zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Es riecht nach Regen

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Prolog

„Es riecht nach Regen“, flüsterte er tonlos und umfasste die Hand in seiner noch etwas fester.

„Wie soll es denn nach Regen riechen?“, lachte diese dunkle Stimme neben ihm und ein fast mitleidiger Blick traf ihn.

„Der Wind, er riecht nach Regen“, erklärte er hilflos und versuchte dem Blick, der das Träumerische, das Kindliche in ihm verurteilte, zu entgehen.

„Quatsch, der Wind bläst einfach nur, du bildest dir das ein, Regen kann man nicht riechen“, erwiderte der Größere der beiden und legte seinen Arm um die Schultern seines Partners.

„Ich mag Regen“, flüsterte der und hob seinen Blick ’gen Himmel – ein paar einsame Tropfen begannen gerade Teile des Asphalts dunkel zu färben.

Es riecht nach Regen

Es war dunkel im Schlafzimmer, das Fenster war geöffnet und hin und wieder sah er, wie ein Windstoß die Vorhänge ein wenig ins Zimmer blies. Der Wind war kühl und fühlte sich gut an auf seiner Haut, die zu glühen, zu brennen schien. Dieses Gefühl spürte er in letzter Zeit oft, wenn er allein war – und er war oft allein. Sein ganzer Körper fühlte sich seltsam warm an, seine Haut spannte unangenehm, er fühlte sich ruhelos.

Die andere Hälfte des Bettes war leer, die zweite Decke lag zusammengelegt und unberührt neben ihm, das Kissen ebenso. Er fühlte sich einsam in diesem großen Bett, aber Alexander hat darauf bestanden, dass sie ein richtiges Doppelbett kauften, mindestens 2,40m breit – zwei Matratzen. Er brauchte das, genauso wie eine eigene Decke, hatte er damals gemeint.

Schon da hatte sich gezeigt, dass diese Beziehung viele Freiheiten fordern würde, die er, Konstantin, seinem Partner niemals hatte gewähren wollen. Er hatte von einer richtigen Beziehung geträumt, in der er alles mit seinem Partner gemeinsam tun könnte, in der er keine Nächte wie diese erleben müsste, in denen er alleine in einem viel zu großen Bett lag.

Doch er hatte es nicht geschafft sich dagegen zu wehren, Alexander brauchte seine Freiheit, das war seine Bedingung für eine Beziehung und weil er ihn eben liebte und den Gedanken nicht aushielt ihn wegen so etwas zu verlieren, hatte Konstantin seine eigenen Bedingungen über Bord geworfen. Alexander hätte es nicht getan, er schien zu stur seine Prinzipien für den Menschen, den er liebte, aufzugeben – er schien gar nichts für ihn aufgeben zu wollen.

Auch diese Nächte nicht, diese Nächte in denen er durch Clubs zog, in denen er all diese Menschen traf, mit denen Konstantin nicht zurecht kam. Er hatte es versucht, hatte Alexander begleitet, doch auch dessen Freunde kamen ebenso nicht mit ihm zurecht und irgendwann hatte Alexander ihm gesagt, er solle ihn nicht mehr begleiten – sie hätten doch anderweitig genug Zeit, sich zu sehen. Es war Konstantin vorgekommen, als schämte Alexander sich für seinen Freund, der so anders war, als diese Leute.

Anfangs war es schön gewesen wieder Freitag und Samstag Abend in Ruhe verbringen zu können, aber mit der Zeit hatte Konstantin gespürt, dass er jemanden neben sich vermisste. Alexander hatte wie erwartet empört und gereizt reagiert, als er ihn gefragt hatte, ob er nicht einmal an einem Abend zuhause bleiben wollte. Von Freitag Nachmittag bis Montag Abend war er nicht zurückgekommen und Konstantin war innerlich vor lauter Vorwürfen und vor lauter Angst tausend Tode gestorben, als er nicht nach hause gekommen war.

Als Alexander am Montag nach der Arbeit die Tür aufgeschlossen hatte, war er völlig fertig in dessen Arme gefallen und hatte sich fast heulend dafür entschuldigt, dass er so etwas von ihm verlangt hatte. Alexander hatte ihm verziehen und war sogar einen Abend lang am nächsten Wochenende zuhause geblieben, hatte Konstantin damit unbeschreiblich glücklich gemacht. Doch kaum war eine Woche vergangen war er wieder ausgegangen.

