schon machen, aber in erster Linie möchte ich uns für die letzten Monate einmal belohnen. Wir haben viel erlebt mit unseren Kindern und deren Freunden. Das hat Energie und Zeit gekostet. Jetzt möchte ich mit dir Zeit verbringen, ohne dass uns jemand stören kann.“

Sabine umarmte mich und gab mir einen Kuss.

Mittlerweile hatten wir unsere Reisetaschen bekommen und waren auf dem Weg aus dem Flughafen hinaus.

Vor dem Ausgang wurden wir von einem jungen Mann in einem Anzug angesprochen:

„Herr und Frau Steevens? Willkommen in Barcelona. Ich darf Sie in ihr Hotel bringen. Würden sie mir bitte folgen.“

Wow, das klappte hervorragend. Meine Hotelauswahl schien richtig zu sein. Sabine war irritiert, denn das kannte sie nicht von mir, dass ich mich so verwöhnen ließ. Obwohl ich mir das jederzeit hätte leisten können, war mir zuviel Luxus einfach zuwider. Und ein wenig übertrieben wurde es jetzt allerdings mit dem Fahrservice. Wir wurden in einem Rolls Royce Ghost chauffiert. Sabine ließ sich aber einfach fallen und begann dieses Wochenende zu genießen. Genau das war mein Ziel.

„Welches Hotel hast du dir ausgesucht? Wird das ein Palast? Wenn der Fahrdienst schon so nobel ist.“

„Nein, kein Palast. Aber ein modernes Top-Hotel der fünf Sterne Kategorie. Für meine Frau soll es nur das Beste sein.“

Dabei gab ich ihr einen Kuss und wir mussten beide lachen.

Der Rolls glitt nahezu geräuschlos über die Straßen und als wir vor dem Portal des Pullman Barcelona anhielten, öffnete uns der Doorman sogleich die Tür.

Wir wurden freundlich begrüßt und in das Hotel geleitet. Unsere Taschen brauchten wir gar nicht aus dem Auto zu nehmen. Das wurde vom Personal erledigt und direkt in unsere Suite gebracht. Nach dem Einchecken gab es noch die Chipkarten für die Suite und wir wurden gefragt, ob wir eine Begleitung dorthin wünschten oder den Weg selbstständig finden würden. Ich bejahte dieses und erntete damit erneut Verwunderung bei Sabine.

„Dass ich das noch erleben darf. Du lässt dich führen? Kann ich gar nicht glauben.“

Ich legte meinen Arm um sie und erwiderte lachend:

„Ja, weil ich keine Lust habe, mit dir Ärger zu bekommen, weil ich wieder Alleingänge plane.“

„Du wirst auch weiterhin deine Alleingänge machen, aber jetzt genieße ich jede Minute dieses Wochenendes.“

Sabine staunte über unsere Suite. Sie hatte ein eigenes Bad mit Whirlpool und einen Balkon mit Blick auf den Hafen. Als wir dort standen ging die Sonne gerade am Horizont unter und tauchte den ganzen Himmel in ein leuchtendes Orangerot. Auch wenn dieser Anblick vielleicht postkartenkitschig war, nahm er uns gefangen. Es war einfach wunderschön.

„Was machen wir heute noch mit dem angebrochenen Abend?“, fragte Sabine mit einem Lächeln.

„Wonach ist dir denn? Vielleicht erst ein wenig Wellness und dann toll zu Abend essen?“

„Au ja, das hört sich gut an. Aber du willst Wellness machen?“

„Naja, du kannst dich ja verwöhnen lassen und ich werde mich sportlich betätigen und dann gehen wir zusammen noch eine Runde schwimmen.“

„Du bist genial. So machen wir das. Aber du musst mir jetzt verraten, was der wirkliche Grund für diese spontane Reise ist. Ich kenne dich lange genug, dass du noch irgendetwas vor hast.“

„Na gut, ich gebe mich geschlagen. Dustin, Fynn und Justin sind mit Chris hier zu einem Challenger Turnier. Ich hatte überlegt, das praktische mit dem nützlichen zu verbinden. Ich möchte mir ein aktuelles Bild machen und sie unterstützen. Allerdings lassen wir uns trotzdem richtig verwöhnen und machen auch einiges an Kultur in der Stadt.“

Sabine fing an zu lachen und als sie mir einen Kuss gab, sagte sie:

„Ich wusste doch, dass du noch etwas im Kopf hattest. Es ist aber in Ordnung. Die Jungs freuen sich bestimmt. Vor allem Chris verdient unsere Anerkennung für seine Leistung.“

„Danke, dass du das so siehst. Ich bin auch sehr gespannt, wie sie sich hier präsentieren. Morgen werden wir sie auf der Anlage besuchen und uns einen Überblick verschaffen. Ich habe bereits im Internet den Turnierverlauf gesehen. Dustin ist sogar direkt im Hauptfeld. Justin und Fynn spielen morgen die Finalrunde in der Qualifikation. Am Wochenende geht es dann mit dem Hauptfeld los.“

„Wow, du bist gut informiert.“

„Ja, ab den Challenger-Turnieren kann man jedes Event verfolgen. Sogar einen Live score gibt es. Einzelne Partien werden sogar als Livestream übertragen.“

Danach wollte ich aber das Thema Tennis aussparen. Wir wollten uns verwöhnen lassen und das machten wir dann den Abend auch.

Am nächsten Morgen telefonierte ich noch vor dem Frühstück mit Luc. Natürlich sollte ich ihn über den Turnierverlauf informieren. Er erzählte mir, dass mein Ferrari bereits für die Vorarbeiten in Arbeit war.

Als wir uns verabschieden wollten, gab er mir noch einen Tipp. Das war allerdings ein sehr interessanter Gedanke, den ich mir genauer anschauen wollte.

Sabine wollte natürlich noch mit Luc sprechen und da ich wusste, dass das länger dauern würde, machte ich mich bereits auf den Weg zum Frühstück.

Jetzt wird sicher gefragt, warum wir nicht in der Suite unser Frühstück einnahmen. Ganz einfach, es gab ein großes Buffet direkt am Pool. Da herrliches Wetter herrschte, war für uns klar, wir würden das wahrnehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich das ein oder andere Autogramm würde schreiben müssen.

Ich wurde am Ausgang auf die Poolterrasse von einem Mitarbeiter freundlich begrüßt und zu einem schattigen Platz geleitet. Von dort konnte ich in Ruhe das Treiben beobachten. Allerdings bemerkte ich deutlich, dass hier kaum Familien mit Kindern waren. Dieses Ambiente war für Familien nicht wirklich von Vorteil. Es gab zu viele Geschäftsleute oder andere reiche Leute, die ihre Ruhe haben wollten.

An diesem Wochenende störte es mich nicht. Ich wollte ja ganz bewusst mit Sabine Ruhe genießen. Sie kam auch wenige Minuten später hinzu und unser Frühstück konnte beginnen.

„Woher hast du von diesem traumhaften Hotel gewusst? Bist du schon einmal hier gewesen?“

„Nein, ich nicht. Allerdings habe ich von Fernando Alonso diesen Tipp bekommen. Er kennt den Hotelmanager und hat mir das empfohlen.“

„Ah, das ist ja schön. Es ist wirklich toll. Wie sieht deine Planung für heute aus?“

„Eigentlich ist gar nichts fest geplant. Ich werde gleich den Concierge fragen, ob es möglich wäre uns zur Tennisanlage zu fahren. Ich möchte jedenfalls hier nicht selbst fahren. Der Verkehr in der Stadt ist eine Strafe.“

„Weiß Chris überhaupt, dass du hier bist?“

„Nein, niemand weiß das. Es soll eine Überraschung werden und ich gedenke, die Jungs und Chris zu einer Stadtrundfahrt mitzunehmen. Barcelona hat so viele Sehenswürdigkeiten, das müssen wir machen.“

„Vor allem würde es Chris Entlastung verschaffen. Du weißt ja wie viel Stress er durch diese Turnierreisen hat. Ich habe die Ereignisse von Kitzbühel noch sehr gut im Gedächtnis.“

„Schatz, wir wollen uns auch verwöhnen lassen. Daher habe ich mir überlegt, dass wir uns darum nicht kümmern. Das soll das Hotel organisieren. Wir sagen nur wann wir das machen möchten. Zuerst fahren wir zur Tennisanlage und treffen uns mit Chris und den Jungs.“

„Du meinst aber, wir lassen uns fahren.“

„Hihihi, ja, du hast recht. Ich merke schon, du hast es begriffen, um was es geht.“

Wir ließen uns Zeit beim Frühstück. Diese Zeit hatte ich dem Hotel gegeben, um für uns einen Fahrdienst zu organisieren. Für ein fünf Sterne Hotel sollte das allerdings kein großes Problem darstellen.

In unserer Suite hatte ich noch eine Überraschung für Sabine. Ich hatte mir von Thorsten zwei Teamanzüge schicken lassen. Einen für mich und einen für Sabine. Die wollte ich jetzt auf der Anlage anziehen, um damit auch deutlich zu zeigen zu wem wir gehören.

Sabine amüsierte sich gut über meine Idee und zog sofort ihren Anzug an. Wir sahen richtig sportlich darin aus und sogar unsere Vornamen hatte Thorsten auf der Jacke einsticken lassen.

Es klingelte an unserer Tür. Eine Klingel an einem Hotelzimmer, das war für mich auch ungewöhnlich. Ich öffnete die Tür und vor mir stand unser Chauffeur vom Flughafen. Er holte uns ab, um uns zur Anlage zu fahren.

Jetzt wurde es schon etwas kurios. Wir sahen mit den Teamanzügen etwas unpassend zum Rolls Royce aus. Sabine musste lachen, als sie vor dem Auto stand.

„Ich glaube, das sieht gerade richtig komisch aus. So ein edles Auto und wir sehen nach Sportlern aus.“

„Wir sehen nicht nur nach Sportlern aus, wir sind auch Sportler.“

Während wir fürstlich durch den Stadtverkehr glitten und den Luxus des Autos genossen, fragte mich Sabine:

„Wie kommen wir jetzt auf die Anlage? Chris wird für uns ja keine Pässe besorgt haben. Er weiß ja nicht einmal, dass wir sie besuchen.“

„Keine Sorge, das hatte ich mit Thorsten schon geregelt. Er hat sich darum gekümmert. Wir müssen nur zum Spielereingang gehen. Dort sollten unsere Ausweise bereitliegen.“

„Du denkst aber auch an alles. Das wird mir langsam unheimlich.“

Sie umarmte mich und bekam von mir einen Kuss.

Wenige Minuten später öffnete uns der Fahrer die Tür und wir stiegen bei herrlichem Sonnenschein aus. Zum Abholen sollten wir rechtzeitig anrufen. Wir konnten ja noch keine Zeit absehen.

Die Anlage machte schon von außen etwas her. Überall waren Fahnen der Sponsoren zu sehen und der Parkplatz war bereits gut gefüllt. Auch der Spielereingang war bestens ausgeschildert. Dort gab es keine Schlange und wir gingen auf die Servicekräfte zu. Bevor ich etwas sagen konnte, wurden wir begrüßt:

„Guten Morgen Herr Steevens. Ihre Ausweise liegen bereit. Einen Augenblick bitte.“

Der junge Mann ging zurück in das kleine Glashäuschen, holte zwei Plastikkarten an einem blauen und einem Pinkfarbenen Band. Dann überreichte er sie mir und wünschte uns viel Erfolg.

„Wow, das hat ja toll geklappt. Jetzt schauen wir mal, ob wir Chris und die Jungs finden.“

„Vielleicht sind sie noch gar nicht auf der Anlage.“, warf Sabine ein.

„Doch, ich habe den Spielplan im Internet gesehen. Eigentlich müssten sie schon hier sein und sich aufwärmen. Das Spiel von Fynn soll in einer dreiviertel Stunde beginnen.“

Es gab eine große Anzeigentafel auf dem Platz vor dem Center Court. Dort wurden alle aktuellen und die jeweils folgenden Spiele angezeigt. Fynns Match stand dort für Platz vier angesetzt. Als nächstes Spiel.

„Wir haben noch etwas Zeit. Gehen wir etwas trinken?“

„Gern, aber du weißt schon, dass du vermutlich auch hier nicht unbeobachtet sein wirst.“

„Natürlich, aber das hindert mich nicht daran, mit dir hier ein paar schöne Stunden zu haben. Auf geht's. Wir gehen ins Clubhaus. Außerdem können wir auch in den Spieler- und Trainerbereich hinein. Vielleicht treffen wir Chris ja bereits dort.“

Wenige Minuten später saßen wir im für Zuschauer nicht zugänglichen Bereich. Unsere kalten Getränke standen auf dem Tisch und ich schaute mich um. Sabine schien eher mich zu beobachten als die anderen.

„Und? Hast du schon ein bekanntes Gesicht erspäht?“

„Äh, von unserer Truppe noch nicht, aber ich habe Carlos Moya gesehen. Hier scheint ja allerhand Tennisprominenz zu sein.“

Chris: Marc macht keine halben Sachen

Unser letzter Qualifikationstag stand bevor und Fynn hatte im Gegensatz zu Justin eine nahezu unlösbare Aufgabe vor sich. Justin musste gegen einen jungen Spanier spielen, Nicolas Alvarez. Er kam aus der Tennis Akademie von Rafael Nadal auf Mallorca. Ich war gespannt, welcher Coach ihn betreuen würde. Dort gab es nämlich mit Carlos Moya einen sehr bekannten Headcoach. Er war früher als Spieler einmal die Nummer eins in der Welt gewesen. Ein klassischer Sandplatzspezialist.

Fynn musste gegen Thomaz Bellucci spielen. Das war ein Brasilianer, der bereits unter den Top 60 gewesen war und nach langer Verletzungspause nun wieder durchstarten wollte. Mittlerweile hatte er wieder die Position 234 in der Welt erreicht und war hier an Nummer eins in der Qualifikation gesetzt. Das war ein erfahrener Vollprofi, der sich wieder nach vorne arbeiten wollte.

Unser Vorteil war, dass ich sein Spiel recht gut kannte und dadurch Fynn gut vorbereiten konnte. Den jungen Spanier kannte ich persönlich überhaupt nicht. Nur aus der Datenbank konnte ich mir Informationen holen. Da war es natürlich auch möglich, aufgrund seines Alters, dass sich sehr schnell viel verändern konnte. Genau wie bei unseren Jungs.

Ich stand mit den Jungs auf dem Trainingsplatz zum Aufwärmen. Es war deutlich mehr Anspannung für mich bei den Jungs zu spüren. Eigentlich ohne Grund. Sie kannten die Situation und es war auch nur ein weiteres Turnier. Aber es war ein deutlich größeres Turnier mit besseren Spielern und vor allem mit 100 000 Dollar insgesamt dotiert. Das war die größte Kategorie bei den Challengers. Danach begann es auf der ATP-Tour mit den 250ern.

Hier waren Spieler im Hauptfeld, die bereits schon bei Grand Slams gespielt hatten. Das war eine ganz andere Qualität von Turnier als es meine Jungs bislang kannten. Aber für uns war es eine weitere Erfahrung und sie hatten keinerlei Erfolgsdruck. Den machten sie sich leider selbst.

Am besten gelang es Justin, sich nur auf die momentane Aufgabe zu fokussieren. Ich gab daher klare Aufgabenstellungen beim Aufwärmen und direkte Kommandos. Aber ich wollte sie nach der Aufwärmphase genauso an der langen Leine laufen lassen wie sonst und keine zusätzliche Spannung aufbauen.

„So, haltet bitte den Ball an und kommt einmal hier zusammen.“

Dustin stand neben mir und hatte sich das mit mir angeschaut.

„Genug getan. Geht euch bitte frischmachen und umziehen. Danach habt ihr noch einen kleinen Moment Zeit bis es dann losgeht. Ihr kennt die Abläufe und wir machen alles wie immer. Ich werde zuerst bei Fynn am Platz sitzen und dann zu dir kommen, Justin.“

„Kann Dustin die ganze Zeit bei mir am Platz bleiben?“

Diese Frage hatte ich eigentlich nicht mehr erwartet.

„War das bislang einmal anders, wenn Dustin nicht selbst spielen musste? Ich hatte doch gerade gesagt, wir machen alles wie bisher. Damit ist doch alles gesagt, oder?“

Fynn nickte nur und ich konnte die Spannung in seinem Körper erkennen. Da war noch einiges an Arbeit vor uns, damit dieser Druck weniger werden würde. Deshalb bat ich Dustin für einen Moment bei mir zu bleiben, während sich die anderen beiden umzogen.

„Was gibt es, Chris?“

„Ich möchte, dass du bis zum Beginn des Matches Fynn etwas ablenkst. Geht irgendwohin wo es ruhig ist und ihr nicht gestört werdet. Gib ihm Sicherheit. Er macht sich viel zu viel Druck.“

„Ja, ich weiß. Er will es hier besonders gut machen. Aber wie soll ich das verhindern? Es ist ja auch das bislang größte Turnier was wir spielen.“

„Indem du ihm zeigst, dass alles ist wie bisher. Macht es ganz genauso wie immer. Geh mit ihm raus oder lenke ihn ab. Du weißt genau, wie er tickt.“

„Okay, danke. Das bekomme ich hin.“

Wir mussten lachen. Das tat mir auch gut. Dustin verschwand in Richtung Umkleide und jetzt hatte ich ein besseres Gefühl für Fynn. Das würde klappen.

Bei Justin war ich mir immer noch nicht sicher, wie er mit der Situation wirklich umging. Daher wollte ich ihn genauer beobachten. Justin hatte sich erstaunlicherweise auf eine Bank an einem Trainingsplatz gesetzt und schaute sich das Training dort an. Ich staunte etwas über den Spieler auf dem Platz. Es war einer der jungen Wilden. Er prügelte auf jeden Ball und war recht ungezügelt auf dem Platz. Eher das Gegenteil von Justin.

„Warum schaust du dir gerade diesen Spieler an? Kennst du ihn?“

„Hihi, ja. Irgendwie hatte ich deine Frage erwartet. Felix ist wirklich ein komplett verrückter Typ, aber wir verstehen uns dennoch gut. Er kommt auch aus Montreal. Und er ist schon die Nummer 109 in der Welt. Er ist hier an Nummer eins gesetzt.“

„Ok, das ist schon ganz ordentlich. Er sieht noch recht jung aus. Welcher Jahrgang?“

„Zweitausend. Also etwas älter als ich. Aber wir haben mal in der Jugend in einem Landeskader gespielt.“

Ich schaute im Tableau nach dem Namen und musste zugeben, ich hatte noch nie etwas von dem jungen Kanadier gehört. Er hieß Felix Auger-Aliassime. Das hörte sich auch etwas Französisch an. Bestätigt wurde meine Vermutung, als sich die beiden auf Französisch unterhielten.

Ich setzte mich zu Justin auf die Bank und verfolgte das Training mit ihm noch ein wenig. Diese wilde Art störte mich etwas und ich würde vermutlich damit meine Schwierigkeiten haben, wenn ich ihn trainieren sollte. Aber Tennisspielen konnte er.

„Möchtest du auch ein Eis, Chris?“, fragte mich Justin.

„Oh ja, sehr gern. Bringst du mir eins mit oder soll ich mitkommen?“

„Nein, ich bringe dir gern eins mit. Du bleibst hier sitzen?“

Ich nickte nur und beobachtete das Training weiter. Der Coach des Jungen war auch noch recht jung. Vielleicht dreißig.

Justin kam bald mit dem Eis zurück und als er es mir gab, fragte er mich:

„Sag mal, kannst du dir vorstellen, dass außer uns noch ein anderes Team die gleichen Teamanzüge hat wie wir?“

„Bitte? Äh, wie kommst du jetzt ausgerechnet darauf?“

„Naja, weil ich gerade zwei Leute gesehen habe, die ganz sicher weder Dustin oder Fynn waren, aber sie trugen die gleichen Anzüge wie wir.“

„Aha, das ist ja lustig. Theoretisch ist das möglich, aber wäre schon ein eigenartiger Zufall.“

Plötzlich meldete sich mein Handy. Dustin hatte mir eine Whatsapp Nachricht geschrieben, in der er mich bat einmal zum Clubhaus zu kommen.

Erst als ich ihn nach dem Grund fragte, schickte er mir ein Bild.

„Hey, welches Gespenst hast du denn gerade gesehen?“, fragte mich Justin lachend.

„Hier, schau dir das Bild an und dann weißt du auch, wer unsere Teamanzüge trägt.“

Ich zeigte ihm das Bild und sagte:

„Los, komm mit. Wir müssen das mal überprüfen.“

Auf dem Weg zum Clubhaus war Justin richtig aufgeregt. Allerdings war ich auch überrascht über diese Aktion und hatte schon im Kopf, dass uns Dustin einen Streich spielen würde. Aber tatsächlich wurden wir im Clubhaus von Marc und Sabine begrüßt, die bereits Dustin und Fynn gefunden hatten.

„Ha, da ist er ja. Und Justin hat er auch gleich mitgebracht. Dann sind wir ja vollzählig.“

Marc lachte und umarmte mich zur Begrüßung. Sabines Begrüßung war nicht minder herzlich.

„Also bei euch ist man ja nie vor Überraschungen sicher. Wie cool ist das denn?“

„Und schau mal Chris, sie haben exakt die gleichen Anzüge wie wir und bereits Ausweise.“

Fynn zeigte auf die Bänder um ihren Hals. Das war allerdings schon erstaunlich. Wie hatten sie das hinbekommen?

„Bevor du dich aufregst, es ist alles in Ordnung. Ich hatte Thorsten gebeten, das für uns zu erledigen. Er hatte uns die Anzüge geschickt und die Ausweise für uns bereitlegen lassen. Und jetzt wollen wir mit euch das Turnier hier mal so richtig aufmischen.“

Konsterniert schüttelte ich meinen Kopf, freute mich aber tierisch über diese Überraschung.

In diesem Moment kam der Aufruf für Fynn. Da er gegen einen recht bekannten Spieler antreten musste, wurde das Spiel auf dem Center Court ausgetragen.

Marc und Sabine sahen schick aus. Ihnen standen die Teamanzüge vorzüglich. Ich musste mich jetzt allerdings ausschließlich auf die Matches konzentrieren. Das brauchte ich Marc aber nicht zu erklären. Er ließ mich einfach in der Box vorne Platz nehmen und sie setzten sich hinter mich.

Natürlich war Marcs Erscheinen auch hier nicht ohne Reaktionen der Presse geblieben. Schnell hatte sich das herumgesprochen und die Kameras waren immer wieder auf unsere Box gerichtet.

Fynn musste heute an sein Limit gehen und was ganz wichtig sein würde, er musste seinen Gegner im Kopf schlagen. Bellucci war dafür bekannt, dass er sich schnell aufregte und keine Konstanz in sein Spiel bekommt.

Mein größtes Problem vor Beginn des Spieles waren die vielen Fotografen, die mir die Sicht versperrten. Sie machten ständig Bilder von Marc und Sabine. Vermutlich würde ich ebenfalls auf diesen Bildern sein.

Als das Einschlagen begann, wurde es mir zu viel.

„So, jetzt haben Sie genug Bilder gemacht und ich möchte jetzt meine Arbeit als Coach machen. Also verlassen sie diesen Bereich.“

Mürrisch folgten sie meiner Ansage und ich hatte wieder freien Blick auf den Platz. Fynn wirkte fokussiert und Dustin stand hinter seiner Bank. Er würde nach Ende der Einschlagzeit zu mir hoch kommen. Dort durfte er jedenfalls nicht bleiben. Bei diesen großen Turnieren war der Bereich hinter den Spielerbänken Sperrzone.

„Time“ ertönte es aus den Lautsprechern und damit begann das Match. Fynn hatte sich für Aufschlag entschieden. Das wunderte mich ein wenig, denn in den letzten Spielen hatte er Rückschlag gewählt.

Ich war innerhalb kurzer Zeit komplett in den Spieltunnel abgetaucht. Meine Kommunikation galt nur noch Fynn auf dem Platz. Wir waren ein gut eingespieltes Team geworden. Fynn suchte ständig den Kontakt zu mir und pumpte sich nach jedem Punkt auf. Von Beginn an. Das führte dazu, dass Bellucci von Fynns selbstbewusstem Auftreten überrascht wurde. Vermutlich hatte er gedacht, da kommt ein siebzehnjähriger Grünschnabel und den kann er leicht wegputzen. Falsch gedacht Herr Bellucci.

Fynn übte von Beginn an Druck aus und ließ sich nicht vom Namen seines Gegners beeindrucken. Genau wie wir es besprochen hatten. Trotzdem verblüffte es mich, mit welcher Dynamik Fynn das umsetzte. Er hatte seinen Aufschlag gut durchgebracht und gleich ein Break geschafft. Beim zweiten Seitenwechsel stand es 3:0 und Fynn wippte mit den Füßen auf der Bank. Ein gutes Zeichen.

Auch sein Blick war offen zu mir und wir kommunizierten gut. Ich hatte ein gutes Gefühl.

Dustin war mittlerweile bei uns angekommen und auch Justin saß noch einige Minuten in unserer Box. Die Zuschauer hatten sich klar auf Fynns Seite geschlagen. Er wurde lautstark vom Publikum unterstützt. Auch das half Fynn, sich komplett freizuspielen und einfach sein Ding zu machen. Das imponierte mir.

Bellucci kam mit der Situation weniger gut zurecht. Er begann mit dem Schiedsrichter zu diskutieren und dann machte er einen ganz entscheidenden Fehler. Er beschwerte sich über das spanische Publikum und legte sich mit einigen Zuschauern an. Das war in Spanien ein absolutes No go.

Die Spanier liebten das Fighten bis zum letzten Punkt und niemals aufgeben. Wie bei ihrem Nationalhelden Rafa Nadal.

Entsprechend quittierten die Zuschauer das Verhalten mit Pfiffen und dem Anfeuern des Underdogs. Das war Fynn und der wusste gar nicht wie ihm geschah. Er gewann den ersten Satz glatt mit 6:3 und auch den zweiten Satz startete er gleich mit einem Break.

Justin musste mittlerweile auch spielen und ich hatte Dustin gebeten ihn zu begleiten. Ich wusste auch, dass das sowohl für Fynn als auch für Dustin kein Vergnügen war, in dieser Situation zu gehen. Aber Justin sollte auch jemanden an seiner Seite haben. Schön habe ich es empfunden, dass Dustin ohne zu murren zu Justin gegangen ist.

Auch hier hatte eine Entwicklung stattgefunden. Meine Jungs wurden langsam erwachsen und hatten verstanden, dass ich solche Dinge nur forderte, wenn es sein musste und nicht um sie zu ärgern.

Bei 4:2 im zweiten Satz spürte ich zum ersten Mal eine Konzentrationsschwäche bei Fynn. Er schlug zwei schlechte Returns und sofort war das Publikum da und wollte ihn wecken. Er schaute zu mir hoch und ich tippte nur mit dem Finger an die Schläfe. Plötzlich lächelte Fynn auf dem Platz. Was war das denn? Das war außergewöhnlich.

Er ging zum Handtuch und ließ sich Zeit. Er nutzte die erlaubte Zeit bis zum nächsten Punkt voll aus. Dann stellte sich an die Linie und sein Gegner schlug auf. Fynn returnierte sehr hart und stürmte nach vorn ans Netz. Was dann folgte, raubte mir den Atem. Er spielte einen Volley-Stopp! Bei diesem Spielstand.

Das grenzte an eine Demütigung seines Gegners. Bellucci regte sich tierisch auf und zertrümmerte seinen Schläger. Der Schiedsrichter verwarnte ihn daraufhin und wieder gab es eine lange Diskussion mit dem Unparteiischen. Fynn stand auf seiner Seite und wusste nicht was er tun sollte, suchte aber meinen Blick. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass er sich fokussieren sollte. Nur auf den nächsten Punkt. Er nickte, ging zum Handtuch und stellte sich zum Return bei 30:15 für den Aufschläger. Wobei der ja noch immer mit dem Schiedsrichter diskutierte. Erst als dieser Bellucci einen Punkt abzog, musste er weiterspielen, weil er sonst die Disqualifikation riskieren würde.

Für mich jetzt ein extrem aufregender Moment. Wie würde Fynn diese Unterbrechung wegstecken. Würde er Bellucci den Gefallen tun und den Faden verlieren? Dafür war der Brasilianer bekannt, dass er solche Mittel einsetzte, um den Gegner aus dem Konzept zu bringen.

30:30 stand es durch den Punktabzug und der Ball war im Spiel. Fynn spielte den Ball kontrolliert zwei oder dreimal ins Feld bevor er wieder zur Attacke blies. Er spielte diesen Tempowechsel souverän. Bellucci kam nicht damit klar und wurde jetzt noch undisziplinierter. Das spielte Fynn in die Karten und er machte das Break zum 5:2 im zweiten Satz. Die Zuschauer tobten und feuerten Fynn weiterhin an. Es bahnte sich hier eine große Überraschung an.

