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Eight days a week

Teil 3

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Danke erst einmal an alle Leser (und Leserinnen), die sich die Mühe gemacht haben, die Story bisher zu lesen und dabei auch mit Feedback nicht gespart haben. Leider hatte mein PC zwischenzeitlich einen Totalausfall (mit anschließender mehrwöchiger Reparatur...), daher hat es noch einmal eine ganze Ecke länger gedauert, bis endlich der abschließende Teil erscheinen konnte... Aber jetzt ist er ja da. Also, viel Spaß beim weiterlesen. : ]

Sonnabend

Irgendwie ist mir immer noch ganz dämsig in der Birne. Das ist meine erste Empfindung beim Aufwachen. Dabei hab ich doch so gut wie nichts getrunken. Die zweite: Das ist nicht mein Bett. Mühsam versuche ich, ein Auge zu öffnen, dann das andere. Das sonnige, lichtdurchflutete Zimmer kommt mir entfernt bekannt vor. Ich liege unter einer blau-weiß-karierten Bettdecke auf einem niedrigen Bett (vielleicht ist es auch nur eine Matratze, die auf dem Boden liegt). Die Wand mir gegenüber ist mit Bücherregalen, die bis unter die Decke reichen, ausgefüllt, und langsam dämmert es mir, wo ich bin. Nun kommen mir zwei mit einer schwarzen Cordhose bekleidete Beine ins Blickfeld gelaufen. Sie knicken in den Knien ein, und jetzt sitzt Friedrich mit gekreuzten Beinen neben dem Bett und sieht mich mit einem besorgten Ausdruck in den Augen an.

„Wie geht’s dir?“

Gute Frage. „Ich weiß es nicht“, gebe ich zu und stelle fest, dass ich immerhin sprechen kann. „Was ist denn passiert? Wie komme ich hierher?“

„Erinnerst du dich noch an gestern Abend?“

„Nicht wirklich.“ Ich krame angestrengt in meiner lückenhaften Erinnerung. „Dabei hab ich doch höchstens zwei Bier getrunken. Ich glaube, ich werde alt. Wenn mich zwei Bier schon dermaßen schaffen...“

„Das lag nicht am Bier.“ Irgendetwas an Friedrichs Stimme lässt mich aufhorchen. Er klingt so - unterdrückt zornig. „Erinnerst du dich an den Typen mit dem dämlichen Hut?“

Ich nicke. Wie könnte ich diesen Nervbolzen vergessen.

„Er hat dir etwas ins Bier getan.“

„Was?!“ Schlagartig bin ich hellwach. „Wie? Was denn? Wieso?“

„Ich weiß nicht, ob du schon mal von sowas wie K.o.-Tropfen gehört hast...?“

Habe ich. Und werde blass. Verdammte Scheiße, diese Dinger verabreicht man doch jemanden, um ihn willenlos zu machen und hinterher...

„Keine Angst.“ Friedrich hat meine Panik bemerkt. „Dir ist nichts passiert. Ich war rechtzeitig da.“

„Du hast... Was...? Wie...?“ Ich bin immer noch nicht in der Lage, einen vernünftigen Satz zu formulieren.

Friedrich füllt meine Erinnerungslücken. „Ich hab gesehen, wie der Typ heimlich etwas in dein Bier geschüttet hat, und als du kurz darauf fast zusammengeklappt bist, war mir klar, dass da etwas nicht stimmte. Also bin ich euch gefolgt, als er dich zu seinem Wagen geschleppt hat.“

„Aber er hat mich nicht...?“

„Er hat dich nicht angerührt. Ich habe ihn zur Rede gestellt, und als das nichts half, habe ich ihn verprügelt.“

Erleichtert lasse ich mich nach hinten sinken und starre die Zimmerdecke an. Erst dann erfasse ich Friedrichs Aussage in ihrer ganzen Breite. „Warte mal...“ Ich richte mich wieder halb auf und mustere ihn aufmerksam. „Du hast ihn - verprügelt?“

Er zuckt nur mit den Schultern. „Ich hab ihn vorher gewarnt.“ Dann wird sein Gesichtsausdruck wieder ernst und in seinen Augen glimmt mühsam beherrschte Wut auf. „Das Schwein wollte dich vergewaltigen, was hätte ich sonst tun sollen? Er kann froh sein, dass ich mich noch um dich kümmern musste, sonst wäre er nicht so glimpflich davongekommen.“

„Danke.“ Erst jetzt bemerke ich die Schramme unter seinem rechten Auge. Scheiße, er hat mich vor diesem Arschloch gerettet, obwohl er nach Donnerstag selbst noch immer reichlich angeschlagen war. Und dann ist er dabei auch noch verletzt worden. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen, aber das könnte er vielleicht falsch verstehen. Schließlich bin ich ja nicht schwul.

„Schon gut.“ Er fährt sich mit der linken Hand durch die dichten Locken und kratzt sich am Hinterkopf. Dabei lässt er mich nicht aus den Augen. „Sag mal, wieso warst du eigentlich doch noch im Drachen?“

Das ist eine gute Frage. Allerdings kann ich sie nicht beantworten, ohne mich zum Klops zu machen. Ich weiß ja selbst nicht so genau, was mich veranlasst hat, dort aufzutauchen. „Ach, nur so.“ Wie soll ich denn Friedrich erklären, was mich eigentlich dahin getrieben hat? Soll ich ihm erzählen, was mir an dem Abend durch den Kopf ging? Der hält mich doch für einen Vollidioten.

„Nur so?“ Er mustert mich mit einem eindringlichen Blick.

Ich nicke schwach. Und dabei fällt mir etwas auf. „Und was ist überhaupt mit dir? Wieso hab ich dich eigentlich nicht gesehen, wenn du doch da warst?“

Oha, jetzt wird Friedrich zur Abwechslung mal rot. Aber er hat sich ziemlich schnell wieder unter Kontrolle. „Ich wollte einfach nicht, dass du mich siehst“, erklärt er und sieht mich an.

Ich gucke wahrscheinlich ziemlich blöd aus der Wäsche. „Wieso denn das?“

„Ach, nur so.“ Er muss grinsen, der Blödmann.

Am liebsten würde ich ihm das Kissen ins Gesicht schmeißen, aber für solche Kraftanstrengungen bin ich noch immer zu kaputt.

„Rück mal ein Stück.“

Was soll das denn jetzt schon wieder?