Konstantin sagte seitdem nichts mehr gegen Alexanders Angewohnheiten, auch wenn es ihn innerlich zerfraß, nachts im Bett zu liegen und sich nach menschlicher Nähe zu sehnen, während sein Partner irgendwo in der Stadt unterwegs war. Er traute sich überhaupt nicht mehr, etwas, das Alexander tat, zu kritisieren, seine Angst alleine da zu stehen war groß genug alles über sich ergehen zu lassen. Er liebte ihn doch! Er liebte ihn von ganzem Herzen.

Irgendwann hatte Alexander angefangen all das noch schlimmer zu machen. Er betrog ihn, tat das so offensichtlich, dass Konstantin ihm das nicht einmal vorwerfen konnte. Er war mit Konstantin in einem Club gewesen, als das zum ersten Mal passierte. Sie hatten ihr Halbjähriges feiern wollen, Alexander hatte weggehen wollen, Konstantin hatte zuhause, in Ruhe, romantisch feiern wollen, hatte sich aber der Meinung seines Freundes ohne zu widersprechen gebeugt.

Bis Mitternacht hatten sie zusammen getanzt, getrunken, gefeiert, waren glücklich gewesen und Konstantin hatte sein Glück kaum fassen können, als sein Freund einem Bekannten mit einem Lächeln berichtet hatte, dass sie feierten, ein halbes Jahr zusammen zu sein. Doch dieser Bekannte war nicht wieder gegangen und nachdem Konstantin einige Zeit später von der Toilette zurückgekommen war, hatte er die beiden gesehen, wie sie sich küssten. Er war sprachlos gewesen, hatte am liebsten heulen wollen, doch Alexander hatte sich verhalten, als hätte er nichts Schlimmes getan.

Die beiden waren später auf der Toilette verschwunden und hatten Sex gehabt, während Konstantin am Tisch gesessen hatte und versucht hatte, nicht zu weinen, damit Alexanders Freunde ihm das nicht später hätten erzählen könnten. Bestimmt wäre er wütend geworden, weil er ihn bloßgestellt hätte, da war Konstantin sich sicher gewesen. Erst am nächsten Abend, als Alexander wieder alleine in einen Club gegangen war, hatte er weinen können und er hatte den ganzen Abend lang im Bett gelegen und geweint.

Heute war es normal, dass Alexanders Körper nicht nur ihm gehörte. Er war ein freier Mann, konnte tun und lassen, was er wollte und Konstantin zerstörte es mit jedem Tage mehr. Jedes Mal, wenn sein Freund ihm sagte, dass er jetzt gehen würde, jedes Mal, wenn er sich umzog, seine Haare stylte und versuchte für andere gut auszusehen. Es machte ihn kaputt und seine Stimme schien mit jedem Mal leiser zu klingen, wenn er Alexander einen schönen Abend wünschte. Er stand oft lange an der Tür und blickte die Treppen hinunter.

Auch an diesem Abend war es so gewesen, Alexander hatte sich gegen acht Uhr umgezogen und ein neues Hemd angezogen, das Konstantin ihm vor einigen Tagen geschenkt hatte. Er hatte es in seinem Lieblingsladen gesehen, der auf dem Heimweg von seinem Arbeitsplatz lag, und er hatte gedacht, dass sein Freund sich darüber freuen würde, wenn er es ihm mitbrachte. Aus irgendeinem Grund hatte es ihm schrecklich weh getan, als Alexander gerade dieses Hemd anzog und ihn fragte, ob er damit gut genug aussehen würde, dass ihm der ganze Club hinterher laufen wollen würde.

Konstantin versuchte oft mit solchen Dingen die Aufmerksamkeit seines Freundes zu erlangen, hing dem hoffnungslosen Wunsch hinterher, dass er irgendwann aufhören würde ihn zu betrügen, wenn er es nur schaffte ein zufriedenstellender Freund zu sein. Natürlich, die Schuld musste doch bei ihm liegen, wenn Alexander ihn betrog, er würde es doch nicht tun, wenn er als Freund reichen würde und das tat er eben nicht, er musste sich mehr Mühe geben. Doch langsam aber sicher fiel ihm nicht mehr ein, was er noch tun sollte.