Alles was sich um mich herum abspielte bekam ich nicht mehr wirklich mit. Ich war derart angespannt, dass meine Beine komplett verhärtet waren. Ein Spiel noch und Fynn wäre ebenfalls im Hauptfeld und damit in den Punkten.

Unglaublich, wie sicher Fynn das letzte Aufschlagspiel nach Hause spielte. Der Wille von Bellucci war gebrochen. Hier bestätigte sich meine Beharrlichkeit, nämlich darauf zu bestehen, dass meine Jungs im Kopf genauso stark wie körperlich fit sein sollten.

Als der Matchball verwandelt war, bekam ich einen Schlag auf den Rücken. Marc hatte mich wieder in die Realität geholt und meine Freude war sehr groß.

„Boah war das anstrengend und nichts für Herzkranke. Ich gehe mal direkt zu Fynn und dann zu Justin. Kommt ihr mit oder wollt ihr direkt zu Justin gehen?“

„Ich komme mit.“, sagte Marc.

Sabine wollte direkt zu Justin gehen.

Es dauerte doch einige Minuten bis wir bei Fynn in der Umkleide angekommen waren. Immer wieder wurden wir von den Fotografen aufgehalten. Mir war das extrem lästig. Marc blieb cool und ließ das über sich ergehen.

Fynn wartete schon auf uns.

„Wo bleibst du denn? Ich will endlich mit dir jubeln.“

Danach fiel er mir um den Hals und auch Marc bekam seine Euphorie zu spüren. Fynn hüpfte in der Umkleide vor Freude auf und ab und war total aufgedreht.

„Bist du eigentlich nicht kaputt?“, fragte ich erstaunt.

„Doch, aber ich freue mich einfach nur. Das kommt bestimmt gleich noch. Es ist einfach nur geil.“

Ich konnte es nachempfinden, aber gleichermaßen auch feststellen, dass die harte Arbeit so langsam in den Ergebnissen zu erkennen war. Meine Jungs spielten um Welten konstanter und besser als noch vor wenigen Wochen. Jetzt wurden wir dafür belohnt und auch das Team wurde durch die Ergebnisse belohnt.

„Ich gehe jetzt zu Justin und du machst bitte das übliche Programm. Morgen geht es ja schon weiter.“

„Ja, klar. Ist Dustin bei Justin?“

„Jep. Justin musste schon anfangen. Da habe ich Dustin gebeten, ihn zu begleiten und zu betreuen.“

„Ich komme dann zu euch. Welcher Platz?“

„Platz zehn.“, sagte Marc.

Fynn nickte und ballte erneut die Faust. Marc und ich mussten lachen und freuten uns mit ihm.

Wenige Minuten später wurden wir bereits von Dustin erwartet. Und was wir von ihm zu hören bekamen, war nicht weniger positiv. Justin spielte gut und hatte keine Mühe, das Spiel offen zu gestalten.

Allerdings zeigte sich dieses Match vollkommen anders. Der junge Spanier spielte jeden Ball zurück und hatte eine unfassbar gute Beinarbeit. Das würde für Justin vor allem mental eine Herausforderung werden.

Beim Spielstand von 5:5 im ersten Satz schlug der Spanier auf und ich spürte, dass es jetzt eine entscheidende Phase im Satz oder vielleicht im Match sein würde. Deshalb griff ich mehr in das Spiel ein und pushte Justin nach vorn. Und zwar laut mit klaren Kommandos. Sofort schaute er zu mir und da wusste ich, er hatte es begriffen. Vollkommen fokussiert stellte er sich zum Return und legte noch einmal nach. Sein Gegner bekam den Return um die Ohren geschossen, so dass er keine Zeit hatte, sich hinzustellen und den Ball sauber zu erlaufen.

Jetzt zeigte sich das gestiegene Selbstvertrauen und Justin rückte direkt ans Netz vor und machte einen herrlichen Volleypunkt.

Leider waren an diesem Platz nur wenige Zuschauer. Deshalb hörte man unsere Anfeuerungen umso deutlicher. Aber für Justin ein enormer Vorteil. Er nahm den Kopf hoch und pumpte sich vor jedem weiteren Punkt mit Sauerstoff voll.

Er schaffte das vorentscheidende Break und auch den Satzgewinn. In der Satzpause verließen beide Spieler den Platz und ich lief direkt Richtung Umkleide. Auf dem Weg begegnete ich Fynn. Es blieb aber keine Zeit zum Gespräch. Er hatte allerdings sofort begriffen weshalb ich so schnell unterwegs war und ging einfach weiter.

„Hi Chris. Was geht hier eigentlich ab?“

So empfing mich Justin in der Umkleide.

„Warum? Es ist einfach ein geiles Match was du machst. Aber du musst jetzt hellwach bleiben. Keine Sekunde nachlassen. Er wird zu Beginn des zweiten Satzes alles versuchen, dich aus dem Spiel zu nehmen. Sei wachsam. Und achte auf einen möglichen Strategiewechsel seinerseits.“

Justin nahm sich ein frisches Hemd und zog es schnell über, dann noch einen Schluck zu trinken und schon war er wieder auf dem Weg zurück zum Platz.

Als ich zurück in meiner Box war, waren zwei Punkte gespielt und Dustin saß neben meinem Stuhl. Marc und Sabine empfingen mich einem Lächeln.

„Na, hast du Justin die neuesten Nachrichten vermittelt?“, fragte mich Marc grinsend.

„Jap, ich hoffe ich habe die richtige Sprache benutzt, damit er mich versteht.“

„Also bei Fynn hat es jedenfalls gut geklappt.“, strahlte Dustin.

„Du bist also zufrieden? Dann hab ich ja Glück gehabt, mit meiner Arbeit.“

„Glück? Bei dir ist das doch alles kühle Berechnung.“

Dustin wurde immer entspannter und ich musste lachen. Das gefiel mir einfach gut. Auch Sabine reagierte jetzt, indem sie ihm einmal durch die Haare wuschelte. Eigentlich etwas, dass Dustin gar nicht mehr so mochte, aber er lachte und freute sich einfach.

Das Spiel entwickelte sich etwas anders als ich das erwartet hatte. Der junge Spanier brach vollkommen ein. Er regte sich auf und wurde immer ungeduldiger. Ich wunderte mich, denn sein Coach saß nur etwa vierzig Meter von uns entfernt und er versuchte immer wieder seinen Spieler zu beruhigen.

Beim Spielstand von 4:1 für Justin setzte sich eine weitere Person in die andere Box. Ich war mir sehr sicher, dass das Carlos Moya war.

Äußerlich blieb ich ruhig, um Justin nicht zu beunruhigen. Innerlich stieg meine Nervosität noch mehr an. Wenn es Moya gelingen sollte, seinen Spieler zu beruhigen, dann könnte es noch einmal schwierig werden.

„Vergiss das Atmen nicht.“

Was sollte diese Bemerkung? Ich drehte mich für einen Augenblick nach hinten und schaute in das Gesicht von Sabine. Diese Aussage war von ihr gekommen.

Ich musste plötzlich schmunzeln und für einen Augenblick vergaß ich das Match. Sabine lächelte ebenfalls und blinzelte mir zu.

Dadurch hatte ich den ersten Punkt in diesem Aufschlagspiel verpasst. Der ging auch noch an den Spanier, was meiner Anspannung nicht zuträglich war.

Aber Justin ließ sich nicht mehr beeindrucken. Er spielt es einfach fertig und gewann das Match in zwei Sätzen. Mit einem lauten „Yes“ ließ ich Dampf ab. Fynn und Dustin umarmten mich. Für einen Augenblick musste ich einfach tief ausatmen bevor Marc und Sabine auch gratulierten.

„Du solltest zu ihm gehen, Chris. Er hat dein Lob verdient.“

„Ja, Ja. Ich geh schon. Aber wir müssen gleich erst einmal anstoßen auf diese Leistung der Jungs.“

„Das werden wir sicherlich machen. Der Tag ist noch lang und ihr habt bis morgen frei.“

Nach dieser flapsigen Bemerkung von Sabine, machte ich mich auf den Weg zu Justin. Fynn und Dustin begleiteten mich und wieder lauerten überall Fotografen. Und das obwohl Marc gar nicht bei uns war, sondern sich bereits auf den Weg zum Clubhaus gemacht hatte.

Vor der Umkleide wartete Justin bereits auf mich. Er grinste und strahlte. Als er mich sah, lief er einfach auf mich zu und umarmte mich.

„Danke, Chris. Es ist einfach unglaublich wie du es schaffst mich zu beruhigen oder mir auch mal in den Hintern zu treten. Das fühlt sich so geil an. Wir sind bei einem Challenger und alle drei im Hauptfeld.“

„Danke, Justin. Es freut mich auch sehr, dass die harte Arbeit belohnt wird.“

„Wie geht es heute weiter?“, fragte Justin.

„Wir haben erst morgen die erste Hauptrunde zu spielen. Ich würde gern mit euch die Nachbesprechung machen und dann ins Hotel. Vielleicht hat Marc noch etwas vor. Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen.“

Justin ging auslaufen und duschen. Ich wollte mich auf den Weg ins Clubhaus machen, aber plötzlich stand ein junges Mädchen vor mir. Sie hatte einen Presseausweis um den Hals hängen. In einem nahezu akzentfreien Deutsch bat sie um ein Interview. Ich war eigentlich noch nicht bereit für ein Interview, aber sie war sehr nett und daher sagte ich ein Gespräch mit den Jungs zu. In einer halben Stunde sollte sie uns im Clubhaus aufsuchen. Bis dahin wäre ich vermutlich auch wieder etwas ruhiger und sachlicher.

„Hey, was ist dir denn gerade über den Weg gelaufen?“, fragte mich Marc im Clubraum.

Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch und Dustin und Fynn schauten mich neugierig an. Ich vermutete, dass Marc mich mit der Reporterin gesehen hatte.

„Puh, ich bin echt froh wenn wir hier wieder weg sind. Dieser Trubel ist ja nicht mehr normal. Ständig laufen mir Presseleute über den Weg und möchten etwas von mir. Entweder Bilder machen oder jetzt sogar ein Interview.“

„Das ist doch cool. Damit wird das „Break-Point-Team“ auch in Spanien bekannt. Mir gefällt das momentan sehr gut, zumal auch die Leistung der Jungs gut dazu passt.“

„Ja, das mag sein, aber mein Ding ist das einfach nicht. Möchtest du nicht lieber das Interview machen?“

„Haha, nein. Ganz bestimmt nicht. Du machst das ganz sicher hervorragend. Nimm die drei Jungs dazu und dann läuft das. Übrigens wird das nicht dein einziger Termin sein. Carlos Moya hat mich eben noch nach dem Match von Justin angesprochen. Er würde sich freuen, mit dir noch zu Mittag zu essen. Allerdings werde ich bei diesem Gespräch dabei sein, denn das was er im Kopf hat interessiert mich auch.“

„Ach? Und ich werde gar nicht mehr gefragt, ob ich das auch möchte? Das ist ja ganz was Neues.“

„Nein, Chris. So ist das sicher nicht gemeint. Du kannst natürlich auch sagen, dass du nicht möchtest. Allerdings glaube ich schon, dass es dich interessieren wird. Es geht um ein Angebot der Nadal Base auf Mallorca. Mittlerweile scheint unser Auftreten auch außerhalb von Halle und Deutschland Aufsehen zu erregen. Daher glaube ich, dass das eine gute Gelegenheit wäre, sich mit ihm auszutauschen. Wenn dir das nicht zusagt, kannst du doch immer noch ablehnen.“

„Jaja, schon gut. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass mich derartige Größen des Tennissportes ansprechen oder gar zum Essen einladen.“

„Dann wirst du dich daran gewöhnen müssen. Vor allem bei dieser guten Performance.“

Sabine zwinkerte mir zu und lachte dabei. Sie kannte mich mittlerweile gut.

„Okay okay. Ihr habt mich überzeugt. Also wann sollen wir wo sein?“

„Zuerst macht ihr das Interview mit der jungen Dame und anschließend gehen wir gemütlich zu Carlos Moya und essen mit ihm. Wo das ist, kann ich dir gar nicht sagen. Darum wollte er sich kümmern. Ich vermute aber bei ihm im Hotel. Ansonsten können wir auch zu uns ins Hotel fahren. Da hätten wir ganz sicher unsere Ruhe und keine Presse würde davon etwas erfahren.“

„Ah, das gefällt mir. Du hast das angeleiert, dann organisier das mal und ich bin dabei.“

„Alles klar. Dann organisiere ich mal und wir treffen uns dann wo?“

„Ich denke, wir fahren von hier gemeinsam los. Die Jungs können ins Hotel und sich ausruhen. Oder halt, ich habe die Nachbesprechung vergessen. Also musst du mich in unserem Hotel abholen. Der Fahrdienst bringt uns ja dort hin.“

„Kein Problem. Ich geh dann jetzt zu Carlos Moya, regel das und ihr macht das Interview. Danach sprechen wir die genaue Zeit noch ab.“

Fynn: Das erste TV-Interview

Chris hatte uns kurz eine Einweisung gegeben und dann war es auch schon so weit. Eine junge Frau, geschätzt nicht viel älter als wir selbst, betrat den Clubraum und Chris begrüßte sie freundlich. Ich wunderte mich, dass sie Deutsch sprachen.

Chris stellte sie uns vor und ihr Name war Isabel Costa. Sie bot uns aber an Isabel zu ihr sagen zu dürfen.

„Wo soll das Interview stattfinden?“, fragte Chris.

„Es wäre schön, wenn wir in unser kleines Studio gehen könnten. Dort ist alles vorbereitet.“

Ein Studio? Hatte ich das richtig verstanden?

Chris nickte und wir machten uns auf den Weg. Als wir nach draußen kamen, führte uns Isabel am Clubhaus vorbei auf einen hinteren Parkplatz. Dort stand ein großer Übertragungswagen von eurosport Spanien. Das überraschte mich jetzt doch etwas.

Isabel ging zur Tür des hinteren Eingangs und öffnete uns.

„Bitte eintreten.“

Als wir durch die Tür gegangen waren, staunten wir alle nicht schlecht. Wir standen mitten in einem kleinen aber komplett ausgestatteten TV Studio. Sogar mit zwei kleinen Kameras eingerichtet.

„Es wäre schön, wenn Chris mit mir hier in der Mitte sitzen würde und ihr euch dann außen platziert. Ist das ok für euch?“

Ich schaute Chris an, der nickte und wir nahmen so Platz. Isabel erklärte uns kurz wie der Ablauf sein würde und dass wir noch kurz von einer Maskenbildnerin 'bearbeitet' würden. Das war mir komplett fremd. Aber es sollte ja auch für das Fernsehen sein. Langsam wurde ich aufgeregt und Chris fühlte sich auch nicht mehr ganz so wohl. Das konnte ich an seiner Haltung auf dem Stuhl erkennen.

Wenige Minuten später war der Regisseur zufrieden und wir konnten anfangen. Isabel begann mit einer kurzen Vorstellung und dann stellte sie Chris die erste Frage:

„Chris, Sie sind als Coach mit drei Nachwuchsspielern aus Deutschland angereist und haben hier bereits mit zwei sehr guten Ergebnissen für Aufsehen gesorgt. Ihre Spieler stehen mittlerweile um die Position 400 in der Welt. Sie haben mit ihnen seit längerer Zeit gearbeitet. Haben Sie mit diesem schnellen Erfolg auf der Profi-Tour gerechnet? Immerhin gehen noch alle zur Schule.“

Dass Justin nicht mehr wirklich zur Schule ging, wollte ich mir jetzt verkneifen. Chris war ja gefragt.

„Nein, damit konnte niemand rechnen. Umso schöner ist es natürlich, wenn die harte Arbeit mit dieser Entwicklung belohnt wird. Alle drei haben sich immer mit vollem Einsatz für ihre Karriere eingesetzt und gelernt. Mehr haben wir auch nicht vorausgesetzt. Dass jetzt für alle drei bereits die erste Runde eines Challengers im Hauptfeld wartet, ist für mich immer noch eine Überraschung. Aber wir nehmen das gerne mit.“

„Sie sind aus der Break-Point-Base in Deutschland. Ihr Bruder hat sie vor zwanzig Jahren gegründet. Er ist bereits sehr erfolgreich mit verschiedenen Spielern auf der ATP-Tour unterwegs: Victor Troicki, Jarkko Nieminnen, Gael Monfils, Gilles Simon und aktuell mit Nikolosz Basilashvili. Haben Sie von ihm als Trainer lernen können? Sie sind ja noch nicht so lange als Tennis Coach unterwegs.“

„Also ich sehe das etwas differenzierter. Jan ist sicher ein herausragender Coach im Profibereich. Ich komme aus dem Nachwuchsbereich und habe dort bereits viele Jahre Erfahrungen gesammelt. Wenn auch nur als Freizeittrainer. Jetzt im Profibereich angekommen zu sein ist sicher Neuland, aber hier wie dort muss der Ball ins Feld gespielt werden und die mentale Leistung entscheidet über den Sieg. Um meinen Bruder einmal zu zitieren, Tennis ist wie Schachspielen, es wird im Kopf gewonnen. Das habe ich verinnerlicht und versuche es gerade an die jungen Spieler zu vermitteln. Ich möchte mich auch gar nicht mit Jan vergleichen, weil er viel mehr Erfolge erreicht hat.“

„Dustin, du bist als einziger von euch bereits für das Hauptfeld qualifiziert. Der Veranstalter hat dir eine Wildcard gegeben. Das ist schon ungewöhnlich, wenn in Spanien einem jungen Deutschen eine Wildcard zugestanden wird. Weißt du wie es dazu gekommen ist?“

Dustin zuckte ein bisschen zusammen, als Isabel diese Frage gestellt hatte.

„Äh, nein. Genau weiß ich das nicht, aber ich denke, dass ich in den letzten Turnieren gute Ergebnisse erzielt habe. Wir hatten auch nicht damit gerechnet, aber umso schöner ist das natürlich. Ich möchte aber sagen, dass diese Wildcard auch ebensogut an Justin oder Fynn hätte gehen können. Jeder von uns hat gut gearbeitet und sich stark verbessert.“

Isabel nickte und Chris gab Dustin mit einem kleinen Kopfnicken die Bestätigung für seine Aussage.

„Justin, du bist kein Deutscher. Du bist Kanadier. Wie bist du in dieses Team geraten?“

„Eigentlich war es ein Zufall. Ich habe auf einem Turnier gespielt, bei dem auch die Jungs vom Break-Point-Team gespielt hatten. Chris hatte sich ein wenig umgesehen und auch bei meinen Spielen zugeschaut. Und dann war es ein unglücklicher Moment, der mich näher in Kontakt gebracht hat. Ich war auf dem Platz gestürzt und Chris hatte mich so gut verarztet, dass ich mein Spiel zu Ende spielen konnte und sogar gewonnen hatte. Daraufhin waren wir etwas näher in ein Gespräch geraten.“

„Und dann bist du gleich nach Halle gekommen?“

„Nein, so einfach natürlich nicht. Aber ich habe hier in Europa niemanden gekannt und auch keinen Verein gehabt, wo ich trainieren konnte. Das hatte ich Chris erzählt und er hat mich einfach gefragt ob ich nicht Lust hätte, mich in Halle vorzustellen. Und dann bin ich von diesem Turnier mit ihnen zusammen nach Halle gefahren, habe ein Probetraining gemacht und durfte gleich dort bleiben. Das war für mich ein ganz wichtiger Tag.“

„Warum?“

Justin wurde jetzt etwas unsicher und schaute zu Chris. Der machte allerdings keine Anstalten sich einzumischen.

„Nun, ich habe dort so etwas wie eine „Ersatzfamilie“ bekommen. Ich war nicht mehr allein und bekam optimale Unterstützung. Chris kümmert sich um uns auch außerhalb des Platzes. So viel, wie ich in den letzten Wochen in Halle gelernt habe, habe ich die ganzen Jahre zuvor nicht. Es war die beste Entscheidung überhaupt. Allerdings möchte ich hier auch einmal Gerry Weber erwähnen. Er stellt sich immer hinter uns und fördert uns junge Spieler. Gerade als klar wurde, dass wir auch internationale Turniere spielen sollten.“

„Okay, aber wenn ich das richtig recherchiert habe, dann seid ihr ja auch ein besonderes Team. Dustin und Fynn sind ein Paar und damit das erste bekannte homosexuelle Paar auf der Profi-Tour. Ihr habt viele Probleme dadurch bekommen. Ich erinnere mich an den Anschlag in Kitzbühel, bei dem Chris schwer verletzt worden ist. Und es gab auch bei anderen Turnieren Probleme deswegen.“

„Stopp.“, ging Chris jetzt energisch dazwischen.

Wir schauten zu ihm und ich wusste sofort, jetzt würde eine Reaktion kommen. Das passte ihm überhaupt nicht.

„Wir haben nie ein Problem wegen der Homosexualität der beiden Jungs bekommen. Das Problem waren homophobe Vollidioten und nicht Dustin und Fynn. Damit das ganz klar ist. Ich stehe vollkommen hinter meinen Jungs und werde sie vor jedem schützen, der sie nicht so akzeptiert wie sie sind.“

Oha, Chris ging in den Angriffsmodus. Ich denke, das war nicht die Absicht von Isabel.

„Okay, ich entschuldige mich für die unklare Aussage. Das war auch nicht so von mir gemeint. Aber die Angriffe haben Sie schwer verletzt und dennoch sind Sie ohne Kompromisse diesen Weg weitergegangen. Wenn ich das hier richtig beobachtet habe, geht ihr auch offensiv mit eurer Partnerschaft um. Ihr macht daraus kein Geheimnis.“

„Nein, nicht mehr.“, meldete ich mich zu Wort.

„Wir verhalten uns so wie jedes andere Paar auch. Wir sind der Meinung, dass wir auch keinen Grund haben, uns zu verstecken. Die anderen müssen sich an uns gewöhnen. Und im Sport sollte immer die Leistung zählen und nicht die sexuelle Orientierung. Bei den Damen ist ein lesbisches Paar keine Seltenheit und niemand stört sich mehr daran. Da muss das bei den Herren auch gehen. Jetzt ist die ATP gefragt, das klarzustellen und dafür zu sorgen, dass wir diese Möglichkeit haben. Bislang gibt sich die ATP große Mühe uns zu unterstützen. Auch die Turnierveranstalter haben uns bisher gut unterstützt.“

„Ist euch hier etwas Derartiges auch aufgefallen?“

Wir schauten uns an und ich wusste nicht, ob ich darauf antworten sollte. Chris nahm mir diese Entscheidung aber ab.

„Nein, hier ist nur auffällig, dass wir viel mehr Medieninteresse hervorrufen. Ständig habe ich Fotografen oder andere Presseleute um mich herum. Auch dieses Fernsehinterview ist bislang eher selten der Fall gewesen. So ganz habe ich noch nicht verstanden, warum das plötzlich so angestiegen ist.“

„Das kann ich vielleicht etwas erklären. Ihr seid für die Tenniswelt sehr interessant. Weil ihr gute Erfolge zeigt und euch vor allem nicht von eurem Weg abbringen lasst. Es ist nicht verborgen geblieben, dass ihr gut seid. Da ist die Medienwelt auf euch aufmerksam geworden und weil es bislang noch kein Team gegeben hat, dass so offen mit diesem Thema umgeht, möchten wir darüber berichten. Ich persönlich finde es mutig, aber auch an der Zeit, diesen Schritt zu machen.“

„Mutig zu Beginn ja, aber jetzt stehe ich mit jedem weiteren Tag sicherer hinter dieser Entscheidung von Chris, uns nicht zu verstecken. Ich habe mit meinem Freund das große Glück, gemeinsam Turniere spielen zu können und das nutzen wir. Es macht uns noch stärker, weil wir uns wohl fühlen. Daran hat Chris einen enormen Anteil. Auch als er in Kitzbühel fast mit dem Leben dafür bezahlt hat, ist er keinen Schritt von seiner Linie abgewichen. Und wir haben echte Freunde erlebt, die uns in der Situation bedingungslos unterstützt haben.“

Dustin bezog klare Position und sehr ruhig. Nicht mehr so emotional. Es freute mich innerlich. Mal sehen, wo dieses Interview noch hinführen würde.

„Ich nehme an, du sprichst auch die Familie Steevens an. Marc Steevens ist auch hier häufig an eurer Seite zu sehen. Er ist immer noch eine Legende und für die Medien interessant. Wie ist dieser Kontakt entstanden und was für eine Funktion hat Marc bei euch?“

„Darf ich darauf antworten?“, meldet sich Chris zu Wort.

„Gerne, bitte erklären Sie es uns.“

„Wir haben Marcs Sohn Lucien in München kennengelernt. Dustin und Fynn hatten schnell bemerkt, dass er ebenfalls einen Freund hat und einer von ihnen war. Da wussten wir aber noch nicht, dass Lucien der Sohn einer Motorsportlegende ist. Lucien hat dann erkannt, dass unser Projekt etwas Besonderes ist und uns seinen Vater und seine Mutter vorgestellt. Marc hat uns mit seinen Erfahrungen und Kontakten unterstützt und dadurch ist eine Freundschaft entstanden. Das ist auch der Grund weshalb er hier ist. Er möchte uns einfach unterstützen und in Barcelona etwas Urlaub machen.“

„Er hat also keinen Einfluss auf die Teamgeschehen oder ist anderweitig eingebunden?“

„Er ist Teamsponsor, mehr nicht.“

„Danke für diese Erklärungen. Daher also auch die Teamanzüge?“

„Richtig, wobei er natürlich nicht unsere Teamanzüge tragen müsste. Es war seine Idee und seine Entscheidung, damit auch in der Öffentlichkeit eine klare Position zu zeigen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“

„Wo seht ihr euch in der Zukunft? Wie weit soll es gehen? Justin, was denkst du?“

„Das ist eine Frage, die wir ganz oft schon gestellt bekommen haben. Ich weiß es nicht. Es ist nicht vorherzusagen. Allerdings wollen wir alles dafür tun, um unsere Möglichkeiten auszureizen. Chris sollte dazu mehr sagen. Er kann das besser erklären.“

Isabel schaute zu Chris.

„Ja, eine Prognose ist nicht realistisch. Wenn uns vor drei Monaten jemand gesagt hätte, wir spielen heute im Hauptfeld eines 100 000 Dollarturnieres, dann hätte ich ihn vermutlich für verrückt erklärt. Aber die Jungs entwickeln sich rasend schnell. Viel schneller als man das für gewöhnlich erwarten kann. Aber wie weit es noch geht, kann heute niemand sagen. Lassen wir uns überraschen. Wir haben sicherlich optimale Bedingungen in Halle und ein phantastisches Team im Rücken. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch einmal bedanken. Es macht einfach Spaß mit diesen Jungs dort zu arbeiten.“

„Danke für dieses Gespräch. Ich hoffe und wünsche euch alles Gute weiterhin und besonders hier in Barcelona. Vielleicht führen wir ja hier noch das ein oder andere Siegerinterview auf dem Platz. Vielen Dank und euch ein gutes Turnier.“

Der Regisseur meldete sich mit einem „Finish“ und wir durften aufstehen. Isabel blieb noch einen Moment bei uns und wir unterhielten uns über unsere nächsten Gegner bis Chris darum bat aufzubrechen.

Chris: Neue Kontakte entstehen

Auch wenn das Interview für mich etwas Stress bedeutet hat, empfand ich es als gut gelungen. Mal schauen ob es hier auf Resonanz stoßen würde. Ich hatte die Jungs gerade eingesammelt, als sich mein Handy meldete. Marc hatte mir eine Nachricht geschrieben und uns gebeten zum Platz zwölf zu kommen. Dort würde er mit Sabine auf uns warten.

Eigentlich wollten wir jetzt zurück ins Hotel und Marc wusste von unseren Plänen.

„Leute, wir können noch nicht ins Hotel fahren. Wir sollen uns noch mit Marc an Platz zwölf treffen. Nehmt aber bitte eure Taschen schon mit. Danach fahren wir direkt ins Hotel.“

Die drei gingen Richtung Umkleide während ich schon zu Platz zwölf ging. Dort angekommen, standen Marc und Sabine am Zaun und schauten zwei jungen Spielern beim Training zu.

„Hi, was gibt es denn? Die Jungs sollen sich schnell im Hotel erholen.“

„Ja, natürlich sollen sie das auch gleich machen können. Carlos Moya wollte aber mit dir noch sprechen.“

Verwundert drehte ich mich Richtung Platz. Dort kam Carlos Moya gerade quer über den Platz zu uns. Er begrüßte mich auf Englisch.

