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Doorway to Auroria

Kapitel Elf - Zwei Flammen verschmelzen

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Lateo legte eine Hand auf Razons Schulter, und er merkte, wie sein Herz so heftig gegen seinen Brustkorb hämmerte, als wolle es jeden Augenblick herausspringen. Die Berührung war so, als würde man eine durch Sonnenbrand empfindlich gewordene Hautstelle berühren. Es war unangenehm und reizvoll zugleich.

Er atmete seufzend auf; er fühlte sich auf seltsame Weise hilflos, aber auch aufgeregt.

"Was er wohl damit gemeint hat - dass bei dir Platz für Zwei wäre?"

Razon drehte sich zu Lateo um und sah in seine Augen (wie zwei Saphire so blau und glänzend - wie von einer anderen Welt - wenn ich doch nur mehr sehen könnte, diese Kälte, der eisige Wind, diese lähmende Angst …) und sein Herzschlag begann sich zu beruhigen.

"Bestimmt nicht das, was wir beide jetzt vielleicht denken."

"Ach? Was denken wir denn?"

Razon lächelte. "Komm, wir sollten dieses Haus verlassen."

Er lächelte! Razon lächelte!

Sie verließen Lateos Haus, und keiner von ihnen sah die stummen Auroria-Bewohner, die in gelben Uniformen sogleich nach ihnen das Haus betraten und die drei Leichen heraustrugen. Und keiner sah auch, wie die Spuren der Morde - das Blut, die Zerstörung, die Verbrennungen - verschwanden.


"Ich dachte, in Auroria sind alle unverwundbar und unsterblich."

Razon betrat sein Haus - ein blaues, kleines Gebäude mit schwarzem Dach, wie aus dem Nichts erschienen, als Razon in Auroria angekommen war - und Lateo folgte ihm unsicher. Den ganzen Weg hatten sie geschwiegen, doch jetzt brachen aus Razon die Worte heraus wie ein Wasserfall. Er war wieder der kühle Technologe, der Logiker, der Vernünftige.

"Was meinst du?", fragte Lateo. "Wie meinst du das? Unsterblich?"

Razon drehte sich um und sah den Ebura fragend an.

"Na ja, so, wie ich es sage. Dass man hier nicht sterben kann."

Lateo seufzte und machte die Tür zu. "Musst du immer so viel hinterfragen und in Frage stellen?"

Razon zuckte mit den Achseln. "Ich wundere mich nur eben, das ist alles."
"Sehr viele wundern sich darüber, was in Auroria so alles möglich ist. Doch je länger sie hier sind …"
"… umso weniger denken sie darüber nach." Es war keine Frage; vielmehr eine Feststellung, die Razon machte. Und sie machte ihm etwas Angst, denn die Vorstellung, dass er selbst jemand werden könnte, der nicht mehr über die Dinge und das, was sie antrieb, nachdachte, gefiel ihm nicht. Es wäre für ihn so, als würde er sich und sein Schicksal einem unbekannten Etwas in die Hände geben und darauf vertrauen, dass dieses Etwas genau wüsste, was richtig und gut für ihn wäre.

Außerdem würde das Stumpfsinn bedeuten und so wollte Razon auf keinen Fall werden.

Lateo trat an Razon heran und blieb ganz dicht vor ihm stehen, so dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten.

Razon spürte eine angenehme, warme Aura, die von Lateo auszugehen schien. Er musste unweigerlich lächeln und fragte:

"Warum bist du hier?"

"Weil ich mich in meinem Haus im Moment nicht sehr wohlfühlen würde."

"Das meinte ich nicht", sagte Razon ernst. "Ich meine, warum bist du in Auroria?"

"Aus dem selben Grund wie du."

"Warum bin ich hier?"

Lateo berührte mit seinen Händen (weich, zärtlich, fast zerbrechlich) Razons Wangen. "Immer noch so viele Fragen! Immer noch so viele Zweifel!"

Razon spürte sein Herz wieder gegen den Brustkorb hämmern, als wolle es jeden Augenblick herausspringen. In seinem Hals bildete sich ein Kloß.

