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Höhen und Herzen

Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst

Teil 8 - Ein Angebot, das alles verändert

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Mein Leben auf dem Sprung – Und Leo ist Teil davon

Zwischen Träumen und Realität – Wie bin ich hier gelandet?

Mein erster klarer Gedanke ist: Wo bin ich?

Mein Körper fühlt sich seltsam an. Schwer, als würde ich tiefer und tiefer in die Matratze gedrückt werden. Gleichzeitig ist da diese unangenehme Leichtigkeit, dieses Gefühl, dass ich irgendwie nicht vollständig hier bin. Mein Kopf ist… neblig. Nicht direkt schmerzhaft, aber träge. Wie nach einem zu langen Schlaf oder einem heftigen Training, das den Körper bis ins Mark erschüttert hat.

Ich blinzle gegen das fahle Licht, das durch die halb geschlossenen Jalousien fällt. Graublaues Morgendämmerungsschimmern. Mein Zimmer. Mein Bett. Meine Decke, die irgendwie nur halb über mir liegt, als hätte ich mich die ganze Nacht hin und her gewälzt.

Und dann…, die nächste Frage: Wie bin ich hier her gekommen?

Mein Blick bleibt an der Decke hängen, während mein Gehirn langsam versucht, die letzten Puzzlestücke zusammenzusetzen.

Gestern: Ich war beim Shooting. Klettern. Die Route. Der Überhang. Mein Körper brannte, meine Muskeln waren leer. Dann das Video. Finns Worte. Leos Blick. Sein Grinsen. Mein Herzschlag, der zu schnell war – nicht nur vom Adrenalin.

Bobby: Er hatte mich nach Hause gebracht. Ich erinnere mich an seine besorgten Blicke im Auto, an seine Stimme, die irgendwo in meinem Dämmerzustand geschwommen ist. Aber danach? Mein Gedächtnis ist ein einziges schwarzes Loch! Mein Magen zieht sich zusammen, als mir eine unangenehme Möglichkeit bewusst wird. Hat Bobby mich ins Bett getragen?

Ich drehe langsam den Kopf zur Seite, als könnte ich irgendwo einen Beweis finden. Mein Blick bleibt an der halb geleerten Flasche auf meinem Nachttisch hängen. Grüne Flüssigkeit. Elektrolytgetränk. Ich weiß es sofort.

Kai. Leo. „Trink das, Justin.“ Leos Stimme hallt in meinem Kopf nach. Ich spüre fast noch die kalte Flasche in meinen Händen, die Art, wie seine Finger kurz meine berührt haben. Ich schlucke trocken. Mein Mund fühlt sich furchtbar an. Also greife ich nach der Flasche, drehe den Deckel ab und setze an. Fehler. Die Flüssigkeit trifft meine Zunge, und ich zucke sofort zusammen. Salzig. Sauer. Künstlich. Mein Gesicht verzieht sich automatisch. „Ugh…“

Ich räuspere mich, aber mein Körper weiß, dass ich es brauche. Also nehme ich noch einen Schluck, auch wenn ich mich innerlich dagegen sträube. Es ist, als würde mein Körper das Zeug aufsaugen, noch bevor ich es richtig geschluckt habe.

Mein Blick schweift durch das Zimmer. Mein Shirt liegt auf dem Boden. Meine Jogginghose, nicht die, die ich gestern anhatte, hängt halb über der Stuhllehne. Warte ... .

Ich starre an mir herunter. Mein Oberkörper ist nackt. Mein Bauch liegt frei, die Decke ist zur Seite gerutscht. Ich sehe meine Haut, die noch leicht gerötet ist von der Massage gestern, die feinen Linien meiner Bauchmuskeln, die unter dem weichen Licht kaum sichtbar schimmern. Der erste dunkle Haaransatz, der sich kurz unterhalb meines Bauchnabels abzeichnet. Die Sehnen an meinen Armen, die unter der Haut hervortreten, weil mein Körper noch immer leicht angespannt ist. Ich atme langsam aus. Ich sehe… anders aus.

Seit dem Shooting betrachte ich mich bewusster. Ich sehe, wie definiert meine Schultern geworden sind, wie meine Arme sich verändert haben. Nicht nur dünn, sondern geformt vom Training. Mein Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig, aber ich kann die Müdigkeit in jeder Faser meines Körpers spüren.

Und dann trifft es mich. Bobby hat mich ausgezogen. Ich bin nur noch in Shorts. Meine Shorts. Er hat mich also wirklich ins Bett gebracht. Ein heißes, unangenehmes Prickeln breitet sich in meinem Gesicht aus. Peinlichkeit, Scham, und gleichzeitig…, Dankbarkeit. Er hat nichts gesagt. Hat mich einfach machen lassen. Kein dummer Spruch. Kein „Kleiner Bruder“-Kommentar.

Ich stöhne leise, drücke meinen Kopf ins Kissen. Ich bin sechzehn. Sechzehn. Aber in Bobbys Augen bin ich immer noch dieser kleine Junge, den er beschützen muss. Immer noch der, den er ins Bett bringt, wenn er zusammenklappt. Und verdammt. Ich hasse, dass er damit nicht mal Unrecht hat.

Mein Körper beschwert sich sofort, als ich mich aufsetze. Mein Nacken zieht, meine Schultern fühlen sich an, als hätte jemand Beton in sie gegossen. Meine Waden protestieren, als ich die Beine ausstrecke. Ich lasse meinen Kopf nach hinten fallen, schließe für einen Moment die Augen. Ich bin fertig. Komplett ausgelaugt. Und trotzdem…, Leo. Er ist immer noch in meinem Kopf. Sein Blick gestern, als ich nach dem Video zu ihm rüber gesehen habe. Dieses Grinsen, aber nicht wie übliche herausfordernd, sondern etwas anderes.

Ich schlucke. Ich habe gesagt, dass ich ihn heute sehen will. Dass ich mit ihm reden will. Und mit jeder Sekunde, die vergeht, mit jedem Atemzug, den ich nehme, mit jeder Muskelspannung in meinem Körper wird mir eines klarer: Ich kann es kaum erwarten.

Jetzt setze ich die Flasche ab, lasse sie mit einem dumpfen Klack auf den Nachttisch sinken. Mein Magen zieht sich leicht zusammen, rebelliert gegen die plötzliche Welle von Elektrolyten und künstlichem Zitronengeschmack. Aber mein Körper verlangt danach. Ich spüre es. Während ich die Hand auf meinen Bauch lege, leicht mit den Fingern über die angespannte Haut streiche, kommt es zurück.

Gestern: Die Erinnerungen rollen langsam über mich hinweg. Die Anstrengung. Die Kletterwand, die mich an meine Grenzen gebracht hat. Jeder Griff, jede Bewegung. Der Moment, als meine Finger fast den Halt verloren hätten – und ich mich trotzdem durchgezogen habe. Mein Atem wird flacher, als ich daran denke, wie mein Körper sich oben an der Wand angefühlt hat. Voller Spannung, voller Kontrolle. Und dann, nach dem letzten Griff…

Erlösung: Meine Muskeln entspannten sich, aber mein Herz? Mein Herz raste. Ich sehe mich selbst vor mir. Nicht so, wie ich mich sonst im Spiegel sehe sondern so, wie ich gestern auf der Leinwand zu sehen war. Von außen.

Stark. Präzise. Kontrolliert. Es war, als hätte ich mich selbst zum ersten Mal wirklich wahrgenommen. Die Nahaufnahmen meiner Hände. Meine Finger, leicht gerötet vom Griff an den rauen Klettersteinen, das weiße Magnesia, das sich in die feinen Linien meiner Haut gesetzt hat. Die Spannung meiner Unterarme, die Sehnen, die sich über meine Haut abzeichneten, jeder Muskelzug sichtbar unter dem Stoff meiner Kleidung.

Ich blicke an mir herunter. Mein Oberkörper liegt noch immer frei, nur die dünne Shorts hält die Grenze zwischen mir und der kühlen Morgenluft. Ich sehe anders aus. Nicht nur, weil ich trainiere. Sondern weil ich gestern gesehen wurde. Ich streiche über meine Brust, spüre die Wärme meiner eigenen Haut. Meine Rippen zeichnen sich leicht unter meiner Haut ab, meine Bauchmuskeln, die nicht übertrieben definiert sind, aber deutlich spürbar unter der glatten Oberfläche liegen. Die leichten Vertiefungen an meinen Seiten, der Ansatz einer V-Linie, die sich unterhalb meines Bauchnabels abzeichnet. Mein Körper fühlt sich fremd an und gleichzeitig…, richtig. Vielleicht ist es Einbildung. Vielleicht liegt es nur daran, dass ich mich gestern anders gesehen habe. Aber…, vielleicht auch nicht. Mein Blick wandert zu meinen Armen. Ich spüre noch immer die Erschöpfung, die sich in jeder Faser meiner Muskeln eingenistet hat. Die leichten Zuckungen, wenn ich meine Finger anspanne. Die dumpfe Müdigkeit in meinen Schultern. Ich drehe die Handfläche nach oben, betrachte die leichten Druckstellen, die immer noch von den Seilen und Griffen zeugen. Ich habe mich gestern selbst an meine Grenze gebracht. Und trotzdem…, ich fühle mich gut.

Dann, …, Leo. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Sein Blick. Wie er mich angesehen hat, als das Video zu Ende war. Nicht einfach nur beeindruckt. Nicht nur stolz. Da war mehr. Etwas, das mir immer noch unter die Haut kriecht. Ich sehe ihn vor mir, in diesem Moment, als die Leinwand schwarz wurde und Stille im Raum lag. Die Sekunden, in denen er mich einfach nur angeschaut hat, als hätte er selbst nicht damit gerechnet, so zu reagieren. Als hätte er mich nicht so erwartet.

Mein Brustkorb hebt sich, als ich tief Luft hole. Ich spüre, wie mein Magen sich leicht zusammenzieht. Nicht unangenehm, aber intensiv. Ich will ihn wiedersehen. Und ich will herausfinden, ob das, was gestern zwischen uns lag, nur Einbildung war. Oder ob da, wirklich…, mehr ist.

Mein Blick gleitet zurück auf meine Hände, die noch immer leicht auf meinem Bauch ruhen. Ich spüre meinen eigenen Puls unter meinen Fingerspitzen. Gleichmäßig. Ruhig. Aber in meinem Kopf? Dort ist nichts ruhig. Dort ist nur Leo. Mein Herz schlägt zu schnell. Ich liege auf dem Rücken, starre an die Decke, aber mein Puls pocht bis in meine Fingerspitzen. Ich spüre ihn. In meinen Handflächen, unter meiner Haut, tief in meiner Brust. Heute. Heute treffe ich mich mit Leo. Ein Zittern läuft durch meinen Körper. Nicht vor Kälte – es ist pure Nervosität. Ich muss mit ihm reden. Ich muss es wissen. Ist es alles nur Einbildung?

Oder fühlt er genauso? Ein Gedanke jagt den nächsten, und mein Kopf kommt nicht hinterher. Was, wenn ich zu viel hineininterpretiert habe? Was, wenn er nur diesen typischen Leo-Charme hat, ohne dass da mehr ist? Was, wenn ich alles kaputt mache, nur weil ich Antworten will? Aber… was, wenn er es auch fühlt? Was, wenn es all die Blicke, die kleinen Berührungen, die Andeutungen wirklich gibt – und nicht nur in meinem Kopf? Ich presse meine Hand auf meine Brust, spüre das Hämmern meines Herzens unter meinen Fingern. Es fühlt sich an, als würde ich gleich explodieren. Ich muss aufstehen. Jetzt. Ich schiebe die Decke zur Seite, drehe mich auf die Seite – und dann…

Wenn der Körper nicht will – Die Realität schlägt zu

Mir wird schlecht. Nicht ein bisschen. Richtig. Der Raum schwankt. Ein dumpfes, pulsierendes Rauschen breitet sich in meinem Kopf aus, als hätte jemand den Ton in meinem Gehirn runtergedreht. Ich blinzele, versuche, mich zu sammeln, aber alles fühlt sich zu schnell an. Mein Magen zieht sich zusammen, ein unangenehmes Flattern breitet sich unter meiner Haut aus. Ich versuche trotzdem, mich aufzurichten. Stütze mich mit beiden Händen auf der Matratze ab.

Falsche Entscheidung. Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen, meine Arme werden weich wie Wackelpudding. Mein Körper schreit mich an, dass ich zu lange ignoriert habe, was er wirklich braucht. Ich presse die Augen zusammen. Tief durchatmen. Aber mein Brustkorb fühlt sich eng an. Mein Herzschlag unregelmäßig, als würde er sich nicht entscheiden können, ob er rasen oder stolpern soll.

Meine Finger klammern sich an die Bettkante. Zu schwach. Meine Knie zittern, als ich sie bewege. Ich spüre den kalten Schweiß, der mir über die Schläfen läuft. Mein Körper fühlt sich nicht nur erschöpft an. Er fühlt sich leer an. Ich schlucke schwer. Ich brauche Wasser. Essen. Irgendetwas. Aber ich schaffe es nicht einmal, aufzustehen.

