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Höhen und Herzen
Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst
Teil 7 - Nah genug, um es zu spüren
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Informationen
- Story: Höhen und Herzen
- Autor: TrioXander
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Abenteuer, Diverses
Inhaltsverzeichnis
- Gedanken zwischen Haltestellen – Auf dem Weg zu Leo
- Unter der Dusche – Gedanken, die ich nicht stoppen kann
- Mehr als nur Ausrüstung – Berührungen, die nachwirken
- Fokus, Technik und der Blick nach oben
- Schritt für Schritt zur Herausforderung
- Die schwerste Route – Kampf gegen die Wand
- Anerkennung, Erschöpfung und eine Nähe, die unter die Haut geht
- Duschen – Und er bleibt
- Der Weg zur Physio – Die Spannung in meinem Körper und in der Luft
- Meine Beine – Das Verlangen, das ich nicht steuern kann
- Überraschung, Sorgen und das große Wiedersehen
- Der Weg ins Studio – Erwartung liegt in der Luft
- Der Film läuft – Und ich sehe mich selbst
- Gespräch mit Thomas – Die richtigen Entscheidungen
- Die Heimfahrt – Erschöpfung und Träume
Gedanken zwischen Haltestellen – Auf dem Weg zu Leo
Der Bus fährt ruckelnd über das Pflaster, und ich spüre, wie mein Körper leicht mit den Bewegungen schwankt. Draußen ziehen Häuser, Bäume und Menschen an mir vorbei, doch mein Blick bleibt an der leicht beschlagenen Fensterscheibe hängen. Ich zeichne mit meinem Finger gedankenverloren kleine Kreise in die Feuchtigkeit, ohne wirklich hinzusehen. Mein Kopf ist voller Gedanken.
Es fühlt sich an, als wäre das letzte Shooting eine halbe Ewigkeit her. Dabei sind es gerade mal sieben Tage. Eine Woche. Sieben Tage, in denen so viel passiert ist, dass es sich anfühlt, als wären es Monate.
Ich lasse den Blick durch den Bus wandern. Nur ein paar vereinzelte Menschen, eine ältere Frau mit Einkaufstaschen, ein gelangweilter Typ mit Kopfhörern, eine Schülerin, die auf ihrem Handy herumtippt. Alles ganz normal. Und doch ist in mir nichts normal. In mir ist Chaos. Mein Brustkorb hebt sich leicht, als ich mich zurücklehne und die Woche noch einmal durch meinen Kopf laufen lasse.
Ich war beim Jugendtreff, habe mich wieder mit Sebbi und Luis unterhalten. Und dann…, dann war da die Erkenntnis, dass ich mehr über Leo rede als über das Shooting.
Training. Malik und Jonas haben mich durchschaut. Und zum ersten Mal habe ich es ausgesprochen – vor ihnen. „Ich stehe auf Jungs.“ Sie haben es schon längst gewusst. Und das hat alles so viel leichter gemacht.
Das ernste Gespräch mit meinem Bruder. Die Möglichkeit, vielleicht das Schülerpraktikum bei Leo zu machen…, noch mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Wie soll das eigentlich gehen? Geht mir plötzlich durch den Kopf. Endloser Schulstress. Mathe, Geschichte, Vokabeltests. Die Welt hat sich weitergedreht, als wäre nichts passiert, aber in mir war alles anders.
Die letzte Nacht. Das Telefonat mit Leo. Seine Stimme in meinem Ohr, sein leises Lachen. Wie wir über die verrücktesten Dinge geredet haben, wie die Zeit verschwunden ist, ohne dass ich es gemerkt habe. Wie vertraut es sich angefühlt hat. Wie mehr. Und doch…, sind wir Beide um das Offensichtliche herumgetanzt.
Fühlt er genauso? Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es. Doch wir haben es nie ausgesprochen. Nie gefragt, nie gesagt. Und das ist der eine Gedanke, der sich wie eine kleine, stachelige Kugel in meinem Brustkorb eingenistet hat: Steht Leo überhaupt auf Jungs? Ich weiß, dass wir uns nahe sind. Und ich weiß, dass er mich mag. Aber wie? Ist es einfach nur Freundschaft? Ist es nur diese seltsame Verbundenheit, die manchmal zwischen Menschen existiert, ohne dass sie romantisch ist? Oder ist da mehr?
Mein Finger fährt noch immer Kreise auf der Fensterscheibe, und ich seufze leise. Ich will es wissen. Aber ich habe Angst vor der Antwort. Der Bus hält an einer Kreuzung, die Türen zischen auf, ein paar Leute steigen aus. Noch zwei Haltestellen. Noch fünf Minuten. Dann werde ich ihn sehen. Mein Herz schlägt einen Takt schneller. Leo. Ich denke an ihn. An sein schiefes Grinsen, an die Art, wie er mir mit seiner Schulter leicht einen Stoß gibt, wenn er mich aufzieht. An die Art, wie er manchmal schweigt, als hätte er mehr Gedanken, als er sagen kann. An die Art, wie er mich ansieht, wenn er glaubt, dass ich es nicht bemerke. Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Vielleicht aber auch nicht.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, entsperre den Bildschirm. Unser Chat ist noch offen. Die letzten Nachrichten von gestern Nacht.
Leo: Noch wach?
Ich: Müde, aber ja.
Leo: Morgen wieder Shooting. Denkst du, wir kriegen ein gutes Bild zusammen hin?
Ich: Nur, wenn du nicht wieder blöd grinst, während ich versuche, ernst zu gucken.
Leo: Keine Versprechen. ðŸ˜
Ich schüttle leicht den Kopf und kann nicht anders, als zu grinsen. Selbst seine Texte haben diese freche Leichtigkeit, die mich jedes Mal erwischt. Ich atme tief durch. Noch eine Haltestelle.
Jetzt mischt sich etwas anderes in das Chaos in meinem Kopf – Vorfreude. Egal, was ist, egal, wie unklar die Dinge zwischen uns noch sind – ich freue mich darauf, Leo zu sehen. Mein Herz schlägt schneller. Meine Hände sind leicht verschwitzt. Noch drei Minuten. Ich lehne mich ein Stück nach vorne, lasse meine Finger über den Rucksackriemen gleiten. Mein Magen flattert leicht. Ich weiß nicht, was mich heute erwartet. Aber ich kann es kaum erwarten, es herauszufinden.
Da ist er!
Das Glasgebäude ragt vor mir auf, und für einen Moment halte ich inne, lasse den Blick darüber gleiten. Selbst nach mehreren Besuchen fasziniert es mich immer noch – die riesige, moderne Front, die sich fast nahtlos in den Himmel spiegelt, das geschäftige Treiben im unteren Bereich.
Unten der Verkaufsbereich, der Outlet-Store, wo Kunden zwischen Hightech-Kletterausrüstung und wetterfester Kleidung stöbern. Jedes Mal wenn ich hier bin, muss ich daran vorbei, mich durch Menschen mit Einkaufstaschen und Ausprobierer von Wanderschuhen schlängeln.
Und dann, dahinter, die eigentliche Firma. Der Empfangsbereich mit seinen großen Schreibtischen und freundlichen Mitarbeitern, der Fahrstuhl, der direkt in den riesigen Kletterbereich führt. Eine Halle, die sich über mehrere Etagen erstreckt, mit spektakulären Indoor-Wänden, Trainingsstationen und, ganz oben, dem Fotostudio mit der unfassbaren Technik, mit den beweglichen Lichtern, den aufwändigen Kamera-Rigs. Normalerweise nehme ich all das bewusst wahr. Doch heute? Heute nicht. Denn in dem Moment, als ich durch die Glastür trete, suchen meine Augen nur nach IHM.
Ich scanne den Raum. Ohne es bewusst zu steuern spüre mein Herz schneller schlagen. Menschen gehen an mir vorbei, das Summen von Gesprächen und leisen Ansagen aus den Lautsprechern mischt sich mit dem Klacken von Schuhen auf dem Boden. Aber nichts davon interessiert mich. Und dann sehe ich IHN. Er lehnt am Tresen. Genau da, wo der Empfangsbereich beginnt. Lässig, wie immer. Eine Hand locker in der Tasche seiner Trainingshose, die andere auf die Kante gestützt. Sein Körper ist leicht zur Seite gedreht, als wäre er in Gedanken schon halb woanders, aber dann treffen sich unsere Blicke – und sofort verändert sich sein Gesicht.
Seine Augen leuchten auf. Dieses leicht schiefe Grinsen, sein Grinsen, blitzt auf, genau wie ich es kenne. Offen, ein bisschen schelmisch, als wüsste er längst etwas, das ich noch nicht weiß. Und in mir passiert dieser vertraute kleine Ruck. Da ist er! Ich spüre, wie sich meine Schultern entspannen, wie etwas in meiner Brust leichter wird. Plötzlich fühlt sich alles weniger kompliziert an. Wir stehen voreinander, endlich.
Und doch…, irgendwie wissen wir nicht, wie wir uns begrüßen sollen. Ein kurzer Moment, ein winziges Zögern, als ob beide überlegen, ob wir mehr tun sollten als das Offensichtliche. Eine Berührung? Eine Umarmung? Aber am Ende wird es nur ein zaghaftes, flüchtiges:
„Hi.“
„Hey.“
Unsere Stimmen sind leise, fast ein bisschen unsicher, aber nicht unangenehm. Mehr so, als wären wir beide überrascht davon, wie viel in diesem einfachen Wort steckt.
Ein kurzes Schweigen. Dann räuspert sich Leo leicht, schiebt sich aus seiner lässigen Haltung weg vom Tresen und grinst mich an. „Na, wie war die Busfahrt? Voll mit gruseligen alten Leuten oder kreischenden Kindern?“
Ich lache kurz, schüttle den Kopf. „Weder noch. War ziemlich ruhig. Hatte Zeit, ein bisschen nachzudenken.“
Er hebt eine Augenbraue. „Oh, gefährlich.“
Ich schnaube. „Ja, denk nie zu viel nach. Das endet meistens nicht gut.“
Er lacht, und ich merke, wie ich selbst dabei grinsen muss.
„Und bei dir?“ frage ich zurück.
Leo zuckt mit den Schultern. „Arzttermine gestern. Wieder viel zu lange gesessen, viel zu wenig bewegt.“
Ich runzle leicht die Stirn. „Alles okay?“
Er nickt sofort. „Ja. Keine großen Überraschungen. Sie haben wieder neue Werte genommen, Tests gemacht. Und die neue Prothese ist jetzt offiziell voll funktional.“
Ich sehe auf seine linke Hand, die er locker baumeln lässt, als wäre sie die normalste Sache der Welt. „Und? Wie fühlt sie sich an?“
Leo überlegt kurz, bewegt die Finger, dann sieht er mich an. „Ehrlich? Fast echt.“
Ich schlucke. „Krass.“
Er nickt. „Ja. Ich zeig’s dir später, wenn du willst.“
Ein Moment zwischen uns. Ich will das. Nicht nur die Prothese sehen, sondern ihn sehen. Ihn verstehen.
Doch bevor ich etwas sagen kann, atmet Leo tief durch, schiebt die Hände in die Taschen und lehnt sich mit spielerischer Dramatik leicht nach vorne. „So, Modelboy. Weißt du schon, was heute ansteht?“
Ich runzle die Stirn. „Keine Ahnung. Du etwa?“
Er grinst. „Oh ja.“
„Und?“
Er lehnt sich noch ein bisschen näher, seine Stimme wird etwas tiefer. „Heute geht’s richtig an die Wand. Und ich soll dafür sorgen, dass du entsprechend vorbereitet bist.“
Mein Magen flattert. Ich versuche, seine Worte einzuordnen. Vorbereitet? Was auch immer das bedeutet. Ich sehe ihn fragend an, doch er zuckt nur mit den Schultern, das Grinsen noch immer auf den Lippen.
„Mach dich auf was gefasst, Justin.“
Und ich kann nicht anders, als zu denken: Genau das habe ich vor.
Ich folge Leo durch die hellen Flure des Gebäudes. Die modernen Glaswände, das sanfte Summen der Klimaanlage, das gedämpfte Stimmengewirr aus den angrenzenden Büros – all das ist mir mittlerweile vertraut. Und doch fühlt sich jeder Besuch hier immer wieder neu an.
Leo geht vor mir her, seine Schritte locker, sein Gang so lässig und selbstverständlich, als würde er hierhin gehören. Ich beobachte, wie seine Schultern bei jedem Schritt leicht mitschwingen, wie er sich in seiner Haut so mühelos bewegt.