„Na los.“ Friedrich macht eine Handbewegung, als wolle er mich wie ein Huhn verscheuchen. „Rück mal nach hinten. Nachdem du nicht so aussiehst, als würdest du in nächster Zeit aufstehen wollen, kann ich mich auch noch für ’ne Stunde hinlegen.“

Moment. Friedrich will sich zu mir ins Bett legen? Der spinnt wohl! „Du spinnst wohl!“

Friedrich verdreht die Augen. „Reiß dich zusammen; ich hab nicht vor, über dich herzufallen. Dazu hätte ich heute Nacht viel bessere Gelegenheit gehabt.“

„Wie jetzt? Hast du etwa mit in meinem Bett geschlafen?“

„Es ist mein Bett“, berichtigt er gelassen. „Ich konnte dich in dem Zustand ja nicht dir selbst überlassen, oder? Und überhaupt: Hab ich dir etwa was getan?“

Nein, das hat er tatsächlich nicht. Ganz im Gegenteil. Trotzdem ist das komisch. Ich hab noch nie mein Bett mit jemand anderem geteilt, schon gar nicht mit einem Jungen wie Friedrich. Der hat damit natürlich gar keine Probleme. Er zieht sogar schon seine Jeans aus, und bevor ich noch etwas einwenden kann, ist er schon zu mir unter die Decke gekrochen. Scheiße, mir wird ganz schummerig. Wahrscheinlich noch Nachwirkungen von diesen verfuckten Tropfen.

„Geht’s dir nicht gut?“ Friedrich hat sich auf die Seite gedreht, den Kopf in die Hand gestützt und mustert mich mit besorgtem Gesichtsausdruck. „Du bist schon wieder so blass.“

Ich atme durch und rücke erst einmal ein Stück zurück. „Es geht schon.“

„Versuch einfach, noch ein bisschen zu schlafen“, schlägt er vor. „Das hilft meistens schon.“ Damit dreht er sich auf die andere Seite, streckt sich bequem aus und schließt die Augen.

Schlafen? Schön wär’s, aber im Moment geht mir eindeutig viel zu viel durch den Kopf. Ich schaffe es bestenfalls, ein bisschen einzudösen. Um in nächsten Augenblick schon wieder aufzuschrecken. Wenn Friedrich sich im Schlaf bewegt, etwa. Oder wenn irgendwo im Haus etwas poltert. Oder jemand unten auf dem Hof herum lärmt. Wie spät es wohl sein mag? Die Sonnenstrahlen, die sich hier oben ungebremst ihren Weg ins Zimmer bahnen können, wandern langsam die Bücherwand entlang. Es dürfte also höchstens Mittag sein; schließlich war ich schon nachmittags hier, und da war von Sonne nichts mehr zu sehen.

Friedrich murmelt irgend etwa unverständliches ohne aufzuwachen und dreht sich auf den Rücken. Eine Hand liegt auf seinem Bauch, die andere irgendwo unter der Decke.

Scheiße. Scheiße, scheiße. Ich mag Friedrich. Nein, es ist - schwieriger. Verdammte Kacke. Ich schätze ihn als Menschen. Und nicht nur das. Ich mag ihn wirklich. Mag sein Gesicht und seine Hände und seine Stimme und seine Augen und seine Locken und meinetwegen auch seine Knie und seinen Bauch und seine Rippen, und seine Schultern mag ich auch. Mühsam bekämpfe ich das Verlangen, ihn zu berühren. Scheiße. Ich finde Friedrich schön! Verdammte Scheiße. Panik steigt in mir hoch.

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, klettere ich aus dem Bett. Meine Hose hängt über der Stuhllehne. Hastig fahre ich hinein und schaffe es kaum, mit zittrigen Händen die Knöpfe ordentlich zu schließen.

„Was ist denn los?“

Ich sehe ertappt auf.

Friedrich hat den Kopf gehoben und sieht mich mit verschlafenem Gesichtsausdruck verdutzt an. „Willst du schon gehen?“, fragt er und setzt sich auf.

Ja! Nein! Doch! Scheiße. Ich merke, wie ich rot werde. „Ich dachte, ich... Ich wollte...“ Toll. Jetzt hab ich auch noch Sprachstörungen. Der soll mich nicht so besorgt angucken, das macht mich nervös. „Ich muss nach Hause. Meine Eltern wissen nicht, wo ich bin. Vielleicht machen sie sich Sorgen.“ Gutes Argument. Ich habe ihnen gestern Abend zwar gesagt, dass ich nicht weiß, wann ich nach Hause komme, aber sie haben bestimmt nicht damit gerechnet, dass das erst heute Morgen der Fall sein wird. Eigentlich sollte es ihnen ja egal sein, ich bin schließlich volljährig, aber Eltern sind da ja meistens sehr eigen. ‚Solange du deine Füße unter meinen Tisch...‘ Und so weiter.

„Ach so.“ Friedrich gähnt. Dann steht er auf und greift nach seiner Jeans. „Schade, ich dachte, wir könnten noch zusammen frühstücken.“

Scheiße. Friedrich ist - süß. Ich muss hier raus, sonst dreh ich durch. Im Flur stolpere ich erst einmal über meine Schuhe und hätte mich sicher auf die Fresse gelegt, wenn Friedrich mich nicht geistesgegenwärtig am Arm gepackt hätte.

„Moritz?“

Was denn nun noch? Gehetzt starre ich ihn an.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“ will er wissen. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, er scheint sich wirklich Sorgen um mich zu machen. „Du bist ganz blass.“ Er hält mich immer noch fest, und die Wärme seiner Hand brennt sich wie Feuer in meine Haut.

In meinem Kopf dreht sich alles, und einen Moment lang habe ich das sichere Gefühl, gleich umzukippen. Ich wanke, und meine Knie drohen wegzuknicken.

Friedrich reagiert sofort und greift auch nach meinem zweiten Arm. Seine Stimme, die wie durch einen dichten Nebel gedämpft an mein Ohr dringt, klingt beklommen: „Was ist denn bloß los mit dir?“ Sein Gesicht ist ganz nah vor meinen Augen.

„Scheiße...“ Ich schließe die Augen und beiße die Zähne zusammen. Ich will hier weg. Ich kann nicht mehr. Meine Gedanken wirbeln durcheinander, in meinen Ohren höre ich das Blut rauschen, mein ganzer Körper zittert. Ich kann nicht mehr... Verzweifelt klammere ich mich an Friedrich, presse meine heiße Stirn gegen seine Schulter. „Scheiße...“

Friedrich hat seine Arme um mich gelegt. Er steht ganz still und hält mich einfach nur fest, während mir Tränen über das Gesicht laufen und in seinem grobmaschigen Pullover versickern.

„Komm“, sagt er nach einer Weile leise und macht sich behutsam von mir los. „Ich mach dir erst mal einen Tee.“

Widerstandslos lasse ich mich in die Küche führen und auf die Couch nötigen. Mein Kopf ist wie ausgebrannt und tut ein bisschen weh. Ich fühle mich völlig ausgelaugt und starre dumpf vor mich hin.