Ein unangenehmes Kribbeln zieht durch meinen Nacken. Ich hasse das Gefühl, so schwach zu sein. Ich hasse es, dass mein Körper mich jetzt im Stich lässt – genau heute, wo alles darauf hinausläuft, dass ich Antworten bekomme. Ich presse meine Lippen zusammen. Ich will das allein hinbekommen. Ich will nicht um Hilfe rufen. Aber dann sacke ich ein kleines Stück nach vorne, und mein Magen verkrampft sich so unangenehm, dass mir keine andere Wahl bleibt. Ich öffne den Mund, meine Stimme ist rau, heiser. Fast schwach: „Bobby?“

Keine Antwort. Ich schlucke. Versuche es nochmal. Dieses Mal lauter: „Bobby?“ Ich höre Schritte. Dann geht die Tür auf. Bobby steht im Rahmen. Jogginghose, Hoodie, Haare total zerzaust – als hätte er eben erst selbst gedöst. Aber in dem Moment, in dem er mich sieht, verändert sich sein Gesichtsausdruck. Er braucht keine zwei Sekunden, um die Lage zu checken. Sein Blick wandert von meinem Gesicht zu meinen zittrigen Händen an der Matratze. Mein blasses, schweißbedecktes Gesicht spiegelt sich in seinen Augen. „Justin…?“ Seine Stimme ist sofort weich, aber wachsam. Zu wachsam. Ich versuche zu grinsen, aber es fühlt sich nicht echt an: „Ich glaube…, mein Körper hasst mich gerade.“

Bobby kneift die Augen zusammen. Er kommt sofort näher, hockt sich vor mein Bett. Seine Finger berühren meine Hand – warm, ruhig, fest. Ich zucke leicht zusammen. Er mustert mich. Sein prüfender Blick fährt über mein Gesicht, meinen angespannten Kiefer, die feinen Muskelzuckungen in meinen Armen. Dann verengt er die Augen: „Du bist kreidebleich.“ Seine Stirn legt sich in Falten. „Wann hast du das letzte Mal richtig gegessen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Gestern, … irgendwann?“ Falsche Antwort. Bobby schnaubt, fährt sich durch die Haare. Seine Kiefermuskeln zucken. „Super.“ Seine Hände ballen sich kurz zu Fäusten, bevor er tief durchatmet. Ich sehe, wie er sich zwingt, ruhig zu bleiben. Dann kommt der Bobby-Blick. Der „großer Bruder“-Blick. Der, der mir sagt, dass ich keine Wahl habe.

„Okay. Bleib sitzen. Ich hole dir was zu essen. Und nein, du diskutierst nicht.“ Ich kann nur nicken. Als er sich erhebt und in Richtung Küche geht, sinke ich wieder leicht zurück in mein Kissen. Mein Herz hämmert noch immer gegen meine Rippen.

Ich wollte heute mit Leo reden. Ich wollte alles wissen. Aber jetzt? Jetzt kann ich nicht mal aufstehen, ohne dass mein Körper mir zeigt, wie verdammt überlastet er ist. Mein Blick fällt auf meine Hände, die sich langsam wieder entspannen. Ich sehe die feinen Linien der Sehnen, die Schatten meiner Muskeln unter der Haut. Ich spüre meine eigene Erschöpfung so intensiv, dass sie fast ein Eigenleben entwickelt. Aber in meinem Kopf? In meinem Kopf gibt es nur eine Frage. Wird Leo heute überhaupt auf mich warten?

Frisch machen – Der Spiegel ist mein Feind

Das Bad ist kühl. Die Fliesen unter meinen Füßen fühlen sich eiskalt an, und als ich die Tür hinter mir schließe, bin ich für einen Moment ganz allein mit meinem eigenen Spiegelbild. Fehler. Mein Blick trifft auf mein Gesicht. Ich sehe… zerstört aus. Dunkle Schatten unter meinen Augen. Blasse Haut, als hätte jemand all das Leben aus mir gesogen. Meine Lippen sind trocken, leicht rissig. Und meine Haare? Ich sehe aus, als hätte ich die Nacht in einem Sturm verbracht. Mein Körper fühlt sich genauso an. Mein Rücken schmerzt, jede Bewegung zieht unangenehm durch meine Muskeln. Meine Schultern sind verspannt, meine Arme fühlen sich schwer an – als hätte ich beim Klettern nicht nur die Wand, sondern eine ganze Bergkette hochgezogen.

Ich atme tief durch. Es bringt nichts, mich weiter zu mustern. Ich sehe müde aus, weil ich müde bin. Ich sehe kaputt aus, weil ich kaputt bin. Aber verdammt, ich muss jetzt irgendwie wieder funktionieren. Ich drehe den Wasserhahn auf, lasse das kalte Wasser laufen und schöpfe es mit beiden Händen. Ich weiß genau, dass es einen Schock durch meinen Körper jagen wird, aber ich tue es trotzdem und lasse das eiskalte Wasser über mein Gesicht spritzen.

Ein harter Ruck geht durch mich. Mein Atem stockt für einen Moment. Dann kommt dieses prickelnde Gefühl – wie tausend kleine Nadeln auf meiner Haut. Das Brennen in meinen müden Augen lässt nach, meine Haut spannt sich leicht, und für einen winzigen Moment fühlt sich mein Kopf klarer an. Ich atme tief ein, lehne mich auf das Waschbecken und spüre, wie das kalte Wasser von meinem Kinn auf meine Brust tropft. Mein Herz schlägt ein kleines bisschen ruhiger. Es hilft. Nicht viel. Aber es hilft.

Ich ziehe mir mein Shirt über den Kopf, spüre, wie der Stoff an meiner Haut klebt. Selbst nach all den Stunden fühlt sich mein Körper noch überhitzt an, als wäre die Anstrengung von gestern tief in mich eingebrannt. Als ich die Shorts fallen lasse und in die Dusche steige, durchfährt mich ein leichter Schwindel. Ich halte mich an der kühlen Wand fest. Meine Muskeln sind geschunden. Mein Bauch zieht leicht, als ich mich strecke. Meine Arme fühlen sich steif an, meine Beine brennen noch immer nach. Ich sehe an mir herab – die feinen Linien meiner Bauchmuskeln zeichnen sich unter meiner leicht feuchten Haut ab, doch die Erschöpfung ist sichtbarer. Kleine Rötungen an meinen Händen, Druckstellen an meinen Fingern von den Griffen der Wand. Ich bin trainiert. Drahtig. Jeder Muskel ist definiert, jede Sehne sichtbar. Aber gerade…? Gerade sehe ich aus wie jemand, der jeden verdammten Tropfen Energie aus seinem Körper gequetscht hat.

Ich stelle das Wasser an. Der erste Schwall ist eiskalt. Ich zucke zusammen, kann nicht verhindern, dass ich kurz Luft hole. Doch dann…, dann wird es wärmer. Langsam, fast vorsichtig. Ich lasse das warme Wasser über meine Schultern laufen, über meinen Rücken, meinen Nacken. Spüre, wie meine Muskeln sich leicht lösen, aber auch wie die Erschöpfung sich mit jedem Tropfen tiefer in meine Haut gräbt. Meine Finger fahren langsam über meinen Unterarm, entlang der Sehnen, die nach gestern hart gespannt sind. Ich drücke leicht mit der anderen Hand dagegen, spüre, wie der Schmerz sich in mein Fleisch zieht. Es ist nicht dieser stechende Schmerz, der kommt, wenn man sich verletzt. Es ist dieser dumpfe, tiefe Schmerz, der einem sagt, dass der Körper viel zu viel gegeben hat. Mein Blick wandert über meine Brust. Über die feinen Wassertropfen, die auf meiner Haut perlen. Ich sehe mich so selten so bewusst an, aber nach dem Shooting…? Nach all den Aufnahmen, die ich gestern von mir selbst gesehen habe… Ich kann nicht verhindern, dass ich mich anders fühle.

Nicht, weil ich jetzt denke, dass ich perfekt aussehe. Nicht, weil ich mich plötzlich in meinem Körper anders wahrnehme. Aber weil ich zum ersten Mal gesehen habe, was dieser Körper alles kann. Was ich alles kann. Mein Herz schlägt schneller. Ich lehne mich mit einer Hand an die kühle Wand der Dusche, schließe für einen Moment die Augen. Ich spüre den warmen Wasserstrahl an meinem Nacken, wie er sich über meine Schultern ergießt. Langsam. Ganz langsam beginne ich aufzutauen. Mein Körper tut weh, mein Kopf ist ein einziges Chaos, aber… Da ist auch etwas anderes. Ein Funken. Etwas, das mich daran erinnert, warum ich das alles mache.

Und dann… Leo. Sein Blick, als er mich angesehen hat. Seine Stimme. Sein verschmitztes Grinsen. Die Art, wie er mich berührt hat, als er mir geholfen hat, den Klettergurt anzulegen. Ein Zittern geht durch meinen Körper – diesmal nicht nur wegen der Erschöpfung. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Mein Atem geht etwas schneller. Er weiß es noch nicht. Aber wenn ich ihn heute treffe… Dann wird er es wissen.

Ich stelle das Wasser ab. Ich trete aus der Dusche, rubbele meine Haare trocken, spüre, wie sich meine Haut noch immer warm anfühlt. Ein letzter Tropfen rinnt mir über die Schulter, folgt der Linie meines Schlüsselbeins, bis ich ihn mit der Hand wegwische. Dann blicke ich wieder in den Spiegel. Und diesmal sehe ich nicht nur den müden, kaputten Jungen. Ich sehe mich. Noch immer mit Schatten unter den Augen, noch immer mit Muskeln, die nachgeben wollen, noch immer mit dem tiefen Ziehen in meinen Knochen. Aber auch mit dem Wissen, dass ich gestern etwas geschafft habe. Und dass ich heute vielleicht endlich eine Antwort bekomme. Meine Finger streichen sich durch meine nassen Haare. Meine Brust hebt sich, als ich tief durchatme. Ich sehe erschöpft aus. Aber lebendig.

Ich ziehe mir ein lockeres Shirt über den Kopf, schlüpfe in eine bequeme Hose. Heute geht’s nicht um Style. Heute geht’s ums Überleben. Als ich mein Zimmer betrete, lehnt Bobby am Türrahmen. Grinsend. „Wow“, sagt er trocken. „Du siehst fast aus wie ein Mensch.“ Ich verdrehe die Augen. „Haha. Sehr witzig.“ Aber diesmal ist mein Lächeln echt. Denn ich weiß genau, was auf mich wartet. Und ich kann es kaum erwarten, es herauszufinden. Ich schnappe mir meine Jacke. „Lass uns fahren.“

Die Fahrt – Gedanken, die mich nicht loslassen

Ich starre aus dem Fenster, während Bobby das Auto durch die Straßen steuert. Die Welt draußen wirkt so normal. Menschen gehen einkaufen, Kinder rennen über den Gehweg, ein Hund zieht an seiner Leine.

Und ich? Ich sitze hier, halb verkatert von der Erschöpfung, auf dem Weg zu einem Meeting, das mir mehr Sorgen macht, als es sollte. „Du bist still“, bemerkt Bobby. Ich zucke leicht mit den Schultern. „Nur nachdenklich.“ „Wegen Thomas?“ „Auch.“ Ich drehe den Kopf zu ihm. „Findest du nicht auch, dass er sich zu sehr um mich sorgt? Ich meine, … er ist unser Marketingchef. Nicht mein Trainer, nicht mein Arzt. Und trotzdem…“

Bobby schnaubt leise. „Justin, Thomas sieht mehr als nur einen Geschäftspartner in dir.“ Ich runzle die Stirn. „Und was sieht er dann?“ „Jemanden, der verdammt viel Talent hat, aber auch jemanden, der nicht immer merkt, wenn er sich selbst überfordert.“ Ich schlucke. Bobby wirft mir einen kurzen Blick zu. „Er mag dich. Und nicht nur als Gesicht für die Marke. Er sieht dich als Menschen.“ Ich lehne meinen Kopf wieder gegen das Fenster. „Das macht es aber nicht weniger unangenehm.“ „Weißt du, was wirklich unangenehm ist?“ fragt Bobby trocken. „Was denn?“ „Wenn du gleich in sein Büro stolperst und mitten im Gespräch in Ohnmacht fällst.“ Ich rolle mit den Augen. „Ich falle nicht in Ohnmacht.“ Wir werden sehen.“

Als wir das Firmengebäude betreten, ist es seltsam ruhig. Kein geschäftiges Treiben. Keine Kunden. Nur gedämpfte Stimmen aus ein paar Büros. Der Samstagsmodus. Wir gehen durch die Flure, mein Herz klopft schneller, je näher wir dem Besprechungsraum kommen. Bobby öffnet die Tür. Thomas sitzt am Konferenztisch, als wir eintreten. Als er mich sieht, verfinstert sich sein Blick. „Justin…“ Seine Stimme klingt nicht geschäftlich. Sie klingt besorgt. Ich setze mich. „Wie geht’s dir?“ fragt er direkt. Ich will gut sagen. Ich will ihn beruhigen. Aber stattdessen zucke ich nur mit den Schultern. „Besser als heute Morgen.“

Thomas mustert mich. Dann greift er zu seinem Handy. „Ich hole jemanden.“ Ich starre ihn an. „Was?“ Er hebt die Hand. „Vertrau mir.“ Mein Magen zieht sich zusammen. Dann klopft es an der Tür. Der Sportmediziner ist da. Und ich ahne, dass das hier nicht nur ein normales Meeting wird. Die Tür öffnet sich, und ein Mann tritt ein.