„Also“, sagt er plötzlich, ohne sich umzudrehen: „Bevor wir anfangen, müssen wir dich noch ein bisschen aufhübschen.“
Ich runzle die Stirn. „Hä? Ich bin doch frisch genug.“
Er dreht sich um, seine Augen blitzen amüsiert. „Justin…, du bist direkt aus der Schule hierhergekommen. Und dann der Bus? Ich sag mal so…“. Er zieht eine Grimasse, schnüffelt gespielt dramatisch in der Luft. „Naja, ein bisschen frische Luft könnte nicht schaden.“
Ich verdrehe die Augen, aber ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Also, duschen?“ frage ich, während wir um eine Ecke biegen.
„Mhm.“ Leo nickt grinsend. „Damit du dich danach in den neuen Stuff werfen kannst. Finn meinte, die wollen dich heute in die neue Indoor-Kletterlinie stecken.“
Neue Klamotten, okay. Aber…
Ich hebe eine Augenbraue. „Und du? Musst du nicht auch frisch sein?“
Leo lacht leise. „Ich war nicht den ganzen Tag in der Schule und eingepfercht mit 40 anderen Leuten in ‘nem Bus.“
„Fair.“ Ich schnaube. Dann, ohne groß nachzudenken, füge ich hinzu: „Willst du mir helfen?“
Oh. Kaum habe ich es ausgesprochen, realisiere ich, wie das klingt.
Leo hebt die Augenbrauen, seine Mundwinkel zucken. „Oh, Justin. Wir sind doch noch gar nicht so weit.“
Mein Magen zieht sich zusammen – nicht aus Panik, sondern weil sein Tonfall eine dieser unterschwelligen Bedeutungen hat, die mein Kopf erst verzögert verarbeitet.
Ich räuspere mich. „Ich meinte…, also, weißt du…“.
Er grinst: „Schon klar.“
Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden, doch Leo scheint die Situation mehr zu genießen als ich.
„Aber hey“, setzt er nach, „wenn du Hilfe brauchst…, ich kann dir gerne den Wasserhahn aufdrehen.“
Ich lache, wenn auch etwas nervös. „Sehr großzügig.“
Er zwinkert: „Ich weiß.“
Ich schüttle den Kopf und drehe mich um, während wir den Gang zu den Umkleiden entlanggehen. Mein Herz schlägt schneller. Was war das gerade? Habe ich mir das eingebildet oder war da tatsächlich eine gewisse… Spannung? Ich schlucke. Okay. Tief durchatmen.
Unter der Dusche – Gedanken, die ich nicht stoppen kann
Ich drehe das Wasser auf, lasse den ersten Schwall ablaufen, bis es die perfekte Temperatur erreicht. Als der warme Strahl auf meine Schultern trifft, schließe ich für einen Moment die Augen.
Ich sollte mich entspannen. Ich sollte einfach nur den Dreck des Tages abwaschen, den Kopf frei bekommen. Aber mein Kopf? Mein Kopf tut genau das Gegenteil.
Leo. Sein Grinsen. Seine Stimme. Der Tonfall, in dem er „Oh, Justin“ gesagt hat.
Mein Herz schlägt schneller. Ich lasse das Wasser über mein Gesicht laufen, spüre, wie es mir über die Brust, die Arme, den Rücken rinnt. Meine Muskeln entspannen sich, aber mein Kopf – mein verdammter Kopf – rast. War das nur Spaß? Oder…?
Ich beiße mir auf die Lippe, spüre die Hitze auf meiner Haut – und sie kommt nicht nur vom Wasser. Ich zwinge mich, an etwas anderes zu denken, aber es ist zwecklos. Es ist Leo. Seine Stimme klingt noch immer in meinen Ohren nach, seine Blicke brennen sich in mein Gedächtnis. Ich atme tief durch und fahre mir mit den Händen durch die nassen Haare. Beruhige dich. Beruhige dich.
Ein paar Minuten später trete ich aus der Dusche, schnappe mir ein Handtuch und rubbele mir die Haare trocken. Ich sehe in den Spiegel und versuche, in meinem Gesicht eine Spur von Normalität zu finden. Aber mein Blick ist irgendwie… anders. Ein bisschen aufgewühlt. Ein bisschen neugierig.
Okay, Fokus. Ich ziehe mir die bereitgelegten Sachen an. Die neue Indoor-Kletterkollektion ist – und das muss ich zugeben – einfach nur geil. Der Stoff ist weich und dennoch stabil, die Hose sitzt perfekt, das Shirt ist angenehm leicht und doch enganliegend genug, dass jede Bewegung uneingeschränkt bleibt.
Ich drehe mich leicht zur Seite, sehe mich im Spiegel an. Verdammt, das sieht gut aus. Ich lasse meine Finger über den Stoff gleiten. Das Material ist atmungsaktiv, flexibel, gibt genau an den richtigen Stellen nach. Ich strecke meine Arme, drehe meinen Oberkörper, fühle, wie sich alles anpasst, ohne zu verrutschen. Ich bin bereit. Meine Gedanken haben sich ein wenig beruhigt. Zumindest fast. Als ich aus der Umkleide trete, steht Leo schon draußen und wartet. Seine Arme sind vor der Brust verschränkt, und als sein Blick über mich wandert, hebt er leicht eine Augenbraue.
„Nicht schlecht, Justin.“
Ich grinse, spüre aber, wie mein Puls ein kleines bisschen schneller wird. Hat er mich gerade wirklich gemustert?
„Fühlt sich verdammt gut an“, sage ich und dehne mich einmal, einfach um die Beweglichkeit zu testen.
Leo nickt anerkennend. „Du siehst gut aus!“
Mein Magen flattert. Ganz leicht. Doch bevor ich darauf näher eingehen kann, gibt er mir einen leichten Stoß in die Seite. „Komm, wir müssen zu Finn. Briefing.“
Ich rolle mit den Augen. „Ja, ja, ich komm ja schon.“
Wir gehen los, Seite an Seite, durch die hellen Gänge des Gebäudes. Ich merke, dass mein Herzschlag sich langsam wieder normalisiert, dass mein Kopf sich endlich ein wenig beruhigt. Aber trotzdem bleibt ein Gedanke in mir hängen. Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal ist die Spannung zwischen uns nicht nur in meinem Kopf. Sie ist da. Spürbar. Greifbar.
Als wir durch den langen, hellen Flur gehen, fällt mir auf, dass wir nicht wie sonst zu Mia, der Stylistin, abbiegen. Ich runzle die Stirn und werfe Leo einen fragenden Blick zu. „Normalerweise gehe ich nach dem Duschen erstmal zu Mia. Warum heute nicht?“
Leo grinst leicht, ohne sich umzudrehen. „Weil wir ein bisschen spät dran sind.“
Ich bleibe kurz stehen. „Spät dran?“
Mein Kopf arbeitet sofort. Wegen mir? Ich habe ja… nicht direkt getrödelt. Aber ich war auch nicht schnell unter der Dusche. Meine Gedanken wandern unwillkürlich zurück zu dem heißen Wasser, das über meine Haut gelaufen ist, zu den Bildern in meinem Kopf.
Ich schlucke. Habe ich zu lange gebraucht? Hat Leo gewartet? Mein Blick huscht zu ihm, aber er läuft einfach entspannt weiter, als wäre nichts. Keine Anmerkung, keine Stichelei. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein. Vielleicht…
„Hey, nicht stehen bleiben.“ Leo dreht sich halb zu mir um, seine Augen funkeln herausfordernd. „Finn wartet.“
Ich zwinge mich, meinen Kopf auszuschalten, und folge ihm.
Finns Briefing – Kein Druck, aber große Erwartungen
Das Fotostudio ist schon voller Leben. Die Crew läuft geschäftig umher, Kameras werden eingerichtet, Scheinwerfer justiert, Kabel sauber verlegt. Das Summen der Technik mischt sich mit gedämpften Gesprächen und der konzentrierten Energie eines Teams, das genau weiß, was es tut.
Finn steht am Monitor, ein Tablet in der Hand, während er mit einem Kollegen spricht. Als er uns bemerkt, dreht er sich zu uns um, sein Gesicht hellt sich sofort auf.
„Da seid ihr ja endlich.“
Ich werfe Leo einen kurzen Blick. Endlich? Also doch.
Finn deutet auf den Bildschirm neben sich. „Bevor wir loslegen, ein kleines Resümee vom letzten Mal.“
Ich trete näher, und dann sehe ich mich selbst auf dem Monitor. Die Aufnahmen vom letzten Shooting. Bewegte Bilder, mein Körper in perfekter Spannung, jeder Zug an der Wand präzise, mein Blick fokussiert. Es sieht… krass aus.
Ich wusste, dass die Videos gut geworden sind, aber so? So habe ich mich selbst noch nie gesehen. Meine Muskeln arbeiten mit einer Selbstverständlichkeit, die ich sonst nur spüre, aber nie bewusst wahrnehme. Und mein Gesicht… ich wirke nicht verkrampft oder gestellt. Ich bin einfach ich.
„Das hier sind die besten Clips, die wir bisher hatten“, sagt Finn, während er durch die Szenen scrollt. „Die Authentizität, die du bringst, ist genau das, was wir wollen. Keine gestellten Posen, kein künstliches Grinsen – einfach echte, rohe Bewegung.“
Ich blinzele: „Wow.“
„Genau das will ich heute wieder sehen.“ Finn lehnt sich an den Tisch, sein Blick wird schärfer. „Aber kein Druck.“
Ich lache kurz. „Klar, kein Druck.“
„Deshalb wird Kai dich heute wieder begleiten. Du erinnerst dich an ihn, oder?“
Ich nicke. Kai, der Profi-Trainer, der mich schon beim letzten Mal begleitet hat. Er ist unfassbar gut, aber auch jemand, der nicht nur auf Technik achtet, sondern auch auf den mentalen Aspekt.
„Und natürlich…“, Finn hebt den Blick zu Leo. „Leo ist ja auch da.“ Leo hebt nur grinsend eine Augenbraue, während mein Herz für einen Moment schneller schlägt. Okay. War das eine Anspielung? Ich blicke kurz zu Leo, doch er sagt nichts. Sein Gesicht bleibt neutral, …aber in seinen Augen tanzt dieses gewisse Funkeln. Bilde ich mir das nur ein? Oder macht jeder hier Andeutungen?
Finn legt sein Tablet zur Seite. „Die Crew braucht noch ein paar Minuten für den Aufbau. In der Zeit könnt ihr zu Mia gehen. Justin, du weißt ja, ein bisschen Styling, ein paar Korrekturen, und dann bist du ready.“
Ich nicke.
Leo gibt mir einen leichten Klaps auf die Schulter. „Na los, Modelboy. Lass dich hübsch machen.“
Ich schnaube und folge ihm aus dem Studio. Mia wartet schon in ihrem kleinen Styling-Raum neben dem Studio. Sie ist, wie immer, konzentriert, professionell. Aber eben auch mit einer herzlichen Art, die mir sofort das Gefühl gibt, dass ich hier richtig bin.
„Justin! Da bist du ja. Setz dich.“
Ich lasse mich in den Stuhl fallen, während sie sich ihre Utensilien zurechtlegt.
„Also, kein großes Drama heute“, sagt sie, während sie einen leichten Primer aufträgt. „Nur ein bisschen Frische ins Gesicht bringen, die Haut ausgleichen, kleine Unreinheiten kaschieren.“
Ich nicke, während sie mit sanften Bewegungen arbeitet. Ihre Finger sind leicht, fast federnd, als sie das Make-up verteilt.
„Die neuen Klamotten stehen dir übrigens mega“, murmelt sie, während sie mir ein wenig Puder auf die Wangen tupft.
Ich grinse. „Danke. Fühlen sich auch echt gut an.“
„Perfekt.“ Sie richtet ein paar Haarsträhnen hin, ohne sie großartig zu verändern. „Heute lassen wir deine Haare so natürlich wie möglich. Du siehst eh schon aus, als wärst du gerade aus einem verdammten Outdoor-Werbespot gesprungen.“
Ich lache leise. Während sie arbeitet, versuche ich, meine Gedanken zu sortieren. Ich sollte mich einfach auf das Shooting freuen. Auf das Klettern. Auf das, was Finn von mir sehen will. Aber in meinem Kopf dreht sich alles nur um eine einzige Sache.
Seine Blicke. Seine Art, mit mir zu reden. Die kleinen, unterschwelligen Anspielungen. Bilde ich mir das alles ein? Oder ist da wirklich etwas?
„So.“ Mia tritt einen Schritt zurück, betrachtet mich kritisch und nickt dann zufrieden. „Fertig. Du bist ready, mein Lieblingmodel.“
Ich verdrehe die Augen, bei dieser Bezeichnung, aber… Ich sehe in den Spiegel und muss zugeben – sie hat aus wenig viel gemacht. Ich sehe frisch aus, aber nicht übergestylt. Wach, fokussiert. Ein bisschen definierter, als ich mich sonst wahrnehme.
