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Auster, Nikigraus und Nuss

Kapitel 1-3

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Inhaltsverzeichnis

1 Austern am Morgen machen Sorgen

Mit betontem Schwung stempelte Bjarne den Antrag einer Nachbarin ab. "So, Frau Mahler, das war es erst einmal. Die neue Hundemarke ist erledigt, die bezahlen sie vorn bei Frau Tschunik an der Kasse."

Die Mahler nickte ernsthaft und erhob sich. Sie musste eine Weile lang ihren Mantel zuknöpfen, das Tuch um die Schultern richten und ihre zahlreichen Taschen aufsammeln. Die Zeit überbrückte sie, indem sie Bjarne und seinem Kollegen Theo wortreich die Neuigkeiten aus der Gemeinde mitteilte, inklusive ihrer eigenen Einschätzung.

Es waren im Endeffekt keinerlei Neuigkeiten. Die Familien im Neubaugebiet vorn raus hatten sich erstaunlich gut eingerichtet. "Einige hatten schon die Weihnachtsbeleuchtung an, bevor der Totensonntag war. Sitten sind das."

Irgendwie konnte Bjarne das verstehen. Es war trübe draußen. Etliche Häuser hatten wegen einer Frostperiode nicht weiter gebaut werden können. Die Straßen waren nicht einmal angefangen. Es gab keine Gärten und bei Regen statt Schnee, Matsch statt glitzerndem Eis. Da musste man sich eben mit Lichtern helfen.

Die Stimme seiner Nachbarin wurde kurzfristig zum Hintergrundgeräusch, während Bjarne seinen Pulli zurecht zupfte und mit den Fingern das Piercing am Kinn berührte. Er überlegte, in den Wortschwall eingehüllt, ob er sich nicht vielleicht doch noch eines machen lassen sollte. Es stand ihm, fand er. Irgendwie wirkte sein Gesicht weniger rund und langweilig damit.

Andererseits war sein Zahnarzt echt anti gewesen und hatte ihm den totalen Vortrag über Entzündungen und so weiter gehalten. Ziemlich abturnend. Der humorlose Arsch war immerhin auch Schuld daran, dass Bjarne sich die Sache mit dem Zungenpiercing noch einmal überlegt hatte.

Als nächstes richtete Bjarne recht erfolglos an seinen Haaren. Das neue Gel taugte nicht für fünf Cent. Er war der Werbung mal wieder voll aufgesessen. Missmutig blickte Bjarne zu seinem Kollegen Theo rüber. Der hatte so nette hellblonde Haare und blaue Augen und eine Sorte weiches, liebes Gesicht, dass der keinen Stress mit Frisur machen brauchte.

Bjarne, mit Wuschelhaaren in einer braunen Nichtfarbe geschlagen, gab hingegen Unsummen für Stylingprodukte aus. Einiges an Geld ging natürlich auch immer mal wieder für seine Ideen im Sinne neuer Farbkreationen drauf. Theos Geschmack in Sachen Frisuren war eindeutig konservativer als Bjarnes. Aber Theo bemerkte man auch so schon. Der fiel mit dem hübschen Gesicht eben auf. Bjarne eben nicht. Einzig tauglich waren seine Augen. Groß und hellbraun, auf treue Hundeart, aber sie waren laut Theo ein Hingucker, wenn er sie mit etwas Kajal zum Ausgehen betonte.

Bjarne nickte zu den Ausführungen der Mahlerschen, ohne hingehört zu haben. Die Weihnachtszeit brach mit dem ersten Advent an diesem Wochenende an. Vielleicht sollte er sich mal wieder tannengrüne Strähnchen machen wie im letzten Jahr? Im Hintergrund ging es bei der Mahlerschen und Theo um die Feuerholzpreise. Fertig gehackt ging das schon an die neunzig Euro, ob der Körber vom Holzhandel zu viel gesoffen habe in diesem Jahr?

Bjarne nickte zustimmend. Zu beidem. Der alte Körber soff seit Jahren zuviel, das wusste jeder. Die Feuerholzpreise waren tatsächlich der Oberhammer. Er war froh, dass er Holz für seinen Ofen bei den Eltern hatte schnorren können. Sein Vater und sein älterer Bruder hatten es ihm sogar vorbei gebracht. Die Mahlersche fühlte sich von seinem wiederholten Nicken bestätigt und fragte etwas zum Hof von Bjarnes Eltern dazwischen.

Er war eigentlich immer froh, wenn er nicht von dem Bauernhof erzählen musste, von dem er stammte, aber gab bereitwillig Auskunft, dass die Sache mit den Biorindern sehr gut lief. Sein Bruder war zufrieden. Die Biogasanlage schien auch ein Hammer zu sein. "Im nächsten Sommer will Claasen den Stall mit Solarzellen aufrüsten."

"Ach, ja diese modernen Sachen sind ja nichts für mich. Grüß mir mal Claasen und seine Frau, wenn du sie besuchst, Bjarne, mein Jung." Er war im nächsten Moment entlassen, die Mahlersche stieß auf Theo nieder und fragte den ganz mies nach seiner Mutter aus.

Bjarne blickte aus dem Fenster zum Grundschulhof hinüber. Zwei ältere Jungs stiefelten draußen in dicken Jacken verpackt vorbei und quatschten. Nichts Ungewöhnliches. Die Gymnasiasten waren dran mit ihren Berufspraktika. Nicht wenige hingen in der Schule ab, weil man da nur einen halben Tag mitmachen musste. Die beiden blieben vor dem Fenster stehen und sahen sogar kurz zu Bjarne rein, der gut ausgeleuchtet wie auf dem Präsentierteller saß.

Hastig wandte er sich wieder der Mahlerschen zu. Die war bei den Preisen für Martinsgänse angekommen. Bjarne wagte einen kleinen Blick zu den Jungs zurück. Die beiden schienen vom Gymnasium auf der anderen Seite zu kommen. Sie waren zwar dick verpackt, ihre Gesichter waren nicht zu erkennen zwischen Mützen und Schals, aber die Größe stimmte, sie wirkten fit. Ob wohl einer von denen... gleich schalte er sich einen Idioten. So allein konnte doch wirklich keiner mehr sein, dass jeder Kerl nun schon in Erwägung gezogen wurde. So ein Scheiß!

Genervt richtete Bjarne seine Aufmerksamkeit auf die mittlerweile immerhin in Tuch, Hut und Mantel verpackte Mahler, die noch immer rumsabbelte. Glück für ihn, dass er aufgepasst hatte, sie brachte eine Frage in ihrem Wortschwall unter. Der Weihnachtsmarkt würde in diesem Jahr am zweiten Adventswochenende um die Kirche herum aufgebaut werden, ob Bjarne wieder bei dem Stand von der Feuerwehr mithelfen würde?

Er nickte dröge. Er war vom neuen Pastor und der Freiwilligen Feuerwehr schon verhaftet und eingeteilt worden. "In diesem Jahr sammeln wir für die Kinderkrebsstation in der Stadt."

Das fand die Mahler sehr lobenswert von Bjarne. Wie gut erzogen er doch war. Es war schon schlimm, was es so für Krankheiten gäbe. Apropos Krankheiten, da war doch schon wieder der Rettungshubschrauber beim Bauern Franzen auf der Wiese gelandet. Ob Bjarne und Theo wussten weswegen? Und die Autobahnauffahrt war um einen Unfall reicher. Wer war das wohl gewesen? Jemand hatte mal wieder den Lack von der Leitplanke gekratzt. "Aber was müssen diese jungen Leute auch immer so rasen."