Er ist jung. Vielleicht Anfang dreißig, sportlich, mit kurzen dunklen Haaren und wachen Augen. Kein klassischer Arztkittel, sondern ein eng anliegendes, schwarzes Funktionsshirt mit einem Logo, das ich nicht entziffern kann, und eine dunkle Jogginghose. Irgendwie sieht er aus wie einer dieser High-Performance-Coaches, die in Fitnessstudios Leute anschreien, damit sie noch einen Satz Burpees machen.

Mein Magen verkrampft sich automatisch. „Justin, das ist Dr. Erik Wagner“, sagt Thomas ruhig. „Erik ist Sportmediziner und spezialisiert auf Athleten, die… nun ja, es ein wenig übertreiben.“ Ich werfe Thomas einen schmalen Blick zu. „Hey“, begrüßt mich Erik mit einem freundlichen Lächeln, aber sein Blick ist scharf, analysierend. „Ich hab schon ein bisschen gehört, was bei dir los ist.“ Ich räuspere mich: „Und was genau hast du gehört?“

Erik zieht sich einen Stuhl heran, setzt sich mir gegenüber und lehnt sich leicht vor. „Dass du gestern eine körperliche Höchstleistung hingelegt hast, und das, ohne darauf richtig vorbereitet zu sein. Dass du danach komplett eingebrochen bist. Dass du kaum gegessen hast, dass dir heute Morgen schwindelig war und du anscheinend gerade mal so auf den Beinen bist.“ Ich zucke mit den Schultern. „Klingt… dramatischer, als es ist.“ Erik pustet leise. „Sowas höre ich oft. Und trotzdem sitzen die meisten danach in meiner Praxis, weil ihr Körper irgendwann streikt.“

Mein Blick wandert kurz zu Bobby, der sich mit verschränkten Armen an die Wand lehnt und mir diesen Ja, genau das sage ich dir ständig-Blick zuwirft. Ich bin genervt, aber mir ist bewusst, dass ich mir mit meinem Zustand keinen Gefallen tue.

Die Untersuchung – Mehr als nur Zahlen

„Okay“, sagt Erik. „Ich würde dich gern kurz durchchecken. Puls, Blutdruck, ein paar Werte. Vielleicht eine Blutabnahme, wenn du nichts dagegen hast.“ Mein Magen zieht sich zusammen. „Muss das sein?“ frage ich mit einem leichten Hauch von Unwohlsein. Erik hebt eine Braue. „Muss nicht, aber wäre klug. Damit ich weiß, ob du einfach nur erschöpft bist oder ob dein Körper gerade gegen etwas Ernsthafteres kämpft.“

Ich drücke meine Lippen zusammen.

„Justin“, meldet sich Thomas, „das ist nur eine Absicherung. Ich habe mir Sorgen gemacht, als mich heute früh dein Bruder informiert hat und ich dich dann gesehen habe. Ich will einfach sicherstellen, dass du okay bist.“

Ich atme durch. „Okay.“ Ich strecke die Arme leicht aus. „Dann los.“ Erik beginnt mit dem Check-up. Sein Griff ist professionell, seine Bewegungen routiniert. Er misst meinen Blutdruck, nimmt meinen Puls, der zu schnell ist, aber das überrascht mich nicht wirklich. Dann nimmt er ein kleines Gerät aus seiner Tasche, welches er an meinen Finger klemmt. „Sauerstoffsättigung“, erklärt er. Ich nicke und versuche, ruhig zu bleiben. Dann holt er ein kleines Set für die Blutabnahme heraus. Mein Magen zieht sich erneut zusammen. „Hast du Probleme mit Nadeln?“ fragt er mit einem fast amüsierten Unterton. „Nein“, antworte ich schnell. Vielleicht zu schnell. Bobby hebt eine Braue, sagt aber nichts.

Erik macht die Stelle an meinem Arm desinfizierend sauber. „Ganz entspannen. Ist gleich vorbei.“ Ich atme flach aus, während er die Nadel setzt. Es piekst nur kurz, aber das Gefühl, wie das Röhrchen sich füllt, ist… unangenehm. „Gut gemacht“, sagt Erik trocken, zieht die Nadel heraus und drückt mir ein Pflaster auf den Arm.

„Superheld“, murmelt Bobby und grinst. Ich schneide ihm eine Grimasse.

Erik lehnt sich zurück, überfliegt seine Notizen. „Okay, also, vorläufig sieht’s aus wie eine klassische Überlastungskrise. Dein Blutdruck ist leicht abgesackt, dein Puls ist zu schnell, was oft passiert, wenn der Körper unterversorgt ist. Dein Sauerstoffwert ist an der unteren Grenze des Normalbereichs. Das erklärt deine Schwindelgefühle. Ich warte noch auf die Blutergebnisse, aber ich kann jetzt schon sagen: Dein Körper ist leer.“

Ich runzle die Stirn. „Leer?“

„Du hast ihn bis an die Grenze gepusht und ihm dann nicht das gegeben, was er braucht. Das Shooting, also was du dabei gemacht hast, war extrem, dein Körper hat einen riesigen Energiespeicher verbraucht, und dann hast du kaum gegessen, zu wenig getrunken und warst völlig erschöpft. Das kann man mal machen. Aber nicht regelmäßig, wenn du nicht in einer Klinik landen willst.“

Ich schiebe die Hände in die Taschen. „Ich bin nicht so schlimm dran.“

Erik sieht mich mit einem durchdringenden Blick an. „Du wärst heute Morgen fast umgekippt. Willst du mir echt erzählen, dass das normal ist?“

Ich öffne den Mund, aber Bobby kommt mir zuvor. „Sag ihm ruhig die Wahrheit, Justin. Wenn du ihm nicht glaubst, glaub mir wenigstens.“ Ich seufze. „Okay, ich fühle mich nicht gut. Aber das wird schon.“

Erik nickt langsam. „Und damit es schneller wird, gebe ich dir jetzt eine kleine Starthilfe.“ Er zieht eine Ampulle aus seiner Tasche, mischt eine Flüssigkeit mit Wasser und reicht mir ein weiteres Glas mit… grünlichem Inhalt. Ich mustere es misstrauisch. „Schon wieder?“ Er grinst. „Diesmal schmeckt’s ein bisschen besser.“ Ich nehme einen vorsichtigen Schluck. Fehlanzeige. Ich verziehe das Gesicht. „Das ist gelogen.“

Bobby lacht. „Erziehungsmethode: Wenn’s scheiße schmeckt, ist es bestimmt gesund.“

Erik schmunzelt. „In dem Fall: Ja.“

Ich nehme noch einen Schluck. Widerlich. Aber schon nach ein paar Sekunden spüre ich, wie sich mein Körper nicht mehr ganz so leer anfühlt.

Erik lehnt sich vor. „Hör zu. Ich will dich später nochmal sehen, wenn die Blutergebnisse da sind. Dann klären wir, was genau du brauchst, um dich wieder auf Kurs zu bringen. Und ehrlich gesagt, du brauchst eine vernünftige Ernährungsberatung.“

Ich verziehe das Gesicht. „Warum klingt das nach einem krassen Eingriff?“

Erik lächselt. „Weil du gerade lebst wie ein chaotischer Extremsportler ohne Plan.“

Thomas nickt zustimmend. „Ich will nicht, dass du in ein paar Monaten zusammenklappst, Justin. Du hast Talent, du hast Möglichkeiten. Aber du brauchst auch ein gesundes Fundament.“

Bobby lehnt sich zurück, grinst. „Hörst du? Genau das, was ich dir seit Monaten sage.“

Ich lasse meinen Kopf leicht zurückfallen und stöhne. „Ich hasse es, wenn ihr Recht habt.“

Erik steht auf, klopft mir auf die Schulter. „Gewöhn dich dran. Ich bin ab jetzt dein persönlicher Aufpasser.“

Ich seufze. Und denke dabei, Leo ist mir aber lieber… Das Meeting mit Thomas hat jetzt über eine Stunde Verspätung. Aber mir ist klar, dass ich hier nicht drum herumkomme. Und tief in mir… weiß ich, dass sie recht haben.

Thomas’ Vorschlag – Mehr Kontrolle, weniger Freiheit?

Ich sitze noch immer in dem Konferenzraum, mein Kopf leicht gegen die kühle Rückenlehne gelehnt. Mein Körper fühlt sich etwas stabiler an nach der grässlichen grünen Mischung von Erik, aber mein Geist? Mein Geist fühlt sich an, als würde er Achterbahn fahren. Und ich sitze ohne Sicherheitsgurt darin. Da spüre ich Bobbys Blick auf mir, prüfend, skeptisch. Ich weiß genau, was er denkt. Dass du überhaupt noch hier sitzt, ist ein verdammtes Wunder, Kleiner.

Dann räuspert sich Thomas, setzt sich mit einem tiefen Atemzug aufrechter hin und lehnt sich mit den Unterarmen auf den Tisch. „Also, Justin…“, beginnt er langsam, sein Blick fest auf mich gerichtet. Ich richte mich leicht auf. Irgendwas an seinem Tonfall sagt mir, dass jetzt ein größerer Punkt kommt. „Ich mache mir Sorgen“, fährt er fort, sein Blick kurz zu Bobby huschend, bevor er wieder bei mir landet. „Das hier heute war ein klares Zeichen, dass du mehr Struktur, mehr Betreuung brauchst. Sowohl gesundheitlich als auch organisatorisch.“

Ich blinzele. „Betreuung?“

Thomas nickt. „Ja. Ich würde dich gerne intensiver betreuen lassen, um solche Situationen wie heute zu vermeiden. Mehr Präsenzzeiten hier in der Firma, mehr professionelle Unterstützung durch unser Team – Sportwissenschaftler, Ernährungsberater, Mediziner…“

Ich schiebe meine Hände in die Taschen meines Hoodies. „Also, eine Art Rundum-Überwachung?“

Thomas zuckt nicht einmal mit der Wimper. „Nenn es lieber professionelles Management.“

Ich will was entgegnen, aber mein Kopf ist leer. Nach dem heutigen Vormittag fehlt mir schlichtweg ein gutes Gegenargument. Bobby ist allerdings weniger sprachlos.

„Und wann genau soll er dann noch ein normaler Jugendlicher sein?“ Seine Stimme ist kühl, aber nicht unfreundlich. Eher wie jemand, der gerade eine sehr heikle Entscheidung treffen soll. „Er hat Schule, Training, Freizeit, Freunde – ich meine, das ist Justin, nicht irgendein durchgetakteter Profi-Athlet, der nichts anderes kennt.“

Thomas seufzt leicht. „Robert, ich verstehe deine Bedenken. Aber Justin ist an einem Punkt, wo sich entscheidet, ob er in diese professionelle Richtung geht. Oder ob das Ganze hier nur ein Nebenprojekt bleibt.“

Ich höre zu, mein Kopf dreht sich. Bobby lehnt sich zurück, verschränkt die Arme. „Und das bedeutet… was genau?“

Thomas’ Augen funkeln. Er lehnt sich leicht nach vorne, sein ganzer Körper spricht von Begeisterung. „Die bisherigen Ergebnisse mit Justin sind überwältigend. Die Kampagne läuft nicht nur gut, sie übertrifft alle Erwartungen. Die interne Resonanz, die Ergebnisse, die Prognosen. Alles zeigt, dass Justin genau das repräsentiert, was die Marke in Zukunft sein soll.“

Ich blinzele. „Wirklich?“

Thomas lacht. „Du hast es selbst gesehen. Die Fotos, die Videos. Und die Leute reagieren darauf. Und weißt du warum?“

Ich schüttele den Kopf.

„Weil du echt bist. Weil du nicht irgendein Model bist, das eine Pose einnimmt, sondern jemand, der das lebt, was wir verkaufen.“

Mein Herz schlägt schneller.

„Wir haben über die nächsten Schritte nachgedacht“, fährt Thomas fort, „und wir wollen, dass die Kampagne noch mehr auf dich ausgerichtet wird. Weil du nicht nur das perfekte Aushängeschild bist, sondern weil du die zukünftige Zielgruppe viel besser ansprichst als das, was wir bisher hatten.“

Mein Mund ist trocken.