„Danke, Mia.“
„Immer gerne.“ Sie klopft mir leicht auf die Schulter. „Und jetzt zeig Finn und den anderen mal wieder, was du kannst.“
Ich atme tief durch. Körperlich bin ich bereit. Aber in meinem Kopf? Dort sieht es anders aus. Ich stehe auf, richte meine Schultern, spüre, wie sich meine Finger anspannen und dann wieder lösen.
Leo wartet. Er hat die ganze Zeit zugesehen. Er grinst, das typische Leo-Grinsen. Seine Augen leuchten, als er mich so sieht. Ich habe Schmetterlinge im Bauch…
Mehr als nur Ausrüstung – Berührungen, die nachwirken
Die Kletterhalle wirkt heute noch beeindruckender als sonst. Die hohen Wände, das gedämpfte Geräusch von fallenden Sicherungsseilen, das metallische Klicken von Karabinern. Athleten sind bereits in Bewegung, einige klettern geschmeidig die Wände hinauf, andere stehen in Gruppen zusammen, dehnen sich oder besprechen ihre Routen.
Ich liebe diesen Ort. Und gleichzeitig fühlt es sich immer noch ein bisschen unwirklich an, hier zu sein – mitten in dieser Welt der Profis. Aber heute…, heute bin ich ja wieder nicht allein. Leo ist da.
Ich merke es mit jeder Faser meines Körpers.
Nicht nur, weil er neben mir geht, seine Hände tief in den Taschen seiner Trainingshose vergraben, sondern weil seine Präsenz wie ein Anker ist. Eine Art von Sicherheit, die mir hilft, mich nicht überwältigt zu fühlen.
„Justin! Bereit für die nächste Runde?“ Kai begrüßt mich mit seinem typischen, energiegeladenen Tonfall.
Ich grinse und nicke: „Definitiv.“
Kai mustert mich kurz, dann geht sein Blick zu Leo: „Und du? Bleibst du heute an seiner Seite?“
Leo zuckt mit den Schultern, sein Grinsen blitzt auf: „Klar, irgendjemand muss ja sicherstellen, dass er nicht abstürzt.“
Ich stöhne gespielt genervt: „Danke für dein Vertrauen.“
Kai lacht, dann klatscht er in die Hände. „Okay, dann fangen wir an. Warm-up, aber kurz. Ich will euch nicht mit Standard-Routinen langweilen.“
Das Aufwärmen ist, wie immer hier, kurzweilig und effizient, direkt aufs Klettern abgestimmt. Keine endlosen, monotonen Laufübungen oder ermüdendes Dehnen wie im Verein. Stattdessen fokussierte Bewegungen – dynamische Dehnungen, leichte Sprünge, Schulterrotationen.
Ich merke, wie mein Körper nach und nach wach wird, wie meine Muskeln sich lockern, meine Schultern sich entspannen. Neben mir macht Leo einige der Übungen mit – aber ich spüre, dass er nicht nur aus Langeweile mitmacht. Er beobachtet mich.
Immer wieder wandert sein Blick zu mir rüber, als würde er jede meiner Bewegungen studieren. Nicht aufdringlich, nicht offensichtlich – aber ich spüre es. Was geht in seinem Kopf vor?
Ich tue so, als würde es mich nicht ablenken, aber mein Körper fühlt sich mit jedem Blick von ihm auf eine Art… wacher an. Mein Puls ist schneller, meine Haut kribbelt leicht, obwohl ich genau weiß, dass das nur in meinem Kopf passiert.
Wir sind fertig mit dem Warm-up, und Kai gibt mir ein kurzes, anerkennendes Nicken.
„Gut. Jetzt geht’s ans Equipment.“
Kai hebt den neuen Klettergurt hoch, und mein Blick bleibt sofort an ihm hängen. Er sieht anders aus als das, was ich kenne. Das Material wirkt feiner, die Polsterung ist schlanker, alles ist optimiert, um leichter zu sein. Trotzdem sieht er stabil aus – als könnte er genauso viel aushalten wie die klobigeren Modelle, die ich gewohnt bin.
„Das ist eine komplett neue Entwicklung“, erklärt Kai und dreht den Gurt kurz in den Händen. „Er wurde speziell für Indoor-Klettern entwickelt. Leichter, flexibler, mit besserer Lastverteilung. Weniger Druck auf die Oberschenkel, aber maximale Stabilität.“
Ich streiche mit den Fingern über das Material. Es ist weich und trotzdem fest, passt sich sofort an meine Handfläche an.
„Wie viel leichter ist er als ein normaler Gurt?“ frage ich.
„Fast 30 Prozent“, antwortet Kai. „Du wirst den Unterschied merken. Gerade, wenn du länger an der Wand hängst.“
Ich nicke anerkennend. „Klingt vielversprechend.“
„Leo, hilfst du Justin, das Ding anzulegen?“
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Leo grinst sofort – dieser typische, selbstbewusste Ausdruck in seinen Augen. „Mit Vergnügen.“
Ich schlucke. Okay. Tief durchatmen. Er nimmt den Gurt aus Kais Händen, bewegt sich dabei lässig, aber präzise. Dann dreht er sich zu mir.
„Okay, Modelboy. Beine auseinander.“
Mein Gehirn hängt für eine Sekunde fest. Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird, als mir die Zweideutigkeit seiner Worte bewusst wird. Und als ich seinen Tonfall höre, weiß ich, dass er es genau so gemeint hat.
Ich stöhne leise: „Alter, ernsthaft?“
Leo zuckt nur mit den Schultern: „Ich sag nur, was Kai sonst sagen würde.“
Kai, der sich neben uns Notizen macht, sieht verwirrt auf: „Was hab ich gesagt?“
„Nichts! Gar nichts!“ Ich winke schnell ab, bevor sich Leo noch mehr amüsiert.
Ich stelle mich in die richtige Position, und Leo geht vor mir auf die Knie, um mir die Beinschlaufen anzulegen. Oh verdammt. Seine Finger gleiten über den Stoff meiner Trainingshose, als er die Schlaufen festzieht, und ich spüre seine Berührungen so intensiv, als wären sie direkt auf meiner Haut. Mein Körper reagiert, bevor mein Kopf es verarbeitet. Mein Atem stockt leicht, und ich merke, dass mein Herz viel zu schnell schlägt.
„Sitzt gut“, murmelt Leo. Aber er bleibt noch kurz, justiert die Schlaufen ein zweites Mal, als müsste er sicherstellen, dass wirklich alles perfekt ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann eine Berührung so viel mit mir gemacht hat.
„Alles okay?“ Seine Stimme ist leise, nah.
Ich nicke schnell. „Ja. Perfekt.“
Leo klickt den letzten Gurt fest. Seine Finger streifen dabei ganz kurz meinen unteren Bauch, nicht absichtlich, nicht mit Absicht zu lange. Aber ich spüre es. Ich habe das Gefühl, dass er es auch spürt.
Dann richtet er sich langsam auf, sein Blick trifft meinen. Und für den Bruchteil einer Sekunde bleibt er dort hängen. Zu lange. Mein Kopf ist ein einziges Durcheinander. Ich hoffe inständig, dass ich mir nichts anmerken lasse.
Kai räuspert sich leicht. „Gut, dann zur Sicherungstechnik.“
Ich zucke leicht zusammen und zwinge mich, meine Aufmerksamkeit zurück auf das Wesentliche zu lenken. Kai hält ein neues Sicherungsgerät hoch, das vertraut aussieht, aber einige Unterschiede aufweist.
„Semi-automatische Sicherung“, erklärt er. „Passt sich dem Gewicht des Kletterers an, sorgt für eine flüssigere Bremsung, ohne zu ruckeln. Stürze werden sanfter abgefangen, und du kannst langsamer abgelassen werden.“
Ich nehme das Gerät in die Hand, drehe es leicht, spüre die glatte, robuste Oberfläche.
„Das heißt, wenn ich abstürze, lande ich wie ein Superheld?“, frage ich trocken.
Leo lacht leise. „Genau. Super-Justin.“
Ich rolle mit den Augen, aber innerlich bin ich immer noch nicht wieder ganz bei mir.
„Bevor wir loslegen, machen wir ein paar Trockenübungen“, sagt Kai bestimmt. „Sicherheit geht vor.“
Ich nicke. Aber ehrlich? Mein Kopf ist überall, nur nicht bei der Technik. Leo steht direkt neben mir, seine Finger spielen mit einem Karabiner, sein Blick kurz auf mich gerichtet.
Was ist das zwischen uns? Bilde ich mir das alles nur ein? Oder…, ist es echt? Ich atme tief durch. Jetzt konzentrier dich, Justin.
Fokus, Technik und der Blick nach oben
Kai ist ein Profi. Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass er verdammt gut darin ist, Menschen genau in dem Moment abzuholen, wenn ihre Gedanken gerade überall sind. Außer dort, wo sie sein sollten. Und ich bin gerade nicht da, wo ich sein sollte. Mein Kopf ist immer noch irgendwo zwischen Leos Berührungen, seinen Blicken, dieser elektrisierenden Nähe, die mich mehr aus dem Konzept gebracht hat, als ich zugeben will. Ich versuche, mich auf die Technik der Sicherung zu konzentrieren, versuche, meine Finger richtig um das neue Sicherungsgerät zu legen, die Funktion wirklich zu verstehen. Aber ich merke, dass ich nicht zu 100% da bin.
Kai merkt es auch. Er sagt nichts direkt, aber sein Blick ist schärfer. Dann ändert sich sein Tonfall – präzise, ruhig, mit genau der Art von Klarheit, die keine Spielräume für Ablenkung lässt: „Justin, hör zu.“
Ich zucke leicht zusammen, mein Blick hebt sich automatisch zu ihm.
„Wir machen das jetzt Schritt für Schritt. Und du machst es richtig.“
Ich schlucke. Es ist keine Strenge in seiner Stimme, aber eine Direktheit, die sofort wirkt.
Ich nicke. „Okay.“
Er gibt mir ein Zeichen, und wir beginnen mit den Trockenübungen zur Sicherungstechnik.
„Das hier ist eine semi-automatische Sicherung mit adaptivem Bremssystem“, erklärt Kai noch einmal, während ich das Gerät in der Hand halte. „Heißt, es blockiert nicht sofort wie bei manchen herkömmlichen Geräten, sondern passt sich dynamisch an dein Gewicht und den Sturzimpuls an.“
Ich lasse das Seil langsam durch meine Finger gleiten, beobachte, wie es durch das Gerät läuft.
„Langsame Bewegung nach unten – das System erkennt, dass es ein kontrollierter Vorgang ist und hält den Widerstand minimal. Sobald du schneller loslässt…“ – er nimmt meine Hand und zieht das Seil abrupt nach unten – „… bremst es ab.“
Ich spüre, wie sich das Gerät automatisch verankert. Es ist ein ungewohntes Gefühl, aber auch faszinierend.
„Vertrau dem System“, sagt Kai ruhig: „Es ist da, um dir Sicherheit zu geben – aber du musst wissen, wie du es nutzt.“
Ich nicke.
„Okay, jetzt simulierst du eine Sicherung.“
Ich nehme das Seil, lasse es kontrolliert durch meine Hand laufen, während ich mir vorstelle, dass Leo oder Kai oben in der Wand hängt. Ich halte den Griff locker, aber bestimmt.
„Gut. Und jetzt langsam ablassen.“
Ich drehe das Gerät in der Hand und lasse das Seil Stück für Stück durchlaufen. Das System reagiert sofort, der Widerstand bleibt stabil, kein ruckartiges Ziehen, kein plötzlicher Kontrollverlust.
Ich nicke. „Das fühlt sich…, irgendwie natürlicher an.“
Kai grinst. „Ist es auch. Wenn du’s mal drauf hast, willst du nichts anderes mehr nutzen.“
Ich atme tief durch. Mein Kopf ist endlich bei der Sache.
Kai klopft mir auf die Schulter. „Okay, genug Theorie. Jetzt an die Wand.“
Ich spüre, wie meine Nerven leicht kitzeln. Klettern vor den Kameras, vor den Profis – und trotzdem fühle ich mich sicher. Ich liebe das Klettern, es ist der Ort, an dem mein Körper sich am natürlichsten anfühlt.
Wir beginnen mit einer mittleren Route – nichts zu Extremes, aber genug, um mich in Bewegung zu bringen. Ich trete zur Wand, atme tief durch, bevor ich die ersten Griffe nehme. Die Textur unter meinen Fingern fühlt sich rau an, perfekt für den Halt. Mein Körper reagiert sofort, wie im Reflex – Füße setzen, Gewicht verlagern, Arme strecken.
Kai beobachtet genau. „Achte darauf, dass du nicht nur deine Arme benutzt. Kraft aus den Beinen.“
Ich spüre es sofort. Denn ich hatte mich zu sehr auf meine Arme verlassen, statt die Kraft aus den Füßen zu holen. Somit korrigiere ich mich, setze meinen Fuß weiter zur Seite und nutze die Hüftdrehung, um mich hochzudrücken.