„Hallo, Glückwunsch zu dem sehr guten Spiel von Justin. Du hast ihn gut unter Kontrolle. Das ist in dem Alter nicht selbstverständlich. Hättest du Lust, dich mit mir zum Abendessen zu treffen? Ich kenne Jan sehr gut und bin neugierig zu erfahren, wie es dir gelingt, diese jungen Spieler so gut zu disziplinieren.“

„Ja gern. Wo wollen wir uns treffen und wann?“

„Sagen wir um 19 Uhr im Hotel von Marc. Dort haben wir unsere Ruhe.“

„Alles klar, dann bis nachher.“

Carlos nickte freundlich und ging dann wieder auf den Platz zurück. Für mich würde das sicher eine spannende Begegnung werden. Sabine lächelte als sich Marc zu mir wandte:

„Bevor du dir Gedanken machst, wir sorgen für deinen Transfer und du brauchst dich um nichts zu kümmern. Nur Teamkleidung solltest du tragen. Alles andere ist unsere Aufgabe. Ich möchte, dass du dich nur um die Betreuung unserer Jungs kümmerst.“

„Hihi, das gefällt mir. Aber wolltest du nicht zum Urlaub nach Barcelona kommen? Jetzt bist du heute wieder voll im Geschehen. Was sagst du denn dazu, Sabine?“

„Es ist mein Plan gewesen, das so zu machen. Ich kenne dich mittlerweile lange genug, dass du sonst nie abschalten würdest. Also ihr fahrt jetzt ins Hotel und wir lassen dich später dort abholen. Bis dahin habt ihr Zeit auszuspannen und euch auf morgen vorzubereiten. Ich denke, du wirst deine Truppe auch einen Abend mal allein im Hotel lassen können.“

„Ok, ich werde jetzt nicht den Fehler begehen, dir zu widersprechen. Was macht ihr bis heute Abend?“

„Wir werden jetzt ins Hotel zurückfahren, uns umziehen und dann noch etwas Sightseeing machen. Also unseren Kultururlaub fortsetzen.“

Zwanzig Minuten später saßen wir im Shuttle ins Hotel. Ich hatte meine Jungs bereits über die Abendplanung informiert.

„Was geht dir gerade durch den Kopf?“, fragte mich Fynn.

„Ich stelle mir gerade die Frage, ob ich das alles richtig entschieden habe. Das Interview, jetzt das Treffen mit Carlos Moya. Ist das alles noch normal? Ich meine Moya ist eine Tennislegende und er fragt mich, ob ich mit ihm über meine Trainingsarbeit sprechen möchte. Er lädt mich zum Essen ein, Marc organisiert das für uns und ich komme mir vor wie in einem Film.“

„Das komme ich mir schon seit Monaten vor. Aber mittlerweile gefällt mir dieser Film ziemlich gut. Er braucht auch noch nicht so schnell aufzuhören.“

Alle schauten zu Justin, der uns mit einem frechen Lachen anschaute. Da konnte ich nicht anders als mitzumachen. Es tat mir gut, auf diese Art Spannung abzubauen. Fynn und Dustin machten genauso mit und schon war die Stimmung im Auto bestens.

Nachdem ich geduscht und frische Sachen angezogen hatte, rief ich meine Jungs zusammen. Die Nachbesprechung war recht einfach, etwas länger dauerte die Planung für den morgigen Tag. Der Ehrgeiz der Jungs war geweckt und jetzt wollten sie ihre gute Leistung noch mit einem weiteren Erfolg krönen. Von daher waren zwar alle müde, aber dennoch aufmerksam. Jeder hatte seinen Strategieplan mit mir besprochen und dass sie heute zeitig ins Bett sollten, musste ich nicht mehr extra erwähnen. Sie sollten sich einen freien Abend im Hotel gönnen. Etwas abschalten für den Kopf.

Ich saß unten in der Hotellobby und hing etwas meinen Gedanken nach. Momentan eilten wir von Erfolg zu Erfolg. Wann würde der erste Rückschlag kommen? Wie würden die Jungs damit umgehen und wie würde ich damit umgehen?

Plötzlich meldete sich mein Handy. Ich schaute auf das Display, Thorsten.

„Hi, Thorsten. Was verschafft mir die Ehre, am Abend von dir angerufen zu werden?“

„Hihi, hi Chris. Ich habe vor wenigen Minuten die Ergebnisse aus Barcelona gesehen. Sehr schön, was ihr da macht. Aber mein eigentliches Anliegen ist ein Pressebericht über das Turnier. Dort seid ihr auf einigen Bildern zu sehen und mit dem Untertitel „Deutsches homosexuelles Paar mischt die Tenniswelt auf.“ Wie ist das denn entstanden?“

„Keine Ahnung, Thorsten, aber hier ist richtig was los mit der Presse. Ich habe ständig irgendwelche Fotografen um mich herum und Eurosport Spanien hat vorhin sogar ein Fernsehinterview mit dem Team gemacht. Es scheint sich etwas zu bewegen in der Herrenszene bei der ATP.“

„Oha, sogar ein Fernsehinterview. Nicht schlecht. Da muss ich gleich mal schauen, wo ich das im Internet finde. Du hast ein gutes Gefühl gehabt?“

„Ja, die Journalistin war sehr nett und wirklich sehr gut informiert über uns. Sie hatte sich bestens vorbereitet und die Jungs gut eingebunden. Ich finde, es war ein gelungenes Interview. Und für dich noch eine Info mehr, ich fahre jetzt gleich zu einem Gespräch mit Carlos Moya. Er hatte mich nach dem Spiel von Justin gefragt, ob ich Interesse an einem Gespräch hätte. Er findet meinen Umgang mit den Jungs außergewöhnlich. Jetzt hat Marc das organisiert und da fahre ich gleich hin.“

„Ah ja, okay. Aber Moment mal, du triffst dich gleich mit Carlos Moya und Marc hätte das organisiert? Das bekomme ich gerade nicht auf die Reihe. Wie kommt Marc jetzt wieder ins Spiel?“

„Hihi, ja richtig, das kannst du ja auch noch nicht wissen. Marc hatte sich einfach mit Sabine in den Flieger gesetzt und wollte in Barcelona ein paar Tage Urlaub machen. Plötzlich tauchte er hier bei uns auf, und zwar in Teamanzügen, die du ja wohl für ihn besorgt haben musst.“

„Unglaublich, was du alles bewegst. Ja, das mit den Anzügen wusste ich, aber dass sie damit gleich zu eurem Turnier fahren würden, da hätte ich im Traum nicht dran gedacht. Obgleich, er hatte mich ja gebeten, für ihn und seine Frau Ausweise bereit zu halten, damit er euch dort überraschen könnte. Das ist mir aber total entfallen. Ich glaube, mein Bericht an Jan dürfte jetzt noch um einiges länger werden als üblicherweise. Dann halte mich bitte auf dem Laufenden und weiterhin viel Erfolg dort. Du machst das gut. Gefällt mir außerordentlich.“

„Danke, ich bemühe mich. Und die Jungs machen es mir auch recht einfach. Sie wollen sich weiterentwickeln und dafür hart arbeiten. Das macht richtigen Spaß mit ihnen.“

Ich beendete das Telefonat und hatte gar nicht bemerkt, dass der Concierge zu mir gekommen war. Er teilte mir mit, dass mein Fahrdienst vor dem Hotel auf mich warten würde. Ich bedankte mich, gab meine Zimmerkarte ab und verließ das Hotel.

Und natürlich hätte ich mir denken können, dass sich Marc wieder einmal den Spaß nicht nehmen lassen wollte mich zu überraschen. Ein dunkler Rolls Royce Phantom stand mit geöffneter Tür direkt vor dem Eingang und der Chauffeur bat mich einzusteigen. Das ließ mich erahnen in welcher Unterkunft sich Marc einquartiert hatte und wo dieses Gespräch stattfinden sollte. Aber es half mir auch nichts, wenn ich mir jetzt den Kopf zerbrechen würde. Ich beschloss, die Fahrt zu genießen. Schließlich hatte ich nicht jeden Tag die Gelegenheit, in einem Rolls Royce durch Barcelona chauffiert zu werden.

Die Fahrt dauerte etwa zwanzig Minuten und endete vor einem Hotelpalast. „Pullman Barcelona“ stand über dem Eingangsportal. Mein Fahrer stieg aus und öffnete mir freundlich die Tür. Der Doorman wies mir nach einer netten Begrüßung den Weg zur Rezeption.

Allerdings kam ich gar nicht bis dorthin, weil mich Marc bereits in der Eingangshalle in Empfang nahm.

„Hi, Chris. Na, hat dir die Fahrt gefallen?“, dabei grinste er.

„Ja, allerdings. Als ich das Auto sah, konnte ich mir ungefähr vorstellen, was mich erwarten würde. Aber das hier ist ja unglaublich edel. Das kenne ich von dir überhaupt nicht.“

„Stimmt. Aber ich wollte mit Sabine einfach mal ausspannen und mich um gar nichts kümmern. Hier wird mir alles abgenommen, worum ich bitte. Und außerdem habe ich so noch die Zeit, neben dem Sightseeing, mich um dich und deine Jungs zu kümmern.“

„Na, da bin ich gespannt was du so für uns tun wirst. Hahaha. Werden wir also hier mit Carlos Moya zusammen essen?“

„Genau, er ist auch bereits in der Hotelbar und wartet dort auf uns. Ich denke wir können rüber gehen. Oder hast du noch etwas vorher?“

„Nein, aber ich bin schon etwas aufgeregt. Immerhin ist er eine Tennislegende und der Headcoach der Nadal Acadamy in Monacor. Da kann ich wahrscheinlich eine Menge lernen.“

„Dann mal los. Du musst nicht nervös sein. Er ist richtig nett und wirklich an deiner Arbeit interessiert. Tauscht euch einfach aus. Ich habe schon einige Gespräche mit ihm geführt.“

Auf dem Weg zur Hotelbar überlegte ich, ob ich nicht besser Jan noch über dieses Treffen informieren sollte. Allerdings hatte ich Thorsten in Kenntnis gesetzt. Das sollte reichen.

Carlos kam uns entgegen als wir die Bar betraten.

„Hallo, schön, dass du hergekommen bist. Ich freue mich auf das Gespräch. Wir haben einen reservierten Tisch zum Essen.“

Wir gaben uns die Hand und Marc ging vor. Währenddessen erkundigte sich Carlos nach Jan und ob es ihm gut geht. Als wir am Tisch standen, saß Sabine bereits dort und das erstaunte mich doch etwas. Marc musste lachen.

„Warum schaust du so? Wir haben doch gesagt, dass wir auf dich aufpassen. Und das kann keiner besser als Sabine. Also setz dich.“

Wir nahmen Platz und bekamen die Speisekarte gereicht. Ich war mir schnell sicher, dass ich heute ein Stück Fleisch essen wollte. Es gab eine Filetplatte für zwei Personen und fragte deshalb in die Runde:

„Würde sich jemand mit mir die Nummer fünfzehn bestellen? Das finde ich sehr spannend.“

Carlos schaute einen Augenblick in die Karte und dann zu mir.

„Cool, ich hatte die gleiche Idee. Das machen wir.“

Sabine und Marc bestellten sich jeweils ein Fischgericht. Getränke waren bereits gebracht worden.

„Wie geht es euch mit der Situation? Hier sind viele Presseleute auf euch aufmerksam geworden. Die Berichte aus Deutschland und der Erfolg in den USA haben hier reichlich Staub aufgewirbelt. Die ATP muss jetzt reagieren. Bislang war Homosexualität ein Tabu im Profitennis. Seid ihr euch sicher, dass die Jungs das verkraften werden?“

„Mittlerweile bin ich ganz sicher, dass sie das gut verkraften werden. Dustin und Fynn wollen sich nicht mehr verstecken. Und ich stehe voll hinter ihnen. Entweder die ATP wird sich anpassen oder aber es wird weiterhin unmöglich sein, als homosexueller Spieler erfolgreich zu sein. Da sich die ATP aber ständig äußert, dass sie für Gleichberechtigung steht, nehmen wir sie hier beim Wort.“

„In der Theorie sicher richtig, aber in Kitzbühel hättest du es fast mit dem Leben bezahlt. Wie ist diese Geschichte eigentlich ausgegangen?“

„Hm, ich möchte über Kitzbühel nicht mehr so gerne sprechen. Es ist Geschichte. Der Veranstalter und auch die ATP haben sich uns gegenüber sehr korrekt verhalten und auch einige Aktionen zu dem Thema gemacht. Die Täter wurden später verurteilt. Mal eine Frage, warum interessiert dich das alles so? Ihr habt mit eurer Akademie doch schon viele gute Nachwuchsspieler hervorgebracht. Du bist ein ehemaliger Weltklassespieler und mit Rafa habt ihr ein Aushängeschild, das es eigentlich nicht nötig hat, sich mit unserem Nachwuchsteam zu beschäftigen.“

„Falsch. Wir sind immer interessiert zu schauen wie andere Teams arbeiten. Du hast mit Jan ebenfalls einen Trainer an der Spitze eures Teams, der in der Tenniswelt allerhöchste Anerkennung genießt. Rafa kennt ihn auch sehr gut. Und wenn ich gesehen habe, wie du Justin auf dem Platz lenken kannst und er dir konsequent folgt ohne von der Linie abzuweichen, dann ist das bemerkenswert. Genau an dieser Stelle scheitern ganz viele junge Spieler. Sie sind nicht in der Lage, ihrem Coach bedingungslos dieses dafür erforderliche Vertrauen entgegenzubringen. Wir haben auch zwei oder drei Spieler, die auf dem Sprung in die Weltklasse sind, aber genau hier noch nicht so weit sind.“

„Du bist doch wahrscheinlich sonst eher selten auf den kleinen Turnieren unterwegs. Ich habe dich oft mit Rafa auf den großen Turnieren gesehen. Warum bist du jetzt hier?“

„Weil wir Probleme mit zwei unserer Spieler haben, die hier spielen. Sie sind gut, keine Frage, allerdings haben sie sich nicht weiterentwickelt. Einer ist bereits neunzehn und ist längst noch nicht so weit wie deine drei Jungs mit sechzehn oder siebzehn. Das beeindruckt mich naturgemäß. Was machst du anders als wir? Wie geht ihr mit der Beziehung von Dustin und Fynn um?“

„Danke für das Lob. Dustin und Fynn sind einfach zwei Tennisspieler für mich. Dass sie ein Paar sind, hat sich einfach ergeben, während ich sie kennengelernt habe. Also ist das für mich einfach ganz normal. Und daher vertrauen sie mir auch. Ich bin nicht nur für ihr Tennis verantwortlich. Am Anfang war ich übrigens gar nicht für ihr Tennis zuständig. Ich habe ihnen bei privaten Problemen geholfen. Das hat erst später dazu geführt, dass ich sie auch als Trainer betreue.“

„Sie leben also bei euch in der Base? Und gehen dort auch zur Schule?“

„Genau. Wir betreuen sie praktisch rund um die Uhr. Das bringt uns nahe zusammen. Ich kann ihnen vertrauen und sie mir. Gerade als die Homosexualität der beiden offen wurde, hatten sie verständlicherweise große Angst. Da hat das Team ganz hervorragend reagiert und auch Gerry Weber hat sich engagiert. Sie haben dieses Vertrauen gefunden, was einfach notwendig ist, um erfolgreich im Profisport zu werden.“

„Wow, das imponiert mir. Du sagst klar und deutlich was Sache ist. Arbeitest du auch mit den Jungs so klar auf dem Platz? Oder lässt du sie sich auch selbst entwickeln?“

„Beides, ich bin schon manchmal sehr klar was die Strategie betrifft, aber ich suche immer einen Dialog mit dem Spieler. Er kann auch immer eine eigene Idee entwickeln und einbringen. Wenn er von seiner Idee mehr überzeugt ist als ich, dann darf er selbst entscheiden.“

„Auch auf die Gefahr, dass sie sich verrennen und ein Match verlieren?“

„Ja, absolut. Nur so lernen sie Vertrauen und Selbstverantwortlichkeit gegeneinander abzuwägen. Und es ist doch kein Problem, wenn sie jetzt noch Spiele deswegen verlieren. Sie sollen noch so viel wie möglich lernen.“

„Du machst dir also richtig viel Arbeit auch auf den Turnieren selbst. So musst du ständig mit deinen Spielern im Gespräch bleiben. Ich nehme an, ihr sprecht auch über private Dinge. So vertraut, wie sie mit dir umgehen, bist du für sie mehr als nur ihr Trainer.“

Jetzt meldete sich erstaunlicherweise Sabine zu Wort:

„Er ist viel mehr als nur Trainer. Er ist Mentor, Vaterersatz und Manager. Ich habe selten so eine enge Beziehung zwischen Jugendlichen und ihrem Coach erlebt. Und ich möchte dazu ergänzen, sowohl Dustin als auch Fynn haben nicht immer auf der Sonnenseite gestanden. Sie hatten beide große Schwierigkeiten in ihren Familien. Ohne Chris und ohne den Mut des Break-Point-Teams würden beide heute vermutlich kein Tennis mehr spielen.“

Carlos hatte genau zugehört. Er fragte nicht nach, sondern nickte nur.

„Wie schaffst du es auf dem Platz, dass Justin genau das macht was er soll, um zu gewinnen? Egal wie es steht, er folgt deinen Hinweisen. Und das obwohl es ein Coachingverbot gibt. Ich mache das auch schon viele Jahre, aber so effektiv wie es dir gelingt Einfluss zu nehmen, das habe ich noch nicht gesehen. Wie machst du das?“

„Das kann ich dir gar nicht so genau sagen. Wir haben über die Zeit einige Gesten und Zeichen entwickelt, die die Jungs adaptiert haben. Dadurch verstehen wir uns. Aber es ist für mich etwas Anderes entscheidend. Die Jungs wollen von mir geführt werden. Sie fühlen sich gut, wenn ich in ihrer Nähe bin. Auch bei Spielen, in denen sie alles unter Kontrolle haben, wollen sie den Kontakt zu mir. Aber das kennst du ja auch von deinen Spielern. Selbst Rafa schaut immer wieder in seine Box und bekommt von dort Zustimmung oder auch mal andere Hinweise.“

„Richtig, aber ich habe da eine Idee. Wenn das Turnier hier beendet ist, würde ich euch gern zu uns nach Monacor einladen. Wir könnten dort eine gemeinsame Trainingswoche machen. Ich würde gern mehr von deiner Art, mit den Spielern zu arbeiten, lernen. Außerdem habe ich da noch eine Baustelle. Das betrifft einen meiner Spieler. Du musst mir aber versprechen, damit vertraulich umzugehen.“

„Stopp, bist du dir sicher, dass du darüber sprechen solltest? Vielleicht solltest du zuerst mit diesem Spieler sprechen, ob er damit einverstanden ist.“

Ich hatte eine Ahnung, aber das war mir in diesem Moment ganz wichtig zu sagen.

„Hmm, ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass ihr ihm helfen könntet.“

„Ich mache dir einen Vorschlag. Sprich mit diesem Spieler und erkläre ihm, was du machen möchtest. Wenn er einverstanden ist, kannst du immer noch mit mir darüber sprechen. Ich gehe davon aus, dass es sich um eine sehr persönliche Sache handelt. Da ist Vertrauen ganz eminent wichtig. Unterschätze das nicht.“

„Gut, vielleicht hast du Recht. Hättet ihr denn Interesse, bei uns zu trainieren und vielleicht auch in Zukunft mehr zusammen zu arbeiten?“

„Klar, ich auf jeden Fall. Aber was das Team dazu sagt, kann ich nicht beurteilen. Das müssen wir dann besprechen. Allerdings jetzt ein paar Tage mit euch zu trainieren ist sicher kein Problem. Ob wir in Halle trainieren oder bei euch. Das kann dem Team egal sein. Ich finde das sehr spannend und fühle mich auch geehrt über dieses Angebot.“

„Super, ich freue mich. Ihr seid hier ja auch noch im Turnier gut vertreten. Morgen beginnt das Hauptfeld. Wie siehst du eure Chancen?“

Ich musste schmunzeln über meinen Standardsatz, den ich bei dieser Frage immer anwandte:

„Solange der letzte Ball noch nicht gespielt ist, ist alles offen. Also, meine Jungs haben überhaupt keinen Druck. Alles was jetzt kommt, ist schon Bonus. Genauso werde ich die Vorbereitung machen. Wenn jetzt noch jemand einen Sieg schaffen sollte, nehmen wir das natürlich gerne mit. Mal schauen.“

„Ich habe noch zwei Spieler im Hauptfeld. Einer davon ist sogar an Position drei gesetzt. Also vielleicht spielen wir in diesem Turnier ja noch einmal gegeneinander. Warten wir's ab. Ich danke dir jedenfalls für dieses offene Gespräch. Das machen nicht viele Trainer, sich mit anderen Coaches so offen auszutauschen. Es freut mich, mit dir zusammenarbeiten zu können. Wir sehen uns dann morgen auf der Anlage.“

Es wurde noch ein recht entspannter Abend, denn Carlos blieb noch etwas bei uns und wir redeten nicht mehr über aktuelle Tennisthemen. Marc erzählte etwas aus seiner Vergangenheit und plötzlich kam das Thema Motorsport auf.

„Du hast doch drei Söhne, wie schaut das bei denen mit den Renngenen aus?“

„Das ist sehr begrenzt. Sie haben Freude an Autos, aber so richtig Rennen fahren möchte keiner. Luc ist da derjenige mit der größten Freude an Autos.“

Ich überlegte mir gerade sehr genau, ob ich dazu etwas sagen sollte, ließ es dann aber doch lieber sein. Die beiden redeten noch ein wenig über die alten Zeiten von Marcs Karriere, bis er plötzlich sein neuestes Projekt erwähnte.

„Es gibt da noch eine Sache, die ich machen möchte. Ich habe mit Lukas und Mick bereits einmal das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife beendet. Das möchte ich mit Luc auch machen und das werde ich auch in Angriff nehmen. Nicht um zu gewinnen, aber um ins Ziel zu kommen.“

Sabine seufzte einmal, aber erstaunlicherweise regte sie sich nicht auf, sondern sagte etwas, was mir Angst machte:

„Ach ja, du und dein Rennbazillus. Der wird wohl nie ganz sterben. Dieses Rennen erlaube ich aber nur unter einer Bedingung. Luc darf nur fahren, wenn Tom und Chris auf euch aufpassen.“

„Deal“, sagte Marc spontan mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Okay, dachte ich, das wird vermutlich nicht passieren, denn auch Tom hatte mittlerweile seine aktive Laufbahn beendet. Ob er sich noch einmal in ein Rennauto setzen würde, war gar nicht klar.

Carlos staunte über unseren lockeren Umgang und er begann auch aus seiner aktiven Zeit die eine oder andere Anekdote zu erzählen. Jedenfalls wurde der Abend noch sehr lustig.

Gegen halb zwölf ließ ich mich wieder in mein Hotel fahren. Der nächste Tag würde wieder anstrengend werden.

Marc und Sabine hatten für den Vormittag etwas in der Stadt geplant. Sie würden erst am Nachmittag bei Fynns nächstem Match zu uns kommen.

Als ich in meinem Bett lag, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Diese neuen Kontakte waren sehr überraschend gekommen und eröffneten uns neue Möglichkeiten. Gerade für mich als Trainer würde es etwas Besonderes sein, das Team um Rafa Nadal kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten. Da konnte ich viel lernen und neue Eindrücke sammeln.

Dustin: Geht der Traum weiter?

Der Abend im Hotel war eigenartig. Obwohl Justin und auch Fynn jetzt im Hauptfeld waren, wollten wir nun noch mehr erreichen. Chris hatte uns selbst überlassen, wann wir ins Bett gehen würden. Ein toller Vertrauensbeweis.

Fynn und ich hatten endlich mal wieder eine Nacht, in der wir unsere Beziehung pflegen konnten. Justin war bereits um halb elf in sein Zimmer gegangen und das hatten wir genutzt.

Am frühen Morgen stand ich unter der Dusche, als mein Freund zu mir ins Bad kam.

„Mach mal hin, wir haben nur noch zehn Minuten Zeit bis zum Frühstück. Du weißt doch, dass Chris bei Unpünktlichkeit kein Pardon kennt.“

Ups, da hatte ich aber ordentlich die Zeit vergessen. Schnell hatte ich mich angezogen und war aus dem Bad raus.

„Na, was hast du denn so lange im Bad getrieben? Wenn Fynn bei dir gewesen wäre, hätte ich es ja verstanden, aber allein?“

Justin hatte den Schalk schon wieder im Nacken. Naja, wer den Schaden hat….

„Okay okay, ich bin ja schon fertig. Also können wir los?“

Mein Freund gab mir einen Kuss und flüsterte mir ins Ohr:

„Lass dich nicht ärgern. Wir gehen jetzt gemütlich frühstücken und hören uns an, was Chris zu berichten hat.“

Ich nahm meinen Freund in den Arm und gemeinsam verließen wir unser Zimmer. Mit dem Fahrstuhl ging es in das Erdgeschoss zum Frühstück. Heute schien bereits die Sonne und Chris saß nicht im Speisesaal, sondern auf der Sonnenterrasse.

„Guten Morgen, Chris. Du siehst ausgeruht aus. Hast du gut geschlafen?“, fragte ich ihn.

„Hallo ihr drei. Danke der Nachfrage, Dustin. Ich kann mich nicht beschweren. Die Betten sind erstaunlich gut für meinen Rücken. Wie schaut es bei euch aus? Seid ihr sehr aufgeregt oder habt ihr euch schon an die Situation gewöhnt?“

Ich schaute meine Freunde an und komischerweise war Justin derjenige, der antwortete.

„Ja, ich bin schon aufgeregt. Es ist mein erstes Challenger Hauptfeld in dieser Kategorie. Vor allem denke ich daran, wie schnell wir hier hingekommen sind. So langsam frage ich mich, wann ich aus diesem Traum aufwachen werde.“

„Okay, eine ehrliche Antwort. Los, setzt euch und lasst uns gemeinsam frühstücken.“

Das taten wir, obwohl sich in meinem Bauch immer mehr Unruhe entwickelte. Ich konnte nicht mehr als ein Müsli essen.

„Was ist los, Schatz? Sonst haust du dir immer noch zwei oder drei Brötchen nach dem Müsli rein.“

Mit dieser Bemerkung hatte Fynn die ganze Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Chris schaute zu mir, sagte aber nichts. Justin konnte morgens eh immer für drei essen. Wo er das hinsteckte war mir ein Rätsel. Er hatte kein Gramm zu viel, obwohl er auch mehr Süßigkeiten als wir aß.

Er nahm sich ein drittes Brötchen und lachte:

„Dustin, du solltest noch etwas essen. Dein Gegner hat sonst leichtes Spiel, wenn du mit einem Hungerast über den Platz eierst.“

„Ja ja. Aber ich kann einfach nicht mehr essen. Irgendwie fühle ich mich gerade unwohl. Es grummelt im Magen.“

„Hast wohl Hummeln im Müsli gehabt.“, kicherte Justin.

Jetzt schaute Chris zu Justin und legte sein Brötchen an die Seite.

„Es reicht, Justin. Dustin ist nervös und aufgeregt. Da fühlt man sich nicht so besonders. Ich finde es gut, dass er es offen zugibt und da ist es überflüssig, so eine Bemerkung zu machen. Das kann er gerade nicht gebrauchen.“

Das war toll. Ohne große Worte gab er mir Sicherheit. Justin zuckte und entschuldigte sich sofort.

„Sorry, aber ich wollte das etwas auflockern. Ich bin auch aufgeregt, aber mein Magen meldet sich nur mit Hunger.“

„Hihihi, der Spruch ist gut. Den merke ich mir und der passt gut zu dir. Aber Justin hat schon Recht mit der Aussage, dass du genug essen solltest. Mich interessiert es aber, warum du so aufgeregt bist? Es ist doch auch nur ein weiteres Turniermatch.“

„Das stimmt sicher, aber ich habe einfach die Gedanken im Kopf, dass ich die meisten Punkte bekommen kann, die ich je in einem Turnier erhalten habe. Vom Preisgeld ganz zu schweigen. Du sagst jetzt wahrscheinlich, dass das Unsinn ist und ich mich nur auf den Gegner konzentrieren soll, aber das ist für mich gerade schwierig.“

„Ich kann mir das gut vorstellen, dass es dir schwerfällt. Allerdings habe ich auch nie behauptet, dass es immer einfach sein wird. Wenn du deine Leistung abrufen können möchtest, wirst du lernen müssen, damit umzugehen. Den ersten Schritt dahin hast du bereits gemacht. Du hast es offen gesagt, wie es sich anfühlt. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass du es kontrollieren kannst. Versuche einfach noch etwas zu essen worauf du Lust verspürst.“

Typisch für Chris. Er wusste genau, wie ich mich fühlte und gab mir Hinweise. Also versuchte ich doch noch etwas zu essen und tatsächlich fühlte ich mich mit einem weiteren Brötchen besser. Fynn wechselte das Thema mit seiner Frage:

„Was hast du gestern noch mit Carlos Moya besprochen? Hast du vielleicht sogar ein Training mit Rafa in Monacor organisiert?“

„Sehr witzig, Fynn. Das glaubst du doch selbst nicht. Wie albern bist du noch? Chris wird sich wohl kaum mit so einem Hirngespinst beschäftigen. Aber was Carlos Moya wirklich von dir wollte, würde mich auch interessieren.“

Chris kaute seelenruhig an seinem Brötchen, nahm sich einen Schluck Kaffee und fast teilnahmslos antwortete er:

„Das erzähle ich euch gerne, aber erst nach dem Turnier. Jetzt sind eure Matches wichtig. Das lenkt euch ab, wenn wir darüber sprechen. Aber gerne nach dem Turnier.“

Damit war das Thema beendet. Ich spürte auch, dass Chris nicht weiter darüber sprechen würde, egal wie sehr wir ihn nerven würden.