Theo beantwortete eine SMS und entgegnete mit dem für ihn typischen Humor. "Die Verunfallte geht mit großen Schritten auf die achtzig zu, so jung find ich das nu nich."

"Ach. Sag an, Theo. Ist das etwa die alte Bauer gewesen? Jemand muss ihr den Führerschein wegnehmen! Die kann doch nun wirklich kaum noch was sehen! Wo hab ich nur meine Tasche? So, ich muss jetzt aber wirklich los, ihr Lieben."

Theo nickte grinsend und Bjarne winkte der Mahler hinterher. Erleichtert seufzte er. "Manno, hat die ein Labertempo, da sollte die Polizei mal nachsehen, ob die nicht die gesetzlichen Beschränkungen überschreitet!"

Theo lachte leise. "Apropos Nachsehen. Das hast jetzt ja mal wieder du. Ich hab grad mein Date für das Wochenende klar gemacht!" Er hob sein Handy an.

Bjarne stützte sein Kinn in die Hände und streifte Theo mit einem missmutigen Blick. "Wieder so eine Fickgeschichte?" Theo hatte die magische Verfallsschallmauer der Dreißig bereits vor einigen Jahren überschritten. Irgendwie hinderte ihn das nicht, seinen unsportlichen, wenn auch schlanken Körper in enge Jeans zu stecken, um in der Stadt aufreißen zu gehen. Allerdings war Theo mit wunderschönen blauen Augen, einem total süßen Gesicht und einem niedlichen respektlosen Humor ausgestattet. Außerdem war Theo mutig und ging frei heraus auf die Männer zu, die er interessant fand.

Er und Theo hatten sich ja auch so kennengelernt. In seiner Stammkneipe in der nächsten Stadt. Im Froschprinzen hatte Theo Bjarne, damals war der noch Schüler, mal auf diese süße, nebensächliche Tour angebaggert. Sie waren ins Gespräch gekommen, fanden einander sympathisch, und bevor er es sich versah, hatte Bjarne die Lehrstelle im Kreisamt. Theo war sozusagen in dieser Nacht sein Zukünftiger geworden. Aber nicht Onenighter, wie von Theo kurzfristig überlegt, sondern Freund und Kollege. Nachdenklich betrachtete Bjarne sein Gesicht im Spiegelbild des schwarzen Computerbildschirms.

Er selber war zwar mit seinen zwanzig Jahren noch lange im grünen Bereich, aber Theo, dieser Miesling, schlug ihn immer wieder um Längen, wenn es um das Thema Wochenende ging. Bjarne nahm es Theo nicht übel. Der Kerl war eben nur auf Sex aus und eigentlich war es ihm sogar fast egal, wer ihm den besorgte. Die Hauptsache für Theo daran war, dass wer auch immer es ihm besorgte, am nächsten Morgen Geschichte war. Und zwar eine ohne Epilog und Fortsetzung.

Bjarne selber wünschte sich Sex, keine Frage, aber zugleich wollte er mehr und das war der Haken. Er wollte eben Fortsetzung und Epilog und Spannung und Romantik und eben mehr. Er wollte einen richtigen Freund und nicht nur so einen Fick. Er starrte sich in die braunen Hundeaugen. Treudoof blickten sie ihm unter dem zu lang gewordenen Pony entgegen. 'Ich wünsche mir... zu Weihnachten wünsche ich mir nichts anderes als endlich einen Freund. Wäre toll, wenn ich bis Weihnachten einen süßen Freund finden kann. Ich versprech, ich hänge mich rein. Ich tue alles. Wirklich! Ach, und lieber Weihnachtsmann, nichts für ungut, aber ich meine Weihnachten in diesem Jahr!' Zufrieden sah Bjarne auf den Computerbildschirm.

Zu seiner Überraschung ging der Wunsch vier Sekunden später in Erfüllung. Sein Wunsch schritt im nächsten Augenblick doch tatsächlich einfach so nach kurzem Anklopfen durch die Tür und sah ihn unter einer buntgeringelten Mütze missmutig an. Ein junger Typ mit schlanken Beinen und in megadicker Jacke verstecktem Oberkörper. Sein Gesicht sah interessant aus. Ungewöhnlich hübsch. Hohe Wangenknochen, dazu schmale, sehr dunkle Augen und ein weicher Mund. Ein wenig exotisch, ohne zu krass zu sein. Der Typ schien von einer dieser vorweihnachtlichen Sammelaktionen zu kommen. Er war schlaksig und etwas größer als Bjarne, der sich hastig erhob, um Theo am Tresen zuvor zu kommen.

Mit umständlichen Gesten befreite er sich von den nassen Handschuhen und stellte dann tatsächlich eine Sammeldose auf dem Tresen ab. Er blickte, nachdem er Bjarne einmal angesehen hatte, nur noch stur auf seine Liste. Er sagte vor allem nichts.

"Wofür sammelst du? Für das Tierheim?" Abwartend betrachtete Bjarne sein Gesicht.

Ein knappes Nicken, ein kurzer genervter Blick. Konversation war nicht so seines, das wurde gerade deutlich. Bjarne erhielt ein Infoblatt. Ja. Das Tierheim.

"Okay, da mache ich mit." Bjarne holte sein Portemonnaie, während Theo sein Grinsen hinter dem Kaffeebecher versteckte, auf dem Werbung für den lokalen Videoverleih zu sehen war.

Bjarne gab sein Geld hin und trug sich auf der Liste ein. Die ganze Zeit über versuchte sein Hirn mit einer Art Anmache aufzuwarten. Unverfänglich und zugleich nicht so dämlich. Es gelang ihm nicht. Der Typ sah ihn aber auch nicht wieder an, sondern studierte die Poster an den Wänden. Er trug Jeans und Wanderstiefel, beides von teuren Marken. Also vielleicht ein Söhnchen aus dem Neubaugebiet?

Bjarne holte Luft. "Wohnst du erst seit kurzem hier im Schlehenkamp?"

Der andere hob die Augenbrauen, so dass sie unter der Mütze verschwanden. Schöne zarte Augenbrauen, passend zu dem irgendwie zarten Gesicht, passend zu der weichen Stimme. "Ja." Der Junge klappte den Mund wieder zu und machte auf Auster. Komplett verschlossen.

Bjarne wartete. Er blickte den anderen an. Der starrte mit allmählich röter werdenden Wangen auf die Liste, auf der Bjarne jetzt sehr, sehr langsam und ordentlich seine Adresse notierte. Die Auster schwieg.

Irgendwie enttäuscht unterschrieb Bjarne hastig, um dem verstockten Typen zumindest den Hitzestautod zu ersparen. "Viel Glück beim Sammeln weiterhin. Warst du schon vorn bei der Tschunik an der Kasse? Die hat einen Hund aus dem Heim, frag die doch mal."

Der Junge nickte und verschwand mit raschelnder Jacke und weit ausgreifenden Schritten. Die Tür klappte und Bjarne warf sich auf seinen orthopädischen Bürostuhl. "Ach, Scheiße! Kaum find ich mal einen Typen süß, ist der total unsozial und tut den Mund nicht auf. Mist!"

Theo nippte von seinem Kaffee. "Hat dich aber angestarrt, als du zu deinem Portemonnaie bist. Ich sage: dranbleiben. Kann was werden. An Weihnachten hat sogar so ein treudoofer Romantiker wie du eine Chance."

Bjarne blickte ihn misstrauisch an, aber Theo nickte nur in Richtung Tür und schwieg in seinen Becher.

"Also gut. Ich muss dringend mal zur ollen Tschunik rüber, glaub ich. Unsere Kasse ist viel zu voll, oder?" Hastig stürmte Bjarne mit ihrer Geldkassette zur Kasse hin, die zwei Zimmer weiter im Amtsgebäude untergebracht war.