„Das bedeutet aber auch, dass du mehr Zeit hier verbringen müsstest“, fügt er hinzu. Und ich spüre, wie Bobbys Körperhaltung sich sofort versteift. „Mehr Zeit?“ fragt Bobby langsam.

Thomas nickt. „Ja. Mehr Shootings. Mehr Content-Produktion. Wir haben ein paar Sonderprojekte in Planung – nicht nur Bekleidung und Ausrüstung, sondern spezielle Neuentwicklungen für Trainingsgeräte in der Profiszene.“

Ich spüre, wie mein Puls in meinen Ohren hämmert. „Trainingsgeräte?“ frage ich leise.

Thomas grinst leicht. „Details kann ich noch nicht verraten. Aber wenn das durchgeht, dann würdest du Teil von etwas sein, das es so noch nicht gab.“

Ich kann nicht anders – mein Herz schlägt schneller. Das klingt riesig. Aber dann, die Schattenseite. „Und wie genau soll er das alles unter einen Hut bekommen?“ Bobbys Stimme ist ruhig, aber es ist diese Art von Ruhe, die gefährlich ist.

Ich atme langsam aus. „Ich habe ja nicht nur Schule“, sage ich vorsichtig. „Ich hab mein Klettertraining im Verein, ich bin in der Jugendgruppe… und dann ist da noch, naja, das Leben.“

Thomas nickt, als hätte er genau das erwartet. „Deswegen mein Vorschlag. Damit das alles funktioniert, müssen wir Prioritäten setzen.“

Mein Nacken versteift sich automatisch.

„Ich schlage vor, dass du die Jugendgruppe nur noch alle zwei Wochen besuchst.“

Mein Herz macht einen schmerzhaften Satz. „Was?“ Meine Stimme ist leiser, als ich wollte.

„Es wäre nur eine kleine Anpassung, Justin“, sagt Thomas ruhig. „Aber es würde dir mehr Freiraum für die Projekte hier geben.“

Ich presse die Lippen zusammen. „Mir ist die Gruppe wichtig.“

Thomas sieht mich an. „Ich weiß.“

Ich schlucke schwer. „Und was ist mit meinem Vereinstraining?“ frage ich dann, mein Bauch zieht sich bei dem Gedanken schon zusammen.

„Ich würde vorschlagen, dass du das aussetzt.“

Jetzt ist es Bobby, der die Arme abrupt sinken lässt. „Warte, warte, warte. Also soll er nicht nur seine sozialen Kontakte einschränken, sondern auch das, was ihm körperlich am meisten bedeutet?“

Thomas hebt die Hände. „Ich verstehe eure Sorgen.“

Ich beiße mir auf die Lippe. Das ist etwas, welches mir nicht so richtig gefällt.

„Und stattdessen sind die Einheiten dann hier mit unseren Trainern und Spezialisten“, ergänzt Thomas.

Ich atme langsam aus. Es ist keine perfekte Lösung, aber diese Chance will ich mir auch nicht entgehen lassen. „Okay“, sage ich schließlich. „Damit kann ich vorerst leben.“

Bobby brummt leise, aber sagt nichts weiter.

Und dann…, jetzt lässt Thomas die Bombe platzen.

Der große Schritt – Eine Entscheidung mit Folgen

Er sieht mich an, seine Hände gefaltet auf dem Tisch.

„Justin, wir wollen dir mehr als nur einen Shooting-Vertrag bieten.“

Ich blinzle. „Was genau meinst du damit?“

Thomas atmet tief durch. „Wir bieten dir einen offiziellen Profivertrag an.“

Mein Herz bleibt stehen. Der Raum wird still. Ich kann den Atem in meiner Brust spüren, die plötzliche Schwere in meinen Gliedern. „Profivertrag?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

„Du würdest offiziell die Marke repräsentieren. Nicht nur als Model oder Testimonial – sondern als Gesicht, als Athlet, als Botschafter.“

Mein Kopf rauscht. Bobby sieht genauso schockiert aus wie ich.

Thomas lehnt sich zurück. „Wir wissen, dass das eine große Entscheidung ist. Deshalb will ich, dass ihr beide euch das überlegt. Es gibt keinen Druck. Doch ich will, dass ihr wisst, wie ernst wir das meinen.“

Ich starre auf den Tisch, mein Kopf voller Gedanken. Das ist der Moment, in dem sich alles verändert. Aber bin ich bereit dafür? Mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand das gesamte Universum in ihn gepresst. Zu viele Gedanken, zu viele Gefühle, zu viele Dinge, die ich nicht greifen kann. Ich starre auf die Tischplatte, versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.

Ein Profivertrag. Ich sollte mich freuen, oder? Ich meine, das ist doch… riesig. Das ist das, wovon andere träumen. Eine Chance, die man nicht einfach so bekommt. Aber ich kann sie nicht fassen. Klettern war für mich einfach nur ein Hobby. Ich kann nicht einmal richtig begreifen, was das bedeutet.

Dann versuche ich, mich auf Thomas' Worte zu konzentrieren. Aber es ist, als würde mein Kopf nur Bruchstücke davon aufnehmen. Dass ich das Gesicht der Marke werden soll. Dass ich eine riesige Chance habe. Dass sie an mich glauben. An mich. Ich beiße mir auf die Unterlippe.

„Du musst das nicht jetzt entscheiden“, sagt Thomas ruhig, als hätte er gemerkt, wie ich mich in meinen eigenen Gedanken verliere.

Ich blinzele, sehe ihn an.

Er lehnt sich leicht nach vorne, seine Hände auf der Tischplatte gefaltet. Sein Blick ist nicht der eines Geschäftsmannes, nicht berechnend, nicht fordernd. Er sieht mich einfach nur an, aufmerksam, abwartend.

Und dann lächelt er leicht. „Kai ist übrigens total begeistert von dir.“

Mein Kopf ruckt hoch. „Kai?“

„Ja. Ich habe mit ihm gesprochen. Er meinte, er hätte schon lange niemanden mehr getroffen, der so zielstrebig ist wie du. Der sich durchbeißen kann, aber vor allem jemand, der seine Tipps sofort umsetzt und so schnell lernt.“

Etwas Warmes breitet sich in meiner Brust aus.

Kai. Der Typ, der mich gestern fast umgebracht hat – na ja, so fühlte es sich jedenfalls an. Der mich motiviert hat, weiterzumachen, obwohl ich dachte, ich könne keinen einzigen Griff mehr halten. Er war knallhart gewesen. Und er war beeindruckt von mir? Ich schlucke. Irgendwie tut das gut.

„Er meinte, du hättest Talent, aber vor allem den Kopf dafür“, fährt Thomas fort. „Und das ist etwas, das man nicht trainieren kann.“

Ich spiele nervös mit dem Saum meines Ärmels. „Das ist… cool.“

„Das ist mehr als cool, Justin.“ Thomas grinst leicht. „Das ist der Grund, warum wir dich hier haben wollen.“

Mein Bauch zieht sich zusammen. Aber will ich das? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich brauche Zeit. Ich brauche Luft. Ich brauche…

Und dann kommt ein anderer Gedanke. Ein Gedanke, der schwer auf meinen Schultern liegt.

Die Last auf Bobbys Schultern

Ich atme langsam aus, lehne mich zurück. Mein Blick wandert zu Bobby. Er sitzt neben mir, seine Arme verschränkt, seine Stirn in Falten gelegt. Er wirkt nicht misstrauisch, aber er ist in Gedanken. Ich kenne diesen Ausdruck. Das ist sein ich rechne alles in meinem Kopf durch-Gesicht. Und ich weiß, dass er jetzt schon darüber nachdenkt, wie er mich beschützen kann. Wie er mich davor bewahren kann, eine Entscheidung zu treffen, die mir später schadet. Weil das Bobby ist. Und weil er das immer getan hat. Seit Jahren. Ich spüre, wie mein Brustkorb sich enger anfühlt. Ich denke an unser Gespräch vor ein paar Tagen. An die Sorgen. An den Brief von der Versicherung, den Bobby zugeklappt hat, bevor ich ihn zu Ende lesen konnte.

Die Lebensversicherung unserer Eltern. Seit Monaten unbezahlt. Seit Monaten keine Antwort. Ich weiß, dass Bobby es mir eigentlich nicht sagen wollte. Dass er alles mit sich allein ausmacht, weil er denkt, dass das seine Verantwortung ist. Aber diesmal ging es wohl nicht anders… Aber es ist nicht nur seine. Es ist auch meine. Und wenn ich jetzt die Chance habe, uns zu helfen… dann sollte ich sie nutzen, oder?

Ich schlucke. Ich weiß nicht, ob Bobby das jemals ansprechen würde. Ob er seinen Stolz runterschlucken und Thomas nach einem Vorschuss fragen würde. Aber ich kann es tun. Ich hebe den Kopf. „Thomas?“ Meine Stimme ist leise, aber fest. Er sieht mich an. „Ja?“ Ich spüre, wie Bobby sich leicht zu mir dreht, als hätte er geahnt, dass da was kommt. Ich räuspere mich, zwinge mich, nicht wegzusehen. „Ich… wollte dich was fragen. Etwas anderes als den Vertrag.“

Thomas hebt eine Augenbraue. „Okay?“

Ich atme tief durch. „Es geht um die Lebensversicherung unserer Eltern“, sage ich. Bobbys Körper versteift sich sofort neben mir. Ich kann es fast spüren, dieses plötzliche Einfrieren. Aber ich mache weiter. „Sie zahlen nicht“, sage ich schlicht. „Seit Monaten nicht. Und Bobby…“ Ich blicke kurz zu ihm. „Ich weiß, dass du dich darum kümmerst. Aber ich weiß auch, dass du zu stolz bist, um das hier anzusprechen.“

Bobby öffnet den Mund, aber ich hebe die Hand, bevor er protestieren kann. „Wir stehen finanziell aktuell nicht gerade gut da. Und ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Ich weiß, dass du alles tust, was du kannst. Aber…“ Mein Blick wandert wieder zu Thomas. „Ich wollte fragen, ob ein Vorschuss aus meinem Shootingvertrag möglich wäre.“

Stille.

Bobby sitzt stocksteif da.

Thomas‘ Gesichtsausdruck verändert sich. Erst ist da Überraschung, dann ein Moment des Nachdenkens – und dann etwas anderes. Wut. Nicht auf mich. Auf die Situation.

Er lehnt sich langsam zurück, seine Stirn legt sich in Falten. „Ihr habt finanzielle Probleme?“ Seine Stimme ist ruhig, aber ich spüre die unterschwellige Schärfe darin. Ich nicke nur. Thomas’ Augen verengen sich leicht. „Und du hast mir das nicht früher gesagt, Robert?“ Bobby spannt den Kiefer an. „Das geht niemanden etwas an.“ „Bullshit.“ Bobbys Kopf ruckt hoch. Ich blinzele. Ich habe Thomas noch nie fluchen hören.

„Justin ist sechzehn“, sagt Thomas leise, aber bestimmt. „Er sollte sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob er sich einen verdammten Vorschuss holen muss, um über die Runden zu kommen.“

Bobby schüttelt den Kopf. „Ich komme klar. Sind wir immer!“ „Kommst du das?“ Thomas sieht ihn eindringlich an. Bobby öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Und dann sinkt er leicht in sich zusammen. Ich spüre, wie eine unsichtbare Last von meinen Schultern fällt.

„Ihr bekommt den Vorschuss“, sagt Thomas nach einer kurzen Pause. „Aber nicht nur das.“ Ich blicke ihn fragend an. „Ich werde mich darum kümmern, dass ihr auch anders Unterstützung bekommt. Und Robert…“

Mein Bruder sieht ihn zögernd an. „Was genau machst du beruflich?“ fragt Thomas plötzlich.

Bobby blinzelt. „Ich arbeite als Informatiker. IT-Sicherheit.“ Thomas lehnt sich zurück. „Und du bist gut in dem, was du tust?“ Bobby runzelt die Stirn. „Ich denke schon.“

Thomas mustert ihn kurz. Dann nickt er. „Dann werde ich mal ein paar Gespräche führen.“

Ich sehe ihn überrascht an. „Was meinst du?“

Thomas sieht zwischen uns hin und her.

„Sagen wir einfach, dass es nicht nur um dich geht, Justin.“

Mein Herz hämmert. Das hier… ist viel größer, als ich dachte.

Ein unerwartetes Angebot

Ich weiß nicht genau, wann ich das letzte Mal so viele Informationen auf einmal verarbeiten musste. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand ihn aufgeschraubt und mit neuen Gedanken, Möglichkeiten und Veränderungen vollgestopft.

Ein Profivertrag. Mehr Trainingszeiten. Mehr Verantwortung.

Aber auch… Unterstützung. Echte Unterstützung.

Und jetzt?

Jetzt sitzt Thomas da, schaut zwischen Bobby und mir hin und her, und fügt noch eine Sache hinzu, mit der ich nicht gerechnet habe.