Aber ich fühlte mich jetzt wieder besser, denn ich hatte für einige Minuten nicht über das kommende Spiel nachdenken müssen.

Eine Stunde später saß ich mit Fynn auf einer Bank auf der Anlage. Wir hatten gerade ein paar Bilder nach Hause geschickt und von Patrick eine Antwort über Whatsapp bekommen, als Chris bei uns auftauchte.

„Na, was gibt es Neues aus der Heimat? Ich nehme doch an, dass ihr mit jemandem aus Deutschland geschrieben habt.“

„Ja, das stimmt. Patrick hat uns viel Glück und Erfolg gewünscht. Und Dustin hat von Tim und Carlo schöne Grüße bekommen. Die sollen wir an alle weiterleiten.“

„Das ist nett, danke euch. Grüßt bitte zurück. Sowohl an deine Familie Fynn als auch an Tim und Carlo. Ich habe es ehrlich gesagt noch nicht hinbekommen, ihnen eine Nachricht zu schreiben.“

„Klar, machen wir.“, sagte mein Freund und gab mir einen Kuss.

„Können wir gleich die letzte Besprechung vor deinem Spiel machen, Dustin?“

„Ja, sicher. Wann sind denn die anderen dran?“

„Vermutlich erst wenn du fertig bist.“

Fynn hielt mir seine Hand hin und ich schlug ab. Danach hielt er sie fest und zog mich an sich heran.

„Ein gutes Spiel und wir sind alle bei dir. Das schaffst du, Schatz.“

Es fühlte sich großartig an, als er mir einen langen Kuss gab.

Ich drehte mich schnell zu Chris. Es sollte nicht zu peinlich werden, aber Chris stand einfach da und wartete auf mich. Er ging neben mir her und sprach direkt vom kommenden Match. Es war manchmal für mich noch komisch, meine Beziehung zu Fynn so offen zu zeigen wenn Chris neben uns stand. Eigentlich Blödsinn, aber es war so.

Chris fragte mich:

„Wie geht es dir jetzt? Bist du immer noch so aufgeregt wie heute früh?“

„Es geht so. Momentan habe ich etwas Zweifel, ob ich das alles gut genug hinbekomme. Obwohl es eigentlich ein normales Tennismatch ist, denke ich, dass es etwas Besonderes ist. Ich weiß auch, dass es Unsinn ist, so zu denken. Ich kann mich aber gerade nicht dagegen wehren.“

„Aber die Strategie hast du noch im Kopf, oder?“

Ich musste sofort lachen, als er mich das fragte.

„Haha, ja klar. Das will ich auch umsetzen.“

„Sehr gut. Jetzt einfach machen. Egal ob das jetzt die erste Hauptrunde in einem 100 000 Dollarturnier ist oder die erste Runde Kreismeisterschaften. Mach einfach alles so wie bislang. Dann wird das gut werden. Ich werde immer an derselben Stelle sitzen und dich begleiten. Ich glaube an dich und deine Fähigkeiten. Also geh raus und hab Spaß an diesem Spiel.“

Dann hielt er mir seine Hand hin. Ich schlug ein, aber es war mir ein Bedürfnis, ihn zu umarmen. Und er hielt mich ganz fest und drückte mich. Dann sagte er noch leise:

„Los, großer Krieger. Der Feind wartet auf dich. Du kannst das.“

Es war einfach unglaublich, welche Kraft jetzt in meinen Körper floss. Mit breiter Brust ging ich in die Umkleide und holte meine Tasche und dann ging es zum Platz. Mein Gegner war auch ein Qualifikant und Chris hatte ihn bereits spielen sehen. Entsprechend konkret war unsere Marschroute. Von der Spielanlage war das ein Gegner, der mir liegen sollte.

Unser Spiel war auf einem Nebenplatz angesetzt. Daher konnten wir ohne über Tribünen gehen zu müssen, auf den Platz gelangen. Mein Gegner war bereits vierundzwanzig, Franzose und schon recht erfahren. Aber den Durchbruch in die erweiterte Weltelite war ihm noch nicht gelungen.

Während des Einschlagens schaute ich mich um. Wo stand Chris? Wo waren Fynn und Justin? Ich hatte Chris schnell entdeckt. Er stand an derselben Stelle wie immer. Fynn und Justin konnte ich nicht finden. Das beunruhigte mich und ich suchte den Kontakt zu Chris. Sofort gab er mir zu verstehen, dass ich mich nur mit dem Geschehen auf dem Platz beschäftigen sollte.

Nach der Ansage der Schiedsrichters „Two minutes“ begann ich mit Aufschlägen. Komischerweise war meine Nervosität weg. Ich hatte nur noch meinen Spielplan und den Gegner im Kopf. Ich hatte die Wahl gewonnen und mich für Aufschlag entschieden.

Als ich nur wenige Minuten später bei 3:0 für mich auf der Bank saß, fragte ich mich, ob das alles real war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir mein Gegner gefährlich werden könnte. Aber ich wusste genau, das waren die falschen Gedanken. Hier war jeder Gegner für mich gefährlich. Ich suchte den Kontakt zu Chris und endlich standen auch Justin und Fynn neben ihm. Chris blieb vollkommen ruhig und nickte mir zu.

Ich stand von der Bank auf und baute wieder Körperspannung auf. Jeder Muskel war angespannt und ich erwartete den Aufschlag. Die ersten beiden Punkte gingen an meinen Gegner, weil ich bescheidene Returns gespielt hatte. Jetzt zeigte mir Chris die Faust und machte eine Handbewegung nach vorn. Er wollte mehr Aggressivität sehen. Also gut, dachte ich. Dann gehe ich jetzt auf den Ball drauf und schau mal was passiert.

Es war unglaublich, aber ich traf den Ball wie ich wollte und spielte mich in eine Art Rauschzustand. Von Punkt zu Punkt und Spiel zu Spiel. Keine Gedanken an ein Ergebnis. Nur dass ich geiles Tennis spielen wollte.

Ich gab im ersten Satz nur ein einziges Spiel ab und auch im zweiten Satz hatte ich das Spiel unter Kontrolle. Bei 5:3 und 40:15 schlug ich zum Matchgewinn auf. Da wurde mir bewusst, ich konnte die zweite Runde erreichen. Ein für uns enormes Preisgeld erreichen und den größten Erfolg überhaupt.

Bevor ich geschnallt hatte, dass ich gerade aus dem Fokus driftete, stand es Vorteil für meinen Gegner. Breakball.

Ein gellender Pfiff ging über den Platz. Ich zuckte zusammen. Wusste aber genau, was dieser Pfiff zu bedeuten hatte. Als ich mir die Bälle für meinen Aufschlag geben ließ, ertönte erneut dieser Pfiff. Ich drehte mich um und sah, wie Chris sich an die Schläfe tippte.

Ich nahm mir viel Zeit, um mich auf den Aufschlag vorzubereiten. Atmete erneut tief durch und schlug ein Ass. Ein lautes „Yes“ kam vom Zaun. Da musste ich einfach lachen. Fynn hatte es nicht mehr ausgehalten. Es war für mich wie eine Befreiung. Enormer Druck lastete auf meiner Brust, aber jetzt wollte ich es wissen. Ich schloss meine Augen, stellte mich wieder zum Aufschlag und der Ball kam nur langsam zurück. Ein einfacher Punkt für mich. Matchball.

Ich musste mich zwingen, den Kopf auszuschalten. Dieser letzte Ballwechsel war brutal. Keiner wollte den Fehler machen und ich spielte den Ball immer nur zurück, so schwer war mein Arm geworden. Nach gefühlten zwanzig Ballwechseln spielte mein Gegner einen Ball kürzer und ich ging einfach einen Schritt ins Feld und hämmerte diesen Ball unerreichbar ins Feld. Einfach so, ohne nachzudenken.

Sieg! Ich hatte tatsächlich gewonnen und schrie die ganze Anspannung heraus. Es musste einfach raus. Nach dem Shakehand saß ich vollkommen überwältigt auf der Bank. Es war die erste Runde in diesem Turnier, aber ich fühlte mich als ob ich gerade das Turnier gewonnen hätte. Meine Hände zitterten und ich fühlte mich unendlich allein. Plötzlich hörte ich die Stimme meines Freundes hinter mir. Ich stand auf und sprang ihm förmlich in die Arme. Er durfte ja den Platz nicht betreten. Ein nicht endenwollender Kuss folgte. Einfach ein irres Gefühl. Mein Traum ging weiter.

Chris: Nichts für Herzkranke

Dieses Match von Dustin hatte mich vollkommen in den Bann gezogen. Bis auf die eine kritische Situation, hatte er sowohl sein Spiel als auch seinen Gegner jederzeit unter Kontrolle. Fynn war natürlich schon zu seinem Freund gelaufen. Das war für mich auch vollkommen in Ordnung. Sie sollten die ersten Minuten für sich haben. Allerdings musste sich Justin jetzt auch richtig aufwärmen. Sein Spiel stand bevor und ich war sehr gespannt, ob der Sieg von Dustin motivierte oder eher eine Überforderung darstellte.

Fynn freute sich sehr für seinen Freund. Er sollte als letzter auf den Platz gehen.

Mir kamen Dustin und Fynn bereits entgegen, als ich gratulieren wollte.

Dustin löste sich von Fynn, ließ seine Tasche fallen und umarmte mich freudestrahlend.

„Chris, wie geil ist das hier? Danke für deine Unterstützung. Ich bin so happy.“

„Hey, Glückwunsch. Das war ganz großes Kino. Perfekt umgesetzt und dir selbst bewiesen, was du schon alles kannst. Jetzt schauen wir mal, ob wir Fynn und Justin auch noch eine Runde weiter schicken können.“

„Auf jeden Fall geben wir alles. Ich gehe mich auslaufen und duschen. Weißt du schon auf welchem Platz es weitergehen wird?“

„Justin soll Center Court spielen. Fynn ist angesetzt auf Court drei. Aber das wird noch dauern. Ich denke, Justin wird bereits fertig sein, wenn Fynn auf den Platz gehen wird.“

„Mega cool. Dann kann ich ja beide Spiele sehen. Aber für dich wieder total anstrengend. Drei Matches nacheinander coachen.“

Das war schon ein gutes Gefühl, dass Dustin selbst jetzt auch an meine Situation denken konnte.

„Justin, du kannst dich schon richtig aufwärmen. Der Zeitplan läuft gut. Wenn nichts mehr dazwischen kommt, gehst du in ungefähr vierzig Minuten auf den Platz.“

„Okay, mache ich. So langsam fängt es an zu kribbeln. Ich will auch in die zweite Runde und die Punkte haben.“

Er wollte sich schon umdrehen.

„Warte, bevor es los geht möchte noch einmal kurz mit dir sprechen. Also nicht direkt auf den Platz gehen.“

„Alles klar. Dann bis gleich.“

Als Dustin zum Auslaufen war, gingen mir doch einige Gedanken durch den Kopf. Schnell hatte ich Marc eine Nachricht geschrieben und auch Thorsten hatte ich die aktuelle Lage geschrieben.

Jetzt nahm ich mir die Zeit für einen Othello und ein Stück Torte. Das brauchte mein Nervenkostüm einfach.

Plötzlich tauchte Justin wieder an meinem Tisch auf. Er blieb vor mir stehen und schaute mir bei meiner Torte zu.

„Hey, brauchst du Nervennahrung? Dir fehlt wohl deine Fassbrause.“

„Sieht so aus, aber die Torte ist auch sehr lecker. Setz dich doch zu mir, du musst nicht stehen.“

Er nahm sich den Stuhl mir gegenüber und ich konnte mittlerweile erkennen, dass auch Justin mit der Situation nicht ganz glücklich war.

„Was beschäftigt dich gerade? Du bist nicht so cool, wie du nach außen wirkst. Du kannst mir nicht mehr viel vorspielen.“

„Manchmal denke ich, du kannst Gedanken lesen. Ja, es stimmt. Ich bin sehr nervös und weiß momentan nicht mehr, wie ich mich davor schützen kann.“

„Warum willst du dich davor schützen? Es ist doch ein wichtiges Gefühl. Es gibt dir klare Hinweise, was dich gerade beschäftigt.“

„Ich finde es bedrohlich, weil ich das noch nie so extrem empfunden habe wie heute. Ich würde am liebsten auf den Platz gehen und spielen. Dieses Warten macht mich total kirre.“

Ich hatte mein Stück Torte mittlerweile aufgegessen und mein Othello hatte auch nur noch einen Schluck übrig.

„Pass auf. Wir können etwas auf einem Platz spielen. Sofern du bei der Turnierleitung fragst, ob ein Platz kurzfristig frei wäre.“

„Cool, ich bin schon weg und frage. Danke!“

Mit einem Strahlen im Gesicht lief er zum Turnierbüro. Ich musste lachen. Hier war Justin doch noch ein wenig Kind. Das gefiel mir gut. Vor allem hatte er zum ersten Mal zu seinen Gefühlen gestanden und hat sich nicht selbst belogen.

Allerdings würde es für mich bedeuten, mich seit längerer Zeit mal wieder richtig auf dem Platz zu bewegen. Irgendwie freute ich mich auf ein wenig Bewegung. Dass hier auf Sand gespielt wurde, war ein mir gut bekannter Belag, der vor allem meinem Rücken nicht so gefährlich sein würde.

Justin kam auch schon zurück und an seinem Gesicht wusste ich, dass er eine Möglichkeit bekommen hatte.

„Hey, Chris, wir können auf Platz vierzehn mit meinen kanadischen Freunden auf den Platz gehen. Ich habe sogar schon Bälle bekommen. Du kannst also gleich mitkommen.“

„Kann ich machen, aber es gibt doch noch ein Problem. Ich habe keine Schläger dabei, kannst du mir vielleicht einen von dir borgen?“

„Klar, los komm. Ich will auf den Platz. Das wird bestimmt ganz lustig und lenkt mich ab.“

„Dann mal los.“

Etwa zehn Minuten später schlug ich mit Justin ein paar Bälle. Ganz locker, ohne großes Tempo. Die kanadischen Kollegen waren so nett, für fünfzehn Minuten ihr Training zu unterbrechen. Somit hatten wir den ganzen Platz zur Verfügung. Leider hatte das einen entscheidenden Nachteil. Sie schauten uns jetzt natürlich zu. Aber es machte mir sogar richtig Spaß, mit Justin die Bälle zu spielen. Plötzlich tauchte Dustin bei uns auf.

„Ey, das ist jetzt aber nicht nett. Kaum bin ich mal nicht da, steht Chris auf dem Platz und vergnügt sich mit Justin. Sieht aber cool aus, wie du dich hier bewegst, Chris. Aber muss Justin nicht spielen?“

Während ich den Ball zurück spielte antwortete ich leicht außer Atem:

„Doch, aber bevor er sich vor Nervosität in die Hosen macht, wollte er lieber ein paar Bälle spielen. Und ihr seid ja nicht zur Verfügung gewesen. Da musste der alte Drache halt selbst den Schläger in die Hand nehmen.“

Justin brach in schallendes Gelächter aus und auch Dustin lachte befreit. Das hatte allerdings zur Folge, dass nahezu alle umstehenden Leute uns beobachteten. Und natürlich auch wieder Fotos gemacht wurden. Sogar eine Videokamera hatte ich gesehen. Egal, das war eben so. Spaß hatten wir dennoch und genau das war ja das Ziel, dass Justin entspannter auf den Platz gehen könnte.

„Danke, Chris. Auch wenn es nur zehn Minuten waren, diese haben mir die Nervosität genommen. Jetzt gehe ich mit einem guten Gefühlt auf den Platz.“

Jetzt musste ich mich aber beeilen, denn geschwitzt hatte ich doch. Also schnell ein frisches T-Shirt anziehen, um dann pünktlich auf dem Center Court zu sein.

Fynn und Dustin waren bereits in der Coaching Box, als ich eintraf. Justin schlug sich noch mit seinem Gegner ein.

„Also wenn Justin jetzt nicht gewinnt, wissen wir ja woran es gelegen hat.“

Dustin hatte durch seinen Sieg ein wenig den Schalk im Nacken. Fynn schien das nicht zu gefallen, denn er drehte sich zum Platz nachdem sein Freund das gesagt hatte.

Plötzlich meldete sich eine Stimme:

„Ja, es liegt daran, dass ihr Chris zu sehr genervt habt und er sich nicht ausreichend auf Justin konzentrieren konnte.“

Dustin zuckte zusammen und drehte sich um. Ich hatte die Stimme bereits erkannt und konnte mein Lachen kaum noch unterdrücken. Marc und Sabine waren zu uns gestoßen und Marc blieb todernst in seinem Auftreten. Dustin überlegte wie er aus dieser Nummer wieder herauskommen würde, ohne zu viel Peinlichkeit.

„So habe ich das aber gar nicht gemeint. Ich weiß auch, dass wir ohne ihn nicht hier sein würden. Aber so kann ich meine Nervosität abbauen.“

„Und wenn das ein Pressefuzzi mitbekommen hat und deinen Spruch wörtlich in der Zeitung oder im Internet abdruckt? Was ist dann? Wie sieht das denn wohl aus?“

Marc spielte dieses Spiel weiter, ohne eine Miene zu verziehen. Sabine hatte sich bereits zu Fynn gesellt, um nicht lachen zu müssen.

Ich fand es auch grandios, wie Marc Dustin gerade auf den Arm nahm. Es fiel mir allerdings schwer, mich jetzt auf Justins Match zu konzentrieren.

„Könntet ihr eure Diskussion später fortführen? Ich würde mich gerne jetzt auf Justin fokussieren. Das Spiel hat begonnen.“

Dustin setzte sich zu seinem Freund, der sich zu ihm neigte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Dustin schaute noch einmal kurz zurück und man konnte sehen, wie sich sein Körper wieder entspannte.

Justins Spiel entwickelte sich ähnlich rasant wie bei Dustin. Justin spielte noch intuitiver und ließ sich überhaupt nicht von seinem Gegner beeindrucken. Er prügelte jeden Ball mit voller Wucht in das Feld des Gegners und rückte entschlossen ans Netz vor. Bevor sein Gegner begriffen hatte, dass er sein Spiel komplett umstellen muss, hatte er den ersten Satz verloren. Unglaublich, was sich auf dem Platz abspielte.

Als es zur Satzpause kam, stand Justin von seiner Bank auf und gab mir ein klares Signal ihm in die Umkleide zu folgen.

„Hi Chris, ich kann es noch gar nicht glauben, dass deine Strategie so glatt läuft. Aber ich erwarte, dass er jetzt irgendetwas ändern wird. Was soll ich dann machen?“

„Zuerst einmal wachsam bleiben. Du musst schnell reagieren können. Ich erwarte, dass er mit dem Slice versuchen wird, dein Spiel zu verlangsamen und es dir zu erschweren, weiter so viel Druck zu machen. Versuche es aber grundsätzlich weiter. Du musst weiter Druck machen, damit er sein Spiel nicht aufbauen kann. Dann kannst du das nach Hause spielen. Fang nicht an, sein Spiel mitzuspielen. Das kann er definitiv besser als du.“

„Okay, also auch mit dem Risiko mehr Fehler zu machen?“

„Ja, korrekt. Und bleib positiv. Du kannst das. Los, zeig den Leuten was du kannst.“

Ich hielt ihm meine Hand hin und er schlug sie ab. Danach joggte er zurück auf den Platz.

Ich schaute ihm hinterher und in meinem Kopf spielten mir meine Gedanken gerade einen Streich. Der Junge war gerade sechzehn Jahre alt geworden und trat hier auf der großen Bühne so selbstbewusst und selbstkritisch auf. Wo würde das hingehen, wenn er mehr Erfahrung hätte? Es wurde mir langsam unheimlich, wie die Jungs sich entwickelten und ihr Potenzial abrufen konnten. Wann würde die erste Krise kommen?

Mit diesen Gedanken traf ich wieder an meinem Platz in der Coaching Box ein. Sabine hatte sich mittlerweile zu Marc gesetzt und ich nahm wieder auf meinem Stuhl Platz. Justin hatte die ersten beiden Punkte mittlerweile gewonnen und folgte konsequent seiner Linie. Allerdings passierte genau das was wir erwartet hatten. Sein Gegner versuchte ständig das Tempo herauszunehmen und Justin dadurch in längere Ballwechsel zu zwingen. Justin blieb ruhig und ging auch die längeren Ballwechsel ruhig mit, bis zu dem Augenblick wo er eine Möglichkeit sah, den Druck wieder zu erhöhen. Das konnte man nicht mehr viel besser spielen. Gut, er machte einige einfache Fehler und beim Spielstand von 5:3 im zweiten Satz kam wieder der Kopf negativ ins Spiel.

Justin schlug zum Matchgewinn auf, aber plötzlich fing er an zu zögern und nicht mehr so konsequent nachzurücken und Druck aufzubauen. Schon stand es 0:30 und bald 15:40, damit also Breakball. Justin fiel in dieser Situation zurück in sein altes Verhalten. Er suchte nicht mehr den Kontakt zu mir, sondern wollte mal wieder alles selbst regeln. Er verlor das Spiel und damit kam sein Gegner auf 5:4 heran und glich mit einem guten Aufschlagspiel aus.

„Was macht er da gerade? Er hat das ganze Match alles komplett unter Kontrolle und ausgerechnet im möglicherweise letzten Spiel fängt er an vorsichtig zu werden. Und er schaut nicht mehr zu dir. Kannst du ihn nicht auch mal wecken?“

Dustin wurde unruhig und in diesem Augenblick wo er das gesagt hatte, wusste ich was zu tun ist.

„Danke, Dustin. Du bringst mich auf die richtige Idee.“

Mit einem ohrenbetäubenden Pfiff erreichte ich Justins Aufmerksamkeit. Und mit eindeutigen Zeichen, machte ich ihm klar, dass er jetzt aufhören sollte sich einen Kopf über das Spiel zu machen.

Auf der Bank sitzend zuckte Justin zuerst zusammen, schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf, aber dann fing er plötzlich an zu lachen. Und jetzt wusste ich, dass er es begriffen hatte. Justin war an dieser Stelle einfach unglaublich. So schnell wie er, konnte keiner der anderen Jungs seinen Kopf abschalten.

Und das faszinierendste kam im nächsten Spiel. Er blies zur Attacke und schoss den Gegner mit seinen Returns förmlich vom Platz. Er hatte einfach keine Angst mehr, spielte wieder wie zuvor und gewann mit einem Break das Match. Ich konnte es einfach nicht glauben. Marc hinter mir schlug mir auf die Schulter, aber war genauso ungläubig wie ich.

„Was ist da in dem vorletzten Spiel passiert? Und wie kann es sein, dass du mit einem einzigen Pfiff wieder alles auf Anfang setzen kannst? Das ist faszinierend.“

„Wenn ich dir das beantworten könnte, würde ich vier Schritte weiter sein und mich deutlich wohler fühlen. Aber das ist halt Tennis, es wird im Kopf entschieden.“

Ich hatte noch nicht bemerkt, dass Dustin schon in Richtung Platz gelaufen war und als ich wieder dorthin schaute, konnte ich ihn hinter der Bank warten sehen. Justin hatte bereits seine Tasche geschultert und verließ den Platz. Mit einer Umarmung nahm ihn Dustin in Empfang. Dabei konnte ich auch die Fotografen erkennen, die genau diese Szene festhielten. Ein komisches Gefühl beschlich mich. Hoffentlich würden meine Gedanken falsch sein.

Fynn: Die Grenzen sind nahe

Mein Spiel sollte das letzte Match an diesem Tage sein. Mein Schatz hatte den Tag mit einem Sieg begonnen, Justin hatte nachgelegt und jetzt wollte ich nachziehen. Allerdings wusste ich auch, dass das extrem schwierig werden würde. Mein Gegner war als „Gummiwand“ bekannt. Genau das, was ich gar nicht mochte.

Aber Chris hatte mich gut vorbereitet und erwartete von mir, dass ich mich da durchkämpfen würde. Schon beim Einschlagen wurde mir deutlich, dieses Spiel würde anstrengend werden. Sehr anstrengend.

Chris hatte seine Position bereits eingenommen und auch mein Freund stand neben ihm. Marc und Sabine kamen mit Getränken zu Chris. Sie verteilten sie und ich konnte sogar verstehen, über was sie sprachen. Wir spielten auf einem Außenplatz, da waren nicht viele Zuschauer und auch keine richtigen Tribünen. Die gab es nur auf drei Plätzen und dort würde ausschließlich dann ab Viertelfinale gespielt werden.

Das „Time“ des Schiedsrichters kam. Ich hatte die Wahl verloren, aber mein Gegner hatte sich für Rückschlag entschieden. Das war mir sehr recht. Einmal noch zur Bank und das Handtuch genommen, dann ging es los.

Beim Stand von 4:3 im ersten Satz hatten wir bereits eine Ewigkeit gespielt. Jeder Ballwechsel war ein wilder Kampf und so langsam wurde ich ungeduldig. Genau davor hatte mich Chris gewarnt. Es nervte mich einfach, immer nur diesen Ball zurückspielen und nicht einmal einen offensiven Ball spielen zu können. Allerdings beherrschte er dieses Spiel absolut. Auf seinen widerlichen Slice konnte ich nicht angreifen.

Aber so würde ich auch nicht gewinnen können, weil mir die Kraft irgendwann ausgehen würde. Er war schon voll austrainiert und mit Sicherheit konnte er das länger spielen als ich.

Chris beruhigte mich immer wieder. Dennoch spürte ich, dass ich etwas ausprobieren musste. Also begann ich mit hohen Topspin-Bällen ihn weiter von der Grundlinie wegzubringen. Sobald ich die Gelegenheit bekam ans Netz vorzurücken, versuchte ich das. Damit wollte ich die Ballwechsel abkürzen. Außerdem machte es mir mehr Spaß auf dem Platz. Dadurch gab ich auch Punkte recht schnell ab, aber machte auch viele Punkte.

Chris schien meine Taktik zu unterstützen, denn er pushte mich immer weiter nach vorne. Aber Mitte des zweiten Satzes ging mir die Luft aus. Ich bekam wieder Krämpfe in den Beinen. Es war zum Kotzen. Da quält man sich über zwei Stunden und dann zeigt der eigene Körper einem die Grenzen auf. Ich saß beim Stand von 2:3 auf der Bank und hatte Schmerzen in den Beinen, das Handtuch über dem Kopf.

„Fynn, ich möchte, dass du jetzt aufhörst zu spielen. Dein Körper ist am Limit und du hast alles gegeben. Es ist mir zu gefährlich. Ein Muskelfaserriss zum jetzigen Zeitpunkt wäre ganz schlecht.“

Ich dachte im ersten Moment, dass ich mich verhört hätte. Aber andererseits wusste ich ganz genau, dass Chris jetzt nicht mehr diskutieren würde. Ich nahm das Handtuch vom Kopf und schaute in das besorgte Gesicht von Chris. Wie er jetzt auf den Platz gekommen war, war mir ein Rätsel.

„Ich will nicht aufgeben. Das kann doch nicht sein, dass ich nicht so fit bin wie die anderen.“

„Das hat doch damit gar nichts zu tun. Und bevor wir jetzt eine sinnlose Diskussion führen. Es ist entschieden, ich beende das Match an dieser Stelle. Du kannst später gerne mit mir darüber sprechen. Aber jetzt ist das meine Entscheidung. Noch trage ich für dich die Verantwortung. Du hast grandios gespielt und alles versucht. Heute war das noch nicht gut genug, aber ich verspreche dir, das wird bald anders sein. Ganz bestimmt.“

Chris hielt mir seine Hand hin und ich spürte, dass er wieder einmal recht hatte. Also schlug ich ein und gab mich geschlagen.