Friedrich stellt eine dampfende Teekanne und zwei Tassen auf den Tisch und lässt sich neben mir auf der Couch nieder. Er füllt die Tassen und schiebt mir eine davon zu. „Hier.“

„Danke“, schniefe ich leise und trinke ein paar Schlucke. Dann wage ich es, den Kopf zu heben und ihn anzusehen.

Friedrich wirkt ernst. In seinen Augen spiegelt sich noch immer ein wenig Besorgnis. Ich hab ihm vorhin bestimmt einen ganz schönen Schrecken eingejagt. „Besser?“ will er ruhig wissen.

„Hm.“

Er sieht mich nachdenklich an. „Willst du - darüber reden?“

Ich zucke mit den Schultern und starre in meine Teetasse. „Das ist... nicht so einfach.“ Und das ist maßlos untertrieben.

„Du musst nicht.“

Ich weiß. Ach, Scheiße. „Ich mag dich“, erkläre ich zögernd.

„Das ist doch nicht schlimm.“

Ich hebe den Kopf und sehe ihn verwirrt an. Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen, und seine Augen ruhen aufmerksam auf mir. „Ich meine das ernst!“ fahre ich ihn aufgebracht an. „Scheiße, Friedrich, ich hab mich in dich verliebt, und du Arschloch hast nichts Besseres zu tun, als mich zu verarschen!“ Ich bin ziemlich wütend und würde mich gern noch weiter auslassen, aber Friedrich unterbricht mich, indem er mir einfach die Hand auf den Mund legt.

„Tut mir leid“, erklärt er nachdrücklich und lächelt zaghaft. „Darf ich dich küssen?“

Eigentlich wollte ich ihn gerade in die Hand beißen, aber daraus wird nun nichts. Stattdessen spüre ich plötzlich seine weichen Lippen auf meinem Mund, und meine Entrüstung löst sich schlagartig in Rauch auf. Wir küssen uns ungefähr zweitausend Stunden, dann geht mir die Luft aus.

„Pause“, röchle ich, und Friedrich kriegt sich gar nicht mehr ein.

„Du kannst doch durch die Nase weiteratmen“, erklärt er kichernd.

Nase? Ach ja, die gibt’s ja auch noch. Ich gebe ihm einen leichten Stüber auf die seine.

„Moritz...“ Friedrich sieht mich mit glänzenden Augen an, und in meinem Magen steigen ganze Schwärme von Schmetterlingen auf. Himmel, auf was hab ich mich da bloß eingelassen?

Ich strecke die Hand aus und streiche ihm sanft über den Nasenrücken, ziehe mit den Fingerkuppen seine Augenbrauen nach, fahre ihm vorsichtig durch die dichten Locken. „Ich hab noch was für dich“, fällt mir plötzlich ein. Ich hole die CD, die immer noch in meiner Jackentasche steckte, und setze mich wieder zu ihm auf die Couch.

„E-lä-ke-läi-set“, buchstabiert Friedrich. „Was ist das denn?“

„Musik“, erkläre ich harmlos.

„Ach nee...“ Er dreht die CD etwas ratlos in den Händen. Auch die Titel scheinen ihm nicht weiterzuhelfen. „Hy... Hyljätyn humppa...?“

„Das ist finnisch“, füge ich hinzu. Friedrich hat wirklich keine Ahnung, was das für Musik ist. Und er sieht hinreißend aus, wenn er verwirrt ist...

„Aha.“ Er blickt auf und lächelt. „Danke.“

„Du weißt doch noch gar nicht, ob sich das Danken lohnt“, gebe ich zu bedenken.

„Es lohnt sich“, erklärt er bestimmt und sieht mich mit einem Blick an, von dem ich ganz weiche Knie bekomme.

„Scheiße, ich muss wirklich nach Hause!“ Zufällig ist mein Blick auf den Wecker im Küchenregal gefallen: Es ist kurz vor eins; meine Eltern werden mich lynchen. Und dabei will ich hier nicht weg; ich will Friedrich angucken, mit einem dämlich-entrückten Grinsen im Gesicht, will ihn berühren, ihn küssen, jetzt, heute, morgen, immer.

„Da kann man wohl nichts machen...“ Friedrich erhebt sich von der Couch und zieht mich ebenfalls hoch. „Schade.“ Er bringt mich zur Tür, und wir stehen noch ungefähr zwei Jahre in seinem Flur herum, weil ich mich nicht loseisen kann. Schließlich reiße ich mich aber doch los und rase die Treppen hinunter. Der Himmel ist tiefblau, die Sonne scheint, die Stare singen; das Wetter ist umgeschlagen, es regnet in Strömen, und ich werde nass bis auf die Haut, bevor ich zu Hause ankomme, aber das interessiert mich einen Scheiß. Auch die Vorwürfe meiner Eltern - „Du hättest doch mal anrufen können! Wir haben uns Sorgen gemacht, es passiert doch heutzutage so viel!“ - prallen an mir und meinem Dauergrinsen ab. Sie halten mich wahrscheinlich für völlig durch geknallt oder vermuten irgendwelche seltsamen Drogen, als ich fröhlich vor mich hin summend in meinem Zimmer verschwinde.


Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich noch mal für ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen, aber daraus ist dann nichts geworden. Viel zu viele Gedanken purzelten wild durch meinen Kopf. Ich bin verliebt, verdammte Scheiße, und das auch noch in Friedrich! Bestimmt liegt das an dem Zeug, das mir dieser Cowboy-Wichser gestern ins Bier getan hat. Nebenwirkungen oder so. Normal ist das doch nicht, oder? Aber andererseits... Es fühlt sich so richtig an. Friedrich zu küssen, das war - ganz unbeschreiblich... Wie Brausepulver und angetrunken sein und heiße Schokolade und Kettenkarussellfahren, und zwar alles auf einmal und durcheinander und gleichzeitig. Und dann auch wieder ganz anders. Was um alles in der Welt ist da bloß schiefgelaufen? Ich meine, ich bin doch nicht schwul! Nie und nimmer, ganz bestimmt nicht, nein. Aber trotzdem kriege ich ein ganz wohliges Kribbeln im Magen, wenn ich nur an Friedrich denke... Und ich muss blöderweise ständig an ihn denken... Kacke. Wahrscheinlich bin ich schon reif für die Klapse. Bei diesem Endorphinüberschuß muss ja irgendwo eine Sicherung durchbrennen.

Ich liege auf meinem Bett und denke an Friedrichs dunkle Augen, stelle mir vor, mit meinen Fingern durch seine dichten Locken zu streichen, denke an seinen schönen Körper, an die schmalen Hüften... - und bin total erregt. Scheiße. Das ist ein ziemlich eindeutiges Zeichen. Ich steh tatsächlich auf Friedrich, psychisch und physisch. Sehr merkwürdig. Und trotzdem auch interessant. Irgendwie...


Jemand klopft an meine Tür. Offenbar muss ich doch noch eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffne, ist es bereits dämmrig im Zimmer.