Und dort traute er weder den Augen noch seinen Ohren. Dort lehnte der niedliche Wahnsinnstyp. Er hatte die Jacke geöffnet und die Mütze abgenommen, was glatte dunkle Haare entblößte. Er lächelte und erzählte mit der Tschunik, nickte passend zu ihrer Erzählung und war total offen und ganz und gar nicht mehr die kleine Auster, die er eben noch gegeben hatte.

Bjarne starrte, wurde von der Tschunik erwischt und musste hastig sein Feigenblatt in Form der Kassette rausrücken. Während er dann noch bei der Tschunik im Aktenschrank nach ihren geheimen Vorräten in Sachen Schokolade kramte, hörte er hinter sich die weiche Stimme berichten, dass er, Florian, samt Bruder vor zwei Monaten im Neubaugebiet eingezogen war. Ja, ja, so war es, das gelbe Schwedenhaus. Ja, das hätten viele gesagt, sie hätten Glück mit dem Eckgrundstück gehabt. Nein, aber sein Vater sei Jäger und daher war es sein Wunsch gewesen, aufs Land zu ziehen. Ja, genau, seine Mutter war die neue Ärztin in der Allgemeinpraxis des alten Doktor Braun. Genau, so war es, der Braun war ihr Onkel. Nein, er selber wollte nicht Arzt werden, aber er gehe noch zur Schule, wie sein kleiner Bruder Niklas auch. Sie hätten gerade hierher gewechselt, aber die Klasse sei nett. Nein, leider dank einer Ehrenrunde ging er erst in die elfte Klasse mit seinem Bruder zusammen. Aber ja, natürlich war ein Führerschein sein eigen, er war seit dem April schon achtzehn.

Bjarne futterte Schokolade und starrte den totalen Traumtypen immer weniger versteckt an. Süßes Gesicht, schlanker Körper, der verdächtig nach Sport aussah und die Jeans saß eng und zeigte, dass was darin war, nicht ohne war. Absolut nicht. Verdammt. Wie nur an den Kerl rankommen?

Der süße Florian ignorierte ihn irgendwie, behandelte ihn sogar von oben herab, als hätte Bjarne ihm was getan. Er sammelte seine Dose und die Liste ein, verabschiedete sich freundlich von der Tschunik, nachdem er sich ausreichend hatte ausfragen lassen und hatte Bjarne keines einzigen weiteren Blickes gewürdigt. Schöne Scheiße.

Und nun? Keine Frage. Bjarne wusste, was er zu tun hatte. Es war Freitag, Froschprinz-Tag. Er würde mit Theo dorthin fahren, sich leicht betrinken und sehen, wie er nach Hause kam. Dort würde er dem verdammten Weihnachtsmann noch eine Chance lassen, ihm den Freund über den Weg zu schicken. Zur Not musste er im Prinzen versacken, von seinem Prinzen träumen und mit dem ersten Bus um fünf am Morgen wieder nach Hause zurück, wenn Theo ihm entkam.

Somit verkündete Bjarne, als er in das Zimmer vier 'Hundesteuer, Kindergartenanmeldungen' eintrat "Ich fahre heute Abend bis zum Froschprinz mit dir mit, Theo. Deinen Fickdings will ich mal sehen, und ich hab Frust. Die Sahnehaube zu meinem tristen Dasein hat der Tschunik alles über sich erzählt. Fast hätte der noch seine Schwanzlänge rausgerückt, aber mich... der hat mich gar nicht angesehen!"

In dem Augenblick sah er die Auster draußen auf dem Parkplatz mit einem anderen Geldsammler zusammentreffen. Der andere war in dicke Klamotten verpackt, mit Mütze und Handschuhen versehen und beide starrten sie kurz zum Fenster. Es waren die beiden Typen von vorhin. Erst jetzt fiel es Bjarne auf. Sie redeten vielleicht sogar über ihn. Nein, sie sahen rüber, steckten die Köpfe wieder zusammen. Es musste sich um ihn drehen. Verwirrt blinzelte er zurück.

Theo summte vor sich hin, stimmte zu, dass Bjarne mit in den Froschprinz zu kommen hatte und versprach sogar, ihn abzuholen. "Wäre doch gelacht, wenn wir für so einen süßen Kerl wie dich nicht endlich jemanden finden, Bjarne."

Bjarne selber hatte sich nie süß gefunden. Er fand sich zu klein, zu unscheinbar, selbst mit wilder Frisur und er fand sich zu langweilig, aber er gab es auf, gegen Theo zu protestieren. Der Nachmittag war zum Glück bald rum und Bjarne fuhr mit dem Fahrrad rasch noch beim Supermarkt vorbei, um für seine alte Vermieterin die notwendigen Lebensmittel einzukaufen, damit die ihr Wochenende überstand.

Die ganze Zeit über sah er aber das kleine Lächeln von diesem Traumtypen vor sich. Im Schein der elektrischen Lichter von der Adventsdeko bei der Tschunik hatte dieser Florian vor allem auch eine herrliche Haut, ob die am ganzen Körper so seidig und glatt und perfekt aussah? Nachdenklich drehte Bjarne die Weihnachtsangebote in der Drogerie zwischen den Fingern. Eine teure Creme hatte er noch nie gebraucht. Ob er trotzdem mal anfangen sollte, was für sein Gesicht zu tun?

Doch dann fragte ihn eine trutschige Verkäuferin, ob er die Creme verschenken wolle und wies ihn darauf hin, dass es da einen Kombipack mit der passenden Seife im Angebot gäbe. Daraufhin beschloss Bjarne, dass er offenkundig ohne Pflege noch nett genug aussah und investierte lieber in ein paar Billyboys mit Geschmack. Optimismus war immerhin endlich einmal angebracht. Wenn die zu verfallen drohten, wie die letzte Packung, würde er sie halt wieder Theo schenken.

Einkaufen in der Vorweihnachtszeit war nervig. Diese begann nach Supermarktzeitrechnung ja bereits Ende August mit dem Einsortieren der Spekulatius aus der Vorsaison. Und jetzt, am letzten Samstag vor dem ersten Advent, tauchten wie die Pilze im Wald die Weihnachtssterne mit Glitzer, die Schokoweihnachtsmänner und die Lebkuchen in den Regalen auf. Nüsse waren mit einem Mal im Angebot und beim Klopapier musste man aufpassen, dass man nicht das mit den Rentieren und Weihnachtsduft erwischte.

2 Froschprinzen zum Küssen

Bjarne brachte seiner Vermieterin den Einkauf in die Küche und ließ sich vollquatschen. Er musste ihr versprechen, dass er den einen Ast der Tanne noch absägte, weil der so nervig am Dach entlang kratzte, wenn der Wind etwas frischer wurde. Sie berichtete dann, was es neues zu ihrem Rheuma zu sagen gab und schickte ihn in ein erholsames Wochenende. Typisch alte Leute hatte sie keinen Schimmer, dass ein erholsames Wochenende definitiv kein gutes Wochenende war.

Er kletterte in seine Dachwohnung rauf und begrüßte die Katze, die er nach dem Einzug aus dem Tierheim zu sich geholt hatte. Sein elendig großes Herz war schuld an sowohl der Dachgeschosswohnung in dem kleinen Siedlungshaus, als auch an der Katze.

Die alte Dame hatte nach dem Tod ihres Mannes im Amt gefragt, was man tun könne, um jemanden zu finden, der in Haus und Garten half und ein wenig auf sie Acht gab. Bjarne hatte einfach zu viel Mitleid mit der schon etwas gehbehinderten alten Dame gehabt, der doch glatt die Tränen in die Augen gestiegen waren, als Theo ihr sachte vorgeschlagen hatte, das Haus zu verkaufen und in eine Erdgeschosswohnung ohne Garten zu ziehen.

