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Doorway to Auroria

Kapitel Sechs - Wenn Elfen tanzen und Nebel funkeln

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Informationen

 

Razon musterte zähneknirschend den Raum und suchte nach Weinkrügen. In diesem Augenblick hätte er sogar eine Schlägerei mit einem Ork angefangen, um an Alkohol zu gelangen. Schließlich fanden seine Augen einen Weinkrug. Er schlängelte sich durch die Menge von Elfen, Orks und Menschen hindurch, griff nach dem Krug und kippte ihn über seinen Becher, musste aber schnaubend feststellen, dass der Krug bereits leer war. In diesem Augenblick wurde das Licht gedimmt und Musik erklang.

Sein Blick fiel auf die Bühne und die Tänzer, die atemberaubende akrobatische Tänze vollführten, wie sie Razon noch nie gesehen hatte. Selbstverständlich durfte er schon in den Genuss kommen, diese außerordentliche Kunst zu bewundern, allerdings befanden sich unter den Schaustellern, die in ihren Wohnwägen über das Land reisten, seltener männliche als weibliche Elfen. Vor allem das Tanzprogramm war auf ein männliches Publikum zugeschnitten, das sich am Anblick weiblicher Körper und deren Lieblichkeit ergötzten. Männer unter den Schaustellern waren eher als Gaukler, Clowns oder Artisten bekannt.

Razon schob sich durch die Menge und näherte sich der Bühne, ohne dass ihm dabei ein kichernder Amatoris auffiel, der ihm zusammen mit Dulcis folgte.

Lateos Körper schimmerte in dem Lichtspiel aus lumineszierendem Blau und Violett, und er sah aus wie ein Wesen aus einer fernen, fremden Welt. Jene Wesen, die nur aus Mythen, Märchen und Legenden bekannt waren, die von fernen Sternen und Planeten stammten, aus einer Zeit, wo noch die Menschen herrschten und keine Ahnung von all den fernen Welten und ihren Bewohnern hatten. Sein Blick versank regelrecht in Lateos Augen, die wie ein Spiel aus tausenden von Sternen und Nebeln erschien - jene spiralförmigen Nebel und Sterne, die Razon aus den Büchern der Gelehrten kannte und aus den langen Gesprächen mit -

Sie nannten ihn einst Alpha Centauri. Und das ist Andromeda. Die Menschen aus einer fernen Vergangenheit glaubten einst, dass von dort andere Menschen zu ihnen gekommen seien …

Ein Schwindelgefühl erfasste ihn; Razon fühlte sich wie ein Betrunkener, der trotz der Benommenheit des Rausches noch mehr Wein zu sich nahm, und noch mehr und noch mehr. Die Stimmen einer vergessenen Vergangenheit machten ihm keine Angst; im Gegenteil: Sie berauschten ihn nur noch mehr, angeregt durch die Musik und den Tanz der Ebura, durch den Anblick eines Elfen, dessen Körper maskulin, muskulös und trotzdem so zerbrechlich und fein aussah, als hätte ein Künstler ihn erschaffen.

Lateo lächelte ihm zu, und Razon hatte das Gefühl, als müsse er seinen Kopf festhalten, damit er ihm nicht von den Schultern fallen möge. Gleichzeitig wuchs in ihm ein schier unbändiger Drang; der Drang, auf die Bühne zu springen und ebenfalls zu tanzen.

Er schreckte nicht zusammen, als eine Hand sanft seine Schulter berührte, und eine Stimme - Amatoris -ihm ins Ohr flüsterte: "Herzklopfen? Schmetterlinge im Bauch?"

Razon grinste; er konnte nicht anders, die Muskeln in seinem Gesicht zwangen ihn regelrecht dazu. Und er nickte und sagte verträumt: "Wunderschön."

Die Tänzer stellten sich in einer Riege auf und Lateo nahm Anlauf, rannte auf sie zu, sprang und wurde von den anderen Elfen aufgefangen und hochgehalten, während Lateo selbst die Arme ausstreckte wie ein Vogel seine Flügel ausstreckte. Razon begann heftig und laut zu klatschen und vor Freude zu lachen, genauso wie die anderen Zuschauer auch, nur hatte er das Gefühl, er müsse am lautesten und heftigsten Beifall üben. Noch nie hatte er bei einem Elfen solch eine Körperbeherrschung, solch eine Geschmeidigkeit in seinen Bewegungen oder seiner Schönheit gesehen. Er vergaß völlig, dass es ein Mann war, dem er voller Begeisterung und Freude Beifall klatschte.