„Besser“, lobt Kai.
Meine Finger suchen den nächsten Griff, aber ich zögere einen Moment. Hier könnte ich springen. Aber ist das klug?
„Überleg nicht so lange, Justin. Bewegung ist Kontrolle. Wenn du zögerst, verlierst du den Flow.“
Ich nicke und setze den Sprung an. Ein kontrollierter Schwung, mein Körper geht mit, die Finger krallen sich um den höheren Griff. Sicher. Perfekt. Ich kann nicht anders, als leicht zu grinsen.
Schritt für Schritt zur Herausforderung
Die nächste Route ist schwieriger. Kleinere Tritte, mehr Kontrolle nötig. Ich spüre, wie mein Körper jetzt gefordert wird, die Arme beginnen, leicht zu zittern.
Kai merkt es. „Atmen. Kontrolliere deine Energie. Du bist stark genug, aber du musst die Kraft verteilen.“
Ich nehme mir seine Worte zu Herzen, setze meinen nächsten Schritt bewusster. Spüre, wie die Balance sich stabilisiert, meine Körpermitte die Bewegung führt, statt nur meine Arme.
„Sehr gut“, ruft Kai: „Jetzt siehst du aus wie jemand, der sich bewusst bewegt, nicht wie jemand, der nur schnell hoch will.“
Ich spüre das Adrenalin in meinen Adern. Ich bin drin. Die Kamera blitzt im Augenwinkel auf, aber ich ignoriere sie. Mein Fokus ist nur noch die Wand. Mein Körper, die Griffe, das nächste Ziel.
Hoch. Weiter. Noch ein Zug. Mein Atem geht gleichmäßig, mein Blick ist scharf. Ich bin genau da, wo ich sein soll.
Als ich die Spitze der Route erreiche, bleibe ich kurz hängen. Ich lasse meinen Blick nach unten schweifen, sehe Kai, der mich beobachtet, sehe Leo, der an der Wand lehnt und mir zuschaut. Mein Herz schlägt schneller. Nicht nur wegen der Höhe.
Ich bleibe einen Moment dort oben, spüre die Spannung in meinen Muskeln, die Kontrolle in meinem Körper. Dann atme ich tief ein – und lasse mich langsam von der Sicherung nach unten gleiten. Kai nickt anerkennend, als meine Füße die Matte berühren.
„Das war stark, Justin. Das sah nicht nur gut aus – du hast das verstanden, was ich dir zeigen wollte.“
Ich atme schwer aus, ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.
„Danke.“
Kai reicht mir die Faust zum Abklatschen. „Und jetzt… machen wir das Ganze nochmal. Aber noch eine Stufe schwerer.“
Ich lache leise. Das wird spannend. Doch während ich mich auf die nächste Route vorbereite, spüre ich Leos Blick auf mir. Ich wage es, kurz zu ihm rüber zusehen – und da ist es wieder.
Dieses leichte Funkeln in seinen Augen. Ich schüttle den Kopf, zwinge mich, wieder an die Wand zu denken. Aber irgendetwas in mir sagt, dass ich heute nicht nur Höhen aus Stein und Griffen erklimmen werde.
Dann ist da plötzlich eine Hand vor meinem Gesicht. Ich blinzele hoch. Leo. Er hält mir eine Wasserflasche hin, sein Blick leicht amüsiert, aber weich. „Hier, bevor du austrocknest.“
Ich grinse und greife nach der Flasche. Und genau in diesem Moment berühren sich unsere Fingerspitzen. Nur für einen Sekundenbruchteil. Aber es ist genug. Ein elektrisierendes Kribbeln schießt durch meinen Körper, von meinen Fingerspitzen bis hinunter in meinen Magen. Mein Puls, der sich gerade erst beruhigt hatte, macht einen plötzlichen Sprung.
Ich merke, wie mein Blick für einen Moment an seinen Händen hängen bleibt, an den leichten, kaum sichtbaren Narben, die von seinen Stürzen erzählen. Wie nah unsere Finger noch immer sind. Spürt er das auch? Ich wage es nicht, ihn direkt anzusehen. Stattdessen nehme ich einen Schluck Wasser, spüre die Kühle in meiner Kehle, doch es beruhigt mich nicht wirklich.
Kai klatscht plötzlich in die Hände: „Justin, komm mal her.“
Ich zucke leicht zusammen, blinzle verwirrt. Oh verdammt. Hat er das gemerkt? Ich werfe einen kurzen Blick zu Leo, der immer noch grinst, als wüsste er genau, was gerade in meinem Kopf passiert.
Dann stehe ich auf und gehe zu Kai. Kai mustert mich kurz, die Arme locker vor der Brust verschränkt.
„Du warst eben gut, keine Frage“, beginnt er. „Aber ich hab gemerkt, dass dein Kopf zwischendurch abgeschweift ist.“
Ich öffne den Mund, will etwas sagen. Doch dann halte ich inne. Er hat Recht. Da war ein Moment, in dem ich die Wand nicht mehr richtig gesehen habe, nicht mehr bewusst gespürt habe, wo meine Füße standen. Weil mein Kopf bei Leo war.
Kai nickt, als hätte er meine Gedanken erraten. „Klettern ist nicht nur Technik. Es ist Kopfsache. Die mentale Arbeit ist genauso wichtig wie die physische.“
Ich schlucke. „Ich weiß.“
„Tust du das wirklich?“, Seine Stimme ist ruhig, aber ernst: „Die besten Kletterer sind nicht die, die nur Kraft haben. Sondern die, die ihren Kopf im Griff haben.“
Ich atme langsam aus: „Wie meinst du das?“
Kai setzt sich auf die Matte und klopft auf den Platz neben sich. Ich lasse mich ebenfalls nieder.
„Beim Klettern gibt es immer einen Punkt, an dem du zweifelst“, erklärt er. „Einen Moment, wo dein Körper dir sagt, dass es reicht. Oder dein Kopf dir einredet, dass du fällst.“
Ich nicke langsam.
„Aber genau dann musst du dich neu fokussieren. Deine Atmung kontrollieren. Die Wand sehen, wie sie wirklich ist – nicht, wie deine Angst sie dir zeigt.“
Er hält mir eine Hand hin. „Mach mal die Augen zu.“
Ich zögere, tue es dann aber.
„Atme tief durch. Spür, wie dein Brustkorb sich hebt und senkt. Denk an die letzte Route. Stell dir den Moment vor, als du gezögert hast.“
Ich sehe es sofort vor mir. Die Wand, den Griff, den Moment des Zweifelns.
„Und jetzt atme noch mal. Stell dir vor, wie du genau diese Bewegung flüssig und stark ausführst.“
Ich tue es – und plötzlich fühlt es sich anders an. Sicherer.
Ich klettere die Route nicht nur einmal. Nicht zweimal. Ich klettere sie so oft, dass ich irgendwann jeden Griff kenne, jede Kante unter meinen Fingern spüre, noch bevor ich sie wirklich berühre. Es ist, als würde die Wand mir ihre Sprache beibringen – eine eigene Grammatik aus Druck, Zug, Balance und dem ständigen Wechsel zwischen Vertrauen und Zweifel.
Kai bleibt an meiner Seite. Immer. Mit wachen Augen und klarer Stimme. Seine Tipps sind präzise. Kein unnötiges Lob, keine falsche Härte. Nur das, was ich brauche.
„Nicht hochziehen, Justin. Rausdrücken.“
„Denk an die Hüfte. Du bist kein Baumstamm.“
„Atme aus, wenn du den Griff nimmst. Nicht anhalten.“
Ich nehme alles in mich auf. Und ich merke, wie sich etwas verändert. Nicht plötzlich, nicht wie ein Film mit epischem Soundtrack. Sondern langsam. Still. Organisch. Mein Körper hört auf, gegen die Wand zu arbeiten – und beginnt, mit ihr zu tanzen. Die Anstrengung ist immer noch da. Meine Finger brennen, meine Unterarme zittern, der Schweiß tropft mir von der Stirn. Aber da ist auch dieser Moment, in dem ich die Wand nicht mehr als Gegner sehe. Sondern als Bühne.
Ich spüre, wie mein Fokus schärfer wird. Wie die Stimmen im Hintergrund verschwimmen, sogar Leos Blick – der mich sonst jedes Mal aus dem Konzept bringt – wird zu einem warmen Punkt in meinem Rücken, der mich eher trägt als ablenkt.
Ich atme bewusst. Zähle innerlich jeden Schritt vor dem Start. Visualisiere die Route. Den Sprung in der Mitte. Die knifflige kleine Kante links oben. Ich sehe mich selbst in Bewegung, noch bevor ich den Boden verlasse.
Und dann… klettere ich. Ein Griff nach dem anderen. Bewusste Füße. Leichte Hüftdrehung. Kraft aus dem Rumpf. Ich denke nicht mehr – ich weiß. Ich fühle. Ich bin im Moment. Es gibt keine Kamera, keine Zuschauer, keine Gedanken mehr über Leo oder mich oder was das hier alles bedeutet. Nur noch Wand. Körper. Flow.
Jedes Mal, wenn ich oben ankomme, atme ich tiefer. Fester. Ich blicke runter und sehe Kai. Sein Nicken. Kein großes Grinsen, kein Applaus. Nur dieses: Du hast es kapiert! Und ja – ich habe es kapiert. Nicht alles. Aber mehr. So viel mehr. Ich spüre die Erschöpfung in meinen Muskeln, das Zittern in meinen Oberschenkeln, das Ziehen in den Schultern – und trotzdem will ich wieder hoch. Noch einmal. Noch besser. Die Route wird zu meinem Maßstab. Zu meinem Spiegel.
Ich laufe nicht mehr weg, wenn ich stürze. Ich schließe die Augen, spüre die Stelle, wo der Zweifel sitzt, und klettere sie wieder. Diesmal bewusster. Ich beginne, meinen Kopf genauso zu trainieren wie meinen Körper. Ich mache die Augen zu, höre auf meine Atmung. Erinnere mich an Kais Worte: „Die Wand zeigt dir nichts, was nicht schon in dir ist.“
Ich glaube ihm. Und genau in dem Moment, als ich oben hänge – keuchend, aber ruhig, mit einem Blick, der nicht mehr nach Bestätigung sucht, sondern einfach nur da ist – genau in dem Moment spüre ich: Ich bin bereit.
Und dann… kommt sie. Die echte Herausforderung. Die, die nichts mehr mit Wiederholung zu tun hat. Sondern mit Entscheidung.
Ich lasse mich langsam von der Wand ab, spüre das Seil in meinen Händen, den kontrollierten Zug, das sichere Nachgeben des Sicherungsgeräts. Meine Füße berühren die Matte – weich, vertraut – und für einen Moment bleibe ich einfach stehen. Atme. Spüre das Zittern in meinen Oberschenkeln, den Schweiß auf meinem Rücken, das Pochen in meinen Fingerspitzen. Mein Herz rast, aber nicht aus Angst. Aus Klarheit.
Kai kommt auf mich zu. Kein aufgesetztes Lächeln. Nur dieses ruhige, zufriedene Blinzeln in seinen Augen, wenn er merkt, dass etwas angekommen ist. Er legt den Kopf leicht schräg, mustert mich. Dann nickt er: „Du hast dir die Wand genommen. Nicht nur körperlich – auch im Kopf.“ Seine Stimme ist ruhig, fast leise. Als wolle er nicht den Moment zerreißen. „Deine Bewegungen – flüssiger, entschiedener. Du zögerst nicht mehr. Du denkst voraus.“
Ich wische mir mit dem Handrücken über die Stirn. Ein halbes Lächeln liegt auf meinen Lippen, aber mein Blick bleibt bei ihm. „Fühlt sich auch anders an“, murmele ich. „Klarer. Irgendwie… ruhiger.“
Er nickt wieder.
„Das ist der Unterschied. Zwischen Klettern und einfach nur hochkommen.“
Ich atme tief durch. Ein Teil von mir will einfach hier bleiben – in diesem Gefühl. In dieser Stille nach der Anstrengung, in der sich alles leichter anfühlt. Aber Kai tritt einen Schritt näher, tippt mir leicht auf den Arm. „Das ist mentales Training. Und genau das wirst du für die nächste Route brauchen.“
Ich öffne die Augen. Er lächelt: „Bereit für eine echte Herausforderung?“
Ich atme tief ein – und nicke.
Die schwerste Route – Kampf gegen die Wand
Kai deutet auf die Wand vor uns. Ich sehe sofort, dass sie anders ist. Höher. Technischer. Und dann…, dieser massive Überhang in der Mitte.
Mein Herz schlägt schneller.