Er ging zum Schiedsrichter, der bereits auf eine Entscheidung gewartet hatte. Danach hörte ich noch das Game, Set and Match und Chris setzte sich zu mir auf die Bank. Sogar mein Gegner erkundigte sich noch, was mein Problem wäre.

„Hey, du musst nicht zweifeln. Du hast extrem gut gespielt. Aber heute war dein Gegner noch nicht zu schlagen. Aber du bist gerade mal siebzehn und noch lange nicht austrainiert. Das kann auch noch nicht sein. Also nimm den Kopf hoch und schau nach vorn. Schau mal dort.“

Er zeigte mit der Hand nach links. Dort stand Dustin und wartete. Chris winkte ihm zu und stand von der Bank auf. Mein Freund umarmte mich und nahm wortlos meine Tasche. Dann zog er mich von der Bank hoch und nahm mich in den Arm. Obwohl ich bitter enttäuscht war und die Beine schmerzten, war es ein schönes Gefühl jetzt nicht allein zu sein. Wir gingen wortlos zur Umkleide zurück.

Plötzlich begann ich am ganzen Körper zu zittern. Ich konnte nichts dagegen tun. Dustin wurde unruhig. Einerseits wollte er mich jetzt nicht allein lassen, aber auch Hilfe holen. Glücklicherweise waren noch andere Spieler in der Umkleide. Einer hatte bemerkt, dass es mir nicht gut ging. Er fragte, ob er Hilfe holen sollte.

Dustin schickte ihn sofort los. Ich konnte nicht mal mehr richtig sprechen. So etwas hatte ich noch nie erlebt und Panik machte sich bei mir breit.

Wenige Augenblicke später kamen der Turnierphysio und der Turnierarzt in die Umkleide und als mich der Arzt sah, legte er mir sofort eine Infusion. Jetzt war es auch um Dustins Ruhe geschehen. Allerdings bekam ich davon nicht mehr so viel mit. Der Arzt meinte zu mir, dass ich dehydriert wäre und daher der Kreislauf instabil geworden war. Und das obwohl ich reichlich getrunken hatte. Es war mir ein Rätsel.

Was ich nicht bemerkt hatte, alle Personen außer Dustin waren aus dem Raum. Daher auch diese Stille. Plötzlich ging die Tür auf und Chris betrat die Umkleide. Er war ganz ruhig und sprach zuerst mit dem Physio und dem Arzt, bevor er sich zu mir setzte.

„Na, großer Krieger. Glaubst du mir nun, dass es richtig gewesen ist, dich nicht weiterspielen zu lassen? Wie geht es dir?“

„Bescheiden, aber ich habe doch viel getrunken. Warum reichte das nicht?“

Ich war verunsichert. Wieder ein körperliches Problem, dass nicht eindeutig zu klären war?

„Weil du mehr verbraucht hast, als du zuführen konntest. Es war einfach über deinem Limit. Ich habe zu spät begriffen, dass du weit im roten Bereich gespielt hast. Ich hätte dich viel eher schützen müssen. Aber der Arzt sagte gerade, dass es nicht so schlimm wäre, weil du so gut trainiert bist. Dein Kreislauf wird sich gleich wieder beruhigen und du kannst gleich auch wieder aufstehen. Warte noch ein paar Minuten und dann geht es direkt für euch beide ins Hotel.“

„Kommst du nicht mit? Wir sind doch fertig mit spielen.“

„Nein, ich komme mit Marc etwas später nach. Sabine wird euch begleiten. Ihr seid jedenfalls nicht allein. Keine Sorge.“

Komisch. Sonst war ich nicht mehr ängstlich, allein irgendwohin zu fahren. Aber gerade fühlte ich mich klein und zerbrechlich.

Einige Minuten später betrat ich mit Dustin den Rasen vor dem Clubhaus. Sabine erwartete uns bereits.

„Na, ihr beiden Krieger. Wie geht es dir, Fynn?“

„Besser, aber ich bin enttäuscht. Ich habe die Anforderungen nicht erfüllt. Das beunruhigt mich.“

„Ja, das kann ich sogar verstehen. Chris hat dir aber erklärt, was bei dir passiert ist und dass du dir keine Sorgen machen musst?“

„Er hat es ihm sehr deutlich erklärt. Deshalb lass uns bitte schnell ins Hotel fahren, damit ich dafür sorgen kann, dass er sich ausruht und wieder richtig auf die Beine kommt.“

Okay, jetzt sollte ich besser das tun, was Dustin wollte. So bestimmt wurde er nur, wenn ich wieder einmal Chris nicht richtig zugehört hatte. Sabine lachte und begleitete uns zum Shuttle Service, der uns zügig ins Hotel brachte.

Vor unserem Zimmer ermahnte uns Sabine:

„Dustin, du sorgst dafür, dass sich Fynn erholt. Ich bin bei Chris im Zimmer, sollte etwas sein. Oder unten im Hotelgarten. Ich habe mein Handy dabei, schreib mich an und ich werde dann sofort zu euch kommen. Aber Chris wird auch bald zurück sein.“

Danach ließ sie uns allein. Einerseits beruhigte mich die Anwesenheit meines Freundes, aber die Situation an sich gefiel mir überhaupt nicht. Dustin machte mir einen Mineralcocktail und reichte ihn mir, als ob ich ein kleiner Junge wäre.

„Ja, Mama. Ich werde ihn trinken. Du musst mich aber nicht wie ein Kleinkind behandeln. Du kannst mir lieber einen Kuss geben.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Leider war mein Körper überhaupt noch nicht in der Lage, mehr Zärtlichkeiten zuzulassen.

Es dauerte auch nicht mehr lange und ich war auf dem Sofa einfach eingeschlafen.

Chris: Kommt der nächste Schritt jetzt schon?

Fynns Einbruch war für mich überhaupt kein Beinbruch. Im Gegenteil, es zeigte einfach wie hart die Profitour ist. Und ein siebzehnjähriger Schüler konnte einfach noch nicht den Trainingsstatus eines voll austrainierten Zwanzigjährigen haben.

Meine Aufgabe war es aber jetzt, Fynn zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass er nicht wieder anfangen darf zu zweifeln.

Marc und ich standen im Turnierbüro. Marc machte ein kurzes Interview mit einer lokalen Sportzeitung, während ich mir die Zeiten für Justin und Dustin geben ließ.

„Chris, kannst du bitte einmal kommen? Die Journalisten haben noch ein paar Fragen zum Breakpoint-Team.“

Das passte mir gerade gar nicht, denn ich wollte so schnell wie möglich zu den Jungs ins Hotel und mich um Fynn kümmern. Aber Marc machte den Eindruck, dass es wichtig wäre. Also stellte ich mich zu ihm und wartete auf die Fragen.

„Wie geht es ihrem Spieler? Er musste aufgeben und steht jetzt eine längere Pause an?“

„Es geht ihm wieder besser. Die Belastung hier ist doch erheblich größer als bei kleineren Turnieren. Fynn hat sich schlicht verausgabt und sein Akku war leer. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, das Spiel nicht zu Ende zu spielen. Ich gehe davon aus, dass eine längere Pause nicht notwendig ist.“

„Ihre Spieler sind alle noch sehr jung und mischen hier das Turnier auf. Die Leistungen sind beachtlich. Wie weit kann es für Justin und Dustin hier noch gehen und wird der Ausfall von Fynn für Dustin ein Problem werden?“

„Diese Frage kann ich nur teilweise beantworten. Ob sie noch eine Runde überstehen, kann ich nicht vorhersagen. Das Potenzial dafür haben sie, aber es fehlt an Erfahrung. Die sammeln sie aber mit jedem weiteren Spiel unter Turnierbedingungen. Also schauen wir mal. Sie haben keinerlei Erfolgsdruck. Alles was jetzt hier noch kommt ist Bonus. Ob sich Dustin von Fynns Problemen beeinflussen lässt, werden wir sehen. Ich werde versuchen, das zu vermeiden. Allerdings dürfte das in Anbetracht ihrer Beziehung schwierig werden.“

„Sie gehen sehr offen mit der Beziehung der beiden um. Ihr Fernsehinterview hat große Beachtung gefunden. Aber sie haben auch negative Erlebnisse bereits gehabt. Denken sie weiterhin, dass es richtig ist, in der eher konservativen Tennisszene, so progressiv mit dem Thema Homosexualität umzugehen?“

„Ja, absolut. Gerade weil wir so viel Unterstützung erfahren. Das Team in Halle steht voll hinter den Jungs und auch mit Marc Steevens haben wir eine Persönlichkeit im Rücken, die viel bewegen kann. Und es muss sich noch viel bewegen, damit Homosexualität im Profitennis endlich anerkannt und respektiert wird. Und zwar von allen Veranstaltern und Funktionären.“

„Vielen Dank für diese offenen Worte. Wir wünschen ihnen weiterhin viel Erfolg in Barcelona.“

Als wir Richtung Ausgang gingen, klopfte mir Marc anerkennend auf die Schulter.

„Du machst dich. Das war ein sehr gutes Interview. Als ob du nie etwas anderes gemacht hättest.“

„Sehr witzig. Ich fühle mich immer total blöd dabei. Ich muss manchmal überlegen, kann ich das so sagen oder besser nicht.“

„Dafür machst du das aber richtig gut. Ehrlich jetzt. Ich soll dir übrigens von Sabine ausrichten, dass es Fynn besser geht und alles in Ordnung ist.“

„Das ist eine gute Nachricht. Warum will die Presse plötzlich ständig von uns etwas? Wir machen doch nichts anders als vorher auch.“

„Na, wir haben drei jugendliche Spieler, die die etablierten Leute ärgern und teilweise ja sogar rausgeworfen haben. Da ist das Interesse einfach da. Und mir gefällt das. Auch für die Sponsoren ist das gut. Sie werden mehr wahrgenommen. Wir müssen nur aufpassen, dass die Jungs in Ruhe spielen und trainieren können. Aber das schaffen wir schon.“

„Ja, aber du bist doch nicht ständig bei uns. Ich muss mich um die Jungs kümmern und bin kein Medienexperte wie du.“

Wir hatten gerade den Ausgang passiert und natürlich stand Marcs Limousinenservice bereit, uns ins Hotel zu fahren. Das war schon etwas strange, aber mittlerweile konnte ich es auch genießen.

„Was habt ihr heute noch vor?“, fragte mich Marc.

„Nichts, einfach abschalten und erholen. Mal schauen, ob sich Fynn erholt und dann die Vorbereitung für morgen machen.“

„Habt ihr Lust mit uns etwas Kultur und Ablenkung zu machen? Sabine und ich würden euch gern einladen, mit uns ein wenig durch die Altstadt zu gehen und sich das ein oder andere anzuschauen. Vielleicht über die Ramblas gehen oder in den Park Güell.“

„Ich bin da sofort dabei. Was die Jungs betrifft, möchte ich ihnen das selbst überlassen. Schließlich müssen sie morgen wieder ein hartes Match bestreiten.“

„Wann müssen sie spielen? Vormittags oder erst später?“

„Morgen dürfen wir etwas länger schlafen. Justin ist sogar erst in der Abendsession angesetzt. Dustin spielt nicht vor 16 Uhr.“

„Perfekt für einen Abendausflug, oder nicht?“

„Ich denke schon. Ich werde sie fragen. Sollen wir uns irgendwo treffen oder holt ihr uns ab?“

„Ich würde vorschlagen, wir treffen uns um halb sieben bei uns im Hotel zum Essen. Von da aus ist der Park fußläufig zu erreichen.“

„Das hört sich gut an. Wie ich Torsten dann die Spesenrechnung in eurem Hotel erkläre, muss ich mir dann noch überlegen.“

„Hihi, gar nicht. Das läuft über den Sponsor. Mach dir darüber keinen Kopf.“

„Cool, dann habe ich ein gutes Argument, sie zu motivieren.“

Die schwere Limousine hielt vor unserem Hotel und Marc bat den Fahrer zu warten, damit Sabine mit zurück in ihr Hotel fahren konnte.

In der Lobby begegneten wir uns und ich bekam meine Zimmerkarte von ihr.

„Ist alles gut hier. Dustin ist dabei, sich um seinen Freund zu kümmern. Ich glaube Fynn hat es ganz ordentlich aufgenommen. Wie siehst du die Situation?“

„Eigentlich total entspannt. Er hat seinem Körper alles abverlangt und das war noch nicht genug für diesen Gegner. Ich werde es ihm aber gleich noch einmal in Ruhe erklären und dass ich mir ganz sicher bin, dass er spätestens in einem Jahr dieses Match gewinnen wird ohne sich so quälen zu müssen. Wichtig ist jetzt, sich keine schwere Verletzung einzufangen. Also die Enttäuschung kann ich verstehen, sie ist jedoch grundlos. Du musst aber los, dein Fahrdienst wartet vor dem Eingang. Wir sehen uns am Abend ja noch.“

Wir umarmten uns kurz und ich bedankte mich für die Unterstützung. Das wollte ich später auch im Beisein der Jungs noch einmal tun.

Mein erster Weg führte mich zu Dustin und Fynns Zimmer. Ich klopfte leise und Dustin öffnete die Tür.

„Hi Chris, Fynn schläft. Können wir zum Reden in dein Zimmer gehen?“

„Klar, komm mit.“

Dustin schloss ihre Tür leise und folgte mir in mein Zimmer. Ich bat ihn, Platz zu nehmen während ich Justin noch Bescheid gab, dass ich wieder zurück war.

„So, jetzt können wir reden. Wie geht es Fynn? War er noch sehr frustriert?“

„Es geht ihm besser. Als wir im Hotel waren, hatte er sich bereits beruhigt. Die Erkenntnis, dir zu vertrauen war bereits vorhanden. Danach haben wir nur noch kurz etwas gesprochen. Er war sehr müde und ist einfach auf dem Sofa eingeschlafen.“

„Hat er noch einmal Krämpfe bekommen?“

„Ja, einmal. Ich habe ihm einen Mineraliencocktail gemacht, danach wurde es besser und seit er schläft, ist nichts mehr passiert. Aber ich nehme an, er wird dich noch sprechen wollen, wenn er wieder wach ist. Es arbeitet in ihm. Aber das dürfte dir eh schon klar sein.“

„Natürlich. Aber ich habe keine Probleme damit, es ihm in aller Ruhe zu erklären und ihn auch wieder aufzubauen. Es gibt überhaupt keinen Grund beunruhigt zu sein. Das kann jedem von euch im nächsten Match genauso ergehen. Ihr seid noch nicht voll austrainiert und müsst das auch noch nicht sein. Eure Reserven sind irgendwann aufgebraucht. Daher machen wir ja nach diesem Turnier auch eine Trainingswoche zur Regeneration.“

„Heißt das, es hat überhaupt nichts mit dem alten Problem bei Fynn zu tun?“

„Welches Problem meinst du? Seine Panikattacken und die folgenden Kreislaufprobleme?“

„Genau, das ist ja noch nicht so lange her.“

„Nein, ich denke nicht. Das war ein psychosomatischer Auslöser. Hier ist es schlicht und ergreifend Erschöpfung. Er wird sich schnell erholen, weil er so fit ist. Das hat ja auch der Turnierarzt festgestellt. Mach dir bitte nicht zu viele Gedanken. Ich würde jetzt gerne mit dir über das Spiel heute und dann auch über den morgigen Gegner sprechen.“

Dustin war einverstanden und wir hatten ein sehr schönes Gespräch. Dustin konnte mir gut vermitteln, wie es ihm auf dem Platz ergangen ist. Aber auch seine Sorgen, dass er dem Druck nicht gewachsen sei, kamen zur Sprache. Nachdem ich ihm erneut erklärt hatte, dass keiner von ihnen Druck hat, fühlte er sich wieder besser. Auch sein nächster Gegner würde ihm von der Spielanlage gut liegen. Dass dieser allerdings in der Rangliste gute zweihundert Plätze vor ihm stand, war uns bewusst. Dustin stellte sich dieser Situation sehr offen. Mir hatte das Gespräch gut gefallen. Es hatte eine weitere Entwicklung bei ihm stattgefunden. Viel weniger Skepsis und Angst vor dem Gegner.

Im Anschluss holte ich mir Justin ins Zimmer und hatte Dustin gebeten, dass er Fynn bald wecken sollte. Damit er für die Nacht nicht zu munter sein würde. Außerdem wollten wir ja auch mit Marc und Sabine noch weg.

Justin war für mich das größte Rätsel. Diese Art seines Auftretens auf dem Platz begeisterte und ängstigte mich gleichermaßen. Die Situation auf dem Platz, als ich ihn mit dem Pfiff wecken musste und im direkten Anschluss sein Lachen und das sofortige Umsetzen im Spiel, waren faszinierend.

Unser Gespräch entwickelte sich erneut positiv. Von Mal zu Mal öffnete er sich mehr und machte aus seiner Seele kein Geheimnis mehr. An dieser Stelle wurde auch die größere Vertrautheit zu Dustin und Fynn deutlich. Der Umzug in die WG zeigte bereits Wirkung.

„Hast du noch etwas zu besprechen oder können wir Dustin und Fynn hinzunehmen. Ich möchte mit euch das Abendprogramm besprechen.“

„Ja, eine Sache habe ich noch. Die nette Journalistin hat mich heute noch einmal angesprochen und mich um ein Interview gebeten. Ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll. Eigentlich fand ich sie ganz nett und die Fragen waren auch okay.“

„Worüber möchte sie denn mit dir ein Interview machen?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Hm, merkwürdig. Sag ihr doch bitte, dass ich für Interviewanfragen ihr Ansprechpartner bin. Wenn sie mit dir nur einen Kaffee trinken möchte, kann sie das auch direkt sagen.“

„Sehr witzig. Aber ich werde es ihr sagen.“

Justin wurde tatsächlich nach meiner Anspielung etwas rot im Gesicht. Ich hatte von Beginn an das Gefühl, dass sie Justin besonders sympathisch fand.

„Stopp mal, Justin. Warum bist du gleich so angepisst? Das war ein Spaß, aber wenn du dich mit ihr einfach so treffen möchtest, dann tu das. Du solltest nur daran denken, dass du keine Dinge preisgibst, die dich nicht betreffen oder du dir nicht sicher bist.“

„Okay, also du hättest nichts dagegen, wenn ich mich mit ihr noch einmal treffen würde?“

„Nein, natürlich nicht. Aber denk bitte an das eben gesagte.“

Er nickte und ich schickte ihn zu Dustin und Fynn, um sie herüberzuholen.

Ein Klingeln meines Handys lenkte meine Aufmerksamkeit von den Jungs weg.

„Hi Jan, was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“

„Hi Chris, ich habe von Thorsten die Infos bekommen. Läuft ja prima. Und das Treffen mit Moya war ja auch klasse. Fahrt ihr nach dem Turnier nach Monacor?“

„Ich denke schon. Diese Gelegenheit müssen wir eigentlich wahrnehmen. Oder was denkst du?“

„Auf jeden Fall. Informierst du bitte Thorsten dann über eure geänderten Reisedaten. Er muss die Flüge umbuchen. Wie geht es Fynn? Hat er sich erholt?“

In diesem Moment betraten meine Jungs das Zimmer. Ich deutete ihnen, dass sie sich setzen sollten.

„Es geht ihm soweit gut. Klar, er ist enttäuscht, aber er hat sich nicht verletzt. Das ist das Wichtigste und jetzt werde ich ihn wieder aufbauen. Sie können noch nicht fertig austrainiert sein. Vielleicht wird das einer von den beiden anderen auch noch erleben. Ihr Körper ist am Limit und das zeigt sich jetzt auch sehr deutlich.“

„Ja, da hast du etwas ganz Wichtiges gesagt. Sie können körperlich noch nicht fertig austrainiert sein. Das wird auch noch zwei oder drei Jahre dauern. Gerade im Männertennis ist der körperliche Part viel stärker geworden. Warum gibt es denn so wenige Spieler unter zwanzig Jahren im Herrentennis. Früher zu Boris Zeiten war das noch möglich, aber heute ist alles viel athletischer geworden. Also beruhige die Jungs und macht weiter. Was steht eigentlich nach der Woche in Monacor an? Ihr müsst ja dieses Jahr noch zu den US Open. Die wild cards für die Qualifikation einlösen. Vielleicht wäre ein Vorbereitungsturnier auf Hartplatz noch sinnvoll.“

„Ja, stimmt. Das steht auch noch an. Gut, dass du mich daran erinnert hast. Hast du schon eine Idee welches Turnier sinnvoll wäre?“

„Ja, eine Idee habe ich, aber spielt erst einmal Barcelona und dann eine Woche Monacor. Wenn ihr zurück in Halle seid, sprechen wir über die Hartplatzsaison. Ok, dann euch noch viel Erfolg und bis in zwei Wochen.“

Die Jungs hatten das Gespräch verfolgt und an ihren Gesichtern konnte ich erkennen, dass etwas Unklarheit herrschte.

„Na, wie geht es dir Fynn? Hast du dich etwas erholt?“

„Ja, aber es fühlt sich frustrierend an. Ich habe gut trainiert und auch gut gespielt. Dennoch spielt mein Körper nicht mit. Da frage ich mich einfach, wenn das immer wieder passiert, macht es ja eigentlich keinen Sinn da weiter zu machen.“

„Ja, das Gefühl kann ich nachvollziehen. Aber es wird nicht ständig passieren. Dein Körper ist noch nicht stark genug. Und die Betonung liegt auf „noch nicht“. Warum ist denn kaum ein Spieler unter zwanzig Jahre alt? Weil die körperlichen Anforderungen im Herrentennis erheblich höher liegen als noch vor zehn Jahren. Gebt euch selbst auch genug Zeit zur Entwicklung. Wir geben sie euch doch auch.“

Fynn nickte zwar, aber mir war klar, dass ich hier noch mehr Gespräche führen musste. Aber wenn er sich einfach in sein Schicksal ergeben würde, hätte ich mir viel mehr Sorgen machen müssen.

„Warum sollten wir eigentlich alle gemeinsam rüberkommen? Dustin sagte, du möchtest mit uns das Abendprogramm besprechen. Und warum hat Jan angerufen? Das war doch Jan am Telefon, oder nicht?“

Fynn fing wieder an, sich mit der jetzigen Lage zu beschäftigen. Das war ein gutes Zeichen.

„Ganz einfach. Ich möchte euch fragen, ob ihr heute Abend mit in die Stadt kommt. Marc hat uns eingeladen über die Ramblas oder in den Güell Park zu gehen. Da können wir viele tolle Sachen anschauen und den Abend genießen. Kein Stress und kein Tennis mehr.“

„Cool, sehr gerne. Also können wir morgen etwas länger schlafen? Wir spielen erst am Nachmittag.“

Justin war sofort Feuer und Flamme. Dustin schien auch mitkommen zu wollen, während Fynn zögerte, sich aber dann entschied doch nicht im Hotel zu bleiben.

„Aber können wir noch etwas essen? Ich habe Hunger.“, fragte Fynn.

„Ja, natürlich werden wir gemeinsam zu Abend essen. Aber nicht hier, sondern bei Marc und Sabine im Hotel. Von dort geht es dann zu Fuß in die Stadt.“

„Uii, also sollten wir uns entsprechend anziehen. Bei Marc muss man davon ausgehen, dass wir dort nicht in einem Fastfood Restaurant essen werden.“

Justin hatte das so trocken gesagt und ohne eine Geste, dass ich sofort laut lachen musste. Auch Dustin und Fynn fanden das komisch und schüttelten lachend ihren Kopf.

Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, meinte Dustin:

„Beschwer dich noch einmal über unseren Humor. So langsam verstehst du, wie das mit den Witzen geht. Aber es hat ja auch etwas Wahres. Also lasst uns die Teamkleidung für offizielle Termine anziehen. Das macht einen guten Eindruck.“

Dem konnte ich nichts hinzufügen, nur musste ich Marc noch schreiben, dass wir komplett zum Essen erscheinen würden. Er sollte entsprechend den Tisch bestellen.

Eine Stunde später wartete ich mit Dustin und Fynn in der Hotellobby auf Justin.

„Wie kommen wir denn dorthin? Hast du uns ein Taxi bestellt?“, fragte Fynn und gab seinem Freund einen zärtlichen Kuss.

„Also so wie ihr gestylt seid, wäre ein einfaches Taxi wohl unangemessen. Irgendwie hat Marc wieder den Schalk im Nacken. Er hat uns einen Fahrdienst organisiert und wenn das derselbe ist, mit dem ich hierher gefahren wurde, dann werden wir mit Stil dort vorfahren.“

„Das heißt was? Das verstehe ich gerade nicht.“

In diesem Augenblick kam auch Justin hinzu und er sah ebenfalls blendend aus.

„Wartet es ab, bis wir gehen können.“

Wir standen in der Lobby und Justin meinte:

„Sorry, dass es bei mir etwas länger gedauert hat, aber Papa hatte mich angerufen und lässt euch auch schön grüßen. Er ist beeindruckt und wünscht uns viel Erfolg.“

„Danke, das ist schön, dass sich dein Vater meldet. Grüße ihn bitte zurück. Ich hoffe, er macht dir keinen weiteren Druck mehr.“

„Es fällt ihm schwer, sich herauszuhalten, aber ich glaube, Jan hat ihm das ganz eindeutig klar gemacht. Und ich finde das total klasse, dass ich mich nur noch auf dich konzentrieren muss.“

„Danke, das freut mich sehr. Dann lasst uns mal hinausgehen. Unser Taxi ist da.“

Die Jungs gingen vorweg und als wir vor der Tür standen, hatte Marc uns natürlich wieder den Rolls geschickt. Dustin schaute sich um und sah natürlich kein Taxi. Auch Fynn sagte irritiert:

„Hier ist kein Taxi. Du hast dich geirrt, Chris.“

„Doch, es steht direkt vor dir. Du musst nur noch einsteigen.“

Dabei zeigte ich auf den eleganten Rolls Royce und ging nach vorne, um die Tür zu öffnen.

„Boah, wie cool ist das denn? Marc ist aber wirklich ein wenig Autoverrückt, oder?“

„Ein wenig? Eher ein wenig mehr.“, lachte Justin.

„Du warst ja noch nicht bei ihm zu Hause. Da hat er die geilsten Teile stehen, die man sich vorstellen kann.“

Dustin und Fynn hatten schnell ihre Hemmungen aufgegeben und es sich in diesem Luxusauto bequem gemacht.

Ich musste sogar einen Augenblick überlegen, aber es stimmte tatsächlich. Justin war noch nicht bei den Steevens zu Hause. Er war damals nicht mit, als wir Lucs achtzehnten Geburtstag gefeiert haben.

„Sag mal Chris, stimmt das wirklich, dass du schon von Marc den Ferrari La Ferrari Aperta gefahren bist?“

„Ja, das stimmt. Es war ein besonderes Erlebnis. Beim nächsten Besuch in der Schweiz nehmen wir dich ganz sicher auch mit. Dann wirst du dir seine Kunstwerke auch anschauen können.“

„Spielen wir denn auch wieder ein Turnier in der Schweiz?“, fragte Justin.

„Hm, ich glaube, wenn ich das Genfer Turnier nicht wieder einplane, dann bekomme ich Ärger mit den beiden da.“

„Aber ganz sicher. Das Turnier muss Pflicht sein.“

Dabei schaute ich in zwei grinsende Gesichter.

„Siehst du, und ich möchte keinen Ärger haben. Aber Spaß beiseite, das Turnier muss Pflicht sein. Marc ist unser Sponsor und Freund. Da sollten wir schon dort spielen und vielleicht gewinnt es ja auch mal einer von uns.“

Die Fahrt glich eher einem Schweben über die Straßen. Auch war von den Geräuschen draußen kaum etwas zu hören. Man konnte im Innenraum ganz leise sprechen.

Als wir vor dem Hotelportal hielten und ausstiegen, staunten die Jungs über das tolle Hotel.

Ich ließ Dustin und Fynn vorangehen.

Der Doorman öffnete uns den Eingang und ich konnte sofort spüren, dass die beiden nicht mehr so entspannt waren. Vor allem, als sie von einer netten Hotelmitarbeiterin angesprochen wurden. Aber sie regelten das recht souverän und so wurden wir direkt in das Restaurant geführt. Allerdings war das dann ein richtiges Schaulaufen für die Jungs. Und was mir besonders gut gefiel, Dustin hatte sich bei Fynn eingehakt und sie gingen ganz selbstbewusst auf Marc und Sabines Tisch zu.

Sabine lachte herzlich, als wir auf sie zukamen.

„Hallo zusammen. Das ist ja ein Bild. Man könnte meinen, Dustin und Fynn führen ihre Mannschaft aus. Setzt euch bitte.“

„Wow, ihr schaut alle richtig schick aus. Da kommen bestimmt noch ein paar sehr schöne Bilder bei raus. Aber jetzt habt ihr euch erst einmal etwas zu essen verdient.“

Marc war sogar aufgestanden und hatte die Jungs mit einer Umarmung begrüßt. Dann nahmen wir alle an ihrem Tisch Platz und sofort kam jemand und nahm die Getränkewünsche auf. Gleichzeitig bekamen wir die Speisekarten.