Er konnte nicht schlafen. Er sehnte sich unsagbar danach, dass Alexander nach hause kommen würde, sich neben ihn legen würde und sanft seine Arme um ihn schließen würde. Wie lange hatte er das schon nicht mehr getan? Konstantin wusste es nicht mehr. Er berührte ihn in letzter Zeit fast gar nicht mehr, manchmal glaube er, dass Alexander Angst davor hatte – oder spürte er Ekel? Sex hatten sie schon so lange nicht mehr gehabt, es musste Wochen her sein – oder waren es Monate? Und geküsst hatten sie sich auch schon seit Tagen nicht mehr – oder waren es Wochen? Es waren genau zwei Wochen.

Ein Freitag Abend. Konstantin hatte gekocht, weil es Alexander vor langer Zeit einmal gefallen hatte, wenn sie gemeinsam, romantisch essen konnten. Doch der hatte an diesem Tag eine Gehaltserhöhung erhalten und war in Feierlaune – und feiern ging nicht mit Konstantin. Also bekam er einen Kuss auf den Mund, sogar mit ein klein wenig Zunge, als Entschädigung und kurz später war sein Freund auch schon wieder verschwunden gewesen.

Ein Geräusch von irgendwo aus seiner Wohnung ließ Konstantin aufschrecken. Leise Stimmen, kaum vernehmbares Kichern. War Alexander zurückgekehrt? Von wem stammte die zweite Stimme? Konstantin wusste es nicht, aber er seine Angst stieg ins Unermessliche als er hörte, dass sich die Geräusche dem Schlafzimmer näherten. In letzter Zeit hatte er oft Angst wenn sein Freund sich in seiner Nähe aufhielt. Angst, dass er ihn verletzen würde, dass er ihm weh tun würde und diese Angst war berechtigt.

Die Schlafzimmertür wurde aufgestoßen und Konstantin erkannte im leichten Licht der Straßenbeleuchtung und des Mondes zwei Menschen in der Tür. Alexander und ein junger Mann, soweit er es erkennen konnte war er nicht älter als zwanzig. Sie küssten sich mit einer Leidenschaft, die Konstantin schon seit Monaten nicht mehr gespürt hatte, und stolperten ins Zimmer.

„Warte kurz“, hörte er Alexanders atemlose Stimme und versuchte sich schlafend zu stellen.

„Schatz? Konni! Wach auf!“, wandte sich sein Freund dann zu ihm und rüttelte leicht, aber nicht sanft an seiner Schulter. Blinzelnd öffnete Konstantin seine Augen und erkannte Alexanders Gesicht dicht vor seinem, einige schwarze Haarsträhnen hingen in sein Gesicht.

„Kannst du auf dem Sofa schlafen? Ich bräuchte das Bett“, flüsterte der und während er sprach durchwanderte seine Stimme die verschiedensten Tonlagen. Er musste getrunken haben.

„Bitte!“, meinte er schon befehlender, als Konstantin nicht sofort reagierte und zog die Decke von dessen Körper. Konstantin fühlte sich nackt, schutzlos und vor allem gedemütigt vor den Augen dieses Fremden, der die Szene sehr genau beobachtete. Kraftlos richtete er sich auf und stieg aus dem Bett. Ihm war kalt und er spürte ein Brennen in seinen Augen, ein drückendes Gefühl in seinem Bauch. Er wollte nicht weinen, nicht jetzt!

„Komm schon, Luca!“, hörte er Alexanders Stimme in einer Tonlage, in der er schon so lange nicht mit ihm gesprochen hatte. Er klang erregt, aufgerecht, bebend, leidenschaftlich.

„Alex, was ist...?“, begann der Fremde und sein Blick ruhte verwundert auf Konstantin, der seinen Kopf senkte und den Kampf gegen seine Tränen verlor.

„Lass ihn, das ist schon in Ordnung. Und jetzt komm her, ich brauch dich jetzt – hier!“, erklärte Alexander.

„Ist das echt in Ordnung?“, fragte der Fremde, doch Konstantin nickte nur tonlos weinend und schlang die Arme um seinen Körper. Ihm war so kalt. Alexander brauchte diesen Mann? Er brauchte ihn nicht mehr, für nichts. Er war eben noch da, weil er nicht gehen wollte und Alexander ihn nicht zum Gehen zwingen musste, er hatte auch so alles, was er brauchte.