Die eburischen Tänzer verneigten sich vor ihrem klatschenden Publikum. Wiederum fielen Razon Lateos Haare auf, die im lumineszierenden Licht schimmerten. Sein Herz machte einen Hüpfer, und er fühlte sich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal im Zirkus war.

Amatoris klopfte ihm auf die Schulter und sagte: "Also dann, vergiss nicht dein Versprechen einzulösen und dich bei Lateo zu …" Er machte eine kurze Pause und sagte dann grinsend: "… entschuldigen."
Razon verharrte abrupt. Plötzlich spürte er einen pochenden Schmerz in seinen Handflächen, und als er sie betrachtete, erschrak er förmlich darüber, wie rot sie vom Klatschen geworden waren. Sein Blick fiel wieder zu Lateo und den anderen Tänzern, die gerade die Bühne verließen. Ihm war plötzlich übel. Was war das gewesen? Hatte er sich tatsächlich am Anblick eines … männlichen Elfen ergötzt? Dem Schimmern seiner Haut, den Rundungen seiner Muskeln und dem Glanz seiner Augen gefrönt?

Sein Herzklopfen war so heftig, dass Razon schwindelig wurde und das Gefühl hatte, jeden Augenblick müsse irgendwo in seinem Körper eine Ader platzen.

"Alles in Ordnung? Geht es dir gut?"

Die Stimme klang wie aus weiter Ferne, obwohl Dulcis, der sehr besorgt aussah, direkt neben ihm stand.

Razon nickte und biss sich auf die Unterlippe. Er wollte sich nichts anmerken lassen.

"Ja, danke, ist nur … der Wein … und so …"
Dulcis lächelte. "Du warst für einen Moment leichenblass. Hör' lieber auf, Wein zu trinken und iss etwas."

Dann entfernte sich der Ebura wieder und Razon stand alleine da.

Er biss sich abermals auf die Unterlippe - sie musste inzwischen blutig und völlig zerbissen sein, jedenfalls fühlte sie sich so an - und ging durch die Menge schlängelnd auf die Elfentänzer zu, die es sich gerade - unter ihnen Lateo - auf roten Kissen gemütlich machten, die zu einer Art Sitzgruppe angeordnet waren. Andere Elfen und auch Menschen brachten Lateo und den anderen Tänzern Getränke und Essen. Razon gingen die ganzen Dinge, die Laxus über Lateo gesagt hatte, durch den Kopf und er fragte sich, ob der junge Elf, der so zerbrechlich wie eine Gipsfigur anmutete, auch schon mit seinen Tänzern das Schlaflager geteilt hatte. Allein an die Vorstellung, dass zwei Wesen desselben Geschlechts eine Liebschaft haben könnten, konnte sich Razon noch gewöhnen. Aber mit mehreren Personen und dann auch noch auf jene Art, wie Laxus sie beschrieben hatte …

Innerlich fühlte sich Razon zerrissen - auf der einen Seite empfand er Ekel, auf der anderen Seite aber auch Neugierde; so, wie es fast jedem Forscher nun mal ging. Ein Teil von Razon war neugierig darauf, ob jene Geschichten, die Laxus über Lateo erzählt hatte, auch alle der Wahrheit entsprachen. Trotz des Ekels machte die Vorstellung, dass die Geschichten wahr sein könnten, Lateo irgendwie … interessant.

"Reiß dich zusammen, Razon", sagte er laut vor sich hin. "Sei ein Mann und entschuldige dich bei dem Knaben, dann kannst du wieder gehen."

Er blieb vor der Sitzgruppe stehen und starrte mehrere Herzschläge lang auf die gesellige Runde der Tänzer herab. Einer war hübscher als der andere. Razon war zwar kein Ebura, konnte aber durchaus auch abschätzen, ob andere männliche Elfen nun hübsch oder hässlich waren.

Keiner achtete auf ihn und für einen Moment zog Razon es in Erwägung, einfach wieder zu gehen, als Lateo sich umdrehte, ihn erblickte und über das ganze Gesicht strahlte. Seine Augen, sein Haar … alles strahlte wie ein wundervoller Sonnenaufgang nach einem langen, kalten Winter.

"Komm', setz dich doch zu uns, Razon", rief Lateo und bedeutete ihm, sich neben ihn zu setzen.