Er wollte nach Beginn der Lehre im Amt dringend Zuhause ausziehen, lechzte nach den eigenen vier Wänden ohne Mutter, die bräsig reingestiefelt kam, wenn er grad private Sachen machte oder Schwester, die ihn für ihre beknackten Ideen einspannte. Das Busfahren tat auch nicht so recht Not für sein Wohlbefinden.

Im letzten Sommer hatte er daher seinen Urlaub aufgegeben und die Wohnung unter dem Dach des kleinen Hauses in schweißtreibender Eigenarbeit und unter kreativem Fluchen renoviert. Es waren zwei Räume und ein Badezimmer. Er richtete sich passend zu seinen finanziellen Rücklagen spärlich und aus geerbten Restmöbeln ein. Sein Vater, sein großer Bruder und sein Schwager hatten ihm dabei geholfen. Die Vermieterin hatte die Materialkosten übernommen, daher wurde die Sache nicht sonderlich teuer für ihn.

Die alte Dame investierte zudem noch ein wenig und ließ im Wohnraum eine kleine Kochnische einbauen. Das Duschbad aus der Gründerzeit war kaum abgewohnt worden und langte Bjarne vollkommen hin. Er hatte für seine Stylingattacken am Wochenende einen gut ausgeleuchteten Spiegel, ansonsten störte ihn die altmodische vanillefarbene Keramik nicht sonderlich. Die Dusche war heiß, mehr brauchte er nicht.

Bjarnes Katze und er lebten seit dem Sommer mehr oder minder zufrieden hier. Im Sommer war es zu heiß und stickig. Im Winter recht kühl, wogegen er zu seinem Glück den kleinen Kachelofen hatte. Aber es war ruhig, die Miete war wegen der ganzen Arbeiten am Haus und im Garten, die ihm die kleine Oma immer verrechnete, mikroskopisch. Er konnte zudem Theos Pornos rumliegen lassen, weil seine Vermieterin mit ihrem Rheuma nicht nach oben kam.

Außerdem war er allein, was göttlich war nach einer Kindheit, in der er sein Zimmer mit zwei Schwestern geteilt hatte und der jüngste von vieren gewesen war. Allein zu sein ging ihm dann nach zwei Monaten jedoch schon wieder mächtig auf den Geist. Er war laut Theo zu lieb, um vernünftig bei Männern für nur Sex zu landen und zu bräsig, um wen für eine längere Beziehung klar zu machen, zu süß, um von Verlierertypen angebaggert zu werden, aber nicht süß genug, dass ihm irgendwelche Traumtypen nachsteigen würden. Also holte Bjarne sich eine weiße, sehr hübsche Katze aus dem Tierheim und ließ sich fortan von ihr unterdrücken.

Die weiße Katze hieß wohl irgendwann einmal Lara oder Lucky oder so. Er nannte sie Nuss, weil sie so taub war. Ihre tollen blauen Augen hatten über ihre charakterlichen Schwächen nicht hinweg geholfen, so dass sie im Heim gelandet war.

Bjarne kraulte sie sachte, nachdem sie ihn entdeckt hatte. Dadurch, dass sie taub war, erschreckte sie leicht und kratzte sehr schnell einmal aus Angst. Aus Angst hatte sie die erste Zeit auch stetig unter seinem Schrank versteckt gelauert. Die Ruhe und Sicherheit in der geräumigen Dachwohnung aber hatten ihr gut getan, sie war schon um einiges milder und sicherer geworden. Im Sommer kam sie sogar mit in den Garten, aber im Winter zog Nuss es vor, hoheitsvoll wie auch verächtlich vom Fenster aus in die graue Welt zu blicken.

Bjarne kümmerte sich um das Klo und fütterte sie mit dem teuren Zeug für die Wochenenden. Dann widmete er sich den Klamotten für den Abend. Eine trickreiche Angelegenheit. Der Froschprinz war am Freitag immer supervoll und damit auch sehr warm. Draußen mischten sich aktuell aber Schneeflocken zwischen den Regen und Bjarne stand nicht darauf, mit blauen Fingern und Füßen rum zu zittern.

Im Endeffekt zog er sich seine beige-schwarz karierte Wollhose an und machte obenrum auf Zwiebelschalen. Enges T-Shirt in schwarz, labberiges Langarmhemd, das sehr gut zu der Hose passte und darüber noch eine Steppweste, die aber nicht zu lang war, um den Hintern zu verdecken und darüber, als Theo unten vor dem Haus hupte, die dicke Winterjacke.

Rasch warf Bjarne einen Blick in den Spiegel, wuschelte sich eine Mütze auf den Kopf und stiefelte runter. Die Katze blickte ihm ungläubig blinzelnd nach, als fragte sie sich, wie ein Mensch so beknackt sein konnte, bei solch einem Wetter gleich zwei Mal am Tag das Haus zu verlassen.

Theo war gut drauf. Natürlich. Der Arsch hatte ja sein Sexdate klar. Somit verbrachten sie die Autofahrt mit Theos 'Best of Christmas' im Zweikanalton. Einmal wie es sich gehörte aus den Lautsprechern des alten Renaults und zum anderen schräg von Theo, meistens auch zeitlich versetzt.

Theo parkte den Wagen in der Einbahnstraße, in der auch ihr Ziel sich befand und schob Bjarne fröhlich summend in die Kneipe rein. Die Hitze war affenartig und Glühwein war im Angebot. Gewürzschwangere Luft waberte Bjarne in den Kopf und machte ihn umgehend blöd. Zum Glück konnte er sich auspellen und Jacke und Weste auf einer Fensterbank deponieren, bevor er verschwitzt war.

Hinten bei den Tischen verbreiteten große goldene Kugeln ein angenehmes und sehr bekömmliches Licht. Ein überdimensionaler Frosch hockte auf einem Dekobrunnen in der Mitte des Raumes. Es hieß wegen des netten Lichts hier drinnen, dass im Froschprinz so ziemlich jeder Frosch wie ein Prinz aussehen konnte. Da war wirklich was dran. Den nächsten Morgen, den mussten solche Froschprinzen nur auch überstehen. Der dicke Frosch hielt an diesem Abend einen Tannenbaum mit Kitschdeko im Arm.

Bevor Bjarne sich in das Gewühl an der Bar drängelte, hielt er dem Weihnachtsmann dann doch noch einmal eine kleine Ansprache. In Gedanken, um nicht für verrückt erklärt zu werden. 'Weihnachtsmann, der erste Versuch war große Klasse, ehrlich. Aber, ich wünsche mir einen Freund, nicht einen Kumpel. Bitte noch einmal, diesmal keinen Hetero. Okay? Ich tue auch wirklich alles, versprochen. Danke.' Zufrieden drehte er sich um und suchte mit schmalen Augen den bereits vollen Raum ab.

Er winkte einigen Bekannten zu, aber stockte in der Bewegung zu ihrem üblichen Ecktisch. Sein persönlicher Prinz war da. Der Weihnachtsmann hatte was gedreht. Er wollte Bjarne noch einmal klar machen, dass er nun sein Versprechen einzulösen hatte. Bjarne hatte versprochen, alles zu versuchen für einen Freund. Und hopplahop, da war die süße Auster schon wieder.

Es war ein Traum! Mit zwei Tussis stand der Junge vom Morgen beim Billard. Er zeigte seinen total süßen Hintern, weil er gerade dran war. Er konnte ganz offensichtlich gar nicht Billard spielen und das war gut. So brauchte er sehr lange, und Bjarne konnte ihm auf die Rückseite starren.