Allein die Speisekarte war optisch ein Hochgenuss. In Leder gefasst und mit einem goldenen Hotelwappen versehen.

Ich hatte mich für ein schönes Filet mit verschiedenen Beilagen und Salat entschieden. Dustin und Fynn hatten sich für ein Menü für zwei Personen entschieden und Justin wählte für sich ein Fischgericht.

„Hast du die Enttäuschung mittlerweile etwas verarbeitet, Fynn?“, fragte Marc.

„Es geht. Irgendwie ärgere ich mich nicht mehr, aber enttäuscht bin ich schon noch. Ich glaube sogar, dass ich eine realistische Chance hatte zu gewinnen.“

„Das darfst du auch ruhig sein. Aber nicht zu lange. Du musst den Blick auf die nächsten Aufgaben richten. Dass du so einen Gegner schlagen kannst, steht außer Zweifel. Du hast ein gutes Match gezeigt. Ich vermute mal, dass dir Chris das bereits bestätigt hat. Also Kopf hoch und sieh es doch mal positiv. Jetzt kannst du deinen Freund mit voller Energie unterstützen und dabei Chris noch helfen.“

Marc verstand es gut, Fynn einerseits Trost zu spenden, aber dennoch gleich nach vorn zu schauen. Das gefiel mir und so sollte Fynn selbst bestimmen, wie lange er sich mit diesem Thema noch beschäftigen wollte.

Mit der folgenden Frage zeigte er allerdings direkt, dass ihn ab jetzt auch etwas ganz anderes interessierte.

„Was machen Luc und Stef zur Zeit? Sind sie in München oder in der Schweiz?“

Sabine lachte, als sie antwortete:

„Damit ist klar, Fynn möchte sich nicht mehr mit dem Spiel beschäftigen. Finde ich gut. Und ja, die beiden sind bei Karl in München. Luc arbeitet gerade an einem neuen Projekt für Karl.“

„Darfst du uns verraten, an was er arbeitet? Wird es wieder ein neues Design werden oder tüfteln sie an etwas anderem?“

Justin interessierte sich für die amerikanischen Autos und war auch etwas neidisch auf Luc. Sabine schaute Marc an, aber ich konnte erkennen, dass es keine weiteren Informationen geben würde. Dieses Projekt war noch geheim.

„Ja“, erwiderte Marc, „dieses Projekt ist tatsächlich noch geheim und daher darf ich nichts dazu sagen. Aber ich weiß selber nicht viel darüber. Ich möchte Luc auch nicht danach fragen. Karl hat ihn darum gebeten, nichts zu sagen und dann soll er sich auch daran halten. Wir sind sicher die ersten, die es erfahren sobald es etwas zu vermelden gibt.“

„Das stelle ich mir total schwer vor, dass Luc nicht mal dir etwas sagen darf.“

„Stimmt, Dustin. Genau deshalb frage ich ihn auch nicht. Damit es nicht noch schwieriger für ihn wird. Karl wird seine Gründe haben und ich vertraue ihm.“

Es war angenehm nicht über Tennis zu sprechen und damit den Kopf etwas zu entspannen.

Während des Essens wurde nicht viel gesprochen. Es war einfach zu lecker, um es mit Problemen zu überdecken. Der Genuss sollte im Vordergrund stehen.

„Möchte noch jemand ein Dessert?“, fragte Sabine in die Runde.

Dustin und Justin schauten mich fragend an. Eine schwierige Entscheidung, denn eigentlich sollte der Abend ja eine reine Belohnung sein. Ohne an Tennis denken zu müssen, aber zu viel Zucker und Kalorien während des Turnieres waren nicht förderlich.

„Das entscheidet ihr bitte selber. Ihr kennt die Zusammenhänge, aber ich will auch kein Spielverderber sein.“

Besonders interessant war Fynns Reaktion. Er flüsterte Dustin etwas ins Ohr und dann war es klar. Sie verzichteten alle drei auf das abschließende Eis als Dessert.

Ich bestellte mir auch nur einen Othello und kein Eis. Es war für mich eine Solidaritätsentscheidung. Aber einen Cappuccino wollten sie auch nehmen. Wenige Minuten später sprach ich mit Marc und Sabine über meine Situation und dass ich aufpassen sollte, mir genügend Erholung zu nehmen, als mir noch eine Sache einfiel.

„Ich möchte die Situation jetzt nutzen, euch beiden einmal für die tolle Unterstützung zu danken. Sabine, für dich war es vorhin eine Selbstverständlichkeit die Jungs ins Hotel zu begleiten. Dafür gebührt dir mein Dank. Und dass ihr euch um uns kümmert, obwohl ihr ja eigentlich zum Urlaub hier seid, ist wirklich toll. Es gibt mir ein gutes Gefühl von euch unterstützt zu werden.“

„Sehr gerne, Chris. Es ist uns eine Herzensangelegenheit. Außerdem dürften wir richtigen Ärger bekommen, wenn Dustin und Fynn an unsere Jungs schreiben, dass ihre Eltern sich nicht ausreichend kümmern.“

Danach mussten wir alle lachen. Sabine hatte das so gut rübergebracht, dass es mir schwer fiel, mich wieder zu beruhigen.

„So, jetzt sind wir gestärkt und nun geht es aber noch ein wenig in die Stadt. Lust auf den Güell Park?“

„Klar, auf los geht´s los.“

Justin war derjenige, der schon ungeduldig wurde, während Dustin seinem Freund noch einen Kuss gab.

Der Park war eine Augenweide. Auch im Dunkeln war alles hell erleuchtet und die Mosaikbilder leuchteten und blinkten durch die Lichtreflexionen. Überall standen Tafeln mit Erklärungen in drei Sprachen.

Dustin und Fynn standen immer wieder vor einzelnen Objekten und lasen die Informationen über die Künstler oder die Objekte selbst. Als wir vor dem Haus des Erbauers dieses Parks standen, nahm ich mir die Zeit, die Tafel genau zu lesen.

Park Güell, die Geschichte eines besonderen Stadtparks

Im Jahr 1900 beauftragte ein Mitglied einer reichen und adeligen Familie aus Barcelona Antoni Gaudí mit dem Bau eines luxuriösen Wohnparks auf einem Stück Brachland im nordöstlichen Teil Barcelonas. Der Auftrag war einfach, nur ein Sechstel der Grünfläche auf dem Hügel durfte mit 60 Wohnungen bebaut werden. Antoni Gaudí begrüßte diesen Auftrag, da er es ihm ermöglichte, seine Ideen über eine von der Natur inspirierten Architektur zu verwirklichen. Dies führte unter anderem zu aus Stein wachsenden Pergolen, harmonisch in die Landschaft integrierten Gehwegen sowie den weltberühmten, wellenförmigen und farbenfrohen Mosaiken. Mit seinem Design wollte Gaudí als Architekt die Allgegenwärtigkeit von Gott im Park Güell. Gaudí wollte den typischen britischen Stil von Wohnvierteln neu erschaffen, was auch den englischen Namen 'Park' im Namen Park Güell erklärt.

Markante Elemente des Park Güell umfassen die Eingänge mit Pförtnerhaus und Pförtnerwohnung, den Zaun, die Kolonnade, die doppelte Treppe mit Salamander (auch Drachen genannt) und die riesige, wellenförmige Bank mit Mosaiken. Die Bank als auch der Salamander bestehen aus unvorstellbar vielen Mosaikteilchen. Ursprünglich war der Parque Güell als Wohnviertel gedacht. Doch es kam etwas anders: Es wurden nur zwei Häuser verkauft und gebaut. Der Park Güell wurde in einer Periode von 14 Jahren realisiert und seit 1984 steht der Stadtpark auf der Welterbeliste der UNESCO. Der Stadtpark wurde nach dem Tod von Eusebi Güell 1922 dem Gemeinderat der Stadt Barcelona geschenkt.

Eine besondere Sehenswürdigkeit im Parque Güell ist das Casa Museu Gaudí; das Haus in dem Antoni Gaudí seine letzten 20 Jahre verbrachte. Er hat nicht nur das Haus entworfen, sondern gewährt Besuchern mithilfe des Museums einen Einblick in sein Leben und seine Arbeitsweise. (Informationen aus einer offiziellen Broschüre der Stadt Barcelona)

„Wir sollten uns die Zeit nehmen und in dieses Museum hineingehen. Habt ihr Lust?“, fragte ich in die Runde.

„Der Typ muss ja schon etwas durchgeknallt gewesen sein. Die Architektur wäre auch heute noch als futuristisch anzusehen. Also ich würde gern mehr darüber erfahren.“

Auch Dustin und Fynn waren neugierig und somit war der Abend damit abgedeckt, denn in diesem Haus gab es unglaublich viel zu sehen und zu entdecken.

Interessant waren allerdings nicht nur die Exponate, sondern auch eine Situation im Garten des Museums.

Dustin und Fynn saßen eng nebeneinander auf einer dieser Mosaikbänke aus Stein, als sie von zwei jungen Männern angesprochen wurden. Marc hatte es als erster bemerkt und mich darauf aufmerksam gemacht. Justin wollte sofort zur Unterstützung eilen, aber ich hielt ihn zurück.

„Warte bitte, ich glaube, dieses Gespräch ist keine Gefahr. Wir sollten uns im Hintergrund halten und beobachten.“

„Was ist aber, wenn sie Dustin und Fynn wieder anmachen wollen?“

Justin war sehr aufgeregt und unruhig. Marc machte ihm aber deutlich, dass nicht jeder Mensch automatisch als eine Bedrohung anzusehen sei.

Ich hatte auch ein anderes Gefühl. Für mich sah das mehr als ein „Insider“-Gespräch aus. Schnell entstand eine lockere Atmosphäre und die beiden fremden Jungs setzten sich zu Dustin und Fynn auf die Bank. Eine intensive Unterhaltung entwickelte sich und plötzlich meinte Justin:

„Chris, ich glaube, ich habe einen der beiden Fremden erkannt. Das könnte ein spanischer Spieler aus dem Turnier sein. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber das könnte sein.“

„Siehst du, umso wichtiger ist es jetzt, die vier ein wenig allein zu lassen. Ich denke nämlich, dass die anderen beiden Jungs auch ein Paar sein könnten. Carlos Moya hatte uns etwas angedeutet.“

Marc, Sabine, Justin und ich entschieden daher, allein weiter zu gehen. Fynn schickte ich eine Nachricht auf ihr Handy, damit sie sich keine Sorgen machen mussten. Sie sollten sich Zeit nehmen und wir würden uns dann am Eingang im Bistro wieder treffen.

Allerding war ich sehr gespannt auf den Bericht von den beiden.

Fynn: Ein sehr überraschendes Treffen im Park

Dustin und ich saßen gerade in diesem unglaublich tollen Park auf einer dieser Mosaikbänke und genossen die herrliche Abendluft, als uns zwei Jungs auf Englisch ansprachen und fragten ob wir das schwule Paar aus Deutschland seien.

Im ersten Moment bekam ich einen Schrecken. Was wollten die von uns? Dustin suchte mit dem Blick schon nach Chris und Marc. Aber die beiden beruhigten uns sofort, als sie uns zu verstehen gaben, dass sie uns für den Mut bewunderten, offen als Paar auf der Tour zu spielen.

Sergio, einer der beiden, kam mir auf irgendeine Weise bekannt vor, während sein Begleiter mir gar nichts sagte. Marcelo, der andere Junge, erklärte uns dann, dass Sergio ebenfalls als Spieler an dem Turnier teilnahm. Daher also kam mir das Gesicht bekannt vor.

Nachdem sie uns um Erlaubnis fragten, sich zu uns zu setzen, erhielt ich von Chris eine Nachricht auf mein Handy. Sie hatten uns genau beobachtet und wollten uns Zeit geben. Wir sollten später einfach in das Bistro am Eingang kommen. Dort würden wir uns treffen.

„Du bist Spieler im spanischen Nachwuchskader?“, fragte ich Sergio.

„Nein, ich spiele in der Nadal Base auf Monacor. Der spanische Verband hat mich nicht mehr gefördert, als das Gerücht aufkam, ich wäre schwul. Meine Eltern haben dann mit Carlos Moya von der Base Kontakt aufgenommen.“

„Das mit der Verbandsförderung kommt uns irgendwie sehr bekannt vor. Umso wichtiger war es gerade für unsere Leute in Halle, dem Verband zu zeigen, wie dumm sie sind. Für uns war es wie ein Lottogewinn, dass wir in Halle aufgenommen wurden. Sonst wäre für uns das Thema Tennis schon lange erledigt.“

„Ja, bei mir sieht das auch nicht so toll aus. Ich kann mich nicht offen outen. Dann würden sich vermutlich die Sponsoren zurückziehen. Ohne diese finanzielle Unterstützung ist es aber nicht möglich, sich nach oben zu spielen. Von daher müssen Marcelo und ich immer sehr vorsichtig sein.“

„Weiß denn Carlos Moya über dich Bescheid? Oder ist das auch in der Base noch ein Geheimnis?“

Sergio schaute Dustin an und zögerte einen Moment, aber Marcelo gab die Antwort.

„Carlos ist der einzige, der wirklich weiß, dass ich Sergios Freund und Partner bin. Und nicht nur sein bester Kumpel. Unsere Eltern wissen es auch, haben uns aber abgeraten, jetzt schon offen damit umzugehen. Es hängt einfach extrem viel davon für uns ab.“

Mir gingen einige Gedanken durch den Kopf, denn Chris hatte sich ja auch mit Carlos Moya getroffen. Was der Grund war, wussten wir gar nicht. Aber vielleicht hatte Carlos ja auch deswegen den Kontakt zu Chris aufgenommen. Allerdings sollte ich das jetzt nicht erwähnen, ohne vorher mit Chris gesprochen zu haben.

„Wir können das gut nachvollziehen. Ohne diese totale Unterstützung in Halle, auch gegen das etablierte System zu arbeiten, wäre es für uns nicht möglich gewesen. Aber ich muss auch sagen, dass es von Vorteil war, dass die Gespräche mit den Sponsoren über das Team gelaufen sind. Wir brauchten uns darum überhaupt nicht zu kümmern. Wir haben einfach nur Tennis zu spielen brauchen.“

„Naja, Schatz, ohne die guten Ergebnisse wäre es auch nicht gegangen.“

„Mann, Dustin. Das ist ja Voraussetzung für alle Spieler, dass man gute Ergebnisse bringen und hart arbeiten muss. Das müssen die Heteros schließlich auch.“

Ich hatte das bewusst etwas flapsig gesagt. Chris machte es in schwierigen Gesprächen auch so, hin und wieder einen lockeren Spruch zu bringen.

Auch jetzt verfehlte das nicht mein Ziel, denn die beiden Spanier mussten lachen. Sergio stellte uns dann aber eine wichtige Frage und brachte mich damit in echte Schwierigkeiten.

„Denkt ihr denn, ich sollte Marcelo offen als meinen Freund zeigen und aufhören mich zu verstecken?“

„Weißt du, das kann ich nicht beantworten. Dafür kenne ich eure Situation zu wenig. Aber vielleicht findest du ja ein Gefühl für die Situation bei euch im Team. Teste es doch einfach mal bei euch in Monacor. Dort hast du ja mit Carlos Moya einen Verbündeten, der dich mit Sicherheit unterstützt, solange du die gleiche Leistung zeigst wie die anderen. Ich möchte nicht von unserer Situation auf eure schließen. Ich genieße es mittlerweile mit Dustin, überall offen auftreten zu können und werde mich ganz sicher nicht mehr verstecken. Aber diese Entscheidung musst du ganz allein für dich treffen. Wenn wir mal wieder auf demselben Turnier spielen, kannst du uns natürlich immer um Rat fragen. Wir werden deine Offenheit jedenfalls vertraulich behandeln, können aber auch sagen, dass unser Coach für euch ebenso immer ansprechbar wäre.“

„Cool, das ist schon viel mehr als wir erwarten durften. Kennt ihr die Base in Monacor eigentlich?“

„Nein“, antwortete Dustin, „aber Chris hat sich hier mit Carlos Moya getroffen, nachdem Marc dieses Gespräch vermittelt hatte. Also vielleicht dürfen wir ja mal bei euch trainieren.“

„Ey, das wäre echt mega cool. Wer weiß, vielleicht ergibt sich dann für mich ja eine Gelegenheit, etwas offener zu sein.“

„Du kannst ja deinen Coach fragen. Mehr als Nein sagen kann er auch nicht. Aber ich habe auch gar keinen Plan, was für uns nach diesem Turnier ansteht. Eigentlich sollten wir zurück nach Hause fliegen und dort eine Trainingsphase machen.“

Marcelo fiel noch etwas ein.

„Dieser Marc, von dem du eben gesprochen hast, ist das euer Manager? Oder was hat der für eine Funktion?“

„Hahaha, nein. Das wäre echt der Hammer. Marc als unseren Manager. Ich glaube, der dürfte als unser Manager dann mehr Aufmerksamkeit bekommen, als wir. Selbst wenn wir mal richtig gut sein sollten. Außerdem dürfte Sabine, das ist seine Frau, viel eher als Managerin arbeiten. Sie hat das richtig gut im Griff.“

„Äh, okay. Wer ist das denn, wenn er so viel Aufmerksamkeit hätte?“

„Das ist Marc Steevens. Ein guter Freund von uns. Wir sind sehr eng mit seinem jüngsten Sohn Luc und Partner Stef befreundet.“

„Der berühmte Rennfahrer? Echt jetzt? Wie krass ist das denn? Und ihr kennt euch persönlich sogar. Wie cool.“

„Jap, cool ist Marc wirklich. Das stimmt.“

Dustin lachte sich kaputt, als er die Reaktion von den beiden zu Marc erlebte.

„Das ist eine Legende. Viele würden euch dafür beneiden.“

„Für uns ist er mittlerweile einfach ein guter Freund geworden, der uns allerdings auch immer unterstützt hat.“

„Der wusste von Beginn an, dass ihr ein Paar seid?“

„Ja, genau. Und genau deshalb hat er uns unterstützt und tut es heute noch. Und ein kleiner Rat noch. Solltet ihr ihm hier begegnen, macht nicht den Fehler ihn als Superstar zu sehen. Das mag er nämlich gar nicht.“

„Ist er etwa hier in Barcelona?“, fragte Sergio.

„Ja, wir sind eigentlich mit ihm hier in den Park gegangen. Aber Chris hat uns geschrieben, dass wir uns Zeit für euch nehmen können. Ich vermute, dass er uns beobachtet hatte und es mal wieder ahnte, dass etwas Besonderes passiert.“

Wir sprachen noch einige Minuten über das Turnier und zum Ende hatte ich sie gefragt, ob sie nicht mit uns ins Bistro kommen wollten. Aber Sergio musste wieder ins Hotel zurück. Er hatte sein nächstes Spiel bereits um halb elf am nächsten Tag. Also verabschiedeten wir uns, aber nicht ohne uns für den nächsten Tag zu verabreden. Ich fand sie beide sehr nett. Sergio war auch erst siebzehn wie wir, Marcelo war schon neunzehn.

Chris hatte mich zwischendurch noch gefragt, ob alles in Ordnung sei. Das zeigte mir erneut, wie sehr sich Chris für uns verantwortlich fühlte. Ein tolles Gefühl, so einen Freund im Rücken zu haben. Ich schrieb ihm jetzt, dass wir ins Bistro gehen würden. Prompt kam die Antwort, dass sie noch etwa zwanzig Minuten brauchen würden.

Dustin und ich setzten uns an einen Tisch und wir bestellten uns eine Saftschorle. Mir ging das Gespräch von eben noch mächtig durch den Kopf.

„Kannst du dich noch an die Aussage von Chris erinnern, als er gesagt hatte, wenn wir eben das erste schwule Paar sind, dann gibt es für andere Spieler eine Chance sich zu outen. Vielleicht geschieht jetzt wirklich genau das. Schon krass, dass Chris das damals schon geahnt hatte.“

„Ich hoffe nur, er überlegt sich das ganz genau. Ich habe dieses Gefühl noch sehr präsent im Kopf, welches ihn gerade bewegt. Ich denke gerade darüber nach ob wir nicht doch mit Chris darüber reden sollten. Vielleicht können wir Sergio ja etwas Unterstützung geben.“

„Ich weiß nicht, ob mir das damals gefallen hätte, wenn ich zu jemandem Vertrauen gefunden habe und der es dann weitererzählt, auch wenn es in diesem Fall Chris wäre.“

„Stimmt, vielleicht sollten wir die beiden auf der Anlage noch einmal ansprechen.“

„Das werden wir machen. Dann können wir sie auch fragen, ob wir mit Chris darüber reden dürfen.“

Mein Freund gab mir daraufhin als Zustimmung einen Kuss und plötzlich hörte ich Chris:

„Kaum lässt man die beiden allein, schon flirten sie wie die Weltmeister und verwöhnen sich gegenseitig.“

„Ach Chris, du bringst sie in Verlegenheit. Schau mal, sie werden noch rot.“

Na toll, da passt man einmal nicht auf und schon machen sie sich über uns lustig. Aber mittlerweile störte es mich nicht mehr, denn ich wusste genau wie es gemeint war. Und Dustin setzte sogar noch einen drauf, indem er mir einen besonders schönen Kuss gab.

„Wie hat euch der Park gefallen? Ihr hattet nicht so viel Zeit, euch noch etwas anzuschauen. Die beiden Jungs hatten euch ja in Beschlag genommen.“

„Diese Mosaikbauten sind toll. Insbesondere der Salamander gefällt mir sehr gut. Aber auch der Park ist toll gemacht. Ich möchte nicht wissen, was diese Häuser hier kosten. Mitten in der Stadt in einer Villa im Park leben. Das hätte was. Aber das Gespräch mit Sergio und Marcelo war auch sehr gut und wichtig.“

Chris nickte nur, er fragte nicht nach. Marc und Sabine setzten sich auch zu uns und wir gönnten uns noch eine Runde kalter Getränke bevor wir wieder Richtung Hotel aufbrachen. Dieser Abend war einfach toll, kein Wort über Tennis und den nächsten Tag. Chris hatte sehr darauf geachtet, dass bereits alles vorher besprochen war.

Allerdings ging mir im Hotel dann doch noch dieses Gespräch mit den beiden Spaniern durch den Kopf. Dustin war Gott sei Dank schnell eingeschlafen, so konnte er ausgeruht in sein nächstes Spiel gehen.

Chris: Ist ein weiterer Sieg möglich?

Der Abend im Güell Park war für mich erholsam. Marc und Sabine hatten darauf geachtet, dass wir nicht über Tennis sprachen, sondern uns mit den schönen Dingen des Parks befassten.

Die Begegnung mit den beiden anderen Jungs hatte mich zwar neugierig gemacht, aber ich vertraute auf meine Jungs. Sie würden mit mir sprechen, sollten sie Fragen haben. Allerdings hatte ich mir vorgenommen, mich heute mal etwas mehr nach den beiden Jungs auf der Anlage umzusehen. Ich wollte wissen, ob mein Verdacht korrekt war.

Marc und Sabine wollten erst heute Abend wieder zu uns kommen. Den Tag würden sie für sich nutzen. Wie nicht anders zu erwarten, war ich der erste beim Frühstück. Aber ich hatte auch gar kein Problem damit, denn ich hatte ihnen ja erlaubt länger zu schlafen. Ich konnte nicht mehr schlafen, da sich mein Rücken bemerkbar gemacht hatte. Diese Nacht hatte ich meine Schwierigkeiten mit dem Hotelbett.

Der Vorteil hier in Barcelona war das milde Wetter. Schon am Morgen war es angenehm warm und ich konnte mich zum Frühstück auf die Gartenterrasse setzen. Sogar eine deutsche Zeitung konnte ich mir im Hotel nehmen. Aber interessanter war eine lokale Sportzeitung, die ich freundlicherweise von dem Personal mit dem Kaffee gereicht bekam.

Auf der Titelseite gab es ein großes Foto von uns mit Marc und Sabine auf der Tribüne. Justin saß neben mir und da wusste ich, dass dieses Bild während Fynns Match gemacht worden sein musste. Die Überschrift konnte ich nicht verstehen, da mein Spanisch zu schlecht war. Allerdings ging es um einen Spieler oder ein Team aus Deutschland. Soviel konnte ich dann doch herauslesen. Ich musste also warten bis Justin wach sein würde. Er konnte das bestimmt für uns übersetzen.

Während ich die deutsche Zeitung las, nahm ich mir Kaffee und frische Croissants vom Tisch. Es war noch recht still und somit legte ich bald die Zeitung an die Seite und genoss einfach die Situation. Noch einmal Kraft tanken, bevor der Tag wieder meine volle Aufmerksamkeit fordern würde.

„Guten Morgen, Chris. Du bist aber schon früh unterwegs.“

Ich öffnete die Augen und schaute in das Gesicht von Justin, der sich an meinen Tisch gestellt hatte.

„Guten Morgen, Justin. Setz dich doch. Sind etwa Fynn und Dustin auch schon wach?“

„Keine Ahnung, aber ich denke nicht. Gehört habe ich noch nichts bei ihnen. Ich konnte aber nicht mehr schlafen, weil ich doch etwas unruhig bin.“

„Okay, das ist nichts Ungewöhnliches. Du hast noch nicht genug Erfahrungen gesammelt. Deshalb lass uns in Ruhe das Frühstück genießen.“

Justin holte sich zwei Brötchen und eine Schale Müsli. Setzte sich wieder zu mir an den Tisch und stutzte, als er die Bilder in der spanischen Zeitung sah.

„Kannst du mir das vielleicht übersetzen, was dort geschrieben wurde? Meine Kenntnisse in Spanisch sind dafür nicht ausreichend. Aber da von uns Bilder gemacht wurden, gehe ich davon aus, dass über uns auch etwas geschrieben wurde.“

Justin nahm sich den Artikel und übersetzte ihn für mich. Ein sehr positiver Bericht über unser Auftreten als Team. Ebenfalls wurde erwähnt, dass wir von Marc Steevens unterstützt wurden und dass über Dustin und Fynn als Paar berichtet wurde. Es sei noch sehr ungewöhnlich, dass ein professionelles Tennis-Team ein schwules Paar offiziell unterstützt. Es wäre jetzt aber auch an der Zeit, dass die Haltung der Funktionäre sich verändern müsste. Homosexualität hätte keinen Einfluss auf die spielerischen Qualitäten. Das müsste auch in der Förderung endlich berücksichtigt werden. Nur ein glücklicher Spieler könnte auch seine maximale Leistung abrufen.

„Weißt du auch noch, wer diesen Artikel geschrieben hat? Derjenige hat Vieles begriffen und nennt die Dinge beim Namen. Das gefällt mir gut.“

Justin fing an zu lachen.

„Ja, es steht hier unter dem Artikel. Das ist die nette Journalistin, die auch das Interview mit uns gemacht hat. Sie scheint hier eine recht bekannte Lokaljournalistin zu sein.“

„Sehr schön, und wie ist die Lage bei dir? Bist du fit für dein zweites Match im Hauptfeld?“

„Eigentlich schon, aber wie gesagt, es grummelt im Bauch. Sonst bin ich nicht so angespannt und aufgeregt. Allerdings möchte ich dieses Match genießen und gut spielen. Wenn es nicht reicht für einen Sieg, habe ich aber alles dafür getan. Mehr kann ich nicht machen.“

„Das ist eine sehr gute Einstellung. Wenn du das auf den Platz bringen kannst, dann wird es dir viel Freude bereiten, heute ein weiteres Spiel auf der Challenger-Tour zu spielen.“

„Danke, aber es hat auch viel mit dir und deinem Auftreten zu tun. Du kennst mich schon gut und weißt genau, wie du mich bremsen oder motivieren kannst. Das fühlt sich gut an.“

„Naja, dich motivieren ist eigentlich nicht notwendig. Eher dich mal bremsen und den Blick öffnen ist angesagt. Oder vielleicht mal eine Erinnerungshilfe zu geben, aber alles andere ist klasse.“

Justin lächelte nach meinen Worten. Der Junge war einfach toll und sein Wesen strahlte auf sein Umfeld. Ich hatte ihn bislang erst einmal richtig verunsichert erlebt und das war, als sein Vater versuchte, Einfluss auf sein Spiel zu nehmen.