Razon räusperte sich und schüttelte den Kopf.

"Nein, ich ähm …" Er rang mit den Worten, wusste nicht, wie er es anstellen sollte. Die eine Hälfte in ihm wollte einfach "Tut mir leid!" sagen und wieder gehen, doch die andere Hälfte in ihm …

"Ich muss mit dir sprechen", sagte Razon schließlich mit erhobener Stimme. "Alleine."

"Oh." Lateo wirkte überrascht.

Einer der Elfentänzer hielt sich kichernd eine Hand vor dem Mund, was Razon wieder nervöser machte. Lachte man über ihn, weil man vielleicht etwas vermutete, was gar nicht stimmte? Er versuchte, es zu ignorieren, scheiterte jedoch daran, was ihn dazu veranlasste, konkreter zu werden.

"Ja, ich muss mit dir etwas besprechen. Komm bitte mit!"

Lateo zuckte mit den Schultern und erhob sich. "Ihr entschuldigt mich kurz?!", sagte er an die anderen Tänzer gewandt und folgte Razon, der sogleich durch die Menge auf einen der Ausgänge zum Außengelände des "Tempels der Träume" marschierte. Der Ebura hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, doch das war Razon egal; er wollte nur schnell ins Freie und es hinter sich bringen.

Die Luft war kühl und der "Himmel", der in Wirklichkeit eine Art Kuppel über Auroria war, war ein mysteriös anmutendes Lichtspiel lumineszierender Nebel in den Farben Blau und Violett.

"So, endlich alleine."

Lateo verschränkte die Arme und musterte Razon skeptisch. "Du legst Wert darauf, mit mir alleine zu sein? Wie komme ich zu dieser Ehre?"

Razon kratzte sich nervös am Hinterkopf. Seltsam, warum begann es immer an dieser Stelle zu jucken, wenn man es nicht brauchen konnte?
"Ich, ähm, ich muss mich für mein Benehmen entschuldigen", sagte er hastig. Dann schluckte er und atmete tief durch. "Mir … mir ist nicht gut, entschuldige."

"Deswegen bittest du mich um Verzeihung?"

"Ja … nein, ich meine …" Razon musste abermals schlucken und konnte Lateo nicht mehr anblicken; jedenfalls nicht in sein Gesicht, also sah er seine Füße an. Doch die machten ihn auch nervös, also wechselte er seinen Blick zum Himmel mit den lumineszierenden Nebeln.

"Ich habe mich wie ein Blödmann aufgeführt", sagte er schließlich. "Mir ist bewusst, dass du oder die anderen mir nichts antun würdet. Es war nicht richtig, dich anzuschreien oder zu beleidigen."

Lateo lächelte. "Dafür möchtest du mich um Verzeihung bitten?", fragte er freundlich. "Das ist lieb von dir."
Wieder schlug Razon das Herz bis zum Hals. Wieso war er nur so nervös? Nun ja, er wusste es, wollte es sich aber nicht eingestehen.

"Ja, und deshalb …" Razon glaubte einen Augenblick, seine Atmung würde völlig ihren Betrieb einstellen, und auch sein Magen und die anderen inneren Organe sich einfach auflösen. Ihm war, als stünde er vor der einmaligen Gelegenheit, den größten Wunsch seines Lebens zu erfüllen, wusste aber nicht, ob er die Kraft hatte, es auch durchzuziehen. Springen und das Fliegen lernen oder lieber nichts riskieren … Wird das Feuer mich wärmen oder verbrennen … Wird die Medizin mich heilen oder töten …

"Ach, was soll‘s …"
Razon sprang regelrecht auf Lateo zu und schlang seine Arme um ihn; presste Lateos schlanken Körper fest an seinen eigenen und umarmte ihn so fest und plötzlich, dass der Ebura drei Herzschläge lang völlig erschrocken und regungslos dastand. Damit hatte Lateo nicht gerechnet.