„Komm endlich und lass ihn!“, wiederholte der und der Fremde blickte wieder zu Konstantin, der entgültig das Zimmer verließ und leise die Tür schloss. Er weinte noch immer, schluchzte jetzt, in der Hoffnung, dass die beiden da drin es nicht hörten, leise auf. Alexander würde mit Sicherheit wieder schrecklich wütend werden, dass er ihn so vor diesem Fremden blamiert hatte, weil er heulte. Konstantin hatte Angst davor und weinte deshalb nur noch mehr.

Zitternd ließ er sich auf dem Sofa nieder, dessen Lederbezug sich auf seiner Haut kalt und unangenehm glatt anfühlte. Langsam wurden die Geräusche aus dem Schlafzimmer lauter, Alexanders Stimme stöhnte wiederholt und laut den Namen „Luca“. Wie lange hatte er den Namen „Konni“ schon nicht mehr in dieser Tonlage über seine Lippen gebracht? Es musste ewig her sein, als sie die letzten Male Sex gehabt hatten, da hatte er fremde Namen gestöhnt, Namen, deren Besitzer Konstantin nicht kannte.

Das Stöhnen wurde lauter, anscheinend hielt sich der Fremde jedoch zurück, nur Alexander war laut zu hören und mit jedem Mal schloss Konstantin seine Arme fester um seinen Körper, umarmte sich selbst. Es gab keine Decke hier im Wohnzimmer und die Ledercouch war hart. Alexander hatte auf diese stilvollen Möbel bestanden, wobei er sich immer unwohl fühlte, dieses Wohnzimmer war nicht gemütlich, sondern strahlte Sachlichkeit aus.

Die Geräusche wurden noch lauter und plötzlich war dieses besonders laute Stöhnen zu hören, das Alexander von sich gab, wenn er beim Sex in seinen Partner eindrang. Es tat so weh das zu hören und Konstantins Körper zitterte noch stärker. Er konnte es nicht mehr kontrollieren und weinte noch mehr. Das Stöhnen schien nicht mehr aufhören zu wollen und es brachte auch nicht viel, als er sich aus Verzweiflung die Ohren mit den Händen zuhielt.

Am nächsten Morgen war es ganz still in der Wohnung, als Konstantin erwachte. Sein ganzer Körper schmerzte, als er sich vorsichtig bewegte. Seine Augen brannten, seine Glieder fühlten sich taub an. Die Tür des Schlafzimmers war geschlossen, das fremde Paar Schuhe stand unordentlich neben einem von Alexander. Er fühlte sich insgesamt taub an, als würde es gar nicht in sein Bewusstsein dringen, dass sein Freund mit einem anderen Mann in ihrem gemeinsamen Bett lag, dass er ihn letzte Nacht dafür auf die Couch geschickt hatte.

Er fühlte sich gleichgültig, er fühlte sich.... gar nicht. Unter Schmerzen erhob er sich von der Ledercouch und tappte langsam zur Küche. Sie hatten eine Wohnung gemietet, in der die Küche ins Wohnzimmer integriert war und nur durch einen hohen Tresen vom Wohnbereich getrennt war. Ihm gefiel das nicht, weil er gerne kochte und diese Küche klein war, damit sie nicht zuviel Platz des Wohnbereiches wegnahm, aber Alexander war das egal gewesen.

Gähnend befüllte er die Kaffeemaschine mit Kaffeepulver und Wasser, schaltete sie an. Er hatte mehr Wasser genommen als sonst, der fremde Mann würde sicher nach dieser Nacht auch Kaffee wollen und Alexander hätte es sicher nicht gut gefunden, wenn er nicht genug Kaffee gemacht hätte. Er deckte den runden Tisch vor dem Tresen für zwei Personen und stellte eine extra Tasse dazu, er selbst hatte keinen Hunger.

Als der Kaffee durchgelaufen war schenkte er seine Tasse voll und setzte sich danach wieder an den Tisch, ließ seine Blicke über die beiden Gedecke schweifen. Gerade während er darüber nachdachte, wann Alexander und der Fremde aufstehen würden, öffnete sich die Tür des Schlafzimmers und Letzterer trat ins Wohnzimmer. Der Mann sah verschlafen aus, seine dunkelblonden Haare waren etwas durcheinander und lockten sich an einigen Stellen, an denen das Haargel durch die Nacht aus seinen Haaren gerieben worden war.