Er stieß Theo seinen Ellenbogen in die Rippen. "Da ist meine Auster! Geil, der war noch nie hier früher! Ich mach Attacke, bis später. Schreib mir auf jeden Fall eine SMS, bevor du nach Haus fährst, klar?!" Theo boxte sich zu dem Tisch mit seinen Freunden durch und winkte im Weggehen.

Bjarne besorgte sich einen Glühwein und bezog seinen Beobachtungsposten direkt zwischen dem fetten Frosch und dem kitschbeladenen Weihnachtsbaum. Immerhin war er jetzt einen Schritt weiter. Florian und er kamen offensichtlich beide in diese Kneipe. Hier kam man in der Regel her, wenn man schwul oder lesbisch oder Freund von beidem war. Also, was war die Auster? Bjarne versuchte den Gesichtsausdruck seines Prinzen zu erkennen. War der vielleicht nicht freiwillig hier? Sah er genervt aus oder nicht?

Bjarne selber machte recht bald ein sehr genervtes Gesicht. Musste der erste Advent unbedingt der Startschuss sein, nur noch Scheißmusik zu spielen? Und gerade als er so richtig atzig in Richtung der Box neben ihm blickte, drehte Florian sich zu ihm um, weil er zur Bar gehen und neue Getränke besorgen wollte. Florian erblickte ihn, stockte, blickte sofort wieder fort und dann für den restlichen Weg zur Bar nur noch auf den Boden vor sich.

Bjarne starrte ihn so sehr an wie er nur konnte und dachte die ganze Zeit 'Schau hoch, schau hoch, verdammt!' Es sollte nicht sein. Diese verdammte Auster schaffte es, zwei Cola und einen Glühwein zu bestellen, darauf zu warten und sie zu bezahlen, ohne noch einmal den Blick zu heben. Scheiße!

Bjarne trank sich mit ein paar Schluck Glühwein Mut an, dann folgte er Florian in Richtung der Billardtische. Und endlich wendete sich sein Glück. Die beiden Mädchen, die im Gegensatz zu Florian ausgezeichnet Billard spielen konnten, bemerkten ihn sofort und lockten ihn mit passend freundlichen Blicken in ihren Dunstkreis.

Bjarne atmete einmal durch, dann trat er zu der Dreiergruppe, als sie gerade diskutierten, ob noch eine Runde zu spielen war oder lieber nicht. "Hallo, Florian. Hast du noch ordentlich Geld sammeln können?"

Florian blickte für eine Zehntelsekunde hoch und ihm in die Augen, dann sofort wieder runter. Aber die Mädchen stürzten auf Bjarne nieder wie Geier. Ganz offensichtlich waren sie überaus begeistert, dass ein Mann ihren Flo angesprochen hatte. Es schien irgendwie der Sinn der Übung gewesen zu sein. Der sei ja so verschlossen und schüchtern. Immerhin schien es Florians Idee gewesen zu sein, in den Froschprinz zu gehen. Da wüsste man ja, was das bedeuten mochte. Ob Bjarne das nicht auch geil niedlich finden würde.

Bjarne fand das geil nervig, aber nickte leichthin und trank seinen Glühwein. Die Mädels beschlossen, dass jetzt Folter angesagt war. Sie schleppten Florian und Bjarne an einen Ecktisch, holten für sich und auch Bjarne noch Glühwein und unterhielten dann die Konversation.

Sehr offensichtlich war die Unterhaltung darauf ausgelegt, dass Bjarne Florian kennen lernen sollte. Das wiederum nervte ihn an. War was mit der Auster nicht okay, dass ihn zwei Schnaken anbieten mussten wie Sauerbier? Irgendwas war nicht richtig, oder? Florian benahm sich nicht, als wollte er Jungs kennen lernen, oder überhaupt irgendjemanden. Er benahm sich eher, als sei er von den Mädchen wie auch Bjarne megamäßig genervt und mehr und mehr scheiße drauf.

Die eine hatte ihren Namen sehr schnell und leise gesagt, und kicherte peinlich herum, starrte die anderen Leute an und lästerte pausenlos redend auf eine nervige Art. Die andere aber hieß Saskia und war eigentlich nicht übel. Lustig und sehr frei heraus. Offen gab sie zu, dass sie Florian für die Anfrage, wie das so im Froschprinz zugehen würde, regelrecht dankbar war, weil sie schon immer mal hatte herkommen wollen. Sie war ein sportlicher Typ, die Sorte, die Bjarne angenehm fand, weil sie nicht über alles und jedes rumkichern musste.

Dazu sah diese Saskia ganz und gar nicht übel aus. Lange Beine, die sich in dem knappen Rock, den sie zu Stiefel trug, echt sehen lassen konnten. Rotblonde, dicke Haare, lustige graue Augen. Der Typ Kumpeltante, die einem permanent lachend auf die Schultern schlagen musste. Allerdings auch der Typ, die einen im vollkommen besoffenen Zustand nach einer Party nach Hause fahren würde, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, selbst wenn man alle fünf Meter zum Reiern Pause einlegen musste.

Bjarne mochte sie sofort. Sie war im Grunde wie seine Schwestern. Nach einer halben Stunde schon tauschten sie Handynummern, weil Saskia den dringenden Bedarf an einem schwulen Kumpel hatte, mit dem sie shoppen, über Jungs lästern und ins Kino gehen konnte. Irgendwie schien die Auster Saskia mit Blicken zu meiden wie auch ihn. Interessant. War er sauer auf sie? Vielleicht, weil sie sich so gut mit Bjarne verstand?

Bjarne und die Mädels quatschten eine gute Stunde so vor sich hin. Bjarne baute möglichst oft die Chance auf einen Gesprächseinstieg für Florian ein, aber der schwieg und nippte an der Colaflasche. Auch das half nicht weiter. Sein Mund war wunderschön, die rosa Zunge war genau, was Bjarne sich für den Abend vorgestellt hatte... nur nicht an der Colaflasche, sondern in eine Knutscherei verstrickt.

Als die Mädchen, natürlich gemeinsam, pinkeln gehen wollten, erhob auch Florian sich. Bjarne zögerte eine Millisekunde, dann folgte er ihm auf das Klo. Mittlerweile hatte er für sich fest vor, danach gleich den Abflug zu machen und sich an Theo und seine Gruppe zu kletten, bis Theo mit seinem Date auch fahren wollte. Florian konnte ihn nicht ab und das nervte. Da konnte der Typ noch so niedlich sein. Bjarne war zwar scharf auf ihn, der Weihnachtsmann hatte das sicherlich gut gemeint, aber sein Masochismus war schon für eine Runde Dachrinnenputzen drauf gegangen in diesem Monat. Da ließ er sich dann doch lieber von Theos Freunden verarschen, als von dieser dämlichen Auster anschweigen.

Das Klo im Froschprinz war ungefähr so gemütlich wie der Froschbrunnen von innen, gleich welches Wetter herrschte, ein Kippfenster stand immer auf. Außerdem war es sehr gut ausgeleuchtet, was auch zur ungemütlichen Atmosphäre beitrug. Vermutlich wollten die Betreiber damit irgendwelchen Spontansex verhindern. Es gab nur eine Zelle und zwei Pissoirs und Bjarne hatte Glück. Florian war offensichtlich nicht pinkelscheu, jedenfalls packte er sein bestes Stück kaum angekommen sofort aus und legte los. In dem Augenblick, in dem Bjarne neben ihn trat und einen Blick riskierte, fehlten dann endlich auch einmal ihm die Worte.