"Du hast einen Schock", sagte er nüchtern. "Schließlich wollte Laxus dich ermorden."

Lateo nickte. "Ja, das stimmt. Und weißt du nicht, was das beste Heilmittel bei einem Schock ist?"
Razon schüttelte langsam den Kopf. "Vielleicht sollten wir Dulcis fragen … er ist Heiler …"

"Ich will aber nicht Dulcis."

Plötzlich geschah etwas Seltsames: Razon hatte das Gefühl, in einem Traum zu sein. Die Welt um ihn herum schien zu verschwimmen und undeutlich zu werden. Es war wie das Hitzeflimmern in der Wüste, als versuche man durch das fließende Wasser eines Wasserfalls zu blicken. Sein Körper fühlte sich an, als würden tausend Ameisen über seine Knochen krabbeln; ein Kribbeln zwischen Magen und Unterleib breitete sich aus. Seine Kopfhaut schien zu schmelzen und seine Sinne zeigten ihm verwirrende Bilder von Timeon und dem Bach, wo sie als Kinder immer gespielt haben. Der Drachensegler, Fliegen …

"Ich will … dich …", flüsterte er, ohne zu bemerken, dass er und Lateo zur selben Zeit die selben Worte aussprachen.

Er packte Lateos Kopf, zog ihn zu sich heran und küsste ihn auf den Mund. Zuerst vorsichtig, dann heftiger.

Das Gefühl, Lateo zu küssen, hätte Razon niemals beschreiben können. Keine Worte, keine Bilder, nicht einmal Musik hätten diese Gefühle ausdrücken können. Unendlich viele Bilder, Farben und Klänge, ja sogar Geschmack und Gerüche vermischten sich in seinem Geiste zu einem chaotischen Etwas, formten sich zu einem Drachen, der als Lichtgestalt hoch in den Himmel aufstieg.

Er umschlang Lateos Körper mit seinen Armen und sagte stockend: "Bitte … ich habe Angst …"

Lateo beugte sich vor, streichelte Razons Haare und sagte sanft: "Wovor hast du Angst?"

"Dass ich dich … zerfleische wie ein Raubtier seine … Beute …"
Der Ebura packte Razon an den Schultern und sah ihm in die Augen. "Dann zerfleische mich. Stille endlich deinen Hunger!"

Razon starrte Lateo zuerst ratlos an. Dann packte er ihn, hob ihn hoch und umarmte ihn so fest, dass er glaubte, Lateo ein paar Rippen gebrochen zu haben. Er brannte; innerlich brannte Razon. Er spürte die Flamme tief in seinem Inneren, und sie wurde immer größer und immer heißer; entfacht wie ein Feuer, in das man Petroleum goss.

Wieder ein Kuss, wieder eine innige Berührung.

Razon lachte, dann weinte er. Dann lachte er wieder.

Dann lachten sie beide.

Er hob Lateo auf seine Arme und trug ihn zu seinem Bett.

"Ich bin neugierig", sagte Lateo.

"Ich auch", sagte Razon.


(Ich spüre die Kälte. Sie frisst sich durch meine Kleidung, durch meine Haut in meinen Körper. Ich habe Angst, ich habe Schmerzen. Dann betäubt die Kälte meine Schmerzen, und schließlich meine Angst …)

Razon lag von Lateos Armen umschlungen mit der linken Wange auf dessen Brust. Er spürte den Atmen, den Herzschlag. Und die Stille.

Er hatte immer wieder geweint, während Lateo ihn immer wieder gestreichelt und getröstet hat. Es waren Tränen der Freude; die Freude darüber, nach einer langen, beschwerlichen Reise endlich dort angekommen zu sein, wo man zu Hause war. Wo man wirklich zu Hause und willkommen war.

"Es gibt einen Ort", begann Lateo leise, "an dem jeder jederzeit willkommen ist."
"Zuhause", flüsterte Razon. "Ist dies jetzt wirklich mein Zuhause?"

"Na ja, du kannst auch gerne wieder durch die Eiswüste zurück in deine Welt gehen."