„Bist du wach?“ Mein Vater steht im Türrahmen. „Da ist jemand für dich am Telefon.“ Er reicht mir den Hörer des Schnurlostelefons und verschwindet wieder.

„Hallo?“ Wer ruft mich denn an einem Samstagabend an?

„Ich bin’s.“ Friedrichs Stimme klingt ungewöhnlich unsicher, was aber der Wirkung auf mich keinen Abbruch tut: Ich zerfließe sofort zu Wachs und möchte den Telefonhörer am liebsten auffressen vor lauter Zuneigung. Ja, schon gut, es hat mich wirklich erwischt. „Wie geht’s dir?“

„Gut. Ich hab noch ein bisschen geschlafen.“ Das wird ihn bestimmt brennend interessieren... Gott, was erzähle ich bloß für einen Müll...?

„Sag mal...“, beginnt Friedrich zögernd, bricht aber gleich wieder ab.

Ich lausche angestrengt in den Hörer. Ist er noch dran? Doch, wenn ich mich konzentriere, kann ich seine Atemzüge hören.

„Moritz...?“

„Hm...?“ Was hat er denn bloß? Lauter schreckliche Vorahnungen schießen mir durch den Kopf. Vielleicht will er mir sagen, dass das vorhin alles Quatsch war? Dass ich ihm nichts bedeute? Dass er nur ein bisschen mit mir gespielt hat? Mir wird gleich ganz schlecht.

Ich höre, wie er tief durchatmet, und erwarte angespannt den Schlag.

„Moritz, ich... Ich vermisse dich.“

Hä? Das ist doch - nicht schlimm, oder?

„Und ich wollte nur wissen, ob du..., ob dir das ernst war, vorhin. Weil...“ Friedrich schluckt. „Weil ich glaube, ich hab mich wirklich sehr ernsthaft in dich verliebt...“

Mir fallen erst einmal ein paar tonnenschwere Steine vom Herzen. Und gleichzeitig bin ich zutiefst gerührt. „Friedrich?“

„Ja...?“ Seine Stimme klingt, als wäre er schon am Boden zerstört.

„Wenn du jetzt hier wärst, würde ich dich in den Arm nehmen.“ Zugegeben, das klang jetzt verdammt kitschig, aber Friedrich so verunsichert zu erleben, erfordert starke Gegenmaßnahmen. „Soll ich rüberkommen?“


Friedrich erwartet mich im Türrahmen, zieht mich wortlos in die Wohnung, wirft die Tür achtlos zu, drückt mich an die Korridorwand und küsst mich so heftig, dass mir fast die Luft wegbleibt. Seine Hände pellen mich ganz nebenbei aus meinem Parka und schieben sich dann unter mein T-Shirt. Eine Welle der Erregung erfasst meinen Körper; meine Nackenhärchen stellen sich auf, von anderen Körperteilen mal ganz abgesehen. Auch meine Hände begeben sich auf Wanderschaft, erkunden den fremden Körper. Ich streiche Friedrich über den Rücken, umfasse seinen Hinterkopf, und meine Finger ertrinken in seinen dichten, weichen Locken. Dann lasse ich die Hände wieder nach unten über den Rücken gleiten, stoße an den Hosenbund und versenke sie zwischen Stoff und Haut.

Friedrich stöhnt leise auf und drängt sich noch näher an mich - wenn das überhaupt möglich ist. Seine Zunge versucht derweil, sich mit der meinen zu verknoten. Als sich unsere Lippen endlich voneinander lösen, ringe ich erschöpft nach Atem.

„Ich will dich“, raunt Friedrich in mein Ohr.


Ich weiß nicht, wie wir zum Bett gekommen sind, aber irgendwie schaffen wir es, uns dabei bereits Shirt und Pullover auszuziehen. Friedrich schubst mich rückwärts auf die Matratze und widmet sich meiner Hose. Der Gürtel ergibt sich fast kampflos, und Friedrich hält einen Moment inne, um mir einen prüfenden Blick zuzuwerfen.

„Ich möchte nichts tun, was du nicht auch willst“, erklärt er ernst und beugt sich über mich, um mich zu küssen.

Ich schlinge meine Arme um ihn, ziehe ihn eng an mich.

Später liegen wir nackt, verschwitzt und völlig ausgelaugt nebeneinander, und ich kann immer noch nicht wirklich fassen, was da gerade abgegangen ist. Friedrich hat versucht, sich zurückzuhalten, das habe ich deutlich gemerkt. Genutzt hat es nicht viel: Wir waren beide viel zu erregt, und dann gab es kein Halten mehr. So etwas habe ich bisher noch nie erlebt. Ich bin mir sicher, dass ich wenigstens für einen Sekundenbruchteil bewusstlos geworden bin; es war einfach unglaublich.

„Hab ich dir wehgetan?“ dringt Friedrichs besorgte Stimme leise an mein Ohr. Er hat sich auf die Seite gedreht und einen Arm um mich gelegt.

„Ein bisschen“, gebe ich zu.

„Entschuldige, das wollte ich wirklich nicht“, murmelt er reumütig und legt seinen Kopf auf meine Brust.

Ich kraule ihm beruhigend die dichten Locken. Das alles kommt mir immer noch irgendwie sehr irreal vor: Habe ich nicht gestern noch vehement behauptet, nicht schwul zu sein? Und gerade eben habe ich mich ziemlich deutlich vom Gegenteil überzeugen können. Oder doch nicht? Bin ich schwul, nur weil ich auf Friedrich abfahre?

„Bin ich eigentlich schwul?“

„Hm...?“ Friedrich hebt den Kopf und sieht mich ein wenig verwirrt an. Ganz offensichtlich hat er nicht mit einer derartigen Frage gerechnet, trotzdem macht er sich die Mühe, meinen Gedankengängen zu folgen. „Wie meinst du das jetzt?“

„Na ja, ich weiß, dass ich auf dich stehe“, erkläre ich und verschränke die Arme hinter dem Kopf. „Aber ich glaube nicht, dass ich auch auf andere Typen stehe.“

„Das ist doch gut“, grinst Friedrich. „Wieso solltest du auch irgendwelchen anderen Mackern nachrennen, wenn du doch mich hast?“

Von sich eingenommen ist er wohl gar nicht? Ich bemühe mich, böse zu gucken. „Du weißt genau, was ich meine.“

Friedrich reibt seinen Kopf an meiner Brust. „Ist das denn wichtig?“, schnurrt er und versucht, mich in den Hals zu beißen. Also doch ein Blutsauger, ich hab’s ja gleich gewusst. Und werde schon wieder ganz scharf. So kann man doch beim besten Willen nicht ernsthaft diskutieren! Stattdessen knutschen wir erst einmal mindestens drei Jahre lang wild herum; auch gut.