„Diese Route ist kein Sprint“, sagt Kai. „Es ist ein Balanceakt zwischen Kraft, Technik und Taktik. Du kannst nicht einfach hochrennen. Du musst wissen, wann du Energie sparst, wann du sie gezielt einsetzt.“
Ich nicke und gehe langsam zur Wand. Ich streiche mit meinen Fingern über den ersten Griff, spüre die raue Struktur. Mein Körper weiß, was zu tun ist.
Kai erklärt mir noch einige Details – wo der beste erste Tritt ist, wo ich darauf achten muss, dass mein Körperschwerpunkt nicht zu weit von der Wand entfernt ist.
Dann atme ich tief durch, und starte. Ich stehe unter der Wand, meine Finger umschließen noch einmal prüfend das Seil. Mein Atem ist ruhig, kontrolliert. Doch in meiner Brust schlägt mein Herz bereits schneller. Das hier ist anders.
Kai hat mir die Route genau erklärt. Ich kenne die Schlüsselstellen, die kleinen Tritte, die Griffe, die kaum größer als meine Fingerkuppen sind. Der Überhang. Ich sehe ihn bereits, wie er sich wie ein Monster über mir auftut, schwer und bedrohlich. Aber das ist nur mein Kopf, der mir Angst einreden will. Ich atme tief durch, balle die Hände kurz zu Fäusten, um das Kribbeln aus meinen Fingern zu vertreiben. Dann sehe ich zu Leo. Er lehnt an der Wand, die Arme verschränkt, aber seine Augen ruhen auf mir. Ich will, dass er mich so sieht. Ich will nicht nur diese Wand bezwingen – ich will, dass er sieht, wer ich bin.
Dann setze ich die Hände an den ersten Griff. Ich ziehe mich nach oben, spüre, wie meine Muskeln sich sofort anspannen. Die ersten Bewegungen fühlen sich vertraut an. Mein Körper weiß, was er tun muss. Ruhig bleiben, das Gewicht verteilen.
Meine Beine arbeiten mit, schieben mich nach oben, während meine Arme nur so viel Kraft aufwenden, wie nötig ist. Nicht zu viel, nicht zu früh. Ich weiß, dass jede verschwendete Bewegung mich später kosten wird.
Ich klemme meine Zehen in eine kleine Mulde, mein linkes Bein stabilisiert, während meine rechte Hand nach einem höheren Griff sucht. Er ist winzig. Ich spüre nur mit den Fingerspitzen, dass er da ist. Mein Griff muss perfekt sein.
Ich verlagere mein Gewicht, ziehe mich hoch. Die Spannung in meinen Schultern wächst, aber ich halte sie bewusst. Jeder Muskel arbeitet kontrolliert – der Latissimus zieht, die Unterarme brennen leicht. Aber ich lasse es nicht zu, dass sie jetzt schon nachgeben.
Dann komme ich zum ersten schwierigen Abschnitt. Die Wand neigt sich nach außen. Der Schwerpunkt ändert sich. Ich kann nicht mehr einfach an ihr hochsteigen, sondern ich muss arbeiten.
Nun wippe ich kurz mit den Füßen, suche nach dem perfekten Timing. Dann drücke ich mich nach oben, meine rechte Hand schnappt sich den nächsten Griff. Ein winziger Riss in der Wand, gerade groß genug für zwei Finger. Mein Herz schlägt schneller.
Kai ruft von unten: „Sauber, Justin! Jetzt ruhig bleiben. Atme. Kontrolliere die Bewegung!“
Ich nicke, auch wenn er es nicht sieht. Mein Atem kommt gleichmäßig. Ich spüre, wie meine Bauchmuskulatur sich verkrampft, meine Beine versuchen, mich zu stabilisieren. Nicht zu lange nachdenken. Mach es einfach. So greife ich weiter. Der nächste Griff ist eine Leiste. Nur ein dünner Streifen für meine Finger. Ich ziehe mich heran, spüre, wie meine Unterarme anfangen zu zittern. Aber das ist noch nichts. Der Überhang ist jetzt direkt vor mir. Hier verändert sich alles. Die Wand ist nicht mehr nur steil, sie ist jetzt über mir.
Mein Körper hängt in einem fast waagerechten Winkel zur Wand. Ich spüre die pure Belastung in meinen Armen, in meiner Rumpfmuskulatur. Mein Bauch arbeitet jetzt mit aller Kraft, um mich stabil zu halten.
Meine Finger suchen Halt. Der Griff hier ist winzig, und ich muss meine Beine perfekt positionieren, um mich zu halten.
„Spann den Rumpf!“, ruft Kai. „Nicht nur die Arme, Justin!“
Ich tue es. Und spüre sofort den Unterschied. Mein Körper stabilisiert sich, die Kraft verteilt sich besser. Ich wackle weniger. Aber die Bewegung kostet mich Energie. Mein rechter Arm beginnt zu zittern. Mein linkes Bein sucht nach Halt. Ich habe keine Wahl. Ich muss springen. Mein Atem setzt für eine Sekunde aus. Ich sehe den Griff vor mir. Zehn Zentimeter entfernt. Fünf.
Jetzt! Ich lasse los. Für einen Moment hänge ich in der Luft, schwerelos, mein Körper fliegt nach vorne. Meine Finger treffen den Griff. Treffen ihn. Aber mein Griff ist nicht perfekt. Ich rutsche. Mein Herz explodiert in meiner Brust. Ich verliere den Halt, mein Körper kippt nach hinten. Die Schwerkraft zieht mich nach unten, mein Magen dreht sich. Nein.
Meine linke Hand schnellt nach oben, greift instinktiv nach irgendetwas. Und dann, ich spüre es. Ein Griff. Ich halte ihn. Nun ziehe ich mich ran, stabilisiere meinen Körper. Ich falle nicht.
Von unten höre ich, wie Kai klatscht. „Ja! Genau so, Justin! Weiter! Jetzt hast du ihn!“
Mein Atem kommt stoßweise, mein Körper bebt, aber ich kann nicht aufhören. Ich muss weiter. Meine Muskeln brennen jetzt. Meine Finger sind taub. Mein Körper schreit nach einer Pause. Aber ich kann nicht aufgeben. Ich ziehe mich weiter hoch, Zentimeter für Zentimeter. Jeder Griff ist ein neuer Kampf. Ich spüre den Schweiß an meinen Handflächen, aber ich denke nicht daran, dass sie rutschig werden könnten. Ich darf nicht zweifeln. Dann, der letzte Griff. Er ist direkt über mir. Nur noch eine Bewegung. Meine Lungen brennen, meine Beine zittern, meine Arme sind ein einziger Krampf – aber ich werde ihn erreichen. Mein Körper sammelt die letzte Energie, die ich habe. Ich wippe leicht mit den Füßen, hole Schwung. Ich ziehe mich hoch. Mein rechter Arm schnellt nach oben, meine Finger schließen sich um den letzten Griff. Ich habe ihn!
ICH HABE IHN!!
Mein Körper entspannt sich sofort. Mein Kopf fällt leicht nach hinten, während ich schwer atme. Ich habe es geschafft.
Kai ruft von unten. „Geil gemacht! Das war stark, Justin!“
Langsam lasse ich mich von der Sicherung abseilen. Mein Körper fühlt sich ausgelaugt an, aber gleichzeitig voller Energie. Mein Adrenalin pumpt durch jede Faser. Ich lande mit beiden Füßen sicher auf der Matte. Ich spüre, wie sich eine Mischung aus Euphorie und Erschöpfung in mir ausbreitet. Ich habe mich selten so lebendig gefühlt. Dann hebe ich den Blick. Und da steht Leo. Er sieht mich an. Aber nicht wie sonst. Sein Blick ist tiefer. Intensiver. Es ist nicht nur Anerkennung in seinen Augen. Es ist mehr.
Mein Körper ist am Limit. Meine Muskeln sind erschöpft. Aber mein Herz? Mein Herz schlägt schneller als je zuvor.
Anerkennung, Erschöpfung und eine Nähe, die unter die Haut geht
Mein Atem geht immer noch schnell, meine Lungen brennen leicht, aber mein Herz schlägt langsamer, beruhigt sich. Meine Beine zittern, mein ganzer Körper fühlt sich seltsam an. Schwer, und doch gleichzeitig leicht. Als würde ich schweben, aber jeder Muskel in mir weiß, wie sehr ich gerade an meine Grenze gegangen bin.
Kai steht vor mir, ein breites Grinsen auf den Lippen. Dann hebt er die Hand. „Stark, Justin.“
Ich klatsche ab, spüre die Kraft in seinem Schlag. Kein übertriebenes Lob, sondern echtes, ehrliches Anerkennen meiner Leistung. Und das bedeutet mir mehr als alles andere.
„Das war nicht nur stark“, fährt er fort, „das war beeindruckend. Du hast genau die Dinge umgesetzt, die wir besprochen haben. Gute Routenplanung, saubere Bewegungen. Aber vor allem: Du hast nicht gezögert.“
Ich nicke, versuche zu lächeln, aber ich bin einfach zu erschöpft, um richtig zu reagieren.
„Zwei Dinge“, setzt er nach, hebt mahnend einen Finger: „Erstens, du hättest bei dem Überhang früher deinen Körperschwerpunkt nach hinten nehmen müssen. Dann wäre der Sprung leichter gewesen.“
Ich nicke langsam. Ich weiß genau, welchen Moment er meint.
„Zweitens, dein letzter Griff war riskant. Du hast ihn aus dem Ellenbogen genommen, nicht aus der Schulter. Das hätte schiefgehen können. Aber…“, er grinst leicht, „du hast es durchgezogen. Und das zählt.“
Ich will etwas sagen, mich bedanken, aber meine Stimme fühlt sich trocken an. Ich hebe nur leicht die Hand zum Daumen hoch. Dann passiert etwas Seltsames.
Einer der Kamera-Assistenten kommt zu Kai, hält ihm einen kleinen Zettel hin. Ich sehe, wie sein Blick darüber huscht, dann blinzelt er überrascht, liest es noch einmal. Ein kurzer Moment der Stille. Dann sieht er auf, erst zu mir, dann zu Leo.
„Leo“, sagt er plötzlich.
Leo hebt den Kopf, ein bisschen überrascht. „Hm?“
Kai schüttelt leicht den Kopf, als könne er selbst nicht ganz fassen, was er gleich sagen wird. „Bring Justin zu den Duschen. Aber vorher holst du ihm ein Elektrolytgetränk. Sofort. Sein Körper ist komplett leer, das kann übel enden, wenn er nicht nachfüllt.“
Er sieht mich scharf an. „Und du trinkst das, Justin. Kein Aber.“
Ich bin zu erschöpft, um zu widersprechen. Ich nicke nur schwach.
Dann wendet sich Kai wieder an Leo. „Lass ihn nicht aus den Augen. Wirklich nicht. Ich will nicht, dass er mir auf dem Weg einknickt.“
Sein Ton ist nicht streng, aber ernst. Fast… besorgt.
Leo nickt sofort, und ich sehe, wie sein Blick für eine Sekunde auf mein Gesicht wandert. Er sieht es auch. Meine Erschöpfung. Das leichte Zittern meiner Finger, das ich selbst nicht mehr wirklich spüre.
„Und dann bringst du ihn zur Physio“, fährt Kai fort. „Ich instruiere sie extra, damit sie ihn wieder fit machen.“
Leo schnalzt mit der Zunge. „Also, Babysitter-Modus?“
Kai hebt eine Augenbraue. „Verantwortungsmodus, Leo.“
Leo seufzt gespielt, schüttelt dann aber grinsend den Kopf. „Verstanden.“
Kai hält kurz inne, dann sieht er mich wieder an. „Ach, und noch eine Sache.“
Ich blinzle.
Er grinst leicht. „Die Filmcrew ist so begeistert, dass sie beschlossen haben, das ganze Video in einem Stück zusammenzuschneiden. Keine einzelnen Sequenzen – die komplette Route. Sie wollen das heute noch sehen, bevor sie entscheiden, was sie damit machen.“
Mein Kopf braucht eine Sekunde, um das zu verarbeiten. Sie zeigen die gesamte Route? Mich? Ohne Schnitte?
Ich schlucke. „Wow…“
Kai nickt. „Ja. Das dachten wir uns auch.“ Dann klopft er mir auf die Schulter. „Jetzt aber raus hier. Ab unter die Dusche.“
Leo gibt mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Und ich lasse mich einfach von ihm führen.
Wir gehen langsam durch den hinteren Bereich des Studios, Richtung Umkleiden. Leo ist zwei Schritte vor mir, aber er dreht sich immer wieder um, als würde er kontrollieren, dass ich noch hinter ihm bin.
Mein Körper fühlt sich schwer an. Meine Beine sind wacklig, meine Arme brennen noch immer. Ich habe schon oft trainiert, bis meine Muskeln am Limit waren – aber das hier ist anders.
Leo bleibt abrupt stehen, und ich stolpere fast in ihn hinein.