Razon hörte diese Worte wie aus weiter Ferne. Sie provozierten ihn nicht. Nicht mehr. Stattdessen lachte er und sagte:

"Das werde ich aber nicht alleine tun, sondern nur mit jemandem, der bereit ist, mich zu begleiten."

Lateo starrte ihn erschrocken an. "Willst du … im Ernst?"

Razon lachte. "Aber sicher. Ich bin schließlich Forscher und die Eiswüste …"

Plötzlich erhob sich Lateo, stemmte Razon zuerst hoch und dann von sich. Obwohl der Ebura mit den honigfarbenen Haaren sehr zierlich und zerbrechlich aussah, sprachen seine Muskeln eine andere Sprache: Er warf Razon auf den Rücken, setzte sich auf seinen Bauch und packte ihn an den Schultern.

"Wehe, du gehst. Das werde ich nicht zulassen, hörst du!", sagte Lateo, spielte aber vergeblich den Gekränkten oder Wütenden.

Das Funkeln in seinen Augen verriet Razon, dass Lateo es nicht ernst meinte, und er lachte:

"Da wirst du mir schon eine deiner berühmten Spezial-Massagen geben müssen, die du als Bader in deinem Tempel deinen Gästen immer anbietest."
Lateo beugte sich vor und sah Razon in die Augen.

"Du wärst aber der Erste, bei dem die Massage aussehen wird wie eine leidenschaftliche Paarung bei Mondschein."
"Nun ja, gepaart haben wir uns doch schon, oder?"
Der Ebura grinste und sie küssten sich erneut auf den Mund.


In ihrem Haus befanden sich Amatoris und Dulcis ebenfalls im Schlafzimmer. Dulcis stand vor einem kleinen Tisch, auf dem eine Schale mit Obst und ein Krug Wein standen. Er hielt den Kristall-Zylinder in beiden Händen und betrachtete ihn ernst und nachdenklich, als Amatoris sich von hinten anschlich und seinen Gefährten mit beiden Armen umschlang. Er schmiegte seine Wange gegen Dulcis Nacken und schnurrte:

"Wann kommst du endlich? Unser Schlaflager wartet auf uns."

Dulcis erhob seinen Kopf, schloss die Augen und seufzte. "Ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Augenblick ist."

Amatoris, der von dem Kristall-Zylinder noch keine Notiz genommen hatte, seufzte ebenfalls und sagte:
"Soll ich einen Gremlin herholen? Oder willst du bestraft werden, böser Junge?"

"Nichts von beidem", sagte Dulcis ernst, befreite sich aus Amatoris Umklammerung und hielt ihm den Kristall-Zylinder unter die Nase.

"Das hier wird viel besser sein als die Zunge eines Gremlin oder dein Fuß-Kitzler."
Amatoris schnitt eine Grimasse. "Du willst doch nicht dieses Ding da … also, ich meine … da fehlen selbst mir die Worte …"
Dulcis grinste. "Nein, nicht das, was du jetzt denkst." Er neigte den Kopf zur Seite und sah Amatoris mit einem seltsamen Blick an. Wenn Amatoris Dulcis nicht besser kennen würde, würde er meinen, dass es Mitleid ist, das in Dulcis Stimme und Gesichtsausdruck mitschwang.

"Wie lange kennen wir uns schon, Amatoris?"

"In Jahren oder wie oft wir …"

"Du hast mich manchmal wie einen bösen Jungen behandelt, den man bestraft, indem man ihn in einen Eiskäfig sperrt und die nackten Füße kitzelt."

Amatoris war nun etwas verwirrt. War das ein Spiel, oder meinte Dulcis es ernst? "Jaaa …", sagte er langsam und vorsichtig. "Aber das machen wir doch immer so …"

"Verbindet uns beide noch mehr, außer Sex?"

"Was willst du damit …"

"Es ist doch so, oder?", sagte Dulcis, und seine blauen Augen funkelten. "Es geht doch immer nur um Spaß und Befriedigung hier in Auroria, nicht wahr?"

Amatoris trat einen Schritt zurück. Zum ersten Mal, seit er ihn kannte, machte Dulcis ihm Angst.