„Ich werde euch auch einen Anwalt organisieren.“

Ich blinzele. „Was?“

„Einen Anwalt.“ Thomas’ Tonfall ist sachlich, fast beiläufig, als wäre das die nahe liegendste Sache der Welt. „Der sich das mit der Lebensversicherung ansieht. Und wenn es noch andere offene Themen oder rechtliche Fragen gibt, auch darum wird er sich kümmern.“

Ich starre ihn an. Bobby starrt ihn an. Er ist der Erste, der den Mund wieder aufbekommt. „Thomas, das ist wirklich nicht nötig, wir…“

„Doch, ist es.“ Thomas lehnt sich vor, die Hände locker auf dem Tisch gefaltet. Sein Blick ist ernst. „Ihr seid beide noch viel zu jung, um euch mit so etwas herumzuschlagen. Vor allem alleine.“ Er schaut Bobby an, als würde er jede einzelne Last auf seinen Schultern sehen. „Ich weiß, dass du alles tust, um Justin zu schützen. Und das ist bewundernswert. Aber du musst das nicht allein tun.“

Bobby spannt den Kiefer an. Ich kenne diesen Ausdruck. Das ist sein Ich will das nicht akzeptieren, aber ich weiß, dass du recht hast-Gesicht. Ich beobachte ihn. Warte darauf, dass er widerspricht. Dass er sagt, dass wir das alleine schaffen. Aber er sagt nichts. Stattdessen sehe ich, wie er langsam ausatmet. Wie seine Schultern, auch wenn es nur minimal ist, etwas sacken.

Ich schlucke. Es fühlt sich an, als hätte ich gerade einen riesigen Stein von ihm gelöst. Nicht alles. Aber genug, dass er es merkt. Und ja, ich weiß, dass ich mir spätestens zu Hause eine Standpauke abholen werde.

„Justin, das war nicht dein Ding, das anzusprechen.“ „Ich bin dein Bruder, ich kümmere mich darum.“ „Wir hätten das auch alleine geschafft.“ Aber… ich bereue es nicht. Es war richtig. Er trägt so viel Verantwortung. Seit Jahren. Vielleicht ist es an der Zeit, dass er auch mal etwas davon abgeben kann. Ich schulde ihm das. Es dauert eine Weile, bis das Gespräch sich von den ernsten Themen löst.

Bis ich selbst genug Mut aufbringe, um etwas anderes anzusprechen. Etwas, das mich in den letzten Tagen nicht loslässt. „Wenn ich das alles hier wirklich mache…“, beginne ich vorsichtig, „dann… was ist mit Leo?“ Thomas hebt die Augenbrauen. Bobby dreht sich halb zu mir um. Oh, verdammt. Ich spüre, wie mir die Hitze in den Nacken steigt. Ich starre auf meine Hände, die ineinander verschränkt auf dem Tisch liegen. „Leo?“ wiederholt Thomas langsam. Ich höre das leichte Schmunzeln in seiner Stimme.

Ich räuspere mich. Thomas lehnt sich zurück, tippt mit einem Finger nachdenklich auf die Tischkante. Dann sieht er mich direkt an: „Leo hatte den Auftrag, dafür zu sorgen, dass du dich wohlfühlst. Dass du einfach du sein kannst. Er sollte aufpassen, dass das hier für dich keine Belastung wird, sondern etwas Positives.“

Ich nicke langsam.

„Hat er das getan?“

Oh. Ich spüre, wie mein Magen einen kleinen Hüpfer macht. Ich muss nicht lange nachdenken. Ich sehe Leo vor mir. Sein Lächeln. Sein Blick, als er mich nach dem Shooting angesehen hat. Der Funke in seinen Augen, den er vielleicht selbst nicht einmal bemerkt hat. Mein Herz klopft schneller. „Ja.“ Meine Stimme ist nicht mehr als ein leises Flüstern.

Thomas‘ Mundwinkel zucken leicht nach oben. „Dann frage ich dich was anderes.“

Ich sehe ihn unsicher an.

„Warum sollten wir das dann ändern?“

Ich blinzele. Oh.

Mein Mund öffnet sich leicht, aber mir fällt nichts ein.

Weil,… weil er Recht hat.

Warum sollte ich daran etwas ändern? Ich bin still. Aber in mir wird es plötzlich leichter. Ich kann es nicht erklären. Aber für den ersten Moment, seit diesem Gespräch…, bin ich beruhigt. Ich lehne mich zurück, lasse die Gedanken wirken. Ja. Trotz allem, trotz all der Zweifel und Unsicherheiten…, freue ich mich auf das, was kommt. Egal, was es ist.

Während wir weiterreden, wird klar: Bobby ist noch nicht hundertprozentig überzeugt. Und ich verstehe ihn. Das ist eine riesige Entscheidung. Aber tief in mir drin… glaube ich, dass ich meine schon getroffen habe. Vielleicht liegt es an Leo. Vielleicht liegt es an Thomas’ Worten. Vielleicht liegt es daran, dass ich sehe, wie Bobby langsam begreift, dass er nicht alles alleine tragen muss. Aber ich spüre es. Das hier fühlt sich richtig an.

Es muss nur noch ein detaillierter Plan erstellt werden. Wann ich hier sein soll. Wie das Training läuft. Wie es mit der Schule weitergeht. Und dann… fällt Bobby noch etwas anderes ein. „Und was ist mit Justins Schülerpraktikum?“

Oh. Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich sehe ihn überrascht an.

Thomas hingegen lächelt nur: Das können wir integrieren.“

Woher weiß er das jetzt schon wieder? Vermutlich hat Bobby schon telefoniert. Er schon wieder, aber ich bin froh, denn vermutlich hätte ich es schon wieder vergessen.

Ich starre ihn an. „Echt jetzt?“

„Natürlich.“ Er lehnt sich zurück, als wäre das die einfachste Sache der Welt. „Es gibt genug Möglichkeiten. Wir können dich in die Marketingabteilung stecken. Oder in das Forschungsprojekt, von dem ich vorhin gesprochen habe. Wir gestalten das flexibel.“

Ich blinzle. „Du… würdest mich in das Forschungsprojekt lassen?“

Thomas grinst. „Warum nicht?“

Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.

Zwischen Herzklopfen und Realität – Ein Moment mit Leo

Mein Handy vibriert.

Ich spüre es in meiner Tasche, das leise Summen, das sich durch den Stoff zieht. Ein kurzer, fast harmloser Impuls – und doch schießt mir das Adrenalin durch die Adern. Ich weiß, wer es ist. Ich muss nicht mal nachsehen. Und trotzdem, meine Hand bleibt, wo sie ist. Ich wage es nicht, mein Handy herauszuholen. Nicht jetzt.

Thomas hebt eine Augenbraue, als er es bemerkt. Dann zuckt ein wissendes Schmunzeln über sein Gesicht. „Du willst nicht rangehen?“ Seine Stimme ist beiläufig, aber in seinen Augen blitzt amüsierte Neugier auf.

Ich presse die Lippen aufeinander. Mein Herz klopft schneller. „Ich… vielleicht später.“

Thomas lehnt sich zurück, seine Mundwinkel zucken. „Leo?“

Mein Magen macht einen kleinen Satz. Ich senke den Blick auf meine Hände. Es ist sinnlos zu lügen. Thomas weiß es sowieso.

Er schüttelt kaum merklich den Kopf, noch immer mit diesem amüsierten Ausdruck. „Na schön. Ich will Robert noch ein paar Dinge erklären. Du kannst gerne gehen.“

Ich sehe überrascht auf. „Ernsthaft?“

„Ja, ja. Aber vergiss nicht den Termin mit Erik nachher.“ Eriks Name klingt so weit entfernt, so irrelevant in diesem Moment. Ich nicke nur. „Klar.“

Thomas mustert mich noch einen Moment, dann winkt er mich mit einer Geste aus dem Raum. „Und, Justin?“ Ich bleibe an der Tür stehen, drehe mich fragend um.Sein Blick ist ein wenig ernster, aber nicht streng. Fast väterlich. „Lass dir Zeit. Aber lass ihn nicht zu lange warten.“

Mein Herz stolpert. Ich sage nichts. Ich nicke nur, und trete aus dem Raum. Und da steht er. Leo. Und das Kribbeln beginnt wieder. Er wartet. Direkt vor Thomas’ Büro, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Aber ich sehe es sofort. Er ist nervös. Seine Finger trommeln unmerklich gegen seinen Oberarm, sein Blick wandert von mir zu den Bürotüren, als hätte er keine Ahnung, ob er hier überhaupt stehen sollte.

Und dann sieht er mich. Und alles andere scheint unwichtig. Ich vergesse, warum ich mich eben noch so schwer gefühlt habe. Ich vergesse den ganzen Overload an Informationen, die Sache mit Thomas, mit dem Vertrag, mit Bobby, mit Erik.

Alles, was zählt, ist dieser Moment. Leo lächelt, vorsichtig, fast fragend: „Hey.“ „Hey.“ Meine Stimme klingt seltsam leicht. Er mustert mich kurz, sein Blick fährt prüfend über mein Gesicht. „Geht’s dir besser?“ Ich weiß, dass er es ernst meint. Ich weiß, dass er wirklich wissen will, wie es mir geht. Aber das Problem ist – ich denke nicht mehr daran. Nicht, seit ich ihn sehe. Mein Körper fühlt sich plötzlich nicht mehr so schwer an. Meine Gedanken nicht mehr so wirr. Ich atme durch, versuche ein Grinsen. „Ach, alles gut. Bobby hat mir eine Standpauke gehalten, Thomas hat mir einen Schock verpasst, und jetzt… jetzt bin ich hier.“

Leo hebt eine Augenbraue. „Ein Schock?“ „Lange Geschichte.“ Ich schüttle leicht den Kopf, als wollte ich das alles abschütteln. Ich will nicht darüber reden. Nicht jetzt. Nicht mit ihm. Nicht, wenn ich gerade das Gefühl habe, das erste Mal seit Stunden wieder richtig atmen zu können. Leo scheint es zu merken. Er fragt nicht weiter. Stattdessen schiebt er seine Hände in die Hosentaschen, lehnt sich leicht gegen die Wand: „Du hast das Shooting gestern echt abgerissen, weißt du das?“

Ich spüre, wie ich leicht erröte. Ich lache verlegen. „Ach, komm schon.“

„Nee, echt jetzt. Ich hab die Überarbeitung des ersten Entwurfs vom Clip gesehen – mit Sound unterlegt und allem. Und Justin…, du siehst aus, als hättest du dein ganzes Leben nichts anderes gemacht.“

Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Echt jetzt?“

Leo nickt, sein Blick ist ernst. „Mega lässig. Es sieht nicht nur krass aus. Es fühlt sich echt an. Authentisch. Wie du dich bewegst, wie du die Herausforderung meisterst…“ Er hält einen Moment inne, als suche er nach Worten. Dann sieht er mich direkt an. „Du bist verdammt gut, Justin.“

Es ist kein leeres Lob. Es ist kein dahingesagtes Kompliment. Er meint es. Und das trifft mich mehr, als ich erwartet habe. Ich weiche seinem Blick aus, mein Herz schlägt viel zu schnell. „Na ja…, ist ja noch nicht fertig.“

Leo grinst schief. „Der Feinschliff fehlt noch. Aber wenn du es so absegnest, geht das Video nächste Woche online.“

Ich nicke langsam. Nächste Woche. Dann ist es echt. Dann sieht es jeder. Dann sieht Leo es nochmal. Ich spüre, wie mein Magen sich wieder leicht zusammenzieht. Aber nicht unangenehm. Es ist dieses Kribbeln. Dieses ungreifbare Gefühl, das ich immer habe, wenn ich in seiner Nähe bin. Jetzt wäre der Moment. Jetzt könnte ich es fragen. Endlich. Was ist das hier? Was sind wir? Ich hole tief Luft, drehe mich leicht zu ihm… Und dann.

„Justin?“ Es ist Bobby. Ich zucke leicht zusammen. „Wir müssen los. Der Termin mit Erik.“

Ich schließe kurz die Augen. Natürlich. Gerade jetzt. Ich beiße mir auf die Lippe, nicke langsam.

Leo schiebt sich von der Wand weg, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Ich komm mit.“

Mein Kopf ruckt zu ihm. „Was?“

Er zuckt mit den Schultern. „Ich hab eh nichts anderes vor. Und außerdem – wenn du jetzt noch irgendwo zusammenklappst, hab ich wenigstens ein Auge auf dich.“

Ich will protestieren. Und iIch will sagen, dass das nicht nötig ist. Aber dann sehe ich ihn an. Und da ist dieses Funkeln in seinen Augen.

Und mein Mund bleibt stumm. Weil es sich richtig anfühlt. Ich will, dass er dabei ist. Egal, wie sehr mich das ablenkt. Egal, wie sehr mein Herz rast. Ich will, dass er bleibt. Also sage ich nichts. Ich grinse nur leicht: „Na dann…, auf geht’s.“ Und als wir zusammen den Flur entlanggehen, ist da dieses Gefühl. Diese unausgesprochene, fast greifbare Verbindung. Und ich weiß: Ich muss es herausfinden.