Jetzt im Tageslicht erkannte Konstantin, dass der Fremde tatsächlich nicht älter als höchstens zweiundzwanzig sein konnte. Etwas unsicher schloss er die Tür hinter sich und trat dann zögernd zum Tisch. Er hatte eine Jeans und ein weißes T-Shirt an, welches sich eng an seinen Körper schmiegte und ein wenig ausgeprägte Muskulatur auf seiner Brust erkennen ließ. Alexander hatte das schon immer sehr anregend gefunden – er, Konstantin, hatte kaum Muskeln, weil er sich beim Sport viel zu leicht verletzte.

„Guten Morgen“, meinte der Fremde mit einer leisen Stimme, die ein wenig rau vom Schlaf, aber ruhig klang.

„Hallo“, erwiderte Konstantin und erschrak innerlich über die Gleichgültigkeit in seiner Stimme. Er sollte diesen Mann dort verabscheuen, aber er konnte es einfach nicht, genauso wenig, wie er Alexander dafür verabscheuen konnte, was er tat. Wie sollte er denn auch? Immerhin musste er doch derjenige sein, der etwas falsch machte, sonst hätte Alexander keine anderen Männer nötig.

„Darf ich mich setzen?“, fragte der Fremde und Konstantin nickte sofort. Aus irgendeinem Grund hatte er Angst, dass er einen Fehler beging, dass er diesem Mann gegenüber unfreundlich war und der es Alexander erzählte. Er hatte Angst vor Alexander, an diesem Morgen mehr als je zuvor. Bisher war er nie so extrem mit dessen Seitensprüngen konfrontiert worden und nun befürchtete er, dass Alexander sich von ihm trennen könnte, wenn er den Fremden nicht gut behandelte und damit den Eindruck machte, dass er ihn vergraulen wollte, damit Alexander sich wieder ihm widmete.

„Wer bist du eigentlich?“, wollte der Mann nach einiger Zeit Schweigen wissen und blickte ihn an.

„Ich heiße Konstantin“, erwiderte der leise.

„Luca. Sag mal, was war das heute Nacht?“, fragte der Fremde weiter und Konstantins Angst wuchs, dass er in diesem Gespräch etwas falsch machte.

„Was meinst du?“, stellte er deshalb als Gegenfrage und war schon versucht diesen Luca zu siezen. Es hätte zu dem demütigen Gefühl gepasst, das er verspürte, weil dieser Mann mit Alexander schlafen durfte und er nicht. Aber hätte ihn das nicht auch unfreundlich erscheinen lassen?

„Warum lagst du in Alex’ Bett?“, präzisierte Luca seine Frage und streifte mit seinem Blick kurz Konstantins Tasse. Der merkte sofort, dass er ihm nichts zu trinken geholt hatte, stand also postwendend auf, griff nach Lucas Tasse und ging in die Küche um die mit Kaffee zu füllen.

„Alexander ist mein Freund“, antwortete er erst, nachdem er die Tasse des Mannes gefüllt auf den Tisch gestellt hatte.

„Dein Freund? Aber wieso hat er dann...?“, begann Luca und blickte ihn etwas zerstreut an. Konstantin hatte keinen blassen Schimmer, wie er das alles erklären sollte. Er durfte nichts falsch machen, durfte nicht verletzt oder gekränkt klingen, wenn er erklärte, dass er Alexander nicht genügte.

„Alexander braucht ein wenig Abwechslung und seine Freiheiten, das ist in Ordnung“, erklärte er also und hoffte inständig, dass er das gleichgültig genug ausgedrückt hatte, ohne traurig zu klingen.

„Er betrügt dich in eurem gemeinsamen Bett und das ist in Ordnung für dich?“, fragte Luca überrascht und sah ihn mit großen Augen an. Konstantin schmerzte diese ausgesprochene, direkte Formulierung davon sehr, er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen.

„Aber warum hast du dann geweint?“, fügte Luca hinzu, nachdem Konstantin nicht auf seine Frage reagiert hatte. Was hätte er auch sagen sollen? Das selbe Problem hatte er auch mit dieser Frage. Wie sollte er nur erklären, dass er geweint hatte? Er durfte sich nicht anmerken lassen, wie sehr ihm das weh tat! Was war, wenn dieser Luca ein guter Freund von Alexander war? Dann würde er ihm doch sicher von diesem Gespräch erzählen, immerhin klang es sehr vertraut, wie er ihn „Alex“ nannte. Konstantin war völlig überfordert.