„Wollen wir noch ausgehen?“ will Friedrich wissen, als wir etwas später - wieder sittsam bekleidet - in der Küche sitzen und Tee trinken. Eine halbe Packung Nougatschokolade hat er auch noch auftreiben können, und nachdem wir festgestellt haben, dass wir beide Nougat wirklich sehr mögen, ist inzwischen nur noch ein einzelnes Stück übrig.

„Ausgehen?“ Wirklich begeistert bin ich nicht. Andererseits hätte ich Friedrich an meiner Seite, und zusammen lassen sich bestimmt auch mögliche Vollidioten ertragen. „Wohin denn?“

Friedrich sieht mich treuherzig an. „Ich dachte an den Drachen...“

Wieso hab ich mir das fast denken können? Ich setze erst einmal einen finsteren Blick auf und tippe mir mit dem Zeigefinger an die Stirn.

„Ach, komm schon! Du hattest nur einen schlechten Start; normalerweise ist es wirklich nett da.“

Schlechter Start? Das ist ja wohl maßlos untertrieben! „Vergiss es.“

„Aber warum denn nicht? Ich übernehme diesmal auch deinen Eintritt.“ Friedrich lächelt gewinnend.

Mich überzeugt er noch lange nicht. „Und wenn dieser Wichser wieder auftaucht?“ Wahrscheinlich würde ich ihm die Fresse polieren, und auf diesen Stress habe ich heute Abend wirklich keinen Bock.

Friedrich schüttelt den Kopf. „Der taucht da nicht mehr auf“, erklärt er bestimmt. „Das habe ich ihm ziemlich deutlich eingetrichtert. Außerdem hat er Hausverbot bekommen.“

Ich scheine gestern ja eine ganze Menge verpasst zu haben...

„Moritz, ich mag den Drachen.“ Friedrich sieht mich mit seinen dunklen Augen ernst an. „Ich gehe da gern hin, und ich würde mich wirklich freuen, wenn du mitkommen würdest.“

Scheiße, wenn er mich so ankuckt, werde ich ganz weich.

„Bitte.“ Friedrich merkt, dass er gewonnen hat, und muss lächeln. Dann beugt er sich zu mir herüber und küsst mich, dass mir fast die Luft wegbleibt.

„Aber dafür gehört das hier mir“, japste ich, nachdem er mich losgelassen hat, und greife nach dem letzten Schokoladenstückchen.


Schön, da sind wir also im Drachen. Sieht noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Selbst das Publikum unterscheidet sich nur graduell vom gestrigen; ich erkenne zwei Edelpunkerinnen wieder. Auch die tanzende Frau mit den Rastazöpfen, die ihr bis zur Taille reichen, war gestern schon hier. Der Cowboy-Wichser hingegen ist tatsächlich nicht zu sehen, was mich dennoch nicht wirklich beruhigt.

Friedrich steuert zielstrebig auf den Tresen zu und winkt den jungen Barkeeper heran, der dort bedient. „Eine Frage: Ist hier heute schon so ein Typ aufgetaucht - Durchschnittsvisage, Jeans, dämlicher Cowboyhut?“

Der Tresenheini grinst. „Ach, du meinst die Nervensäge? - Oh, sorry...“ Mit ganz eindeutig - und dazu noch schlecht - gespieltem Erschrecken hält er sich die Hand vor den Mund. „Wenn das ein Kumpel von dir ist“, fährt er dann fort, wobei er Friedrich mit einem Blick mustert, für den ich ihn am liebsten vierteilen möchte, „sollte ich ihn wohl lieber nicht beleidigen.“

Der soll aufhören, Friedrich so anzuhimmeln; das ist ja schon peinlich!

„Keine Sorge, der Typ ist nicht nur eine Nervensäge, er ist auch ein ganz mieses Schwein“, gibt Friedrich gelassen zurück. „Außerdem hat er hier seit gestern Hausverbot. Du hast ihn also nicht gesehen?“

„Nein, und wenn er auftauchen sollte, schmeiß ich ihn natürlich raus“, erklärt der Barkeeper und fährt dabei ungeniert fort, mit Friedrich zu flirten. Ich bin nur ein ganz klein bisschen eifersüchtig und beschließe, dieser Tresenschlampe bei nächster Gelegenheit den Schädel einzuschlagen.

„Gut.“ Friedrich nickt zufrieden und wendet seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. „Siehst du, alles in Ordnung.“ Offenbar bemerkt er jetzt erst meinen finsteren Gesichtsausdruck, denn er legt mir eine Hand auf die Schulter und sieht mich mit einem forschenden Blick an. „Was ist los?“ will er wissen.

„Nichts“, knurre ich und schüttle seine Hand ab.

Friedrich ist ein lebendes Fragezeichen. „Was hast du denn? Das Arschloch taucht hier schon nicht auf...“

„Das hab ich gehört“, unterbreche ich ihn gereizt und werfe einen grimmigen Blick zum Tresen hin.

„Sag mal, Moritz...“ Friedrich kratzt sich nachdenklich hinter dem linken Ohr. „Kann es sein, dass du eifersüchtig bist?“

Auf diesen popligen Tresenarsch etwa? Und wenn schon. „Nicht die Bohne.“

„Ganz eindeutig.“ Friedrich muss grinsen. „Scheiße, du bist wirklich süß.“ Er greift nach meiner Hand und zieht mich trotz Protest hinter sich her zur Tanzfläche. „Du hast keinen Grund dazu“, erklärt er und muss mir dabei fast ins Ohr brüllen, weil die Musik so laut ist. „Ich liebe dich, Moritz. Dich!“

Und dann lacht er und küsst mich vor all den Leuten, und ich kann gar nicht anders als ihn auch küssen und weiß, dass er ja verdammt nochmal recht hat und ich doof bin. Das sage ich ihm auch, und dann gehen wir beide ziemlich ab und tanzen und hüpfen herum wie die Besengten, aber alle um uns herum tun auch nicht viel anderes. Und zwischendurch holen wir uns ein Bier und später noch eins, weil wir auf Malatesta trinken müssen, und dann noch eins wegen der Doors. Und nachdem Janis gerade von sich und Bobby McGee gesungen hat, greift Friedrich wieder nach meiner Hand und sieht mich mit diesem Blick an, der die Schmetterlinge in meinem Bauch dazu bringt, Saltos zu schlagen. Dann muss er lächeln und zieht mich einfach mit sich, stellt im Vorübergehen achtlos sein leeres Bierglas auf dem Tresen ab, und ehe ich mich versehe, schließt sich die Tür mit dem stilisierten schwarzen Männchen darauf hinter uns. Der Raum ist leer; dennoch zieht Friedrich mich in eine der Kabinen und schließt die Tür hinter uns ab.