„Willst du Dustin und Fynn eigentlich nicht wecken? Nicht, dass sie nachher nicht richtig wach sind.“

„Nein, ich lasse sie noch schlafen. Sie sollen einfach auch mal Zeit für sich haben. Ich habe so das Gefühl, dass ihre Beziehung momentan etwas zu kurz kommt. Sie denken nur noch an Tennis und was dazugehört. Das Menschliche geht etwas verloren. Da möchte ich die Gelegenheit nutzen, dass sie ein wenig Spaß miteinander haben können.“

Wieder spürte ich eine gewisse Verlegenheit bei Justin. Er war sonst immer offen und fröhlich, aber bei den Themen Gefühl oder Beziehung wurde er sehr unsicher.

„Kann ich dich etwas fragen. Ich habe mal in Büchern über die Tennislegenden der siebziger Jahre etwas zu dem Thema Beziehungen gelesen.“

„Wirklich zum Thema Beziehungen oder eher zum Thema Sex vor dem Match?“

Es war einfach zu niedlich. Justin war es anscheinend nicht gewohnt, über dieses Thema so offen zu sprechen.

„Naja, dort wurde gesagt, dass Sex vor dem Sport der Leistung schaden würde.“

„Echt, das stand in diesem Buch? Und wie denkst du darüber? Ich halte das für einen Mythos und ziemlichen Blödsinn. Jedenfalls, solange es keine Orgien bis tief in die Nacht werden. Und außerdem kann es auch entspannen. Also das sehe ich entspannt und sollte jeder für sich entscheiden. Wer es nicht mag, soll es lassen und wer es mag soll es tun.“

Was ich überhaupt nicht verstand, Justin hatte mächtig Probleme, über dieses Thema zu sprechen, dennoch hatte er es angesprochen. Warum brachte er sich so in Bedrängnis? Gut, er war mit mir allein und konnte sich sicher sein, dass es unter uns bleiben würde, aber komisch empfand ich das allemal.

Ich vertiefte das Thema nicht weiter, denn sollte er noch weiteren Bedarf haben, würde er sicher eine andere Gelegenheit dafür nutzen. Jetzt stand uns ein neuer Turniertag bevor und daher wollte ich den Fokus wieder auf Tennis lenken.

„Du hast aber die Strategie für dein Match noch im Kopf? Oder ist da gerade zu viel Verwirrung drin?“

Während des letzten Satzes musste ich bereits lachen und Justin verstand mich auch sofort. Er lachte ebenfalls und erwiderte:

„Na klar, das vergesse ich nicht. Ich will schließlich gewinnen und danach mal richtig Party machen. Also wenn das Turnier vorbei ist. Nicht, dass du jetzt auf falsche Gedanken kommst. Hahaha.“

„Lädst du dann die nette Journalistin zur Party ein?“

Diese kleine Spitze konnte ich mir nicht verkneifen.

„Wenn du mir das erlaubst, würde ich sie einladen. Aber um dich zu beruhigen, sie ist erstens schon vergeben und zweitens zu alt für mich. Nett finde ich sie trotzdem.“

„Na, das ist sie wirklich. Ich glaube, wir sollten als Ziel haben, größere Turniere zu spielen, damit dort die Damen auch spielen. Das ist es doch, was dich beschäftigt. Dustin und Fynn haben ständig ihren Partner dabei.“

„Schon, ein wenig. Manchmal bin ich etwas neidisch. Aber ich bin noch jung und möchte Erfolg haben. Wenn dann dabei noch eine passende Freundin auftaucht, würde ich nicht nein sagen.“

„Okay, das unterstütze ich sofort. Ich kann dich verstehen. Aber schauen wir mal, was so passiert. In der Base spielen ja auch ein paar sehr gute und nette Mädchen. Hast du da schon mal Kontakt gesucht?“

„Nein, das habe ich mich noch nicht getraut. Aber da gibt es wirklich nette Mädchen, doch ich bin ja oft unterwegs und ob das dann gut funktioniert? Ich bin mir nicht sicher.“

„Wenn du es nicht ausprobierst, kannst du es nicht wissen.“

In diesem Moment kamen Dustin und Fynn an unseren Tisch. Justin schien unsicher zu sein, ob er auf meinen Satz noch etwas erwidern sollte. Ich hielt das für ungünstig und begrüßte daher direkt Fynn und Dustin.

Sie waren bester Laune und sogar Fynn hatte sein Lächeln zurückgefunden.

„Boah, Justin. Wie kannst du schon so früh auf sein? Da können wir mal ausschlafen und du bist schon putzmunter.“

„Komm, Fynn. Du hättest doch auch ausschlafen können. Justin war ein wenig aufgeregt und daher hat er mir Gesellschaft geleistet. Außerdem hat er mir diesen Artikel über uns übersetzt.“

Ich zeigte auf die kleine Zeitung auf dem Tisch. Unser Foto lag oben und Dustin nahm es gleich zur Hand.

Fynn scherzte:

„Hey, schau nicht so genau hin. Wir sind doch gar nicht auf dem Bild.“

„Nein, das nicht, aber Justin und Chris sehen klasse auf dem Bild aus. Man kann erkennen, wie angespannt sie deinem Spiel folgen.“

Jetzt war das natürlich ein Steilpass für Fynn seinen Freund zu kitzeln. Entsprechend laut wurde Dustin. Sie waren beide sehr kitzelig.

Gott sei Dank beruhigten sie sich schnell wieder und holten sich ein üppiges Frühstück. Dustin achtete sehr genau auf die richtige Ernährung. Viel Müsli und Saft.

Bald saßen wir zu viert draußen und genossen die milde Luft. Dustin hatte sich sogar im Internet über seinen nächsten Gegner informiert und sprach mit mir über die Strategie. Justin hörte sehr genau zu, obwohl es nicht um sein Spiel ging. Nur Fynn hatte sich in den Schatten gesetzt und schrieb mit irgendwem Textnachrichten.

Plötzlich rief er zu mir:

„Schöne Grüße von meiner Familie.“

„Cool, danke. Herzliche Grüße retour.“

Anschließend schickte ich Justin und Dustin zum Anschwitzen. So langsam musste ich den Fokus auf die anstehenden Spiele richten.

Verwundert schaute ich zu Fynn, der einfach auf seinem Stuhl sitzen blieb, als sein Freund mit Justin den Garten verließ. Das hatte ich nicht erwartet. Sonst war Fynn ständig an Dustins Seite.

Fynn stand von seinem Stuhl auf und setzte sich zu mir an den Tisch.

„Dustin war heute Nacht sehr ruhig und entspannt. Ich wäre total angespannt. Ich habe Sorge, dass er das Spiel nicht mehr richtig ernst nimmt, weil er ja schon viel mehr erreicht hat, als zu erwarten war.“

„Nein, ganz sicher täuscht das. Aber dass er ruhig und entspannt ist, wäre ein sehr gutes Zeichen. Denn das würde ihm viele neue Möglichkeiten auf dem Platz eröffnen. Aber ich wage das zu bezweifeln, dass er ruhig und entspannt ist.“

„Dann kann er es gut verstecken. Aber ich werde es wohl abwarten müssen.“

„Ja, das werden wir müssen. Aber was ist mir dir? Was machen die Beine? Wie geht es dir heute?“

„Ganz ehrlich, nicht besonders gut. Mir tun die Knochen weh und gerade die Oberschenkel schmerzen noch. Ich fühle mich müde und das obwohl wir hart trainiert haben.“

„Das finde ich vollkommen normal, dass du dich heute nicht besonders gut fühlst. Körperlich wundert mich das überhaupt nicht. Was macht dein Kopf? Bist du immer noch sehr enttäuscht?“

„Es geht, gestern hat sich das beschissen angefühlt, heute geht es besser. Ich habe gelernt dir zu vertrauen, wenn du sagst, dass es normal ist, körperlich der Aufgabe nicht gewachsen gewesen zu sein.“

Noch nicht gewachsen, hatte ich gesagt. Du musst dir noch mehr Zeit geben. Die Spieler auf der Profitour sind alle schon deutlich älter und entsprechend austrainiert. Das, was dir gestern passiert ist, kann Dustin oder Justin heute ereilen. Ich wäre überhaupt nicht überrascht, wenn es so wäre. Aber ich möchte dich bitten, Dustin davon nichts zu sagen. Er soll sich nur auf den Gegner konzentrieren und nicht über seine Fitness nachdenken.“

„Das geht klar. Kann ich gut verstehen, denn ich würde mir auch tierisch den Kopf zerbrechen, wenn du mir das vor dem Spiel sagen würdest.“

„Ich habe den Fahrdienst für zwölf Uhr bestellt. Dann ist genügend Zeit zum Einschlagen und sich vorbereiten. Kannst du mir einen Gefallen tun? Ich möchte dich bitten, von beiden Spielen ein paar Videoaufnahmen zu machen. Wenn ich die Kamera an meiner Position habe, merken sie es sofort.“

„Ja, klar. Also soll ich mich so positionieren, dass sie mich nicht sofort entdecken.“

Ich zwinkerte ihm zu, Fynn lächelte und nickte.

„Hier sind die Daten aus Jans Datenbank über Dustins Gegner. Du darfst dir das anschauen und auch gern mit Dustin darüber sprechen. Gib ihm ein gutes Gefühl und beruhige ihn. Er soll das Spiel genießen und einfach sein Maximum zeigen. Keiner hat Druck.“

Dustin: Einfach alles geben

Es war ein seltsames Gefühl, als ich Mitte des ersten Satzes auf der Bank saß und mich umschaute. Mein Spiel lief gut und ich konnte mit dem Gegner mithalten. Vor allem spürte ich noch nicht, dass ich am Limit wäre. Meine Brust fühlte sich längst nicht so beengt an wie bei den vorigen Spielen. Irgendwie war so etwas wie Routine aufgetaucht. Ich wusste genau was als nächstes passieren würde und die Abläufe waren verinnerlicht. Dass der Schiedsrichter mit der Stoppuhr auf seinem Stuhl saß, war mir gar nicht mehr bewusst. Es war einfach normal für mich geworden.

Die Verbindung zu Chris war genauso intensiv wie immer. Und das steigerte mein Wohlbefinden. Jetzt hatte ich mir vorgenommen, mich dem Gegner mehr zu zeigen und keinen Meter von der Grundlinie zurückzuweichen. Ich hatte keine Angst mehr zu scheitern, sondern das Gefühl, es richtig zu machen. Einfach geil.

Das Spielen von Punkt zu Punkt fiel mir recht leicht. Kaum noch Gedanken an den Spielstand, nur noch den Fokus auf den nächsten Punkt gerichtet, gelang es mir, meinen Gegner unter Druck zu setzen. Beim Spielstand von 5:4 für mich hatte ich das Gefühl, dass mein Gegner anfing nachzudenken. Sollte ich jetzt auf den Aufschlag noch aggressiver gehen? Mist, ich war plötzlich unsicher und suchte den Blickkontakt zu Chris. Jetzt war er hellwach und zeigte nach vorn. Dieses Gefühl von Sicherheit im Rücken war unbeschreiblich.

Sofort ging ich auf den Return und attackierte ihn. Schnell stand es 0:30 und ich war voller Adrenalin. Jetzt wollte ich den Satz auch haben. Ein Blick zu Chris und was war das jetzt? Er zeigte mir, ich sollte ruhig bleiben und Geduld haben. Das irritierte mich und ich drehte mich für einen Augenblick nach hinten, um mich neu zu konzentrieren. Das Publikum war mehrheitlich auf meiner Seite und mein Gegner war ungeduldig. Bei diesem Spielstand legte er sich mit dem Schiedsrichter an. Er war der Meinung, dass ich das Zeitlimit überschritten hätte und ich eine Verwarnung bekommen müsste.

Bevor ich reagieren konnte, kam ein Zwischenruf von Chris. Auch seine Geste war eindeutig. Vom Netz weggehen, sich zum Return hinstellen und nur auf den Punkt konzentrieren.

Plötzlich musste ich lachen. Es brach einfach so heraus. Der Schiedsrichter wies meinen Gegner zurecht und das Spiel wurde fortgesetzt.

Ich war einen Ball geduldiger und wartete auf die Chance, dann allerdings ging ich voll auf den Ball und hämmerte ihn die Linie entlang und es stand 0:40. Jetzt flippte mein Gegner völlig aus und beschimpfte mich auf das Übelste. Ich wurde wütend über diese Unverschämtheit, aber ein lauter Pfiff von Chris ließ mich zusammenzucken. Ich wusste sofort, dass ich auf keinen Fall mit meinem Gegner diskutieren sollte.

Der Schiedsrichter gab ihm noch ein „Time warning“ und dann war es für mich recht einfach, den nächsten Punkt und damit den Satz zu gewinnen.

Was für ein Gefühl, hier erneut einen Satz gewonnen zu haben und keine Angst mehr zu haben unterzugehen.

Erst jetzt, in der Satzpause, dachte ich an Fynn und was er wohl macht. Ich schaute mich um und konnte ihn neben Chris nicht finden. Mir fiel auf, dass er dort die ganze Zeit nicht war. Was sollte das denn? Fragend schaute ich zu Chris.

Er zeigte in eine Richtung und lachte. Mein Blick richtete sich dorthin und schaute zu einem grinsenden und winkenden Fynn. Er hatte sich versteckt, warum sollte er mir später noch erklären. Aber bislang hatte ich das noch gar nicht bemerkt, so fokussiert war ich auf das Spiel.

Chris tippte sich mit dem Finger an den Kopf. Ein Zeichen für mich, dass ich mich wieder nur auf das Match konzentrieren sollte. Ich legte das Handtuch noch einmal für einen kleinen Moment über den Kopf, atmete tief ein und dann kam auch schon das „Time“ des Schiedsrichters.

Der zweite Satz entwickelte sich zu einem ganz harten Duell. Mein Gegner spürte, dass ich ebenbürtig war und damit hatte er wohl nicht gerechnet. Jetzt spielte er noch defensiver und jeder Ball dauerte länger als zuvor. Allerdings blieb der Satz ausgeglichen. Ich konnte aber nicht mehr so druckvoll spielen. Jetzt wurde es richtig anstrengend und es kamen mir Gedanken an Fynns Spiel. Wie sein Körper plötzlich einfach gestreikt hatte. Das wollte ich um jeden Preis verhindern. Ich warf noch einmal alle Energie in die Schlussphase des zweiten Satzes. Einen dritten Satz würde ich vermutlich nicht durchstehen. Das spürte ich bereits jetzt.

Bei 6:5 schlug mein Gegner zum Tie-break auf. Sein Service war zu gut und ich hatte nur eine Chance, um einen Punkt zu machen. Also ging es in den Tie-break.

Chris blieb ruhig auf seinem Platz und wirkte entspannt. Carlos Moya hatte sich erneut zu ihm gesetzt. Ich begann den Tie-break mit einem guten Aufschlag und ging mit 1:0 in Führung. Der Druck lag eigentlich bei meinem Gegner, denn er musste diesen Tie-break gewinnen, um noch in den dritten Satz zu kommen. Dass ich körperlich einem dritten Satz wohl nicht gewachsen sein würde, wusste er ja nicht. Also war es für mich auch entscheidend, dieses Match jetzt für mich zu gewinnen.

Keiner gab bis zum Spielstand von 3:2 für mich einen Aufschlag ab. Jetzt schlug er auf und ich spielte einen verunglückten Return. Der Ball flatterte an die Linie und er war für einen Moment unaufmerksam. Eigentlich ein einfacher Punkt für ihn, aber er verschlug den Ball. Damit führte ich beim Seitenwechsel mit einem Mini-break.

Einen schnellen Schluck zu trinken und weiter ging es. Seine Konzentration hatte durch diesen einfachen Fehler gelitten. Er produzierte einen Doppelfehler. Damit führte ich 5:2 und hatte jetzt zwei Aufschläge, um den Satz zu beenden.

Nicht nachdenken, sagte ich innerlich zu mir. Nur den nächsten Punkt spielen. Jetzt spürte ich die Enge in meiner Brust wieder. Als ob ein Felsen auf mir liegen würde. Intuitiv blickte ich zu meinem Schatz und Fynn hatte sich mit breiter Brust mir zu gewandt. Ich nickte und holte mehrfach tief Luft. Das half etwas.

Den Ball tippte ich sehr konzentriert auf den Boden, warf ihn hoch und schlug einfach zu. Nach außen und unerreichbar für meinen Gegner. Wieder spürte ich den Druck auf dem Magen und der Brust.

Chris hatte uns immer wieder gesagt, der letzte Punkt sei immer der schwierigste. Jetzt begriff ich das und machte den Fehler, nicht wieder mutig sondern vorsichtig aufzuschlagen. Der Return war sehr schnell wieder zurück und nur mit Mühe konnte ich den Ball ins Feld zurückspielen. Mit dem Wissen, dass ich diesen Punkt eigentlich nicht machen konnte, schaute ich auf die andere Seite.

Mein Gegner stürmte auf diesen Ball zu und schlug ihn ins Netz. Ungläubig schaute ich ihn an und vernahm das „Game, set and match“ nur am Rande. Es war vorbei und ich hatte gewonnen.

Erst als ich auf meiner Bank saß, wurde mir bewusst, dass ich die zweite Runde erreicht hatte. Der größte Erfolg bislang und dennoch stellte sich kein besonderes Gefühl ein. Dafür war ich zu müde. Den Schmerz in den Beinen bemerkte ich plötzlich und staunte, dass ich das nicht schon vorher bemerkt hatte.

Meine Beine zitterten und ich packte nur noch schnell meine Sachen in die Tasche und verließ den Platz. Fynn wartete bereits und ich ließ die Tasche fallen. Es war ein unfassbar schönes Gefühl, vom Freund umarmt zu werden und die Freude teilen zu können.

„Wie geil, du hast gerade einen der Favoriten in zwei Sätzen geschlagen. Ich kann das noch gar nicht glauben, wie cool du auf dem Platz warst. Mega geil!“

Fynn war total euphorisiert. Ich war zu müde, um zu jubeln. Aber es fühlte sich gut an, dass Fynn meine Tasche trug und wir gemeinsam in der Umkleide ankamen.

„Ich soll dir von Chris ausrichten, dass er beim Einschlagen von Justin ist. Du kannst dir Zeit lassen mit Physio und Duschen. Aber er freut sich sehr über deinen Erfolg.“

„Ich mich auch. Aber ich fühle mich jetzt total fertig. Kann mir noch nicht vorstellen, morgen wieder so eine Leistung bringen zu können.“

„Hihi, das glaube ich sofort. Aber jetzt erhol dich und freu dich einfach. Morgen ist morgen, heute ist jetzt, Erholung und Freude sind angesagt. Ach ja und wir sollten Justin auch noch unterstützen.“

Dann gab er mir einen Kuss. Mitten in der Umkleide. Für mich fühlte es sich doch wieder komisch an, aber Fynn wiederholte das sogar noch einmal mit den Worten:

„Los, auslaufen und dann ab zur Physio. Wir müssen Justin auch in die nächste Runde bringen.“

„Ja, ja, alter Antreiber. Gehst du schon zu Justin?“

„Ja, Chris hatte mich gebeten, nicht so lange bei dir zu bleiben. Ich sollte gleich noch ein paar Aufschläge mit Justin spielen.“

„Okay, dann beeile ich mich und komm gleich.“

Fynn verließ die Umkleide und ich ging duschen. Mein Körper fühlte sich alt und leer an. Für mich ein absolutes Rätsel, wie die Topstars jeden Tag solche Leistungen bringen konnten. Da war ich körperlich noch Lichtjahre von entfernt. So fühlte es sich zumindest gerade an.

Chris: Lohn der harten Arbeit

Dustin hatte sich mit einer grandiosen Leistung für die harte Arbeit belohnt. Ich bekam allerdings manchmal das Gefühl, dass er auf dem Platz nicht realisierte, was dort gerade passierte. Aber er spielte es einfach zu Ende und fing nicht das Nachdenken an. Das wäre ein riesiger Schritt nach vorn, sich nur mit der Situation des nächsten Punktes zu beschäftigen und keine Sekunde an das, was wäre wenn zu verschwenden.

Es zeigte mir vor allem auch, dass die Jungs spielerisch gar nicht weit weg waren von den etablierten Spielern. Jetzt mussten noch Erfahrungen und auch die Erfolgserlebnisse hinzukommen.

Ich war sehr neugierig, was mir Dustin später zu seinem Spiel erzählen würde. Jetzt stand noch Justins Match an. Er spielte auf dem Center Court unter Flutlicht. Die Zuschauer würden mit Sicherheit eher für seinen Gegner sein, denn das war der Lokalmatador aus Barcelona. Im Turnier an Position vier gesetzt. Umso einfacher war es für Justin zu spielen. Es gab keine Erwartungen an ihn und ich ging davon aus, dass sein Gegner wesentlich weniger von Justin als wir von ihm wussten.

Auch wenn Thorsten und Jan immer wieder sagten, dass momentan die Preisgelder noch nicht wichtig seien, half dieses Turnier doch erheblich. Wir hatten im Prinzip schon mehr erreicht als im ganzen Jahr zuvor. So viel höher war hier die Dotierung.

Ich war gespannt, was sie mit ihrem gewonnenen Geld machen würden. Vermutlich würden Dustin und Fynn es in ihren Führerschein investieren. Sie wollten so schnell wie möglich die Finanzierung allein regeln. Justin konnte ja bereits in Kanada mit sechzehn Auto fahren. Das würde vermutlich im nächsten Heimaturlaub auch für ihn anstehen.

Beim Warmmachen war Justin erstaunlich fokussiert und still. Nicht verkrampft, aber auch nicht so redselig wie sonst. Ich ließ ihn gewähren, denn er machte auf dem Platz einen guten Eindruck.

Während des Spiels von Dustin hatte ich Besuch von Carlos Moya bekommen. Er war sehr interessiert was unsere Jungs auf die Beine stellten. Ich bekam auch Lob für die Arbeit. Er wiederholte seine Einladung nach Monacor und hatte auch bereits konkrete Vorstellungen über die Trainingswoche.

Zwei seiner Spieler waren bereits ausgeschieden, aber einer seiner jüngsten war noch im Turnier und wäre der nächste Gegner von Justin, sollten beide heute gewinnen.

Aber für Justin spielte das noch keine Rolle. Erst stand das aktuelle Spiel an. Justin startete gut, hatte aber Probleme von Beginn an das hohe Tempo mitzugehen. Seine Fehlerquote war zu hoch und er verlor den ersten Satz mit 3:6. Marc und Sabine waren mittlerweile zu uns gekommen.

„Ich habe das Gefühl, dass Justin nicht frei spielt. Sonst sorgt er doch immer für hohes Grundtempo. So viel schneller spielt sein Gegner doch gar nicht. Oder täuscht das?“

„Nein, grundsätzlich stimme ich dir zu, Marc. Allerdings spielt sein Gegner schon sehr clever. Er bringt Justin zum Laufen und dadurch hat er weniger Zeit, sich richtig zu positionieren um den Druck aufzubauen. Oder wenn er es dennoch versucht, steigt die Fehlerquote an. Dafür fehlt Justin noch etwas die Abgebrühtheit, einen Moment länger zu warten. Ich denke, dass wird heute noch nicht reichen, wenn sein Gegner nicht noch nachlassen sollte.“

„Warum bist du so negativ? Das ist doch sonst nicht deine Art.“, warf Dustin ein. Er war mittlerweile vom Auslaufen und Duschen zurück.

Fynn runzelte seine Stirn. Es war ihm wohl unangenehm, dass Dustin mich kritisch hinterfragte.

„Du musst dich nicht für Dustins Aussagen verantwortlich fühlen. Abgesehen davon hat er nichts Falsches gesagt. Aber heute wird Justin vermutlich noch nicht gewinnen. Genau wie du, Fynn, braucht er noch etwas Cleverness und körperliche Entwicklung. Sollte er dennoch gewinnen, werde ich meine Aussage zurücknehmen. Und keine Sorge, ich werde ihn trotzdem voll unterstützen und versuchen, ihn zum Sieg zu bringen. Auch wenn mich das eine Runde Eis kosten würde.“

„Ich halte dagegen.“, kam von Sabine.

„Wie meinst du das?“, fragte ich.

„Na, wenn Justin nicht gewinnen sollte, werde ich für alle zum Trost das Eis spendieren. Ihr habt es euch trotzdem verdient.“

Dustin und Fynn tauschten sehr dezent einen Kuss aus. Das sah fast schon vorsichtig aus.

Justin wurde immer ungeduldiger und versuchte mit Gewalt sein Spiel durchzusetzen. Das ging heute richtig nach hinten los und er verlor den zweiten Satz mit 1:6. Entsprechend gefrustet flog der Schläger unter die Bank, nachdem er seinem Gegner die Hand gegeben hatte.

Justin packte sofort seine Tasche und verließ schnell den Platz. Ich wollte jetzt, dass er nicht so negativ dachte und machte mich sofort auf den Weg.

„Sollen wir mitkommen?“, fragte Fynn.

„Nein, besser nicht. Ich spreche erst einmal mit ihm. Ihr könnt ihn später wieder aufbauen. Wir treffen uns im Clubhaus. Sabine wollte ja eine Runde Eis spendieren.“

Überraschenderweise war Justin erst gar nicht in die Umkleide gegangen. Er wartete auf dem Rasen vor dem Clubhaus und empfing mich erstaunlich gefasst.

„Hi, Chris. Sorry, ich habe es nicht hinbekommen. Und zum Schluss habe ich richtig schlecht gespielt. Aber es ging heute einfach nicht besser.“

„Hi, also damit bin ich soweit einverstanden, aber nicht mit der Aussage, es ging heute nicht besser. Zum Ende hattest du resigniert. Mitte des ersten Satzes hast du doch gut mitgespielt. Warum hast du den besprochenen Weg verlassen und nicht geduldiger gespielt?“

„Ganz ehrlich, mein Kopf fühlte sich an als ob jemand den Inhalt geleert hatte. Ich konnte mich nicht konzentrieren und habe völlig den Faden verloren. So krass habe ich das noch nicht erlebt.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen. Körperlich war nicht das Problem, aber der Akku war auch am Limit und damit warst du mental überfordert. Kein Problem, mir gefällt das. Es zeigt einfach, dass es bisher schon sehr anstrengend gewesen ist. Besonders gut finde ich deine eigene Wahrnehmung. Aber mach dich nicht so runter, du hast ein tolles Turnier gespielt. Ich bin mit dir äußerst zufrieden. Schau nach vorn.“

Es war mir ein Bedürfnis, ihn zu umarmen. Danach schickte ich ihn auslaufen. Justin war nach dem Gespräch deutlich gelöster.

Auf dem Rückweg zu den anderen begegnete mir Carlos Moya.

„Na, hast du Justin wieder etwas aufbauen können? Oder war er nicht so enttäuscht?“

„Es geht so. Sein Problem ist immer die eigene Erwartung. Heute hat er es aber gut aufgenommen und begriffen, dass es auch für den Kopf anstrengend ist, in einem Challenger zu spielen. Also das wird ihn weiter bringen, da bin ich mir sehr sicher. Wie sieht es bei euch aus?“

„Nicht so gut. Sind bis auf Sergio schon alle draußen. Aber das kommt vor. Sergio wird gleich noch spielen. Ihr fahrt sicher gleich ins Hotel, oder?“

„Auf jeden Fall, Dustin soll sich ausruhen. Da sie hier nicht zur Ruhe kommen würden, fahre ich ins Hotel. Meine Jungs haben mir von einem Sergio erzählt, der sie im Güell Park angesprochen hatte. Der war vielleicht siebzehn oder achtzehn, vom Aussehen her geschätzt.“

„Ja, ich weiß. Hat er mir erzählt. Er war mit seinem Freund unterwegs. Das ist mein Problemfall. Sergio ist noch ungeoutet, aber er hat sich mir anvertraut. Von daher wäre es gut, wenn er mit deinen Jungs näher in Kontakt kommen würde. Aber das machen wir dann in Monacor in der Base.“

„Okay, gerne. Wir besprechen das, wenn wir hier fertig sind. Ich habe bereits die Flüge umbuchen lassen und ich freue mich auf die Tage bei euch.“

Carlos hatte nicht mehr viel Zeit, da er das Match von Sergio noch beobachten musste. Daher verabredeten wir, dass wir später noch einmal telefonieren würden.

Zwei Stunden später saß ich in unserem Hotel und studierte die Daten von Dustins nächstem Gegner. Meinen Jungs hatte ich nahegelegt, früh schlafen zu gehen. Sie brauchten jetzt viel Ruhe. Ihr Energievorrat war weitgehend aufgebraucht. Sie waren auch dankbar dafür und bereits in ihren Zimmern verschwunden.

Als ich meine Vorbereitungen für den nächsten Tag abgeschlossen hatte, schaute ich noch meine Emails nach. Dort fand ich zwei Nachrichten, die nichts Gutes erahnen ließ. Eine kam von Thorsten und die andere von Maxi. Die Betreffzeile war traurig.