Zwischen Zahlen, Fakten und meinem Körper – Eriks Analyse

Das Sportmedizin-Zimmer ist nichts, was ich erwartet habe. Kein steriles Weiß, keine unbequemen Behandlungsliegen mit Papierschutz. Kein stechender Geruch nach Desinfektionsmittel, der mir schon beim Eintreten signalisiert, dass ich gleich etwas Unangenehmes über mich ergehen lassen muss.

Stattdessen, … ein fast gemütlicher Raum. Die Wände sind in warmen, erdigen Tönen gehalten, an einer Seite stehen große Schränke mit Akten und Fachbüchern, an der anderen einige Sportgeräte. Bänder, leichte Gewichte, ein paar Balance-Tools. Ein großes Whiteboard hängt an der Wand, darauf skizzierte Muskeldiagramme und biomechanische Abläufe.

In der Ecke steht eine weiche Sitzbank, daneben ein niedriger Tisch mit einer Karaffe Wasser und Gläsern. Irgendwie mehr wie ein Beratungszimmer als eine Arztpraxis. Aber das macht es nicht weniger offiziell.

Erik, Mitte dreißig, sportlich, aber nicht auf diese übertriebene Fitnessmodel-Art, sitzt auf einem Drehstuhl vor einem Bildschirm, tippt etwas ein, dann dreht er sich mit einem leichten Lächeln zu mir.

„Okay, Justin. Lass uns mal über dich reden.“

Ich setze mich etwas aufrechter hin.

Bobby steht mit verschränkten Armen neben mir, nicht misstrauisch, aber aufmerksam.

„Nichts Ernstes.“ Eriks Stimme ist ruhig, fast schon beschwichtigend. „Dein Körper ist einfach leer. Komplett ausgepowert. Aber…“ Er dreht den Bildschirm leicht zu uns, deutet auf einige Werte: „Was ein wenig ungewöhnlich ist, oder auch nicht, je nachdem, wie man es betrachtet, ist, wie sehr.“

Ich runzle die Stirn. „Wie meinst du das?“

Erik lehnt sich zurück, verschränkt locker die Hände.

„Deine Werte sind nicht einfach nur ‘müde’ oder ‘erschöpft’. Du bist regelrecht ausgedörrt – deine Glykogenspeicher, also dein Energiespeicher in Muskeln und Leber, sind nahezu leer. Dein Körper hat gestern alles rausgehauen, was er hatte, und danach nicht genug bekommen, um sich wieder aufzufüllen.“

Ich beiße mir auf die Lippe. „Aber… ich hab doch getrunken. Und was gegessen.“

Erik nickt. „Ja. Aber wahrscheinlich nicht genug. Und vor allem nicht das Richtige.“ Er klickt ein paar Mal auf den Bildschirm, dann sieht er mich wieder an.

„Sophie, die Physiotherapeutin von gestern, hat mir übrigens auch noch einen kurzen Bericht geschickt.“

Ich spüre, wie ich mich unwillkürlich anspanne. „Oh.“

„Ja. Sie war beeindruckt.“

Ich merke, wie ich blinzle. „Wirklich?“

Erik grinst leicht. „Nicht nur von deiner Leistung, sondern auch davon, dass du überhaupt noch gestanden bist. Sie meinte, deine Muskeln waren in einem Zustand, als hättest du eine Woche lang nichts anderes getan als zu klettern. Komplett verhärtet, ausgelaugt. Und das zeigt mir eins: Du gibst 150 Prozent. Aber dein Körper bekommt nicht, was er braucht, um das zu kompensieren.“

Ich spüre Bobby neben mir leicht nicken.

Ich seufze. „Also, was genau bedeutet das jetzt?“

Erik steht auf, geht zum Whiteboard und greift nach einem Stift: „Klettern ist eine der intensivsten Sportarten für den ganzen Körper. Klar, von außen sieht es aus wie Kraft und Technik. Doch es geht um viel mehr. Es ist eine brutale Belastung für deine Muskulatur, Sehnen und Gelenke.“

Er skizziert grob eine Figur, hebt dann eine Hand.

„Nehmen wir deine Finger. Die meisten denken nicht drüber nach, aber allein die Belastung auf deine Fingersehnen beim Klettern ist enorm. Deine Beugesehnen müssen dein ganzes Körpergewicht halten. Und das immer wieder. Wenn du nicht genug Regeneration hast, riskierst du langfristig Schäden. Und dann wären da noch die Schultern…“. Er deutet auf einen Punkt an der Figur. „Die Rotatorenmanschette. Eines der verletzungsanfälligsten Gebiete beim Klettern. Weil du ständig Zugbelastungen hast, oft über Kopf. Wenn hier etwas nicht stabil genug ist, hast du irgendwann massive Probleme.“

Ich schlucke: „Klingt… nicht so gut.“

Erik lacht leicht. „Nicht, wenn du es ignorierst, nein. Aber das ist genau der Punkt. Dein Körper ist leicht. Was für das Klettern ein Riesenvorteil ist. Zu viel Muskelmasse würde dich nur schwerer machen und deine Beweglichkeit einschränken. Also geht es nicht darum, Muskelberge aufzubauen. Es geht darum, dass du die richtige Energie hast, die richtigen Nährstoffe, um deine Muskeln zu versorgen, deine Gelenke zu schützen und Verletzungen zu vermeiden.“

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, fühle mich plötzlich, als hätte ich meinen Körper jahrelang nicht richtig verstanden. „Also…, Ernährung.“

Erik nickt. „Ernährung.“ „Okay.“ Erik dreht sich wieder zu mir, setzt sich zurück auf seinen Stuhl. „Ich will es dir einfach machen. Du brauchst vor allem drei Dinge: Energie, Regeneration und Schutz.“

Ich hebe eine Augenbraue. „Klingt nach einem Superhelden-Plan.“

Er lacht. „Irgendwie ist es das auch. Nur ohne Cape.“ Er hebt drei Finger. „Energie: das heißt Kohlenhydrate. Dein Körper verbrennt bei intensiven Belastungen enorm viel. Das bedeutet, du brauchst vor allem gute, komplexe Kohlenhydrate. Keine Süßigkeiten oder schnelle Zucker, sondern Dinge wie Haferflocken, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Reis.“

Ich nicke langsam.

„Regeneration, das ist Eiweiß. Deine Muskeln müssen sich reparieren. Du brauchst Protein, aber nicht auf die Art von Bodybuildern, die sich fünf Shakes am Tag reinhauen. Gute, natürliche Eiweißquellen: Eier, Fisch, Hülsenfrüchte, Milchprodukte, mageres Fleisch.“

„Und Schutz?“, frage ich?

„Fette. Aber die richtigen. Gesunde Fette helfen deinen Gelenken, deinem Gehirn, deinem Immunsystem: Nüsse, Avocados, Olivenöl, fetter Fisch wie Lachs.“

Ich ziehe eine Grimasse. „Ich mag keinen Fisch.“

Erik zuckt die Schultern. „Dann findest du Alternativen. Aber du verstehst das Prinzip?“

Ich nicke langsam: „Und wie soll ich das umsetzen? Ich kann ja nicht ständig in der Küche stehen und Gourmet-Gerichte kochen.“

Erik grinst. „Musst du auch nicht. Aber du musst bewusster essen. Ich gebe dir eine Liste mit einfachen Dingen, die du einkaufen kannst. Ein Plan mit schnellen Gerichten, die du ohne viel Aufwand machen kannst. Frühstück, Snacks, Abendessen. Sachen, die dich nicht stundenlang in der Küche aufhalten, aber die deinem Körper geben, was er braucht.“

Ich spüre, wie sich etwas in mir entspannt. Das klingt machbar. Nicht wie eine Diät oder ein Zwang. Sondern einfach wie ein Update für meinen Körper.

Erik sieht mich noch einen Moment an, dann schmunzelt er. „Und wenn du Lust hast, ich kann dir ein paar Basics im Kochen beibringen. Nichts Kompliziertes. Aber so, dass du weißt, was du tust.“

Ich grinse leicht. „Also ein Survival-Training für meinen Magen?“

„Exakt.“

Ich bin noch nicht sicher, ob ich das alles sofort umsetzen kann. Aber zum ersten Mal fühlt es sich nicht nach Druck an. Sondern nach einem Plan. Nach etwas, das mir helfen kann. Und vielleicht nach etwas, das mich stärker macht.

Leo hat sich während des gesamten Gesprächs mit Erik auffallend ruhig verhalten, aber ich weiß, dass er zugehört hat, aufmerksam, wie immer.

Jetzt, da Erik seinen Vortrag über Ernährung beendet hat und Bobby mit ihm noch einige Details durchgeht, tritt Leo von der Wand weg, an die er sich gelehnt hat, und lässt seinen Blick über mich wandern.

„Also, Justin…“, Sein Grinsen hat diesen typisch herausfordernden Unterton. „Heißt das jetzt, dass du dich endlich ordentlich ernähren wirst, oder muss ich dich weiter mit Snacks versorgen?“

Ich schnaube: „Das kommt drauf an. Beinhaltet dein Versorgungsplan noch Schokoriegel?“

Er tut empört. „Frechheit. Ich bin doch kein schlechter Einfluss.“

„Du hast mir letzte Woche fünf Packungen Gummibärchen in den Rucksack gesteckt.“

Er zuckt unschuldig mit den Schultern. „Schnelle Energie?“

Ich verdrehe die Augen, kann mir aber ein Grinsen nicht verkneifen.

Doch bevor ich mich weiter mit Leo aufziehen lassen kann, drehe ich mich zu Bobby.

„Gibst du mir noch ein paar Minuten? Ich möchte gerne mit Leo noch in Ruhe sprechen bevor wie wieder nach Hause fahren.“

Mein Bruder mustert mich kurz, dann nickt er. „Klar. Ich spreche solange mit Thomas.“

Ich seufze leicht. „Danke. Und…, für alles andere auch.“

Bobby hält meinem Blick stand, bevor er nur leise sagt: „Wir machen das richtig, Justin. Kein Risiko, kein Chaos. Wir testen das.“

Ich nicke. Wir testen es. Ich weiß, dass Bobby das für mich macht. Aber ich weiß auch, dass er zweifelt. Und ich? Ich habe immer noch diesen Knoten im Bauch. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, spüre ich eine leichte Berührung an meinem Arm. Leo. Er hat gewartet, bis Bobby sich entfernt, und sieht mich nun mit einem fast neugierigen Ausdruck an. „Lass uns woanders reden.“ Es ist keine Frage, sondern eine Aufforderung. Ich nicke.

Eine ruhige Ecke – Und die Fragen, die sich nicht mehr verdrängen lassen

Wir suchen uns eine ruhige Ecke. Eine Art kleine Lounge, abseits der Haupträume. Die Wände sind mit Holz verkleidet. Ein paar Pflanzen stehen in den Ecken, und das gedämpfte Licht macht es irgendwie gemütlich. Ich lasse mich auf eine der Ledercouches fallen, während Leo sich mir gegenüber setzt, ein Bein lässig über das andere gelegt. Einen Moment lang sagt keiner von uns etwas. Dann bricht er das Schweigen: „Du hast diesen Blick.“

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Welchen Blick?“

„Diesen ‚Ich hab tausend Gedanken im Kopf, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll‘-Blick.“

Ich atme langsam aus. Er hat Recht. Natürlich hat er Recht.

Leo kennt mich inzwischen zu gut, um nicht zu merken, dass mir etwas auf der Seele liegt.

Ich spiele mit den Knöpfen an meinem Ärmel, ein altes, nervöses Muster.

„Es ist einfach viel“, murmle ich schließlich.

Leo lehnt sich zurück. „Dann fang mit einer Sache an.“

Ich hebe meinen Blick.

„Leo…“ Ich zögere, meine Gedanken rasen. „Das hier. Alles. Die Profibedingungen, das Angebot von Thomas, diese ganze und viel größere Geschichte. Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

Leo schweigt kurz, dann legt er seinen Kopf leicht schief. „Ist es das, was dir Angst macht?“

Ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. „Nicht nur.“

Er sagt nichts, wartet nur. Ich weiß, dass er mich nicht drängen würde. Aber sein Blick, der ruhige, offene Ausdruck, macht es unmöglich, es einfach herunterzuschlucken. Ich nehme einen tiefen Atemzug. „Es geht auch um dich.“

Leo blinzelt, zieht dann eine Augenbraue hoch. „Mich?“

Ich nicke, suche nach den richtigen Worten. „Wenn ich das hier mache, wenn ich da richtig einsteige…, dann wird das alles anders. Ich werde mehr Zeit hier verbringen. Mehr Verantwortung haben. Mehr… Öffentlichkeit.“ Ich schlucke. „Und ich weiß nicht, was das für uns bedeutet.“

Leo sieht mich lange an, ohne ein Wort zu sagen. Dann grinst er plötzlich. „Oh.“

„Oh?“ Ich blinzle. „Was heißt ‚Oh‘?“

Er lehnt sich vor, seine Ellbogen auf seinen Knien abgestützt. „Ich dachte, du hast Angst davor, ob du gut genug bist. Ob du das körperlich schaffst. Aber in Wirklichkeit hast du Angst, dass das hier zwischen uns irgendwie kaputtgeht.“

Ich beiße mir auf die Lippe.