Ich kann mich in seinen glänzenden Augen spiegeln, und er ist so schön mit seinen verschwitzten Locken und seinem schon etwas zerknautschten, blauen NIL-T-Shirt und so begehrenswert, dass ich am liebsten sofort über ihn herfallen möchte. Das geht natürlich nicht. Stattdessen nehme ich sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn; erst ganz sanft, aber dann immer intensiver und fordernder. Unsere Zungen versuchen vergeblich, sich zu verknoten, und längst haben wir unsere Hände überall. Nach einer Weile macht Friedrich sich behutsam los. Er lächelt, während er nach Atmen ringt, und seine Augen funkeln. Erneut umarmt er mich, drückt mich mit dem Rücken gegen die Wand, küsst meinen Hals und arbeitet sich langsam weiter nach unten vor. Seine Hände streichen über meine Brust, schieben das Shirt hoch. Ich habe die Augen geschlossen und spüre seine Lippen auf meinem Bauch; seine Zunge umkreist den Bauchnabel, und ich zucke kurz zurück, als sich seine Hände an meiner Hose zu schaffen machen.

„Entspann dich“, murmelt Friedrich beruhigend.

Das sagt der so einfach! Ich presse meinen Hinterkopf gegen die Wand und beiße mir auf die Unterlippe, um nicht laut aufzustöhnen, als er anfängt, mir einen zu blasen. Viel zu schnell komme ich, was mir ziemlich peinlich ist. Friedrich scheint kein großes Problem damit zu haben. Er blinzelt nur ein bisschen spöttisch, als wir wieder auf Augenhöhe sind; trotzdem werde ich rot.

„Ach Moritz.“ Er streicht mir durchs Haar. Dann schmiegt er sich an mich, küsst mich auf den Mund, und ich umarme ihn, drücke ihn an mich, will ihn nicht mehr loslassen. Ich liebe Friedrich. Ich liebe Friedrich!


Der Hippie am Pinkelbecken guckt ein bisschen komisch, als wir die Kabine verlassen, aber Friedrich kümmert sich nicht darum, und mir ist es auch egal. Stattdessen greife ich nach meinem noch halbvollen Bierglas, das ich auf dem Waschbeckenrand deponiert hatte, und leere es in einem langen durstigen Zug. Am Tresen holen wir uns Nachschub, und ich kann es nicht lassen, Friedrich ganz demonstrativ zu küssen, als der Barkeeper uns die vollen Gläser hinstellt.

Friedrich muss kichern und versucht, mir in die Zunge zu beißen. „Du bist ganz schön fies“, grinst er, aber da sind wir schon auf dem Weg zur Tanzfläche, wo wir weitertanzen und hüpfen und Bier trinken, bis schließlich morgens um halb vier der DJ die letzte Platte auflegt und uns mit einem entspannten Komm schlaf bei mir in den Sonntag entlässt.


Es ist noch dunkel draußen, und in der Stille dröhnt es noch lange in unseren Ohren. Hand in Hand laufen wir die leeren Straßen hinunter, bis uns ein herrenloser Einkaufswagen im Weg steht. Friedrich ist schneller, und so muss ich schieben, während er es sich darin bequem macht und seine langen Beine über den Rand baumeln lässt.

Mit der Stille ist es nun vorbei. Selbst auf dem flach gepflasterten Bürgersteig macht der Wagen einen Heidenlärm. Komischerweise scheint das aber niemanden zu stören. Entweder haben die Anwohner alle einen sehr festen Schlaf, oder sie sind das gewöhnt - die Rigaer Straße ist schließlich nicht weit entfernt.

„Schneller!“, ruft Friedrich, und ich trabe gehorsam an. Es klingt, als würde eine ganze Ritterhorde in voller Rüstung einen steinigen Abhang herunter rollen. Irgendwo schlägt ein Hund an, und jetzt werden doch ein paar Fenster hell. Ich lege also noch einen Zahn zu.

Friedrich quietscht erschrocken, als wir um eine Ecke biegen und der Wagen gefährlich ins Schlingern gerät. „Willst du mich umbringen?“, japst er und klammert sich mit beiden Händen an den Seitenwänden des Einkaufswagens fest.

An der Frankfurter Allee lassen wir den Wagen stehen.

„Kommst du mit zu mir?“ will Friedrich wissen. Er tut natürlich ganz beiläufig und blinzelt mit Unschuldsmiene ins Licht der Straßenlaternen.

Dabei weiß ich genau, was er vorhat. „Du willst mich ja bloß vögeln“, maule ich.

Prompt verschluckt er sich an seiner eigenen Spucke. „Ich wusste gar nicht“, röchelt er, während ich ihm hilfsbereit auf den Rücken klopfe, „dass du so vulgäres Vokabular benutzt.“

Ich zucke mit den Schultern. „Aber ich habe recht, oder?“

Friedrich hat sich ausgehustet. Er legt den Kopf ein wenig schief und grinst mich aufmerksam an. „Und? Käme dir das ungelegen?“

Ich grinse zurück. „Eigentlich nicht.“

Sonntag

Das beste am Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz ist, dass er seine Öffnungszeiten den Schlafgewohnheiten seiner Anwohner und Besucher angepasst hat: Erst ab zehn Uhr morgens wird hier aufgebaut, und vor elf ist noch nicht wirklich viel los. Dafür geht der Markt aber auch bis in den frühen Abend. Erst um sechs ist Schluss.

So haben Friedrich und ich auch noch nicht viel verpasst, als wir den Platz gegen eins betreten.

Ich hätte ja nichts dagegen gehabt, noch länger im Bett zu verweilen, aber Friedrich muss ja unbedingt nach Klamotten gucken... Dabei war es wirklich schön, nicht allein aufzuwachen und ganz entspannt den Vormittag zu vertrödeln. Wir haben zum Wachwerden den Traumzauberbaum gehört und konnten uns danach erst recht nicht entschließen, aufzustehen. Also mussten wir im Bett frühstücken und natürlich alles vollkrümeln. Und wie Friedrich noch so verschlafen und zerknautscht in seinem komischen Hippie-Pyjama (Ich meine, in dem Teil hätte er ohne Probleme in Woodstock nächtigen können - es besteht aus ungefähr fünftausend bunten Flicken, die jemand im LSD-Rausch zusammengenäht haben muss. Aber Friedrich meint, das Teil sei bequem. Und man kann es schnell ausziehen.) vor mir saß, mit seinen nunmehr leeren Teller auf den gekreuzten Beinen und der Kaffeetasse in der Hand, da konnte ich einfach nicht anders und musste erst einmal ein bisschen über ihn herfallen.

„Guck mal, der ist doch toll, oder?“ Friedrich pflückt zielsicher einen schwarzen Wollmantel von der Kleiderstange und sieht mich begeistert an.