Maxi hatte mir mitgeteilt, dass sein Vater an einem weiteren Infarkt verstorben sei. Das machte mich sehr betroffen. Er wirkte in der Email sehr niedergeschlagen und stellte auch das Leben in bestimmten Dingen in Frage. Eine verständliche Reaktion, die jetzt in den Vordergrund drängte. Allerdings sollte das nicht zu lange anhalten. Bevor ich Maxi antworten würde, wollte ich Thorstens Mail noch gelesen haben.

Maxi hatte mir noch mitgeteilt, dass er Dustin, Fynn und Justin nicht informiert hätte, da er mir das überlassen wollte. Erstaunlich, dass er in dieser Situation noch an eine mögliche Ablenkung während des Turnieres gedacht hatte. Dafür hatte Maxi noch mehr Respekt verdient.

Thorsten bezog sich ebenfalls auf diesen Todesfall und versprach mir, sich um Maxi zu kümmern. Wir sollten auf jeden Fall in Spanien bleiben. Wann ich das den Jungs mitteilen würde, sollte ich vor Ort entscheiden. Es war schon spät und ich entschloss mich daher, erst am nächsten Tag mit Thorsten zu telefonieren.

Der Tag ging also mit einer traurigen Nachricht zu Ende. Entsprechend schlecht konnte ich einschlafen.

Dustin und Fynn erschienen am nächsten Morgen wie gewohnt im Doppelpack und wirkten recht entspannt. Justin konnte ausschlafen, deshalb hatte ich ihn auch noch nicht erwartet.

Leider hatte ich auch noch die Todesnachricht von Maxis Vater im Kopf. Es tat mir sehr leid, weil Maxi sich so bemüht hatte für seine Eltern da zu sein. Leider war es bei seinem Vater vergeblich. Es stimmte mich traurig.

Dustin und Fynn saßen mit mir am Tisch und ich hing für einen Augenblick meinen Gedanken nach, als Dustin mich fragte:

„Was ist mit dir? Du bist heute so nachdenklich. Hast du nicht gut geschlafen?“

„Hm, ja die Nacht war nicht besonders gut. Aber ich muss ja auch nicht auf dem Platz stehen. Habt ihr euch wenigstens gut erholt von gestern?“

„Eigentlich schon, aber wirklich beweglich fühlen sich meine Beine nicht an.“

Dustin wirkte besorgt und auch etwas niedergeschlagen. Fynn nahm seinen Freund demonstrativ in den Arm und baute ihn auf.

„Du musst auch nicht mehr jungfräuliche Beine haben. Nach diesen harten Matches dürfen sie sich auch gebraucht anfühlen. Aber das geht den anderen auch so.“, baute Fynn ihn auf.

„Guter Text, könnte von mir sein. Das mit den jungfräulichen Beinen möchte ich jetzt aber nicht weiter kommentieren. Sie sind ja vermutlich auch nicht mehr jungfräulich. Hihihi.“

Für einen Augenblick schaute ich in vier ratlose Augen, bis Fynn plötzlich anfing zu lachen. Er konnte sich gar nicht wieder beruhigen und Dustin hatte meine Anspielung überhaupt nicht verstanden.

„Was hast du denn jetzt für ein Problem?“

„Hihihi, das kann ich jetzt nicht erklären, aber Chris, der war echt gut. Hihihi.“

„Lass dir das von deinem Freund später erklären. Es wäre vielleicht etwas unangenehm, das jetzt hier zu erklären.“

Aber es hatte den Effekt, dass auch meine Stimmung deutlich besser geworden war und eine gelöste Unterhaltung entstand.

Komischerweise ging es nicht um Tennis. Es ging um das Thema Alkohol und meine Abhängigkeit. Es beschäftigte sie schon seit einiger Zeit und heute war es dann soweit, mit mir darüber sprechen zu wollen.

„Hast du eigentlich nicht mal das Bedürfnis wieder ein Bier zu trinken oder mit uns bei einer Siegerehrung einen Schluck Sekt? Ich stelle mir das schwer vor, wenn ich immer darüber nachdenken müsste, ob ich das jetzt essen oder trinken darf.“

Dustins Frage überraschte mich, denn sie war für mich schon seit Jahren kein Thema mehr.

„Nein, ein wirkliches Bedürfnis habe ich nicht mehr. Allerdings gibt es schon Situationen, in denen ich es schade finde, kein Bier nach dem Sport trinken zu können. Das ist aber kein ernsthaftes Nachdenken darüber, ob ich es tun würde oder nicht. Und zu deiner zweiten Frage, was das Essen betrifft. Da muss ich eigentlich auch nur selten nachdenken, es ist zum Alltag geworden. Nur bei bestimmten Gerichten in einem Restaurant, da muss ich nachfragen wie sie zubereitet wurden. Aber das ist so automatisch, dass ich auch darüber nicht mehr nachdenken müsste.“

„Wie ist das für dich, wenn wir abends in Halle mit Freunden unterwegs sind. Machst du dir Sorgen, dass wir zu viel trinken könnten?“

„Sorgen? Nein, auf keinen Fall. Ihr wisst hoffentlich was ihr macht. Und sollte es mal schiefgehen, dann wird das nächste Training oder das nächste Turniermatch sehr unangenehm werden. Letztlich schadet ihr euch selbst. Aber um Missverständnissen vorzubeugen, ich würde euch nie hängen lassen oder bewusst bestrafen, solange wir offen über alles sprechen. Ihr seid jung und werdet noch einige Fehler machen. Das ist das Privileg der Jugend.“

„Du würdest echt kein Straftraining ansetzen? Auch bei zu viel Alkohol?“

„Straftraining ganz sicher nicht. Das nächste normale Training würde eh genug Bestrafung werden. Außerdem hatten wir das doch bei Fynn schon. Habe ich euch dafür bestraft?“

„Nein, auf keinen Fall. Und dafür bin ich dir heute noch sehr dankbar.“, kam es von Fynn wie aus der Pistole geschossen.

„Ich habe da noch eine andere Frage, die ist etwas schwieriger. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, bevor Justin hinzukommt.“

Dustin schaute seinen Freund an und war genauso überrascht wie ich.

„Was bewegt dich?“

„Ähm, ja. Es geht einerseits um Patrick und andererseits auch um Dustin und mich. Patrick hat mir gestanden, dass er ungeschützten Sex mit einem Mädchen aus seiner Parallelklasse hatte. Es ist zwar nichts passiert bezüglich Schwangerschaft, aber er hat herausbekommen, dass sie wohl mit vielen Jungs spontan ins Bett steigt. Jetzt hat er Angst vor Aids und weiß nicht, wie er sich verhalten soll.“

„Patrick? Das hätte ich echt nicht gedacht, dass er so etwas machen würde. Wie krass.“

Dustin schien sogar etwas entsetzt zu sein. Fynn schaute mich fragend an. Dass ihm das sehr unangenehm war, konnte ich an seiner verkrampften Haltung erkennen.

„Ich nehme mal an, dass deine Eltern davon auch noch keine Ahnung haben. Gerade in der sich entwickelnden Beziehung zu eurem Vater.“

„Ganz sicher. Patrick hat jetzt mächtig Schiss.“

„Vor was oder wem? Dein Vater dürfte ihm kaum den Kopf abreißen. Begeistert wird da niemand sein. Mit vierzehn sollte man wissen, was man beim Sex beachten sollte. Aber was betrifft euch in dieser Sache?“

„Aber was soll er jetzt tun? Er kann ja schlecht einfach zum Arzt gehen und einen Test machen. Er hat mir irgendetwas von einem Selbsttest erzählt. Die gäbe es im Internet zu bestellen.“

„Warum denn nicht? Er ist alt genug. Dafür braucht er keine Erlaubnis seiner Eltern. Aber ich halte das für den schlechtesten Weg. Es wäre viel besser, er würde das Gespräch mit euren Eltern suchen. Patrick ist kein kleiner Junge mehr, auch wenn er hier sicher einen Fehler gemacht hat. Und es ist ganz sicher nicht deine Aufgabe für ihn eine Problemlösung zu erarbeiten. Und diese Selbsttests sind zum Teil sehr fragwürdig. Ich empfehle ihm einen richtigen Labortest nach etwa sechs Wochen.“

„Aber ich habe Angst, dass er noch mehr Fehler in seiner Panik macht. Er glaubt nämlich, dass Papa wieder anfangen könnte mit dem Trinken. Sollte er jetzt vielleicht Aids haben.“

„Also, das wäre sicher schade, ist aber nicht die Verantwortung von Patrick. Dann hätte euer Vater noch nicht viel gelernt. Das erwarte ich aber überhaupt nicht. So wie ich eure Eltern kenne, wird er versuchen Patrick zu helfen und anschließend vielleicht noch ein ernsthaftes Männergespräch führen. Was ich übrigens auch für sinnvoll halte.“

„Könnte er dich vielleicht auch mal dazu um Rat fragen? Er hat noch große Angst vor Papas Reaktion.“

„Natürlich kann er das. Nur sind wir noch einige Zeit nicht zu Hause. Das dürfte schwierig werden.“

„Warum? Das Turnier ist doch bald vorbei. Wir fahren doch im Anschluss nach Halle, um zu trainieren.“, fragte Fynn aufgeregt.

„Passt auf, ihr beiden. Da Justin gerade kommt, schlage ich vor, dass Dustin sich heute nur noch um sein Spiel kümmert. Der Test kann eh erst in einigen Wochen für Klarheit sorgen. Fynn, wir beide können später noch gerne darüber sprechen. Dustin braucht heute aber Ruhe, um sich vorbereiten zu können. Und macht euch keinen Kopf. Und was ist euer Problem mit deinem Bruder?“

Jetzt wurde Fynn unruhig, denn Justin war bereits fast bei uns.

„Also ich habe auch noch nie einen HIV Test gemacht und vielleicht sollten Dustin und ich auch einen machen, um Gewissheit zu haben.“

„Halte ich für eine gute Idee. Gleichzeitig nehmt ihr vielleicht Patrick auch gleich mit. Wenn ihr später dazu noch mehr Redebedürfnis habt, können wir uns gerne noch weiter unterhalten.“

„Guten Morgen zusammen. Alles fit bei euch?“

Justin war bei bester Laune und hatte wieder seine Fröhlichkeit im Gesicht.

„Hi Justin, ausgeschlafen?“

„Nee, Fynn. Dann wäre ich noch lange nicht wach. Aber ich wollte ja mit euch den Tag verbringen und Dustin in die nächste Runde begleiten. Also aufstehen und ausgiebig frühstücken.“

„Hahaha, was würdest du tun, wenn es das Frühstück noch nicht gäbe?“

„Es erfinden, natürlich. Da ich aber genauso gerne frühstücke und ich älter bin, hätte ich es ja bereits erfunden. Justin würde also zu spät damit kommen.“

Daraufhin waren alle am Tisch wieder bester Laune und lachten sich kaputt über meinen Spruch.

Plötzlich klingelte mein Handy. Ich schaute auf das Display. Carlos Moya, nanu?

„Guten Morgen, Carlos. Was gibt es so früh zu besprechen?“

„Hi, Chris. Ich wollte nur Bescheid geben, dass Sergio gestern Abend leider verloren hat und wir heute bereits zurück fliegen. Es wäre schön, wenn du mir mitteilst, wann ihr am Flughafen auf Mallorca ankommt. Ich werde euch dann abholen lassen. Euer Quartier ist bereits reserviert ab morgen. Also sollte Dustin heute verlieren, wäre das kein Problem. Bleibt ihr noch länger dort, auch kein Ding. Ich drücke euch jedenfalls die Daumen und soll euch von Sergio grüßen. Ich glaube, eure Begegnung hat bei ihm etwas bewirkt. Er fühlt sich nicht mehr allein auf der Welt und in der des Tennis.“

„Cool, das ist doch schon ein großer Schritt. Ich freue mich sehr für ihn und meine Jungs lassen auch grüßen.“

Ich wollte nicht auf die Planung weiter eingehen, damit sich Dustin nur auf sein Match konzentrieren konnte. Ich beendete das Gespräch mit dem Hinweis, dass ich mich später noch einmal melden würde. Carlos hatte sofort begriffen, warum ich jetzt nicht weiter mit ihm sprechen wollte.

Fynn: Die Trauben hängen hoch

Es war einfach schön, Dustin immer an meiner Seite haben zu können. Als das Match begann, saßen wir zu fünft am Platz. Marc und Sabine waren auch wieder dabei und Chris und Justin saßen neben mir.

Dustin schlug sich mit seinem Gegner ein und Chris war bereits im Spielmodus. Er schaute sich jede Bewegung des Gegners genau an. Justin fragte ihn leise:

„Glaubst du, dass Dustin gewinnen kann? Sein Gegner zeigt ein paar Unsicherheiten.“

„Wie kommst du darauf? Welche Unsicherheiten meinst du?“

Chris wirkte erstaunt über Justins Bemerkung. Ich hatte keine besonderen Auffälligkeiten bemerkt.

„Ich finde, dass weder auf der Vor- noch auf der Rückhand der Arm locker nach vorne schwingt.“

„Sehr gut beobachtet. Genau das ist mir auch schon aufgefallen. Ich habe allerdings noch keine Ahnung was der Grund dafür sein könnte. Er müsste eigentlich wissen, dass Dustin ihm noch nicht wirklich gefährlich werden kann. Vielleicht hat er ein gesundheitliches Problem. Aber sollte es so bleiben, ist das sicher kein Nachteil für Dustin.“

Dadurch hatte ich wieder mehr Hoffnung, dass mein Schatz doch noch eine Runde weiterkommen könnte.

Leider entwickelte sich das Match aber anders. Dustin spielte mit Sicherheit nicht schlecht, aber es fehlte ihm die Dynamik aus dem gestrigen Spiel. Obwohl sein Gegner keine gute Leistung zeigte, reichte es für ihn gegen Dustin.

Beim Spielstand von 3:6 und 2:5 legte mir plötzlich Chris seine Hand auf die Schulter und bat mich:

„Wenn das Spiel gleich zu Ende ist, möchte ich dich an der Bank sehen. Nimm deinen Freund in Empfang und nehmt euch Zeit. Vielleicht begleitest du ihn beim Auslaufen. Er hat ein gutes Match gezeigt. Richte ihn wieder auf. Es gibt keinen Grund zu zweifeln. Sein Körper hat ihm heute aufgezeigt, dass er noch nicht am Ende der Leiter angekommen ist. Aber ich möchte euch alle in einer Stunde zu einer Besprechung sehen. Wir treffen uns am Eisstand, denn Sabine muss ja ihren Einsatz noch einlösen.“

„Jap, dann gehe ich jetzt schon mal zur Bank. Oder?“

„Ja, mach dich vom Acker. Bleibt aber anständig, hihihi.“

Ich stand vom Stuhl auf und ging Richtung Bank. Der Weg war etwas weiter, da ich über eine Treppe erst nach oben gehen musste.

Ich bekam so gerade noch den Matchball mit und wie Dustin seinem Gegner gratulierte. Komischerweise stellte sich bei mir keinerlei Enttäuschung ein. Chris hatte uns gut vorbereitet und auch jedem genau erklärt, dass die Trauben eben noch sehr hoch hingen.

Dustin hatte schon seine Tasche geschultert, als er mir gegenüber stand. Ich ließ es mir nicht nehmen, meinen Freund mit einem intensiven Kuss in Empfang zu nehmen.

„Danke, das tut gut. Ich fühle mich grade ziemlich schlecht. Böse verhauen worden und auch noch komplett platt. Irgendwie hat Chris wohl doch recht. Wir sind noch nicht so weit wie diese Spieler hier.“

„Es gibt aber gar keinen Grund sich schlecht zu fühlen. Wir haben ein geiles Turnier gespielt, haben viele neue Erfahrungen gemacht und nicht zu verachten, mehr Punkte gemacht als im ganzen letzten Jahr.“

„Hää, warum das denn? Wir haben Turniere gewonnen im letzten Jahr. Hier sind wir in der ersten oder zweiten Runde ausgeschieden.“

„Ja, aber hier gibt es viel mehr Punkte zu verteilen und wenn ich Chris richtig verstanden habe, dürfte auch unser Preisgeld höher als je zuvor ausfallen. Also lass uns auslaufen gehen und wir gehen dann duschen.“

Ich hatte Dustin bereits Richtung Umkleide gedreht und dorthin gingen wir auch gemeinsam. Er stellte seine Tasche dort ab und dann machten wir uns auf zum Auslaufen. Dustin freute sich, nicht allein laufen zu müssen und als wir am Ende der Anlage waren, nutzten wir auch noch einige Momente für Zärtlichkeiten.

„Komm, lass uns duschen gehen. Ich werde kalt. Wir fahren bald ins Hotel, dort möchte ich dann weitermachen.“

Hatte er das Match bereits abgehakt? So schnell? Das konnte ich kaum glauben und schaute wohl überrascht.

„Was ist? Hast du andere Pläne?“

„Äh, nein. Ich war nur nicht darauf vorbereitet, dass du das Spiel so schnell abhaken würdest.“

„Ah so. Aber es ist doch vorbei. Chris wird eine Nachbesprechung machen und dann schauen wir nach vorn. Das sagt uns Chris doch immer wieder. Nicht so lange über das Gewesene nachdenken, sondern die kommenden Dinge sind wichtig.“

„Du machst mir richtig Angst. Sonst hast du dich immer sehr geärgert und tierisch aufgeregt und plötzlich alles easy? Aber nehme ich gerne so hin und klar habe ich Lust auf mehr im Hotel.“

Dustin bekam das Grinsen kaum aus seinem Gesicht, als ich das gesagt hatte. Zum Dank bekam ich noch einen Kuss.

Zugegebenermaßen musste ich unter der Dusche aufpassen, keine Latte zu bekommen. Wir waren beide in freudiger Erwartung auf das Hotel, um dieses tolle Turnier angemessen zu beenden.

Als wir aus der Umkleide nach draußen kamen, begegneten uns zwei von den Ballkindern. Sie schienen sogar auf uns gewartet zu haben.

„Entschuldigt bitte, aber ihr seid doch das schwule Paar aus Deutschland. Können wir von euch ein Autogramm bekommen?“

„Klar, aber wieso gerade von uns? Ihr seid noch sehr jung und wisst ihr schon was das eigentlich bedeutet?“

„Oh ja. Das wissen wir genau. Mein großer Bruder durfte deswegen nicht mehr im Landesverband trainieren. Er hatte sich geoutet und daraufhin hatte er keine Einladungen mehr bekommen. Das hat ihm die Chance genommen, die ihr in Halle bekommen habt und ihr nutzt sie auch für andere Spieler. Mein Bruder wäre gern selbst gekommen und hätte euch hier kennengelernt.“

„Warum ist er denn nicht hier?“, fragte Dustin direkt.

„Er ist gerade auf einer Klassenfahrt. Sonst ist er auch immer hier.“

„Ah ok, also das Autogramm ist für deinen Bruder?“

„Ja, schon. Aber wenn wir auch eins bekommen könnten, wäre das toll. Wir freuen uns, dass ihr euch nicht versteckt. Euer Coach ist auch cool. Ich habe gesehen, dass sogar Carlos Moya mit ihm gesprochen hat. Das zeigt, dass ihr etwas Besonderes seid.“

„Hm“, antwortete ich, „ nein, wir sind nicht besonders. Wir sind einfach nur schwul. Die anderen sind komisch, weil sie damit ein Problem haben. Worauf sollen wir denn euch das Autogramm geben?“

„Ich würde es gern auf meine Trainingsjacke haben und für meinen Bruder bitte auf dieses T-Shirt.“

Er holte ein neues Shirt aus der Tasche. Es war ein Shirt, was alle Mitarbeiter des Turnieres trugen. Wir erfüllten ihnen gern diesen Wunsch und gaben dem Bruder des anderen Spielers den Hinweis, dass er sich gern bei uns in Halle melden darf, sollte er mit uns Kontakt haben wollen. Sie bedankten sich und wir verabschiedeten uns.

Chris hatte uns ja gebeten, dass wir uns beim Eisstand treffen sollten.

„Das ist schon krass, dass wir hier schon einen Bekanntheitsgrad haben. Ein Autogramm geben, weil wir schwul sind. Das ist schon heftig, oder?“

„Naja, nicht nur weil wir schwul sind. Sondern weil wir gutes Tennis spielen und offen schwul sein dürfen.“

Dustin hatte es genau auf den Punkt gebracht. Und ganz entspannt und locker mit einem Lächeln im Gesicht. Dafür musste ich ihn an mich drücken und einen Kuss verteilen.

Da wir bereits in der Nähe des Eisstandes waren, wurden wir von Marc, Sabine und Justin empfangen.

„So wie ihr rumflirtet, kann die Niederlage nicht so weh getan haben.“, lachte Marc.

Justin grinste und Sabine legte nach:

„Genau so muss das aussehen. Mir gefällt das richtig gut, wie ihr hier aufgetreten seid. Von der anfänglichen Unsicherheit ist nicht mehr viel zu sehen. Toll. Ihr habt euch das Eis redlich verdient.“

„Aber wo ist Chris? Wir wollen doch bestimmt nicht ohne ihn Eis essen.“

„Nein, Fynn. Keine Sorge, er kommt sofort. Da ihr daran nicht gedacht habt, ist er gerade noch die Preisgeldschecks abholen. Ah, seht ihr, da kommt er schon.“

Sabine zeigte auf die Treppe vom Clubhaus, von der Chris gerade herab kam.

„Nicht zu fassen. Kaum gibt es etwas Süßes, schon sind alle wieder da. Wie bei der Fütterung der Raubtiere. Aber das Wichtigste vergessen sie.“

Dann wedelte Chris mit drei Umschlägen in der Luft und grinste, als er sich zu uns stellte.

Daran hatte ich nicht gedacht, dass wir selbst dafür verantwortlich sein würden. Chris verteilte die Umschläge, sagte aber auch:

„Ihr dürft einmal hineinschauen und euch den Scheck ansehen, aber danach möchte ich sie bitte zurück haben. Ihr bekommt den Anteil aufs Konto überwiesen.“

„Geht klar“, antwortete Justin und öffnete seinen Umschlag.

Dustin und ich taten es ihm gleich und mein Erstaunen war groß, als ich die Summe las. Das hatte sich definitiv gelohnt.

„Bevor ihr jetzt lange über die Zahlen nachdenkt, möchte ich mit euch etwas besprechen.“

Sabine hatte mittlerweile das Eis geholt und jedem eins in die Hand gegeben.

Chris wirkte etwas angespannt. Irgendetwas war nicht ganz in Ordnung. Ich spürte das. Auch Dustin hatte seine Augen etwas zusammengekniffen, als Chris uns aufforderte:

„Kommt bitte ein Stück mit. Wir gehen ein wenig in den hinteren Bereich. Dort gibt es mehr Ruhe und weniger Ohren, die das mitbekommen können.“

Auch die Tatsache, dass Marc und Sabine nicht mit uns gingen, beunruhigte mich etwas. Unterwegs gab Chris jedem von uns eine Einzelkritik zum Turnierverlauf. Dustin bekam natürlich eine etwas längere Spielanalyse, aber als wir an einem Platz mit mehreren Bänken unter einer riesigen Linde ankamen, forderte er uns auf, Platz zu nehmen.

„Ich möchte euch kurz über den weiteren Verlauf informieren, aber ich habe auch eine sehr unangenehme Aufgabe.“

Jetzt wurde es noch interessant. Was hatte Chris zu verkünden?

„Unsere Planung hat sich verändert. Ursache dafür ist die Begegnung mit Carlos Moya. Aufgrund der besonderen Umstände mit Sergio und euch, hat er uns nach Monacor eingeladen. Wir sollen dort eine Woche mit seinem Team und den dortigen Spielern trainieren. Vielleicht könnt ihr Sergio und seinem Freund ein wenig Unterstützung bei seinem Coming out geben. Aber in erster Linie sollt ihr dort hart trainieren und den Spaniern zeigen, dass wir in Halle gute Arbeit machen. Der Flug nach Mallorca geht noch heute Abend, also packt gleich im Hotel eure Sachen und dann geht es Richtung Monacor. Ihr werdet dort auch unter Carlos Moya einige Trainingseinheiten machen. Ich werde mich dafür mal mit Sergio und seiner Gruppe beschäftigen. Anschließend werden wir sicher auch noch gemeinsam etwas arbeiten.“

Wow, das war aber ein Hammer. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Umso größer war unsere Freude. Zwar hieß das auch, dass wir nicht sofort nach Hause fliegen würden, aber für so eine Aktion würde ich das gern in Kauf nehmen.

„Kann ich bitte meine Eltern anrufen und ihnen mitteilen, dass sie uns noch nicht zurück erwarten dürfen?“

Meine Mutter hatte es immer gern, dass ich anrufe, sollte sich irgendetwas ändern.

„Natürlich, mach das am besten vom Hotel aus.“

Als ich jetzt in Chris' Gesicht schaute, hatte sich seine Miene komplett verändert. Irgendetwas war in Halle geschehen und das musste er uns jetzt mitteilen.

Chris holte tief Luft. Das schien ihm nahe zu gehen, was er uns mitteilen wollte. Irgendwie fühlte ich mich gerade überhaupt nicht mehr gut und Dustin nahm meine Hand.

„Es tut mir leid, dass ich in eure Freude über die Woche in Monacor, eine traurige Nachricht nachschieben muss. Es geht um Maxi, beziehungsweise seinen Vater. Ihr werdet euch vielleicht fragen, warum Maxi sich während dieses Turnieres nicht bei euch gemeldet und gefragt hat, wie es bei euch so läuft.“

Wir schauten uns an und es stimmte, Maxi hatte sich sonst immer bei einem von uns gemeldet.

„Ich habe leider die traurige Nachricht erhalten, dass Maxis Vater verstorben ist. Er starb an den Folgen eines weiteren Infarktes. Maxi hatte mich gebeten, es euch erst nach dem Turnier mitzuteilen. Also fragt euch bitte nicht, warum er es euch nicht persönlich gesagt hat. Er wollte, dass ihr euch nur auf das Turnier fokussiert. Davor habe ich ganz großen Respekt.“

Chris hielt einen Moment inne und wir waren sprachlos. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. In meinem Magen zog sich alles zusammen. Dustin erging es nicht weniger heftig und auch Justin war betroffen.

„Hast du mit Maxi Kontakt? Wie geht es ihm gerade?“

„Ja, Fynn. Ich habe mit ihm Kontakt, aber ich habe es ihm überlassen, wann er sich meldet und wann er mit mir sprechen möchte. Er lässt euch Grüße ausrichten und freut sich auf das Wiedersehen in einer Woche.“

Das war eine sehr traurige Nachricht. Für einen Moment konnten wir gar nichts sagen. Ich hatte sogar einen dicken Kloß im Hals. Maxi hatte so intensiv um seine Eltern gekämpft und dafür sogar seine Turnierplanung untergeordnet. Es war alles umsonst gewesen, sein Vater hatte den Kampf verloren. Wie bitter. Ich fühlte mich gerade ziemlich mies.

Justin war derjenige, der als erster Worte fand.

„Wir sollten uns bei Maxi melden und ihm unser Beileid aussprechen. Danach sollten wir uns in Halle um ihn kümmern. Vielleicht kann er jetzt sogar wieder mehr Turniere spielen. Ich weiß, das klingt makaber, aber wir machen seinen Vater nicht mehr lebendig und Maxi braucht eine Perspektive, um seine Trauer zu überwinden. Er braucht uns jetzt mehr denn je.“

Chris nickte stumm, schaute uns dabei an und Dustin sprach das aus, was ich gedacht hatte:

„Das sehe ich genauso. Maxi war auch immer für uns da, also sind wir jetzt ganz sicher für ihn da. Chris, kannst du ihn nicht für die kommende Trainingswoche dazu nehmen? Außerdem käme er auf andere Gedanken, anstatt allein zu Hause zu sitzen.“

Chris lächelte, aber irgendetwas kam noch hinterher. Er schien diesem Vorschlag nicht so recht folgen zu wollen.

„Grundsätzlich können wir das versuchen, aber ich wage zu bezweifeln, dass das so kurzfristig klappt. Wäre es denn euer Wunsch, dass wir das versuchen sollten?“

„Absolut. Maxi gehört für mich immer noch zu uns und wenn er möchte, soll er kommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir ihm damit helfen könnten.“

Dustin nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss. Auch Justin fand die Idee gut und richtig. Chris erklärte uns aber, dass er nichts versprechen könne.

Anschließend verabschiedeten wir uns von Marc und Sabine, natürlich mit Dank für die tolle Unterstützung. Sie erinnerten uns noch daran, dass wir uns bei Luc und Stef melden sollten.

Eine neue Herausforderung wartete auf uns in Monacor. Durch meinem Kopf schwirrte auch ein wenig die Hoffnung, dass wir vielleicht einmal Rafa Nadal zu sehen bekommen würden. Das wäre natürlich ein Traum, diesen Superathleten beim Training zu sehen.

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