"Dulcis, was ist los mit dir …"

"Dabei bietet Auroria so viele Möglichkeiten. Denke nur an die Quelle, die elektrische Strahlung. Nirgendwo auf Titania ist sie so groß wie hier!"
Dulcis sprach mit der Stimme eines Predigers, der ein Heiligtum zu umschreiben versuchte. Amatoris war diese Art bei Dulcis fremd. Er erkannte seinen braven, warmherzigen Dulcis nicht wieder.

"Aber wofür werden diese wunderbaren Dinge genutzt? Na? Um den ganzen Tag zu spielen, zu essen oder Liebe zu machen." Er spuckte verächtlich aus. "Pah, Liebe. Etwas für Spinner."

"Das sagst gerade DU?", rief Amatoris. Er begriff immer noch nicht, warum Dulcis so sprach. War es der Schock von dem, was sie in Lateos Haus gesehen hatten? Dulcis konnte doch nicht "einfach so" streitsüchtig geworden sein. Das war nicht seine Art.

"Du teilst dein Lager mit Gremlins, mit Orks, unzählige andere Elfen und mit MIR schon tausendmal!"

Dulcis grinste. "Ach, wirklich?"

Er packte den Kristall-Zylinder an beiden Enden und hielt ihn hoch. "Diesen Dynadrom habe ich von Vorkel."

"Was ist ein … du hast diesem Ding einen Namen gegeben? Aber das Ding ist doch von Laxus. Und Vorkel ist der Gremlin, mit dem du immer …"
"Was? Meinst du etwa, ich paare mich mit Gremlins? Vorkel hat mir den Dynadrom aus der geheimen Kammer unter der Bibliothek geholt. Nur ein Gremlin ist klein und wendig genug, um durch diese schmale Öffnung zu gelangen. Na ja, und der arme Laxus hatte das große Pech, ihn dabei zu beobachten."
Amatoris schwirrten die Sinne. War dies real oder ein Traum? Was erzählte sein Geliebter Dulcis da alles? Dynadrom? Bibliothek? Laxus??

Dulcis sprach erbarmungslos weiter:

"Er hatte ja schon länger den Verdacht, dass die Bibliothek die Geheimnisse von Auroria beherbergen könnte, aber er war nicht in der Lage, die Schriften aus der Alten Welt zu entziffern. Ich aber schon. Ich bin nämlich nicht dumm, musst du wissen."

"Das hat doch niemand behauptet. Du bist Arzt und Heiler, und …"
"Bin ich eben NICHT!", brüllte Dulcis. Der Kristall-Zylinder - "Dynadrom" - glühte für einen Augenblick hell auf. "Ich habe als Arzt VERSAGT! Deshalb bin ich hier in diesem Auroria! Weil ich VERSAGT habe!"

"Dulcis, bitte …"
"Aber ich kann es vielleicht wieder gut machen", sagte Dulcis und schien Amatoris gar nicht wahr zu nehmen. Er sprach mehr zu sich selbst als zu ihm. "Ich bin kurz davor, die Wahrheit zu ergründen. Die Wahrheit … über Auroria. Über all diese Dinge."
Amatoris ging langsam rückwärts auf den Ausgang zu. "Dulcis, was hast du vor …"

"Laxus war ebenfalls dicht davor, es zu enträtseln, aber er ist es nicht würdig, die Mächte dieses Ortes in die Außenwelt zu bringen."

"Dulcis …"
Dulcis senkte seinen Kopf und sah auf den Dynadrom, der ein gleichmäßig pulsierendes, blaues Glühen von sich gab.

"Es war notwendig, sie zu töten", sagte er leise. "Eigentlich ist es meine Pflicht, Leben zu erhalten, aber ich hatte keine andere Wahl."
Amatoris war, als wäre ein Eiszapfen in sein Herz gestoßen worden. Er wirbelte herum und wollte flüchten, als ihn plötzlich ein Netz aus Lichtblitzen erfasste und lähmte.

"Nicht so schnell, böser Junge!", sagte Dulcis mit dämonisch verzerrter Miene, und hielt den glühenden Dynadrom mit ausgestrecktem Arm auf Amatoris gerichtet.

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