„Warte hier“, sagt er nur.
Er dreht sich um und geht ein paar Schritte zur Getränkestation. Ich sehe, wie er eine Flasche greift, dann kurz die Beschriftung checkt. Als er zurückkommt, öffnet er sie bereits, hält sie mir hin.
„Trinken. Und nicht so langsam.“
Ich nehme die Flasche, setze an. Das Getränk ist eiskalt, ein bisschen salzig, aber angenehm süß. Die Flüssigkeit läuft meine Kehle hinunter, und sofort spüre ich, wie mein Körper darauf reagiert.
Leo beobachtet mich genau. Ich trinke weiter, nehme einen tiefen Schluck, dann noch einen. Erst als ich die halbe Flasche geleert habe, nehme ich sie kurz ab und atme tief aus. „Zufrieden?“
Leo zieht eine Augenbraue hoch. „Noch nicht. Weiter.“
Ich seufze, aber trinke weiter.
Er grinst. „Braver Junge.“
Mein Herz stolpert. Ich spüre, wie mir heiß wird – und es hat nichts mit der Anstrengung zu tun. Ich trinke den letzten Schluck, reiche ihm die Flasche zurück. Unsere Finger berühren sich. Wieder dieses leichte Kribbeln, das sich durch meinen Arm zieht. Ich tue so, als wäre nichts, aber mein Magen zieht sich zusammen.
Dann deutet Leo mit dem Kopf auf die Tür. „Komm. Duschen.“
Duschen – Und er bleibt
Die Umkleide ist leer, bis auf ein paar verstreute Taschen. Ich ziehe mein Shirt aus, das sich eklig nass auf meiner Haut klebt. Meine Muskeln schmerzen. Ich streiche mit der Hand über meinen Unterarm, spüre, wie hart die Sehnen gespannt sind.
Leo lehnt sich gegen die Wand, beobachtet mich kurz, dann zeigt er in Richtung der Duschen.
„Mach, lass dir Zeit.“
Ich runzle die Stirn. „Willst du mich beaufsichtigen?“
Er zuckt mit den Schultern. „Kai hat gesagt, ich soll dich nicht aus den Augen lassen.“
Ich verdrehe die Augen, grinse. „Dann komm halt mit.“
Es ist ein Scherz. Ein Reflex, weil mein Kopf sich immer noch benebelt anfühlt. Aber dann – sein Blick.
Sein Lächeln wird schief. „Soll ich?“
Ich erstarrte für einen Moment. Fuck. Ich habe es nicht so gemeint. Oder vielleicht doch? Oder doch nicht? Mein Kopf fährt Karussell.
Dann lacht Leo, schüttelt leicht den Kopf. „Mach dich nicht verrückt. Ich bleib einfach hier und passe auf, dass du nicht ohnmächtig wirst.“
Ich drehe mich schnell um, ziehe meine Hose aus und verschwinde unter das warme Wasser.
Und während das Wasser über meine Haut läuft, während meine Muskeln sich langsam entspannen, während mein Herz immer noch viel zu laut schlägt… Weiß ich nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert bin.
Das Wasser rauscht noch in meinen Ohren, während ich langsam aus der Dusche steige. Meine Haut ist warm von der Hitze, meine Muskeln fühlen sich schwer an – eine Mischung aus tiefer Erschöpfung und angenehmer Nachwirkung.
Ich blinzele kurz, streiche mir mit einer Hand das nasse Haar aus der Stirn, während ich nach meinem Handtuch taste. Doch in dem Moment, in dem ich aufblicke, sehe ich Leo.
Er steht ein paar Schritte entfernt, lehnt mit verschränkten Armen an den Spinden. Sein Blick ist anders. Nicht nur das übliche Grinsen, nicht nur diese lässige Selbstverständlichkeit, mit der er sich sonst bewegt. Verträumt. Nachdenklich. Aber auch… besorgt? Für einen Moment sieht es so aus, als hätte er vergessen, dass er mich überhaupt beobachtet. Seine Augen wandern an mir entlang – nicht auf eine plumpe Art, sondern fast wie eine unbewusste Bewegung, als würde er mich nach Verletzungen scannen. Dann trifft sein Blick meinen, und er zuckt leicht zusammen. „Alles okay?“ Seine Stimme ist leiser als sonst.
Ich atme tief durch, spüre, wie sich meine Brust leicht hebt und senkt. „Ja… also, ich glaub schon. Ich bin einfach nur… platt.“
Leo nickt langsam. Dann deutet er mit dem Kopf auf die Bank neben ihm. „Ich hab dir was hingelegt.“
Verwirrt runzle ich die Stirn, trete näher – und sehe, was er meint. Ein komplettes Set frischer Klamotten. Nicht nur ein Handtuch oder ein Shirt, das ich mir selbst hätte nehmen können, sondern alles. Frische Unterwäsche. Eine schwarze, eng anliegende Funktionshose. Ein lockeres Shirt in einem dunklen Grauton mit dem Label des Herstellers – ein dezentes, aber markantes Logo, das an einen minimalistischen Kletterkarabiner erinnert, kombiniert mit einer stilisierten Bergsilhouette. Darüber eine leichte, athletische Jacke mit dünnen, dezenten Linien entlang der Arme – funktional, aber mit urbanem Style.
Ich blinzle. „Woher…?“
Leo zuckt die Schultern, als wäre es nichts. „Ich hab gesehen, dass du deine Tasche nicht mitgenommen hast. Also hab ich dir was aus dem Fundus organisiert. Passt zu dir. Und du kannst es behalten.“
Ich schlucke. Es ist eine Kleinigkeit – aber es fühlt sich nicht klein an. „Danke“, murmele ich, nehme das Handtuch und trockne mich ab. Mein Körper fühlt sich noch immer heiß an, aber jetzt nicht nur von der Dusche.
Während ich mich anziehe, spüre ich seinen Blick. Nicht direkt, nicht offensichtlich. Aber er ist da. Leo sieht mich. Und ich spüre es bei jedem einzelnen Kleidungsstück, das ich über meine Haut ziehe. Die trockene, saubere Stofffaser auf meiner Haut fühlt sich intensiver an, als sie sollte. Das enge Funktionsmaterial liegt direkt an meinem Körper, betont jede Muskelspannung, jedes Ziehen in meinen Gliedern, das mich daran erinnert, wie sehr ich mich ausgepowert habe.
Ich atme tief durch, schiebe mir die Jacke über die Schultern. Meine Finger zittern leicht – vielleicht noch immer von der Anstrengung, vielleicht von etwas anderem. Als ich fertig bin, sehe ich zu ihm auf.
Seine Arme sind noch immer verschränkt. Er mustert mich einen Moment lang, dann grinst er leicht. „Steht dir.“
Mein Mund wird trocken. Ich kann nichts erwidern. Mein Körper fühlt sich immer noch so an, als wäre er nicht ganz bei mir. Mein Kopf ist zu voll, meine Brust zu eng, meine Gedanken zu laut. Ich brauche Ruhe.
Leo scheint das zu spüren, denn er tippt mir kurz gegen die Schulter. „Komm, wir müssen dich noch zur Physio bringen. Sonst rastet Kai aus.“
Ich nicke nur und folge ihm aus der Umkleide.
Der Weg zur Physio – Die Spannung in meinem Körper und in der Luft
Wir gehen nebeneinander her. Der Gang ist lang, der Boden reflektiert das weiche Licht der Lampen über uns. Es ist ruhig hier, nur unsere Schritte hallen leicht durch den Flur. Ich merke erst jetzt, wie müde ich wirklich bin.
Jeder Muskel in meinem Körper ist verkrampft. Mein Nacken fühlt sich steif an, meine Schultern hängen schwer. Selbst meine Finger fühlen sich taub an vom ständigen Greifen, Halten, Festklammern.
Leo läuft ruhig neben mir. Ab und zu streift seine Schulter meine – nur ganz leicht, aber es reicht, um mein Bewusstsein völlig auf ihn zu lenken. Ich frage mich, ob er das absichtlich macht. Oder ob ich einfach zu sehr darauf achte.
Als wir die Tür zur Physiotherapie erreichen, öffnet er sie und tritt zuerst ein.
„Hey Leute, ich hab einen Patienten für euch.“
Ich rolle die Augen. „Ich bin nicht verletzt.“
Leo grinst und lehnt sich in den Türrahmen. „Sag das deinen Schultern.“
Ich will ihm einen sarkastischen Kommentar zurückgeben. Doch dann sehe ich die Liege. Und mein Körper macht mir in dem Moment klar, wie dringend ich das wirklich brauche.
Eine junge Frau in Sportkleidung tritt auf mich zu, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. „Du musst Justin sein? Ich bin Sophie. Kai hat mir schon gesagt, dass du ein bisschen durchgeknetet werden musst.“
Ich nicke.
„Mach dich frei bis auf die Shorts und leg dich auf den Bauch.“
Leo räuspert sich leicht. Ich drehe den Kopf und sehe, dass er immer noch da steht. Immer noch zusieht.
Ich blinzele. „Bleibst du hier?“
Er hebt eine Augenbraue. „Soll ich?“
Mein Herz macht einen Sprung. Ich weiß nicht, was die richtige Antwort ist. Will ich, dass er bleibt? Ja.
Nein. Ich weiß es nicht.
Sophie wirft mir einen kurzen Blick zu. „Er kann auch draußen warten, wenn du willst.“
Leo schaut mich fragend an. Ich schlucke. Dann murmele ich: „Ja, bitte bleib!“ Leo mustert mich für eine Sekunde, als wolle er meine Gedanken lesen. Dann nickt er langsam. „Gerne!“
Ich freue mich. Zum ersten mMl habe ich ganz deutlich gesagt, dass ich will, dass er bei mir bleibt. Und er hat mich zaghaft, aber freudig, dabei angelächelt.
Dann ziehe ich mein Shirt und meine Hose aus, lege mich auf die Liege. Sophie deckt meinen Rücken mit einem Handtuch ab, bevor sie beginnt, meine Schultern zu bearbeiten.
Ich liege auf der Liege, mein Körper ist schwer, mein Atem langsam. Die warme Luft des Raums, das gedämpfte Licht – alles fühlt sich an, als würde ich mich langsam von der Realität entfernen.
Doch dann sind da ihre Hände. Sophie beginnt an meinen Schultern, ihre Finger drücken sich mit einem angenehmen, festen Druck in die verspannten Stellen. Ich spüre, wie sie die Knoten entlang meiner Schulterblätter bearbeitet, wie sie mit kreisenden Bewegungen die festgesetzte Anspannung löst.
Mein Körper zuckt leicht, als sie einen besonders harten Punkt erwischt. „Uff…“
„Tut weh?“
„Ein bisschen.“
Sie lacht leise. „Dann hab ich den richtigen Punkt erwischt.“
Ich grinse gegen die Liege, versuche, mich einfach der Bewegung hinzugeben. Die Wärme ihrer Hände breitet sich aus, fließt durch meinen Rücken, löst die Spannung, die sich über den Tag hinweg festgesetzt hat. Ich merke, wie ich langsam loslasse.
Und dann… Mein Blick wandert leicht zur Seite. Leo. Er sitzt auf einem Stuhl in der Ecke, seine Ellenbogen locker auf den Knien abgestützt. Er beobachtet mich. Nicht auf eine aufdringliche Weise. Nicht so, dass es mir unangenehm sein sollte. Aber sein Blick bleibt an mir hängen. Mein Magen zieht sich kurz zusammen. Ich weiß nicht, warum. Oder vielleicht weiß ich es genau.
Sophie arbeitet sich weiter nach unten, ihre Hände wandern über meine Rippenbögen, gleiten sanft entlang meiner Flanken. Mein Körper zuckt erneut leicht – nicht vor Schmerz, sondern vor dem plötzlichen Prickeln, das ihre Berührung auslöst.
Ich schließe die Augen. Versuche, mich nur auf die Massage zu konzentrieren. Aber es fällt mir schwer. Denn da ist Leo. Da ist sein Blick, der sich unter meine Haut bohrt, selbst wenn ich ihn nicht direkt sehe.
„Okay, jetzt mal deine Arme. Die haben heute auch einiges abbekommen“, murmelt Sophie.
Ich nicke leicht, lasse sie meine linke Hand nehmen. Es fühlt sich seltsam intim an. Ihre Daumen arbeiten sich über meinen Unterarm, drücken mit festem, aber angenehmem Druck in das gespannte Gewebe. Ich kann spüren, wie sich die Spannung langsam löst.
Meine Finger sind noch leicht taub vom ständigen Greifen, Halten, Zupacken. Ich habe heute so viel Kraft in meine Hände gelegt – und jetzt sind sie einfach nur müde. Ich atme tief aus, während sie sich weiter vorarbeitet. Ihr Griff wandert zu meiner Handfläche, sie massiert sanft die kleinen Muskeln, die ich sonst nie bewusst spüre.