Razon zitterte am ganzen Körper; er wusste nicht, was er da tat. Sein Verstand beschimpfte ihn in diesen Augenblicken wie ein wütender Vater seinen ungezogenen Sohn; was er denn da für einen Blödsinn veranstaltete. Doch sein Herz machte Luftsprünge und in seinem Inneren kroch ein unbändiges Bedürfnis danach empor, einfach laut zu lachen. Es fühlte sich so gut an, Lateo zu umarmen. Er roch noch viel besser, wenn er ihm so nahe war. Er spürte die feinen, weichen Haare an seiner Wange, die weiche, warme und gepflegte Haut, seinen Herzschlag …

Scheinbar eine Ewigkeit später erwiderte der noch völlig überraschte Lateo die Umarmung, indem er seine Arme um Razon schlang und ihn fester an sich drückte. Razon spürte es und er entspannte sich. Er hörte Lateo leise sagen: "Entschuldigung angenommen. Ich war nie wirklich böse auf dich."
Razon schloss die Augen und sog Lateos Geruch ein. Er hatte so sehr danach gegiert, diesen Elfen einmal so richtig zu umarmen, ihn anzufassen und seine Nähe zu spüren, dass dieser Augenblick für ihn wie eine Erlösung war. Langsam ließ er wieder von ihm ab und sah ihm in die Augen.

Sie sahen sich lange in die Augen, bis Razon schließlich sagte: "Gut, ich hoffe, du bist mir jetzt nicht mehr böse."
Lateo legte fragend den Kopf zur Seite. "Ich war niemals böse auf dich. Ganz im Gegenteil: Du warst wütend auf mich."
Razon zuckte mit den Achseln. "Wie auch immer. Ich weiß, dass ich kühl und taktlos wirke, aber in Wirklichkeit …"
"Bist du nur unsicher", beendete Lateo den Satz und legte seine Hand auf Razons Schulter. "Siehst du, nur eine Hand auf deiner Schulter. Eine Geste der Freundlichkeit wie deine Umarmung. Da ist nichts Schmutziges oder Böses dran."
Razon lachte leise. "Ja, stimmt." Er sagte nicht, dass die Wärme der Hand; diese Berührung, diese Nähe ihm fast den Verstand raubte. "Nur eine Hand."
Lateo lächelte.

Sie schlenderten auf dem langen, schmalen Balkon, der die gesamte Rückseite des Tempels umgab, entlang.

"Wir nennen sie Mondblitze", sagte Lateo, als Razon die Lumineszenz des Nebels bewunderte. "Ich bin kein Naturwissenschaftler, aber glaube zu wissen, dass es irgendetwas mit dem Saturn zu tun hat."
"Es hat eine Menge damit zu tun", sagte Razon. "Die Ringe des Saturns sind mit elektromagnetischer Energie aufgeladen, die wiederrum ihre Strahlung an die Atmosphäre von Titania abgibt. Hier an diesem Ort scheint sie sehr stark zu sein. Vielleicht ist sie auch der Grund dafür, dass hier mitten in der Eiswüste Leben existieren kann." Er schüttelte lachend den Kopf. "Tut mir leid, ich bin Forscher und Techniker und langweile dich bestimmt …"
"Aber nein, ich finde das sehr interessant", sagte Lateo lächelnd. "Weißt du, nur weil die meisten Ebura Tänzer und Künstler sind, sind sie noch lange nicht weltfremd."

Razon nickte. "Ja, natürlich. Entschuldige–"
"Und hör' damit auf, dich zu entschuldigen. Es sei denn, du knuddelst mich dafür wieder."

Jetzt lachten sie beide. Endlich konnte Razon darüber lachen.

Nach einer Weile wurde ihr Gespräch wieder ernster, als Lateo Laxus erwähnte.

"Du kannst dich mit ihm viel besser über diese Dinge unterhalten, nicht wahr?"

Razon nickte. "Ja, Laxus ist klasse. Er scheint ein großer Forscher und Entdecker zu sein."

"Ja, die meisten großen Denker wissen mit solchen Dingen umzugehen, haben aber keine Ahnung davon, wie man mit den lebenden, fühlenden Wesen umgeht."

"Wie meinst du das?"

Lateo blickte Razon ernst an. "Was hältst du von ihm? Ich meine, außer dass er ein großer Forscher und Techniker ist?"
"Von Laxus?"

Lateo nickte.

Razon kratzte sich nachdenklich am Kopf. "Na ja, er ist nicht gerade ordentlich, und er scheint gerne zu trinken …"
"Das meine ich nicht." Lateo blickte sich um, als wolle er sicher gehen, dass sie alleine und unbeobachtet waren. Dann sagte er etwas leiser und eindringlicher: "Ich meine, würdest du Laxus vertrauen? Darauf, dass er ehrlich ist zum Beispiel?"