Mit leicht offenstehendem Mund konnte Bjarne den Blick nicht mehr abwenden. Einmal an diesem Abend war es dann doch mal ein Glück dass der Kerl nur so nach unten vor sich starrte, so kriegte er das Gegaffe nicht mit. Scheiße, war der Junge gut versorgt! Hatte der zweimal 'hier' geschrien, als Gott die Schwanzlänge verteilt hatte oder was? Und das war im nicht einsatzbereiten Zustand! Bjarne spürte, wie seine Finger zitterten. Die Chance Florian anzusprechen verstrich, weil der blöde Typ nicht nur schnell auspackte zum Pischen, auch schnell fertig war und abschob.

Scheiße! Unverrichteter Dinge hechtete Bjarne hinter ihm her. "Hey, Florian! Warte mal..."

Florian stockte, dann blieb er stehen und sah sich kurz um.

Bjarne versuchte den Blick nicht in Richtung Hosenstall rutschen zu lassen, aber jetzt konnte er die Frage nicht mehr zurückhalten. "Ich muss es wissen, okay? Ich muss einfach. Bist du schwul oder nicht? Und falls ja, hätt ich Chancen oder nicht?"

Florian blickte ihn erneut kurz und düster an. "Eher nicht."

"Was? Eher nicht schwul, oder eher ich weiß nicht, ob ich Bjarne eine Chance geben will?" Möglichst lockend plinkerte Bjarne mit den Wimpern.

Florian sah leider nicht hin. Er hob die Schultern. "Beides." Und damit ging er einfach zum Tisch zurück. Die Mädchen tauchten hinter Bjarne auf und zu dritt kamen sie gerade an dem Tisch an, als Florian sich seine Jacke übergezogen hatte.

Bjarne bemerkte die enttäuschten Blicke der Mädchen und wagte einen letzten Vorstoß. "Willst du los? Nimmst du mich mit?"

Florian hob kurz die Schultern, dann nickte er und umarmte die beiden Mädchen nacheinander. Bjarne rückte Florian auf die Pelle und verabschiedete sich bei den Mädchen mit herzlicher Umarmung. Sie waren immerhin auf seiner Seite.

Als sie gerade gehen wollten, sah er Theo mit seinem Date und einigen Freunden. Theo zeigte ihm einen Daumen hoch und Bjarne nahm sich vor, seinem Kollegen und Kumpel auf keinen Fall von diesem biologischen Wunder mit Florians Ausstattung zu erzählen. Nicht, dass der noch geil wurde auf seine süße Auster!

Florian kletterte nach einem recht weiten Weg, den sie nach drei Versuchen von Bjarne, eine Unterhaltung zu beginnen, schweigend gegangen waren, in die Familienkutsche. Ein etwas älterer Kombi, ziemlich dreckig, wie das bei allen Leuten im Neubaugebiet so war.

Im Wagen stellte Bjarne dann das Radio aus und drehte sich zu Florian. "Nun aber mal raus mit der Sprache! Hast du ein Schweigegelübde abgelegt? Bist du auf dem Weg, Mönch zu werden und darfst täglich nur fünfhundert Worte und die auch nur mit alten Leuten reden oder findest du mich doch scheiße?"

Florian startete den Wagen und fuhr an. Nach einem Moment sagte er eher genervt an das Lenkrad gewandt "Bin schüchtern." Und das schien für ihn ein echtes Problem zu sein. Er ballte eine Hand zur Faust und schlug einige Male auf das Lenkrad ein. Fast meinte Bjarne, ihn so was wie 'Scheiße' sagen zu hören.

"Aber... so sehr?" Da Florian schwieg und sein Lenkrad haute und Bjarne noch immer keine Lust auf Masochismus hatte, sagte er auch bis zum Dorf kein Wort. Danach nur den Weg zu seinem Zuhause an.

Doch in der kleinen Straße vor dem Haus kam der verwirrende Abschluss der Angelegenheit. Florian stellte den Motor aus. Seine Hände hielten das Lenkrad merkwürdig fest umklammert, fast bekam Bjarne wieder Mitleid mit ihm. "Es ist verwirrend", sagte Florian endlich und das fand Bjarne auch.

"Eh? Was ist verwirrend?"

"Warum rennst du mir nach?"

"Tue ich das? Ich war zuerst im Froschprinz, jedenfalls hab ich dich heute zum ersten Mal dort gesehen."

"Hm. Aber du... machst mich an."

"Kann schon sein." Irgendwie lief das gar nicht so schlecht. Dem Weihnachtsmann sei Dank dafür.

"Wieso?!" Der Blick aus den hübschen Augen war fast verzweifelt.

"Keine Ahnung. Bist ziemlich süß."

"Dein Typ?"

"Unbedingt."

"Aber, was daran?"

"Hm. Die Haare, die Augen, der Körperbau... " 'Der Schwanz...' Bjarne grinste hilflos. "Alles eben."

"Hm." Florian blickte missmutig vor sich hin. Es schien, als dachte er intensiv darüber nach, was Bjarne gesagt hatte.

Zeit, Attacke zu machen. Bjarne zog den Reißverschluss an seiner Jacke hoch. "Haste vielleicht Bock zu knutschen? Immerhin muss man dabei nicht reden."

"Nein."

"Nicht mal versuchen?"

Florian schüttelte den Kopf.

"Warum das jetzt wieder nicht?" Bjarne begann, Austern scheiße zu finden.

Doch Florian machte dann doch endlich mal Sinn. "Nicht mein Ding. Außerdem, das Piercing."

"Was ist damit?"

"Mag ich nicht."

"Echt?" Unsicher strich Bjarne mit dem Zeigefinger einmal darüber. "Findest du das wirklich scheiße, weil es dich abturnt, oder weil deine Eltern gesagt haben, dass so etwas scheiße ist?"

Verwirrt blickte Florian zu Bjarne rüber. Er schien zu überlegen, dann verzog er den Mund. Er hatte Humor, die schweigsame Sorte, aber das war fast ein Grinsen gewesen. "Beides", entschied er schließlich.

Bjarne war kurz davor, seinen Kopf gegen die Scheibe zu schlagen. Stattdessen stieg er aus und umwanderte das Auto. Er öffnete die Wagentür auf der anderen Seite, beugte sich hinein und knutschte seine Auster voll auf den Mund.

Florian und er starrten sich danach in die Augen. Nach zwei Herzschlägen kam noch immer keine Reaktion. Endlich flüsterte Florian leicht den Kopf schüttelnd "Ne. Ist scheiße. Echt."

Bjarne seufzte abgrundtief. "Du bist wirklich total beknackt. Gute Nacht!"

3 Gestatten: Beschützmichbruder

Die Samstagnacht hatte Bjarne notgeil im Bett gelegen und an seine Auster gedacht und daran, wie er selber daran kommen konnte. Verdammter Weihnachtsmann. Er hatte zwar gesagt, dass er alles machen würde, aber so eine Nummer? Das war gemein.

Am Sonntagvormittag hatte er sich mit seinen Freunden und einem von Theos Exfreunde beraten. Die Vorschläge waren allesamt total bescheuert und tuckig. Nachrennen, Kram schenken, SMS-Terror veranstalten, mit den Freunden und Freundinnen rumjammern, dass man so verliebt war. Nee, das ging gar nicht. Außerdem deprimierten ihn alle mit freudigen Ausrufen, dass es endlich soweit sei. Der Kleine habe endlich, endlich einen Freund in Aussicht. Das war so überhaupt nicht hilfreich. Genervt erzählte Bjarne seiner eher uninteressierten Katze von der herrlichen Auster.