Leo schmunzelt, aber sein Blick ist warm. „Du denkst zu viel, Justin.“

Ich blinzle. „Das ist nicht die Antwort, die ich erwartet habe.“

Er zuckt mit den Schultern: „Glaubst du wirklich, dass ich mich von einem vollen Zeitplan oder mehr Verantwortung abschrecken lasse? Ich wusste doch, worauf ich mich einlasse.“

„Aber ich weiß es nicht.“ Ich sehe ihn an, meine Finger immer noch an den Knöpfen spielend. „Leo, ich bin kein Profi in sowas. Ich weiß nicht, wie man das macht, eine Beziehung oder was auch immer das hier ist, während man…, keine Ahnung, plötzlich in so einer großen Nummer drinsteckt.“

Leo grinst wieder leicht. „Weißt du, was ich an dir mag?“

Ich blinzle verwirrt. „Was?“

„Dass du so viel darüber nachdenkst.“ Er schüttelt den Kopf, sein Blick wird ernster. „Aber ich hab eine Gegenfrage. Wenn du das hier wirklich willst, das Klettern, die Kampagne, diese riesige Chance…, dann sag mir einen guten Grund, warum ich nicht einfach ein Teil davon sein kann.“

Ich öffne den Mund, aber ich habe keine Antwort.

Leo wartet kurz, dann nickt: „Genau das meine ich.“

Er lehnt sich wieder zurück, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Ich will, dass du das machst. Und wenn du mich fragst, ob wir das irgendwie hinbekommen, dann sag ich dir, dass wir es nicht ändern müssen.“

Ich fühle mich plötzlich… leichter. Und ich weiß nicht, ob das die endgültige Antwort auf alles ist, aber es fühlt sich richtig an.

„Also?“ Leo hebt herausfordernd die Augenbrauen. „Muss ich mir Sorgen machen, dass du mich abschiebst, weil du jetzt zu berühmt wirst?“

Ich atme hörbar aus. „Du spinnst doch.“

Er grinst, bevor er sich plötzlich vorlehnt und mir mit zwei Fingern leicht gegen die Stirn tippt. „Dann hör auf, so kompliziert zu denken.“

Ich blinzle, und kann nicht verhindern, dass mir ein kleines Lächeln über die Lippen huscht. Zum ersten Mal seit diesem ganzen Gespräch fühle ich mich… sicher. Leo wird bleiben. Und vielleicht ist das alles genau der Gedanke, den ich brauche.

Zwischen Klarheit und Zweifel – Kann ich das wirklich fragen?

Leo hat gesagt, ich soll nicht so viel denken. Aber wie soll das bitte gehen? Mein Kopf ist ein einziges Durcheinander. Sein Lächeln, sein Blick, das alles gibt mir das Gefühl, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Aber ist das wirklich so? Ich will es nicht nur zwischen den Zeilen lesen oder in seinen Gesten interpretieren. Ich will es hören. Ich will wissen, was das hier ist. Und ich merke, wie ich wieder, oder immer noch, mit den Knöpfen an meinen Ärmeln spiele. Nervosität. Unruhe. Die Worte liegen mir auf der Zunge, aber sie wollen nicht über meine Lippen kommen. Warum ist das so schwer? Ich atme tief durch. Dann sehe ich ihn an.

„Leo…“

Er hebt die Augenbrauen. Wartet.

Ich kann spüren, wie sich mein Herzschlag beschleunigt.

„Ich brauche Klarheit.“

Leo blinzelt, sein Kopf legt sich leicht schief. „Worüber?“

Ich schlucke. Meine Hände sind feucht.

„Über uns.“

Das Wort steht im Raum. Ich kann es fast sehen.

Leo erstarrt nicht. Aber ich sehe, wie sich seine Finger unbewusst in den Stoff seiner Hose krallen. Wie sein Atem für den Bruchteil einer Sekunde stockt.

Sein Blick sucht meinen: „Justin…“

Ich kann nicht mehr zurück. Ich bin schon zu weit gegangen. „Was ist das hier? Ich meine, was sind wir? Freunde? Mehr?“ Ich lache nervös. „Oder bilde ich mir das alles nur ein?“

Leo öffnet den Mund, dann schließt er ihn wieder.

Mein Magen zieht sich zusammen. Habe ich zu viel gefragt? Zu direkt? Zu schnell? Ich will gerade etwas sagen, irgendetwas, um die Spannung zu brechen, da holt er tief Luft.

„Es ist nicht so einfach.“ Seine Stimme ist leiser als sonst. Fast… vorsichtig.

Ich sehe ihn an. Warte.

Leo fährt sich mit einer Hand durch die Haare, als würde er seine Gedanken sortieren müssen. Dann atmet er langsam aus: „Ich… ich habe schlechte Erfahrungen gemacht.“

Ich schlucke. Plötzlich rast mein Kopf noch mehr.

Wovon redet er?

„Ich habe mich schon mal jemandem anvertraut.“

Mein Herz setzt einen Schlag aus.

Ich denke dabei an… Marc.

Mein Magen zieht sich unwillkürlich zusammen. Ich hatte ihn immer irgendwie als Rivalen gesehen, aber jetzt fühlt es sich anders an.

„Und das ging nach hinten los?“ frage ich leise.

Leo nickt. Sein Blick wird kurz hart, als würde er an etwas denken, was er nicht aussprechen will.

„Ja. Ich wurde ausgenutzt.“ Seine Stimme klingt bitter. „Er wusste, wie ich fühle. Hat damit gespielt. Mit meinen Gefühlen gespielt. Mit der Info und hat es einfach weitererzählt…“.

Er bricht ab.

Ich starre ihn an. Doch ich will nicht nachfragen. Aber, gleichzeitig, will ich es wissen.

„Und deswegen bist du jetzt vorsichtiger?“ flüstere ich.

Leo sieht mich an. Dann nickt er langsam: „Ja.“

Es ist still. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Dann holt er wieder tief Luft. Seine Finger krallen sich fester in den Stoff seiner Hose. „Aber…“ Seine Stimme ist leise. „Bei dir ist es anders.“

Mein Herz stolpert. Ich starre ihn an.

„Anders?“

Leo hält meinem Blick stand: „Ja.“

Es fühlt sich an, als würde mein Brustkorb plötzlich zu eng werden.

Leo schluckt, sucht nach Worten.

„Ich mag dich, Justin.“

Mein Atem stockt. „Nicht nur als Freund. Ich…“ Er zögert: „Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll. Es ist kompliziert. Aber…“. Er bricht ab, fährt sich wieder durch die Haare. „Ich will mehr.“

Die Worte treffen mich wie ein Schlag. Ich spüre, wie mein Herz in meiner Brust hämmert. Er will mehr. Ich atme flach, mein Kopf ist ein einziges Chaos. Und ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Aber diese Bestätigung. Sie trifft mich tiefer als alles andere.

Er sieht mich an, seine Augen sind dunkler als sonst: „Ich will nicht noch mal verletzt werden. Aber bei dir…“. Er schüttelt leicht den Kopf. „Ich will es versuchen.“

Mein Hals ist trocken. Ich versuche zu schlucken, aber es geht kaum. Er will es versuchen. Mein Kopf dreht sich. Ich bin voller Gedanken, voller Zweifel – aber gleichzeitig spüre ich eine Wärme, die sich langsam in meiner Brust ausbreitet. Er mag mich. Und er will mehr. Und ich?

Ich merke, dass ich die Luft angehalten habe. Ganz langsam atme ich wieder aus. Dann sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber, vielleicht…, muss ich gar nichts sagen. Vielleicht reicht es, dass ich hier sitze, mein Herz rast und meine Hände zittern. Und dass Leo mich trotzdem ansieht, als wäre ich genau die Person, die er will. Mein Herz macht Luftsprünge. Es ist, als hätte sich mit einem einzigen Satz alles verändert. Als würde die Welt plötzlich in leuchtenderen Farben existieren, als wäre jede Unsicherheit, jedes Zweifeln, jedes vorsichtige Herantasten nun endlich mit Klarheit gefüllt. Er will mich. Ich schaue ihn an. Aber irgendwie anders als noch vor wenigen Minuten. Sein Gesicht, sein Lächeln, seine Augen… Es ist, als würde ich ihn jetzt mit einem neuen Blick sehen. Als könnte ich ihn zum ersten Mal wirklich greifen.

Er bemerkt es. Ich sehe, wie sich seine Mundwinkel heben, wie seine Schultern sich ein wenig lockern. Fast, als hätte er selbst nicht damit gerechnet, dass er sich so leicht fühlen kann. „Das ist irgendwie verrückt“, murmelt er.

Ich lache leise. „Was denn?“

„Na, dass ich mir so viele Gedanken gemacht habe.“ Er schüttelt den Kopf. „Und dann sagst du genau das, was ich gehofft habe, aber nie zu erwarten gewagt hätte.“

Ich lege den Kopf schief. „Leo, du hast mir auch gesagt, dass ich nicht so viel nachdenken soll.“

„Ja, aber ich bin auch ein Meister darin, selbst alles zu überdenken“, gibt er zu.

Er grinst, und ich kann nicht anders. Ich grinse zurück. Wir sprechen über unsere Gefühle, über dieses unbestimmte Ziehen, das schon seit Wochen zwischen uns existiert. Wie oft wir uns Dinge eingebildet haben. Wie oft wir uns gefragt haben, ob der andere genauso fühlt. Es ist… einfach. Ehrlich. Schön.

Doch dann verändert sich Leos Blick. Etwas Dunkles zieht über sein Gesicht. Nicht so, als wäre er traurig – eher als würde er überlegen, ob er mir etwas sagen soll.

Ich merke es sofort. „Leo?“ frage ich sanft.

Er atmet tief ein. „Ich glaube, wenn wir jetzt schon so offen reden… dann solltest du auch das wissen.“

Mein Lächeln verblasst ein wenig.

Er sieht mich an, zögert einen Moment. Doch dann beginnt er zu erzählen: „Ich war vierzehn“, sagt er leise. „Und ich war neugierig. Also… habe ich mit einem Freund ein bisschen ausprobiert. Nicht mal was Großes. Nur…, so ein bisschen Experimentieren, weißt du?“

Ich nicke, sage nichts.

Er sieht mich an, als wolle er prüfen, ob ich ihn verurteile. Aber natürlich tue ich das nicht. „Meine Mutter hat uns erwischt.“ Er schließt kurz die Augen. „Ich werde diesen Moment nie vergessen. Ihre Stimme, wie sie ausgerastet ist. Sie hat mich nicht geschlagen, das nicht. Aber sie…, sie war so laut. So wütend. Als wäre gerade irgendwas Unverzeihliches passiert.“

Ich spüre, wie sich meine Hände zu Fäusten ballen.

Leo senkt den Blick. „Ich weiß nicht mal, ob es Wut war oder Panik. Vielleicht auch beides. Sie hat mich mit Fragen bombardiert, wollte wissen, ob ich…, ob ich so bin.“ Er lacht bitter. „Als wäre es eine Krankheit oder so. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich meine, ich wusste es ja selbst nicht. Ich wollte es doch gerade erst rausfinden.“

Ich will etwas sagen, aber meine Kehle ist trocken.

Leo presst die Lippen aufeinander. „Das war der Moment, in dem ich raus bin. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich habe mein Skateboard geschnappt und bin einfach los.“ Seine Stimme wird noch leiser. „Und dann… hatte ich den Unfall.“

Ich atme scharf ein.

Ich wusste ja, dass er einen Unfall hatte. Ich wusste, dass er danach eine Weile raus war, dass er mit Verletzungen zu kämpfen hatte. Das er ja sogar seine Hand dabei verloren hatte. Aber das hier? Dass es genau so passiert ist?

Mein Herz zieht sich zusammen. „Leo…“

Er schüttelt den Kopf. „Weißt du, was das Schlimmste war?“ Er hebt den Blick, seine Augen glänzen leicht. „Dass sie mich nicht einmal im Krankenhaus besucht haben.“

Ich spüre, wie mir übel wird.

„Nicht ein einziges Mal?“ flüstere ich.

Er schüttelt den Kopf. „Es war mein Onkel, der gekommen ist. Thomas. Mit seiner Frau. Sie haben mich aufgebaut, mir geholfen. Sie waren da. Meine Eltern jedoch nicht.“

Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Mein Magen dreht sich um. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das angefühlt haben muss. Allein. Verletzlich. Im Krankenhaus liegen und wissen, dass die Menschen, die eigentlich immer für einen da sein sollten, sich nicht mal die Mühe machen, dich zu sehen.