„Wow…“, murmele ich, als ich merke, wie meine Hand sich völlig entspannt.
Sophie lacht. „Ja, das fühlt sich anders an, wenn man’s nie macht, hm?“
Ich grinse. „Total.“
Dann wechselt sie zum rechten Arm, nimmt meine Hand zwischen ihre und beginnt, sich mit derselben Präzision durch die verspannten Stellen zu arbeiten.
Ich lasse meinen Blick wieder zur Seite schweifen – zu Leo. Sein Blick ist auf meine Hand gerichtet. Ich sehe, wie sein Kiefer sich leicht anspannt. Seine Lippen leicht aufeinander gepresst. Er beobachtet es. Wie meine Hand in ihren liegt.
Ich spüre plötzlich etwas in meinem Bauch. Eine seltsame Mischung aus Nervosität und… Kribbeln. Warum fühlt sich das plötzlich so anders an? Ich sollte mich entspannen. Das hier ist einfach eine Massage. Rein physisch. Aber mein Körper… reagiert. Und nicht nur darauf.
Meine Beine – Das Verlangen, das ich nicht steuern kann
Sophie arbeitet sich weiter nach unten, massiert nun meine Waden. Ihre Hände kneten langsam die verhärteten Muskeln aus, während ich mich schwer auf die Liege sinken lasse.
„Deine Beine sind wie Stahlseile“, kommentiert sie amüsiert. „Kein Wunder nach dem, was du heute gemacht hast.“
Ich lache kurz. „Sag das meinen Oberschenkeln.“
„Glaub mir, da komme ich noch hin.“
Sie arbeitet sich langsam hoch, ihre Hände gleiten an meinen Waden entlang, massieren gezielt die Sehnen um meine Knie herum. Mein Körper fühlt sich inzwischen fast schwerelos an.
Doch dann kommt sie an meine Oberschenkel. Meine Atmung verändert sich. Nur leicht – aber ich spüre es. Ihr Griff ist nicht unangenehm, nicht falsch. Aber es ist eine Berührung, die mir bewusst macht, wie empfindlich mein Körper gerade ist.
Sie drückt sanft in die tiefen Muskelschichten, arbeitet sich an den Seiten entlang. Ich weiß, dass das völlig normal ist. Aber ich spüre etwas anderes. Nicht durch Sophie. Sondern durch den Gedanken an ihn. Leo.
Mein Kopf ist plötzlich nicht mehr hier. Nicht in diesem Raum, nicht auf dieser Liege. Ich stelle mir vor, dass seine Hände meine Haut berühren. Dass es seine Finger sind, die sich über meine Muskeln bewegen, über meine Schultern, meine Arme, meine Beine… Mein Hals wird trocken. Ich schlucke, versuche ruhig zu bleiben. Aber mein Körper reagiert auf die bloße Vorstellung. Das Kribbeln breitet sich aus. Hitze steigt in mir auf. Ich merke, dass meine Atmung sich verändert, ein Hauch tiefer wird. Sophie sagt nichts. Sie arbeitet einfach weiter, konzentriert sich auf die Muskeln.
Aber Leo…, Leo beobachtet mich. Ich weiß nicht, ob er merkt, was mit mir passiert. Aber allein der Gedanke, dass er es tun könnte, lässt mich fast durchdrehen. Ich will es nicht. Oder doch? Fuck. Ich versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Aber mein Körper verrät mich. Ich bin plötzlich viel zu bewusst über jede Berührung. Über jeden Muskelzug. Über jeden verdammten Atemzug, den ich nehme. Ich presse meine Lippen zusammen, versuche, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Aber es ist zu spät. Ich kann nicht anders, als an ihn zu denken. An seine Hände. An seinen Blick. An das, was wäre, wenn er mich so berühren würde.
Ein prickelndes Ziehen schießt durch meinen Bauch. Ich spüre, wie mein Körper auf die bloße Vorstellung reagiert. Ich kann nichts dagegen tun. Ich atme langsam durch, versuche, mich nicht anmerken zu lassen, dass mein Puls schneller geworden ist.
Sophie beendet die Massage schließlich, streicht noch einmal sanft über meine Schulter. „So, das war’s. Wie fühlst du dich?“
Ich brauche eine Sekunde, um zu antworten. „Locker. Ich glaube, ich bin gerade in einen anderen Zustand gefallen.“
Sie lacht: „Das war der Plan.“
Ich setze mich langsam auf, meine Beine fühlen sich plötzlich zu weich an. Ich schüttle meine Haare aus, blicke kurz zu Leo. Er sieht mich an. Nicht mehr so locker wie vorher. Als wüsste er genau, dass ich nicht nur entspannt bin. Ich senke schnell den Blick, greife nach meinem Shirt. Ich muss raus hier. Ich brauche Luft. Aber ich weiß jetzt schon: Meine Gedanken werde ich nicht so leicht los. Und vor allem ihn nicht.
Überraschung, Sorgen und das große Wiedersehen
Ich verlasse den Raum der Physiotherapie mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen völliger Entspannung und einem inneren Chaos schwebt. Mein Körper fühlt sich leichter an, gelockert von der Massage, aber in meinem Kopf wirbeln die Gedanken noch immer durcheinander.
Leo läuft neben mir her, locker wie immer, aber mit diesem unausgesprochenen Blick, der sich irgendwo zwischen amüsiert und nachdenklich bewegt. Ich spüre noch immer die Wärme der Massage auf meiner Haut, die Nachwirkung der Berührungen, aber vor allem auch die unausweichliche Präsenz von Leo, die mir einfach nicht aus dem Kopf geht.
Ich atme tief durch, versuche, meine Gedanken zu ordnen, aber kaum trete ich aus der Tür hinaus. Da steht er. Bobby. Mein großer Bruder lehnt an der gegenüberliegenden Wand des Gangs, Arme verschränkt, sein Blick sofort auf mich gerichtet. Und zwar nicht nur auf mich. Seine Augen huschen zwischen mir und Leo hin und her.
Ich blinzele. Warum sieht er mich so an? Dann fällt es mir ein. Das Gespräch mit Thomas. Wir hatten uns nach dem Shooting für ein Meeting mit ihm verabredet. Ich hatte es in den letzten Stunden komplett verdrängt. Aber Bobby sieht nicht aus, als wäre er einfach nur hier, um mich abzuholen. Sein Blick ist… besorgt.
„Bobby?“ Meine Stimme ist noch leicht rau von der Ruhe der Massage.
Er schiebt sich von der Wand weg, kommt auf uns zu und bleibt vor mir stehen. Seine Augen mustern mich kurz, dann sieht er zu Leo.
„Alles okay mit ihm?“
Leo blinzelt überrascht, bevor er langsam nickt. „Ja, er hat sich bei der Physio durchkneten lassen. Sollte wieder funktionieren.“
Bobby verengt die Augen leicht, sein Blick bleibt noch einen Moment auf Leo haften, als würde er etwas suchen. Dann dreht er sich wieder zu mir.
„Thomas hat mir geschrieben“, sagt er langsam. „Er meinte, es war heute… anstrengend.“
Ich spüre, wie mein Brustkorb sich leicht zusammenzieht. Ich will ihm nicht sagen, wie heftig es wirklich war. Wie sehr ich an meine Grenze gegangen bin. Ich weiß, dass Bobby sowas nicht leichtfertig abtut.
„Es war hart“, gebe ich zu. „Aber es war auch… krass.“
Bobby hebt eine Augenbraue. „Krass?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich meine…, es fühlt sich gut an. Auch wenn ich fast gestorben wäre.“
Leo schnaubt belustigt neben mir: „Drama-Queen.“
Bobby sieht mich noch einmal eingehend an, als würde er prüfen, ob ich wirklich ehrlich bin. Dann atmet er langsam aus, fährt sich mit einer Hand über den Nacken. „Okay. Aber du sagst es mir, wenn es zu viel wird, ja?“
Ich nicke. Ich weiß, dass er das ernst meint.
Leo lehnt sich leicht gegen die Wand. „Also wenn er es nicht sagt, dann sage ich es. Ich hab den Auftrag, ihn nicht sterben zu lassen.“
Bobby hebt eine Braue, sein Blick bleibt noch eine Sekunde an Leo hängen, dann nickt er langsam. „Gut zu wissen.“
Es ist nur ein kurzer Moment – aber ich spüre es. Die Art, wie Bobby Leo mustert. Nicht kritisch, aber… prüfend. Mein Magen zieht sich leicht zusammen. Was denkt er gerade? Ich will ihn fragen, aber dann seufzt er und klopft mir auf die Schulter. „Na los. Thomas wartet auf uns. Und vorher sollen wir uns wohl noch was anschauen.“
Ich runzle die Stirn. „Was anschauen?“
Bobby zuckt mit den Schultern. „Finn und sein Team haben heute wohl was Besonderes vorbereitet.“
Mein Magen macht einen kleinen Sprung. Ich ahne, worum es geht.
Leo grinst. „Oh, das wird gut.“
Ich schlucke. Oh.
Der Weg ins Studio – Erwartung liegt in der Luft
Wir gehen durch die breiten Gänge der Firma, vorbei an Räumen mit großen Glastüren, hinter denen verschiedene Abteilungen arbeiten. Das Gebäude ist modern, weitläufig, aber ich nehme kaum etwas davon wahr. Mein Kopf ist zu voll.
Ich spüre Bobby neben mir, den prüfenden Blick, den er immer wieder in meine Richtung wirft. Und dann ist da Leo, der so lässig neben mir geht, als wäre das hier sein Wohnzimmer.
Meine Muskeln sind noch immer locker von der Massage, aber in meinem Inneren ist da eine Anspannung, die nicht vergeht. Finn und seine Crew haben etwas vorbereitet. Meine Kletterroute in voller Länge. Sie wollen sie uns zeigen. Ich habe keine Ahnung, warum sich mein Brustkorb so eng anfühlt. Vielleicht, weil ich heute das erste Mal gefühlt habe, wie weit ich wirklich gehen kann. Vielleicht, weil sich das hier größer anfühlt, als ich es erwartet habe. Oder vielleicht, weil ich weiß, dass Leo gleich neben mir sitzen wird, während wir uns das anschauen.
Wir erreichen das Studio. Die Türen stehen bereits offen, und als wir eintreten, ist die Energie im Raum aufgeladen. Finn steht vorne, inmitten seines Teams, sein Gesicht leuchtet regelrecht.
„Da seid ihr ja!“ Er klatscht in die Hände. „Kommt rein, setzt euch, wir haben was für euch.“
Die Bildschirme an der Wand sind bereits an. Ich sehe große Kamera-Setups, ein Schnittprogramm mit meinem Gesicht eingefroren auf einem Frame. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Wow. Ich trete langsam vor, spüre, wie Bobby neben mir stehen bleibt. Leo steckt lässig die Hände in die Taschen, grinst. „Na, bereit, dich selbst in High Definition zu sehen?“
Ich schlucke. „Ich… glaube schon.“
Finn lacht: „Wirst du gleich sehen. Aber warte kurz, wir holen noch Thomas rein.“
Er tippt auf sein Headset, spricht kurz mit jemandem. Dann… Warten.
Ich spüre, wie mein Herz langsam schneller schlägt. Leo setzt sich neben mich, seine Knie streifen meine. Ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht. Bobby sitzt auf meiner anderen Seite, mustert mich noch immer leicht aus dem Augenwinkel. Und dann bleibt nur noch eines: Warten.
Warten darauf, dass Thomas reinkommt. Warten darauf, dass sie es starten. Warten darauf, mich selbst an der Wand zu sehen. Und mit jedem vergehenden Moment… steigt die Anspannung in mir ins Unermessliche. Dann kommt er endlich…
Der Film läuft – Und ich sehe mich selbst
Finn drückt auf Play.
Das Studio wird in das kalte, flimmernde Licht der großen Bildschirmwand getaucht. Der Bildschirm erleuchtet den Raum, während das Video beginnt. Die ersten Bilder sind ruhig. Keine Musik. Keine übertriebenen Effekte. Nur reine Konzentration. Ein Schwarzbild. Dann eine langsame Überblendung. Mein Gesicht. Nahaufnahme. Mein Atem geht ruhig, kontrolliert. Ich stehe unten an der Wand, meine Finger fahren über den ersten Griff, mein Blick ist fokussiert.
Das Licht im Video ist perfekt gesetzt. Eine Mischung aus Tageslicht und weichem Studiolicht hebt jede Kontur meines Gesichts hervor – die Spannung in meinem Kiefer, den kurzen Moment, in dem ich meine Lippen anfeuchte, bevor ich die Route starte. Mein Körper ist entspannt, aber voller Energie. Meine Arme zeichnen sich unter der enganliegenden Funktionskleidung ab, die das neue Material perfekt zeigt – leicht, flexibel, aber mit dieser präzisen Passform, die jede Muskelbewegung unterstreicht.