„Warum tust du so, als wäre dir das egal?“, fragte Luca, als Konstantin noch immer nicht geantwortet hatte.

„Es ist wirklich in Ordnung, ich tue nicht nur so!“, erwiderte Konstantin diesmal sofort und versuchte seine Stimme empört klingen zu lassen.

„Und deshalb hast du geweint, als er dich auf die Couch geschickt hat, obwohl es in Ordnung ist?“, konterte Luca und zog seine Augenbrauen hoch. Konstantin fühlte sich schrecklich. Er hatte einerseits Angst, dass er etwas Falsches sagte, hatte andererseits aber auch Angst, dass er die Fragen von Luca nicht mehr aushielt und zu weinen begann.

„Das war nicht deshalb“, erklärte er notdürftig und merkte selbst, dass man es ihm anhörte, dass er log.

„Ach? Sei ehrlich, du hast doch sehr wohl geweint, weil er dich weggeschickt hat!“, erwiderte Luca überzeugt. Konstantin musste mit jedem Wort stärker gegen seine Tränen ankämpfen, er wusste nicht mehr, wie lange die Angst, Alexander könne es erfahren, ihn davor bewahren würde, zu weinen. Es war so seltsam, dass dieser völlig Fremde, der gerade letzte Nacht mit seinem Freund geschlafen hatte, erkannte, wie sehr ihm das weh tat, während Alexander ihn und seine Gefühle dabei vollkommen ignorierte.

„Alexander braucht seine Freiheiten“, sprach er fast flüsternd und verfluchte sich innerlich dafür, dass seine Stimme so schwach klang.

„Aber in einer Beziehung kann man nicht einfach so mit anderen Männern schlafen! Das zählt doch nicht mehr unter Freiheit“, erwiderte Luca mit zusammengezogenen Augenbrauen. Konstantin schluchzte. Er konnte nicht mehr anders. Es tat so weh zu hören, dass die Beziehung zu Alexander gar keine Beziehung mehr war. War er denn so unzureichend als Freund, dass er ihre gesamte Beziehung damit kaputt gemacht hatte?

„Macht Alex das öfter?“, fragte Luca und trank zum ersten Mal einen Schluck von dem mittlerweile sicher erkalteten Kaffee. Konstantin nickte nur noch, biss seine Zähne zusammen um nicht zu schluchzen.

„Hast du schon einmal mit ihm darüber geredet?“, wurde er weiter gefragt und schüttelte diesmal den Kopf. Mit ihm reden! Wie könnte er denn mit Alexander darüber reden?

„Ich kann nicht glauben, dass Alex so was macht“, murmelte Luca nachdenklich und blickte ihn dabei an.

„Kennst du ihn gut?“, fragte Konstantin mit erstickter Stimme und schluchzte ungewollt auf, bevor er das Wort „gut“ aussprechen konnte.

„Wir kennen uns seit einigen Wochen, haben ein paar Mal miteinander gesprochen und haben uns gestern das erste Mal besser unterhalten. Aber ich hätte so etwas nicht von ihm gedacht“, erwiderte Luca und sah ihn weiter nachdenklich und ein wenig mitleidig an.

„Hat er mich jemals erwähnt?“, wollte er wissen und wich Lucas Blick aus, weil er merkte, wie ihm mehr Tränen in die Augen stiegen, die er nicht mehr durch Blinzeln verschwinden lassen konnte. Luca schüttelte den Kopf, schien das allerdings ein wenig widerwillig zu tun. Konstantin schluchzte von neuem auf und diesmal konnte er seine Tränen nicht mehr unterdrücken, die begannen beständig über seine Wangen zu laufen.

„Dir ist das alles andere als egal“, meinte Luca noch immer in einem nachdenklichen Ton und brachte Konstantin damit nur dazu noch mehr zu schluchzen. Er hielt es nicht aus das zu hören. Natürlich war es ihm nicht egal! Wie könnte es? Wie könnte es ihm denn egal sein, wenn sein Freund, der Mann, den er abgöttisch liebte ihn betrog? Ihn betrog und ihm das auch noch so deutlich zeigte! Ihn betrog, während er im Nebenzimmer schlafen musste!