Leo zuckt mit den Schultern: „Ich habe das hinter mir gelassen“, sagt er. „Ich habe nur noch oberflächlichen Kontakt zu ihnen. Sie zahlen meinen Unterhalt, wir reden ab und zu, aber es ist…, distanziert. Ich glaube, es ist eher meine Mutter, die nicht damit klarkommt. Mein Vater sagt meistens nicht viel.“ Sein Blick wird weich. „Thomas hat mich aufgenommen. Er und Sabine können keine eigenen Kinder bekommen. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass ich irgendein Ersatz bin oder so. Aber…, sie haben mir eine Familie gegeben.“

Ich atme tief durch. Plötzlich ergibt alles so viel mehr Sinn. Seine Vorsicht. Seine Zweifel. Seine Angst davor, verletzt zu werden. Und Thomas, die Art, wie er sich um Leo kümmert, wie er sich um mich gekümmert hat, ohne dass ich es richtig verstanden habe.

Ich sehe ihn an: „Danke, dass du mir das erzählst.“

Leo zuckt leicht mit den Schultern. „Ich will, dass du mich kennst.“

Ich kann nicht anders. Ich lege meine Hand auf seine.

Er sieht mich an, überrascht.

Dann, ganz langsam, dreht er seine Hand um, verschränkt seine Finger mit meinen.

Es fühlt sich… richtig an. Warm. Vertraut.

„Ich bin froh, dass du hier bist“, sage ich leise.

Leo lächelt: „Ich auch.“

Ein Nachmittag über den Dächern – Wenn sich die Welt nur noch nach ihm anfühlt

Ich weiß nicht, wann genau es passiert, aber irgendwann sind wir einfach nur noch hier. Der Lärm der Stadt unter uns ist weit weg, ein dumpfes Summen, das nicht mehr wirklich zu mir durchdringt. Ich kann die Geräusche zwar noch hören. Autos, die in der Ferne über eine Kreuzung rollen, das leise Hupen eines genervten Fahrers, Stimmen, die von irgendwoher nach oben getragen werden –, aber sie sind bedeutungslos. Es ist, als würde die Welt um uns herum immer mehr in den Hintergrund treten.

Hier oben ist alles anders. Die Luft ist warm, aber nicht drückend. Ein leichter Wind weht, spielt mit den losen Strähnen meiner Haare, kitzelt über meine Haut. Der Himmel färbt sich langsam in sanften Orangetönen, die ersten Schatten legen sich über die Stadt, während die Sonne sich dem Horizont nähert.

Und ich sitze hier, neben Leo, der so selbstverständlich neben mir ist, als wäre das alles hier…, einfach richtig. Ich weiß nicht, wie lange wir schon nichts mehr gesagt haben. Wir sitzen einfach nur da. Unsere Körper leicht aneinander gelehnt, unsere Arme entspannt, unsere Beine ausgestreckt. Ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht, spüre seine Nähe, und es gibt nichts, dass ich mehr wollen könnte als genau das.

Mein Blick wandert über die Dächer der Stadt, aber meine Gedanken sind nicht bei den Gebäuden, nicht bei den Menschen da unten. Sie sind bei ihm. Bei uns. Und dann passiert es. Leise. Unaufgeregt. Ich spüre es zuerst nur als eine vage Wärme, bevor ich realisiere, dass es seine Hand ist. Seine Finger, die sich langsam um meine Hüfte legen. Sanft, fast beiläufig. Aber ich weiß, dass es nicht beiläufig ist.

Ich halte unbewusst den Atem an. Mein Herzschlag ändert sich, wird lauter in meinen Ohren. Es ist nur eine Hand. Nur eine Berührung. Aber sie fühlt sich so viel mehr an. Ich wage es nicht, mich zu bewegen. Will nichts tun, was diesen Moment zerstören könnte. Seine Finger liegen ganz locker auf meiner Hüfte, bewegen sich nicht, üben keinen Druck aus, aber ich spüre sie, jede einzelne Fingerspitze. Ein winziges Kribbeln zieht über meine Haut, wie elektrisierte Gänsehaut, die sich von der Stelle ausbreitet, an der er mich berührt.

Und dann…, dann rutscht seine Hand ganz langsam unter den Stoff meines Shirts. Ich spüre die Wärme seiner Haut direkt auf meiner. Und es ist, als würde mein Körper für einen Sekundenbruchteil nicht wissen, wie er darauf reagieren soll. Meine Haut zieht sich leicht zusammen, nicht aus Kälte, sondern aus einer anderen Art von Empfindlichkeit. Es ist kein unangenehmes Gefühl – im Gegenteil. Es ist nur so intensiv, so bewusst, so real, dass ich mich selbst dabei ertappe, wie ich eine Spur tiefer atme. Ich kann nicht sehen, wie er mich ansieht, aber ich spüre es. Ich spüre es an der Art, wie sich sein Körper ganz leicht verändert, an dem winzigen, kaum merkbaren Zug an seinen Lippen. Er weiß genau, was er da gerade tut. „Kitzelt’s?“ Seine Stimme ist leise, kaum mehr als ein Flüstern. Ich blinzele, reiße mich aus meiner Starre. Ein schwaches Lachen entkommt mir, fast atemlos. „Nein…“. Nicht kitzeln. Etwas anderes. Etwas, das tief in mir ein warmes, schwereloses Kribbeln hinterlässt. Ich weiß nicht, was mich mehr überwältigt – die Berührung selbst oder die Tatsache, dass sie von ihm kommt. Dass er mich berühren will.

Ich drehe den Kopf leicht zu ihm, betrachte sein Gesicht, seine dunklen Wimpern, die sanfte Linie seiner Wange. Sein Blick ruht auf meiner Haut, genau dort, wo seine Hand sie berührt. Er hebt die Augen, trifft meinen Blick. Und in diesem Moment ist alles so klar. Ich will ihn. Ich will ihn fühlen. Also tue ich das, was sich gerade am richtigsten anfühlt. Ich lasse meine eigene Hand unter sein Shirt gleiten. Seine Haut ist warm, sein Körper gibt eine angenehme, lebendige Hitze ab.

Er zuckt nicht zurück. Im Gegenteil. Ich spüre, wie er sich meiner Berührung entgegenlehnt, wie sich seine Atmung minimal verändert, tiefer wird. Seine Finger bewegen sich langsam, leicht kreisend auf meiner Haut, fast als würde er testen, wie es sich anfühlt, wie ich darauf reagiere.

Und ich? Ich reagiere. Mein Körper ist plötzlich so viel bewusster. Jeder Nerv scheint sich genau auf diese Berührung zu konzentrieren, als würde sie mein ganzes System neu programmieren. Ich lehne meinen Kopf gegen seine Schulter, ohne darüber nachzudenken.

Er sagt nichts. Ich sage nichts. Aber in diesem Moment gibt es nichts, was gesagt werden muss. Nur unsere Hände, die sich ganz selbstverständlich auf der Haut des anderen bewegen. Nur das sanfte Spiel des Windes um uns herum. Nur die gedämpften Geräusche der Stadt unter uns, so weit entfernt, als wäre sie nicht mehr Teil unserer Welt.

Und so sitzen wir da. Reden und schweigen. Lachen leise über Erinnerungen vom gestrigen Tag, lassen uns in die Sicherheit dieser neuen, ungewohnten Zweisamkeit fallen. Es gibt keine Eile. Keine Erwartungen. Nur das Hier und Jetzt. Und für den ersten Moment seit Langem fühlt sich alles… genau richtig an.

Der Abschied – Ein Moment, der nicht enden soll

Es gibt diese Momente, die man für immer festhalten möchte. Momente, die sich anfühlen, als wären sie aus einer anderen Welt, einer besseren, einer, in der alles genau so ist, wie es sein soll. Und genau so fühlt es sich gerade an.

Leo und ich sitzen immer noch auf der Dachterrasse, die Lichter der Stadt breiten sich unter uns aus wie ein funkelndes Netz aus Möglichkeiten. Es ist Samstagabend, das Gebäude ist längst verlassen, und hier oben gibt es nichts außer uns.

Er hat immer noch seine Hand um meine Hüfte gelegt, seine Finger streichen langsam auf meiner Haut unter den Stoff meines Shirts. Dem Shirt, das er mir gestern besorgt hat. Ich spüre die Wärme seiner Berührung durch den dünnen Stoff, und mein Herz schlägt einen Takt schneller, als ich meine eigene Hand auf seine Taille lege, unter seinen Hoodie, direkt auf seine Haut. Er ist warm. Und weich. Und real.

Wir sagen nichts. Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich richtig an. Aber irgendwann… Mein Handy vibriert in meiner Tasche. Ich will nicht hinsehen, will nicht, dass dieser Moment zerbricht, doch Leo hebt nur leicht den Kopf, sein Blick fragend. Ich hole das Handy raus, sehe den Namen auf dem Display. Bobby.

Ich seufze. Natürlich. Leo sieht es sofort. „Du sollst langsam nach Hause, oder?“ Ich nicke, lasse das Handy in meine Tasche gleiten und starre für einen Moment nur in die Ferne. Ich will nicht gehen. Nicht jetzt. Nicht nach diesem Tag. Nicht nach allem, was passiert ist.

Leo lehnt sich leicht zurück, stützt sich mit den Armen hinter sich ab und sieht mich an. Das Dämmerlicht wirft Schatten über sein Gesicht, betont die sanften Linien seines Profils. Seine Augen wirken dunkler als sonst, sein Blick ruhiger.

„Schade,“ sagt er schließlich. Ich atme tief durch. „Ja.“ Mehr gibt es nicht zu sagen. Wir müssen gehen. Und trotzdem bleiben wir noch ein paar Minuten sitzen, als könnten wir damit die Zeit austricksen. Als könnten wir diesen Moment ein bisschen länger bewahren.

Schließlich steht Leo als Erster auf, streckt sich leicht, bevor er mir eine Hand entgegenstreckt. „Komm.“ Ich ergreife sie. Seine Finger schließen sich um meine. Warm. Sicher. Und dann, als ich aufstehe, zieht er mich plötzlich näher. Seine Arme legen sich um mich, langsam, vorsichtig – fast, als würde er abwarten, ob ich es zulasse. Aber das tue ich.

Und in dem Moment, in dem ich meine Arme um ihn lege, meinen Kopf gegen seine Schulter lehne, weiß ich, dass das hier nicht einfach nur eine Umarmung ist.

Es ist ein Versprechen. Ein stummes Bleib bei mir. Ein Ich will das hier. Ein Ich will dich.

Seine Hände gleiten sanft über meinen Rücken, und für einen Moment schließe ich die Augen, atme seinen Duft ein. Frisch, vertraut, ein bisschen nach Waschmittel und irgendetwas, das nur er hat. Ich will das nicht loslassen. Aber ich muss.

Leo löst sich zuerst, nur ein kleines Stück, gerade so weit, dass wir uns ansehen können. Seine Augen mustern mich, als wolle er sich mein Gesicht einprägen. Dann schmunzelt er. „Melde dich, wenn du zu Hause bist.“ Ich nicke, zu mehr bin ich gerade nicht fähig. Er drückt meine Hand noch einmal, dann lässt er sie los. Und ich hasse es, wie leer sich das sofort anfühlt.

Als wir das Gebäude verlassen, gehen wir ein Stück gemeinsam, schweigend, die Schultern fast aneinander. Ich spüre ihn neben mir, seine Nähe, seine Wärme.

Aber dann kommt der Punkt, an dem sich unsere Wege trennen. Leo bleibt stehen, dreht sich zu mir. Ich tue dasselbe. Für einen Moment sagen wir nichts. Ich beiße mir auf die Lippe. „Also…“. Also…“ Leo wiederholt das Wort mit einem kleinen Schmunzeln, als wollte er die Situation damit ein bisschen auflockern. Es funktioniert. Ich grinse kurz, dann werde ich wieder ernst. „Wir sehen uns, morgen?“ Seine Augen leuchten für einen Moment auf, dann nickt er. „Definitiv.“

Ich will nicht gehen. Aber ich muss. Er lehnt sich ein kleines Stück vor, drückt mir kurz die Schulter. Dann dreht er sich um und geht. Ich sehe ihm nach. Lange. Er dreht sich nicht mehr um. Aber das muss er auch nicht.

Mein Handy vibriert wieder in meiner Tasche. Ich ziehe es heraus, sehe die Nachricht. Leo: Vergiss nicht, mir zu schreiben, wenn du zu Hause bist. Ich tippe eine schnelle Antwort. Ich: Mach ich. Danke für heute. Ein paar Sekunden vergehen. Dann kommt seine Antwort. Leo: Danke DIR.

Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Ich stecke das Handy weg, atme tief durch und mache mich auf den Weg zu Bobby. Heute war ein verrückter Tag. So viele Entscheidungen, so viele neue Möglichkeiten. Aber am meisten bleibt dieses eine Gefühl: Die Freude auf das, was kommt.

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