Und dann – Bewegung. Die Kamera wechselt in eine flüssige Kamerafahrt von unten nach oben. Ich setze den ersten Zug, greife nach dem ersten Griff, meine Finger schließen sich darum, als wäre er genau für mich gemacht. Nahaufnahme meiner Hand. Man sieht alles. Die leicht geröteten Fingerkuppen, die feinen weißen Risse von Magnesia, die Spannung in meinen Sehnen, wenn ich mich hochziehe.
Die Kamera schwenkt zurück auf mein Gesicht. Ich blinzele nicht einmal, als ich mich in die Route einfühle. Ich sehe mich selbst so, wie ich mich noch nie gesehen habe. Stark. Sicher. Ich wirke wie jemand, der genau weiß, was er tut.
Und dann… wird es intensiver. Die Kletterroute – Mein Kampf gegen die Wand. Die Musik setzt sanft ein. Ein tiefer, pulsierender Beat, der den Rhythmus meines Körpers fast nachahmt. Ich ziehe mich höher. Die Kamera fängt jeden Muskelzug ein. Die Funktionskleidung bewegt sich mit mir, der Stoff bleibt perfekt an Ort und Stelle, während ich mich aus einer harten Position in die nächste schiebe. Ein weiter Griff. Die Kamera zoomt auf meine Schultern. Die Muskeln spannen sich unter dem Stoff an, meine Arme sind kein reiner Kraftakt, sondern pure Technik. Mein rechter Fuß schiebt sich über die Wand, sucht nach Halt, bevor ich mich an einen weiteren Überhang wage.
Die Perspektive wechselt. Draufsicht von oben. Ich sehe klein aus im Vergleich zur massiven Wand unter mir, aber meine Bewegung wirkt kontrolliert, jede Entscheidung bewusst. Mein Brustkorb hebt sich mit jedem Zug, mein Atem ist sichtbar. Ein Zeichen dafür, dass ich an mein Limit komme. Schnitt auf mein Gesicht. Mein Blick ist anders als am Anfang. Nicht mehr nur fokussiert. Jetzt ist da Kampfgeist.
Dann kommt der Überhang. Die Kamera fährt um mich herum, zeigt mich hängend, während meine Beine sich fest unter den Tritten verankern. Mein Körper hängt fast horizontal. Die Beleuchtung setzt genau richtig an. Meine Silhouette wird gegen das Licht skizziert. Die neue Kollektion macht genau das sichtbar, wofür sie designed wurde. Nicht nur für Kraft. Sondern für Dynamik. Bewegungsfreiheit. Präzision. Mein Körper vibriert vor Spannung, mein Bizeps zieht sich zusammen, mein Bauch hält mich in der Balance. Ich sehe, wie mein Gesicht kurz verzerrt wird – der Schmerz, die Erschöpfung kommt durch. Ein kleiner Schwenk auf meine Hand – sie ist leicht am Zittern. Aber ich lasse nicht los. Ich kämpfe. Die Musik steigt an. Der Schnitt wird schneller. Ich drücke mich hoch, springe auf den nächsten Griff zu. Ein kurzer Moment in der Luft – mein Körper fast schwerelos. Dann schließen sich meine Finger um den Griff. Ich halte mich. Zoom auf mein Gesicht – der Moment, in dem ich realisiere, dass ich es schaffe. Und dann… Der letzte Griff. Die Musik verstummt. Nur mein Atem. Die Kamera fängt ein, wie sich meine Finger in Slow Motion um den Griff legen. Wie mein ganzer Körper sich entspannt, weil ich es geschafft habe. Ich blicke nach unten, atme schwer aus. Mein Blick ist voller Erleichterung, Stolz – aber auch völlig erschöpft.
Dann beginnt das Abseilen. Die Kamera fährt mit mir nach unten, ein langsamer Ausklang. Ich treffe auf dem Boden auf. Mein Kopf senkt sich kurz. Ich schließe für eine Sekunde die Augen. Dann ein letztes Bild: Meine Hand, die sich von der Wand löst. Schwarzbild. Dann, in ruhiger Schrift: „PURE MOVEMENT. TRUE STRENGTH.“
Pause. Das Video stoppt. Stille. Im Raum herrscht absolute Stille.
Ich sitze da, mein Atem ist fast genauso schwer wie im Video. Ich habe mich selbst erlebt. So, wie ich mich noch nie gesehen habe.
Finn steht vorne, die Arme vor der Brust verschränkt, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. „Okay. Holy shit.“
Ein Lachen geht durch die Crew, aber es ist dieses ehrfürchtige Lachen. Dieses „Wir wissen, dass wir hier etwas verdammt Gutes haben“-Lachen. Dann klatscht jemand. Einmal. Dann zweimal. Dann wird es lauter. Applaus. Ich schlucke. Mein Gesicht wird heiß. Und dann blicke ich nach links. Leo.
Er lehnt sich leicht zurück, als hätte er das, was er gerade gesehen hat, nicht ganz verarbeitet. Seine Lippen sind einen Moment leicht geöffnet, dann schließt er sie langsam. Sein Blick trifft meinen. Er sieht mich nicht nur an. Er sieht etwas in mir. Dann hebt er eine Braue, seine Hand fährt sich einmal kurz durch sein Haar. Und dann – dieses Grinsen. Aber nicht sein übliches, herausforderndes. Ein weiches, stilles. Fast schüchtern.
Mein Magen macht einen verdammten Überschlag. Dann höre ich eine leise Stimme neben mir. „Wow, Justin…“. Ich drehe mich nach rechts. Bobby. Seine Augen sind warm. Voller Stolz, voller Anerkennung. Er atmet tief durch. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
Ich schlucke schwer. Meine Hände sind feucht. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – aber nicht das hier. Nicht diesen Moment, in dem mir plötzlich bewusst wird, dass das hier mehr ist. Mehr als nur ein Video. Mehr als nur ein Shooting. Mehr als nur eine Kampagne. Das hier bin ich. Und ich weiß nicht, ob ich stolz oder eingeschüchtert bin. Ich weiß nur… Dass sich alles gerade ein bisschen größer anfühlt.
Der Applaus verebbt langsam, aber die aufgeladene Energie im Raum bleibt. Ich spüre sie überall – in den Blicken der Crew, in den anerkennenden Worten von Finn, in der Wärme, die Bobby und Leo ausstrahlen, auch wenn sie es auf ganz unterschiedliche Weise tun.
Thomas tritt vor. Er hat diese professionelle Ruhe, die ihn ausmacht, aber sein Blick ist anders als sonst. Wärmer. Anerkennender.
„Großartig“, sagt er knapp, aber mit Nachdruck. „Das ist mehr als nur gutes Klettern. Das ist echte Präsenz.“
Ich schlucke schwer. Die Worte treffen mich auf eine Art, die ich nicht erwartet habe.
Dann legt Thomas eine Hand auf meine Schulter. „Aber ich sehe, wie fertig du bist.“
Ich blinzle. Ich wusste, dass ich erschöpft bin. Ich spüre es in jeder Faser meines Körpers. Aber dass es so offensichtlich ist?
Thomas richtet den Blick auf Bobby, gibt ihm mit einer kleinen Kopfbewegung zu verstehen, dass wir kurz unter vier Augen sprechen sollen.
Bobby wirft mir einen kurzen Blick zu, sein „großer Bruder-Modus“ ist direkt aktiviert. Ich nicke leicht und folge den beiden, auch wenn ich spüre, wie Leos Augen mir hinterherschweifen. Er beobachtet mich. Und ich? Ich spüre es.
Gespräch mit Thomas – Die richtigen Entscheidungen
Wir stehen etwas abseits, in einer ruhigeren Ecke des Studios. Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Finn sich mit der Crew unterhält, dass Leo immer noch in der Nähe ist, aber sich absichtlich zurückhält.
Thomas verschränkt die Arme, mustert mich kurz. Dann atmet er aus.
„Justin, du hast heute Großartiges geleistet. Ich will das nochmal betonen. Das, was wir gerade gesehen haben – das war nicht nur ein gutes Shooting. Das war eine Präsentation deiner Persönlichkeit. Das ist genau das, was wir gesucht haben.“ Mein Magen zieht sich zusammen. Seine Worte treffen anders.
Ich weiß, dass ich mich gut geschlagen habe. Aber so, wie er es sagt… es macht mir bewusst, dass es hier nicht nur um ein paar Bilder geht. Bobby steht neben mir, seine Arme locker vor der Brust verschränkt. Sein Blick ist wachsam – nicht skeptisch, aber er hört genau hin.
„Aber…“, fährt Thomas fort und sein Blick wird etwas ernster, „ich sehe auch, dass du völlig am Ende bist. Und das ist nicht das, was wir wollen. Wir brauchen dich fit. Körperlich, aber vor allem auch mental.“ Ich nicke langsam. Mein Kopf fühlt sich schwer an, meine Beine sind irgendwie zu weich, mein Brustkorb zieht sich müde zusammen. „Wir hatten ein Meeting für heute geplant, aber das verschieben wir auf morgen Vormittag“, sagt Thomas bestimmt. „Du brauchst Ruhe.“
Ich atme tief aus. Erleichterung. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie dringend ich das brauche. Bobby nickt zustimmend. „Das ist eine gute Entscheidung. Samstag ist dann zwar etwas enger getaktet, aber Justin braucht wirklich eine Pause.“
„Das kriegen wir hin“, bestätigt Thomas. Dann legt er kurz eine Hand auf meine Schulter. „Mach dir keinen Kopf. Erhol dich. Wir sprechen morgen.“
Ich kann nur nicken und werfe einen kurzen Blick zu Bobby, der mir diesen „Ich hab dich im Blick“-Bruderblick zuwirft. Ich schnaube leicht. „Na schön. Dann also morgen.“
Bevor wir gehen, drehe ich mich um. Mein Blick findet Leo sofort. Er lehnt an einer der Wände, seine Arme locker verschränkt, aber seine Augen ruhen auf mir. Als hätte er genau gewusst, dass ich mich nochmal umdrehen würde.
Ich zögere. Mein Herz klopft schneller. Ich will diesen Moment nicht verstreichen lassen. Ich gehe auf ihn zu. Nicht zu schnell, nicht zu zögerlich. Irgendwo dazwischen. Als ich vor ihm stehe, hebt er eine Braue. Sein leicht schiefes Grinsen ist da, aber sein Blick… sein Blick ist anders. Offen. Fragend. Erwartend?
„Morgen nach dem Meeting…, hast du Zeit?“ Meine Stimme klingt fester, als ich erwartet habe. Leos Grinsen vertieft sich minimal, als hätte er genau das kommen sehen. Er neigt den Kopf leicht zur Seite, mustert mich, als würde er mich analysieren. „Willst du mit mir reden?“ Mein Brustkorb fühlt sich plötzlich eng an. „Ja“, sage ich. „Ich will mit dir reden.“ Ein kurzer Moment. Dann nickt er langsam. „Ich bin da.“ Und genau das lässt meinen Magen sich überschlagen. Ich halte seinem Blick noch einen Moment stand. Morgen. Morgen werde ich ihn fragen. Ich will endlich wissen, was das hier ist. Ich will Klarheit. „Also dann“, sage ich und versuche, es locker klingen zu lassen. Leo zwinkert mir zu. „Dann bis morgen, Justin.“
Ich drehe mich um. Und mit jedem Schritt, den ich gehe, weiß ich mehr und mehr, dass morgen eine Antwort bringen wird.
Die Heimfahrt – Erschöpfung und Träume
Ich sinke neben Bobby auf den Sitz in seinem Auto. Die kühle Rückenlehne fühlt sich irgendwie gut an. Meine Muskeln sind so müde, dass ich nicht einmal die Energie habe, mich richtig hinzusetzen. Ich atme tief aus. Mein Kopf ist schwer, meine Gedanken schweifen. „Du bist wirklich fertig, oder?“ Bobby grinst leicht, sieht mich aus dem Augenwinkel an.
Ich murmele ein undeutliches „Mhm“, drehe meinen Kopf zur Seite, spüre, wie mich die Erschöpfung einholt. Bobby schüttelt den Kopf, aber seine Stimme ist weich, als er sagt: „Ruh dich aus, Kleiner.“ Ich schließe die Augen. Leo. Sein Blick, seine Worte, seine Anwesenheit…, alles dreht sich um ihn. Und morgen… Morgen will ich wissen, ob er dasselbe fühlt wie ich. Mein Herz schlägt noch ein paar Mal schnell. Dann zieht mich die Müdigkeit fort. Mein Körper entspannt sich. Meine Gedanken fließen davon. Und in der Dunkelheit meiner geschlossenen Augen träume ich von ihm. Von Leo.
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