Das Herunterdrücken der Türklinke der Schlafzimmertür riss ihn aus seinen Gedanken und erschrocken wischte er sich die Tränen von den Wangen – Alexander durfte das auf keinen Fall sehen! Zu seinem Glück hatte Konstantin schnell genug reagiert und das Nass von seinen Wangen gewischt, wenn er seinen Blick ein wenig senkte, dann könnte Alexander nichts bemerken.

„Guten Morgen“, hörte er dessen Stimme leise, rau, verschlafen und dunkel. Sie ließ einen unangenehmen Schauer über seinen Rücken laufen. Er hatte sich viel zu sehr gehen lassen, Luca würde Alexander sicher davon erzählen.

„Guten Morgen“, erwiderte der und blickte dabei etwas verwundert zu Konstantin. Dieser erhob sich augenblicklich, als Alexander auf den Tisch zukam. Er hatte hier nichts verloren, er würde bestimmt mit seinem Freund, Luca, in Ruhe frühstücken wollen – ohne ihn. Er reagierte nicht auf Konstantins Flucht, nur Luca blickte ihn weiterhin verwundert an. Konstantin ging zur Schlafzimmertür und merkte, wie seine Augen wieder wässrig wurden, als er ein leises Geräusch vom Tisch hörte – Alexander hatte Luca wohl gerade geküsst.

Erschöpft schloss er die Tür des Schlafzimmers hinter sich und blickte schluchzend auf das Bett. Es fühlte sich schrecklich an, dass sein Freund ihn ausgerechnet hier hatte betrügen müssen. Vielleicht hätte er sich nicht ganz so nutzlos und vor allem überflüssig gefühlt, wenn Alexander ihn auf dem Sofa betrogen hätte, wenn er ihn nicht dafür weggeschickt hätte.

Er hörte leise Stimmen aus dem Wohnzimmer, die langsam lauter wurden. Lucas Stimme klang aufgeregt und Alexanders klang mit einem Male gereizt. Sicher sprachen sie gerade über ihn und Alexander wurde wütend, weil er Luca von dieser Sache erzählt hatte. Bestimmt würde er wahnsinnig böse auf ihn sein, ihn vielleicht mal wieder mit tagelangem Schweigen strafen, er tat das hin und wieder, wenn Konstantin sich in irgendeiner Weise hatte anmerken lassen, dass er ihn mit all dem verletzte.

Er trat ans Fenster und öffnete es leise, die beiden hatten es in der Nacht wohl geschlossen. Die Luft war ein wenig stickig, fühlte sich schwer an beim Atmen. Langsam aber sicher wurde ihm klar, dass er Alexander mittlerweile einfach überdrüssig werden musste. Er war doch nur noch ein Anhängsel und wahrscheinlich hatte er ihm jetzt auch noch Streit mit Luca beschert. Er hatte es wohl langsam völlig verbockt. Nur wie sollte er ohne Alexander leben? Er liebte ihn noch immer mit jeder Faser seines Herzens, egal wie sehr er ihm weh getan hatte, egal wie schlecht er ihn behandelt hatte.

Das Öffnen der Schlafzimmertür ließ ihn ein weiteres Mal aus seinen Gedanken schrecken. Er traute sich nicht sich umzudrehen. Eventuell war Luca gegangen und Alexander war nun hier um mit ihm Schluss zu machen? Bestimmt würde er ihm sagen, dass er aus der gemeinsamen Wohnung verschwinden solle und natürlich würde Konstantin das tun, wenn Alexander das von ihm verlangte. Er hatte ihm noch nie widersprechen können.

Doch anstelle von Alexander trat Luca leise neben ihn und lehnte sich ebenfalls gegen das Fensterbrett. Beide standen einfach nur am Fenster, blickten einige Zeit stumm nach draußen und atmeten tief die frische Luft von draußen ein. Konstantin fühlte sich erschöpft und vor allem kraftlos, das alles wurde langsam aber sicher zu viel für ihn, viel zu viel.

„Es riecht nach Regen, findest du nicht auch?“, fragte Luca leise und blickte mit einem leichten Lächeln zu Konstantin. „Alexander ist gegangen.“

Lesemodus deaktivieren (?)