Razon musterte Lateo fragend. Er war irritiert, denn es war das erste Mal seit seiner Ankunft in Auroria, dass über jemand anderen Zweifel ausgesprochen wurden.

"Wieso fragst du das? Natürlich vertraue ich Laxus. Jeder hier in Auroria ist vertrauenswürdig. Das wird mir zumindest immer wieder gesagt."
Lateo seufzte. "Ja, ich weiß. Aber …" Er setzte sich auf einen Felsen, der einen kleinen Teich umgab. Die Umgebung war ein Zwielicht aus lumineszierendem Blau und Nebel gehüllt. "Laxus ist mir irgendwie unheimlich."

Razon setzte sich zu ihm. "Nun ja, nach dem, was er über dich erzählt hat …"
"Was hat Laxus über mich erzählt?", fragte Lateo herausfordernd, beinahe schon aggressiv. "Nein, lass mich raten. Dass ich ein Schweinchen sei, dass ich alles und jeden ins Bett zerre, der nicht bei drei auf den Bäumen ist?"

Razon war noch mehr irritiert. Er setzte dazu an, etwas zu sagen, doch Lateo sprach weiter:

"Er erzählt diese Geschichte jedem, der in Auroria neu ankommt. Vor allem aber jene, dass ich ihn bei seiner Ankunft habe verführen wollen."
"Stimmt das denn nicht …"
"Kein Wort davon ist wahr, Razon", sagte Lateo leise, aber mit fester Stimme. "Laxus verbreitet Lügen. Man verzeiht es ihm, da man dachte, er sei bei seiner Ankunft verwirrt und desorientiert gewesen. Aber er hat sich bei mir nie entschuldigt und sich lieber in seinem Haus verkrochen. Übrigens ist Laxus der einzige in Auroria, der sich sein eigenes Haus selbst gebaut hat. Auroria hat bis heute für ihn keins erschaffen."

Das konnte Razon bestätigen und es stimmte ihn ebenfalls nachdenklich.

"Wieso tut er das, was vermutest du?", fragte er Lateo ernst.

Der junge Ebura seufzte und rieb sich den Oberarm. "Ich weiß es nicht. Vielleicht sehe ich auch Gespenster, aber mein Gefühl sagt mir, dass mit Laxus etwas nicht stimmt."

"Aber er gehört doch zu Auroria wie ihr alle."

Lateo musterte Razon streng. "Du zählst dich doch auch nicht zu 'uns' dazu, oder?"

Dazu fiel Razon nicht sofort eine Antwort ein, denn Lateo hatte recht. Er fühlte sich nicht wie ein "Aurorier", weil er nicht eburisch war. Oder vielleicht …

"Vielleicht … vielleicht hat sich Auroria geirrt?", sagte er unsicher.

"Komm schon, selbst wenn das der Fall ist - was ich bezweifle - wieso posaunt Laxus dann heraus, dass er eburisch sei? Er war derjenige, der damals bei seiner Ankunft MICH begrabscht und angemacht hat. Er hat mich dermaßen fest am Handgelenk gepackt, dass ich noch Tage lang blaue Flecke hatte."

Razon starrte Lateo erschrocken an; der Ebura fuhr unbarmherzig fort.

"Und es kommen noch mehr seltsame Dinge zusammen: Laxus spielt den notgeilen Ebura, lebt aber wie ein Mönch. Er bekommt von Auroria kein Haus geschenkt und er zieht sich von uns allen komplett zurück. Und er lügt, und zwar eindeutig."
"Sag' bloß, die Geschichten über dich entsprechen nicht der Wahrheit", sagte Razon skeptisch.

"Was denkst du denn?", rief Lateo errregt. "Ich …" Er seufzte und senkte den Kopf. "Ich habe noch nie mein Schlaflager mit jemandem geteilt. Ich … ich bin noch unberührt."

Das war nun in der Tat eine Überraschung für Razon. Lateo sah nicht nur unschuldig aus, er war es auch.

"Oh, das hätte ich nicht gedacht." Als Lateo ihn anfunkelte, fügte Razon schnell hinzu: "Ich dachte immer, dass alle hier in Auroria … also, ich meine …"
Lateo nickte verständnisvoll. "Ja, ich weiß was du meinst. Und die meisten leben auch so, und zwar in vollen Zügen. Es finden manchmal regelrechte Orgien statt. Auch wenn ich der Betreiber des Tempels der Träume bin, lebe ich nicht so. Ich warte darauf, mich zu verlieben."