Da die Katze in Sachen Austern keinerlei Erfahrungen hatte, rief Bjarne schließlich schweren Herzens Theo an und fragte den. Von Theo kam natürlich der radikalste Vorschlag. "Weg mit dem Piercing. Ist doch klar. Wenn du an die Auster nicht mehr anders rankommen kannst, dann musst du es über das ultimative Opfer rausrücken. Dann musst du dir aber im Klaren sein, dass du voll in den Typen verknallt bist. So etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen, zeigt doch ganz deutlich, dass du an den Nebenwirkungen und Komplikationen leidest. Vielleicht solltest du doch besser einen Arzt oder Apotheker fragen. Dabei fällt mir ein, dass ich die Handynummer von einem total süßen Apothekenhelfer hab, oder war der Apothekenaushilfsfahrer? Egal. Nur für alle Fälle."

War ja klar, dass Theo nicht wirklich hilfreich war. Und das Piercing war teuer und schmerzhaft gewesen und es sah geil aus. Auf gar keinen Fall wollte Bjarne sich davon trennen. Davon mal abgesehen, dass es seine Mutter total nervte, was das Geld und die Schmerzen auch wert gewesen war. "Danke, Theo, aber nein danke. Ich komm schon klar. Bis morgen auf der Arbeit."

"Gott! Erinnere mich nicht daran!"

Als nächstes rief ihn netterweise Saskia an. Sie quatschten eine Weile über dies und das, dann rückte sie mit ihrer Frage raus, ob Bjarne bei Florian hatte landen können. "Er ist immer so still und außerdem ziemlich hübsch, findest du nicht? Wir im Verein haben alle schon gerätselt, ob er nicht vielleicht schwul sein könnte. Hatte sich in letzter Zeit total damit beschäftigt."

"Ach, echt?" Das war wiederum ein Thema, das man vielleicht doch ausweiten sollte. Saskia berichtete Bjarne nur zu gern, dass die Mädchen vom Verein sich alle schon gefragt hatten, wie man an den süßen Flo herankommen könne. Die Sache mit dem Weihnachtswunsch fand Saskia vollkommen einleuchtend. "Bjarne, so geht es mir auch. Ich hab in diesem Jahr auch keinen anderen Wunsch. Blöde, dass Florian so still ist, und dann auch schon schwul. Nichts gegen dich, aber was mach ich denn jetzt?" Über den Spitznamen Auster musste sie herzlich lachen und sie riet Bjarne dann endlich mal hilfreich dringend davon ab, das Piercing raus zu nehmen. "Das steht dir voll und außerdem soll man sich nicht komplett verstellen müssen. Dann ist es eben doch nichts Richtiges."

Gleich nachdem sie aufgelegt hatten, war Bjarne sich im Klaren darüber, dass er schon so ein wenig in seine Auster verknallt war. Die Lobeshymne von Saskia hatte ihn auch wieder voll für diesen süßen Kerl einnehmen können. Im Übrigen hatte er dem Weihnachtsmann versprochen, sich reinzuhängen, nicht? Aber das ultimative Opfer war nicht drin, nicht, wenn Bjarne dafür nur angeschwiegen und ignoriert wurde. Bloß, wie konnte man bei so einer Auster herausfinden, was Sache war? Im nächsten Moment fiel Bjarne wieder ein, dass Florian in dem gelben Schwedenhaus auf der Ecke im Schlehenkamp wohnte. Das war sicherlich nicht so schwer zu finden. Das Fernsehprogramm war sowieso Mist und zum Joggen war das Wetter zu doof.

Er schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr zum Schlehenkamp raus. Dort standen einige fertige und halbfertige Häuser und Doppelhäuser auf matschigen, noch nicht angelegten Grundstücken. Überall lagen Paletten mit Pflastersteinen herum, kein so toller Anblick. Der Wintereinbruch hatte die Arbeiten an den Straßen und Zufahrten weitgehend lahm gelegt. Das gelbe Schwedenhaus leuchtete aus dem trüben Durcheinander schon von weitem und der eingedreckte Kombi stand auch davor, daneben ein Geländewagen, ebenfalls megadreckig. Mutig steuerte Bjarne darauf zu.

Er brauchte nicht klingeln, eine schlanke Frau mit dunklen, glatten Haaren, die sich sehr kurz geschnitten um ihren Kopf legten, öffnete gerade den Seiteneingang, als er sein Fahrrad abstellte. Sie trug eine Schürze und hatte den Arm voller welker Blumen. Bjarne sah die Frau und den Matsch und bot sofort an "Soll ich die Blumen wegwerfen?"

Sie lächelte erleichtert. "Danke, ich hab doch glatt die Gummistiefel im Wagen vergessen. Ist das nicht schrecklich? Wenn es schon zu kalt für die Pflasterarbeiten ist, kann es dann nicht wenigstens richtig schneien? Wie soll bei solchem Matschwetter denn Weihnachtsstimmung aufkommen?"

Bjarne versenkte die Blumen nach ihren Anweisungen auf einem Kompost neben dem Kiesbett für die Autos. Als er zu der Frau zurückkam, überraschte diese ihn mit der Feststellung "Du willst zu Niklas, nicht wahr?"

"Zu wem?"

"Bist du nicht einer von Niklas' Freunden? Schaust ganz so aus." Sie wischte sich die Finger an der Schürze ab. "Ich bin Rita, die Mutter."

Bjarne stellte sich verwirrt vor, dann sagte er "Eigentlich wollte ich zu Florian."

Die Wirkung war schon passend zur Auster. Sie blinzelte, als ob es sehr verwirrend war, wenn ihr Austernsohn Freunde hatte. Also war der immer so scheiße zu Jungs? "Flo...rian? Ah. Er ist im Keller und trainiert natürlich. Wie immer."

Auch verwirrend, aber Bjarne befreite sich von den eingesauten Schuhen und folgte der Frau durch einen chaotischen Wirtschaftsraum und die sehr gemütliche Küche. Es roch überall noch neu und unbewohnt. Im Wohnzimmer schraubte ein grauhaariger Mann milde fluchend an einem Regal herum.

Die Frau wies Bjarne den Weg in den Keller hinunter. Den weiteren Weg zum Trainingsraum fand er per Gehör, affenartig laute Musik dröhnte ihm von dort entgegen. Der Kellerraum war mit einem Ergometer, einigen Gewichten, einer Matte und einer Rudermaschine, die alle um einen Fernseher gruppiert waren, in eine Art Minifitnessstudio verwandelt worden.

Auf der Rudermaschine saß die Auster und trainierte, trug nur ein verschwitztes T-Shirt und Shorts und sah unglaublich appetitlich aus. Leeren Blickes starrte er auf den Fernseher, wo ein Musikprogramm lief.

Bjarne rief "Hey!", aber wurde nicht gehört. So erschreckte er Florian sehr offensichtlich, als er ihm eine Hand auf die Schulter legte. Florian starrte ihn an, dann griff er nach einer Fernbedienung, im nächsten Moment erstarb die Musik.

"Hey", wiederholte Bjarne unsicher. Dann erzählte er wegen Florians düsterem Blick hastig, dass er auf Saskias Anraten gekommen sei.

Das brachte Florians hübsche Augenbrauen eine Etage höher. Eher tonlos fragte er "Saskia?"

"Ja... wie auch immer, ich wollte dich was fragen."

Florian sah ihn nur abwartend an, daher haspelte Bjarne gleich weiter. "Wenn ich das Piercing rausnehmen würde, würdest du dann mit mir knutschen?"

Florian blinzelte, dann hob er die Schultern. "Dann ist da eine Narbe." Damit nahm er das Rudern wieder auf. Ganz offensichtlich ein totales soziales No-Go, der Junge.