„Das ist ein Kutschermantel“, erklärt der Flohmarkthändler. „Hab ich vor Jahren mal in New York gekauft, aber ich passe schon lange nicht mehr rein.“

Friedrich passt er dafür umso besser, und ich weiß plötzlich wieder, woran mich das Teil erinnert: In der Hair-Verfilmung von 1979 trägt Hud so einen Mantel. Und so langsam keimt in mir der Verdacht, dass Friedrich in Wirklichkeit gar kein verkappter Gruftie, sondern doch ein verkappter Hippie ist. Selbst wenn er das nicht zugeben wird - allein sein Pyjama hat ihn schon verraten. Den hat er bestimmt auch von irgendeinem Flohmarkt.

Inzwischen feilscht Friedrich mit dem Händler um den Preis für den Mantel, schlägt noch zwei dunkelrote Shirts heraus und zahlt letztlich für alles zusammen schlappe zwanzig Euro. Zufrieden schlendern wir weiter. In einem großen Rund um den eigentlichen Platz herum wird hier so ziemlich alles angeboten, was man sich vorstellen kann. Alte Kommoden und kaputte Schaukelpferde, DDR-Eierbecher und bunte Rucksäcke, selbstgeschneiderte Hosen und abgepackte Zimtlatschen, ausgefallene Lampen und rostige Hufeisen. Stände mit Pfannen, Schallplatten, Plakaten, Nippes und Gemälden reihen sich einträchtig aneinander, dazwischen Handy-Ladegeräte, Bücher und ausrangiertes Spielzeug. In der Mitte des Platzes, zwischen Liegewiese und Spielplatz, haben sich drei Musiker postiert, die ihrem Publikum mit Dudelsack, Trommel und Schellenring einheizen. Die Stimmung ist entspannt, der Markt - seit Jahren ein Touristenmagnet - gut besucht.

Friedrich wird noch an zwei Bücherständen fündig, und ich kann mich lange nicht von einem Stand mit Fotografien losreißen. Ein Motiv hat es mir besonders angetan: Durch ein Loch in einem Tuch, das als Demo-Transparent erkennbar ist, sieht man den Turm des Roten Rathauses, in dem der Berliner Senat beheimatet ist. Mein Budget reicht dann zwar doch nur für eine Postkartenversion des Bildes, aber immerhin.


„Ich glaube, ich muss mich langsam mal wieder zu Hause sehen lassen“, merke ich an, als wir uns nach erfolgreicher Umrundung des Marktes im Teehäuschen mit einem Kaffee stärken.

„Hm.“ Friedrich nippt an seiner Tasse. „Jetzt schon?“ Die Finger seiner linken Hand haben sich mit denen meiner rechten Hand verknotet. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er mich nicht gehen lassen will.

Und eigentlich will ich auch gar nicht gehen. Ob meine Eltern ein Problem damit haben, wenn ich sie anrufe und ihnen mitteile, dass ich jetzt sofort bei Friedrich einziehe? Nein, Quatsch, das geht natürlich nicht. Seine Wohnung ist ja leider viel zu klein für zwei. Dass wir uns erst seit einer Woche kennen und meine Eltern überhaupt keine Ahnung davon haben, dass ich auf Friedrich stehe, ist erst einmal zweitrangig. Ich muss ihn bloß ansehen, und all diese Nebenwidersprüche lösen sich in Rauch auf. Ach ja, und küssen muss ihn auch gleich mal. Gut, dass wir hier in der Ecke ein wenig unbeobachtet sitzen. Obwohl ich glaube, dass es mir im Moment völlig egal wäre, ob uns jemand beobachtet oder nicht. Schon komisch, was so ein paar Glückshormone mit einem anstellen können.

„Sag mal...“ Friedrich zeichnet mit seinem rechten Zeigefinger die Holzmaserung auf dem Tisch nach. „Was machen wir eigentlich morgen?“

Mir fallen natürlich sofort viele schmutzige Sachen ein - und ihm offenbar auch, denn er muss grinsen, als er den Blick hebt.

„Das meine ich nicht. Ich meine, wie verhalten wir uns in der Schule?“

Ähm... Schule? Die nächsten Nebenwidersprüche springen aus dem Straßengraben, in dem sie gelauert haben, und bauen sich drohend vor mir auf. Mir wird ein wenig mulmig.

Friedrich beobachtet mich aufmerksam. „Wir können natürlich so tun, als sei nichts gewesen. Weitermachen, wie bisher. Nur für die anderen, natürlich.“

Natürlich. Friedrich verleugnen. Mich verleugnen. Das wäre einfach. Das wäre feige. Verdammte Kacke. Wieso muss ich eigentlich in letzter Zeit ständig so schwerwiegende Entscheidungen treffen?

„Ich kann verstehen, dass du Angst hast“, erklärt Friedrich leise. „Und ich kann verstehen, dass du nichts überstürzen willst. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich deine Entscheidung akzeptieren werde - egal, wie sie ausfällt. Versprochen.“

In meinem Kopf versuchen die widersprüchlichsten Gedanken gerade, sich gegenseitig die Rübe einzuschlagen. Viel zu viel wirbelt durcheinander, und ich habe keine Chance, klar und rational nachzudenken. Alles, was mir bleibt, ist ein diffuses Gefühl, dass mir zu sagen versucht, dass Friedrich so ziemlich das Beste ist, was mir mein Leben zu bieten hat. Dass ich meine Gefühle für ihn nicht verheimlichen will. Weil ich ihn verdammt noch mal liebe. Und dass alles andere wirklich scheißegal ist. Und das sage ich ihm auch.

Friedrich nippt ein bisschen verlegen an seinem Kaffee. „Das heißt also, kein Verstecken?“ fragt er dann doch noch einmal nach. „Und was machen wir mit Arschlöchern wie Jochen und Olaf?“

„Die können mich mal“, knurre ich. „Außerdem - hast du nicht gesagt, wir hätten mehr Unterstützung, als du dachtest? Die Mädchen zum Beispiel? Und überhaupt sind wir zu zweit. Wenn die uns blöd kommen, machen wir Hackepeter aus denen. Du hast doch scheinbar Freitagabend schon gezeigt, dass du was davon verstehst.“

„Hm.“ Friedrich zieht es vor, sich dazu nicht weiter zu äußern. Er schiebt seine inzwischen leere Kaffeetasse von sich und sieht mich an. „Soll ich dich noch nach Hause bringen?"

Ich tue furchtbar entsetzt: „Bist du verrückt? Was, wenn meine Eltern uns zusammen sehen?“

„Dann“, erklärt Friedrich ruhig, „kannst du immer noch bei mir einziehen.“

Und ich merke, dass er das genau so meint. Habe ich erwähnt, dass ich diesen Menschen liebe?