Lateo musterte Razon mit einem ganz bestimmten Blick und es herrschte Schweigen.

"Du bist doch auch noch … unberührt, oder?"

Razon schluckte. "Darüber möchte ich nicht sprechen."
Lateo nickte. "Ja, ist schon gut."
Sie schwiegen wieder eine Weile, bis Razon ihr Gespräch über Laxus noch einmal aufgriff: "Nochmal wegen Laxus. Was glaubst du, wieso sollte er lügen und euch allen - auch mir - etwas vormachen?"
Lateo zuckte mit den Achseln. "Das entzieht sich meiner Vorstellung. Da gibt es natürlich etwas, was ich vermute, aber …"
"Dann sag mir eben, was du vermutest."

"Laxus ist ein Eindringling", sagte er und blickte Razon ernst an.

"Und wie … nein, das glaube ich nicht. Ich dachte, niemand weiß von Auroria."
"Ja, es klingt seltsam und unglaublich, aber es wäre die einzige Möglichkeit. Laxus ist ganz bewusst hier in Auroria."
"Aber …" Razon war verwirrt, aber was Lateo über den alten Knaben Laxus so erzählte - und wie er ihn auch selbst erlebt hatte - ließ in der Tat die Möglichkeit zu, dass Laxus ein Eindringling sein könnte. "Ich dachte, Auroria holt sich die Leute hierher …"
"Ja, aber du bist doch auch hier, oder?" Er blickte Razon an.

"Du hältst mich doch nicht auch für einen Eindringling, oder?"

Lateo lächelte. "Nein. Bestimmt nicht. Der Unterschied zwischen dir und Laxus ist jener, dass Laxus aller Welt erzählt, er sei ein Ebura, es aber nicht ist, während du dir alle Mühe gibst, deine eburischen Wurzeln zu verstecken. Vor allem vor dir selbst."

Mit diesen Worten erhob sich Lateo und entfernte sich.

"He, ich bin NICHT EBURISCH, klar?!", rief Razon ihm hinterher, und Lateo antwortete:
"Dann lass bei deiner nächsten Umarmung dein Herz nicht so schnell schlagen und deine Hände von meinem Hintern."

Razon erstarrte.

"Ich hatte meine Hände an seinem …", flüsterte er entsetzt.


Lateo war für Razon außer Sichtweite. Er lehnte sich gegen eine der vielen Säulen, die den Tempel umgaben und umschlang mit seinen Armen seinen Oberkörper. Noch nie war er so heftig und leidenschaftlich umarmt worden; immer hatte er dabei zusehen müssen, wie andere sich liebten und Zärtlichkeiten austauschten. Und dann die Berührung an seinem Hintern … Er kicherte leise darüber, dass Razon es wahrscheinlich selbst nicht richtig bemerkt hatte. Razon … er wirkte auf ihn wie ein Raubtier, das Angst davor hatte, Fleisch zu fressen. Der Elf mit den blauen Haaren glaubte vermutlich sogar selbst, dass er ganz "normal" war wie alle anderen seiner Art auch. Aber Lateo meinte, es besser zu wissen. Er spürte, dass Razons Herz wie ein einziger Eiszapfen war. Gefroren, erstarrt. Jemand musste es auftauen, dafür sorgen, dass es wieder leben konnte und nicht völlig abstarb.

Er stand eine ganze Weile schweigend da, lauschte dem fernen Lärm und der Musik, die im Tempel herrschte, und entschied wieder rein zu gehen. Razon würde auf ihn zukommen, wie er bereits für seine "Entschuldigung" zu ihm gekommen war. Er sah nicht die schattenhafte Gestalt hinter der Säule, sah sie nicht, als er sich in Bewegung setzte und zurück in den Tempel wollte, spürte jedoch, wie die Gestalt eine Hand auf seinen Mund presste und die andere Hand auf seine Brust, an jene Stelle, wo sein Herz saß. Für einen Herzschlag sah er noch die blauen Lichtblitze, die aus der Hand hervor und in seine Brust drangen, seinen ganzen Körper durchströmten und ihn in ein Meer aus schrecklichen Schmerzen eintauchten. Lateo verlor in jenem Augenblick das Bewusstsein, als er mit dem Gesicht voran zu Boden gestoßen wurde und die schattenhafte Gestalt davoneilte und mit der Dunkelheit der Nacht wieder verschmolz.

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