Eine dunkle Stimme hinter ihnen ließ sie beide zusammenfahren. "Piercing? Welches Piercing?" Bjarne fuhr herum und sah sich einem Typen gegenüber, dem er in Sachen Piercings echt nichts vormachen konnte. Jedenfalls hatte er drei im ersten Moment schon sichtbare Ohrringe und zwei in der rechten Augenbraue. Der Typ sah aus wie eine derbe, kräftige Version von Florian. Ganz offensichtlich sein Bruder. Die gleichen hohen Wangenknochen, das gleiche dunkle Haar, auch wenn es etwas wuscheliger wuchs und ihm in die Stirn hing. Er hatte aber auf jeden Fall dieselben irgendwie exotisch blickenden, schmalen Augen. Doch damit endeten die Vergleiche. Wo Florian drahtig rüberkam, war dieser Junge stabil und kräftig, wo Florian zart wirkte, war der Typ rau, ungeschliffen. Diese Wirkung wurde von einer ziemlich hässlichen Narbe unterstützt, die sich vom Mundwinkel über die linke Wange hinauf zog. Als Bjarne die Narbe sah, konnte er ein Zusammenzucken nicht verhindern.

Das Zucken war dem Typen nicht entgangen, seine Augen wurden zu Schlitzen, während er mit zwei Fingern daran entlang strich. "Was machst du denn hier?!" Reichlich aggressiv. Tat das Not? "Machst du meinen Bruder an, oder was?! Das kannste dir sparen, Florian hat keinen Bock auf Männer."

"Aha." Bjarne warf einen Blick zu Florian zurück, der das Rudern wieder aufgenommen hatte, dann wandte er sich dem Bruder zu. "Und das weißt du so genau?"

"Als sein Bruder bin ich da wohl im Bilde." Der Typ schob sich die Pulloverärmel hoch und entblößte kräftige Unterarme.

"Und was treibt der dann im Froschprinz?" Aufmüpfig hob Bjarne den Kopf.

Das war offenkundig eine Neuigkeit für den Bruder. Der zog seine Brauen zusammen, eine kräftigere Version von Florians zarten, wie gemalten Brauen. "Flo? Was soll das denn?! Was hattest du denn allein im Froschprinz zu suchen?!"

Jetzt starrte er Florian vollkommen sauer an. Florian sollte nicht allein in die wilde schwule Welt? Dieser Niklas war jedenfalls ziemlich auf Bodyguard getrimmt. Der totale Beschützmichbruder. Das war fürchterlich nervig. Gab das mit der blöden Auster nur noch Hürden und Stress?

Florian machte sichtlich genervt eine Pause beim Rudern. "Saskia." Ein Wort und alles war klar?

Es war zum Piepen, offenkundig bekam dieser unfreundliche Niklas das 'Silent-Treatment' ebenso. Zufrieden blickte Bjarne zwischen der Auster und ihrem Beschützmichbruder hin und her. "So. Wenn Florian da hin fährt und du auch, wie es ausschaut, dann seid ihr ja sehr offensichtlich beide ganz tüchtig interessiert."

"Florian an dir?! Das ist ja wohl lächerlich!" Wütend starrte dieser Niklas dabei aber eher seinen Bruder an. Samt der Narbe und den zu Fäusten geballten Händen kein ungefährlicher Anblick. Vorsichtshalber tat Bjarne nun lieber einen Schritt zurück. Der Kerl tat einen Schritt in den Raum hinein. "Hat Florian dich etwa angebaggert? 'Das' kann ich mir total nicht vorstellen."

Bjarne begann diesen Bruder einen Hauch mehr als nervig zu finden. Auch wenn er irgendwie Recht hatte und es natürlich total unlogisch war, dass die Auster ihn angegraben hatte. "Wie wäre es, wenn du dich verziehst und dich nicht einmischst? Wir unterhalten uns hier!"

"Florian will nichts von dir!" Sie standen eine Nummer zu dicht voreinander und starrten sich an.

Doch in dem Moment stand die Auster auf und trat auf seinen Bruder zu. Milde tadelnd schlug er vor "Benimm dich nicht wie ein totaler Idiot."

Sein Bruder starrte ihn verwirrt an, dann schnaubte er und trampelte aus dem Raum.

Im nächsten Augenblick stand Florian dicht bei Bjarne. "Geh auch."

Bjarne ballte eine Hand zur Faust. "Nur, wenn ich mal eine Antwort bekomme!"

Florian sah ihn kurz an, dann wieder weg. "Wie war die Frage?"

"Du machst mich fertig! Scheiße! Die Frage lautete: hab ich Chancen bei dir, wenn ich das Piercing rausnehme?"

Verträumt hantierte Florian an den Gewichten herum, dann hob er die Schulter. "Nein."

"Einfach so? Bist du wirklich nicht schwul? Warum haste mich denn dann so angesehen? Du wolltest doch gestern in den Froschprinz!"

Florian seufzte, jetzt sah er komplett genervt aus. Er sah zur Tür, aber sein Bruder war fort. Unbestimmt blickte er zum Fernseher, schien nachzudenken, dann sah er Bjarne kurz an. "Kommst du zum Weihnachtsmarkt?"

Bjarne blinzelte. "War das ein ganzer Satz? Aus deinem Munde? Oh wie geil. Warum zum Weihnachtsmarkt? Da bin ich, klar. Am Stand der Freiwilligen Feuerwehr, aber jetzt mal mehr Infos. Wohin da? Um wie viel Uhr? Um was zu tun?"

Statt einer Antwort reichte Florian Bjarne einen Zettel. Er würde ganz offensichtlich auf dem Weihnachtsmarkt am nächsten Wochenende im Stand der Freiwilligen Feuerwehr Suppe und Glühwein ausschenken. Genau wie Bjarne. Genau wie etliche andere. Wenn man hier im Ort lebte, dann wurde man großzügig eingespannt. Der nervige neue Pastor hatte im Amt die Tschunik und Theo für den Kuchenverkauf im Gemeindehaus eingesackt. Bjarne hatte das verpasst, aber Theo hatte vom Pastor geschwärmt. Da der wohl total sexy aussah, wenn er so Sachen wie 'Wohltätige Zwecke' sagte, hatte Theo unverhofft mitmachen müssen.

Bjarne hatte erst noch darüber gelacht, Minuten später war er dank der Freiwilligen Feuerwehr auf einer Liste für einen der Stände draußen vor der Kirche eingetragen worden. Aber die Auster, die hatte das nicht gewusst, oder doch? Immerhin war das eine Art Date. Bjarne ballte seine Hand zur Faust und steckte den Zettel ein. "Ist gebongt. Ich komme um drei Uhr dorthin, dann werden wir ja sehen."

Als Antwort plärrte die Musik wieder los und Florian nahm sein Training auf, beachtete Bjarne nicht mehr. Soziopath, verdammter. Wenn der nicht so einen geilen... Bjarne verbot sich sofort, an Austers Schwanzlänge zu denken. Das war zu peinlich und oberflächlich und außerdem viel zu geil und geil kam nicht gut auf dem Fahrrad.

Er trabte an dem murmelnden Vater von Florian, der summenden Mutter und dem irgendwie düster starrenden Bruder vorbei, winkte locker und schwang sich auf sein nasses Rad. Als er zurück blickte, starrte der grausame Niklas ihm nach. Der Weg durch Schneeregen und Matsch war nicht schlimm. Bjarne war zuversichtlich und fühlte sich wie ein Sieger. Immerhin. Er hatte ein Date. Mit der Auster. Auch wenn die nicht so leicht zu knacken war, wie er gehofft hatte.

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