Montag

Dreiviertel acht betreten wir den Schulhof. Ich habe Friedrich von zu Hause abgeholt, und auf dem Weg zur Schule haben wir noch einmal abgeklärt, wie wir uns verhalten wollen. Zugegeben, ich hab die halbe Nacht wachgelegen und alles noch einmal durchdacht, aber letztlich bin ich dabei geblieben. Ich stehe zu Friedrich. Ich liebe ihn, er liebt mich. Wem das nicht passt, der hat Pech. Natürlich hab ich auch ein bisschen Angst... Ach Scheiße, ich hab eine ganze Menge Angst. Aber ich hoffe auf den gesunden Menschenverstand unserer Mitschüler. Und vor allem auf die Mädchen.

Wir laufen so dicht nebeneinander, dass es niemandem auffällt, als Friedrich nach meiner Hand greift und sie kurz und ermutigend drückt.

„Morgen, ihr beiden!“

Ich fahre erschrocken zusammen und lasse Friedrich sofort los, als Renate so plötzlich von hinten angeschossen kommt und mir freundschaftlich mit der flachen Hand auf den Rücken schlägt.

„Wie geht's? Alles in Ordnung?“

Unter Renates Blick werde ich unruhig. Friedrich hingegen bleibt völlig gelassen. „Danke, alles bestens.“

Während wir in Richtung Schultür gehen, trudeln noch mehr unserer Mitschüler ein. Sybille streitet mit Melanie über den gestrigen Fernseh-Tatort und hält nur kurz inne, um Peter nachzusehen, der uns mit einem aufmunternden Gruß auf der Treppe überholt. Ich stapfe kleinlaut neben Friedrich die Stufen hinauf und halte mich für feige. Soviel also zum Thema: Ich stehe zu meinen Gefühlen? Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe herum und starre vorübergehend auf meine Füße, die gehorsam Stufe um Stufe erklimmen. Gut, dass wir Mathe in der vierten Etage haben. So bleibt mir genügend Zeit, Friedrichs Hand eingehend zu studieren, die sich, da er mir einen Schritt voraus ist, knapp vor mir befindet. Dann greife ich vorsichtig danach. Ich spüre sein kurzes Erstaunen und wie sich seine Finger dann fest um meine schließen. Als er mir einen kurzen Seitenblick zuwirft, kann ich ein Strahlen in seinen Augen sehen.


Plötzlich beschleunigt er seine Schritte, sprintet die letzten Stufen hinauf und zieht mich einfach mit sich. Es folgt ein kurzer Schwenk nach links in den Gang hinein, und schon stehen wir vor dem Matheraum. Durch den unerwarteten Schwung wäre ich beinahe daran vorbeigestolpert, aber Friedrich hält meine Hand fest. Dass er jetzt die Aufmerksamkeit so ziemlich aller Schüler auf dem Flur auf uns gelenkt hat, scheint ihm ziemlich egal zu sein. Eigentlich würde ich ihm deswegen gern ein bisschen den Kopf waschen, aber unter seinem versonnenen Blick verraucht mein Ärger sofort. Stattdessen wirbeln schon wieder Schmetterlinge in meinem Magen herum, und ich merke, dass sich ein Honigkuchenpferdegrinsen auf meinem Gesicht breitmacht. Und wer hat eigentlich diese kitschigen Seifenblasenherzen bestellt, die hier gerade in Massen durch den Flur trudeln?

„Ähm, Moment“, holt mich Melanies Stimme wieder in die Realität zurück. „Läuft hier gerade das, von dem ich glaube, dass es hier abläuft?“

Hä? Gut, ich bin offenbar nicht der einzige mit Realitätsverlust. Was hat sie gesagt?

Unser Mathekurs scheint blöderweise nicht so begriffsstutzig zu sein wie ich.

„Heißt das, ihr seid zusammen?“ Peter, den der Trubel vor dem Klassenzimmer auf den Flur gelockt hat, grinst uns fröhlich an.

Friedrich grinst zurück, und ich sehe endlich wieder durch.

Moritz, alter Freund, sage ich mir, Augen zu und durch. „Das ist nämlich so... Damit ihr es wisst“, setze ich zu meiner großartigen Offenbarung an: „Ja, ich bin schwul, und...“

„Ach, das wussten wir doch schon“, unterbricht mich Peter abwinkend und bringt mich damit völlig aus dem Konzept.

„Äh, schön...“ versuche ich einzuwenden, „aber das kann nicht sein. Ich weiß es doch selber erst seit Samstag...“ Doch natürlich hört mir wieder mal niemand zu.

Stattdessen klopfen uns gefühlte zweitausend Hände wohlwollend und anerkennend auf die Schultern, und alle Mitschüler um uns herum scheinen gleichzeitig das Bedürfnis zu haben, uns etwas Aufmunterndes zu sagen.

Na ja, fast alle. Ein paar finstere Blicke ernten wir, als sich Jochen an der uns umlagernden Gruppe vorbeischiebt und im Klassenzimmer verschwindet, doch das ist mir im Moment wirklich ziemlich egal.

„Schade, ich hatte mir trotz allem noch Hoffnung gemacht.“ Renate, die neben mir steht, sieht mich an und grinst ein bisschen. „Ach, was soll’s. Ich wünsche euch jedenfalls alles Gute. Du weißt, dass ihr immer auf mich zählen könnt.“

„So, Herrschaften, wenn ich Sie nun bitten dürfte, Ihre Gespräche langsam zu beenden und sich in den Klassenraum zu begeben? Es hat bereits geläutet!“ Keiner von uns hat Pummel heranrollen gehört, aber urplötzlich steht er hinter uns und versucht uns, als wären wir ein Haufen Hühner, mit wedelnden Armen in den Raum zu scheuchen. Dabei grinst er wie der Weihnachtsmann. Wahrscheinlich freut er sich schon drauf, uns unsere Testergebnisse bekanntzugeben. „Ach, und Ihnen beiden“, Pummel tippt Friedrich und mir mit schwerem Finger auf die Schulter, als wir den anderen in den Raum folgen wollen, und hält uns dadurch einen Moment zurück, „möchte ich eines noch mit auf den Weg geben.“

Friedrich und ich wechseln einen raschen fragenden Blick.

„Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Durchsetzungsvermögen. Und sollten Sie einmal Ärger bekommen, dann wenden Sie sich ruhig an mich.“ Er grinst immer noch, diesmal aber über unsere erstaunten Gesichter. „Mir entgeht nichts - ich bin schließlich nicht umsonst Vertrauenslehrer. Ach ja - und Sie, Herr Baum, möchte ich noch bitten, Ihrem Freund ein paar Nachhilfestunden in Mathe zu geben. Vom Abschreiben alleine ist bisher leider noch niemand hinter die Geheimnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung gekommen.“ Damit schiebt er uns vollends durch die Tür in den Klassenraum, schreitet gutgelaunt zum Lehrertisch und wendet sich dem Kurs zu. „Guten Morgen, Herrschaften...“

FIN

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